Edward Bulwer
Paul Clifford. Erstes Bändchen
Edward Bulwer

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Drittes Kapitel

Ich gestehe, ich beneide dich um das Vergnügen, das du empfinden wirst, wenn du dich gelehrter siehst als andre Knaben – sogar als solche, die älter sind als Du. Welche Ehre wird dir dieß machen! Welche Auszeichnungen, welche Lobsprüche werden dich überall begleiten.

Lord Chesterfields Briefe an seinen Sohn.

Das Beispiel, mein Junge, das Beispiel wiegt tausend Regeln auf.

Maximilian der Feierliche.

Tarpeja ward unter dem Gewicht von Schmuck und Geschmeide erstickt. Die Sprache des gemeinen Volks ist eine Art Tarpeja. Wir haben Sie deßwegen durch so viele Edelsteine, als nur möglich, gehoben und in der vorigen Scene sie unsern Lesern vorgeführt simplex munditiis. Nichts destoweniger könnten wir in Sorge seyn, es möchte der Ton des gegebenen Dialogs manchen seiner organisirten Wesen des zarteren Geschlechts mißfallen haben, erinnerten wir uns nicht, welche Freude sie an den Provinzial-Barbarismen des Schwesterkönigreichs haben, wenn immer sie ihnen aus den Zeilen eines Schottischen Erzählers entgegensprudeln. Da, zum Unglück für die Menschheit, das breite Schottische noch nicht die Universalsprache von Europa ist, so hoffen wir, unsre Landsmänninnen werden sich mit dem Dialekt ihrer niedern Volksklassen eben so gut befreunden können, als mit dem, der seine näselnden Melodien über das Paradies des Nordens hinhaucht.

Am nächsten Tage in der Dämmerung genoß Mrs. Grete Lobkins, nach einer befriedigenden Besprechung unter vier Augen mit Herr Mac Grawler, das Glück, sich sagen zu können: sie habe jetzt dem kleinen Paul für einen Lehrmeister gesorgt. Nachdem ihr der Critiker ein ansehnliches Stück aus den Capiteln Propria quae maribus vorgetragen, setzte die Dame nicht länger einen Zweifel in seine Lehrfähigkeit, und auf der andern Seite, als Mrs. Lodkins auf den Punkt der Belohnung überging, bezeugte der Schotte seine Bereitwilligkeit, ihm Alles und Jedes beizubringen, was der pünktlichste Vormund verlangen konnte. Es ward endlich festgesetzt, Paul sollte täglich zwei Stunden den Unterricht Herrn Mac Grawler's genießen! Herr Mac Grawler sollte auf alle leiblichen Bedürfnisse an Speise und Trank, so viel der Krug vermöge, Ansprüche haben und zudem auf eine wöchentliche Besoldung von 2 Schilling 6 Pfennige; die Schillinge für den Unterricht in der klassischen Literatur und die 6 Pfennige für die übrigen Humanisra, oder wie sich Mrs. Lobkins ausdrückte: »die zwei Harden für das Ladeinische und die Blechten für die guhde Lebensart.«

Beschuldige uns, gütiger Leser, nicht in deinem Herzen einer Abweichung von der Wahrscheinlichkeit, wenn wir einen so trefflichen und gelehrten Ehrenmann, wie Herr Peter Mac Grawler, zum täglichen Hausfreund der Wirthin zum Krug machen. Fürs erste mußt Du wissen, daß unsre Geschichte in einen frühern Zeitabschnitt fällt, in eine Zeit, wo die alten Scherze über die Umstände von Autoren und Critikern noch auf wirkliche Thatsachen sich gründeten; zweitens mußt Du wissen, daß zufolge einer eigenthümlichen Verkettung der Umstände weder der Bailiff noch des Bailiffs Leute sich je in den vier Wänden von Mrs. Grete Lobkins Haus sehen ließen; drittens, der Krug war der Wohnung des Critikers näher als irgend ein anderes Wirthshaus; viertens, es lieferte vortrefflichen Porter; und fünftens – o Leser, Du thust der Frau Grete Lobkins entsetzliches Unrecht, wenn Du meinst, ihre Thüre habe sich nur für die Dienstmannen Merkurs geöffnet, die an der krankhaften Neugierde leiden, die Geheimnisse in ihres Nachbars Taschen zu erforschen; auch andre Besuche von gutem Leumund sprachen nicht selten bei der gastlichen Matrone ein, obgleich man gestehen muß, daß sie gewöhnlich lieber ein abgesondertes als das allgemeine Gesellschaftszimmer einnahmen; und sechstens, bester Leser, (wir bedauern, so weitläufig seyn zu müssen,) wir wollten Dir so eben einen Wink darüber geben, daß Herr Mac Grawler zu jenen Weisen von umfassendem Geiste gehörte, die, wenn sie sich zu moralischen Betrachtungen auf den höchsten Standpunkt versetzen, ihre Seelenkräfte nicht durch eine entwürdigende Achtsamkeit auf elende Kleinigkeiten zerstreuen mögen. So daß, wenn bisweilen ein Abkömmling von Langfinger dem hochansehnlichen Schotten bei seinem Besuch im Krug in den Weg kam, diese Erscheinung den wohlwollenden Filosofen nicht in dem Grad empörte, als ohne den obigen Fingerzeig Deine Unwissenheit sich vorstellen mochte.

Man sagt, der Stoiker Athenodorus habe durch seinen Umgang mit Augustus viel dazu beigetragen, dessen Fehler zu verbessern und die unverkennbare Veränderung zu bewirken, die mit diesem glücklichen Mann nach seiner Erhebung auf den römischen Kaiserthron vorgieng. Wenn dieß wahr ist, so kann es ein neues Licht auf den Charakter des Augustus werfen, und dann war er nicht ein Heuchler, sondern ein Gebesserter. Gewiß bleibt, daß es wenige Fehler giebt, die nicht durch Weisheit bemeistert werden können und doch, es ist betrübend dieß zu berichten, doch bewirkten die Unterweisungen von Peter Mac Grawler nur eine schwache Veränderung zum Bessern in den Gewohnheiten des jugendlichen Paul. Das anstellige Bürschchen hatte, wie wir schon gesehen, unter der Anleitung des hitzigen Rob die Kunst des Lesens sich angeeignet; ja er konnte sogar einige seltsame Krähenfüße zeichnen, und aneinanderhängen, was er und Mrs. Lobkins schmeichelhaft schreiben nannten. So weit war der Weg für Mac Grawler gebahnt und geebnet.

Aber unglücklicherweise ist es die Klage aller erfahrnen Lehrer: die Hauptschwierigkeit mache nicht das Lernen, sondern das Verlernen; und die Seele Pauls war schon von einer bunten, zahllosen Menge fremdartiger Gegenstände in Besitz genommen, welche hartnäckig dem Latein und der guten Lebensart sich widersetzten. Nichts konnte ihn von einer unglückweissagenden Vorliebe für die Geschichte von Richard Turpin heilen; sie war ihm, was, wie man schon gesagt hat, die griechischen Classiker einem Akademiker seyn sollen: seine Beschäftigung bei Tage und sein Traum bei Nacht. Er war während der Lehrstunden ziemlich gelehrig und bisweilen sogar zu rasch im Auffassen für den gemessenen Gang von Herrn Peter Mac Grawlers Verständniß. Aber nicht selten geschah es, daß wenn der Ehrenmann aufzustehen versuchte, er sich, wie die Dame im Comus, festgebannt fand

– – an einem gift'gen Sitze,
Beschmiert mit Harz voll zäher Hitze;

oder seine Füße waren ihm heimlich unter dem Tisch zusammengebunden worden, und das Band ließ sich nicht lösen, ohne die obern Mächte in Anspruch zu nehmen; diese und manche andere Schelmenstreiche, womit Paul die Einförmigkeit des gelehrten Unterrichts zu würzen pflegte, hätten bald dem gelehrten Critiker sein Unternehmen verleidet. Aber der Schnaps und die Schatzkammer der Frau Lobkins begütigten die heftigsten Aufwallungen seines Gemüths und er setzte seine Arbeit fort, gestärkt durch den filosofischen Gedanken: »Warum mich bekümmern und ängstigen? wenn ein Zögling gut einschlägt, so erhöht dieß offenbar das Ansehen seines Meisters, wo nicht, so ist der Schaden sein eigen.« Freilich, ein solcher Trostgrund fand nie Zugang im Gemüth des Dr. Keate. In Eton verzehrte sich die innerste Seele des redlichen Vorstehers durch seinen Eifer für die Wohlfahrt kleiner Herren in steifen Halsbinden.

Bei Paul jedoch, dem es vom Schicksal bestimmt war, ein gewisses Maß von Gelehrsamkeit sich anzueignen, traten zu Anfang seines zweiten Lehrjahrs Umstände ein, welche seine Fortschritte in der wissenschaftlichen Bildung wunderbar beschleunigten.

Im Zimmer von Mac Grawler traf Paul eines Morgens Herrn Augustus Tomlinson, einen vielversprechenden jungen Mann, der die harmlose Beschäftigung trieb, für eine der Hauptzeitungen über die: gräßlichen Mordthaten, die außerordentlichen Melonen und merkwürdigen Vorfälle zu berichten. Dieser Herr, der einige Lebensjahre vor Paul voraus hatte, stieg nur langsam von der Höhe seiner Würde herab; aber endlich, da er die lebhafte und ehrerbietige Aufmerksamkeit sah, womit der Junge der sehr wahrhaftigen Schilderung der grausamen Ermordung von fünf Männern in der Cathedrale von Canterbury, durch den Hochwürdigen Zedekiah Fooks Barnacle verübt, zuhörte: da ward er gerührt über den Eindruck, den er hervorgebracht, schüttelte freundlich Pauls Hand und sagte ihm, es sey in seinem Gesicht viele natürliche Schlauigkeit, und für Herrn Augustus Tomlinson sey es außer Zweifel, daß er (Paul) selbst nächster Tage die Ehre haben werde, ermordet zu werden. »Versteht mich!« fuhr Herr Augustus fort, »ich meine, ermordet in effigie, erdolcht auf dem Papier, während Ihr selbst, des Umstands ganz und gar unbewußt, das genießt was Ihr Euer Leben nennt. Wir tödten nie gemeine Leute; die Wahrheit zu sagen: den schärfsten Zahn haben wir auf die Kirche; die Bischöfe lassen wir dutzendweise abfahren. Zwar zuweilen geben wir einem Hauptanwalt oder dergleichen einen Treff; und drücken den Kummer der jungen Advokaten über einen Verlust aus, der ihren Interessen so nachtheilig ist. Aber das sind nur blinde Streiche; und der erschlagene Hauptanwalt lebt oft fort, bis er Kronanwalt wird, verläugnet die Grundsätze der Whig's und verfolgt die Presse die ihm das Leben raubte. Bischöfe sind unser eigentliches Leibessen; wir schicken sie in den Himmel auf einer Art geflügeltem Greif, dessen Rücken ein Schlaganfall und dessen Schwingen von Hochmuth gebläht sind. Der Bischof von – –, den wir dieser Tage in solcher Weise abfertigten und der ein witziger Kopf ist, schrieb uns eine Berichtigung darüber und bemerkte: obgleich die Übertragung in die himmlischen Gefilde für einen Bischof etwas sehr Geeignetes sey, so ziehe er doch in solchem Fall das Original der Uebertragung vor. Wie wir die Bischöfe tödten, so ist eine andre Menschenklasse, die wir nur mit tödtlichen Krankheiten heimsuchen. Diese Klasse besteht aus seiner Majestät und seiner Majestät Ministern. So oft wir ihren Maßregeln nichts anhaben können, so fallen wir über ihre Gesundheit her. Giebt der König ein populäres Gesetz – so lassen wir sogleich einfließen, daß seine Leibes-Constitution auf schwachen Füßen steht; handelt der Minister wie ein Mann von Verstand – so bemerken wir augenblicklich, seine Gesichtsfarbe sey auffallend blaß. Die Leute krank machen hat einen unverkennbaren Vortheil gegenüber von dem, daß man sie ganz vernichtet. Das Publikum kann uns im Einen Fall rund und plump widersprechen, aber nicht im andern; es ist leicht zu beweisen, daß ein Mensch noch lebt, aber ganz unmöglich zu beweisen, daß er sich wohl befindet. Was hat es zu bedeuten, wenn andere Zeitungen im Widerspruch mit uns, sich seiner annehmen und versichern, das angebliche Opfer aller Plagen aus Pandora's Büchse, das wir schon dem Grabe zuwanken ließen, bringe die Hälfte des Tags damit zu, eine auserlesene Gesellschaft bei einer Jagdparthie in Athem zu erhalten, und die andere Hälfte damit, derselben auserlesenen Gesellschaft nach Tisch mit Trinken zuzusetzen? Was macht es, wenn das heimgesuchte Individuum selbst uns schreibt, es habe sich in seinem Leben nie besser befunden – wir brauchen nur geheimnißvoll den Kopf zu schütteln, und zu bemerken, daß behaupten nicht beweisen heißt, daß es unwahrscheinlich sey, daß unser Gewährsmann sich sollte geirrt haben, und (wir lieben sehr historische Parallelen) unsre Leser daran zu erinnern, wie Cardinal Richelieu, als er am Sterben war, über nichts so wüthend wurde als über Anspielungen auf seine Krankheit. Kurz, wenn Horaz recht hat, so sind wir die Fürsten der Dichter; denn ich darf gewiß annehmen, Herr Mac Grawler, daß Sie – und Ihr auch mein kleiner Herr, sich der Worte des weisen alten Römers wohl erinnern:

Ille per extentum funem mihi posse videtur
re poëta, meum qui pectus inaniter angit,
Irritat, mulcet, falsis terroribus implet.«

Diese Stelle recitirte Herr Augustus Tomlinson mit beträchtlicher Selbstgefälligkeit und vollendete dadurch seine Eroberung von Pauls Herz; dann wandte er sich zu Mac Grawler und brachte mit diesem sein Geschäft, das literarischer Natur war, ins Reine; es betraf einen gemeinschaftlichen Angriff gegen einen Mann, der noch nicht fünf und zwanzig Jahre alt, und zu arm um Essen zu geben, sich erfrecht hatte, ein religiöses Gedicht zu schreiben. Die Critiker waren darüber äußerst erbittert, und da sich gegen das Gedicht wenig einwenden ließ, so nannten die Hof-Journale den Verfasser einen Gecken und die Liberalen den Sohn eines Harlekin.

Es hatte Alles bei Herrn Augustus Tomlinson eine Gewandtheit, einen Geist, ein Leben, wodurch die Sinne unsres jungen Helden ganz bestochen wurden; zudem war er ungemein zierlich gekleidet, trug rothe Strümpfe und einen Haarbeutel; hatte nach Pauls Begriffen ganz und gar die Haltung eines Manns von gutem Ton und überdieß sprudelte das Lachen mit besonderer Anmuth über seine Lippen.

Einige Tage nachher schickte Mac Grawler unsern Helden in die Wohnung Herrn Tomlinsons mit seinem Antheil an der gemeinsamen Schmähschrift gegen den Dichter.

Ums doppelte stieg Pauls Ehrfurcht vor Herrn Augustus Tomlinson, durch die Anschauung von dessen Residenz. Er fand ihn wohnhaft in einem hübschen Stadttheile, in einem sehr saubern Empfangzimmer, dessen Inhalt von dem allumfassenden Geiste des Inhabers Zeugniß ablegte. Es ist uns von einem sehr fein urtheilenden Critiker vorgeworfen worden, wir seyen zu sehr der Schilderung von vielumfassenden Geistern ergeben. In frühern Fällen behaupten wir: Nicht schuldig; aber im Falle mit Herr Augustus Tomlinson geben wir die harmlose Beschuldigung zu. Ueber seinem Kamin waren Boxerhandschuhe und Fechtrappiere angebracht, auf seinem Tisch lag eine Cremonesergeige und ein Flageolet. Auf einer Seite der Wand waren Bücherständer mit dem Covent-Garden-Magazin, mit Burn's Justitia, einer Taschenausgabe von Horaz, einem Gebetbuch, Auszügen aus Tacitus, einem Band Theater; ferner die Filosofie spielend beizubringen und ein Schlüssel zur Weisheit. Desgleichen waren da auf einem andern Tisch eine Reitpeitsche und eine Peitsche zum Fahren, ein paar Sporen, drei Guineen und ein kleiner Haufe Silbermünze.

Herr Augustus war ein großer, hübscher junger Mann mit Sommersproßen auf der Haut, grünen Augen und rothen Augenwimpern mit lächelndem Mund und vorstehendem Unterkiefer, scharfer Nase und einem außerordentlich großen Paar Ohren. Gekleidet war er in ein gründamastenes Hauskleid und er empfing den jungen Paul sehr artig.

Unser Held hatte etwas Einnehmendes. Er hatte nicht nur ein angenehmes Aeußeres und ein offenes Wesen, sondern er hatte auch den Anstrich von Munterkeit und Verstand, der einen hoffnungsvollen Schelmen verräth. Herr Augustus Tomlinson bezeugte ihm die größte Aufmerksamkeit, fragte ihn, ob er boxen könne, ließ ihn ein paar Handschuhe anziehen, und streckte ihn mit vieler Herablassung drei mal nach einander zu Boden. Dann spielte er ihm auf der Cremonesergeige und dem Flageolet einige der neuesten Melodien vor. Hierauf sang er ihm ein kleines, von ihm selbst componirtes Lied. Sodann ergriff er die Fuhrpeitsche, klappte damit eine Fliege auf der Wand gegenüber, und indem er sich, natürlicherweise von seinen mannigfachen Anstrengungen ermüdet, auf sein Sofa warf, bemerkte er in nachläßigem Tone: er und sein Freund Lord Dunshunner werden allgemein für die besten Fuhrmänner in der Hauptstadt gehalten. »Ich,« sagte Herr Augustus, »den der Meister auf dem geraden Weg, aber der Lord ist ein Teufelskerl im Fahren um die Ecke.«

Paul, der bisher ein zu unbefangenes Leben geführt hatte, um zu verstehen, welche Wichtigkeit nothwendig ein Lord in den Augen des Herrn Augustus Tomlinson haben mußte, erstaunte nicht so sehr über die Größe einer solchen Bekanntschaft, als der Zeitungsmörder erwartet hatte. Er bemerkte nur, um ein Compliment anzubringen, Herr Augustus und sein Genosse scheinen ihm grandige Kaffern zu seyn.

Ein wenig mißvergnügt über diese bildliche Redensart – denn man muß wohl merken, daß grandiger Kaffer bei den in dieser Wissenschaft Eingeweihten der gewöhnliche Ausdruck ist für: ein rüstiger Dieb, – nahm sich der universell gebildete Augustus die Freiheit, zu der er durch sein Alter und seinen Stand, die ihn so weit über Paul erhoben, sich berechtigt glaubte, und verwies unsrem Helden sanft seinen unschicklichen Gebrauch von Gaunerausdrücken.

»Ein Junge von Euren Fähigkeiten,« sagte er, »denn ich sehe Euch den Verstand im Auge an, sollte sich schämen, so gemeiner Ausdrücke sich zu bedienen. Habt doch einen vornehmeren Geist, einen großartigeren Ehrgeiz, als den, den das armselige Lumpengesindel der Straße auszeichnet. Wißt! in diesem Lande fetzen Geist und Gelehrsamkeit Alles durch, und wenn Ihr Euch anständig benehmt, könnt Ihr früher oder später in der Welt so hoch steigen, als Ich.«

Bei dieser Rede sah sich Paul nachdenklich in dem saubern Sprachzimmer um und überlegte, wie hübsch es wäre: der Herr in einem solchen Besitzthum zu seyn, sich auf Handhabung der Cremoneser-Geige und das Flageolet, der Boxerhandschuhe, der Bücher, der Fliegenklatschenden Peitsche zu verstehen, drei Guineen und einen Haufen Silbergeld zu besitzen und den nur mit Lord Dunshunner getheilten Ruhm: der beste Fuhrmann in London zu seyn. »Ja,« fuhr Tomlinson mit sich fühlendem Stolze fort, »ich verdanke mein Steigen mir selbst. Gelehrsamkeit ist mehr werth als Haus und Land. Doctrina sed vim etc. Ihr wißt, was der alte Horaz sagt? Nun, Sir, Ihr werdet es kaum glauben, aber ich war es, der seine Majestät den König von Sardinien in der gestrigen Zeitung ermordete. Nichts ist zu hoch und zu schwer für den Genius. Laßt Euch die Mühe nicht verdrießen, mein Junge, so könnt Ihr – denn die Sache, obgleich schwer, wird doch nicht unmöglich seyn – so könnt Ihr mit Augustus Tomlinson wetteifern!«

Beim Schluß dieser Aufmunterung hörte man an der Thüre pochen; Paul nahm Abschied und begegnete auf der Hausflur einem feinaussehenden Manne nach der höchsten Mode gekleidet, der ein Paar ungeheuer große Schnallen an den Schuhen trug. Bei diesem Anblick schwoll Pauls Herz. »Ich kann,« dachte er bei sich, »so lauteten seine Worte, ich kann, denn die Sache, obgleich schwer, wird doch nicht unmöglich seyn, mit Augustus Tomlinson wetteifern.« In Nachdenken versunken begab er sich heim. Am folgenden Tag wurden die Denkschriften des großen Turpin den Flammen überliefert, und es war auffallend, wie von da an Paul eine gewähltere Redeweise sich aneignete, wie er ein feineres, gemesseneres Wesen annahm und den Unterrichtsstunden des Herrn Peter Mac Grawler weit mehr Aufmerksamkeit als bisher widmete. Obgleich man gestehen muß, daß die Fortschritte unseres jungen Helden in den gelehrten Sprachen nicht eben überraschend waren, verhalf ihm doch eine frühe Neigung zum Lesen, die durch Gewohnheit an Stärke zunahm, zuletzt zu einer ziemlichen Kenntnis seiner Muttersprache. Wir müssen jedoch hinzufügen, daß seine am eifrigsten und liebsten getriebenen Studien schwerlich von der Art waren, wie sie ein einsichtsvoller Lehrer vorzugsweise würde anempfohlen haben. Es gehörten dahin hauptsächlich Romane, Theater und Gedichte, welch' letztere er in so hohem Grad liebte, daß er selbst eine Art von Poet wurde. Jedenfalls gaben diese literarischen Beschäftigungen, so nutzlos sie erschienen, seinem Geschmack eine gewisse Verfeinerung, die er sich ohne dieß in dem Krug schwerlich würde erworben haben, und während sie seinen Ehrgeiz stachelten, auch etwas von dem fröhlichen Leben zu sehen, das sie schilderten, flößten sie seinem Gemüth einen gewissen Unternehmungsgeist und eine Art sorgloser Hochherzigkeit ein, die vielleicht nicht wenig dem schlimmen Einfluß gemeiner Laster entgegenwirkten, welchen die ihn umgebenden Beispiele seine zarte Jugend aussetzen mußten. Aber ach! ein harter, Pauls Hoffnung auf Beistand und Gesellschaft in seinen literarischen Arbeiten zu nichte machender Schlag traf ihn. Herr Augustus Tomlinson verschwand an einem schönen Morgen, und hinterließ bei seinen zahlreichen Freunden: er folge einer vortheilhaften Einladung in den Norden Englands. Trotz dem Stoße, den dieß dem zärtlichen Herzen und strebenden Geiste unsres Freundes Paul versetzte, schlug es doch seinen Eifer in dem Felde der Wissenschaft nicht nieder, das der treffliche Abgegangene, wie es schien so erfolgreich angebaut hatte. Allmälig eignete er sich (zu den literarischen Schätzen hin, wovon wir sprachen) Alles an, was der weise und tiefsinnige Peter Mac Grawler ihm mitzutheilen vermochte, und im sechszehnten Jahre begann er (o der Dünkelhaftigkeit der Jugend!) sich für gelehrter zu halten als seinen Meister.


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