Edward Bulwer-Lytton
Falkland
Edward Bulwer-Lytton

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Falkland.

Drittes Buch.

Bruchstücke aus Emiliens Tagebuche.

Freitag. Julie ist hier, und ist so gut. Seinen Namen hat sie nicht genannt, aber so tief erseufzte sie, als sie mein bleiches verfallenes Antlitz sah, daß ich mich in ihre Arme warf und weinte wie ein Kind. Anderer Erklärung bedurften wir nicht, diese Thränen sprachen mein Bekenntnis aus, und zugleich meine Reue. Seit mehren Tagen kam kein Brief von ihm. Er wird doch nicht krank seyn! Wie elend dieser Gedanke mich macht.

Sonnabend. So eben erhalte ich einige Zeilen von ihm. Er ist zurück – ist hier! Gott im Himmel! wie unbesonnen! Ich bin so erregt daß ich nicht weiter zu schreiben vermag.

Sonntag. Ich habe ihn gesehn! Diesen Satz muß ich noch einmal wiederholen: ich habe ihn gesehn! Ach belohnte der Augenblick ich nicht für Alles, was ich gelitten habe! Ich wage nicht alles niederzuschreiben, was er mir sagte, aber er forderte mich auf mit ihm zu entfliehn – mit ihm – welche Glückseligkeit, und doch welche Sünde, liegt schon in diesem Gedanken! Ach dies thörichte Herz! – ich wollte es bräche! Zu wohl erkenne ich die Sophismen seiner Gründe, und dennoch vermag ich nicht, ihnen zu widerstehn. Es ist als hielte er mich mit einem Zauberspruch umfangen, der sogar den Versuch zur Rettung unmöglich macht.

Montag. Mandeville hat mehre Personen der Umgegend morgen zu Tisch gebeten; Abends soll Ball seyn. Es versteht sich, daß Falkland eingeladen ist. – Wir werden uns also begegnen – und wie? Ich bin so gar nicht gewohnt meine Gefühle zu verbergen, daß ich ordentlich davor zittere ihn vor so vielen Zeugen zu empfangen. Mandeville war heute gegen mich so roh; wenn Falkland mich jemals in solcher Art anblickte, oder ein ähnliches Wort mir sagte, so würde mein Herz gewiß brechen. Was sagt Alfieri doch von den beiden Dämonen, deren Beute er für immer sey: »La mente e il cor in perpetua lite.« Ach zuweilen starre ich aus meinen Träumereien empor mit dem peinlichsten Gefühl der Todesangst und Scham. –

Dienstag. Heute wird er hier kommen und ich werde ihn sehn!

Mittwoch Morgens. Dem Himmel sey Dank, die Nacht ist überstanden! Falkland kam spät zur Mittagsgesellschaft, alle andere Gäste waren schon zugegen. Mit welchem gefallenden Anstande trat er ein; wie überlegen erschien er Allen die ihn umstanden. Er schien gleichsam entschlossen eine Gewalt zu üben, die er bis dahin verschmähete. Er mischte sich der Unterhaltung nicht bloß in glänzender, sondern auch in der geschmeidigsten und höflichsten Weise bei! Auf seiner Lippe weilte kein Spott, auf seiner Stirn thronte kein Stolz – nicht das mindeste Anzeichen von dem Selberbewußtseyn der unermeßlichen Überlegenheit, die ihn vor allen Anwesenden auszeichnete. Als wir nach der Tafel aufstanden begegnete mein Blick dem seinigen. – Was sagten mir diese Augen alles! – ach! ich mußte Lobsprüche anhören, die ihm galten, und durfte nichts sagen. Selber in meiner Freude empfand ich Unwillen. Wer anders als ich konnte das Recht haben, so gut von ihm zu reden.

Der Ball begann; ich fühlte mich ermattet und unlustig. Falkland tanzte nicht. Er setzte sich zu mir – er drang in mich zu .... O Gott! o mein Gott! ich wünschte ich wäre todt.

Erasmus Falkland Esqr. an Lady Emilie Mandeville.

Wie befinden Sie sich heute Morgen, meine angebetete Freundin. Sie schienen blaß und krank als wir uns in der Nacht trennten und bis ich von Ihnen höre, werde ich unbeschreiblich unglücklich seyn. Ach Emilie, als sie mir mit thränendem, gesenktem Blick zuhörten, als ich das Schwellen Ihres Busens gewahrte, bei jeglichem Worte das ich Ihnen zuflüsterte; als ich zufällig Ihre Hand berührte und deren Zittern an der meinigen fühlte; sagen Sie mir, empfand Ihr Herz in dem Augenblicke nicht ein Etwas, das beredter für mich sprach als meine Worte? Nein und heilig wie Sie es sind, kennen Sie freilich die Gefühle nicht die in mir flammen und mich zum Wahnsinne treiben. Wenn Sie neben mir sitzen, wenn Ihre Hand dann zittert so ist sie doch nicht lodernd; wenn Ihre Stimme auch unterdrückt tönt bebt sie doch nicht vor Rührung, welche sie nicht auszusprechen wagt; Ihr Herz wird nicht gleich dem meinigen von versengenden, zerstörenden Flammen aufgezehrt; Ihr Schlaf wird nicht durch rastlose, wilde Träume so umgewandelt, daß er aus einem heilsamen Erneuerer des Lebens zu dessen aufreibendem Verzehrer wird. Nein Emilie, Gott verhüte! daß Sie die Sünde, die Todesangst empfinden sollten, deren Opfer ich bin; aber in der sanften, schmelzenden Zärtlichkeit Ihres Herzens muß doch eine Stimme ertönen, welche verstummen zu machen Ihnen schwer wird. Mitten unter allen den erkünstelten Banden, selber unter dem Zauber der schönen Kunst, können Sie die unbesiegbaren Regungen der Natur nicht aus Ihrer Brust entfernen. Was befürchten Sie? – Schmach, werden Sie antworten. Aber Emilie, könnten Sie diese empfinden, wenn sie von mir getheilt wird? Glauben Sie mir, eine Liebe die durch Schande und Kummer genährt wurde, ist ihrer Natur nach unauslöschlicher und heiliger, als eine die der Stolz auferzog und die in Freudengenüssen schwelgte. Wenn Sie aber nicht die Schande fürchten, ist es dann vielleicht die Sünde? Sind Sie etwa jetzt ganz unschuldig? Des Herzens Ehebruch ist nicht minder ein Verbrechen, als der wirklich vollzogene, – und – doch ich will Sie nicht täuschen – ja ich verlocke Sie zur Schuld – zum Falle von der stolzen Höhe auf der Sie jetzt stehn. Dies gebe ich zu, und biete Ihnen zum Lohn dafür nichts anders als meine Liebe. Liebten Sie wie ich, dann würden Sie empfinden es weile ein gewisser Stolz – ein Triumph darin, alles, sogar Verbrechen für den Einen zu begehn, für den Alles um ihn her, ein Nichts ist. Was mich betrifft so weiß ich, daß, wenn eine Stimme vom Himmel mir geböte Sie zu verlassen, ich Sie nur noch fester an mein Herz drücken wollte.

Ich sage dir, meine Geliebte, daß wenn deine Hand in der meinen, wenn dein Haupt an meiner Brust ruhet, wenn diese zärtlich zitternden Augen sich auf die meinen heften, wenn jeglicher deiner Seufzer sich mit meinem Athem vermengt, und jede Thräne in dem Augenblick fortgeküßt wird der sie hervorbringt, – ich sage dir, dann erst wirst du gewahren, daß jegliche Pein der Vergangenheit, jede Furcht vor der Zukunft nur ein neues Band ist, uns immer inniger zu verknüpfen. Emilie, du mein Leben, du meine Liebe, auch wenn du wolltest, du kannst mich nicht verlassen. Wer vermag Gewissen zu trennen die einmal gereinigt sind, oder Herzen zu theilen die sich begegneten und in einander zerflossen?

Seitdem sie sich wiedergesehen, hatte Falkland, wie man bemerken wird, einen neuen Ton angestimmt um Emilien seine Liebe auszudrücken. Im Buche der Schuld war ein anderes, mit tieferen brennenden Lettern ausgeprägtes Blatt aufgeschlagen. Er versäume keine Gelegenheit irdische Rührung zu seinem Beistande zu benutzen. Er schmeichelte ihrer Einbildungskraft mit der goldenen Dichtersprache, und bestrebte sich, die verborgensten Empfindungen ihres Geschlechtes, durch den sanften Zauber seiner Stimme und den leidenschaftlichen Sinn den sie aussprach zu erwecken. Indes ergriff ihn mitunter tiefes, peinigendes Reuegefühl, und selber da, als sein erfahrenes, geübtes Auge den Zeitpunkt seines Sieges sich nähern sah, erkannte er, daß ein Erfolg welchen zu erringen er sein und ihr Seelenheil auf das Spiel setzte, ihm zwar augenscheinliches Entzücken, aber keine dauernde Glückseligkeit zu gewähren im Stande sey. Zwischen der Liebe der Frauen und der Männer besteht immerfort der Unterschied, daß jene wenn sie einmal zugestanden ist, alle Quellen der Gedanken erfüllt, jeden andern Gegenstand als diese Liebe davon ausschließt; bei den Männern dagegen bleiben ihr alle frühere Betrachtungen und alle die Gefühle zugetheilt welche die Vergangenheit uns zurückließ, und so allmächtig sie ihrer Natur nach auch seyn mögte, kann sie doch niemals so wenig das Ganze unseres Glückes, als unseres Elendes bilden. Die Liebe eines Mannes in seinen reiferen Jahren ist gewiß nicht so sehr eine neue Erregung, als eine Wiederbelebung, eine Sammlung aller seiner entschwundenen Neigungen für Andere; das tiefe innige Grundwesen von Falklands Leidenschaft für Emilie war mit dem Andenken alles dessen durchflochten, was er jemals Zärtliches und Theures geachtet hatte, es berührte, erweckte eine lange Reihenfolge jugendlicher begeisterter Gefühle, welche aus ihrem bisherigen Schlummer vielleicht nur um so lebendiger und frischer erstanden. Wer hat sich jemals seine ersten, zärtlichen Verhältnisse zurückgerufen, wer hat jemals die Schichten von Steinen und Erde die sich über das Andenken an die Vergangenheit gelagert und gedichtet hatten, eine nach der Andern abgeräumt, ohne durch die Entdeckung überrascht zu werden, wie frisch und unbeschädigt diese vergrabenen Schätze seinem Herzen wieder entstiegen. Sie waren im Vorrathshause der Zeit niedergelegt, sie sind nicht verloren gegangen, durch ihr Verbergen wurden sie aufbewahrt und erhalten! Wir räumten die Lava ab und eine Welt vergangener Tage liegt vor uns.

Der Abend des Tages an welchem Falkland den zuletzt angeführten Brief geschrieben hatte, war rauh und stürmisch. Die vielen Ströme welche die Umgegend durchschnitten, waren durch häufige Regengüsse zu ungewöhnlicher Breite und rascherem Niedersturze angeschwellt; ihr Brausen vermengte sich mit den tobenden Windstößen und mit dem Rollen ferner Donner, die endlich mürrisch schwiegen. Die ganze Umgegend von L.... gehörte dem wilden aber großartigen Charakter an, der so ganz zu dem Wüthen empörter Elemente stimmt. Düstre Wälder, weite uneingefriedigte Haidestrecken, plötzlicher Wechsel von Thal und Hügel, so wie ein kaum erkennbarer, zackiger Hintergrund umsteilender Berge, bildeten die großen Grundlinien jener romantischen Grafschaft.

Erfüllt mit den Erinnerungen aus seinen Jugendtagen, und mit dem wilden Entzücken welches der Natur wechselreiche Kämpfe ihm damals einflößten, schweifte Falkland an diesem Abende umher. Der Jahre dunkle Schatten, die in ihrem Schoße des Reichthums verheimlichte Ereignisse und verzehrende Betrachtungen bargen, umdrängten sein Gemüth, und der dunkle Nachtturm ergriff ihn gleich dem Mitgefühle eines Freundes.

Er ging einem Haufen erschreckter Bauern vorbei; sie hatten Schutz unter einem Baume gesucht. Der Älteste von ihnen verhüllte sein Haupt und schauderte; der Jüngste dagegen blickte fest in das Leuchten des Blitzes, der sein zuckendes Spiel von Zeit zu Zeit auf dem Spiegel des Bergstromes trieb, der zu seinen Füßen hinab rollte. Unbemerkt von ihnen, stand Falkland mit untergeschlagenen Armen und spottender Lippe da. Für ihn enthüllten Natur, Erde und Himmel nichts furchtbares, sondern nur jeglichen Stoff zum Nachdenken. Bei dem Vergleiche der Furcht die zu einer Zeit des Lebens empfunden wird, mit der sorglosen Unempfindlichkeit zu einer anderen, dachte er: so viele Gegenstände zertheilen und zerstreuen das Leben in der Jugend, daß wir für die gesammelte Überzeugung unseres Daseyns kaum empfänglich sind. Über den Gedanken an das was seyn wird, verlieren wir das Bewußtseyn dessen was ist. Daß Alter dagegen, dem keine Erwartung in der Zukunft mehr bleibt, wird lebendiger von der Gegenwart ergriffen, und empfindet den Tod mehr, weil das Daseyn einen begründetern einen vollkommenern Eindruck bei ihm hervorbringt.

Er verließ die Zögernden und verfolgte allein die Krümmungen der angeschwellten Fluth. Ein gewisser Philosoph sagte: »im Kampfe der Natur empfindet der Mensch am meisten seine Kleinheit.« Dieser Ausspruch gleicht allen allgemeinen Lehrsätzen darin, daß er nur theilweise wahr ist. Das Gemüth, welches seine ersten Begriffe aus der Wahrnehmung empfängt, muß seine Stimmung ebenfalls vom Karakter der wahrgenommenen Gegenstände erhalten. Indem unser Geist sich mit den großen Elementen vermischt, theilen wir deren Erhabenheit; wir erwecken den Gedanken aus der geheimnisvollen Tiefe, in welcher er verborgen weilte;: unsere Empfindungen sind zu sehr aufgeregt um an uns selber festgeklammert zu bleiben; sie verschmelzen sich mit den mächtig wirkenden Gewalten, und gleich wie im Auflauf von Menschen, das Individuum aus sich selber hervortritt um Theilnehmer am Haufen zu werden, erwachen wir aus der eigenen Unbedeutenheit um in der Erhabenheit des Kampfes der uns umgiebt unterzugehen.

Falkland verfolgte den Lauf des Stromes, dieser wand sich durch Mandevilles Besitzungen und breitete sich zuletzt in jenen See aus, der seiner Erinnerung so heilig war. Hier blieb er einige Augenblicke stehen und blickte ruhig auf den weiten Wasserspiegel der bald schwarz war wie die Nacht, bald von zuckenden Blitzen zu einem weiten Feuermeere umgewandelt erschien. In dunkeln schweren Massen rollten die Wolken, und versuchten im Aufwärtsziehen zu den großen Himmelsräumen, diese zu verschleiern, gleich den Schatten menschlicher Zweifel. – O wie schwach war jenes Philosophen Lehrsatz! Im Sturme weilt ein Stolz, der nach seiner Auslegung uns erniedrigen müßte; in seinem Tosen tönt eine erhebende Musik, in seinen Zerstörungen sogar findet sich eine wilde Freude; denn wir vermögen selber, wenn wir an seinen Triumphen betheiligt sind, dennoch im Trotzen gegen seine Macht und durch das Bewußtseyn zu erheben, daß in unserm Innern ein Geist herrsche, der dem überlegen ist, der uns umtobt. Wir mögen die Wuth der Elemente verspotten, den sie sind minder schreckhaft als des Herzens Leidenschaften; mögen den Verheerungen der furchtbaren Wolken Hohn sprechen, denn sie sind weniger verzweiflungsvoll als der Menschen Grimm; – die Krampfungen der uns umgebenden Natur, haben nichts gefährliches, nichts schreckliches für unsere Seele, die unzerstörbar und ewiger ist als jene. Falkland ging nach dem Hause zu, das seine Welt umschloß; wenn der Blitz von Zeit zu Zeit die weißen Säulen des Einganges sichtbar machte, und die, gleich gespenstischen Haufen diesem umkreisenden hohen schwankenden Bäume, in Feuergewänder kleidete, und wenn dann, nach seinem eben so plötzlichem Aufhören, »der Schlund der Finsternis« den Schauplatz verschlang, verglich er mit jener bittern Alchymie des Gefühles, welche alles in einen Tigel der Gedanken zersetzt, diese Abwechslungen von Licht und Schatten mit der Geschichte seiner eigenen sündhaften Liebe – mit der Leidenschaft, die vom Schoße der Nacht geboren, in Finsternis gehüllt, von Stürmen umgeben, nur augenblicklichen Glanz vom zürnenden Himmel erhielt, der noch schrecklicher war, als die gewohnte Düsterheit.

Als er in den Saal trat, kam Lady Margrete ihm entgegen und sagte: »mein lieber Falkland, wie gut Sie sind, in einer solchen Nacht zu kommen! – Wir haben die Wolken betrachtet, bis Emilie vor dem Blitze in Schrecken gerieth; früher zagte sie dabei nicht.«

Mit diesen Worten wandte sie sich zu Emilien herum, durchaus nicht des Vorwurfes sich bewußt den sie darin ausgesprochen.

Mußte nicht auch Falklands Blick sich dahin wenden? Emilie saß neben der Harfe, welche zu stimmen Mad. St. John auf das eifrigste beschäftigt schien; ihr Antlitz war niedergesenkt und glühete im Erröthen über das Anblicken, welches wie sie empfand, auf sie geheftet seyn müsse.

In Falklands Karakter herrschte ein eigenthümlicher Widerwille gegen alle äußere Schaustellung kleinlicher irdischer Gefühle. Er besaß die den meisten Männern eigene Eitelkeit der Eroberung nicht; er hatte nie gewünscht, daß ein menschliches Wesen wisse, er sey geliebt. Er hatte Recht! Kein Altar sollte dem Blicke so verborgen und so unverletzlich bleiben, als das menschliche Herz. Die durch ihn hervorgebrachte Verwirrung erkannte und hob er sogleich. Mit dem ihm so ganz eigenthümlichen Zauber des gefallenden Anstandes richtete er an Lady Margrete Entschuldigungen über die Anordnung seines Anzuges; durch eine Anführung aus Lope de Vega, erfreute er seinen Oheim Don Alfonso; Madam Dalton befragte er, sogar mit Zärtlichkeit, über das Befinden ihres Italiänischen Windspiels; – darauf – aber nicht eher – wagte er sich Emilien zu nähern und zu ihr in den sanften Tönen zu reden, die gleich einer Geistersprache nur allein von der Person verstanden werden, der sie zugerichtet sind.

Mad. St. John erhob sich und verließ die Harfe, Falkland nahm ihren Sessel. Er bog sich nieder um Emilien etwas zuzuflüstern. Sein langes Haar berührte ihre Wange; vom Nachtthau war es noch gefeuchtet. Bei der Berührung blickte sie auf und begegnete seinem Anschauen: es wäre besser gewesen als Irdische zu verlieren, als der Seele Lust aus diesem Auge zu trinken, wenn es zur Sünde verlockte.

Mad. St. John stand in einiger Entfernung; mit ihr sprach Don Alfonso von seinem Neffen und von seiner Hoffnung, diesen endlich für die Sache seines Mutterlandes zu gewinnen.

»Gewahren Sie nicht,« sagte Mad. St. John, abwechselnd roth und bleich – »daß Ihre Hoffnung vergebens ist, so lange solche Reize ihn fesseln?«

»Was meinen Sie?« erwiederte der Spanier; sein Auge war aber bereits der von ihr angegebenen Richtung gefolgt, und die Frage kam nur von seinen Lippen.

Madam St. John zog ihn in einen entfernteren Winkel des Zimmers, und in der Unterredung, welche sich hier zwischen diesen Beiden entspann kamen sie überein, vereint auf den Zweck hinzuarbeiten, Emilien von ihrem Liebhaber zu trennen; – »ich um meine Freundin, Sie um Ihren Neffen zu retten,« sagte Madam St. John.

So ist's mit menschlicher Tugend: – nach außen schöner Anschein und gute That – innen, der eine, ewige Beweggrund der Selbstsucht. Don Alfonso hatte während seines Besuches in E.... genug von Falkland gesehen, um augenblicklich zu erkennen wie folgereich dessen Beitritt zu der von ihm erwählten Parthei sowohl durch seine vollständige Kenntnis der Spanischen Sprache, als durch seine besondere geistige Kraft, vor Allem aber durch seinen Reichthum werden könne. Deshalb war ihm sein Zweck nicht länger darauf beschränkt, Falklands guten Willen und Beistand in England zu sichern, sondern er hoffte seine persönliche Hülfe in Spanien zu gewinnen, und vereinigte sich gern mit Mad. St. John um seinen Neffen von einem Bande zu trennen, welche so sehr geeignet war ihn von den Diensten abzuhalten, denen er nach Alfonsos Wünschen sich widmen sollte.

Mandeville hatte E.... an eben dem Morgen verlassen; er argwohnte gar nichts von Emiliens Liebe. Dies war bei ihm weniger Folge seines Vertrauens, als seiner Gleichgültigkeit. Er gehörte zu den Menschen, die kein von ihrem Ich getrenntes Daseyn haben, alle seine Sinne wandten sich innwärts und erzeugten Selbstsucht. Selber das Unterhaus war ihm nur ein Gegenstand des Nutzens; denn er betrachtete es als einen Theil von sich, nicht aber sich als Theil von ihm. Mit dem Insekt auf dem umschwingenden Rade sagte er: »bewundert unsere Geschwindigkeit!« –

Vermogten aber die Mängel seines Karakters Emiliens Schuld zu tilgen? – Nein! sagte ihre schmerzlichste Überzeugung ihr oft. Wer diese Blätter aufschlägt um eine Apologie der Sünde darin zu finden, der irrt sich; sie enthalten vielmehr die vernichtende Aufzählung ihrer Leiden, ihrer Reue, und ihres Looses. Wenn es in der Geschichte von Frauen ein Verbrechen giebt das schlimmer ist als die Übrigen, so heißt das Ehebruch. Dieses ist in Wahrheit das einzige Verbrechen, dem die Frau am gewohnten Lebensgange ausgesetzt ist. Dem Mann werden tausend Lockungen zur Sünde – der Frau nur eine: vermag sie dieser nicht zu widerstehen, dann hat sie keinen Anspruch auf unsere Verzeihung. – Der Himmel ist gerecht! ihre eigene Schuld wird zu ihrer Strafe! Sollten diese Blätter, im jetzigen Augenblicke einer Frau vor Augen liegen, welche zum Mittelpunkt eines von ihr gezogenen Kreises der Schmach – zur Schänderin ihres eigenen Hauses – zur Entehrerin ihrer Kinder geworden ist, gleichviel welche Entschuldigung sie für ihr Vergehn haben mag, – gleichviel welcher Wechsel dadurch in ihrem Wohlstande hervorgebracht ist, – von den Armen ihres Liebhabers umfaßt, mitten in der Umschlingung der neuen von ihr gewählten Bande, will ich vor sie hintreten und fragen, ob die süßesten Augenblicke des Entzückens frei von Demüthigung sind, wenn sie gleich die Reue vergessen haben sollte, und ob nicht selber die Leidenschaft ihres Liebhabers eben so sehr zur Buße, als zur Belohnung geworden sey?

Aber zu der Stunde, von welcher ich jetzt schreibe, weilte so wenig in Emiliens, als in ihres Verführers Herzen, irgend eine Erinnerung an ihre Sünde. Diese Herzen waren zu voll für Gedanken, – sie hatten alles Andere vergessen, nur einander nicht. Ihre Liebe war ihre Schöpfung: darüber hinaus, war alles Nacht – Chaos – Nichts.

Lady Margrete trat zu ihnen, und sagte: »Sie werden uns heute Abend etwas singen, Emilie, es ist so lange her, daß wir Sie nicht hörten!«

Vergebens versuchte Emilie den Gesang, ihre Stimme versagte ihr. Sie blickte Falkland an, und konnte ihre Thränen kaum zurückhalten. Bis dahin hatte sie die letzte Kunst welche die Sünde uns lehrt – ihre Verheimlichung, – noch nicht erlernt.

»Ich will Lady Emiliens Stelle ersetzen,« sprach Falkland. Seine Stimme war ruhig und seine Stirne heiter; die Welt enthielt für ihn nichts mehr, was er erlernen mußte.

»Wollen Sie das Lied spielen, was sie uns vor einigen Abenden vortrugen,« sagte er zu Mad. St. John, »ich will die Worte dazu geben.«

Madam St. Johns Hand zitterte, als sie seiner Aufforderung genügte.

Lied.
1.

Ach laßt uns lieben, so lange wir dürfen
Unser Sommer entschwindet:
Und wehe den Herzen die in ihrer grauen Winterzeit
auf Minne noch ausgehn.

2.

Ach laßt uns lieben, so lange die Zeit uns die Flamme nicht raubte,
Mit den Jahren schwinden unsere wärmeren Gedanken,
aus uns nur Eis noch gelassen blieb.

3.

Wir wollen der scharfen Luft dieser kalten Erde entfliehen,
Eine schönere Heimath soll uns aufnehmen;
Und wenn unsere Herzen dort ermüden, werden wir
eine Welt in unserem Innern finden.

4.

Man sagt daß Leidenschaft mit jeder Stunde schwinde,
daß nichts schneller verflüchtigt als die Luft;
»Mein süßes Bienchen, wenn die Liebe eine so vergängliche
Blume ist, dann eile du, ihre Schätze einzusammeln.«

5.

Warte die Stunde nicht ab, in welcher dein ganzes
Gemüth der Menge hingegeben seyn wird,
Denn Bande, die an Millionen knüpfen, sollen
dem einen abgestreift werden.

6.

Dann laß uns lieben, so lange wir dürfen,
Unser Sommer entschwindet;
Und wehe den Herzen die in ihrer grauen Winterzeit
auf Minne noch ausgehn.

Am folgenden Morgen erhob Emilie sich, krank und fiebernd. Sobald Falkland abwesend war, erwachte ihr Gemüt jederzeit zu dem vollen Erkennen der Schuld, welche sie auf sich geladen. Sie war nach den strengsten, sogar nach den, das Laster am meisten verachtenden Grundsätzen erzogen, und ihr Wesen war so rein, daß schon Irren ihr als eine Veränderung des Daseyns erschien, als Eingang in eine neue ungekannte Welt, vor der sie erschreckte und in sich selber zurückstarrte.

Daraus mag man beurtheilen, ob sie ihr Gemüth leicht an ihre jetzige Entwürdigung gewöhnte. Bleich und bewegungslos saß sie an diesem Morgen; vor ihr lag ein Buch unaufgeschlagen, ihre von unterdrückten Thränen schweren Augen waren auf den Boden geheftet. Mad. St. John trat ein, es war kein anderer im Zimmer. Sie setzte sich zu ihr, und erfaßte ihre Hand; ihr eigenes Gesicht war fast so farblos als Emiliens, doch der Ausdruck desselben war ruhiger und gefaßter.

»Es ist noch nicht zu spät, Emilie,« sagte sie – »so vieles thaten Sie, was Sie zu bereuen haben, aber nichts was Reue nicht versöhnte. – Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen von diesem Gegenstande rede. Es ist hohe Zeit; in wenigen Tagen wird ihr Schicksal entschieden seyn. Ich beobachtete, wenn gleich ich bisher geschwiegen habe; jenes Auge habe ich angeschaut wenn es auf Ihnen ruhte; habe jene Stimme gehört, wenn sie zu Ihrem Herzen redete. Keine vermogte je, dem Einflusse derselben lange zu widerstehen, bilden Sie sich ein, daß sie die Erste wären, welche ihre Gewalt erkannte? Verzeihung theuerste Freundin, ich flehe Ihre Verzeihung an, wenn ich Sie schmerzlich treffe. Seit Ihrer Kindheit kenne ich Sie, und wünsche nichts anders, als Sie makellos zu bewahren.«

Emilie weinte ohne zu antworten. Madam St. John fuhr fort sie mit Beweggründen zu bestürmen und zu überreden. Was wäre so schwankend als eine Leidenschaft? Als Madam St. John zuletzt schwieg und Emilie die heißen Thränen ihrer Angst und Reue an ihrem Busen vergoß, bildetete sie sich ein ihr Entschluß sey gefaßt und daß sie beinahe im Stande wäre, eine ewige Trennung von ihrem Geliebten anzugeloben; – am selben Abend kam Falkland, und sie liebte ihn mit mehr Wahnsinn als je bevor.

Madam St. John war nicht im Zimmer als Falkland eintrat. Lady Margrete las die bekannte Geschichte von Lady T.... und der Herzogin von M....., in welcher das gegebene und gehaltene Versprechen erzählt wird, demzufolge die zuerst Sterbende, der Überlebenden wieder erscheinen sollte. Während Lady Margrete scherzend über die Anekdote sprach, ward Emilie, die Falklands Gesichtszüge beobachtete, über deren plötzlich verfinsterten Ausdruck betroffen. Schweigend nahte er sich dem Fenster an welchem Emilie saß.

»Glauben Sie an die Möglichkeit eines solchen Ereignisses?« fragte sie ihn, mit leichtem Lächeln.

»Ich glaube, aber verwerfe auch nichts,« erwiederte Falkland, »doch für einen solchen Beweis der Unzerstörbarkeit durch den Tod, wollte ich Welten hingeben.«

»Sie läugnen doch gewiß die Beweise unserer Unsterblichkeit nicht ab,« sagte Emilie, »die wir aus der Heiligen Schrift sammeln? wägen diese nicht alles auf, was die Stimme eines Todten uns sagen könnte?«

Falkland schwieg einige Augenblicke, er schien die Frage nicht zu hören, seine Blicke schweiften in die endlose Ferne hinaus, und als er endlich redete, war das mehr im Selbergespräch, als in einer Antwort an sie. Mit leisen, aus der innersten Tiefe hervorströmenden Worten sagte sie: »ich habe am Grabe gewacht, und in der Todespein meines Herzens habe ich sie angerufen, die darin ruhte; meine Seele hätte ich auflösen mögen in eine Zauberformel, hätte mir diese nur für einen einzigen Augenblick diejenige heraufbeschwören können, die einst meines Lebens innerster Geist gewesen! Ich war durch die Innigkeit meiner Beschwörung gleichsam schon verzückt; ich starrte in den leeren Luftraum und bearbeitete mein Gemüth um diesen mit Einbildungen anzufüllen; laut habe ich die Winde angerufen, und meine Seele gelehrt ihr Schweigen als Antwort hinzunehmen. Alles blieb leere Öde – schweigende Stille – Unendlichkeit – ohne einen Wanderer und ohne eine Stimme! Rief ich die Verstorbenen an, sie antworteten mir nicht, und im Durchwachen schweigender Nächte blickte ich vom modernden Grase und von zerbröckelnden Steinen zu den ewigen Himmeln empor, wie der Mensch von Vergänglichkeit auf Unsterblichkeit blickt! O der schaurig großen Ruhe, des lebenden Schlafes, der athmenden und doch nichts enträthselnden Göttlichkeit welche über diese stillen Welten hingebreitet sind! Auch ihnen goß ich meine Gedanken aus – aber nur flüsternd. Ich wagte nicht das unheilige Bangen meines Gemüthes, der Majestät unmitfühlender Gestirne laut zuzuathmen! In der weiten geordneten Schöpfung, – mitten im überwältigenden Systeme allgemeinen Lebens wurden meine Zweifel und meine Fragen hingemurmelt, waren eine Stimme die in der Wildnis rief, die von keinem Echo nachgerufen, unbeantwortet wieder zu mir zurückkehrte!«

Der tiefe Strahlengang eines Sommer-Mondes beleuchtete Falklands Gesicht, welches Emilie anstarrte während sie fast erbebend seinen Worten lauschte. Seine Stirn war bleich und gerunzelt, langsam rannen schwere Tropfen über sie hinab, als wären diese von dem angestrengten und doch unvermögsamen Gewichte der innern Gedanken hervorgepreßt. Emilie rückte ihm näher und legte ihre Hand auf die seinige.

»Hören Sie mich an;« sagte sie; »wenn ein Herold aus dem Grabe Ihre Zweifel zu befriedigen vermag, dann wollte ich freudig sterben, damit ich zu Ihnen wiederkehen könnte!«

»Hüten Sie sich,« sprach Falkland mit erschütterter aber feierlicher Stimme; »diese, jetzt so leicht hingesprochenen Worte, mögen dort oben aufgezeichnet werden.«

»Sey es!« erwiederte Emilie fest, und empfand was sie aussprach.

Ihre Liebe reichte über das Grab hinaus, und Alles auf Erden mögte sie hingegeben haben für die Vereinigung nach dem Tode.

Ruhiger als er bisher gesprochen, sagte Falkland: »in meiner ersten Jugend bot mir die Gegenwart dieser Welt sowohl, als deren Vergangenheit genug dar um meine Aufmerksamkeit einer künftigen Welt zuzurichten; glaubte ich gleich mit dem Begeisterten nicht Alles, so empfand ich doch auch mit dem Spötter nichts Übereinstimmendes; ich konnte mich allein hinsetzen um zu prüfen und zu überlegen: die Bücher der Philosophen durchdachte ich sowohl, als die der Theologen; mich hinderten beider Spitzfindigkeiten so wenig als ihre Widersprüche mich verleiteten. So wie die Menschen die erste Erdbeschreibung aus der Beobachtung von Himmelszeichen erkannten, huldigte ich dem unbekannten Gotte, und suchte vom Standpunkte dieser göttlichen Verehrung aus, die Urtheile des menschlichen Geschlechtes zu prüfen. Ich beschränkte mich nicht auf Bücher – alles Lebende, alles Unbelebte bot mir Stoff zum Lernen dar. Dem Tode selber suchte ich sein Geheimnis zu entlocken, ganze Nächte habe ich in den vollgedrängten Zufluchtsstätten Sterbender gesessen, um ihr letztes Aufflackern und ihr Ende zu beobachten. Die Menschen sterben wie im Schlafe, ohne Anstrengung, ohne Kampf und ohne innere Bewegung. Wenige Augenblicke vor dem Hinscheiden erblickte ich auf ihren Gesichtern die Heiterkeit der Ruhe, die sich nur noch tiefer ausprägte je mehr der Schlaf herannahte, der nie unterbrochen wird; – schwächer und immer schwächer ward der Athem bis die Lippen, welche ihn hervorhauchten auseinanderfielen und alles still war; das Licht war der Wolke entschwunden, aber die Wolke selbst grau, kalt, anscheinend geändert war wie zuvor. Sie starben und gaben kein Zeichen. Sie hatten das Labyrinth verlassen, ohne das Geheimnis seines Ausganges auf uns zu vererben. Vergebens habe ich meine Seele zum Reiche der Schatten gesandt, – sie hat kein Zeugnis ihrer Forschung von dort zurückgebracht. Ich kann mit Newton sagen: »einige See-Muscheln habe ich am Strande aufgelesen, doch unentdeckt lag das große Meer der Wahrheit vor mir.«

Es entstand eine lange Pause, Lady Margrete hatte sich mit dem Spanier zu einem Spiele Schach niedergesetzt. Kein Blick weilte auf den Liebenden; ihre Augen begegneten sich und durch diesen einen Strahl, ward die ganze Richtung ihrer Gedanken umgewandelt. Das Blut schoß plötzlich in Falklands Wangen, die eben noch so bleich und farblos waren. Die Liebe, die sein ganzes Wesen erfüllte und beherrschte, die aber so eben durch abgezogenere kältere Betrachtung etwas beruhigt worden, durchbebte sein Inneres mit verdoppelter Kraft. – Ihre Lippen begegneten sich wie durch unwillkührlichen gegenseitigen Antrieb; er schlang seinen Arm um sie, er preßte sie fest an seine Brust.

»Finster sind meine Gedanken,« flüsterte er, »sündlich war mein Leben, aber wollen Sie nicht dennoch die einen besänftigen, das andere leiten? Meine Emilie! meine Geliebte! Himmel des wildempörten Ozean meines Herzens – willst du nicht mein – mein allein – ganz und für immer seyn?«

Sie antwortete nicht, wand sich nicht los aus seiner Umarmung. Ihre Wange glühte unter dem leisen Anhauch seines Athems, ihr Busen wogte unter dem Arme der eine Brust umschlang in der nur er herrschte.

»Sprich ein Wort, ein einziges Wort« – flüsterte er weiter – »willst du nicht die Meine seyn. – Sagt dein Herz dir in diesem Augenblick nicht, daß du mein bist?«

Ihr Haupt sank an seine Brust; ihre tiefen, beredten Augen blickten durch die dunkeln Wimpern hinauf zu ihm.

»Ich will die Ihrige seyn«; murmelte sie – »ich gehöre Ihnen an, ich habe kein anderes Daseyn mehr als das Ihrige. Meine einzige Furcht ist die, daß ich aufhören werde Ihrer Liebe werth zu seyn.«

Falkland drückte seine Lippen noch einmal auf die ihrigen; dieser Kuß war seine einzige Antwort und das letzte Siegel ihres Bundes. Sie standen vor dem geöffneten Fenster, der stille kalte Mond blickte herab auf dieses Gedächtnis der Schuld. Am Himmel war kein Wölkchen um seine Klarheit zu verdunkeln: die Nachtwinde sogar waren zur Ruhe gegangen um ihm zu huldigen; alles schwieg, nur ihre Herzen ausgenommen. Sie standen, ein schuldvoll liebendes Paar, unter den ruhig heiligen Wolken als schreckendes Gegenbild der Sündlichkeit und drängenden Heftigkeit dieser unruhigen Erde, zu der leidenschaftlosen Heiterkeit des ewigen Himmels.

Eben die Sterne, die tausende unergründeter Jahre auf die Wechsel dieser niedern Erde herabgeblickt hatten, schimmerten bleich und rein und unbeweglich herab, auf ihr glühendes aber vergängliches Gelübde. Was blieb nach Verlauf einiger weniger Jahre von dessen Verhängnis, oder von denen übrig die es nacherzählten? Auf dem nämlichen Flecke mogten andere Lippen, sich durch andere Eide binden, mogten neue Pfänder unveränderlicher Treue sich auszutauschen; und Jahr nach Jahr werden in jeder Wechselfolge von Schauplatz und Zeit, eben diese Sterne aus dem Geheimnisse ihrer unerforschten und undurchdringlichen Heimath herab blicken, um mit ihrer Unvergänglichkeit, die Wechsel und Schattenbilder des Menschengeschlechtes zu verspotten!

Erasmus Falkland Esqr. an Lady Emilie Mandeville.

Endlich wollen Sie mein werden; – Sie haben eingewilligt mit mir zu entfliehen. Innerhalb drei Tagen wollen wir dieses Land verlassen, keine andere Heimath, keine andere Welt besitzen, als jeder in dem Andern. Wir wollen zu jenen goldenen Reichen, meine Emilie, wohin die Natur, die einzige Begleiterin die wir dulden, uns gleich einer Mutter schmeichelnd ruft, um an ihrem Busen Zuflucht zu finden; wo unter der Leidenschaftlichkeit wohllustvoller Himmelslüfte ihr Gesäusel schmachtend ist, und wo das Purpurlicht das alles Erschaffene in seine Glorie einhüllt, nur allein minder zärtlich und minder heiligend ist, als der Geist den wir mitbringen. Giebt es nicht, süße Emilie, zwischen der äußern Natur, welche über die Schöpfung herrscht und der Menschennatur, die wir in unserm Innersten zusammensaßen ein geheimnisvolles und nicht zu beschreibendes Verstehen und Anziehen? Wirken nicht die Eindrücke der ersten, gleich Zaubersprüchen auf der letztern Leidenschaften? Sammeln wir beim Anschauen der Schönheiten die uns umgeben, nicht ein vermehrtes sehnsuchtvolleres Verlangen nach Liebe ein, speichern wir dieses nicht gleichsam in unsern Herzen auf? Was können wir von der Erde anders verlangen als ihre einsame Stille; – was vom Himmel anders als die reine unverdorbene Luft? Alles was Andere von der einen, oder dem andern fordern mögten, finden wir in uns selber. Reichthum – Ehre – Glück – Gegenstände für Ehrgeiz oder hochstrebende Wünsche, sind außerhalb des Umkreises nicht vorhanden, den unsere Arme umschlingen! Doch soll das Eigenthum was uns umgiebt, Ihrer Schönheit und unserer Liebe nicht unwerth seyn. Unter Myrthen und Reben, in Thälern die des Sommers Ruhestätte sind, neben Strömen, welche das Andenken und die Sagen der Vorzeit fortmurmeln; zwischen Hügeln und schimmernden Hainen und Silberquellen, die alle noch so reizend sind als dienten sie zu der Nymphen und Sylphiden irdisch geschmückten Wohnplätzen, unter diesen wollen wir unser bräutliches Lager wählen, und der Mond des Italischen Himmels soll unsere Ruhe bewachen.

Emilie! – Emilie! – o wie liebe ich diesen schönen Namen zu wiederholen, ihn lange, langsam herzusagen! War sehen, anreden, und mehr als Alles war Berührung schon Entzücken, welches Wort vermögte ich da unter den Bezeichnungen von Glückseligkeit aufzufinden, welches die Verwirklichung der Hoffnung ausdrücken könnte, die jetzt in mir aufglühet – die Hoffnung unsere Jugend nach allen Richtungen in einen fortfließenden Strom zu einigen, den nämlichen Athem zu trinken; so zu sagen in das eine nämliche Daseyn verschmolzen zu seyn; gleichsam auf einem Stamme empor zu sprießen, und die Gefühle, die Wünsche, das Seyn Beider zu einem einzigen Leben zu verknüpfen.

Abends werde ich Sie wieder sehen! noch ein Tag geschwunden und wieder einer – ich vermag den Satz nicht zu enden! Während ich schrieb, übermannte mich die auflodernde Glückseligkeit der Hoffnung, um alles Andere zu verwirren und zu unterjochen. In diesem Augenblick wüthet Fieber in meinem Adern; das Zimmer schwimmt in Kreisen vor meinen Blicken; Alles ist ein undeutliches, starrendes Chaos von Erregungen. Ha! daß Glückseligkeit jemals solches Übermaß empfinden sollte!

Als Emilie diesen Brief erhalten und an ihrem Herzen aufbewahrt hatte, empfand sie nichts was mit dem darin athmenden Geiste übereinstimmte. Mit dem raschen Übersprunge und der Unbeständigkeit des Gefühls, die bei Weibern so gewöhnlich ist, und die eben so oft zu ihrer Sicherheit als zu ihrer Gefahr gereicht, hatte ihr Gemüth die Schwäche des letzten Abends schon bereuet, und war zurückversunken in die Unschlüssigkeit und Bitterkeit ihrer frühern Gewissensangst. Nie weilte in menschlicher Brust ein härterer Kampf zwischen Gewissen und Leidenschaft; – wenn anders Emiliens eben so erstarkte als außerordentlich sanfte Liebe, eine Leidenschaft genannt werden dürfte; diese Liebe war vielmehr durch den Wachsthum ihrer eigenen Kraft geläutert und verfeinert, sie enthielt nichts als die erste Sünde ihres Ursprunges, und jene Engel deren Natur aus Liebe besteht, würden gesucht haben diese Ursünde fortzureinigen. Ihn sehen, mit ihm leben, die Wechsel seiner Gesichtszüge und seiner Stimme zählen, seine Hand zuweilen berühren wenn er wachte, und seinen Schlummer zu beobachten wenn er entschlafen war, darin bestand das Wesen ihrer Wünsche, dies bezeichnete die Grenze ihrer Sehnsucht.

Den Lockungen der Gegenwart war die ganze Geschichte des Vergangenen entgegengestellt. Ihr schwankendes und erkranktes Gemüth sprang von dem einen zu dem andern über, ganz wie der Eindruck des Augenblickes sie dazu nöthigte. Ihr Karakter war gewiß kein kräftiger, ihre Erziehung und ihre Lebensgewohnheiten, hatten eine ursprünglich schon zu weiche Natur noch zarter, noch weiblicher gemacht. Jegliche Erinnerung an frühere Reinheit mahnte sie mit der lauten Stimme einer Pflicht, und warnte vor der gewaltigen Schuld welche sie auf sich zu laden im Begriffe stand; so oft sie ihres Knaben gedachte – dieses Inbegriffes zärtlicher, schuldloser Empfindungen, der früher ihr ganzes Herz so durchaus in Anspruch genommen hatte – entschwebten ihre Gefühle plötzlich von dem Gegenstande der sie, wie durch einen Zauberspruch so allmächtig festgebannt hatte, zerflossen und verrannen in die eine große und geheiligte Quelle der Mutterliebe.

Abends, als Falkland erschien, saß sie in der Ecke des Zimmers anscheinend mit Lesen beschäftigt, ihre Augen waren aber auf den Knaben geheftet, welchen Mad. St. John am entgegengesetzten Ende des Gemaches zu vergnügen bemüht war. Der Knabe welcher Falkland liebte, eilte auf diesen zu sobald er eintrat, Falkland bog sich nieder ihn zu küssen, und Mad. St. John sagte mit leiser Stimme, aber doch so, daß er die Worte verstehen konnte: »auch Judas küßte, bevor er Verrath übte.«

Seine Farbe wechselte, er empfand den Stachel mit welchem diese Worte ihn verwunden sollten. Er war im Begriffe über dieses Kind, das in so unschuldiger Weise ihm Liebkosungen darbrachte, die empfindlichste, die unablösbarste Schmach und Verletzung zu verhängen. Aber wer gestattet sich überlegendes Nachdenken bei einer Leidenschaft? Das Reuegefühl verbannte er aus seinem Gemüthe eben so schnell als es entstanden war, setzte sich neben Emilie und versuchte ihr einen Theil der Freude und Hoffnung einzuflößen, die ihn selber erfüllte. Madam St. John beobachtete Beide mit eifersüchtigen, wachsamen Blicken, sie hatte schon erfahren wie furchtlos ihr früherer Versuch gewesen, Emiliens Gewissen in wirksamer Weise gegen ihren Liebhaber aufzuregen, dennoch beschloß sie den Eindruck zu erneuern welchen sie damals hervorgebracht hatte. Die Gefahr war dringend deshalb mußte die Hülfe schnell kommen, und es war schon etwas eine Bereinigung zu verzögern, sogar wenn sie auch nicht im Stande seyn sollte, dieselbe endlich ganz zum Bruche zu bringen, gegen sie waren bei ihr alle zürnende Gefühle der Eifersucht, mit den schöneren Empfindungen der Freundschaft für Emilie, im Bunde.

Schon erglänzten Emiliens Augen bei den Worten die Falkland ihr zuflüsterte; da nahete sich ihnen Madam St. John. Sie setzte sich auf einen Stuhl ihm zur Seite, und versuchte ohne Falklands krause und zornverkündende Stirn zu beachten, eine allgemeine und gewöhnliche Unterhaltung anzuknüpfen. Lady Margrete hatte einige Personen aus der Gegend eingeladen, sobald diese erschienen, ward sogleich zu Musik und Karten gegriffen, ganz mit der Englischen Höflichkeit, welche die erste Gelegenheit ergriff um darzuthun, daß die Unterhaltung unserer Bekannten, das allermindeste ist weshalb wir sie zu uns einladen.

Madam St. John verließ die Liebenden aber gar nicht; und als Falkland endlich über ihren Starrsinn in Verzweiflung aufstand um an den Spieltisch zu treten, sprach sie: »sagen Sie mir doch Herr Falkland, waren Sie nicht früher sehr vertrauter Freund von *** ***, der mit Lady **** durchgegangen ist?«

»Ich war sehr oberflächlich mit ihm bekannt,« antwortete er und setzte dann höhnisch hinzu: »ich habe ihn nie anders, als in Ihrem Hause getroffen.«

Madam St. John fuhr fort, ohne das Beißende dieser Antwort zu rügen! »Zu welchem unseligen Ereignisse führte das! – Sie hatten einander in ihrer Jugend ungemein lieb, und dies ist vielleicht die einzige Entschuldigung, welche eine Frau haben mag um ihre spätern Gelübde zu brechen. Sie entflohen. – Das Übrige ihrer Geschichte ist bald erzählt; sie gleicht dem allgemeinen Loose derer welche ihrer Leidenschaft alles aufopfern und dabei vergessen, daß diese unter allen Dingen die kürzeste Dauer hat. – Er, der ihr seine Ehre aufgeopfert hatte, opferte sie wiederum eben so leichtfertig einer Andern auf. Seine Untreue vermogte sie nicht zu ertragen; aber wie hätte sie ihm Vorwürfe machen können? Indem sie seiner Liebe sich hingab, hätte sie sich eben dadurch derselben unwürdig gemacht. – Sie richtete ihm keinen Vorwurf zu – aber sie starb am gebrochenen Herzen. Ich habe sie kurz vor ihrem Tode gesehen, denn ich war entfernt mit ihr verwandt und konnte selber die Sündhafte nicht ganz verlassen. Nur damals sprach sie mir von dem Kinde aus ihrer früheren Ehe, welches sie in dem Alter verlassen hatte, in welchem es ihrer Pflege am dringlichsten bedurfte: sie befragte mich nach dessen Gesundheit, – Erziehung – Wachsthum: das aller Geringfügigste schien ihrer Nachforschung nicht unwerth. Die Erkundigungen welche sie über dieses Kind einzog, brachten ihrem Gemüthe, »den Duft des Lenzes und der Freude« zurück. Ich führte eines Tages ihren Knaben zu ihr; dieser mindestens hatte sie nicht vergessen. Wie schmerzlich weinten Beide als sie sich wieder trennen mußten, und sie – die arme, arme Helena – eine Stunde nach dieser Trennung hatte sie aufgehört zu seyn!« –

Es entstand eine Pause von einigen Minuten. Emilie war tief erschüttert. Madam St. John hatte die Wirkung, welche sie hervorbringen würde vorausgesehen, und sich ein Verhalten vorgezeichnet, welches jene erhöhen sollte.

»Es ist sonderbar,« hob sie wieder an, »daß am Abend vor ihrer Flucht, von einem Ungenannten ihr einige Verse zugeschickt wurden. Ich glaube nicht, daß diese Ihnen bekannt sind. Emilie, soll ich sie Ihnen jetzt singen?«

Ohne die Antwort zu erwarten setzte sie sich zum Flügel und sang mit leiser aber wohlklingender Stimme die nachfolgenden Verse, deren gefühlvoller Vortrag zu ihrer beabsichtigten Wirkung ungemein viel beitrug.

An .....
1.

Willst du deine glückliche Heimath verlassen, in der zu leben bisher so süß war?
O bedenke, ehe du hinaus in die Welt schweifst, ob Sünde dir ein schützendes Obdach gewährt.

2.

Der Vogel mag umher flattern und auf makellosen Schwingen zum gewohnten Ruheplatze zurückkehren;
Doch in der Brust eines Weibes wird die einmal verlorene Heimath nie wieder aufgerichtet.

3.

Wäre eine Welt der Blüthen zu durchstreifen, so mögte das Herz zuweilen einen Ruhepunkt finden;
Du aber wirst in eine Welt der Schmerzen hinausgestoßen, deinen einzigen Ruheplatz zu verlieren.

4.

Erinnere dich der fleckenlosen Gelübde deiner Jugend – einer Vergangenheit die dir so beseligend lächelte;
Dann wende dich zu dem Bilde welches das Dräuen deiner Zukunft dir entwerfen muß.

5.

Keine Stunde, keine Hoffnung kann derjenigen Trost bringen, die einen geschändeten Namen zu verbergen sucht;
Herzen welche des Schmerzes stürmender Andrang nicht zu beugen vermag, brechen unter dem Gewichte der Schaam.

6.

Und wenn deines Kindes verlassene Jugendjahre mit des Lebens ersten Leiden ringen,
Sollen erkaufte Herzen die Thränen stillen, welche nur allein an deinem Busen fließen müßten?

7.

Wenn des Kindes Lippen den zärtlichen, ihn zuerst gelehrten Namen lallen,
Dann mögtest du nicht, daß Schande und Sünde, die einzigen Erinnerungen sind, die sich ihm anknüpften!

8.

Erkrankte dieses Kind auf seinem Lager, wer könnte deine Sorgfalt dann ersetzen?
Könnte die gemiethete Wärterin etwa so leise auftreten, als wenn Mutter Gefühl jede Bewegung leitet.

9.

Genug, noch ist's nicht zu spät den bittren Trank zu vermeiden, den du selber dir mischen mögtest;
Noch ist das letzte Band nicht gelöset; noch ist deine Barke im sichern Hafen.

10.

Ward dir beschieden das Leben schmerzlich zu verkümmern, so gebührt dir mindestens fleckenlos zu sterben;
Es ist besser dein Herz bricht mit einemmal, als daß du von seinen heiligsten Banden es enfesselst.

Umsonst wäre der Versuch Emiliens Gefühle bei dem Ende dieses Gesanges zu beschreiben. – Undeutlich und schwarz schwebte der ganze Hergang vor ihren Augen. Die gewaltsame Empfindung welche sie zu unterdrücken strebte, erstickte sie fast. Sie stand auf, sie warf auf Falkland einen Blick solcher Angst und solcher Verzweiflung, daß sein innerstes Herz davon gefror – darauf verließ sie das Zimmer ohne ein Wort zu reden. Einen Augenblick später vernahm man das Geräusch eines Falles. – Alle stürzten hinaus, – Emilie lag anscheinend leblos auf dem Boden hingestreckt. – Ein Blutgefäß war ihr zersprungen!


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