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Von Robert Sloss.
Der »Sturmvogel« war seit länger als achtundvierzig Stunden ruhig und sicher über die Eisfelder geflogen, als ein plötzliches Stillstehen des Motors den Kapitän aus seinem tiefsten Schlummer weckte.
»He, Kettner, was ist denn los?« rief er, aus der Kajüte auf Deck tretend, dem Leutnant zu.
»Die Kraft ist ausgeblieben«, kam die Antwort. »Ich habe aber die Ersatzbatterien sofort angeschlossen und 's hat nichts weiter zu sagen. Sie sehen ja selbst, es geht ganz gut auch so.«
Und tatsächlich flog der »Sturmvogel« ganz wundervoll seinen Kurs weiter.
»Keine Meldung vom Schiff?« fragte der Kapitän, sich ans Steuer begebend, und gerade, als er fragte, kam ein zuckendes, blitzartiges Aufleuchten und ein metallisches Knistern von dem Telephonapparat zu seinen Füßen. Er nahm den kombinierten Reciver und Transmitter sofort auf und befestigt ihn an seinem Kopfe.
»Das Schiff spricht mit uns«, sagte er. »Der Dynamo ist nicht in Ordnung.«
»Wie lange kann der Schaden denn dauern?« fragte der Leutnant, dem man's wohl ansah, wie schwer ihm das Mißgeschick des Flugschiffs zu Herzen ging.
Geber und Empfänger einer modernen Telefunken-Station.
»Sie können's nicht sagen«, war die Antwort des Kapitäns, der noch immer am Telephon lauschte, »in jedem Fall aber können sie uns in absehbarer Zeit keine Kraft mehr abgeben.«
»Dann ist es wohl besser, wir landen«, meinte der Leutnant, »und sparen uns unsere Batterien für alle Fälle auf.«
Und da der Kapitän zustimmend nickte, so lenkte er sofort den Aeroplan gegen eine etwa eine Meile weit ab südlich liegende Eisfläche zu. Hier wurde die Maschine glatt zum Landen gebracht und von den beiden Männern fest vertäut und verankert.
»Ja, ja«, sagte der Kapitän, durch den Zwischenfall sichtlich sehr deprimiert. »Das ist's, was ich gefürchtet habe. Steinmetz hat den von Cook entdeckten Nordpol 1918 nur deshalb durchforscht, weil es ihm möglich gewesen ist, in Spitzbergen seine Dynamos aufstellen zu können. Wir aber müssen uns mit einem einzigen begnügen und haben den noch auf einem Schiffe. Ich weiß, ich weiß, Kettner, was Sie sagen wollen. Ich weiß, daß der Südpol so unglücklich liegt, daß ihm kein Festland nahe genug liegt, um mit Sicherheit operieren zu können. Gerade darin aber liegt unser Nachteil, denn Steinmetz konnte immer von einem oder dem anderen seiner Dynamos Kraft genug von dem kolossalen Energiestrom abbekommen, den die Kraftanlagen am Niagarafall durch den Aether entsandten. Wir aber …«
»Wir werden uns durch diesen Zwischenfall auch nicht entmutigen lassen, Kapitän«, sagte der Leutnant. »Denken Sie nur daran, wie sehr wir heutzutage Richtung und Kraft des Stromes in unserer Gewalt haben, und wie viel drahtlose Kraft zur Zeit Steinmetz verloren ging. Nein, nein, ein Pech ist es freilich, daß wir nur einen Dynamo haben, aber daß wir von unserem Schiff von Melbourne aus ebenso viel Kraft erhalten, wie er damals vom Niagara, das ist gewiß.«
»Sie können recht haben«, sagte der Kapitän, »aber eine verdammte Geschichte bleibt es doch. Im übrigen können wir wenigstens feststellen, wo wir uns befinden, und Sie, Kettner, sehen Sie mal zu, daß Sie ein bißchen Feuer hinter den Leuten machen, sie sollen sich mal sputen, denn, hol' mich der Teufel, wenn ich diesmal die Fahrt unterbreche und nicht bis zum Pol komme.«
Und während sich Leutnant Kettner den Hörer anschnallte, ging der Kapitän in seine Kabine zurück. Noch aber hatte der Leutnant keine Verbindung erhalten, als der Kapitän, den Sextanten in Händen, atemlos auf ihn zustürzte.
Eine fahrbare Telefunkenstation im Betriebe.
»Kettner! Freund! Mensch! Wissen Sie, wo wir sind? Weit näher dem Pole, als Steinmetz damals dem Nordpol war, als er sein letztes Lager bezog, von dem aus er dann seinen glücklichen Flug unternahm. Und wissen Sie, was das heißt? … Daß wir in drei Stunden unser Ziel erreichen können. Daß wir den Südpol erreichen werden, selbst wenn uns das Schiff im Stich läßt, denn unsere Batterien müssen genügen.«
»Darf ich dem Schiff davon Nachricht geben?« fragte der Leutnant, der den Enthusiasmus seines Vorgesetzten selbstverständlich teilte.
»Ja, lieber Kettner, tun Sie das.«
Auf dem Schiffe erregte die Nachricht natürlich lauten Jubel.
»Sie sind außer Rand und Band«, sagte der Leutnant. »Sie lassen Ihnen Glück wünschen zu dem grandiosen Erfolge. Sie fragen an, ob sie die Nachricht weiter geben können. Sie versichern, daß sie alles daran setzen werden, um die Maschine wieder in Gang zu bringen.« Und plötzlich schmunzelte er, »Conners vom Internationalen Nachrichten-Bureau will die Nachricht noch rechtzeitig für die Londoner Morgen- und die Newyorker Abendblätter geben. Er mochte aber gern ein Interview mit Ihnen selbst haben. Geht's?«
Der Kapitän lachte. »Das ist ein unternehmender Bursche«, sagte er. »Sagen Sie, ich stehe ihm später gern zur Verfügung. Gibt's sonst noch was? Hat meine Frau nicht angefragt?«
Kettner gab die Frage an das Schiff, das hart an den Eisbarrieren des Mont Erebus lag, die Antwort weiter.
»Nein. Sobald sie aber anrufen wird, wird man Sie davon verständigen.«
»Gut. Dann wollen wir also vor allem etwas essen, und es uns dann bequem machen und schlafen. Wir werden unsere Kräfte noch brauchen.«
Und mit diesen Worten begab sich der Kapitän auch schon in die asbestausgelegte, feuersichere Kabine, und bald waren beide Forscher emsig damit beschäftigt, sich über den elektrischen Kocher ihr Mahl zu bereiten, und als der Kaffee dampfte und die Pfeifen gestopft und in Brand gesteckt waren, da kam jene behagliche Stimmung über die beiden, in der man wenig spricht und sich im Schweigen doch so unendlich viel sagt.
Plötzlich aber legte der Kapitän die Pfeife beiseite. »Kettner«, sagte er, »ich habe eine Idee. Wie wär's, wenn wir mal alle unsere Batterien in Gang brächten und den Versuch machten, uns mit Umgehung der drahtlosen Station mit der Welt telephonisch in Verbindung zu setzen. Das wäre mal wieder was, wovon die Welt sprechen könnte. Hier, nicht hundert Meilen vom Südpol und … ja, wir wollen versuchen. Wie spät ist es jetzt?«
»Zehn Uhr siebenundzwanzig Ortszeit.«
»Gut. Wir sind nahezu am 18O. Meridian. Dann ist's in London ungefähr halb elf Uhr abends und in Bermuda halb sieben. Da ist sie zu Haus. Bitte, Kettner, verbinden Sie mich mit meiner Frau.«
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Kettner verband das Halbdutzend leichter, aber ungemein kraftvoller Batteriezellen mit einander, machte die nötigen Handgriffe, drückte den Knopf nieder und das allgemeine Anrufsignal ging hinaus in den Aether. Der Leutnant lauschte und lauschte, aber keine Antwort kam; plötzlich aber lächelte er: »So, jetzt habe ich sie; die Bermuda-Station hat sich gemeldet. Ja … mit Frau Kapitän Kingsley … jawohl.«
Ein Blitz zuckte auf und ein eigentümliches Summen wurde gehört.
»Die Kälte hat den Ton ein bißchen beeinflußt«, sagte er, »der Apparat ist verschnupft. So … das werden wir gleich beheben … ja … jawohl … bitte, Kapitän, Ihre Frau ist am Apparat.«
Sofort legte sich der Kapitän den Hör- und Sprechapparat um und schaltete den Fernseher mit ein, so daß er mit seiner Frau nicht nur sprechen konnte, sondern sie in dem an den Apparat aufgeschraubten, feingeschliffenen Metallspiegel auch sah und jede ihrer Bewegungen und den Ausdruck ihres Gesichtes beobachten konnte. Eine Viertelstunde lang und noch länger dauerte das Gespräch, denn was hatte man sich nicht alles zu sagen. Er gab einen ganz genauen Bericht von seiner Fahrt über das ewige Eis und fernem Zwischenfall, der ihn verhinderte, jetzt schon am Südpol zu sein. Sie war natürlich stolz auf den unsterblichen Triumph ihres Mannes, und ehe sie das Gespräch abbrach, ließ sie noch des Kapitäns Töchterchen, seinen Liebling, an das Telephon kommen.
»Großartig, Kettner«, sagte der Kapitän. »Wenn uns das gelungen ist, dann können wir auch versuchen, uns mit Newyork zu verbinden. Da ist's gerade um die Theaterzeit. Wie wär's, wenn wir uns auch ein klein wenig Musik gönnten und uns die Oper ein Stündchen anhörten? – Wollen wir?«
Statt jeder Antwort gab Kettner wieder das Anrufsignal. Wieder sprühten, zuckten und flammten die knisternden Blitze. »In fünf Minuten haben wir die Musik. Soll ich den Megaphonreciver anschließen?«
»Selbstverständlich. Wissen Sie schon, was gegeben wird?«
»Jawohl. »Der Held der Lüfte«.«
»O,« rief der Kapitän. »Von Redfers, dem Wagner unserer Zeit? Das trifft sich famos.« Und nun saßen die beiden Männer und lauschten – hier im ewigen Eise der Polarregion den Klängen und Stimmen der Newyorker Oper.
Mitten in der Aufregung aber kam ein anderer Ton. Ein Anruf. Ein wahrer Sprühregen von Blitzen prasselte nieder.
»Nanu, was ist denn los? Hurra!« rief er aber plötzlich aus. »Der Dynamo auf dem Schiff ist wieder im Stand. Wir haben wieder die Kraft. Herr Leutnant, der Platz am Steuer gebührt jetzt mir.«
Und fünf Minuten später erhob sich das zierliche Luftschiff auf seinen Schwingen hoch in die Luft und glitt Über die Eisfelder hin – dem Pole entgegen.
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Ich könnte in diesem Stile fortfahren, Gott weiß wie lange, und Wunder über Wunder erzählen, ohne meine Phantasie auch nur im geringsten anzustrengen, denn alles, was in dem bisherigen Gang der »Erzählung« so wunderbar sich angehört hat, sind Probleme, die heut schon gelöst sind und die keineswegs mehr in das Gebiet der frommen Wünsche oder der überspannten Hoffnungen und Erwartungen gehören. Nein, es sind Tatsachen, die nur darauf warten, in unser praktisches Leben eingeführt zu werden, gerade so, wie Telegraph und Telephon und Phonograph sich darin eingeführt haben.
Wilhelm Marconi. Der Erfinder der drahtlosen Telegraphie.
Der Berliner Graf Arco und der Amerikaner De Forest und der Däne Paulsen haben den Nachweis geliefert, daß eine Entfernung von 4 bis 500 englischen Meilen kein ernstes Hindernis für ein drahtloses Telephongespräch ist, und daß man Musik und Gesang ebenso drahtlos übertragen kann, wie jede andere menschliche oder andere Stimme. Und was das »Sehen« der Person betrifft, mit der man spricht, so ist das Problem auch schon gelöst, wenn auch noch nicht jene Vollkommenheit erreicht ist, auf die wir aber keineswegs mehr zehn, geschweige denn hundert Jahre warten müssen. Und was das Treiben eines Aeromobils durch diese erstaunliche Kraft, die wir die »Drahtlose« nennen, anbelangt, weshalb nicht? Gerade im letzten Jahre haben wir das Problem auch dieser Kraftanwendung gelöst, und ein schwerer Treidelzug wurde auf »drahtlosem« Wege in Bewegung gesetzt. Was aber die Geschwindigkeit der Luftschiffe und Flugmaschinen anbelangt, so haben wir selbst gesehen, daß man jetzt schon Geschwindigkeiten von 90 Kilometern in der Stunde erreicht, und auf dem letzten »Fliegerkongreß« wurde die gar nicht sanguinische Ansicht vertreten, daß wir »jeden Tag« diese Geschwindigkeit auf 500 Kilometer werden erhöhen können.
Professor Korn.
Alles, was wir jetzt durch den Draht senden und erreichen können, können wir auch auf drahtlosem Wege senden und erreichen. Das ist die Wahrheit, die gegenwärtig alle Ansichten und Methoden unserer wissenschaftlichen und maschinellen Welt revolutioniert, und wir können uns dieser Tatsache freuen, wenn auch die Kupfermagnaten kein allzu freundliches Gesicht dazu machen und das drahtlose Jahrhundert, das nicht nur kommen muß, sondern schon im Kommen ist, zu allen Teufeln wünschen.
Das Prinzip, auf welchem die drahtlose Kraftübertragung aufgebaut ist, ist eines der einfachsten, das die Wissenschaft kennt, und wird und kann nie eine Aenderung erfahren, es sei denn, die Welt und der Weltenbau selber ändern sich.
Wir wissen alle, daß uns das Sehen nur dadurch möglich gemacht ist, daß das Licht in Wellen zu uns gelangt, die bis zu unseren lichtempfindlichen Sehnerven dringen. Ebenso geht jeder Ton in Wellen durch die Luftatmosphäre und dringt an unser Trommelfell, das unter ihrem Einflusse vibriert, und uns das Hören ermöglicht. In ganz gleicher Weise geht ein elektrischer Impuls, von wo er immer auch ausgeht, in Wellen durch den Aether, der jedes Molekül jeder Materie umgibt und die elektrischen Vibrationen durch die Luft, durch das Wasser, durch die Erde und durch Wälle und Mauern führt. Und es ist möglich, diese Vibrationen überall aufzufangen, vorausgesetzt, daß man den richtigen, auf die richtige Wellenlänge abgestimmten Reciver (oder Empfänger) zur Verfügung hat.
Eduard Belin
Sobald die Erwartungen der Sachverständigen auf drahtlosem Gebiet erfüllt sein werden, wird jedermann sein eigenes Taschentelephon haben, durch welches er sich, mit wem er will, wird verbinden können, einerlei, wo er auch ist, ob auf der See, ob in den Bergen, ob in seinem Zimmer, oder auf dem dahinsausenden Eisenbahnzuge, dem dahinfahrenden Schiffe, dem durch die Luft gleitenden Aeroplan, oder dem in der Tiefe der See dahinfahrenden Unterseeboot. Ueberall wird er mit der übrigen Welt verbunden sein, mit ihr sprechen und sich mit ihr verständigen können, und er wird sie sehen, wenn er sie sehen will, und sei er auch tausend Fuß tief unter der Erde oder unter dem Spiegel des Ozeans, und wird gesehen werden in jeder, auch in der kleinsten seiner Bewegungen.
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Die Bürger der drahtlosen Zeit werden überall mit ihrem »Empfänger« herumgehen, der irgendwo, im Hut oder anderswo angebracht und auf eine der Myriaden von Vibriationen eingestellt sein wird, mit der er gerade Verbindung sucht. Einerlei, wo er auch sein wird, er wird den »Stimm-Zeiger« auf die betreffende Nummer einzustellen brauchen, die er zu sprechen wünscht, und der Gerufene wird sofort seinen Hörer vibrieren oder das Signal geben können, wobei es in seinem Belieben stehen wird, ob er hören oder die Verbindung abbrechen will.
Solange er die bewohnten und zivilisierten Gegenden nicht verlassen wird, wird er es nicht nötig haben, auch einen »Sendapparat« bei sich zu führen, denn solche »Sendstationen« wird es auf jeder Straße, in jedem Omnibus, auf jedem Schiffe, jedem Luftschiffe und jedem Eisenbahnzug geben, und natürlich wird der Apparat auch in keinem öffentlichen Lokale und in keiner Wohnung fehlen. Man wird also da nie in Verlegenheit kommen.
Und in dem Bestreben, alle Apparate auf möglichste Raumeinschränkung hin zu vervollkommnen, wird auch der »Empfänger« trotz seiner Kompliziertheit ein Wunder der Kleinmechanik sein.
Dieses System des Abgestimmtseins für ganz bestimmte Schwingungen kann durch die jedem bekannte Tatsache verständlich gemacht werden, daß, wenn man in der Nähe eines offenstehenden Klaviers oder einer Violine einen bestimmten Ton singt, die entsprechende Saite des Instrumentes sofort mitzuvibrieren und mitzuklingen beginnt. Und gerade so wie ein tiefer Ton in langen und ein hoher Ton in kurzen Wellen schwingt, so kann auch in der drahtlosen Telegraphie und Telephonie durch einen eigenen Apparat die Länge der entsandten Vibrationen genau kontrolliert werden.
Der drahtlose Telephonapparat, der jetzt allerdings noch in seiner Kindheit steckt, ist ziemlich schwerfällig und groß. Aber das [Bellsche] Telephon erforderte Anfangs auch eine eigene und noch dazu ziemlich geräumige Zelle, während man heute schon Taschentelephone hat, mit denen man sich auf fünf, sechs Kilometer Entfernung ganz gut verständigen kann, und schon jetzt gibt es Forscher auf drahtlosem Gebiete, die, möglichst in regnerischen Nächten, mit einem gewöhnlichen Regenschirm, der ihnen die nötigen Antennen liefert, Nachrichten aus dem Aether mit einem Reciver auffangen, der nicht größer als eine Pillenschachtel ist. Wenn aber dieser Apparat erst so vervollkommnet sein wird, daß auch der gewöhnliche Sterbliche sich seiner wird bedienen können, dann werden dessen Lebensgewohnheiten dadurch noch weit mehr beeinflußt werden, als sie dies schon jetzt durch die Einführung unseres gewöhnlichen Telephones geworden sind.
Auf seinem Wege von und ins Geschäft wird er seine Augen nicht mehr durch Zeitunglesen anzustrengen brauchen, denn er wird sich in der Untergrundbahn, oder auf der Stadtbahn, oder im Omnibus oder wo er grad' fährt, und wenn er geht, auch auf der Straße, nur mit der »gesprochenen Zeitung« in Verbindung zu setzen brauchen, und er wird alle Tagesneuigkeiten, alle politischen Ereignisse und alle Kurse erfahren, nach denen er verlangt. Eine solche »gesprochene Zeitung«, allerdings noch nicht auf »drahtlosem Wege«, gibt es jetzt schon u. a. auch in Budapest.
Und ist ihm damit nicht gedient, sondern steht sein Sinn nach höherem, so wird er sich mit jedem Theater, jeder Kirche, jedem Vortrags- und jedem Konzertsaal verbinden und an der Vorstellung, an der Predigt oder den Sinfonieaufführungen teilnehmen können, ja, die Kunstgenüsse der ganzen Welt werden ihm offen stehen, denn die Zentrale der Telharmonie wird ihn mit Paris, Wien, London und Berlin ebenso verbinden können, wie mit der eigenen Stadt. Diese Errungenschaft des drahtlosen Zeitalters werden wir übrigens auch über kurz oder lang schon erreicht haben; denn jetzt schon sind die Vorbereitungen im Gange, um Groß-Newyork mit einer solchen drahtlosen Telephonverbindung zu versorgen, da gefunden wurde, daß dieses Telephon Ton und Klang weit klarer wiedergibt, als unser bisher gebrauchtes Telephon mit Drahtleitung. Das einzige, noch in weite Ferne gerückte Problem ist das, unsere Empfangsapparate so empfindlich zu gestalten, daß sie alle Vibrationen aufnehmen können, und daß wir den Sendungsimpuls so in unserer Gewalt haben, daß er direkt zu dem ihm entsprechenden Reciver geht, ohne sich in alle Richtungen hin auszudehnen und zu zerstreuen, wie die Wellen, die nach allen Richtungen hin sich verbreiten, wenn man einen Stein ins Wasser wirft.
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In jüngster Zeit wurde die fabelhafte Kunst der drahtlosen Bildertransmission so außerordentlich vervollkommnet, daß sie kein Spielzeug mehr ist, sondern zweifellos berufen ist, in der Ausgestaltung unserer zukünftigen Lebensverhältnisse eine sehr große Rolle zu spielen. Und wenn diese Erfindung auf die Höhe der Vollkommenheit gehoben sein wird, dann werden wir eine neue Reihe von täglichen Wundern zu verzeichnen haben. Hier ist beispielsweise eine Szene, die sich in hundert oder weniger Jahren alltäglich abspielen wird.
Der erste Leutnant des Elektroturbinenschiffs »Vorwärts« stürzt in die Kajüte seines Kapitäns. »Kapitän«, sagt er, »wir erhalten soeben die drahtlose Nachricht von der Newyorker Polizeidirektion, daß Präsident Kramington von der Newyorker Stadtbank eine Million Dollars unterschlagen und die Flucht ergriffen hat. Es wird vermutet, daß er sich auf dem Wege nach Europa befindet.« Der Kapitän liest die im Steckbrief enthaltene Beschreibung und lächelt sarkastisch.
»Bis auf den weißen Bart und das weiße Haar ist nichts da, was den Dieb von anderen Sterblichen unterscheiden würde und da er wahrscheinlich sein Haar gefärbt und seinen Bart abrasiert hat, so werden wir ihn wohl kaum finden können, wenn die liebe Polizei sich nicht dazu bequemt, uns wenigstens sein Bild zu schicken.«
Im selben Augenblick kommt der zweite Leutnant und übergibt im Auftrage des Telegraphenbeamten die auf drahtlosem Wege übersandte Photographie, die die Newyorker Polizei sofort dem Steckbrief nachgesandt hat.
»Donnerwetter«, sagt der Kapitän, »das ist ja der Mensch da in der Luxuskabine. Der war mir längst schon verdächtig. Er gibt sich für einen alten Missionar aus, der nach Afrika zurück will, und behauptet, daß er am Fieber erkrankt ist. Trotz der Veränderung, die der Kerl mit sich vorgenommen hat, ist die Aehnlichkeit unverkennbar. Der Ausdruck in den Augen und die Art seiner Kopfhaltung sind derart, daß ich mich absolut nicht täuschen kann. Teilen Sie nach Newyork mit, daß wir den Burschen haben.«
Und um zu begreifen, daß es künftighin nicht einem Verbrecher mehr möglich sein wird, über das Meer zu kommen, ohne der Gerechtigkeit in die Hände zu fallen, brauchen wir uns nur vorzustellen, daß künftighin sämtliche Schiffe, und nicht nur die wenigen großen Ozeandampfer, von jetzt an mit Apparaten drahtloser Telegraphie versehen sein werden. Daß diese Zeit nicht nur kommen wird, sondern sogar in nicht allzu weiter Ferne steht, ist sicher. Auf diese Art würde dann auch sehr häufig die lästige Auslieferungsformalität vermieden werden. Der deutsche Verbrecher, der Amerika auf einem deutschen Dampfer wird erreichen wollen, wird auf die eben geschilderte Art, auf hoher See erkannt und gleichzeitig mit der Meldung an die Berliner Zentralbehörde wird eine andere Meldung an irgend ein in der Nähe befindliches deutsches Kriegsschiff gehen, den Verbrecher einfach auf hoher See in Empfang zu nehmen. Oft wird auch durch den schnellen Vorgang eine Panik an der Börse oder eine Verstimmung derselben umgangen werden; denn häufig wird der Dieb noch eher in den Händen der Gerechtigkeit sein, als sein Diebstahl den Blättern, und durch die Blätter dem großen Publikum bekannt geworden sein wird.
Das Senden von Bildern und Photographien an in Bewegung befindliche Schiffe, Züge, Autos und Luftschiffe wird einfach durch die Anwendung der beiden, jetzt »drahtlich« in Gebrauch befindlichen Methoden nunmehr »drahtlos« vonstatten gehen.
Die Methode des Herrn Professors Korn, der bisher in München gewesen ist und nun in Berlin weilt, basiert auf der Eigenschaft des Selens, eine größere oder geringere Menge von Elektrizität mit sich zu führen, die in einem ganz bestimmten Verhältnis zu dem Lichte steht, das auf dieses Metall fällt. So werden die verschiedenen Intensitäten von Licht und Schatten, die sich auf einem Negativbild zeigen, auf dem elektrischen Drahte in die Ferne versandt, und dort übertragen sie sich auf einen gewöhnlichen photographischen Film, der in der üblichen Art dann entwickelt wird. Die etwas zerrissene Art der dadurch erhaltenen Bilder, die namentlich bei Landschaften und Bildern mit feineren Details unangenehm auffällt und sehr störend wirkt, wird durch die Methode Edouard Belins in Paris vermieden. Da wird erst eine dicke Kohlenzeichnung von der zu sendenden Photographie gemacht, und über diese Kohlenzeichnung fährt, vermittels eines rotierenden Zylinders, die feine Saphirspitze eines Stiftes, der über die ganze Fläche des Bildes in Spirallinien zieht, die nur ein Zwanzigstel eines Millimeters von einander abstehen. Der Höhenunterschied an der Oberfläche der Zeichnung, der für das Auge ebensowenig wie für das Gefühl bemerkbar ist, genügt, um auf den Hebel übertragen zu werden, der den Stift hält, und diese Bewegung überträgt sich wieder auf den Reciver der Empfangsstation, wo man sie auf eine Lichtspitze wirken läßt, die durch ihre größere oder geringerer Intensität, ebenso wie bei dem Kornschen System, auf einen Film einwirkt, der dann einfach entwickelt wird.
Drahtlose Telephonie. Eine Allegorie von Ernst Lübbert.
Ein anderes Wunder unserer Zeit ist der Graysche Telautograph, der ein geschriebenes Manuskript durch den drahtlosen Aether zu senden vermag. Man male sich nur aus, welche große Rolle diese Möglichkeit künftighin in den Stücken unserer Sensations-Komödienschreiber spielen wird.
Szene: Ein Zuchthaus, weiß der Himmel wo. Zeit: Eine Stunde vor der Hinrichtung eines unschuldig Verurteilten. Die Mutter und die Braut des Verurteilten bitten um Gotteswillen die Hinrichtung zu verschieben, weil ein neues Gnadengesuch an den Kaiser abgegangen ist. Aber kein Aufschub ist möglich. Die Hinrichtung muß pünktlich zur festgesetzten Zeit stattfinden, und der Kaiser ist weit, weit auf einer seiner Nordlands- oder Mittelmeerreisen. »Ohne des Kaisers Unterschrift«, lautet die Antwort, »ist kein Aufschub möglich«. Der Henker ist bereit, der Henker wird seines Amtes walten. Alle Hoffnung ist somit verloren. Aber nein. Die Heldin des Stückes eilt zu einer drahtlosen Station. Sie kennt die Nummer des Kaisers, die sonst nur seine Vertrautesten kennen. Sie ruft ihn an und spricht mit ihm, der Gott weiß wo auf der Jagd oder mit Staatsgeschäften beschäftigt ist. Und plötzlich ein Leuchten, ein Knistern und auf dem sich langsam abrollenden Papier erscheinen die Schriftzüge des Kaisers. Die Begnadigung ist von ihm unterschrieben. Sie eilt zurück und kommt gerade zur rechten Minute, um die Hinrichtung noch zu verhindern.
Wenn wir so einem Stück auf der Bühne begegnen werden, so werden wir uns bald über diese »Unwahrscheinlichkeit« nicht mehr wundern, denn schon jetzt ist das Problem der Übertragung der Handschrift vollständig gelöst, wenn es auch der Allgemeinheit noch nicht zugänglich gemacht worden ist. Der Graysche Telautograph überträgt mit Hilfe zweier Seidenfäden die zitternde Bewegung, die ein Stift verursacht, mit dem man auf einer sich schnell abhaspelnden Rolle Papier schreibt, die über diese zwei Seidenfäden läuft. Diese Bewegung übernimmt der Reciver an der Empfangsstation und sie verursacht die entsprechende Bewegung einer ganz dünnen, offenen Tintentube, die infolgedessen auf dem sich ebenso gleichmäßig abrollenden Papier dieselben Schriftzeichen wiedergibt, die auf der Empfangsstation verursacht wurden. Man kann auf diese Art selbstverständlich nicht nur Handschriften, sondern auch jede andere Zeichnung und alle Zeichen übertragen. Was der Telautograph in Verbindung mit der drahtlosen Bilderübertragung auf dem Gebiete der Identifizierung bei weiten Distanzen alles wird leisten können, das entzieht sich gerade unserer Beurteilung, denn dies würde uns auf Gebiete führen, die uns heute noch ganz phantastisch erscheinen müssen, obwohl sie zweifellos nichts als die Wahrheit sind. Allerdings die Wahrheit der Zukunft. Kein Bankbetrug wird mehr möglich sein, es wird keine falschen Anweisungen und keine gefälschten Schecks mehr geben. Jeder Mensch wird jeder Bank sozusagen persönlich bekannt sein; denn wenn sie mit ihm in Verbindung steht, wird sie ihn sehen, wird seine Schrift kennen, wird ihn selbst seine Unterschrift leisten sehen, und das auch dann, wenn die Bank in Berlin ist und der Auftraggeber in Mexiko. Das drahtlose Jahrhundert wird also sehr vielen, wenn auch nicht allen Verbrechen ein Ende machen. Es wird ein Jahrhundert der Moralität sein, denn bekanntlich sind Moralität und Furcht ein und dasselbe.
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Monarchen, Kanzler, Diplomaten, Bankiers, Beamte und Direktoren werden ihre Geschäfte erledigen und ihre Unterschriften geben können, wo immer sie sind. Direktoren einer und derselben Gesellschaft werden ganz ruhig eine legale Versammlung abhalten können, wenn der Eine auf der Spitze des Himalaya ist, und der Andere in einer Oase der afrikanischen Wüste, der Dritte in irgend einem Badeort und der Vierte sich gerade auf einer Luftreise befindet. Sie werden sich sehen, miteinander sprechen, werden ihre Akten austauschen und werden sie unterschreiben, gleichsam, als wären sie zusammen an einem Orte. Nirgends, wo man auch ist, ist man allein. Ueberall ist man in Verbindung mit allem und jedem. Jeder kann jeden sehen, den er will, sich mit jedem unterhalten, mit jedem Whist, Skat und Poker, mit jedem Schach und Dame spielen und wäre der Betreffende auch tausend Meilen von ihm entfernt. Er kann jedes Vergnügen und jede Zerstreuung, wie sie sich jeder andere Mensch gönnen kann, auch mitmachen. Er kann die Tänzerinnen des Königs von Siam ebensogut in Paris in seinem Studierzimmer sehen, wie er während der Fahrt im Bahncoupé einer Vorstellung der großen Oper von Monte Carlo beiwohnen kann. Es gibt nichts, was er sich nicht zu leisten vermag. Er kann die Berühmtheiten seiner Zeit alle mit Augen sehen, er kann, wenn sie sich darauf einlassen, mit ihnen sprechen. Ja, vielleicht wird auch noch der Apparat erfunden, durch den man ihnen die Hand drücken und ihren Händedruck empfinden kann.
Auch das Reisen wird im drahtlosen Jahrhundert eine fabelhafte Umgestaltung erfahren. Es wird mit einer riesigen Schnelligkeit auch eine großartige Sicherheit verbinden. Schon jetzt haben die »drahtlosen Techniker« den Aerophor nicht nur erfunden, sondern auch derart vervollkommnet, daß ein automatischer Signalapparat dem Lokomotivführer selbsttätig anzeigt, wenn ein anderer Zug auf demselben Schienenstrang läuft und sich in einer Entfernung von nur zwei englischen Weilen befindet. Natürlich gibt der Apparat auch die Richtung an, in der dieser Zug sich bewegt. Dadurch sind die Lokomotivführer der beiderseitigen Züge imstande, die Fahrt zu verlangsamen oder zu halten oder eventuell auf ein anderes Gleise zu führen. In jedem Falle aber ist ein Zusammenstoß ganz unmöglich. Derselbe Apparat warnt den Seemann bei schwerem Nebel und kündigt ihm die Nähe eines andern, seinen Kurs kreuzenden, oder in seinem Kurs auf ihn zufahrenden Schiffes an. Und jedes andere, in einer gewissen Entfernung befindliche Schiffahrtshindernis, wird ihm ebenso sicher durch den Apparat signalisiert, und er wird ihm auch die genaue Entfernung angeben können, in der es sich befindet. Ja, man hat den Apparat sogar derart konstruiert, daß er beim Signalisieren der Gefahr sofort im Maschinenraum nicht nur das Haltesignal gibt, sondern auch die Maschinen selber automatisch zum Stillstand bringt.
Man wird künftig ganz wundervoll reisen, sei es auf dem Meer, oder unter dem Meer, sei es auf der Erde oder unter der Erde oder über der Erde in unserem neuen eroberten Reiche der Luft. Wer aber trotz alledem nicht wird reisen wollen, der wird, wie gesagt, ganz bequem in seinem eigenen Zimmer die ganze Welt bereisen können. Es wird keine Zeit und keine Entfernung mehr geben, und einer Katastrophe, wie der jüngsten von Messina und Kalabrien werden wir alle beiwohnen können, sicher in unserem Hause sitzend, wo immer dieses auch steht. Wir werden einfach auf drahtlosem Wege uns mit der Unglücksstätte verbinden lassen, und wer an dem Anblick allein nicht genug hat, sondern die Sensation furchtbarster Art ganz wird auskosten wollen, der wird, wenn er will, auch das Angstgewimmer der Leute, das Verröcheln der Sterbenden und die Schreie der Hungrigen und die Flüche der Irrsinnigen hören. Jedes Ereignis werden wir so mitmachen können. Die ganze Erde wird nur ein einziger Ort sein, in dem wir wohnen. Kein Raum wird uns mehr trennen, wir werden überall sein, nur dadurch schon, daß wir überhaupt da sind. – Auch dieses Bild, das ich eben ausgemalt habe, ist keineswegs eines, das wir erst in hundert Jahren erreichen werden. Nein. Der Apparat, der das vermag, ist auch schon erfunden und wurde erst im vergangenen Dezember einem jungen New Yorker Erfinder, Rothschild, patentiert. Und im Grunde ist es eigentlich nichts weiter, als die geniale Kombination von Kinematograph, Telautograph, Telephon und wie die großartigen Vorläufer-Erfindungen desselben alle heißen.
Auch im politischen Leben wird die drahtlose Telegraphie eine außerordentliche Rolle spielen. Der Wahlvorgang zum Beispiel wird vollständig zentralisiert werden können, und Wahlen werden einfach bloß noch in den Reichshauptstädten vorgenommen werden. Jeder wird imstande sein, seine Stimme von dort abzugeben, wo er sich grade befindet und jeder Wähler wird einfach durch Vergleichen mit den Wahllisten identifiziert werden, die nicht nur den Namen und Stand des Wählers enthalten werden, sondern auch dessen Photographie. Von den höchsten Gletschern, von den Feldern und Sümpfen der Marschen aus wird man seine Stimme abgeben können, und das Staatsoberhaupt wird Gelegenheit haben, sich, wenn er will und auf welche Weise immer er dies zu tun beabsichtigt, von der Stimmung im Volke ein wahrheitsgetreues Bild zu schaffen, denn kein Kaiser und kein Präsident wird mehr auf den Bericht irgend eines Schranzen angewiesen sein, sondern wird selbst, in seinem Schlosse sitzend, jeder Volksversammlung, jeder Volksdemonstration beiwohnen können und wird sich mit jedem in Verbindung zu setzen vermögen, von dem er wahrheitsgetreuen Aufschluß zu erhalten glaubt. Die Stimme der Wahrheit wird bis in die abgeschlossensten Paläste hineindringen und dort nicht mehr ungehört verhallen können.
Auch im Gerichtssaale wird die drahtlose Telegraphie eine gewaltige Rolle spielen. Zeugen werden nicht mehr von weit her herbeigeschafft werden müssen, sondern sie werden einfach vor Gericht erscheinen, während sie ruhig zu Hause bleiben oder ihren Geschäften nachgehen. Die Kosten des Gerichtsverfahrens werden dadurch wesentlich billiger werden; die Zeitverschwendung wird nicht mehr ins Gewicht fallen wie jetzt, und niemand wird im Gerichtsgebäude stundenlang warten müssen. Ein Anruf wird genügen, und jeder Zeuge, und sei er selbst am Nordpol, wird im Augenblick zur Stelle sein. Konfrontationen werden auf dieselbe Weise zustande kommen. Der Mörder in Chikago wird auf drahtlosem Wege dem Kronzeugen, der sich vielleicht in Sibirien befindet, gegenüber gestellt werden. Beide Zeugen werden einander Aug in Auge gegenüber stehen, und hier wie dort wird man der ganzen Gerichtsverhandlung folgen und an ihr teilnehmen können. Das einzig störende wird eben der Zeitunterschied sein, so daß einige Zeugen mitten in der Nacht werden aussagen müssen, wenn sie an einer Verhandlung teilnehmen, in der der lokale Zeitunterschied ein so bedeutender ist.
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Szene: Ein elegantes Boudoir in der 5. Avenue in Newyork. Eine Braut, die Tochter eines Multimilliardärs, ist ganz außer sich und schwimmt in Tränen. Ein furchtbares Unglück ist geschehen. Ihre Brauttoilette ist ruiniert worden; ein Loch wurde durch eine Zigarette eingebrannt. So kann sie unmöglich am nächsten Sonnabend zur Hochzeit gehen, lieber gar nicht heiraten. Und den Schaden durch eine Spitze etwa zu verdecken, nicht um die Welt. Entweder ist das Kleid tadellos oder sie zieht es nicht an. Ein heimischer Schneider? Fällt ihr gar nicht ein. Das Kleid muß von Paquin sein. Von jener weltberühmten, über hundertjährigen Firma, die schon 1908 tonangebend in ihrem Geschmack war. »Aber Kind«, ruft der Bräutigam, »das ist doch ganz einfach. Wir lassen uns telautophonisch mit Paquin verbinden, suchen uns eine Brauttoilette aus, geben Dein Maß an und lassen uns das Kleid durch drahtlosen Luftmotor hierherkommen.« Wie weggeflogen ist in diesem Augenblick der Schmerz der jungen Braut. Sie jubelt laut auf, klatscht in die Hände und gibt sofort Befehl, ihren Apparat hereinzubringen. Fünf Minuten später wandeln schon die Pariser Modelle mit den ausgesuchtesten Brauttoiletten an ihr vorüber. Die Maße werden genau genommen und angegeben, und sechs Stunden später hat die jetzt wieder glückliche Braut ihr Kleid, das zehnmal so schön ist, wie das, was ihr Bräutigam verdorben hat. Ueberhaupt wird das Einkaufen zu jener Zeit ein noch größeres Vergnügen sein, als jetzt. Man wird einfach von seinem Zimmer aus alle Warenhäuser durchwandern können und in jeder Abteilung halt machen, die man eingehender zu besichtigen oder wo man etwas auszuwählen wünscht. Die Kommis werden die Waren in den Warenhäusern ausbreiten, so wie jetzt; die Kundinnen werden nicht in den Warenhäusern selbst sein, sondern da, wo sie grad' weilen. Bei sich zu Haus, oder in einer Gesellschaft oder irgendwo anders. Und sie werden wählen und an ihrer Wahl alle ihre Freundinnen teilnehmen lassen können, und alles wird leibhaftig vor ihren Augen erscheinen; denn natürlich werden alle die Bilder in ihren natürlichen Farben zu sehen sein.
Auch auf Ehe und Liebe wird der Einfluß der drahtlosen Telegraphie ein außerordentlicher sein. Liebespaare und Ehepaare werden nie von einander getrennt sein, selbst wenn sie Hunderte und Tausende Meilen von einander entfernt sind. Sie werden sich immer sehen, immer sprechen, kurzum, es wird die Glückszeit der Liebe angebrochen sein und die des Strohwitwertums vernichtet; denn künftighin wird sich die leibliche Gattin stets davon überzeugen können, was ihr Herr Gemahl treibt; aber auch der Herr Gemahl wird ganz genau wissen, wie und ob seine Gattin nur an ihn denkt.
Auch der Krieg wird wesentlich durch das drahtlose Zeitalter modifiziert. Das Durchschneiden der Kabel und das Zerstören der telegraphischen Leitungen wird in den Bewegungen der Heere keine Verzögerungen herbeiführen. Es wird keine falsch verstandenen Befehle mehr geben, und der Oberbefehlshaber wird nicht erst darauf warten müssen, daß man ihm berichtet, wo der Gang der Schlacht ist, sondern er wird das ganze Schlachtfeld selber übersehen, und nicht das eine Schlachtfeld allein, sondern das ganze Land, in welchem die kriegerischen Operationen vor sich gehen. Er wird sogar imstande sein, nach seinem Willen nicht nur die große Armeekolonne in Bewegung zu setzen, sondern auch die kleinen Abteilungen. Sein Feldherrnblick allein wird entscheiden; denn er in seinem Zimmer oder in seiner Baracke wird alles sehen, die Bewegungen seiner Armeen, sowie die der feindlichen Heereshaufen. Die Berichterstattung wird natürlich auf außerordentlicher Höhe stehen; denn jedes, selbst das allerkleinste Blättchen, ja jeder Abonnent desselben wird sich den Luxus erlauben können, von seinem Zimmer aus den Kriegsereignissen beizuwohnen und alle Details derselben zu sehen. Kurz, alle diese Wunder der drahtlosen Telegraphie werden das kommende Zeitalter zu einem großartigen, unglaublichen machen.
Unglaublich? Nicht doch. Wir haben ja ebenso große Wunder auch schon erlebt. Noch vor dreißig Jahren gab es kein elektrisches Licht, kein Telephon, kein Grammophon und keinen Phonographen. Die großen Wunder haben wir jetzt geschaffen, und was ich geschildert habe, ist nichts als die allgemeine Nutzanwendung derselben; das ist nur das, was ganz bestimmt kommen wird und zum Teil schon da ist. Doch es liegen noch ganz andere Möglichkeiten vor. Es ist möglich, daß der Landmann sechs- bis zehnfach so große Früchte züchten wird, als jetzt. Es ist wahrscheinlich, daß er statt einer und zweier Ernten sechs- bis zehnmal im Jahre die Früchte nach Hause bringen wird. Es ist möglich, daß ein Arzt eine ganze, von einer Seuche heimgesuchte Stadt auf einmal dadurch heilen wird, daß er eine elektrische Zyklonwelle drahtloser Energie über sie wird fluten lassen. Der Wetterprophet wird nicht mehr das Wetter ansagen, sondern das Wetter machen. Sonnenschein und Regen wird nur von dem Willen der Menschen abhängen. Ueberall auf Erden wird man den Winter und jeden Sturm durch elektrische Wärmewellen vertreiben, die den ewigen Frühling über das Land breiten werden. Und ein neuer Marconi wird vielleicht mit den Bewohnern des Mars sich verbinden und wird die Geheimnisse der fremden Welten dadurch offenbaren.