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II. Die Stellung der Kunstdenkmäler Ravenna's in der deutschen Kunstgeschichte.

I In den ehemals römischen Ländern nördlich der Alpen wurde noch lange römische Bauweise beibehalten. Der rege Verkehr, den die Geistlichkeit, der ausschliesslich die Ausübung der Künste übertragen war, mit Rom unterhielt und der Umstand, dass die Werkleute hauptsächlich Nachkommen der Römer waren, macht es begreiflich, dass diese Kunst noch lange ihren Einfluss behielt. Freilich sank sie von ihrer einstigen Höhe, die sie auch in diesen Ländern erreichte, gar tief herab und mitunter begnügte man sich mit roher Andeutung der Form, welche die ungeübten Hände dem Materiale gaben; der Sinn für Schönheit musste erst geweckt werden. Langsam hob sich die Kunstthätigkeit zur Zeit der Merovinger, als die Franken die Führerschaft unter den germanischen Stämmen übernommen hatten. Besonders im heutigen Frankreich ist eine stattliche Anzahl von Bauten aus dieser Zeit erhalten geblieben, während solche in Deutschland nur in wenigen kleineren Bauten vorhanden sind. Unter letzteren überragt in Vorzüglichkeit der Erhaltung der kleine Thorbau zu Lorsch im Grossherzogthum Hessen alle übrigen.

Zu grösserer Bedeutung gelangte die Kunst in der karolingischen Periode unter Karls des Grossen machtvoller Regierung besonders von dem Ende des 8. Jahrhunderts an. Den kunstliebenden Kaiser hatten auf seinem Zuge gegen die Langobarden, ausser den klassischen Werken Roms, die Kunstwerke des grossen Gotenkönigs, die dieser in Ravenna hinterlassen, mächtig angezogen und mochten wohl den Wunsch geweckt haben, in seiner Residenz Aachen Aehnliches zu schaffen. In Deutschland waren aber weder Vorbilder noch Werkleute zu finden; was fränkische Kunst hervorgebracht hatte, war meist unbeholfen und vielfach roh, man nahm keinen Anstoss daran, Säulen und Zierstücke römischen Bauten zu entnehmen und bei Neubauten wieder zu verwenden. Jenseits der Alpen wurden daher Vorbilder und Künstler gesucht; Baumeister und Bildhauer, fertige Säulen, Marmor und Mosaik liess der Kaiser aus Italien kommen, selbst das eherne Standbild Theodorichs, das die Königsresidenz in Ravenna zierte, wurde über die Alpen geschafft und in Aachen aufgestellt.

Das bedeutendste Denkmal karolingischer Kunst ist die Grab- und Palastkapelle Karls zu Aachen, die in ihren Dimensionen so gross errichtet wurde, dass sie gleichzeitig als Gemeindekirche dienen konnte. Damals war die vollendetste Kirche dieser Art San Vitale zu Ravenna und fast allgemein wird angenommen, dass die Anlage dieses Prachtbaues dem Kaiser oder dessen Berater als mustergiltig vorgeschwebt habe. Von anderer Seite wird ein Zusammenhang mit römischen Rundbauten geltend gemacht.

Ein Langhausbau in Basilikenform, wie solche besonders in Gallien aber auch in Deutschland schon damals üblich waren, musste für den Zweck einer Palastkapelle weniger geeignet erscheinen als die gedrängte Anlage eines Centralbaues, wie solche San Vitale zeigte. –, Sehr wahrscheinlich ist, dass in Italien selbst, zur Zeit der Langobarden oder der Karolinger, San Vitale als Vorbild beim Bau des alten Domes (Rotonda) zu Brescia genommen wurde. Dessen Grundrissanlage zeigt grosse Aehnlichkeit mit der von San Vitale und mit der von Aachen. (Abbildungen bei Hübsch & Essenwein.)

Unter Einhards des »Ministers der öffentlichen Arbeiten« Oberleitung wurde der Aachener Bau von 796-804 ausgeführt. Baumeister war Ansegis, nachmaliger Abt von St. Vandrille bei Rouen, gleichfalls einer der ersten Ratgeber des Kaisers. Nachrichten über ein Vorbild zur Aachener Kapelle sind nicht vorhanden, Einhard selbst kam erst zwei Jahre nach deren Fertigstellung nach Italien.

Nördlich der Alpen war bis dahin ein auch nur annähernd ähnliches Werk noch nicht errichtet worden, es ist daher auch nicht anzunehmen, dass ein karolingischer Baumeister selbständig –, ohne Benutzung eines Vorbildes mit einem derartigen Werke hervorgetreten ist.

Fig. 15. Ravenna. San Vitale. Durchschnitt Maassstab 1:500.

Fig. 14. Ravenna. San Vitale. Grundriss. Maassstab 1:1000.

Fig. 17. Aachen. Palastkapelle. Durchschnitt. Maassstab 1:500.

Fig. 16. Aachen. Palastkapelle. Grundriss. Maassstab 1:1000.

Ein Vergleich der Grundrisse und Durchschnitte beider Bauten (Fig. 14-17) zeigt deren unverkennbare Aehnlichkeit, während die Einzelheiten mitunter wesentlich abweichen. Uebereinstimmend ist an beiden Bauwerken die Anlage des achteckigen, durch acht Hauptpfeiler begrenzten, Mittelraumes, sowie die des polygonen Umganges.

Die bei San Vitale 8seitige Umfassungsmauer ist bei der Aachener Kapelle 16seitig durchgeführt, während im Innern die Achtecksform beibehalten wurde. Der Unterschied beider Vorhallen ist in der Veränderung von San Vitale zu suchen, während die oben angeführte Rotonda zu Brescia dieselbe, von 2 Türmen flankirte Vorhallenanlage wie Aachen zeigt. Der den Mittelraum umgebende Nischenkranz mit den Halbkuppelabschlüssen kam in Aachen in Wegfall, wodurch das um den Mittelraum herumziehende zweigeschossige Seitenschiff erbreitert und die Wandflächen des Mittelraumes ruhiger gehalten wurden. Die über dem Mittelraum aufgeführte Kuppel ist hier nicht halbkugelförmig aus Töpfen, sondern mit ansteigenden Gräten, als Klostergewölbe, aus Gussmauerwerk nach römischer Technik ausgeführt. In der Anlage der Gewölbe über den Umgängen ist ebenfalls bei beiden Bauwerken ein wesentlicher Unterschied wahrzunehmen. Während bei San Vitale durch die überwölbten Nischen der Schub der Hauptkuppel aufgenommen und durch das Zwischengewölbe auf die Umfassungsmauer übertragen wurde, geschah dies in Aachen im oberen Stockwerke durch gegen den Mittelraum ansteigende Tonnengewölbe, die alsdann den Schub der Kuppel direkt auf die Aussenmauer übertrugen. Im Durchschnitt sehen wir ferner als Hauptunterschied die bei Aachen erfolgte Einschaltung eines massigen, auf Pfeilern ruhenden Untergeschosses.

Der Platz des Kaisers wird in dem ersten Obergeschoss über dem Eingang angenommen. Die ursprüngliche Altarkapelle ist seit dem Umbau im 14. Jahrhundert nicht mehr vorhanden. Die nur dekorativen Säulenstellungen, welche aus römischen Stücken zusammengesetzt sind, haben den Abschluss der Emporen gegen den Mittelraum, wobei noch Bronzegitter angebracht wurden, zu bilden.

Während S. Vitale als Pfeiler- und Säulenbau angesehen werden muss, ist Aachen als Pfeilerbau zu bezeichnen: dort sind die Säulen zur Konstruktion gehörig, hier aber könnten solche, ohne der Konstruktion des Ganzen zu schaden, herausgenommen werden. –, Was den Aachener Bau vor San Vitale auszeichnet, ist die Einfachheit und wohl durchdachte Anordnung der Gewölbekonstruktionen.

Wenn auch einige wesentliche Unterschiede an beiden Kirchen vorhanden sind, so zeigt doch die Anlage beider eine Ähnlichkeit, welche die Ableitung der Aachener Kirche von S. Vitale nicht bezweifeln lässt. Freilich kann von einer unmittelbaren Nachbildung keine Rede sein, das Aachener Bauwerk stellt vielmehr eine Verbesserung und Anpassung an gegebene Verhältnisse dar.

Dass die Bauten Ravenna's die Bewunderung der Zeitgenossen, selbst der an Pracht gewöhnten römischen erregten, geht aus einem Briefe Cassiodor's hervor, der insbesondere über die überaus grosse Leichtigkeit der Säulen und über die reich verzierten Archivolten sein Erstaunen ausdrückt. (Fragl. Stelle u. A. bei Moller, Denkmäler der deutschen Baukunst I.) Um so grösser muss der Eindruck dieser Gotteshäuser auf die deutschen Kaiser und deren Gefolge gewesen sein, von welchen viele auf ihren Heereszügen und Romfahrten Ravenna besuchten.

War S. Vitale die vollendetste Centralkirche Italiens zu jener Zeit, deren Anlage auch dort Nachahmung fand, so war die Schöpfung Karls des Grossen das bewunderte Meisterwerk des Nordens und mehrere Jahrhunderte hindurch wurde dasselbe, wenn auch in kleinerem Maassstab und mit mancherlei Abweichungen, als Vorbild benutzt. Hierher gehören die Schlosskapellen zu Nymwegen und zu Diedenhofen, die Johanniskirche zu Lüttich, der Westchor der Kirche zu Essen (dessen Ableitung von Aachen wird neuerdings bestritten), die Kirchen zu Mettlach, zu Lonnig bei Koblenz, die Westempore von S. Maria auf dem Kapitol zu Köln, St. Michael zu Fulda, die Kirche auf dem Georgenberg bei Goslar und im südlichen Deutschland die Kirche zu Ottmarsheim im Elsass und möglicherweise die in neuester Zeit aufgefundenen Überreste der älteren Kirche zu Wimpfen im Thal, deren Flankierungstürme noch erhalten sind und jetzt die Westtürme der frühgotischen Kirche bilden.

Für die übrigen Kirchenbauten der karolingischen Zeit waren die altchristlichen Basiliken die mustergiltigen Vorbilder. Am nächsten liegt die Annahme, dass die römischen Basiliken als die Musterkirchen betrachtet wurden, denn nach Rom waren die Blicke der Welt gerichtet, mit Rom hatten die Baumeister damaliger Zeit –, die Geistlichen –, eine innige Verbindung; andererseits aber ist es immerhin möglich, dass die ravennatische Basilika durch ihre selbständige Entwicklung als Vorbild geeigneter erschien. Wie häufig wurden in Rom Säulen oder deren Teile antiken Prachtbauten entnommen und, damit sie ihren neuen Zweck erfüllen konnten, zusammengesetzt so gut es eben ging, so dass man dort an einem und demselben Kirchenbau Säulen und Architravstücke aus verschiedenen Ordnungen antreffen kann. Anders war es in Ravenna. Hier wurden Säulen, überhaupt alle Architekturteile, eigens für ihren Zweck neu angefertigt, die Grundform der Basilika wurde eine feste, harmonische und von andern Gebäuden unabhängige. Das Äussere wurde durch zweckmässig angebrachte Lisenen belebt und hierdurch die Konstruktion fester gestaltet. Während in Rom die das Mittelschiff von den Seitenschiffen trennenden Säulen vorherrschend geradlinig, durch Architrave, überdeckt sind, wurden in Ravenna hierzu ausschliesslich Bogen (Archivolten) verwendet. Ferner sind hier die Säulen durch Aufsätze über den Kapitälen, Kämpfer genannt, zweckentsprechender gebildet, indem solche den Druck des Mauerwerks mehr auf den Säulenkern übertragen, eine Eigentümlichkeit, welche nicht ausschliesslich Ravenna angehört (frühere Beispiele in Holtzinger, altchristl. Architektur), dort aber hauptsächlich ausgebildet wurde. Dieselbe Verwendung des Bogens wie bei den ravennatischen zeigen die deutschen Bauten der Karolingerzeit und an einigen derselben treffen wir auch den erwähnten Kämpfer wieder an (s. später).

Vergleichen wir zwei Basilikengrundrisse, den einer ravennatischen und einer rekonstruirten karolingisch-deutschen mit einander. Beachtung verdient die Ähnlichkeit derselben.

Fig. 18. Ravenna. S. Apollinare in Classe. Grundriss. Massstab 1:1000.

Fig. 19. Steinbach im Odenwald. Einhard-Basilika. Grundriss. Massstab 1:500.

Die Dimensionen beider Bauten sind sehr verschieden, so beträgt die Breite des Mittelschiffes in S. Apollinaris in Classe 14,2, (in Seligenstadt 9,4) und in Steinbach 7,22 Meter. Ein Querschiff, das sich zwischen Langhaus und Apsis legt, wie solches in Rom sich häufig findet, fehlt in Ravenna und war auch an der Einhardbasilika nicht vorhanden. Wohl stehen hier die beiden kapellenartigen Anbauten gegen 1,4 Meter über die Langhauswände vor, doch waren diese Räume nur durch verhältnissmässig kleine Bogenöffnungen mit dem Vorchor verbunden, so dass sie mit diesem keinen einheitlichen Raum bildeten. Ausserdem lag das Dachgebälk dieser Anbauten beträchtlich niederer (in Bankhöhe der Mittelschiffbauten) als das des Mittelschiffes. Ähnliche Kapellenanbauten in der Verlängerung der Seitenschiffe sind bei Apollinaris in Classe ebenfalls vorhanden, und liegt kein Grund vor, diese Anbauten nicht für gleichzeitig (wie Essenwein vermuthet) wie der übrige Teil des Baues anzunehmen. Eine Veränderung scheint an diesen Anbauten nur am Dachstuhl vorgenommen worden zu sein, wo an Stelle des einstigen Zeltdaches ein Pultdach getreten ist. (Vergleiche in der Ansicht dieser Kirche Fig. 7 die bis zur Höhe der Dachschwelle führende Lisene).

In vorstehenden Grundrissen ist die Anlage des Atriums, in Steinbach, nach den durch Adamy im Auftrag des historischen Vereins vorgenommenen Untersuchungen angegeben.

Die Steinbacher Kirchenruine, nach ihrem Erbauer Einhardbasilika genannt, gibt ein deutliches Bild einer kleinen karolingischen Basilika mit dazu gehörendem Atrium. Letzteres, das sich als ein hallenumschlossener Hof darstellt, wurde durch eine Thorhalle (Propyläen) betreten. (In dem rekonstruirten Grundriss in ähnlicher Weise angegeben wie die schon erwähnte Thorhalle zu Lorsch). An diese schlossen sich die von Pfeilern (in Italien auch Säulen) getragenen Hallen (quadri porticus) an und umgeben den innern, unbedeckten Raum, welcher gewöhnlich gepflastert war, die Area. In deren Mitte stand der Brunnen (Cantharus), der den Besuchern des Gotteshauses das erforderliche Wasser zur Handwaschung lieferte. Die Vermittlung zwischen dem Atrium und der eigentlichen Kirche bildete die Vorhalle (Narthex), deren Bestimmung verschieden gedeutet wird; sie soll als Aufenthaltsraum für Büssende, auch zur Armenspeisung, gedient haben. Die Basilika war dreischiffig (über der Erde erhalten ist nur das im Grundriss schwarz angegebene). Die Seitenschiffe waren vom Mittelschiff durch je 5 Backsteinpfeiler getrennt. Der Abschluss gegen das Presbyterium mag in der Art eines Lettners, wovon Spuren noch sichtbar sind, oder durch eine Säulenstellung gebildet worden sein. In kreuzförmiger Anlage ist unter dem Chor, einem Teil des Mittelschiffs und unter den kapellenartigen Anbauten die Krypta noch erhalten. (Näheres über diesen kunstgeschichtlich wichtigen Bau im hess. Kunstdenkmälerwerk: Schäfer, Kreis Erbach; Adamy, die Einhard –, Basilika zu Steinbach und Schneider, die karol. Basilika zu Steinbach, in den Annalen d. Vereins f. Nass. Altertumskunde).

Von grösseren Dimensionen war die ebenfalls von Einhard errichtete Basilika zu Seligenstadt, welche, durch Umbau entstellt, nur noch im Mauerkern die Pfeilerbasilika, in ganz ähnlicher Anlage und Ausführung wie zu Steinbach zeigt. (Näheres im hess. Kunstdenkmälerwerk: Schäfer, Kreis Offenbach.) Ob hier ein Querschiff vorhanden war, ist nicht mehr festzustellen. Spuren eines Atriums mit Cantharus wurden bei neueren Umbauten vor der Westseite vorgefunden. Beibehalten wurde bei diesen Bauten im wesentlichen von den italienischen –, vielleicht ravennatischen –, Vorbildern die Anlage des Grundrisses, während den örtlichen Verhältnissen durch Verwendung geeigneter Materialien und Herstellung des Mauerwerks nach römischer Technik, die sich hier eingebürgert hatte, Rechnung getragen wurde.

Fig. 20. Höchst a M. Justinuskirche. Kapitäl mit Kämpfer.

Auch in der Bildung der Einzelheiten ist eine Ähnlichkeit vorhanden, die darin besteht, dass der für Ravenna charakteristische und dort bei allen christlichen Bauten vorkommende Kämpfer sich bei einigen karolingisch –, deutschen Bauten ebenfalls vorfindet. In der Form eines verkröpften Architraves kommt ein Kämpfer manchmal in dieser Periode vor, (u. A. auch in der Pfalzkapelle zu Aachen) die ravennatische Form aber zeigt am auffallendsten unter den kirchlichen Gebäuden die Justinuskirche in Höchst am Main. Diese 3schiffige Säulenbasilika wurde (nach Lötz und Schneider, die Baudenkmäler im Regierungsbezirk Wiesbaden) 790 über dem Leichnam des Märtyrers Justinus erbaut, geriet 1090 in Verfall und wurde dann mehrfach verändert. Die Arkadur des Mittelschiffes blieb erhalten, sie zeigt auf jeder Seite fünf Säulen, deren Basen hohe, attische, die Kapitäle aber eigenthümliche, korinthisierende Form zeigen. Diese zehn Kapitäle sind unter sich beinahe völlig gleich, nur zeigen einige zwischen den nicht ausgeschnittenen Akanthusblättern, eine gewundene Leiste, ein Kerbschnittornament oder ein eigenartig geformtes Blatt (siehe Abbildung). Die sich verjüngende Säulenschäfte von gedrungener Form (5:1) haben eine leichte Ausbauchung. Zur Aufnahme der Scheidebogen sind über den Kapitälen die schon erwähnten eigenartigen Kämpfer angebracht. Ihre Grundform ist der der ravennatischen sehr ähnlich, in Höchst setzt sich die untere Grundfläche der abgekürzten Pyramide unmittelbar auf das Kapitäl auf, während in Ravenna ein niederes Prisma zur Vermittlung eingeschaltet ist. Die 4 schrägen Seitenflächen sind durch Auskehlungen verziert. Dieselbe Art der Verwendung des Kämpfers zeigen die Fundstücke eines karolingischen Profanbaues, von welchem in folgenden Zeilen die Rede sein wird.

Die Bauthätigkeit, die Karl der Grosse veranlasste, hatte zwar ihren Mittelpunkt in Aachen, machte sich aber im ganzen Reiche fühlbar. Nicht nur Kirchen, auch Paläste wurden errichtet und zwar ausser zu Aachen in Nymwegen, Ingelheim, Worms, Trebur, Frankfurt, Regensburg und anderen Orten. Von den Gebäuden der Kaiserpfalz zu Aachen ist nur die Grab- und Palastkapelle, das jetzige Münster, erhalten geblieben. Auf der Stelle der übrigen Palastgebäude wurde das gotische Rathaus errichtet und dabei die alten Grundmauern benutzt.

Auf dem Valkhof zu Nymwegen, in Frankfurt (Saalhof) und in Regensburg zeugen noch einige Überreste von der einstigen Herrlichkeit. In Worms bestand eine Pfalz schon vor der Zeit der Karolinger, die 791 abbrannte. Von der neuen Pfalz, die Karl der Grosse errichten liess, ist keine Spur mehr sichtbar. Der Palast zu Trebur, der seiner Pracht wegen berühmt war und in dem viele Reichstage zur Zeit der Karolinger und unter den späteren Kaisern, abgehalten wurden, gilt als vollständig von der Erde verschwunden. Doch sind noch Überreste in der jetzigen Ortskirche vorhanden, sie harren noch gründlicher Untersuchung.

In Ingelheim hatte schon Pippin einen Palast, in welchem 788 und 807 Reichsversammlungen abgehalten wurden. Möglich, dass sich hierbei die bestehenden Gebäude zu klein erwiesen und den grösseren Neubau veranlassten. Des Lobes voll über diese Prachtbauten, die wahrscheinlich zwischen den Jahren 807-817 errichtet wurden, sind die Dichter damaliger Zeit, insbesondere schildert einer derselben, der Benediktinerabt Ermoldus Nigellus, in überschwänglichen Versen die Grösse und Pracht des Palastes. Er spricht von hundert Säulen, die die Gebäude trugen, von vielerlei Gemächern und Wohnungen, tausend Pforten und Thüren, wie sie die Kunst der Meister und die Geschicklichkeit der Handwerker geschaffen.

Von der einstigen Pracht und Herrlichkeit ist wenig mehr vorhanden. Der Teil des Marktfleckens Niederingelheim, in dem die Reste des Kaiserpalastes liegen, führt noch heute den Namen »der Saal«. Die St. Remigiuskirche, in der Mitte »des Saales« gelegen, wurde im 12. Jahrhundert, vermuthlich durch Kaiser Friedrich I. Barbarossa im Jahr 1154, auf den Grundmauern der früheren Palastkirche errichtet. Westlich der Kirche und mit dieser ehemals durch ein Atrium verbunden, bezeichnen einige Mauerzüge die Stelle des Festsaales. Ausgrabungen und eingehende Untersuchungen aus den Jahren 1873 und insbesondere 1888/89 ermöglichen ein ziemlich genaues Bild der kaiserlichen Pfalz zu entwerfen. (P. Clemen, der karolingische Kaiserpalast zu Ingelheim in der Westdeutschen Zeitschrift f. Geschichte u. Kunst.) Aufgedeckt wurden und teilweise noch heute sichtbar sind, aus karolingischer Zeit, die Überreste des Fest- und Speisesaales (Trichorum), welcher sich als dreischiffige Säulenbasilika, ohne Querschiff, mit halbkreisförmiger Apsis darstellt. Gegen Norden waren (nach Clemen) zwei weitere Räume, das Consistorium und vor diesem der Empfangssaal (Salutatorium) vorgelegt, in diesen gelangte man durch eine der Lorscher ähnliche Thorhalle.

Von dem Hauptraum, dem Festsaal, sind an der südöstlichen Ecke die bemerkenswertesten Reste, Apsisecke mit Kämpfergesimsstück, vorhanden. Die Säulen des Innern sind nach verschiedenen Orten verschleppt worden, so sind sechs solcher Säulenschafte im Schlosshof zu Heidelberg, andere in Mannheim, Wiesbaden, Mainz und in Ingelheim selbst. Von den Heidelberger Säulen schreibt Sebastian Münster (geborener Ingelheimer) in seiner Cosmographia von 1544: »Es seind bey meiner gedechtnuss noch fünff oder sechs steinen gegossen seulen darin gewesen, die vor langen Zeyten der gros keyser Carlen von Ravenn auss Italia hett lassen bringen mit andern seulen die er ghen Ach verschuff, aber Pfaltzgrave Philips hat sie darauss lassen füren ghen Heidelberg uff dass schloss und do seid sie noch.« –, In Nieder-Ingelheim selbst befindet sich über der erwähnten Säule, die in die Einfassungsmauer der Remigiuskirche eingelassen ist, eine Inschrift aus dem Jahre 1628, welche u. A. besagt, dass »Kayser Carlen der grosse neben andern gegossenen Seylen diese Seyl aus Italia von Ravenna anhero in diesen Palast führen lassen« u. s. w.

Karls des Grossen Biograph Einhard erwähnt solcher Säulen, die aus Rom und Ravenna stammen nur bei den Aachener Bauten, erst spätere Dichter und Geschichtsschreiber wenden diese Thatsache auch auf Ingelheim an. Untersuchungen des Materials der noch vorhandenen Säulen haben zu dem Ergebnis geführt, dass solche nicht dem fernen Italien, sondern dem nahen Odenwald, den römischen Steinbrüchen am Felsberg entnommen wurden.

Unter den Fundstücken, welche die Ausgrabungen zu Tage förderten, und die grösstenteils im Museum zu Mainz aufbewahrt werden, sind eine Anzahl römischer Säulenkapitäle, die beim Karolingerbau ihre nochmalige Verwendung gefunden haben. Mehrere Kämpfer, die sich ebenfalls unter den römischen, fränkischen (von der älteren Pfalz stammenden) und karolingischen Fundstücken befinden, gemahnen lebhaft an die vorbeschriebenen der Höchster Kirche, zeigen also wieder ähnliche Bildung wie die ravennatischen. (Fig. 22).

Eine auf Grund der Ausgrabungsergebnisse entworfene Rekonstruktion kann, was die Anordnung der Gebäude und Gelasse betrifft, ihre Richtigkeit haben, (P. Clemen, der karol. Kaiserpalast zu Ingelheim) dagegen wird die geschilderte Construktion des Festsaales weniger befriedigen, mindestens eine andere Annahme zulassen. Das Trichorium ist dort als gleichhoher Hallenbau angenommen, dessen westliches Seitenschiff allein direktes Licht erhielt. Diese Vermuthung gründet sich auf die Höhe der Seitenschiffmauer (7 m) und auf die Abbildung in Sebastian Münsters Cosmographia von 1550. Im mittleren Teil, dem Hauptraum des Trichorums müsste die Beleuchtung eine sehr ungünstige gewesen sein die sich insbesondere an den Wandgemälden und der Decke bemerkbar gemacht hätte. –, Die übliche Querschnittsform der altchristlichen Basilika mit hohem Mittelschiff und niedrigen Seitenschiffen ergibt, auf diese Festhalle angewandt, ein besseres Resultat und die oben erwähnten Umstände, die Höhe der Seitenschiffwand, sowie jene Abbildung von 1550, ergeben nichts Widersprechendes.

Die Scheitelhöhe der Archivolten über dem Fussboden kann ungefähr 6,20 m betragen haben und darf alsdann die Höhe der Seitenschiffe zu 7,0 m im Innern angenommen werden. Die Mittelschiffhöhe wird, der Apsishöhe nach zu schliessen, mindestens 12 m betragen haben, selbst für den Fall, dass das Apsisgewölbe in der Höhe des sichtbaren Kämpfers begonnen haben sollte. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die Apsis gewölbt war und deren Wölbung über den teilweise sichtbaren Fenstern begonnen hat. Der an der Apsisecke sichtbare Kämpfer war eher zur Aufnahme der Archivolte als zu der des Triumphbogens bestimmt. Die Langwände des Mittelschiffes können eine Stärke von 0,7-0,8 m gehabt haben, die auf die Säulen übertragen werden musste. Dies war nur durch Aufsetzen eines Kämpfers (wie in Ravenna und Höchst) möglich und ein solcher mit zu den Kapitälen passenden Dimensionen ist unter den Fundstücken vorhanden (Fig. 21). Es ist ein Pyramidenstumpf (bei Clemen mit No. 9, als Kapitäl bezeichnet) dessen untere Lagerflächen die Dimensionen 41 und 43 cm, die oberen 64 und 78 cm, bei einer Höhe von 47 cm haben. Alle 4 Seitenflächen sind bearbeitet, sie zeigen zwischen glatten Bändern acht Reihen von Schuppen mit Mittelrippen. Auf einer der Seitenflächen, vermutlich der gegen das Mittelschiff zu, war eine Skulptur angebracht, die nicht mehr zu erkennen ist. (In Ravenna befindet sich an der entsprechenden Stelle entweder ein Kreuz oder ein Monogramm.) Das östliche Seitenschiff wird kein direktes Licht erhalten haben, da der jetzt noch stehende Mauerrest keine Spur von Fenstern zeigt und an dieser Seite das Atrium Trichorum und Kirche verband.

Der Hauptschmuck des Innern war ein grosser Gemäldecyklus, den ebenfalls Ernoldus Nipellus beschreibt. Der geeignetste Platz hiefür waren die Wände des Mittelschiffes, also eine ähnliche Anordnung wie in Ravenna (Fig. 6). In den Mittelschiffhochwänden sind über den Seitenschiffdächern die Fenster anzunehmen, und sehr wahrscheinlich sind die aufgefundenen kleinen Kämpfer Teile dieser Fenster. Die Abbildung (Fig. 22) zeigt die Verwendung dieser Kämpfer, (solche sind in oben angeführtem Rekonstruktionsversuch zur Unterstützung von Holzbalken angenommen) und zwar die Schmalseite derselben gegen vorn gerichtet und die Länge zur Aufnahme der Mauerstärke bestimmt. Eine Säulenbasis mit angearbeitetem Schaftstück ist ebenfalls unter den Fundstücken. Die Abmessungen ergeben passende Dimensionen. Eine grosse Last brauchte der Kämpfer und die kleine Säule nicht aufzunehmen, erstere konnte durch einen Blendbogen abgenommen werden.

Fig. 21. Ingelheim. Kaiserpfalz. Säulenkapitäl mit Kämpfer. (Rekonstruktion.) Einzelne Stücke im Museum zu Mainz.

Unter den in der Abbildung von 1550 sichtbaren Fenstern können entweder solche Doppelfenster gemeint sein, von welchen in dem rohen Holzschnitt nur die Blendbogen angegeben wurden, oder aber waren die Doppelfenster gegen 1550 zerstört und nur noch die Blendbögen erhalten geblieben. Die Seitenschiffe verdeckt in der Abbildung entweder die hohe Umfassungsmauer der Ortsbefestigung, oder es waren solche damals nicht mehr vorhanden und möglicherweise in die Umfassungsmauer verbaut. Endlich ist zu beachten, dass die Abbildung von 1550 durchaus nicht zuverlässig ist, die frühere Abbildung in der Ausgabe von 1544 zeigt unter dem Dache des Trichorums eine grössere Anzahl kleiner Fenster. –, Derartig geformte Kämpfer wurden in San Vitale zu Ravenna ebenfalls zur Fensterbildung verwendet, sie sind noch an den gekuppelten Fenstern über der Chorapsis erhalten. Die Möglichkeit, dass die erwähnten Kämpfer einer Arkadur, vielleicht auch Blendarkadur, angehört haben, ist nicht ausgeschlossen. Ähnliche Kämpferbildungen zeigen die Blendarkaden am Palaste Theodorichs zu Ravenna; die Auskehlungen fehlen dort, dagegen sind die Stirnseiten mit Blattwerk oder einem Kreuz verziert. (Abbildung bei Rahn, ein Besuch in Ravenna).

Fig. 22. Ingelheim. Kaiserpfalz. Kämpfer u gekuppeltes Fenster. (Rekonstruktion.) Einzelne Stücke im Museum zu Mainz.

Ähnlichkeit mit ravennatischen Bauten ist also auch beim Trichorum zu Ingelheim vorhanden und äussert sich solche sowohl in der Grundriss- und Querschnitt-Anlage, als auch in der Ausbildung der Einzelheiten. Die Baumeister der Karolingerzeit mögen bei ihren Profanbauten die in ihrer Art vollkommenen Vorbilder römischer Paläste vor Augen gehabt haben, der Palast des germanischen Königs, der von Ravenna aus Italien beherrschte, gab vermutlich weitere Anregung, und so konnte auf der Grundlage deutscher Verhältnisse und Gebräuche ein Werk entstehen wie die Kaiserpfalz zu Ingelheim.

Anklänge an die Antike finden sich noch mehrere Jahrhunderte hindurch, noch zur Blütezeit des romanischen Stiles, an deutschen Bauten. Die attische Basis, das jonisierende und korinthisierende Kapitäl, die Profilirung der Gesimse sind mehr oder weniger freie Nachbildungen römischer Bauglieder. Vorbilder waren damals in allen Culturstätten in grosser Anzahl vorhanden. In der Grundrissanlage aber vollzog sich schon frühzeitig, noch unter den Karolingern, eine bedeutsame Veränderung. Man begnügte sich nicht mehr mit der einfachen Grundform wie sie die altchristliche Basilika bot, ein Querschiff wurde zwischen Chor und Langhaus gelegt und mitunter ein weiterer Chor am Ende des Langhauses angebracht. Derartige Kirchen aus karolingischer Zeit, wie die zu Fulda, Cöln und St. Gallen, sind von der Erde verschwunden, die Grabkirche des grossen Kaisers hat sie überdauert, in Ravenna aber sehen wir noch heute mit Staunen und Bewunderung jene herrlichen Denkmäler kirchlicher Kunst, die, mit denen in Rom, die Vorbilder waren zu den frühesten monumental errichteten Gotteshäusern auf deutschem Boden.


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