Lily Braun
Madeleine Guimard
Lily Braun

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Dritter Akt

Auf der Straße vor dem Tribunal, zu dessen breiter Pforte ein paar Stufen emporführen. Frauen, Kinder und alte Männer drängen von links herein.

Eine Frau
Herbei! Herbei!
Ein Zug von Royalisten!

Eine andere
Gefang'ne! Hochverräter!
Freunde Capets!

Eine dritte
Sie stahlen unser Brot,
Lebten von unsrer Not.
Wir nehmen jetzt, was sie von uns genommen.

Die Kinder
Sie kommen! Sie kommen!

(Ein Trupp von Soldaten der Nationalgarde zieht ein, zwischen ihnen die Gefangenen, Männer und Frauen.)

Eine Frau
Seht nur, seht!
Die Herzogin von Croix, der Graf von Reite!

Ein alter Mann (dicht an die Herzogin herantretend, mit der Faust drohend)
Dein Vater schlug mich krumm und lahm.
Als ich als Knecht in seine Dienste kam!

(Eine alte Frau drängt sich durch die Menge und stürzt auf einen der Gefangnen zu.)

Die alte Frau
Wo hast du, Schurke, meine Tochter, sprich?!
Die Rache aller Mütter treffe dich!

(Der erste Zug verschwindet im Tribunal, dessen Pforte sich krachend schließt.)

Alle
Tod allen, die uns geschlagen,
Geschunden, beraubt, verführt!
Wir haben zu lang ertragen
Die Schmach, die uns nicht gebührt.

Wir waren die dunkle Erde,
Die blühenden Blumen – sie!
Auf daß ihre Schönheit werde.
Verschont uns die Pflugschar nie!

Wir recken empor die Arme,
Wir blicken hinauf zum Licht,
Nicht daß sich der Herr erbarme.
Denn unsrer erbarmt er sich nicht.

Wir wollen es endlich wagen,
Zu fassen, was uns gebührt –
Tod allen, die uns geschlagen,
Geschunden, beraubt, verführt.

(Während des Gesanges ziehen wieder Soldaten mit Gefangenen über die Bühne. Der Herzog von Soubise wird vorbeigeführt.)

Ein Mann
Der Herzog von Soubise!

Ein Mädchen
Welch schöner Mann!

(Sie tritt vor und knixt vor ihm. Ein Bursche zieht sie heftig zurück.)

Ein Bursche
Daß dieses Pack das Kokettieren
Und Scharmutzieren
Mit hohen Herrn nicht lassen kann!

(Der Herzog wird ins Tribunal geführt. Zwischen anderen Soldaten erscheint Madeleine Guimard.)

Eine Frau
Nun seht einmal:
Wie gütig vom Tribunal:
Es läßt den Armen nicht allein:
Sein süßes Schätzchen darf bei ihm sein!

Eine zweite Frau (erbost zur ersten)
Megäre, hüte deine Zunge!
Mein einz'ger Junge
Läge im Grab
Ohne das Brot, das sie gab.

(Einige Frauen und Kinder stürzen auf Madeleine zu.)

Die Frauen und Kinder (durcheinander)
Madeleine Guimard!
Was sehe ich!
Wir alle treten ein
Für dich! Für dich!
    (Sie suchen die Soldaten beiseite zu drängen.)
Schnell, laßt sie frei!
Ein Irrtum ist's!
Die Freundin des Volkes
Unter Verrätern!

(Die Menge wird immer größer und versperrt den Soldaten den Eingang zum Tribunal.)

Ein Soldat
Platz da! – Ins Loch
Kommt ihr sonst alle!

Eine Gruppe von Männern
Was, du bedrohst
Uns, das Volk?

(Die ganze Menge schiebt sich in drohender Haltung zwischen die Soldaten und den Eingang.)

Viele Mädchen (zu den Soldaten)
Sangt ihr mit uns nicht jüngst das Lied,
Das schöne Lied von der Guimard?

(Die erste Strophe des folgenden Liedes wird von den Mädchen allein gesungen. Die zweite singt die ganze Menge des Volkes mit. In die dritte stimmen auch die Soldaten ein.)

    Wer ist die bacchantische Tänzerin,
    Für die alle Herzen glühn,
    Um die das Glück, der Glanz, das Gold,
    Brillantene Funken sprühn?
    Es schwebt ihr Füßchen, es flattert ihr Haar –
        Madeleine Guimard –
        Madeleine Guimard!

    Wer ist der Engel im grauen Kleid,
    Der heimliche Feind der Not?
    Er stillt den Hunger, vertreibt den Frost,
    Er meistert sogar den Tod.
    Er half, wenn das Leid am größten war –
        Madeleine Guimard –
        Madeleine Guimard!

    Wer preist nicht die Nonne auf hartem Pfühl,
    Sie ist eine Sel'ge schon hier;
    Doch wenn Madeleine eine Nonne wär',
    Verhungert wären wir.
    O tanze, o sünd'ge drum immerdar –
        Madeleine Guimard,
        Madeleine Guimard!

(Madeleine, die zuerst sehr teilnahmslos war, erheitert sich während des Gesanges, lächelt und macht, zum Entzücken der Zuschauer, einige Tanzbewegungen.)

(Die Türe zum Tribunal wird von innen aufgerissen, und Regnard erscheint.)

Regnard
Pflichtvergess'ne Soldaten!
Törichtes Volk,
Das jede Dirne noch verführen kann!

Das Volk (in drohender Haltung)                   Dirne!!

Regnard (zu den Soldaten)
Fesselt das Weib!
Vorwärts!
Herein mit ihr!

Madeleine (hochmütig)
Es bedarf keiner Fesseln.
Ich folge von selbst.
Ich tanze empor die gefürchteten Stufen
Zum Kerker der Freiheit.

(Sie geht bis zur Türe, als das Volk sich noch einmal dazwischen wirft.)

Das Volk (mit Stöcken und Steinen Regnard und die Soldaten bedrohend)
Gebt die Tänzerin frei!

Madeleine (zu dem Volke gewendet)
Gemach, lieben Freunde!
Keine Gewalt!
Ich will, wie ihr es wünschtet,
Weiter tanzen!
Und Amor und die Grazien
Helfen mir!

(Sie winkt und grüßt nach allen Seiten)

Das Volk (die Frauen wehen mit den Tüchern, die Männer schwenken die Hüte)
    O tanze, o sünd'ge drum immerdar –
        Madeleine Guimard, –
        Madeleine Guimard!

(Madeleine und die Soldaten verschwinden hinter der Pforte, die sich krachend verschließt)

(Verwandlung)

(Der Saal des Tribunals. Eine große Tür rechts, links eine Anzahl kleinerer Türen. Im Hintergrund eine große Glastür, die auf einen Balkon hinausfuhrt. Gefangene unter Aufsicht von Soldaten gehen auf und ab.)

Die Gefangenen (untereinander in steigender Erbitterung)
      Von Knechten gefangen!
      Besser gehangen,
Als uns, den Herren, dies Sklavenlos.

      Dem Pöbel zum Spotte,
      Der frechen Rotte,
Die gestern noch klein war und heute groß.

      Sie küßte noch eben,
      Beglückt und ergeben,
Den Fuß, der sie trat, die Hand, die sie schlug,

      Und beugte den Nacken
      Vor jedem Kosaken,
Der die Livree eines Großen trug.

(Während der letzten Zeilen wird der Herzog von Soubise hereingeführt.)

      Und das will regieren
      Und kommandieren –
Zum Herrschen muß man geboren sein.

Soubise
      Mir scheint, wir verloren,
      Was mit uns geboren,
Wer stärker ist, herrscht und – sperrt uns ein!

Paßt auf, ihr Herrn, gleich sollt ihr eine seh'n.
Ein Pöbelkind, das aus der Gosse stammt,
Und eine Krone trägt –

(Durch die große Türe rechts kommen Soldaten mit Madeleine Guimard in der Mitte. Einer der Soldaten schließt mit einem großen Schlüssel die Türe wieder zu.)

Madeleine (sich lächelnd zu dem Schließer wendend)
Mußt du dies rost'ge Ding
Stets mit dir schleppen?
    (Der Soldat nickt.)
Es beschwert den Schritt!
Nimmst es wohl gar zu deinem Liebchen mit?!
    (Sie wendet sich kokett lächelnd einem anderen
    Soldaten zu.)

Doch deins war größer noch –
Zeig' es noch einmal!
    (Der Angeredete zieht einen großen Schlüssel aus
    der Tasche, den er ihr schmunzelnd zeigt.)

Ach, seht mir doch den Kerkermeister an:
Auch er ist – nur ein Mann!
    (Die Soldaten ziehen sich in den Hintergrund
    zurück. Madeleine bemerkt Soubise, der ihr
    eine tiefe Verbeugung macht.)

So feierlich?! Gebt mir die Hand, mein Freund!
Ob arm, ob reich.
Jetzt sind wir alle gleich;
Ob gut, ob schlecht,
Was einem frommt, ist auch dem andern recht.

{ unisono }

Die Gefangenen (untereinander)
Die Tänzerin, und eine Krone – wie?
Der arme Narr ist noch verliebt in sie!

Madeleine (zu Soubise)
Das Leben gilt's, die Freiheit – höre zu!

Soubise (zu Madeleine)
Du bist die Freiheit und mein Leben – du!

Die Soldaten
Wie schön sie ist! Den, der sie schuldig schalt.
Trieb Eifersucht, so fürcht' ich, zur Gewalt.

{ – }

Die Gefangenen
Er fleht – sie spielt die Spröde gar nicht schlecht –
Sie weiß, jetzt liebt man besser einen Knecht
Als einen Herzog, der ein Bettelmann,
Und morgen ein Geköpfter sein kann.

Die Soldaten
Wir sind dem Vaterland zum Dienst bereit.
Doch nicht Regnards gemeiner Lüsternheit.
Sie ist ein Kind des Volks wie du und ich –
Madeleine Guimard, getrost, wir schützen dich!

(Währenddessen sprechen Madeleine und Soubise lebhaft miteinander. Sie sucht ihm etwas klarzumachen. Er wehrt ab.)

Madeleine
Sprich mir von Liebe nicht, das schmerzt zu sehr:
Du weißt, mein Freund, ich glaube dir nicht mehr,
Ich will nicht glauben –! Bleibt mein Herz auch dein –
Ach, deine Welt wird nie die meine sein!

Soubise
Den Grenzpfahl hat ein einz'ger Blitz gefällt,
Nur wo mein Herz ist, da ist meine Welt.
Was gilt das Leben, gilt die Freiheit mir.
Sie haben Wert für mich allein mit dir.

Madeleine
Ein Blitz mag wohl den Grenzpfahl niederreißen.
Doch nie, was fremd ist, zusammenschweißen.
Mein lachend Bild soll immer dir gehören,
Doch folgt' ich dir, ich würd' es selbst zerstören.

Soubise
So treibt mich deine Liebe in den Tod –

(Ein Trupp von gefangenen Frauen wird in den Saal geführt.)

Madeleine Sieh dorthin, sieh! Rührt dich nicht ihre Not?
Wie diese weint jetzt deine Königin!
Ich, unsres Königs letzte Tänzerin,
Erinnre dich an deine Ritterpflicht:
Du kannst sie retten! – Doch gefangen – nicht!

Die Gefangenen (leise untereinander)
Was sagt sie? Retten – Königin – und Pflicht?
Das ist die Rede einer Dirne nicht!
    (Sie nahen sich vorsichtig dem Herzog,
    indem sie leise flüstern)

Gibt's einen Weg? Gedenke, wer du bist!
Ein Pair der Krone Frankreichs! Royalist!

(Soubise kämpft in langem, stummen Spiel mit sich, dann kniet er vor Madeleine nieder, während die Gefangenen das Paar umringen.)

Soubise
Verfüge über mich! Und stirb, mein Leid!
Du hast mein Leben einem Ziel geweiht.

Die Gefangenen
Ein Pöbelkind – das aus der Gosse stammt –
Und eine Krone trägt!

(Die Soldaten treiben die Gefangenen auseinander.)

Die Soldaten
Fort – auseinander – vorwärts! Ah, verdammt.
Ihr wollt wohl konspirieren
Und rebellieren?!
Wer sich noch regt.
Muß auf der Stelle
In die Zelle.

Madeleine (mit den Soldaten kokettierend)
Ach Gott! Ist es schon Nacht?
Ich hätte sie am liebsten hier durchwacht!
Seid gut! Seid nett!
Schickt nicht so rasch mich in das harte Bett!

Der erste Türschließer (mit einem verliebten Schmunzeln)
Du bist gewohnt, recht weich zu liegen?!

Der zweite Türschließer
Im Arm der Liebe süß dich einzuwiegen?!

Madeleine (schmollend und beziehungsvoll)
Um diese Zeit kein Tänzer schlafen kann –
Da fing, – ihr wißt's! – doch das Ballett erst an!

Ein paar Soldaten
Das Ballett? Ach, wie lang ist's her!
Du tanzt nicht mehr!

Andere Soldaten
Die Oper schloß die Pforten zu.
Und schuld bist du.

Der erste Türschließer (während Madeleine leise lockende Tanzbewegungen macht)
Wie wär's mit einem Tänzchen hier?!
Ich lohn' es dir –

Madeleine
Was gebt ihr mir, bin ich bereit?

Ein paar Soldaten
Euch allen – noch eine Stunde Zelt!

Alle Soldaten (Madeleine umringend)
Du tanztest oft im Königssaal –
Tanz' für uns einmal –
Tanz' für uns einmal!

Madeleine
So gebt gut acht!
Heute nacht
Hab' ich mir diesen Tanz erst ausgedacht.
Die Freiheit, die ihr predigt, werd' ich tanzen!

(Die Soldaten gruppieren sich um Madeleine. Die Gefangenen bleiben im Hintergrund. Soubise steht allein rechts, nicht weit von der Tür, scheinbar ohne Anteil zu nehmen. In dem Tanz Madeleines, den sie langsam, in ihr großes, schwarzes Tuch gehüllt, beginnt, drückt sich zunächst Demut, Angst und Unterwürfigkeit, dann in schnellerem Tempo, Hunger und Verzweiflung aus.)

(Die Soldaten begleiten den Tanz zunächst in abgerissenen, immer wieder unterbrochenen Sätzen.)

Die Soldaten
So klagten unsre Mütter . . .
So weinten unsre Bräute . . .
So jammerte mein Töchterchen um Brot . . .

(In der wachsenden Empörung, den der Tanz Madeleines veranschaulicht, wirft sie das Tuch ab, reißt den Hut vom Kopf, so daß die offenen Haare sie umflattern, und nimmt einem Soldaten den Säbel ab, den sie schließlich in wildem Siegesjubel und rasendem Tanze schwingt.)

Die Soldaten
Doch der heilige Zorn
Reißt sie empor!
Gegen Willkür und Macht
Sich der Haß verschwor – – –

Die Kronen von den Köpfen –
Die Köpfe vom Leib –
Das ist die Rache,
Das königliche Weib!

Tyrannenmord!
Die Zwingburg fiel.
Zu Ende ging der großen Herren
Verwegnes Spiel.

(Der Tanz geht in einen langsam feierlichen Rhythmus über, wobei Madeleine den Säbel von sich wirft, die Haare aufbindet und sich wie in Ekstase bewegt.)

Die Soldaten
Dem Volk gehört die weite Erde nun.
Auf weichen Kissen kann der Ärmste ruhn.
Zur Pflugschar wandeln sich des Säbels Klingen,
Der Greis darf feiern und der Jüngling singen.

(Die Leidenschaft bricht plötzlich im Tanze wieder durch. Madeleine nimmt dem ersten Türschließer die rote Jakobinermütze vom Haupt und drückt sie auf das ihre. Sie entledigt sich ihres Oberkleides und steht im kurzen Ballettröckchen vor den jubelnden Soldaten. In steigender Ausgelassenheit, wobei sie immer herausfordernder mit den Zuschauern, vor allem mit den beiden Türschließern kokettiert, feiert sie durch ihren Tanz die Freiheit. Sie nimmt Soldaten und Wächtern Waffen und Ketten ab, schichtet sie zu einem Haufen, den sie siegestrunken umtanzt. Dann umschmeichelt sie die beiden Türschließer, lockt ihnen die Schlüssel ab, die sie in wilden, wirbelnden Bewegungen, den letzten Sieg der Freiheit über die Knechtschaft ausdrückend, über sich schwingt.)

Die Soldaten
    Brich die Fesseln entzwei.
    Wir sind alle frei,
    Denn der Tag der Lust ist gekommen.
    Wirf die Waffen fort –
    Und dies Losungswort
    Heißt das Glück in der Welt willkommen.

    Um uns steigt das Gold,
    Der Dukaten rollt.
    Der Wein in den Kellern steht offen.
    Jedes Weib ist mein.
    Und was mein ist, dein –
    Erfüllt unser üppigstes Hoffen.

(Während die Soldaten sich dichter um Madeleine geschart haben, ist sie in wirbelndem Tanze ganz nahe an Soubise vorbeigekommen, dem sie die Schlüssel zusteckt. Er küßt ihr leidenschaftlich die Hand, schließt die Tür auf und geht hinaus. Madeleines Tanz ist währendessen immer bacchantischer geworden. Die Arme der Soldaten strecken sich ihr begehrlich entgegen; Madeleine fliegt von einem zum andern. Die Gefangenen schleichen hinter den Soldaten durch und versuchen, wie Soubise zu entkommen.)

Die Soldaten
    Komm, zur heißen Nacht!
    Bis die Sonne lacht.
    Laß im Liebesrausch uns versinken,
    Laß den Becher der Lust
    Mich an deiner Brust
    Bis zur Neige, der köstlichen, trinken.

(Madeleine taumelt, vollkommen erschöpft, in die Arme des ersten Türschließers. Sie entreißt sich ihm, als er sie zu küssen versucht.)

Der erste Türschließer
Du willst nicht?! Was?!

(Er sucht sie zu fassen. In dem Augenblick entdecken die Soldaten die offene Tür und die Gefangenen, die noch hinaus wollen.)

Die Soldaten
Verräterei!
    (Sie suchen nach ihren Waffen, indessen entkommen
    noch mehr Gefangene.)

Und Aufruhr!

Der Türschließer
Blast Alarm!

(Einer der Soldaten stürzt auf den Balkon und bläst ein Trompetensignal. Madeleine hüllt sich in ihr Tuch und flüchtet in eine Ecke des Saals. Regnard und Despreaux mit einigen anderen Mitgliedern des Tribunals erscheinen im Saal.)

{ unisono }

Einige Soldaten (Madeleine vorzerrend in drohender Haltung)
Jetzt geht's uns schlecht –
Und du bist schuld –
Du Fürstendirne!

Madeleine
Nun ist's – verspielt –
Der Tod gewiß –
Wie ich mich fürchte.

{ – }

(Der Türschließer hat inzwischen den Rapport erteilt.)

Der Türschließer
So ist's geschehn,
Bürger Regnard –
Das Mädchen ist schuldig.

Despreaux (tritt dazwischen)
Das Mädchen, sagst du?!
Und zwanzig Soldaten,
Besonders erwählte,
Vertraute Männer
Des Tribunals,
Die ihrer Pflicht vergaßen.
Sind ohne Schuld?

Regnard (zu Madeleine, die vorgeführt wird)
Madeleine Guimard,
Ich frage dich:
Hast du Verrat geübt
Am Vaterlande?
Gabst du die Schlüssel
Den Gefangenen?

Despreaux (nimmt Madeleine bei der Hand, sehr bedeutungsvoll)
Du weißt:
Auf Hochverrat steht Todesstrafe –
Sprich!

Madeleine (sehr ängstlich und stockend)
Sie wünschten –, daß ich tanzte –

Regnard
Und versprachen –?

Madeleine (zuversichtlicher)
Uns allen dafür eine Stunde Zeit.
Den Tanz der Freiheit tanzt' ich dann, –
Der Freiheit, wie wir alle sie uns träumen.

Despreaux
Die Waffen und die Schlüssel nahmst du wohl –

Madeleine (aufflammend)
Als aller Unfreiheit verrucht Symbol.

Regnard (spöttisch)
Der Unfreiheit des Allerliebsten – wie?!
Und einem Hochverräter gabst du sie!

(Madeleine sieht ängstlich und flehend auf Despreaux.)

Despreaux (scheinbar streng)
Die reine Wahrheit – mach' sie uns bekannt!
Du tanztest – er entriß sie deiner Hand?!
    (Madeleine senkt den Kopf. Despreaux wendet sich
    rasch an Regnard.)

Du siehst: nur Leichtsinn war es – keine Schuld!

(Madeleine wendet sich bittend an Regnard, auf die Soldaten zeigend.)

Madeleine
Doch auch für die bitt' ich um Eure Huld!

(Die Tänzer und Tänzerinnen stürmen, von vielem Volk gefolgt, in den Saal; Nivelon voran, der sich Regnard zu Füßen wirft.)

Nivelon (mit erhobenen Händen)
Madeleine Guimard! – Du willst sie töten!

(Eine Frau aus dem Volke fällt neben ihm auf die Knie.)

Die Frau                                                             Nein!
Die uns errettete – das kann nicht sein!

Die Tänzer und Tänzerinnen
Frag dich doch selbst, du harter Mann,
Ob diese Anmut sünd'gen kann?!

Das Volk
Was sie gefehlt, ist uns einerlei.
Wir wollen eines nur: gib sie frei!
Sahen des Schreckens genug bis heut.
Möchten nun wiedersehn, was uns freut.

Regnard
Frei?! Daß sie rasch wieder von uns flieht,
Da sie das Gold in die Fremde zieht.
Frei?! Nicht für euch! Denn zu stolz ist sie,
Tanzt für das Volk, das arme, nie!

Despreaux (leise zu Regnard)
Gib ihr als Strafe, daß sie bleiben muß!
Das ist für dich nicht schwer
Und macht dich populär;
Du weißt, man darf auch mit dem Spiel nicht sparen,
Will man die Gunst des Volkes sich bewahren!
    (zu Madeleine leise)
Rührt es dich nicht, wie dieses Volk dich liebt,
Das für den Tanz sein ganzes Herz dir gibt?

Regnard
Das Volk will dich.
Sein Wille aber ist Gesetz für mich.
Statt harter Strafe drum befehl' ich dir:
Du tanzst vor ihm und bleibst auf immer hier.

Das ganze Volk (zu Madeleine gewendet)
Nun zaubre zurück uns der Grazien Gunst,
Schwinge dein Zepter im Tempel der Kunst –

Rivelon (bittend zu Madeleine)
Nun bleibe! Auch ich bleibe treu bei dir!

Die Tänzer und Tänzerinnen (bittend zu Madeleine)
Heut in der Oper noch tanzen wir!

(Stummes Spiel Madeleines, die mit sich kämpft. In dem Augenblick treten Soldaten ein, die sich zu Regnard begeben.)

Die Soldaten
Bürger Regnard, wir haben sie alle.
    (Madeleine birgt entsetzt das Gesicht in den Händen)
Einer nur, leider, entwischte der Falle –
      Der Herzog von Soubise –

Madeleine (mit verhaltenem Jubel)
Nehmt mich zurück!
Ich tanze wieder! Tanze euch mein Glück!
    (Sehr leise.)
Und wie das Herz mir brach! –

(Sie sinkt weinend in die Arme von Despreaux.)

Das Volk (sie umringend)
Im Reigen wirst du dich wiegen.
Wir jauchzen dir alle zu!
Die Herzen wirst du besiegen.
Du reizende Tänzerin du!

Despreaux (leise)
Im Singen und Drehen und Biegen,
Wie rasch kommt das Herze zur Ruh!
Im Reigen wirst du dich wiegen,
Du reizende Tänzerin du!

Dauberval (leise)
Wir spielen wieder zusammen, –
Bald glaubst du, das Leben sei Spiel!
Wir wärmen an künstlichen Flammen,
Als Spieler ein künstlich Gefühl.

Nivelon (laut und jubelnd)
Die Jugend ist uns geblieben!
Lenz kommt, wenn der Winter vorbei!
    (Er beugt ein Knie vor Madeleine)
Und morgen wirst du mich lieben, –
Glaub' an den Mai –, den Mai!

Madeleine (wehmütig lächelnd)
Glaub' an den Mai – den Mai?!

Despreaux (mit einem fragenden Blick auf sie)
Glaub' an den Mai – den Mai?!

Das Volk, die Soldaten und die Tänzer
Und morgen wirst du mich lieben –
Glaub' an den Mai – den Mai!

(Der Vorhang fällt während des Chorgesanges.)

 

Ende

 


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