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Die Stunde Sauls

Der Knabe David nahm
von der Wand das Saitenspiel,
wenn Gram
Sauls große Seele befiel.
Wenn dann der König irre mit dunklen Schatten stritt,
über die Leier die weiße Hand des Knaben glitt.

»Warum, Jehovah, o ewiger Zebaoth,
plagst du die Seele mit dieser trüben Not,
sträubst mir das Herz in Haß und Widerspruch,
wandelst Gebet in meinem Munde zu bösem Fluch?«

König Saul stützt schwer das Haupt und stöhnt.
Unter den Fingern Davids das goldene Cymbel tönt.

»Wer zu Sternen sich reckt, ist immer von Wolken umweht.
Heiter lebt nur, der bescheiden im Grunde geht.
Ihn verhüllt nie die Wolke, die deine Stirn umstrich.
Bist du nicht Saul, eines Hauptes höher denn alle um dich.«

Davids helle Hand tanzt munter mit jedem Klang.
König Saul springt das Herz schier vor wehem Drang.

»Mach mich bescheidener, Herr! Beug meinen hohen Mut!
Nicht will ich König sein, nur Mensch und weise und gut.
Scheuch das Gewölk von der Stirn! Mir taugen die Sterne
Hebe auf Saul wieder gnädig dein Angesicht!«

David schlägt das Spiel zu immer höherem Schall.
König Saul lauscht versunken dem jubelnden Widerhall.

»Saul, deine Stunde nimmt dir kein Gott von der Brust,
weil du damit deine Krone bezahlen mußt.
Bist du größer als andre, sei es in Schmerzen auch hier.
Deine Stunde gehört wie deine Seele zu dir.«

König Saul warf den Speer mit starker Hand,
daß er zitternd neben den schwarzen Locken Davids stand.
Als dann des Knaben Spiel in jähem Wimmern zerstob,
war es wieder Saul, der König, der sich zu Sternen hob.


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