Restif de la Bretonne
Monsieur Nicolas' Abenteuer im Lande der Liebe
Restif de la Bretonne

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5

Am 22. November vollendete ich mein siebzehntes Lebensjahr. Endlich kam die Meisterin aus Paris nach Hause.

»Frau Parangon.« Dieses Wort allein klingt heute noch an mein Ohr. Ich war gerade bei der Arbeit und machte es wie alle Leute: ich verließ sie (ich, der ich durch nichts gestört werden konnte) und begab mich hinab, aber schüchtern und hinter den anderen. Ich mußte sie erst suchen, weil eine Menge Arbeiter da waren. Tiennette war mit ihr. Obwohl ich in der Stadt wählerisch geworden war, fand ich in ihr die charmanteste Person, die ich in meinem ganzen Leben gesehen hatte. Sie stach sogar Jeannette aus, ebenso wie die schöne und rührende Edmée. Sie berücksichtigte alle und begrüßte jeden Arbeiter. Auch an mich kam die Reihe, obwohl sie mich nicht sah. »Der neue Lehrling?« sagte sie zu ihrem Mann. – – »Ich will ihn holen...« sagte der Faktor. Ich grüßte: »Gnädige Frau, ich habe die Ehre, Sie zu Ihrer guten Rückkehr in Ihr Haus zu beglückwünschen.« Dann verbarg ich mich hinter den anderen. »Ich bin Ihnen sehr verbunden, Herr Nicolas... Aber wo ist er denn?« – »Er versteckt sich«, sagte ironisch der schielende Degout, »das Verdienst ist bescheiden.«

Tiennette begrüßte mich, aber ich achtete nicht sehr auf sie. »Die gnädige Frau kennt Sie schon. Ich habe mich in meiner unfruchtbaren Begeisterung für Sie nicht sehr wohl gefühlt; ich bin nach Paris gegangen und habe die Gelegenheit benutzt, die gnädige Frau aufzusuchen; diese hat mich mit zurückgenommen. Jetzt riskiere ich nichts mehr.«

Die ganze Nachbarschaft lief, nachdem sie von ihrer Ankunft gehört hatte, zusammen, um die Frau Parangon zu begrüßen. Ich bemerkte mit Bewunderung und Freude, beinahe mit Stolz, wie sehr sie beliebt war.

Stellen Sie sich eine große Frau vor, entzückend proportioniert. Sie war nicht mehr als fünf Fuß vier Zoll groß; aber ihre vornehme Erscheinung, ihr entzückender Kopf gaben ihr den Anschein einer großen Gestalt, ohne ihr alle Grazie der Kleinheit zu rauben. Auf dem Gesicht sah man gleichzeitig Schönheit und Vornehmheit ausgebreitet, so schön, so pikant, so französisch; ihre Erhabenheit paarte sich mit Wärme; sie hatte eine Blässe, die mehr Leben als Farbe hatte, feine aschblonde und seidenweiche Haare; dichte, schön geschwungene und fast schwarze Augenbrauen. Ein schönes, blaues Auge, das durch lange Wimpern beschattet war, gab ihr ein engelhaftes und bescheidenes Aussehen als größten Reiz der Schönheit. Ihre Stimme war zaghaft, weich, klangvoll und traf in die Seele. Ihr Gang war gleichzeitig lüstern und dezent; sie hatte einen schönen Brustansatz, dessen beide Rundungen sich beinahe auf gleicher Höhe der Schultern wölbten, und einen vollendeten Arm; ihr Bein war so, wie man sich das schönste Bein vorstellen kann; ihr Fuß war reizend, so wunderschön geformt, wie ihn wohl niemals eine Frau gehabt hat. Sie zog sich mit einem exquisiten Geschmack an, der immer bewundert wurde. Es schien, daß sie auch der einfachsten Kleidung den sieghaften Reiz des Gürtels der Venus geben konnte, dem man nicht widerstehen kann. Sie hätte auch den bizarrsten Stoff wählen können.

So sah Colette bei ihrer Ankunft aus Paris aus. Ich war starr stehengeblieben, nachdem sich die ganze Menge verlaufen hatte, um sie zu bewundern, und sah und hörte nur auf sie. Frau Parangon sagte zu Tiennette, die ihr beim Auskleiden half: »Was du mir von meinem jungen Landsmann gesagt hast, macht mir viel Freude. Ich sehe, daß er ein braver Junge ist.« – »Oh, gnädige Frau, nie hat es einen braveren und ehrenwerteren Jungen gegeben.« – »Ich interessiere mich zweifach für ihn, da er nicht nur Lehrling des Hauses, sondern sein Vater ein Freund des meinen ist. Wo ist er?« Ich erwachte bei diesem Worte und ging hinein. Man hätte glauben können, ich käme aus dem Wirtshaus. »Herr Nicolas«, sagte mir die Meisterin, »kommen Sie her. Sie sind der Sohn eines Freundes meines Vaters. Verdienen Sie sich auch meine Freundschaft. Mein Mann ist entzückt von Ihnen, der Faktor auch; das freut mich. Sie werden nicht daran zweifeln, wenn ich Ihnen sage, daß ich es bin, die Ihren Eltern vorgeschlagen hat, Sie zu uns in die Lehre zu schicken. Ich wußte von Ihren kleinen Reibereien mit Ihren Brüdern. Vielleicht haben Sie unrecht gehabt, aber Sie sind jung und die Jugend muß, wie ich glaube, einige Dummheiten machen, um dann um so bestimmter brav zu sein.«

Als sie so sprach, lächelte sie und suchte etwas; nachdem sie diese Worte beendet hatte, nahm sie eine silberne Uhr und gab sie mir mit folgenden Worten: »Ein guter Arbeiter wie Sie wird sich freuen, auf die Uhr sehen zu können. Hier!...« Ich wußte nicht, wie mir wurde. Mir eine Uhr?! Ich war vor Freude ganz trunken, ebenso wegen des Geschenkes, wie wegen des Umstandes, daß ich es von Frau Parangon erhalten hatte. Welche Auszeichnung für mich, welche Freude für meine Eltern! Meine Dankesbezeugungen ließen meine lebhafte Rührung sehen. Sie waren so überschwenglich, so wenig zusammenhängend, daß sie Colette lächeln machten. Tiennette zog sie weiter aus; sie war im Korsett und einfachen Unterrock. Ich bewunderte sie. Ich verschlang alle ihre Reize, aber mit einer naiven, unschuldigen Miene, die indessen nur in meinem Gesicht lag, während meine Sinne kochten. Da Tiennette einen Augenblick beschäftigt war, etwas zu ordnen, reichte mir Colette eines ihrer diskreten Kleidungsstücke, um es auf die anderen zu legen. Ich küßte es im verborgenen, aber Tiennette sah es. Endlich bemerkte ich, daß es schicklich wäre, wenn ich mich zurückzöge.

Seit der Rückkunft von Frau Parangon wurde ich von den Arbeitern ganz anders angesehen. Ich wurde wie der Sohn des Freundes ihres Vaters geachtet. Man setzte das »Herr« vor meinen Namen. Ich war erfreut. »Ah«, dachte ich mir, »diese schöne Frau hat nach allem, was ich sehe, auf diese Leute die gleiche Macht wie auf mein Herz.« Als ich das erste Mal meine Uhr hervorzog und sie in den Setzkasten zu den großen Buchstaben legte, um meine Seiten nach der Stunde zu regeln, kamen alle Arbeiter, sie zu bewundern. – »Das ist aber eine schöne Uhr.« – »Von wem haben Sie sie?« – – Tourangeot, welcher damals die Funktion hatte, das Papier zu reichen, antwortete für mich, daß die Meisterin sie mir mitgebracht hätte. »Die Meisterin!« Dieses Wort wurde gleichzeitig von allen Arbeitern ausgesprochen. »Ich beglückwünsche Sie, Herr Nicolas«, sagte der Faktor. »Sie wissen doch, daß ich Sie immer gerecht behandelt habe.« – »Ich weiß es, Herr Bourgoin; ich weiß, daß Sie immer sehr viel Geduld mit mir gehabt haben.« – »Das heiße ich antworten«, rief der gute Mann aus. Bourgoin, der anständigste der ganzen Bande, küßte mich mit tränenden Augen. »Frau Parangon kennt Sie besser als uns.« »Er wird nun wohl bei Tisch essen«, sagte er zu den Arbeitern. »Wie hat er sich nur ins rechte Licht gesetzt?« rief Tusignies aus, der mir vor zwei Tagen einen Fußtritt gegeben hatte, weil ich nicht bemerkt hatte, daß der Napf, der vor seiner Presse stand, mit Wasser gefüllt werden sollte. Der Faktor antwortete ihm: »Haben Sie es nicht gesehen; durch seine Weisheit und Ehrenhaftigkeit und durch das Stillschweigen über einige Vorfälle.« Jeury, der Normanne, der die Kusine des Herrn Parangon zur Frau hatte, sagte dann: »Als Herr Nicolas am Tage seiner Lehrlingsprüfung sein Einstandsgeld bezahlte, habe ich es sofort erkannt, daß er ein Mann aus guter Familie ist. Habt ihr auch bemerkt, daß er nur einen ganz kleinen Schluck getrunken hat, und daß er dann, nachdem er uns begrüßt hatte, verschwand?« – »Ich werde nun geachtet«, dachte ich bei mir, »aber nicht wegen meiner Verdienste, die kein großes Aufsehen erregt haben, sondern wegen des Respektes, den ihre Schönheit, ihre Güte und alle Eigenschaften und Tugenden, die in dieser Frau vereinigt sind, einflößen.« – Ich kann diese Eigenschaften nicht benennen, denn sie sind über alle Worte erhaben.

In dem Moment, als ich Frau Parangon sah, liebte ich sie. Wenn ich Colette schon kennengelernt hätte, als mein Herz sich vollkommen entfaltete, anstatt Jeannette Rousseau, hätte ich sie wohl als einzige angebetet. Aber da ich sie nicht gesehen hatte, und sie immer zu weit von mir entfernt war, so daß ich mich ihr erst nähern konnte, als mein Herz schon entblättert war, nicht nur durch die Liebe, sondern auch durch die Begierden und vor allem anderen durch die Laster der Stadt, so wäre Colette, meine Göttin, gewiß nie reiner angebetet worden. Die Begierde mischte sich in das Gefühl der Zärtlichkeit. Ich sah mehr ihre Reize als ihre Tugend; mein Herz wünschte nicht immer, daß das ihre noch unberührt sei; im Gegensatz zu jetzt habe ich früher immer gewünscht, daß Jeannette ebenso tugendhaft wie liebenswert sei.

Ich begann auf Herrn Parangon eifersüchtig zu werden. Er schien mir dieses Glückes unwürdig, das er nicht so empfinden könnte, wie ich es fühlen würde. In allen Romanen, die ich las, sah ich Colette. Sie drückte ihnen ihren Stempel auf und gab den Heldinnen Reize, die über alle Einbildung hinwegragten. Meine Phantasie sah Colette fortwährend in den Armen des lüsternen Parangon, welcher sich aller ihrer Reize erfreute (mein Gedanke war »sie entehrte«...). Meine Sinne entzündeten sich, und ihre Aufwallungen erstickten die tugendhaften Gefühle meines ehrlichen und zärtlichen Herzens, eines Herzens, das man für gewöhnlich bei lebhaftem Temperament nicht hat. Diese Aufwallungen waren manchmal so stürmisch, besonders wenn ich mit dem Meister im Beisein Colettes eine Korrektur las, daß ich gezwungen war, aufzuhören. Ich entfernte mich ganz gekrümmt und konnte mich gar nicht aufrechthalten. Eine Kolik, fast immer vorgetäuscht, von denen ich in meiner ersten Jugend sehr geplagt worden war, wenn ich ohne Zweck mit Mädchen spielte, war die Entschuldigung. Mich tröstete nur, daß mir Herr Parangon nicht besonders geliebt schien. Ohne es zu wollen, entflammte ich für Colette in gefährlicher Weise; verbrannt von Begierde suchte ich eine Möglichkeit, die glühende Flamme zu löschen, die unerträglich geworden war. Meine frühere Handlungsweise gegen Tiennette diente mir als Schild gegen dieses junge Mädchen.

Aber ach, wir hatten sehr schöne Mädchen als Nachbarinnen: rechts die drei Schwestern Baron, namens Madelon, Berdon und Manon. Links wohnte die schöne Prudhot, die Tochter eines Spezereiwarenhändlers, von der ich schon gesprochen habe. Mein Mut, meine Tugend und meine ausgezeichnete Konstitution, unterstützt durch die Sitten der Stadt, gestatteten mir nicht, begierdenlos diese jungen Mädchen täglich aus nächster Nähe zu sehen. Andererseits wurde ich durch meine Schüchternheit zurückgehalten. Ich schwankte fortwährend. Wenn ich meine Nachbarinnen oder Tiennette sah, begehrte ich sie. Aber mit dem Moment, als Frau Parangon erschien, war ich eher entzückt als enttäuscht über die Umstände, die mich von den anderen zurückgehalten hatten. Ich atmete nur mehr für meine Göttin. Mit unermeßlichem Vergnügen führte ich auch ihre geringsten Befehle aus.

Ich traf d'Arras oft; ich liebte ihn und Gaudet gleich freundschaftlich. Aber dem ersteren gab ich den Vorzug und belehrte mich bei ihm, während der zweite mich als seinen Meister ansah, als seinen Führer, als sein Orakel. Unglücklicherweise verschaffte die Vertraulichkeit, ohne daß ich es wollte, dem d'Arras Kenntnis über den Zustand meines Herzens. Ich erzählte ihm, allerdings ohne genaue Namen zu nennen, von Fräulein Prudhot, die damals noch krank war, und die ich nach unserer reizenden Unterhaltung nicht mehr gesehen hatte, von Madelon, von Fanchette. Vielleicht las er in meinen Blicken, in meiner Miene, in einigen unbeabsichtigten Worten meine Liebe für eine angebetete Frau. D'Arras hörte mir aufmerksam zu. Er erkannte die Unschuld meines Herzens. Aus Freundschaft unternahm mein Vertrauter, mich zu heilen. Er sagte mir, um romanhafte Beziehungen zu vermeiden, die mich nur unglücklich machen könnten, um von den Frauen nicht unterjocht, nicht vernichtet zu werden, sei es notwendig, daß ich die besäße, die ich liebte. Dann würden wir die Rollen tauschen und ich, Herr meiner Gefühle, würde mich über diese Wallungen erheben, die sie in mir erregten, über die Trunkenheit, die sie nährten. Dann würde ich nicht mehr von den Frauen abhängig sein, ich würde sie im Gegenteil von mir abhängig machen; wenn ich sie als Herr behandle, würde ich nur noch mehr geliebt werden. Er erwähnte die Beispiele, die wir in der Stadt vor Augen haben; unter anderem den schönen Rutot, dem alle schlechten Frauenzimmer ebenso nachliefen wie die Bürgerstöchter. Dies käme daher, weil er sie zu verachten scheine. Eine einzige bilde eine Ausnahme: Xérine Legueux verachte ihn ihrerseits, da er vor ihr krieche (ich konnte an der Wahrheit dieser Beispiele nicht zweifeln, da ich ihr mehrere Briefe für Rutot geschrieben hatte). D'Arras erwähnte dann einen gewissen Bruder Hermine, der dreißig Anbeterinnen habe, da er sich vor den Frauen nicht fürchte, während Bruder Boulanger, der ihm wohl gleichkomme, seit drei Monaten für ein junges, aber häßliches Frauenzimmer schwärme, das nur ihre hübsche Gestalt und ihre Jugend habe.

»Aber ich muß dir auch meine Erfahrungen erzählen«, setzte er hinzu. »Wenn ich dem Fräulein Guigner mehr gefolgt wäre, hätte ich diese oder jene Erfahrung auch noch gemacht. Ich zeigte mich zu feurig, und die Frauen haben mit mir gespielt.

Ich habe jetzt ein Verhältnis mit Fräulein Bourgoin (ich sage dir das im Vertrauen); sie war über die Gefahr sehr erschrocken, in die mich meine Kühnheit brachte. Ich habe mich seinerzeit an sie gewandt, und sie hat mir bereitwilligst den Hausschlüssel gegeben, indem sie ihren guten Ruf riskierte. Deine Güte bewahrte uns vor Unannehmlichkeiten. Sie hat sogar noch mehr bewirkt. Du wurdest unser Rettungsengel. Ich habe aus meiner Unklugheit gelernt und eine entzückende Freude erlebt. Sie ist sehr eifersüchtig, und die Eifersucht ist empfindlich, wenn es sich um ein junges, hübsches Mädchen handelt. Sie wartet darauf, mich vorübergehen zu sehen. Wenn ich mich nur sehen lasse, ist sie schon begeistert. Ich werde immer mit großer Liebe empfangen, und das, weil sie gesehen hat, daß ich nicht dazu geschaffen bin, den Schmachtenden zu spielen und mein Licht unter den Scheffel zu stellen. Was dich anbelangt, werde ich dir jetzt im Vertrauen mitteilen, daß du viel glücklicher bist, als du denkst. (Sagte er das, um mich mutiger zu machen, oder wußte er etwas? Ich habe es nie erfahren.) Ich habe aus einigen Worten, die Manon entschlüpft sind, gehört, daß du Frau Parangon bestimmt nicht ganz gleichgültig bist, daß sie dir trotz des Vergnügens, sich mit dir zu unterhalten, oft aus dem Wege geht. Freund, das wiegt mehr als ein Mädchen! Man riskiert nichts für die Zukunft. Wage es, wenn du eine Gelegenheit findest; wage es, wiederhole ich dir, wage es mit Zuversicht. Vielleicht empfindet sie im Grunde ihres Herzens Mißvergnügen, daß du so schüchtern bist. Eine Frau, sogar die verständigste, liebt es, sich wenigstens aus ihrer Niederlage eine Ehre zu machen. Immer fühlt sich eine Frau entweder gehoben durch die Verteidigung oder sie empfindet Genugtuung über eine Niederlage. Gib ihr doch wenigstens eine dieser Freuden oder gar beide auf einmal. Es ist grausam, unmenschlich, einer Frau alles zu versagen, einer Frau, die wert ist, daß man ihr alles opfert. Was die Mädchen anbetrifft, so glaube ich nicht, daß die schöne Baron eine Vestalin ist, und da du doch einen Versuch machen mußt, würde ich bei ihr beginnen, das Terrain zu sondieren. Wenn erst andere dir zuvorgekommen sind, würdest du dich dann noch der Lächerlichkeit aussetzen wollen, deine Göttin von verachtungswürdigen Herzensjägern lieben zu lassen? Bei der kleinen Prudhot ist das eine andere Sache. Sie ist brav und benimmt sich nicht so frei. Aber nur die Heirat ist nach meiner Ansicht ein wirklicher Gewinn. Jetzt allerdings bist du noch zu jung, um zu heiraten. Ich weiß, was du beanspruchen kannst.«

Die Ratschläge, die mir d'Arras in bezug auf die Frauen gab, waren von dem Gedanken an das Glück getragen. Ich war versucht, ihnen zu folgen, aber sie überzeugten mich nicht. Es waren meine Leidenschaft und das Ungestüm meines Temperaments, die mich zwangen, die Liebe zu suchen.

Ich begann endlich, etwas freier zu denken. Die Begierde und der Genuß traten an die Stelle der Zärtlichkeit, die bis dahin in meinem Herzen gewohnt hatte.

Frau Parangon hatte einen Vorzug, dem ich nicht widerstehen konnte: einen entzückenden Fuß. Dieser Reiz erzeugte in mir durchaus kein keusches Empfinden. Übrigens war dieser Vorzug bei ihr schwerwiegender als bei anderen Frauen, die mir vorher gefallen hatten. Die Schuhe, die in Paris mit dem ausgezeichneten Geschmack hergestellt wurden, den eine schöne Frau zu entwickeln versteht, hatten die wollüstige Eleganz, die die Seele und das Leben zu vereinigen scheint. Manchmal trug Colette einen weißen Leinwandschuh oder einen mit silbernen Blumen; manchmal rosa mit grünem Stöckel. Ihr zierlicher Fuß, weit davon entfernt, den Schuh aus der Form zu bringen, vergrößerte im Gegenteil seine Zierlichkeit und machte seine Form noch anziehender. Nach dem Gespräch mit Gaudet, dessen Richtigkeit ich aus den Werken von Lafontaine, Grécourt, Vergier und Boccaccio ersehen konnte, suchte ich begierig alles zu sehen, was mein Verlangen anregen konnte. Früher hatte ich dies unterdrückt. Ich wollte, ebenso wie mein Freund, der ältere Deschamps, ein Verwandter des Fräulein Baron, der treu bleiben, die einst meine Gefährtin werden würde; aber diese Ideen änderten sich, nachdem ich mich mit d'Arras und Gaudet von Varzy zusammengetan hatte.

Der letztere war ein kräftiger, aber etwas bornierter Bursche, den seine Kraft immer lasterhafte Reden führen ließ, deren Ungeschlachtheit nicht verführen konnte, obwohl sie die Sinne aufregte. Der andere war ein Mönch, aber ein Feind seines Standes, der in seinen Reden und Handlungen die Freiheit der Weltmenschen übertrieb aus Angst davor, man könnte ihn für einen Frömmler halten.

Um die Katastrophe zu beschleunigen, derer ich mich nur zitternd erinnere, passierte es, daß Gaudet von Varzy, der mich für ein Wesen hielt, das hoch über ihm stand, glaubte, die Diskretion nicht zu verletzen, wenn er mir anvertraute, daß eines Sonntagsmorgens Jaquette, die Frau seines Vormundes, sich in der Abwesenheit ihres Gatten und ihrer Dienstboten das Mieder von ihm hatte zuschnüren lassen. Als die entzückende Taille zugeschnürt war, habe das eng anliegende Korsett eine Alabasterbüste entblößt; er, Gaudet, hätte, entflammt und bebend vor Begierde, diese Reize mit seinen Augen verschlungen, diese Reize, die er beinahe berührte, und er hätte Jaquette fast umgeworfen, indem er sagte: »Sterben oder Sie besitzen!« Der stramme Gaudet versicherte mir, daß er seine Idee auch ausgeführt hätte, wenn das Stubenmädchen nicht gerade gekommen wäre. »Es war gerade dreiviertel Neun«, fuhr er fort, »Frau Minon legte ein Kleid an. Marie zog ihr die Schuhe an, und sie ging aus, um auswärts zu essen. Marie, die ihr nachkommen sollte, stieg in ihr Zimmer im zweiten Stock, um sich ein wenig anzuziehen. Trunken vor Wollust schlich ich ihr nach. Ich entdeckte sie und benutzte den Augenblick, als sie halb ausgezogen war. Ich warf mich wütend vor Verlangen auf sie; sie will sich verteidigen, ›Ich erdolche dich‹, sagte ich ihr, ›und mich nachher! Ergib dich.‹ – ›Du wirst mich zugrunde richten.‹ – ›Fürchte nichts.‹ – ›Du wirst mich heiraten?‹ – ›Ja, zum Teufel, ich werde dich heiraten.‹

Das Mädchen verteidigte sich noch immer. Aber ich hatte sie. Meine Kraft, meine Geschwindigkeit hatten sie überwunden. Sie gab nach. Ich hielt sie mehr als eine Stunde zurück. Ich war unersättlich und verließ sie erst, als ich an der Straßenpforte klopfen hörte, die ich, bevor ich hinaufgegangen war, verschlossen hatte. Es war eine Dienerin von nebenan, die nach Marie fragte. Du kennst sie wohl, dies ungeschlachte Ding, immer gut aufgelegt, immer lachend, immer mit Blumen im Haar, die bei der jungen Nannette Bourdeaux wohnt. Oft schon hat sie sich über mich lustig gemacht. (Ich verdiente es wohl. Ich gestehe, daß mein Aussehen und mein Gang linkisch sind.) ›Sie wohnen da oben?‹ sagte sie zu mir. – ›Die Mücken haben mich die ganze Nacht gestochen. Ich habe kein Auge zugemacht.‹ – ›Armer Kerl, aber Sie werden die Schnaken inzwischen doch umgebracht haben, nicht wahr?‹ – ›Das will ich meinen‹ ... Da ich Marie in ihrem Zimmer wußte, glaubte ich, sie werde herunterkommen. ›Ist sie in ihrem Zimmer?‹ – ›Ja.‹ – ›Wie komme ich hin?‹ – ›Hier entlang.‹ Ich stieß sie in die Schreibstube. Sie ging hinein und lachte über mich. Als wir im Zimmer waren, beim Kanapee, wo Frau Minon ihre Besucher niedersetzen ließ, brachte ich sie sanft zum Hinsetzen, und da die Vorhänge zugezogen waren, war es ganz finster. Ich hielt sie kräftig nieder, und sie war überwunden, bevor sie noch recht merkte, daß sie angegriffen war. Marie war fortgegangen, ohne uns gehört zu haben; sie hatte die Türe doppelt verschlossen. Da ich nicht hinaus konnte, mußte ich dableiben. Nannette hatte sich dadurch, daß ich ihr versprach, sie bei meiner Großjährigkeit zu heiraten, besänftigt. Sie hatte gutwillig nachgegeben. Jetzt waren's schon zwei! Wenn ich damals das gewußt hätte, was ich heute weiß, hätten sie lange warten können! ... Wenn du wüßtest, wie die Frauen mir nachlaufen, wie sie nachgiebig sind. Aber leider ist mir die Herrin entgangen ... Ha, wenn sie sich nur nochmals von mir schnüren ließe!«

Buisson, der später als Schiffsleutnant den Tod fand, war mir drei- oder viermal mit Gaudet d'Arras oder mit Deschamps begegnet, und wir hatten uns miteinander unterhalten. Als er mich eines Tages allein traf, kam er zu mir. »Nicolas«, fragte er mich, »soll ich dir ein Lied vorsingen, das ich gestern abend gedichtet habe und durch unseren Lehrburschen der schönen Pensionärin der Frau Hardouin, Fräulein Emilie Laloge, geschickt habe?« Ich hörte ihm zu, ohne zu antworten, und er sang mir das infamste Couplet vor, das ich je gehört hatte. »Du kannst dieses Couplet doch nicht einem so anständigen, hübschen und delikaten Fräulein geschickt haben?« – »Ach was, sie wird darüber lachen wie eine Verrückte ... Und du? Als du ein Gedicht auf Josephine Paintendre machtest, in dem du sie, warum weiß ich nicht, mit Macaria vergleichst, wo sie doch nicht im Rufe steht, von ihrem Bruder ein Kind zu haben?«

Als die Messe aus war, traf ich Gaudet, der mir erzählte, was er mit den zwei Stubenmädchen getrieben hatte. Ich hörte ihm, ohne ihn zu unterbrechen, zu. Ich war in tiefem Nachsinnen, starr von dem, was ich sah, was ich hörte. Den gefährlichsten Eindruck machte nicht die Erzählung der doppelten Abfertigung der Stubenmädchen, wohl aber das Bild von Frau Minon, das mir so unverblümt vor Augen gehalten wurde, im Korsett, im kurzen Unterrock, mit hübschen Schuhen, die Brust entblößt. Ich empfand ein unfaßbares Durcheinander, das mich an die Verirrung bei Marguerite erinnerte, eine Verirrung, die um so mehr zu fürchten war, als die geheimen Seitensprünge immer dazu geeignet sind, die Jugend schneller zu verlieren. Martial sagt nur: »faciunt praecipitantque virum.«

Als ich nachher zurückkehrte, um zu lernen, fand ich Frau Parangon elegant angezogen, in Schuhen mit Heckenrosen, grünen Rändern und Stöckeln; eine hübsche Brillantagraffe schmückte sie. Da sie neu waren, drückten sie sie scheinbar, oder auch, nachdem sie im Hochamt gewesen war, wo sie kommuniziert hatte, wollte sie sie vielleicht nur schonen. Sie zog grüne Pantoffel mit roten Stöckeln und Bändern an. Ich blieb unbeweglich stehen und verschlang sie mit meinen Blicken. Tiennette stellte die Schuhe der Herrin auf ein kleines Tischchen neben der Tür. Alle beide gingen in den ersten Stock hinauf und ließen mich auf ihre Rückkehr warten. Fortgerissen durch die brennendste Leidenschaft glaubte ich die angebetete Colette zu berühren, indem ich das, was sie eben getragen hatte, betastete. Ich preßte das eine Kleinod an die Lippen, während das andere wider die Natur, indem es seinen heiligen Zweck verleugnete, mich restlos in Verzückung versetzte. Eine genaue Erklärung ist unmöglich ... Die Wärme, die sie dem toten Ding mitgeteilt hatte, das sie berührt hatte, gab ihm eine Seele. Eine Wolke von Wollust bedeckte meine Augen.

Wieder beruhigt, schrieb ich mit ganz kleiner Schrift in einen der Gegenstände meiner kochenden Begierde: »Ich bete Sie an!« und ich stellte die eleganten Schuhe an ihren Platz zurück. Während ich mich diesem Entzücken überlassen hatte, bemerkte ich trotz meines feinen Ohres nicht, daß jemand hereingekommen und dicht neben mich getreten war. Die unschuldige Tiennette hatte mich gesehen, aber sie verstand von meiner Tat nichts, und sie ging wieder hinauf, um ihre Herrin zu holen. Frau Parangon kam überraschend herunter, glücklicherweise erst in dem Moment, als ich schon schrieb.

Ein leichter Lärm auf dem Vorplatz ließ mich hinausgehen. Sie las wohl während der Zeit, denn ich bemerkte, als ich zurückkam, nur mehr den Rockzipfel der Tiennette, und auch die veränderte Stellung der Schuhe war bezeichnend. Was könnte man über mein bizarres und rasendes Lustempfinden sagen! Es schien mir den Weg zu ebnen, der zu Colette selbst führte. Ich wurde nachdenklich, schweigsam, scheu, aber toll vor Begierde. Doch war der einzige Gegenstand meines wütenden Begehrens Colette, adhuc virgo a nullo tacta viro.

Ich küßte mit Begeisterung, mit Liebesraserei alles, was sie berührt hatte, und meine Wünsche flackerten noch mehr auf. Ganz besonders eines Tages, als ich mich in der Wäschekammer der ehrbaren Frau befand, wo sie ihre abgelegte Wäsche aufbewahrte. Ich ergriff begierig alles, was sie am Körper getragen hatte, preßte meinen vor Wollust zitternden Mund an ihr Halstuch, an ... an alles, was ich für vela secretiora penetralium hielt, und zwar mit einer Begeisterung, die man nicht schildern kann. Wenn ich sie in dieser meiner Aufregung allein getroffen hätte, hätte ich wohl Gewalt angewandt.

Ich ging in mein kleines Stübchen, wo ich mich, anstatt zu arbeiten, mit Colette beschäftigte; hier war ich, fern ihren Blicken, mutiger und ich beglückwünschte mich dazu, daß sie meine Worte »Ich bete Sie an!« bemerkt hatte. »Sie weiß es zum mindesten«, dachte ich. Aber als die Tischglocke ertönte, kam meine Schüchternheit zurück, ich stieg wie ein Verbrecher, der vor seine Richter gerufen wird, hinunter.

Wir speisten allein, die Meisterin und ich. Herr Parangon und der Faktor, beide Freimaurer, waren in der Loge auf dem Lande, und Manon Bourgoin benutzte die Abwesenheit ihres Vaters, des Meisters der Loge, um mit Gaudet d'Arras im tête à tête zu essen, was sie vor ihrer Mutter durchaus nicht verheimlichte.

Ich senkte die Augen und blieb stehen. Frau Parangon sagte mit besonderem Ton in der Stimme, den ich noch zu hören glaube: »Nehmen Sie doch Platz.« Sie saß schon; ich setzte mich neben sie. »Wir sind nur zwei; setzen Sie sich doch mir gegenüber.« Sie legte mir vor, und ich aß schweigsam. Sie sprach auch nichts. Ich war in einer schwer zu beschreibenden Stimmung. Anfangs war ich fast ärgerlich über meine frühere Kühnheit, dann machte ich mir nichts mehr daraus ... Endlich sagte Frau Parangon zu mir: »Sie träumen?« – »Ja, Madame, ich träume.« – »Essen Sie doch, da Sie ja bei Tisch sitzen.« Ich antwortete: »Ja, Madame«, aber ich wußte nicht, was ich sprach. »Waren Sie im Hochamt?« – »Ja, Madame.« – »Haben Sie auch kommuniziert?« – »Sie wissen doch, daß der Priester hinter dem Chor die Hostie nicht reicht.« – »Nein, ich wußte es nicht ... Da haben Sie ein Stück Brot.« Sie reichte es mir auf einer silbernen Platte und gab es mir. »Sie sind sehr verschlossen?« – »Ja sehr, Madame«, und ich wickelte das Stück Brot, das sie durch ihre Berührung geweiht hatte, in ein Papier. »Sie wollen es verschenken?« – »Ich es verschenken? Gott möge mich beschützen!« – »Was wollen Sie damit tun?« – »Es aufbewahren, Madame, wie man Sachen aufbewahrt, die man von Personen bekommen hat, die man unendlich verehrt.« – Sie lächelte, errötete und sagte zu mir: »Das ist aber doch kein solcher Gegenstand.« Ich war versucht, ihr das zu sagen, was ich niedergeschrieben hatte: »Ich bete Sie an!« und ich stürzte hinaus, um meine Aufregung auf der Liebesinsel zu dämpfen, auf der Insel, wohin ich manchmal am Sonntag ging, um zu dichten oder Romane von Villedieu zu lesen oder mit dem älteren Deschamps über Literatur zu plaudern.

Die Stärke der Gefühle, die mir Colette eingab, ließ mich für Manon Prudhot und für das älteste Fräulein Baron erkalten. Erstere wurde wieder gesund, aber sie hatte die Hälfte ihrer Reize eingebüßt, und ihr Charakter litt darunter; sie war nicht mehr so nachgiebig gegen mich. Sie wurde eifersüchtig und anspruchsvoll. Sie fand es vor allem schlecht von mir, daß ich meine Haltung ihr gegenüber noch nicht geändert hatte; ich ließ mich nicht mehr bei ihr blicken. Was Fräulein Madelon Baron anbelangt, so sah sie mein Erkalten, ohne zu grollen. Sie lächelte nur, wenn sie mich sah. Ich errötete, als ob sie meine Schwächen gekannt hätte. Ich glaubte sie manchmal sagen zu hören: »Da kommt ja der zarte Verehrer der Pantoffel und der Schuhe der Frau Parangon! Diese würdigen Gegenstände nehmen sein vornehmes Herz ganz gefangen.« Der Anblick Colettes aber gab mir meine Begeisterung und meine außergewöhnliche Leidenschaft zurück.

In diesem Lebensabschnitt passierte mir etwas sehr Merkwürdiges im Hinblick auf meine Anlagen und auf die schönen Frauen, die mich umgaben. Eines Abends bei starkem Winde und tiefer Finsternist entdeckte ich Jeanneton, das zweite Stubenmädchen der drei Fräuleins Baron, auf den Stufen des Uhrturms sitzend. Die häßliche Jeanneton hatte ein kugelrundes Gesicht. Ganz in Gedanken an ihre älteste Herrin sagte ich mir: »Immerhin ist Jeanneton nicht so häßlich ...!« Ich trug schnell meinen Hut ins Haus, verschloß unsere Tür, und als ich wieder heraustrat, kam mir der Gedanke, über sie herzufallen. Das Mädchen war erstaunt (da ich ohne Zweifel der erste Mann war), so daß sie stillhielt. Alle ihre Reize (soweit sie Reize hatte) schienen mir ganz unberührt. Wirklich hatte sie noch niemand gehabt. Durch all dies aufgeregt, ohne nachzudenken, ganz außer mir durch die Vorstellung anderer Schönheiten, die ich mir, kühn gemacht durch die Einsamkeit und die Dunkelheit, vorstellte, begünstigt durch ihre Unerfahrenheit und ihre automatisch-natürlichen Bewegungen, erreichte ich einen schönen Sieg. Nachdem alles vorbei war, erhob Jeanneton sich langsam, und ich bemerkte, daß ihre Gestalt, die gewöhnlich unten breiter war als oben, während meines Glückes gewonnen hatte. Trotzdem ging ich mit großen Gewissensbissen heim. Ich wagte nicht auf jemanden zu warten, und als Bardet kam, ging ich schlafen.

Am nächsten Morgen bedrückte mir die Erinnerung an meinen Genuß das Herz. Ich glaubte, daß jeder auf meiner Stirn lesen könnte: »Der Geliebte der schmutzigen Magd der jungen Damen Baron.« Ich sprach während des ganzen Vormittags nichts. Mittags wagte ich nicht einmal, mich an der Haustür zu zeigen. Aber als wir gerade bei Tisch saßen – dies war wohl eine Schicksalstücke – sandte Marote ihre Magd, Tiennette um etwas zu bitten. Jeanneton errötete, als sie mich erblickte. Ich schämte mich noch mehr als sie, und mein Gesicht war feuerrot. Bourgoin sagte: »Wirklich, ich glaube, dieses Geschöpf hat einen Liebhaber. Sie putzt sich auf lächerliche Art heraus und ist nur mehr halb so unappetitlich, als ich sie vorige Woche gefunden habe.« – Jeanneton ging hinaus. »Wie, sie hat eine Taille!« setzte er hinzu. Einer sagte, daß ihr Marote und Tiennette Geschmack beigebracht hätten. »Man wird sie nicht mit Glacéhandschuhen angepackt haben«, sagte Herr Parangon.

Ich war von einer so langen Unterhaltung über eine derartige Sache erstaunt. Es schien mir sogar, daß man mich dabei hämisch anblickte. Ich konnte diese Blicke nicht aushalten und ging zur Haustür. Ich erspähte Madelon an der ihren. Aber statt des ergebenen Grußes, den sie mir gewöhnlich schenkte, wandte sie ihren Kopf weg. »Ich bin verloren. Diese verdammte Jeanneton, die so dumm wie häßlich ist, wird alles gesagt haben. Jetzt sitze ich schön in der Tinte«, und ich verfluchte mich.

Ich konnte nicht zweifeln, daß Madelon alles wußte. Ich blieb unbeweglich stehen, als Jeanneton kam, um auszugehen. Sie lief vorüber, als ob sie vor mir Angst hätte, ein Zeichen von Vertrautheit, was mich sehr genierte. Frau Parangon kam dann auch zur Haustür. Ich hätte in den Boden sinken können! Ihr Blick, der mir ironisch schien, beschämte mich derart, daß meine Liebe zu ihr in die letzten Falten meines Herzens flüchtete. Ich schlich schnell hinein, als sie mir die Türe geöffnet hatte. Ich sprach auch diesen Nachmittag nichts mehr. Nie kam etwas den Qualen gleich, die mir die Erinnerung an mein Glück auslöste, an das Glück, das ich ungeachtet der Vollendung der Reize und der Weichheit ihrer Haut gewiß nicht als solches ansah. Jeanneton hatte nämlich harte und rauhe Arme. Dieser mein Zustand dauerte beinahe eine Woche. Endlich beruhigte ich mich.

Die Manie zu dichten hatte sich trotz meines mangelnden Talentes erneuert, seitdem ich durch meine Taten aus dem Geleise geworfen worden war. Aber die äußeren Anstrengungen, die ich machte, um dies zu verbergen, bewirkten, daß ich von niemandem Ratschläge erhielt. Es wurde schon gesagt, daß ich für mich selbst die Kunst, zu Schriftstellern, erfinden mußte. Ich tat dies, indem ich von Vorlagen, sei es in Versen, sei es in Prosa, abschrieb. Ich lernte fast ohne Hilfe zwei Sprachen, die lateinische und die griechische. Ich schrieb meine Werke nach ganz neuen Gesichtspunkten, in einer ungewöhnlichen Manier, wie sie ein Schriftsteller aus der Zeit des Ronsard angewandt hätte. Nach den Richtlinien, die ich gab, sollte man alle meine Werke lesen.

Am nächsten Sonntag ging ich zu Fräulein Manon Gauthier, derselben, die bei meiner Ankunft in der Stadt die Meisterin vertreten hatte. Sie war sehr hübsch angezogen und flößte mir heftige Begierden ein. Da ich keine andere Möglichkeit hatte, diese zu befriedigen, als meine Feder, lief ich in mein kleines Zimmerchen, wo ich alles, was diese große Spötterin Appetitliches hatte, in Reime brachte.

Eine kleine Unachtsamkeit von Berdon, der Schwester von Madelon, regte mich zu den Versen an, die um zwei Tage später datiert waren, als meine Epistel an Jeannette.

Die junge Berdon stand eines Abends, an dem ich zeitig zurückgekommen war, fast nackt in ihrem Zimmer und suchte fleißig Flöhe, ohne einen Vorhang zugezogen zu haben. Ich hatte mich ohne ein Licht an das Fenster gestellt und paßte auf, ob Frau Parangon allein zurückkomme, als ich die üppige Berdon sah, die damals gerade achtzehn Jahre war, drei Jahre jünger als ihre älteste Schwester. Sie ließ mich nach und nach, ohne mir das geringste zu verbergen, ihre rundlichen und vollendeten Reize sehen.

Aber nahe dem Gipfel meiner Bewunderung sah ich, daß Madame Parangon allein zurückgekommen war, das heißt, sie war von ihren Freundinnen nach Hause gebracht worden, die gleich wieder fortgegangen waren. Mein Wunsch, sie zu sprechen, zeigte mir sie in einer sehr verführerischen Situation, besonders verführerisch für einen jungen Mann meines Alters. Ich lief zu ihr. Mein Eintritt schien sie sehr zu genieren, und ich war eben dabei, mich zurückzuziehen. »Nein«, sagte sie zu mir, »Sie können hierbleiben. Hier ist ein neues Buch, die Briefe des Marquis de Roselle; bitte lesen Sie mir vor.« Ich setzte mich an einen Tisch. Die Lektüre interessierte mich lebhaft. Ich las mit Eifer, als ich eine neue, noch unbekannte, aber entzückende Überraschung erlebte. Durch Zufall hatte Frau Parangon ihren Fuß auf den meinen gesetzt, den ich aus Angst, sie es merken zu lassen, ganz unbeweglich hielt. Ich hatte dieses Vergnügen während des ganzen Vorlesens, womit wir erst um elf Uhr aufhörten. Noch niemand war nach Hause gekommen. Der Tag war, obwohl wir schon den 6. September schrieben, sehr heiß gewesen. Der Abend war so angenehm wie noch nie, und man genoß ihn. Frau Parangon spürte, als sie sich erhob, daß sie sich auf mich stützte. Die Furcht, mir weh zu tun, ließ sie stolpern, und sie fiel auf mein Knie zurück. Trunken vor Liebe und elektrisiert durch diese unverhoffte Berührung, konnte ich eine kühne Bewegung nicht zurückhalten: Ich preßte mit beiden Händen ihre leichte Gestalt und drückte meine Göttin einen Moment an mich, indem ich mit zitternder Stimme zu ihr sagte: »Oh, Madame, haben Sie sich nicht weh getan?« Sie errötete und erhob sich geschwind, ohne mir aber zu antworten. Ich bemerkte wohl den Ton, in dem sie dann zu mir sprach: ihre Stimme war weicher, harmonischer, beinahe zitternd! Colette fesselte mich durch das, was sie mir sagte, noch mehr an sich. Sie schien durch Geständnisse, die im Grunde recht überflüssig waren, meinen Rat hören zu wollen, durch Geständnisse, die eine Frau jemandem, den sie nicht schätzt, gewöhnlich nicht macht. Die Hoffnung brannte in meinem Herzen, und seit ich Colette für mich interessieren zu können schien, fühlte ich nur mehr für sie. Ich war mutiger als sonst. Ich wagte sogar, ihr von Franchette zu sprechen; doch indem ich ihr meine Gefühle für ihre jüngere Schwester offenbarte, ließ ich durchblicken, daß diese mir nur durch sie eingegeben würden. Aber der Gatte kam nach Haus. Seine Anwesenheit war mir verhaßt, vor allem am Abend, und ich floh, als ich ihn kommen hörte.

Ich erinnerte mich nun wieder an Berdon und dachte daran, daß sie und ihre Schwester auch von anderen als von mir bei der nächtlichen Jagd im Evakostüm überrascht werden konnten. Ich entschloß mich, sie großmütigst zu warnen, und ich tat es in Versen. Ein solches Thema war natürlich für einen jungen glühenden Menschen sehr reizvoll.

Ich erzählte Berdon durch den Inhalt des Gedichtes, dessen Einzelheiten zu frei sind, um wiedergegeben werden zu können, genau von allen ihren Bewegungen, von allem, was ich gesehen hatte. Ich benutzte diese Gelegenheit, um ihre Reize, die wirklich über jedes Lob erhaben waren, zu betonen. Ich schrieb ohne Furcht, dadurch zu mißfallen. Mein Recht dazu lag in dem wichtigen Rat, den ich ihr gab. Ich war sicher, daß sie darüber schweigen werde, um so mehr, als ich Madelon das Gedicht für ihre Schwester zustecken würde. Das Gedicht endigte mit demselben Gedanken wie eine Ode des Anakreon, die ich damals noch nicht kannte. Aber die Leidenschaft hat zu allen Zeiten, in allen Ländern und in allen Köpfen dieselbe Sprache: Ich wünschte mir, die Hülle zu sein, die alle diese Reize verbirgt.

Die Nachsicht Madelons für mich war so groß, daß sie alle meine Gedichte entgegennahm, sogar die indezentesten, ohne mir die geringsten Vorwürfe zu machen. Übrigens beschrieb ich darin die Situation, in der ich in Wahrheit lieber Frau Parangon gesehen hätte.

Ich schrieb meine verachtungswürdigen Verse ins reine, und am Abend wartete ich an der Haustüre auf Madelon, um sie ihr zuzustecken. Aber sie ließ sich nicht blicken. Ich lief zu meinem Platz vom Tage vorher, um Frau Parangon zurückkommen zu sehen, zu dem Platz, der mich ein wenig an die Flohjägerei erinnerte. Statt Berdon war es diesmal Madelon, die den Platz einnahm. Sie öffnete das Fenster, und nachdem sie gesehen hatte, daß nirgends ein Licht war, sah sie sich noch weniger vor als ihre Schwester. Welche Vollendung! Dieser Anblick erzeugte in mir einen Effekt, in dessen Folge ich zu einem Entschluß gebracht worden wäre, wenn mein trauriges Schicksal, das mich immer verfolgt hat, nicht alles das wieder umgeworfen hätte, was mir günstig schien.

Ich ließ von dem Anblick Madelons aus demselben Grunde ab, der mich am Tage vorher eine nicht weniger verführerische Szene zu verlassen gezwungen hatte. Frau Parangon war zurückgekommen; ich bat sie um den zweiten Band der Briefe des Marquis de Roselle und las ihr vor. Colette saß mir gegenüber, ein wenig in ihrem Fauteuil zurückgelehnt – die Beine ziemlich hoch übereinandergeschlagen. Sie hörte mir aufmerksam zu, und ich las mit Wärme. Colette hielt die Augen geschlossen. Als ich einen ihrer Füße in der Höhe meines Knies bemerkte, suchte ich mit der Hand einen leichten Kontakt. Wie kann es sein, daß ein lebloses Ding, nur weil es den geliebten Gegenstand berührt, die Seele elektrisiert und sie mit einem Übermaß von Feuer erfüllt! Ich brannte lichterloh. Ich machte eine Bewegung, um noch näher zu kommen: ich wünschte nämlich, daß sich ihre Knie mit den meinen berühren sollten. Auch dies gelang mir, ich war nicht mehr Herr über mich selbst, meine Stimme versagte und erlosch. Ich hatte nur mehr einen leisen, zitternden Ton. »Sie sind wohl müde?« sagte Colette zu mir und öffnete die Augen. »Sie lesen mit zuviel innerer Anteilnahme. Schließen Sie jetzt.« Ich schloß das Buch, aber ich entfernte mich nicht. Colette lehnte sich zurück, und ihr Fuß berührte meine Beine. »Dieser zweite Band«, sagte sie, »gefällt mir noch besser. Der erste hat mich etwas traurig gestimmt.« – »Ich interessierte mich so lebhaft für Leonore, aber jetzt stimme ich für Mademoiselle Ferval. Oh, welcher Unterschied! Ich sehe es, alle interessanten Frauen, alle müssen geliebt werden, aber ... es gibt auch Göttinnen darunter, die man nur anbeten kann.« Ich senkte den Kopf; in Wirklichkeit suchte ich die Hand der Frau Parangon. Jemand trat in den Laden. Ich erhob mich geschwind und eilte hin, um zu sehen, wer es sei. Ich traf Fräulein Manon Bourgoin, die, nachdem sie die Haustüre aufgeschlossen hatte, jemandem Adieu sagte, der ihr die Hand küßte. Ich zeigte mich nicht und kam zurück, um dies Frau Parangon zu erzählen. Sie erhob sich. Ich wagte, sie am Kleid zurückzuhalten und sagte ihr: »Madame, gehen Sie doch noch nicht hin! Sie sagt jemandem sehr zärtlich Gute Nacht und ... es wäre doch eine Indiskretion.« Colette errötete, aber sie blieb; sie sagte kein Wort, bis Manon eintrat.

Ich stand mit Manon Bourgoin sehr gut wegen meiner Beziehungen zu Gaudet d'Arras und als Mitwisser der Pläne, die mir Gaudet mitgeteilt hatte. Sie sagte jedermann nur Gutes über mich, besonders der Frau Parangon. Nach den gewöhnlichen Begrüßungskomplimenten ließ ich sie bei ihren Schmeicheleien und ging hinaus, als ob ich draußen ein wenig spazierengehen wollte.

Jeannette hatte seinerzeit mein ganzes Herz besessen und mich gehindert, es weiter zu verschenken. Jetzt besaß Frau Parangon alle meine Sinne, meine Begeisterung, meinen Geschmack, meine Eitelkeit, meinen Dank, meine Tugend, meine Ehrenhaftigkeit, kurz alle meine Vorzüge und Leidenschaften. Madelon dagegen entzückte mich durch eine Art Ähnlichkeit mit Frau Parangon, weniger durch ihre Gestalt, als durch ihre Kleidung. Edmée zog mich als Ebenbild von Jeannette an, durch ihre Bescheidenheit, ihre Gestalt, durch die Art sich zu kleiden. In ihr betete ich Jeannette an. Frau Parangon ähnelte durch die Art ihrer Schönheit Jeannette noch mehr als Edmée. Sie hatte denselben Teint, dasselbe Lächeln, sie waren gleich gekleidet, und man hätte sie für Schwestern halten können. Colette und die junge Edmée erinnerten mich so lebhaft an Jeannette, daß ich die ganze Zeit, während der ich beide liebte, nicht aufhörte, mein Herz erbeben zu fühlen und mich immer an die schöne Rousseau erinnerte; von Zeit zu Zeit noch (bis zum jetzigen Augenblick) beschäftigte mich das nebelhafte Bild einer glücklichen Ehe mit ihr. Man darf nicht über das erstaunt sein, was mir mit Madelon Baron begegnete. Die Sinne und die Lust zu heiraten rissen mich fort.

Im Monat November – dies ist mein Geburtsmonat – war ich oft in Dichterstimmung. Ich machte ein kleines Gedicht, datiert vom 1., beendigt am 3. Es war ein Loblied auf Therese Lalois, die abwechselnd mit Emilie Laloge nach St. Renobert zur Kirche ging. Diese beiden jungen Mädchen waren von Ouanne, einem Dorfe vier Meilen von Auxerres. Es ist unmöglich, diese Verse abzudrucken. Sie sind eine sehr ausschweifende Beschreibung, der Ausfluß eines sehr robusten Temperaments, erzeugt aus tausend Ursachen. Diese Aufwallungen wirkten auf mein Herz ein und verderbten es. Das zu hitzige Fieber verlangsamt den Kreislauf des Blutes und tötet den Körper.

Trotzdem diese Verse, in denen nichts verhüllt wurde, ganz außergewöhnlich frei waren, gab ich sie Madelon, der einzigen Person, die sie gelesen hat; sie nahm sie lächelnd entgegen.

Es war am 8. Dezember morgens, gerade als ich das Lobgedicht auf Annette beendet hatte. Es war einer der schönsten Tage meines Lebens, einer der glücklichsten, vielleicht der romantischste.

Frau Parangon war reizend angezogen, aber mit einem Geschmack und einer Eleganz, wie ich es bisher noch nie an ihr gesehen hatte. Sie bemerkte meine Bewunderung schon bei Tisch. Es fror. Sie ging nach Tisch aus, und ich sah sie bei ihrer Schwester Frau Minon, der Anwaltsfrau, eintreten, mit der sie dann zur Abendmesse ging. Ich blieb daheim und schickte alle Leute weg.

Alle waren froh darüber, besonders Tiennette, die der schönen Villetard, der Frau unseres Weinhändlers, die eine Freundin ihrer Familie war, einen Besuch machen mußte. Ich machte ein großes Feuer im Zimmer und setzte mich hin, um zu lesen. Das Werk, das mir gerade in die Hände fiel, war der »Cid« von Corneille. Ich las ihn zum erstenmal und war begeistert; als ich zu Ende war, war ich in Ximene wirklich verliebt. Ich schürte nach und genoß träumend das eben Gelesene, als ich jemand die Glastür öffnen hörte. Ich war beinahe böse, daß ich gestört wurde. Man öffnete die Wohnungstür, und ich sah durch die Glastür eine Dame, die stehenblieb, als ob sie gezögert hätte, einzutreten. Ich erhob mich. Es war Frau Parangon. Ich fuhr zusammen und machte einen karmesinroten Fauteuil frei, den ich ihr anbot. »Sie haben glücklicherweise ein gutes Feuer; denn ich bin erstarrt.« Ich sah, daß sie kalte Füße hatte. Aber sie fürchtete entweder ihre schönen Schuhe zu verderben oder sie vor mir auszuziehen. Sie war so schön und ich war so begeistert, daß ich ohne nachzudenken auf die Knie fiel und ihr die Schuhe, ohne aufzuschnüren, auszog. »Geben Sie mir wenigstens meine Pantoffel.« Sie standen auf einem kleinen Tischchen, ich mußte nur meine Hand ausstrecken. Ich reichte sie ihrem Fuß, aber sie zog ihn zurück. Ich erhob mich, um die Pantoffel wieder dort hinzustellen, woher ich sie genommen hatte. »Setzen Sie sich doch.« Ich setzte mich. Eine tiefe Stille. »Sie haben gelesen; ich habe Sie wohl gestört?« – »Ich habe eben den ›Cid‹ beendigt ... Oh, wie war Ximene doch unglücklich, aber sie war liebenswert.« – »Ja, sie war in einer grausamen Situation.« – »Ja, sehr grausam.« – »Ich glaube, daß diese grausame Situation ihre Liebe verstärkt hat.« – »Sicher, Madame, sie kräftigte sie wenigstens in einer Hinsicht.« – »Ha, wieso wissen Sie das in Ihrem Alter?« Ich war sehr verlegen und errötete, aber im nächsten Augenblick stieß ich hervor: »Ich weiß es geradeso gut wie Rodrigo.« »Das ist doch unmöglich.« – »Ich versichere Sie, Madame.« – »Sie können die Liebe noch nie gefühlt haben, Sie Armer.« – »Madame wollen sagen, Glücklicher.« – »Glücklicher oder Unglücklicher; Sie sind noch ein Kind.« – »Durch meine Jahre, aber nicht durch mein Herz.« – »Er sagt das mit entzückender Miene, armer Junge! Finden Sie den ›Cid‹ gut?« – »Madame, wenn er schlecht ist, dann verstehe ich nichts davon; ohne Zweifel ist er es, oder ich bin geradeso dumm wie der Autor.« Diese Worte brachten Frau Parangon zum Lachen. »Ha«, sagte sie, »wenn man Sie hören würde. Ebenso dumm wie Corneille, der doch ein großer Geist war!« – »Ich habe, nach dem Vergnügen zu urteilen, das mir sein Stück gemacht hat, daran gezweifelt, daß er ein großer Geist war.« – »Wer hat Ihnen mehr gefallen, Ximene oder Rodrigo?« – »Ximene natürlich; und Ihnen, Madame?« – »Rodrigo!« – Ich dachte einen Augenblick nach; da kam mir eine glänzende Idee: »Ich weiß warum.« – »Warum?« – »Weil ...«, ich wagte nicht mehr, es zu sagen. Lange ließ ich mich nötigen; schließlich sagte ich: »Ximene gefällt mir besser, Madame, weil sie von Ihrem Geschlecht ist. Wirklich, jedesmal, wenn sie spricht, gebe ich ihr Ihr Aussehen, Ihre Stimme, Ihre Züge, Ihre Haltung, Ihre Schönheit.« Sie errötete. Ich wurde kühner: »Sehen Sie, Sie sind die Abbildung zu dem Buch, geradeso wie man Sie in den ›Liebesepisteln‹ von Ovid abgedruckt hat.« – »Ich wünsche Ihnen die Vorzüge des Rodrigo und vor allem sein Glück. Herrgott, hier ist es aber sehr heiß.« – »Soll ich die Tür öffnen, Madame?« – »Nein, ich werde hinausgehen; (und sich erhebend) hören Sie mir gut zu, Herr Nicolas. Sie müssen schön aufpassen, wie ich es schon von Ihnen gehört habe, sparsam und fleißig sein. Könnte sich für Sie nicht eine Ximene finden? Ihre Eltern sind ehrliche, geachtete Menschen. Ihr Vater ist der Freund des meinen.« – »Oh, Madame, mein Vater verehrt den Ihren unendlich...« – »Und mein Vater liebt Ihren Vater.« Sie ging einigemal im Zimmer auf und ab und schickte mich dann hinauf, um ihr den neuen rosafarbenen Umhang zu holen; den blauen, den sie bei sich hatte, gab sie mir mit; jedenfalls um sich in meiner Abwesenheit die Pantoffel anzuziehen. Als ich zurückkam, ging sie weg. O Gott, was für Reize! Ganz beglückt bewunderte ich sie, als ich sie zurückkommen sah. »Ich habe etwas vergessen.« Sie stieg geschwind wieder in den ersten Stock hinauf und ließ mir ihren Muff zurück. Als sie ganz leise zurückkam, fand sie mich in Anbetung vor allem, was sie vergessen hatte. Sie schien nichts davon zu merken; sie ging an den Kamin und sagte zu mir: »Wenn man nach mir fragt, ich bin bei Manon Bourgoin. Denken Sie ein wenig an Ximene, von der ich Ihnen gesprochen habe.« Beim Hinausgehen lächelte sie. »O angebetete Frau!« rief ich, als sie noch in Hörweite war, aus. Ich glaube, daß sie es gehört hat, denn sie verlangsamte ihren Schritt. Aber als Tiennette zurückkam, beschleunigte sie ihn sofort wieder. Ich ging letzterer nach und versteckte mich hinter einem Wandschirm, um bis zum Abend zu arbeiten.

Am 10. Dezember begann ich das Lobgedicht auf Fräulein Carouge. Ich beendete es am 17. Die am meisten hervorstechenden Vorzüge dieser Schönen waren ihre verführerische Naivität und eine gewisse Lässigkeit in ihrer Sprache und ihrem Gang, die das Herz betörten. Während ich mit der ›naiven Sorglosigkeit‹ der jungen Carouge beschäftigt war, fesselte ein anderes Thema noch mehr meine Aufmerksamkeit und regte mein Dichterherz an. Das Gedicht war ›Wache Träume‹ betitelt und ist vom 7. Dezember datiert. Diese Erzählung zeigt zwei Dinge: Meine vorgeschrittene Verderbtheit und den Eindruck des ersten Theaterstückes, welches ich besucht hatte. (Aber was für ein Theaterstück! Es war ›Die Krippe‹, die alle kennen, da man es jedes Jahr in Paris unter dem Torbogen der kleinen Spitalsbrücke spielt.) Das Sprichwort sagt: Tout nouveau, tout est beau. Das Marionettentheater mußte einen jungen Bauernburschen notwendigerweise entzücken, der trotz seiner Vorgeschrittenheit in Vergnügungen in den Künsten doch noch recht unerfahren war! Ich mußte in Entzücken versetzt werden! Aber bevor sich der Vorhang hob und auch während des Stückes, das in einem dicht besetzten Raum gespielt wurde, kamen ganz unverhoffte Dinge vor. Hier die Reihenfolge der Tatsachen.

Eines Abends nach dem Essen, also um viertel Neun, schlug Tourangeot, der Aimée Châtelain, die aus Joigny gekommen war, in unserer Gesellschaft sah, einen Theaterbesuch vor. Die schöne Tiennette, Jeannette Geolin, die Geliebte des Dieners Jean Lelong, Marie, Bardet und ich sollten mitgehen. Die Meistersleute aßen in der Stadt. Jean blieb zurück, um das Haus zu behüten, und wir zogen seine Geliebte mit uns fort, ebenso zwei kleine Arbeiterinnen, die eben vorbeikamen, die Pariserin Fleury und die schöne Luce. Bei unserer Ankunft im Theater setzten wir uns sofort. Ich kam zwischen Aimée und Tiennette, ich, der ich von beiden für einen ehrlichen Burschen gehalten wurde und für den Liebling der im Hause am meisten geachteten Person. Sie sagten mir um die Wette tausend anmutige Dinge und erwarteten den Beginn des Stücks. Sie erzählten sich gegenseitig Lobenswertes von mir, und der Weihrauch stieg mir in die Nase. Aimée küßte mich in einer freundschaftlichen Regung. Ich gab ihr den Kuß mehr als einmal zurück. Wir saßen so dicht beieinander und der Platz war so schlecht beleuchtet, daß niemand auf uns achtete. Tiennette lachte fortwährend, Tourangeot war eifersüchtig, Marie schien erstaunt, Luce und Fleury durchbohrten den Vorhang mit ihren neugierigen Blicken, Bardet machte schlechte Witze. Man saß auf Stufensitzen.

Als das Stück begann, erhoben sich alle. Ich ließ Aimée vor mich hintreten. Tiennette, die groß war, stellte Luce und Fleury vor sich. Bardet, um besser seine schlechten Witze machen zu können, stieg auf die Schultern Tourangeots, der Marie an sich drückte. Als wir so zusahen, verstellte Tiennette der hübschen braunen Tochter des Wirts Chavagny den Ausblick auf eine ägyptische Tänzerin. Sie bemühte sich, gut zu sehen. Ich bemerkte ihre Bewegungen und reichte ihr die Hand, um sie zwischen uns zu bringen. Ich hob sie sogar etwas auf und der Zufall (ich schwöre es) führte meine Hand. Wir waren in einer Scheune, die recht schlecht schloß; gerade bei der Anbetung der drei Könige, eine Szene, die alle in Entzücken versetzte, zerriß ein Seitenvorhang. Der Wind pfiff heftig herein und verlöschte alle Lichter. Ich sage die reine Wahrheit; wenn ich schuldiger wäre, würde ich es auch gestehen. Sophie Chavagny hatte meine Hand dort gelassen, wo der Zufall sie hingebracht hatte. Aber Aimée bemerkte es. Sei es aus Züchtigkeit, sei es, um mir Unannehmlichkeiten zu ersparen, die, wenn die Eltern es zufällig erfuhren, eine solche Freiheit mir einbringen konnte, nahm sie mich bei beiden Händen und küßte mich. Mich durchbebte ein entzückendes Lustgefühl. Ich preßte ihren Leib gegen mich.

Das Licht wurde wieder angezündet und ich beobachtete, ob mir Sophie Chavagny grollen würde, aber sie lächelte mir zu. Ich packte sie wie Aimée und drückte beide an mich. Ich habe seither Sophie oft wiedergesehen, die mir dieses Abenteuer wert gemacht hat. Aber wer könnte die Wallung beschreiben, die sie in meinen Sinnen erregte. Es war das erstemal, daß ich am Ehebruch Geschmack fand. In derselben Nacht hatte ich einen Traum, den ich in Versen niederschrieb.


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