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Dalibard hatte es unternommen, Lucretia aus dem Hause zu entfernen; in der That machte auch ihre nahebevorstehende Heirath eine Communication mit Mr. Parchmount, dem Vollstrecker von ihres Oheims Testament, nöthig, indem es die Ueberweisung ihres Antheils am Vermögen betraf. Sie hatte deshalb Dalibard schon gebeten, sie dorthin zu begleiten, denn ihr Stolz schrack vor dem Gedanken zurück, den Advokaten in der ärmlichen Umgebung ihrer eigenen Heimath zu empfangen. Sie setzte deshalb noch an demselben Abend jenen Besuch auf den nächsten Nachmittag fest. Ein Wagen wurde zu diesem Zweck gemiethet, und als er fortfuhr, nahm Mr. Fielden seine Kinder zu einem Spaziergang nach Primrose Hill und sprach, wie das so verabredet war, unterwegs bei Mainwaring vor.
Der Wagen war kaum fünfzig Schritte durch die Straße gerollt, als Dalibard seine Augen mit tiefem und herzlichem Mitleiden auf Lucretia heftete. Bis jetzt hatte er durch meisterhafte Schlauheit jede directe Erklärung zwischen seinem Zögling und sich zu vermeiden gewußt, er war überzeugt, daß sie keinem so sehr als ihm mißtrauen würde; die Intriguen hatten aber ihre Reife erlangt und es wurde Zeit, daß der Hauptagent derselben die Katastrophe zu Ende führte. Der Blick haftete so fest und ausdrucksvoll auf ihr, daß es Lucretia eiseskalt bis in das innerste Herz hinein fühlte, und unwillkürlich rief sie aus – »was ist geschehen? Sie haben mir irgend etwas Entsetzliches zu künden.«
»Ja, der That habe ich Ihnen etwas zu entdecken, weshalb Sie mich wohl auf ewig hassen werden, denn stets hassen wir ja die, die uns Trauriges bringen; aber ich muß es ertragen. Lange habe ich zwischen Mitleiden und Entrüstung gekämpft, aber ich kann nicht anders. Waffnen Sie Ihren starken und kräftigen Geist, und hören Sie mich. Mainwaring liebt Ihre Schwester.«
Lucretia stieß einen Schrei aus, der kaum einer menschlichen Stimme anzugehören schien.
»Nein – nein!« stöhnte sie – »sagen Sie das nicht – Ich will nichts mehr hören – ich will es nicht glauben!«
Mit unaussprechlichem Mitleiden im Ton fuhr dieser Mann, dessen Laufbahn ihm eine so grenzenlose Kenntniß des menschlichen Herzens verschafft hatte, also fort –
»Ich verlange nicht, daß Sie mir glauben sollen, Lucretia, ja, ich würde es selbst jetzt nicht erwähnen, wenn Sie nicht gerade in diesem Augenblick die Gelegenheit hätten, sich zu überzeugen. Selbst die, mit denen Sie bis jetzt gelebt, hintergehen Sie. Während wir noch miteinander sprechen, haben sie Alles vorgerichtet, daß sich Mainwaring in Ihrer Abwesenheit zu Ihrer Schwester schleichen kann, noch wenige Minuten und er wird dort seyn. Wenn Sie jetzt hören wollen, was zwischen ihnen vorgeht, so haben Sie es in Ihrer Gewalt.«
»Ich habe – nein ich habe nicht – nicht den Muth – fort – fort; – schneller – schneller!«
Dalibard sah seinen Plan zu Schanden werden. In dieser wunderbaren Feigheit lag aber etwas so Entsetzliches und doch wieder so Rührendes, daß es selbst ihn mit unheimlichem Staunen füllte – es war das letzte Ringen einer sinkenden Seele, das Haschen des Ertrinkenden nach dem Strohhalm.«
»Sie haben vielleicht recht,« sagte er nach kurzer Pause – und kluger Weise jeden Widerspruch vermeidend, überließ er das Herz sich selbst.
Plötzlich ergriff Lucretia seinen Arm – »Halt!« rief rief sie – »halt! ich will – ich kann diese Zweifel nicht länger ertragen – sie würden nie – nie enden. Ich will das Schlimmste hören. Lassen Sie uns zurückfahren.«
»Wir müssen dann aussteigen und gehen; Sie vergessen, daß uns Niemand sehen darf, wenn wir das Haus wieder betreten;« und Dalibard öffnete, als der Wagen hielt, den Schlag und ließ die Tritte nieder.
Lucretia erbebte, dann aber, die Hand auf ihr Herz gepreßt, stieg sie heraus, ohne den ihr gebotenen Arm zu berühren.
Dalibard befahl dem Kutscher zu warten und sie gingen zum Haus zurück.
»Ja – er mag sie sehen.« rief Lucretia plötzlich und ihr Antlitz klärte sich auf – »ah – sehen Sie – Sie haben mich nicht getäuscht, jetzt durchschaue ich Ihre List – aber ich verachte sie. Daß sie ihn liebt, weiß ich – sie hat diese Zusammenkunft veranstaltet. Er ist sanft und mild – fürchtet sie zu kränken und ihr wehe zu thun – er hat aus Mitleiden eingewilligt – das ist Alles. Ist er nicht mir verlobt? – er so aufrichtig und dann so falsch? Nein – irgendwo muß Wahrheit in der Welt bestehen, wenn nicht bei ihm, wo dann? Entsetzlicher Mann, sollte ich sie etwa in Dir suchen – in Dir?«
»Es ist nicht meine Wahrheit und Treue, die Sie jetzt erproben sollen, auch prahle ich nicht mit solcher Tugend im Allgemeinen, daß ich aber einem Wesen treu seyn kann, erfahren Sie vielleicht trotzdem noch. Uebrigens gestehe ich auch – was Sie hoffen, ist nicht unmöglich – das Interesse, das ich an Ihnen nehme, hat mich vielleicht rasch und voreilig handeln lassen; was Sie hören, zerstört möglicher Weise nicht, nein, es befestigt sogar, und dann für – ewig Ihr Glück. – Wollte Gott, daß es so wäre!«
»Es muß so seyn,« sagte Lucretia mit düster zusammengezogenen Brauen – »aber jedes Wort lege ich zu meinem eigenen Heile aus.«
Dalibard erschrack, trotz der Gewalt, die er sonst gewöhnlich über sich selbst hatte – Alles – Alles war auf diesen einen Würfel gesetzt und jetzt, wie er fand, gefährlicher, als er je geglaubt. Zu viel hatte er auf die Eifersucht gewöhnlicher Naturen gerechnet. Wie leicht war es möglich, daß diese jungen Leute, die blos zusammenkamen, um sich Muth zu machen und ihrer Liebe zu entsagen, gar Nichts aussprechen würden, was nicht das Herz der nun einmal fest Entschlossenen sich selbst zu betrügen, zu ihrem Vortheil auslegen konnte. Wie nun, wenn jene ihre Gefühle ganz in Schranken hielten? – Doch einerlei – das Spiel war begonnen und mußte beendet werden.
Als sie dem Hause näher kamen, sah sich Dalibard vorsichtig um, daß sie Mainwaring auf seinem Wege dorthin nicht begegneten. Er hatte darauf gerechnet, noch vor dem jungen Manne wieder einzutreffen.
»Wie aber,« brach jetzt Lucretia mit einem ironisch bittern Lächeln das Schweigen – »wie aber werde ich die Zusammenkunft belauschen können? – Ihre zärtliche Aengstlichkeit um mich, hat Sie doch wohl alle Vorkehrungen für jede nöthige Schlechtigkeit, für Verstecken und Horchen, treffen lassen? – natürlich Alles, um mich glücklich zu machen.«
»Ich habe jene Mittel angewandt,« antwortete Dalibard mit tief verletztem Ton, »die ich, der bis jetzt die Welt nur als einen Feind und Verräther fand, für die besten hielt, Wahrheit und Falschheit von einander zu unterscheiden. Ich habe es so geordnet, daß wir das Haus, ohne Verdacht zu erregen, betreten können. Mainwaring wird mit Ihrer Schwester im Wohnzimmer seyn – das nächste Zimmer ist leer, da sich Mr. Fielden ebenfalls entfernt hat. Eine Glasthür trennt es nur von dem anderen.«
»Genug – genug,« und Lucretia wandte sich, und legte ihre Hand leise auf den Arm des Provençalen. »Die nächste Stunde wird entscheiden, ob jene Mittel, Wahrheit zu entdecken und die eigene Sicherheit zu vertheidigen, von jetzt an die meinigen, oder mir auf ewig verhaßt seyn sollen – sie muß entscheiden, ob Treue ein Wahnsinn ist – ob Sie – mein Lehrer – der weiseste der Menschen oder – nur der gefährlichste sind.«
»Glauben Sie mir, oder glauben Sie mir nicht – aber ich gebe Ihnen mein Wort, auch ich will lieber, daß der Erfolg mich verdamme, auch ich habe Ursache zu wünschen, daß man noch einem Menschen vertrauen kann.«
Kein Wort wurde weiter gewechselt, die stille Straße war öde und ruhig wie immer. Dalibard hatte den Schlüssel der Hausthür bei sich. Die Thür öffnete sich geräuschlos – sie waren im Haus. Mainwarings Mantel hing im Vorsaal – er war wenige Minuten vor ihnen eingetroffen. Dalibard deutete, als Beweis des von ihm Mitgetheilten, schweigend darauf hin. Lucretia senkte, doch mit trotzigem, das Schlimmste herausforderndem Blick, ihr Haupt, zum Zeichen, daß sie es verstanden habe, stieg dann, ohne ein Wort weiter zu äußern, die Treppe hinan und betrat das ihr bestimmte Zimmer. Als sie aber die Thür öffnete, sah sie am entgegengesetzten Ende Mrs. Fielden in ihrem Stuhl – doch so weit entfernt, daß sie nicht hören konnte was im andern Raume vorging. Die herzensgute Frau hatte in Mainwarings Bitten und Susannens schweigenden Blick gewilligt und die beiden Unglücklichen allein gelassen. Sie bemerkte auch jetzt Lucretia nicht, bis diese auf sie zu glitt, die heiße, brennende Hand auf ihre Lippen legte und flüsterte:
»Hst – verrathen Sie mich nicht – mein Lebensglück hängt davon ab – aber auch Susannens – das seinige. Ich muß hören, was vorgeht – es ist mein Schicksal, das hier entschieden wird – ruhig – ich befehle es, denn ich habe das Recht hier.«
Mrs. Fielden war erschreckt und ganz außer Fassung gebracht, ehe sie aber auch nur zu Athem kommen konnte, verließ Lucretia ihre Seite und schritt geräuschlos zu der verhängnißvollen Thür hin. Sie hob die eine Ecke des Vorhangs und blickte hinein.
Mainwaring saß in einer kleinen Entfernung von Susanna, deren Antlitz von ihr abgewandt war. Mainwaring dagegen konnte sie gerade in die Augen sehen. Susannens Stimme traf jetzt ihr Ohr, und wenn auch süß und leise, so klangen die Töne doch deutlich und bestimmt. Lucretia, erkannte an diesen Worten, daß die Zusammenkunft erst eben begonnen.
»Gewiß, Mr. Mainwaring, ich habe Ihnen Nichts zu gestehen, Nichts, weswegen ich mich selbst anklagen müßte – nicht deshalb.« – und sie wandte den Kopf, daß der Ausdruck reiner, himmlischer Milde dem trockenen, stechenden Blick der Horchenden zugewandt wurde – »nicht deshalb willigte ich in dieses letzte Begegnen. Wenn ich es that, so geschah es nur, weil ich dachte – weil ich in Ihrem ganzen Benehmen, wenn wir uns dann und wann begegneten, ja schon darin, daß Sie mich überhaupt vermieden – zu sehen fürchtete – Sie seyen unglücklich (denn ich weiß, Sie sind brav und ehrlich) – unglücklich in dem Gedanken, mir weh gethan zu haben. Mein Herz konnte das nicht ertragen – vielleicht auch nicht mein Stolz. – Daß Sie mich vergessen konnten –«
»Vergessen?« –
»Daß Sie von einem, mir so in allen Stücken überlegenen Wesen als Lucretia ist, eingenommen werden sollten (fuhr Susanna mit schnellerer, aber auch leiserer Stimme fort), ist ganz natürlich. Ich dachte dann – glaubte, daß wohl nichts Ihr Glück trüben könne, als der Vorwurf eines vielleicht zu zart fühlenden Gewissens. Deshalb habe ich Sie hier getroffen, hier gesprochen, ohne dabei einen Gedanken zu hegen, den selbst Lucretia tadeln dürfte und würde, wenn sie mein Herz sehen könnte – deshalb habe ich Sie hier getroffen (und ihre Stimme zitterte zum ersten Mal), daß ich Ihnen sagen könnte – ›Haben Sie fortan Frieden – es ist Ihre Schwester, die zu Ihnen spricht – Erwiedern Sie Lucretia's Liebe – sie ist tief und heftig; geben Sie ihr, was sie Ihnen giebt, ein ganzes Herz, und in Ihrem Glück – werde auch ich – Ihre Schwester, Euch Beiden Schwester – mich glücklich fühlen.‹«
Mit rührendem Lächeln hielt sie, als sie schwieg, Mainwaring ihre Hand entgegen, dieser aber sprang, trotz ihres Sträubens vor, und preßte sie an seine Lippen, an sein Herz.
»Oh,« rief er, mit fast gebrochener Stimme, die aber allmälig lauter und deutlicher wurde – »was – was habe ich verloren – verloren für ewig. Nein – nein – ich will Ihrer werth seyn – Ich sage nicht – ich wage es nicht zu sagen, daß ich Sie noch liebe – ich fühle, was ich Lucretien schulde – wie ich zuerst verblendet, umstrickt, wie – mit Ihrem Bild so tief in mein Herz gegraben –«
»Mainwaring – Mr. Mainwaring – ich darf Sie nicht hören. – Ist das Ihr Versprechen?«
»Ja – Sie müssen, Sie müssen mich jetzt hören, wie es kam, daß ich mich Ihrer Schwester verband, die so verschieden von Ihnen ist – so verschieden, daß ich jetzt erstaunt, verwirrt hier stehe, wenn ich es auch nur versuche zu ergründen. Aber es war so – meinetwegen hat sie Vermögen – Rang – Alles hingegeben, was ihr stolzes – strenges Herz so hoch hielt, und an dem es mit ganzer Seele hing. Der Himmel ist mein Zeuge, wie ich gekämpft habe, ihre Liebe würdig mit der meinigen zu erwiedern, wenn es mir aber dennoch nicht gelingt, so ist wenigstens Alles, was Dankbarkeit und Treue geben kann, das ihre. Ja – wenn ich Sie, von Ihrer Verzeihung, von Ihrem Gebet getröstet, verlasse, werde ich auch die Stärke gewinnen, Sie aus meinem Herzen zu reißen; es ist meine Pflicht – mein Loos. Mit festem Schritt will ich zu dieser verhaßten Heirath schreiten – O schaudern Sie nicht – wenden Sie sich nicht ab – vergeben Sie das Wort, aber ich muß sprechen – mein Herz muß sich einmal entlasten – ja – zu dieser verhaßten Heirath. Wollte Gott, mir bliebe zwischen dem Grab und dem Altar – eine Wahl –«
Mitten in diesem Ausbruche seines Gefühls, das Susanna mehreremale vergebens gesucht hatte zu hemmen, wurde Mainwaring plötzlich durch eine Erscheinung gestört, die seine Adern erstarren machte, als ob es ein dem Grabe erstandener Geist gewesen wäre. Die Thür ward aufgerissen und Lucretia stand vor ihm – stand und starrte ihn – Auge in Auge an. Aber ihr eigenes Antlitz war so bleich, so farblos, so fest und entsetzlich anzuschauen, daß es wirklich schien, als gehöre sie gar nicht mehr den Lebenden an.
Erschreckt durch den plötzlichen Schrei und das erbleichende Antlitz des Geliebten, wandte sich Susanna und erblickte ihre Schwester. Von dem Drange des kranken aber liebenden Herzen getrieben, das – wie von einem Strahl getroffen, all' den Schmerz fühlte, der hier gegeben wurde, so sprang sie an Lucretia's Seite, sank an dem Boden nieder und umfaßte ihre Knie.
»Glaube ihm nicht – kehre Dich nicht an seine Worte – es ist nur der Wahnsinn des Augenblicks. Er sprach nur, mich zu betrügen – mich – die ihn einst liebte. Ich allein bin die Schuldige. Er kennt Deinen ganzen Werth – o Gott, Erbarmen – Erbarmen über Dich – ihn und – mich –«
Lucretia's Auge fiel mit fast teuflischem Ausdruck auf das zu ihr emporgehobene Antlitz der Schwester – ihre Lippen bewegten sich – aber kein Laut wurde gehört. Endlich entzog sie sich den Armen derselben und ging mit festen Schritten auf Mainwaring zu. Sie betrachtete ihn mit ruhigem, grausamem Blicke, als ob sie sich an seiner Schaam, an seinem Schrecke weidete; ehe sie übrigens ein Wort äußern konnte, stürzte Mrs. Fielden – die bis jetzt wie von einem heimlichen Zauber befangen und mit unbeschreiblichem Entsetzen Lucretia's Bewegungen beobachtet hatte, obgleich sie nichts von dem hören konnte, was in dem Innern des Zimmers vorging, wenn sie auch nur zu genau wußte, wie diese Scene enden mußte, nun aber den Zauber brach – in das Zimmer und brachte – während sie ihre Arme am die immer noch knieende Susanna schlang und ihrem Schmerz in lautem Schluchzen Luft machte, auch das mehr Groteske in den bisher fürchterlich ernsten Charakter der Scene.
»Mein Oheim hatte Recht – weder Muth noch Ehre ist in dem niedrig Geborenen; – auch er – der Ränkeschmieder hat Recht – Alles ist falsch und hohl.« So sprach Lucretia mit einem eigenen Ton sinnenden, fast die Umgebung vergessenden Ueberlegens. »Stehen Sie auf, Sir.« fuhr sie dann mit finsterer, gebietender Stimme fort, »hören Sie nicht, wie Susanne weint? Fürchten Sie sich, sie in meiner Gegenwart zu trösten? Feige gegen sie, wie meineidig gegen mich – Gehen Sie, Sir, Sie sind frei!«
»Höre mich,« stammelte Mainwaring, und versuchte ihre Hand zu fassen – »ich verlange nicht Deine Verzeihung – aber –«
»Verzeihung, Sir?« unterbrach ihn Lucretia, indem sie stolz ihr Haupt zurückwarf und einen Blick voll kalter und unbeschreiblicher Majestät auf ihn heftete – »nur ein Wesen ist hier, das Verzeihung bedarf, aber ihre Schuld ist unsühnbar – es ist sie, die sich selbst so weit vergaß.« Mit diesen, in Zorn und vernichtendem Ingrimm ausgestoßenen Worten zog sie, fast ihrer unbewußt – den schwarzen Mantel fester um sich her. Ihr Auge schweifte über die tiefe Trauer des Kleidungsstückes, und die Erinnerung rief Alles das zurück, was sie diese Liebe gekostet; aber kein Vorwurf kam über ihre Lippen. Langsam wandte sie sich ab, und als sie an Susanna, die bewußtlos in Mrs. Fieldens Armen lag, vorüberschritt, stand sie still und küßte ihre Stirn.
»Wenn sie sich erholt, Madame,« redete sie Mrs. Fielden an, die, durch die Milde und Sanftmuth dieses Tones überrascht, zu ihr aufblickte»so sagen Sie ihr, daß Lucretia Clavering ein Gelübde that, da sie die Stirn von William Mainwaring's künftiger Gattin küßte.«
Olivier Dalibard saß unten im Wohnzimmer, als Lucretia eintrat. Ihr Antlitz hatte noch seine fast geisterhafte Kälte und Strenge beibehalten, aber ein düsterer Schein lagerte jetzt über dessen Leichenblässe – ein ähnlicher Ausdruck, wie er sich in den Zügen eines schwer Kranken ein oder zwei Tage vor dessen Tode zeigt. Dalibard erschrack heftig, denn er hatte diese Farbe zu oft bei Sterbenden gesehen, er erkannte sie mit Entsetzen. Seine Bewegung war zu aufrichtig, um nicht auch seiner Stimme und Haltung mehr als gewöhnliche Theilnahme zu verleihen – mit herzlichen Worten sprach er ihr Trost und Muth ein. Lange Zeit schien ihn Lucretia aber gar nicht zu hören, endlich glätteten sich ihre Züge – das Eis brach.
»Mutterlos – freundlos – allein für ewig – verloren – verloren!« murmelte sie. Ihr Haupt sank auf die Schulter des fürchterlichen Rathgebers – es wußte nicht, wo es ruhte, und sie brach in lindernde Thränen aus – Thränen, die vielleicht ihre Vernunft oder ihr Leben retteten.