Ulrich Bräker
Lebensgeschichte und Natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg
Ulrich Bräker

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LXVI.
Zwey Jahre.
(1766. u. 1767.)

Ueberhaupt vertrödelte ich diese Sechzigerjahre, daß ich nicht recht sagen kann, wie? und so, daß sie meinem Gedächtniß weit entfernter sind, als die entferntesten Jugendjahre. Nur etwas Weniges also von meiner damaligen Herzens- und Gemüthslage. Schon mehrmals hab' ich bemerkt, wie ich in meiner Bubenhaut ein lustiger, leichtsinniger, kummer- und sorgenloser Junge war, der dann aber doch von Zeit zu Zeit manche gute Regungen zur Busse, und manche angenehme Empfindung, wenn er in der Besserung auch nur einen halben Fortschritt that, bey sich verspürte. Nun war die Zeit längst da, einmal mit Ernst ein ganz anderes Leben anzufangen. Gerade von meiner Verheurathung an wollt' ich mit nichts geringerm beginnen, als – der Welt völlig abzusagen, und das Fleisch mit allen seinen Gelüsten zu kreutzigen. Aber o ich einfältiger Mensch! Was es da für ein Gewirre und für Widersprüche in meinem Innwendigen absetzte. Vor meinem Ehstand bildete ich mir ein, wenn ich nur erst meine Frau und eigen Haus und Heimath hätte, würden alle andern Begierden und Leidenschaften, wie Schuppen, von meinem Herzen fallen. Aber, Potz Tausend! welch' eine Rebellion gab's nicht da. Lange Zeit wendete ich jeden Augenblick, den ich nur immer entbehren – aber eben bald auch manchen den ich nicht entbehren konnte, auf's Lesen an; schnappte jedes Buch auf, das mir nur zu erhaschen stuhnd; hatte itzt wirklich 8. Foliobände von der Berlenburger-Bibel vollendet; nahm dann, wie es sich gebührt, eine scharfe Kinderzucht vor, gieng dann und wann in die Versammlung etlicher Heiligen und Frommen – und ward darüber, wie es mir itzt vorkömmt, ein unerträglicher, eher gottloser Mann, der alle andern Menschen um ihn her für bös, sich selber allein für gut hielt, und darum jene – kurz jedes Bein nach seiner Pfeife wollte tanzen lehren. Jede, auch noch so schuldlose Freude des Lebens machte mir Scrupel über Scrupel; ich wollte mir bald sogar die Befriedigung eigentlich unentbehrlicher Bedürfnisse des Lebens versagen; und doch steckte mein Busen noch voll schnöder Lust, und tausend abentheuerlicher Begierden, die ich so oft ertappte, als ich nur hineinzugucken Muths genug hatte – und dann freylich fast zur Verzweiflung gerieth, doch allemal von neuem wieder Posto faßte, und meine Sachen mit Beten, Lesen – und – o ich abscheulicher Kerl! – hauptsächlich damit wieder zu verbessern suchte, daß ich meiner Frau und Geschwisterten, wie ein Pfarrer, zusprach, und ihnen die Höll' bis zum Verspringen heiß machte. Oft fiel's mir gar ein, ich sollte, gleich den Herrnhutern und Inspirirten, in der weiten Welt herumziehn, und Buß' predigen. Wenn ich dann aber so nur einem meiner Brüder oder Schwestern eine Sermon hielt, und schon im Text stockte, dann dacht' ich wieder: Du Narr! Hast ja keine Gaben zu einem Apostel, und also auch keinen Beruf dazu. Dann fiel ich darauf, ich könnte vielleicht besser mit der Feder zurechte kommen, und flugs entschloß ich mich ein Büchlin zum Trost und Heil wo nicht ganz Tockenburgs, wenigstens meiner Gemeinde zu schreiben, oder es zuletzt auch nur meiner Nachkommenschaft – statt des Erbguts zu hinterlassen.

LXVII.
Und abermals zwey Jahre
(1768. u. 1769.)

Das vorige Jahr 67. hatte mir wieder einen Buben bescheert. Ich nannte ihn nach meinem Vater sel. Johannes. Um die nämliche Zeit fiel mein Bruder Samson im Laubergaden ab einem Kirschbaum zu Tod. Ao. 68. fieng ich obbelobtes Büchlein, und zugleich ein Tagebuch an, das ich bis zu dieser Stunde fortsetze, anfangs aber voll Schwärmereyen stack, und nur bisweilen ein guter Gedanke, in hundert lären Worten ersäuft war, mit denen N. B. meine Handlungen nie übereinstimmten. Doch mögen meine Nachkommen daraus nehmen, was ihnen Nutz und Heil bringen mag.

Sonst ward ich in diesen frommen Jahren des Garnhandels bald überdrüßig, weil ich dabey, wie ich wähnte, mit gar zu viel rohen und gewissenlosen Menschen umzugehen hätte. Aber, o des Tuckes! warum überließ ich ihn denn meiner Frau, und beschäftigte mich nun selbst mit der Baumwollentüchlerey? Ich glaubte halt, vor meine Haut und mein Temperament mit den Webern besser als mit den Spinnern auskommen zu können. Aber es war für meine Oekonomie ein thörigter Schritt, oder wenigstens fiel er übel aus. Im Anfang kostete mich das Webgeschirr viel, und mußt' ich überhaupt ein hübsches Lehrgeld geben; und als ich itzt die Sachen ein wenig im Gang hatte – schlug die Waar' ab. Doch, ich dachte: Es wird schon wieder anders kommen.

Das Jahr 69. bescheerte mir den dritten Sohn. «Ha»! überlegt' ich itzt eines Tags: «Nun mußt du doch einmal mit Ernst ans Sparen denken; bist immer noch so viel schuldig, wie im Anfang, und dein Haushalt wird je länger je stärker. Frisch! die Händ' aus den Hosen gethan, und die Bären abbezahlt. Itzt kann's seyn. Bisher hattest du noch stets an deiner Hütte zu flicken, und fehlte immer hie und da noch ein Stück; andrer Ausgaben in deinem Gewerb u. s. f. u. f. zu geschweigen. Dann hast du unvernünftig viel Zeit mit Lesen, Schreiben, u. d. gl. zugebracht. Nein, nein! Itzt willst anders dahinter. Zwar das Reichwerdenwollen soll von heut an aufgegeben seyn. Der Faule stirbt über seinen Wünschen, sagt Salomon. Aber jenes ewige Studiren zumal, was nützt es dir? Bist ja immer der alte Mensch, und kein Haar besser als vor 10. Jahren, da du kaum lesen und schreiben konntest. – Etwas Geld mußt' freylich noch aufnehmen; aber dann desto wackerer gearbeitet, und zwar alles, wie's dir vor die Hand kömmt. Verstehst ja, neben deinem eigentlichen Berufe, noch das Zimmern, Tischlern u. s. f. wie ein Meister; hast schon Webstühl, Trög' und Kästen, und Särg' bey Dutzenden gemacht. Freylich ist schlechter Lohn dabey, und: Neun Handwerk', zehn Bettler, lautet das Sprüchwort. Doch wenig ist besser als Nichts». So dacht' ich. Aber es liegt nicht an jemands Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Verhängniß, an Zeit und Glück!

LXVIII.
Mein erstes Hungerjahr
(1770).

Während diesem meinem neuen Planmachen und Projeckteschmieden, rückten die heißhungrigen Siebenzigerjahre heran, und das erste brach ein, ganz unerwartet, wie ein Dieb in der Nacht, da jedermann auf ganz andre Zeiten hoffete. Freylich gab's seit dem Jahre 1760. in unsern Gegenden kein recht volles Jahr mehr. Die J. 68. und 69. fehlten gar und gänzlich; hatten nasse Sommer, kalte und lange Winter, grossen Schnee, so daß viel Frucht darunter verfaulte, und man im Frühling aufs neue pflugen mußte. Das mögen nun politische Kornjuden wohl gemerkt, und der nachfolgenden Theurung vollends den Schwung gegeben haben. Dieß konnte man daraus schliessen, daß um's Geld immer Brodt genug vorhanden war; aber eben jenes fehlte, und zwar nicht bloß bey dem Armen, sondern auch bey dem Mittelmann. Also war diese Epoche für Händler, Becken und Müller eine goldene Zeit, wo sich viele eigentlich bereicherten, oder wenigstens ein Hübsches auf die Seite schaffen konnten. Hinwieder fiel der Baumwollen-Gewerb fast gänzlich ins Koth, und aller dießfällige Verdienst war äusserst klein; so daß man freylich Arbeiter genug ums blosse Essen haben konnte. Ohne dieß wäre der Preiß der Lebensmittel noch viel höher gestiegen, und hätte die theure Zeit wohl bald gar kein End' genommen. Doch, alles spezificirlich herzusetzen wäre um eben so viel überflüßiger, da ich es in meinem, wie ich höre, einst auch vor dem Publikum erscheinenden Tagebuch bereits hinlänglich gethan, und nämlich dort pünktlich, in aller Einfalt erzählt habe, was diesem Zeitpunkt vorgegangen (als z. E. Kometen, Röthen am Himmel, Erdbeben, Hochgewitter); und eben so, was auf denselben gefolgt (schwere Krankheiten, ein ziemlicher Sterbent u. s. f. ). Hier bleibt mir also nichts übrig, als meiner eignen ökonomischen sowohl als Gemüthslage in erwähnten bedenklichen Jahren, kurze und wahrhafte Erwähnung zu thun. Denn freylich findet sich auch darüber ein Weites und Breites in gedachtem Diario; aber eben nicht allemal gar zu ächt: Da ich nämlich an mancher Stelle viel Lermens von meinem sonderbaren Vertrauen auf die göttliche Vorsehung gemacht – und zwar meist gerade wo ich am kleingläubigsten war. So viel darf ich freylich noch itzt sagen, daß dieß Zutrauen, ob es gleich zuweilen wankte, dennoch nie ganz zu Trümmern gieng, und ich fast immer fand, daß mein eigenes Verschulden mir die größten Leiden verursachte, und Gottes Güte viel selbst gemachtes Uebel noch oft zu meinem Beßten wandte. Schon Ao. 68. und 69. da mir der Hagel zwey Jahre nacheinander alles in meinem Garten zu Boden schlug, und ich und die Meinigen so mit grosser Wehmuth zuschauten – konnt' ich doch den Erbarmenden loben, daß er unsers Lebens geschont. Und seither bey allen solchen und ähnlichen Unfällen, bey allem Aufschlag der Nahrung, bey allem Jammern und Klagen der Leuthe, war immer mein erst- und letztes Wort: «Es wird so bös nicht seyn», oder: «Es wird schon besser kommen». Denn allemal das Beßte zu glauben und zu hoffen, war stets so meine Art, und, wenn man will, eine Folge meines angebohrenen Leichtsinns. Ich konnte darum das ängstliche Kräbeln, Kummern und Sorgen andrer um mich her nie leiden; noch begreifen, was einer für einen Nutzen davon hat, wenn er sich immer das Aergste vorstellt. – Doch, so käm' ich allgemach ganz von meiner Geschichte ab.

Das gedachte Siebenzigerjahr neigte sich schon im Frühling zum Aufschlagen. Der Schnee lag auf der Saat bis im Mayen, so daß gar viel darunter erstickte. Indessen tröstete man sich doch noch den ganzen Sommer auf eine leidentliche Erndte – dann auf das Ausdreschen; aber leider alles umsonst. Ich hatte eine gute Portion Erdapfel im Boden; es wurden mir aber leider viel davon gestohlen. Den Sommer über hatte ich zwo Kühe auf fremder Weide, und ein Paar Geißen, welche mein erstgeborner Junge hütete; im Herbst aber mußt' ich aus Mangel Gelds und Futter alle diese Schwänze verkaufen. Denn der Handel nahm ab, so wie die Fruchtpreise stiegen; und bey den armen Spinnern und Webern war nichts als Borgen und Borgen. Nun tröstete ich freylich die Meinigen und mich selbst mit meinem: «Es wird schon besser kommen»! so gut ich konnte; mußte dann aber auch dafür manche bittre Pille verschlucken, die meine Bettesgenoßin wegen meinem vorigen Verhalten, meiner Sorglosigkeit und Leichtsinn mir auftischte, und die ich dann nicht allemal geduldig und gleichgültig ertragen mochte. Gleichwohl sagte mir mein Gewissen meist: Sie hat recht... Wenn sie's nur nicht so herb' präparirt hätte.


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