Ulrich Bräker
Lebensgeschichte und Natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg
Ulrich Bräker

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LXIII.
Das aller wichtigste Jahr.
(1761.)

Nachdem ich nun, wie gesagt, den Winter über alle nur mögliche Anstalten zu meinem Bauen gemacht, das Holz auf den Platz geschleift, und der Frühling nun herbeyrückte, langten auch meine Zimmerleuthe an, auf den Tag, wie sie mir's versprochen hatten. Es waren, ausser meinem Bruder Georg, den ich ebenfalls dazu gedinget, und darum meinem Vater itzt für ihn das Kostgeld entrichten mußte, 7. Mann, deren jedem ich alle Tag vor Speis und Lohn 7. Bz. dem Meister aber, Hans Jörg Brunner von Krynau, 9. Bz. bezahlte; und darüber hinaus täglich ein halbe Maaß Branz, Sell- Beschluß- und Firstwein noch aparte. Es war den 27. Merz, da die Selle zu meiner Hütte gelegt wurde, bey sehr schönem Wetter, das auch bis Mitte Aprills dauerte, da die Arbeit durch eingefallnen grossen Schnee einige Tage unterbrochen ward. indessen kam doch, Mitte May, also in circa 7. Wochen, alles unter Tach. Noch vorher aber, End Aprills, spielte mir das Schicksal etliche so fatale Streiche, die mir, so unbedachtsam ich sonst alles dem Himmel anheimstellen wollte – der doch nirgends für den Leichtsinn zu sorgen versprochen hat, beynahe allen meinen Muth zu Boden warf. Es hatten sich nämlich drey oder vier Unsterne mit einander vereinigt, meinen Bau zu hintertreiben. Der einte war, daß ich noch viel zu wenig Holz hatte, ungeachtet Mstr. Brunner mir gesagt, es sey genug, und es erst itzt einsah, als er an die oberste oder Firstkammer kam. Also mußt' ich von neuem in den Wald, Bäum' kaufen, fällen, und sie in die Säge und auf den Zimmerplatz führen. Der zweyte Unstern war, daß, als bey dem ebengedachten Geschäfte mein Fuhrmann mit einem schweren Stück zwischen zwey Felsen durch, und ich nebenein galoppiren wollte, mir der Baum im Renken den rechten Fuß erwischte, Schuh' und Strümpf' zerriß, und mir Haut, Fleisch und Bein zerquetschte, so daß ich ziemlich miserabel auf dem einten Roß heimreisen, und unter grossem Schmerzen viele Tag' inliegen mußte, bis ich nun wieder zu meinen Leuthen hinken konnte. Nebendem vereinigten sich, während dieser meiner Niederlage noch zwey andre Fatalitäten mit den erstern. Die eine: Einer meiner Landsmänner, dem ich 120 fl. schuldig war, schickte mir ganz unversehens den Boten, daß er zur Stund wolle bezahlt seyn. Ich kannte meinen Mann und wußte, daß da Bitten und Beten umsonst sey. Also dacht ich hin und her, was denn sonst anzufangen wäre. Endlich entschloß ich mich, meinen Vorath an Garn aus allen Winkeln zusammenzulegen, nach St. Gallen zu schicken, und fast um jeden Preis loszuschlagen, Aber, o Weh! das vierte Ungeheuer! Mein Abgesandter kam statt mit Baarschaft, mit der entsetzlichen Nachricht, mein Garn liege im Arrest wegen allzukurzen Häspeln; ich müsse selber auf St. Gallen gehn, und mich vor den Herren Zunftmeistern stellen. Was sollt' ich nun anfangen? Itzt hatt' ich weder Garn noch Geld; so zu sagen keinen Schilling mehr meine Arbeiter zu bezahlen, die indessen drauf loszimmerten, als ob sie Salomonis Tempel bauen müßten. Und dann mein unerbittlicher Gläubiger! Aufs neue zu Borgen? Gut! Aber wer wird mir armen Buben trauen? – Mein Vater sah meine Angst – und mein Vater im Himmel sah sie noch besser. Sonst fanden der Aeti und ich noch immer Credit. Aber sollten wir den mißbrauchen? – Ach! – Kurz er rannte in seinem und meinem Namen, und fand endlich Menschen die sich unser erbarmten – Menschen und keine Wuchrer! Gott Vergelt' es ihnen in Ewigkeit!

Sobald ich wieder aushoppen, und meinen Sachen nachgehen konnte, war meine Noth – vielleicht nur zu bald vergessen. Mein Schatz besuchte mich während meiner Krankheit oft. Aber von allen jenen Unsternen ließ ich ihr nur keinen Schein sehn; und mein guter Engel verhütete, daß sie auch nichts davon erfuhr; denn ich merkte wohl, daß sie, noch unschlüßig, nur mein Verhalten, und den Ausgang vieler ungewisser Dinge erwarten wollte. Unser Umgang war daher nie recht vertraut. – Zu St. Gallen kam ich mit 15. fl. Buß davon. – Als die Zimmerleuth' fertig waren, giengs ans Mauern. Dann kam der Hafner, Glaser, Schlosser, Schreiner, einer nach dem andern. Dem letzten zumal half ich aus allen Kräften, so daß ich dieß Handwerk so ziemlich gelernt, und mir mit meiner Selbstarbeit manchen hübschen Schilling erspart. Mit meinem Fuß war's indessen noch lange nicht recht, und ich mußte bey Jahren daran bayern; sonst wäre alles noch viel hurtiger vonstatten gegangen. Endlich konnt' ich doch den 17. Jun. mit dem Bruder in mein neues Haus einziehn, der nun einzig, nebst mir, unsern kleinen Rauch führte; so daß wir Herr, Frau, Knecht und Magd, Koch und Keller, alles an einem Stiel vorstellten. Aber es fehlte mir eben noch an Vielem. Wo ich herumsah, erblickt' ich meist heitre und sonnenreiche, aber läre Winkel. Immer mußt' ich die Hand in Beutel stecken; und der war klein und dünn; so daß es mich itzt noch Wunder nimmt, wie die Kreutzer, Batzen und Gulden alle heraus, oder vielmehr hereingekrochen. Aber freylich am End erklärte sich manches – durch einen Schuldenlast von beynahe 1000. fl. Tausend Gulden! und die machten mir keinen Kummer? O du liebe, heilige Sorglosigkeit meiner Jugendzeit!

Inzwischen war ich nun schon beynahe vier Jahre lang einem stettigen Mädchen nachgelaufen; und sie mir, doch etwas minder. Und wenn wir uns nicht sehen konnten, mußten bald alle Tage gebundene und ungebundene Briefe gewechselt seyn, wie mich denn über diesen Punkt meine verschmitzte Dulcinee meisterlich zu betriegen wußte. Sie schrieb mir nämlich ihre Briefe meist in Versen, so nett, daß sie mich darinn weit übertraf. Ich hatte darum eine grosse Freude mit dem gelehrten Ding, und glaubte bald eine vortreffliche Dichterinn an ihr zu haben. Aber am End kams heraus, daß sie weder schreiben noch Geschriebenes lesen konnte, sondern alles durch einen vertrauten Nachbar verrichten ließ. «Nun Schatz»! sagt' ich eines Tags: «Itzt ist unser Haus fertig, und ich muß doch einmal wissen woran ich bin». Sie brachte noch einen ganzen Plunder von Entschuldigungen herfür. Zuletzt wurden wir darüber einig: Ich müß' ihr noch Zeit lassen, bis im Herbst. Endlich ward im Oktober unsre Hochzeit öffentlich verkündet. Itzt (so schwer war's kaum Rom zu bauen) spielte mir ein niederträchtiger Kerl noch den Streich, daß er im Namen seines Bruders, der in piemontesischen Diensten stand, Ansprachen auf meine Braut machte, die aber bald vor ungültig erkannt wurden. An Aller Seelen Tag (3. Nov.) wurden wir copulirt, Herr Pfarrer Seelmatter hielt uns eine schöne Sermon, und knüpfte uns zusammen. So nahm meine Freyheit ein Ende, und das Zanken gleich den ersten Tag seinen Anfang – und währt noch bis auf den heutigen. Ich sollte mich unterwerfen, und wollte nicht, und will's noch itzt nicht. Sie sollt' es auch, und will's noch viel minder. Auch darf ich noch einmal nicht verhehlen, daß mich eigentlich bloß politische Absichten zu meiner Heurath bewogen haben; und ich nie jene zärtliche Neigung zu ihr verspürt, die man Liebe zu nennen gewohnt ist. Aber das erkannt' ich wohl, und war davon überzeugt, und bin es noch in der gegenwärtigen Stunde, daß sie für meine Umstände, unter allen die ich bekommen hätte, weit weit die tauglichste war; meine Vernunft sieht es ein, daß mir keine nützlicher seyn konnte, so sehr sich auch ein gewisser Muthwill gegen diese ernste Hofmeisterinn sträuben will; und kurz, so sehr mir die einte Seite meiner treue Hälfte itzt noch bisweilen widrig ist, so aufrichtig ehr' ich ihre andre schöne Seite im Stillen. Wenn also meine Ehe schon nicht unter die glücklichsten gehört, so gehört sie doch gewiß auch nicht unter die unglücklichen, sondern wenigstens unter die halbglücklichen, und sie wird mich niemals gereuen. Mein Bruder Jakob hatte ein Jahr vor mir, und meine älteste Schwester ein Jahr nach mir sich verheurathet; und keins von beyden traf's noch so gut wie ich. Nicht zu gedenken, daß die Familie meiner Frau weit besser war, als die worein gedachte meine beyde Geschwisterte sich hinein gemannet und geweibet – sind die andern auch immer ärmer geblieben. Bruder Jakob zumal mußte in den theuern Siebenziger-Jahren vollends von Weib und Kindern weg, in den Krieg laufen.

LXIV.
Tod und Leben.

Das Jahr 1762. war mir besonders um des 26. Merzens und 10. Sept. willen merkwürdig. An dem erstern starb nämlich mein geliebter Vater eines schnellen und gewaltsamen Todes, den ich lange nicht verschmerzen konnte. Er gieng am Morgen in den Wald, etwas Holz zu suchen. Gegen Abend kam Schwester Anne Marie mit Thränen in den Augen zu mir, und sagte: Der Aeti sey in aller Frühe fort, und noch nicht heimgekommen; sie fürchten alle, es sey ihm was Böses begegnet; ich soll doch fort, und ihn suchen. Sein Hündlein sey etlichemal heimgekommen, und dann wieder weggelaufen. Mir gieng ein Stich durch Mark und Bein. Ich rannte in aller Eil dem Gehölze zu; das Hündlein trabte vor mir her, und führte mich gerade zu dem vermißten Vater. Er saß neben seinem Schlitten, an ein Tännchen gelehnt, die Lederkappe auf der Schooß, und die Augen sperroffen. Ich glaubte, er sehe mich starr an. Ich rief: Vater, Vater! Aber keine Antwort. Seine Seele war ausgefahren; gestabet und kalt waren seine lieben Hände, und ein Ermel hieng von seinem Futterhemd herunter, den er mag ausgerissen haben, als er mit dem Tode rang. Voll Angst und Verwirrung fieng ich ein Zettergeschrey an, welches in Kurzem meine Geschwister herbeybrachte. Eins nach dem andern legte sich auf den erblaßten Leichnam. Unser Geheul ertönte durch den ganzen Wald. Man zog ihn auf seinem Schlitten nach Haus, wo noch die Mutter samt den Kleinen ihr Wehklagen mit dem unsrigen vereinten. Ein armer Bube aß die Suppe, die auf den guten Herzensvater gewartet hatte. Zehn Tage vorher hatt' ich das letztemal (o hätt' ich's gewußt, daß es das letztemal wäre!) mit ihm gesprochen, und sagte er mir unter anderm: Er möchte sich die Augen ausweinen, wenn er bedenke, wie oft er den lieben Gott erzörnt. O welch einen guten Vater hatten wir, welch einen zärtlichen Ehemann unsre Mutter, welch eine redliche Seele und braven Biedermann alle die ihn kannten, an ihm verloren. Gott tröste seine Seele in alle Ewigkeit! Er hatte eine mühsame Pilgrimmschaft. Kummer und Sorgen aller Art, Krankheiten, drückende Schuldenlast u.s.f. folgten ihm kehrum stets auf der Ferse nach. Sonntags den 28. Merz, wurde er unter einem zahlreichen Gefolge zu seiner Ruhestatt begleitet, und in unser aller Mutter Schooß hingelegt. Herr Pfarrherr Bösch ab dem Ebnet hielt ihm die Leichenrede, die für seine betrübten Hinterlaßnen ungemein tröstlich ausfiel, und von den verborgnen Absichten Gottes handelte. Der Selige mag sein Alter auf 54-55 Jahre gebracht haben. O wie oft besucht' ich seither das Plätzgen, wo er den letzten Athem ausgehaucht. Die sicherste Vermuthung über seine eigentliche Todesart, gab mir der Ort selbst an die Hand. Es war gähe hinab, wo er mit seinem Füderchen Holz hinunterfuhr. Der Schnee trug den Schlitten; aber mit den Füssen mußte er an einer lockern Stelle, die ich noch gar wohl wahrnehmen konnte, unter den letztern gekommen, und derselbe mit ihm gegen eine Tann geschossen seyn, die ihm den Herzstoß gab. Doch muß er noch eine Weile gelebt, sich frey machen wollen, und eben über dieser Bemühung sein Futterhemd zerrissen haben.

Nach diesem traurigen Hinschied fiel eine schwere Last auf mich. Da waren noch vier unerzogene Kinder, bey welchen ich Vaterstelle vertreten sollte. Unsre Mutter war so immer geradezu, und sagte zu Allem: Ja, ja! Ich that was ich konnte, wenn ich gleich mit mir selbst schon genug zu schaffen hatte. Bruder Georg nahm den eigentlichen Haushalt über sich. Aus den 100 fl. die mir der Selige gegeben hatte, tilgte ich seine Schulden. In meinem eigenen Häusgen machte ich einen Webkeller zurecht, lernte selbst weben, und lehrte es nach und nach meine Brüder, so daß zuletzt alle damit ihr Brot verdienen konnten. Die Schwestern hinwieder verstuhnden gut, Löthligarn zu spinnen; die Jüngste lernte nähen.

Der 10. Sept. war wieder der erste frohe Tag für mich, an welchem meine Frau mir einen Sohn zur Welt brachte, den ich nach meinem und meines Schwehers Namen Uli nannte. Seine Taufpathen waren Herr Pfarrer Seelmatter, und Frau Hartmännin. Ich hatte eine solche Freude mit diesem Jungen, daß ich ihn nicht nur allen Leuthen zeigte die ins Haus kamen, sondern auch jedem vorübergehnden Bekannten zurief: Ich hab' einen Buben; obgleich ich schon zum voraus wußte, daß mich mancher darüber auslachen, und denken werde: Wart' nur! Du wirst noch des Dings genug bekommen; wie's denn auch wirklich geschah. – Inzwischen kam mein gutes Weib dieß erstemal wahrlich nicht leicht davon, und mußte viele Wochen das Beth hüten. Das Kind hingegen wuchs, und nahm recht wunderbar zu.

Bald nachher erzeugten die Angelegenheiten der Meinigen manchen kleinern und grössern Ehestreit zwischen mir und meiner Hausehre. Die letztre mochte nämlich nach Gewohnheit die erstern nie recht leiden, und meinte immer, ich dächt' und gäb' ihnen zu viel. Freylich waren meine Brüder ziemlich ungezogene Bursche – aber immer meine Brüder, und ich also verbunden, mich ihrer anzunehmen. Endlich kamen sie einer nach dem andern unter die Fremden, Georg ausgenommen, der ein ziemlich lüderliches Weib heurathete; die andern alle verdienten, meines Wissens, ihr Brod mit Gott und mit Ehren.

LXV.
Wieder drey Jahre.
(1763. – 1765.)

Die Flitterwochen meines Ehestands waren nun längstens vorbey, obgleich ich eben wenig von ihrem Honig zu sagen weiß. Mein Weib wollte immer gar zu scharfe Mannszucht halten; und wo viel Gebote sind, da giebt's auch mehr Uebertretung. Wenn ich nur ein Bischen ausschweifte, so waren alle T.. los. Das machte mich dann bitter und launigt, und verführte mich zu allerley eiteln Projekten. Mein Handel gieng inzwischen bald gut, bald schlecht. Bald kam mir ein Nachbar in die Quere, und verstümmelte mir meinen schönen Gewerb; bald betrogen mich arge Buben um Baumwolle und Geld, denn ich war gar zu leichtgläubig. Ich hatte mir eines der herrlichsten Luftschlösser gemacht, meine Schulden in wenig Jahren zu tilgen; aber die Ausgaben mehrten sich auch von Jahr zu Jahre. Im Winter 63. gebar mir meine Frau eine Tochter, und Ao. 65. noch eine. Ich bekam wieder das Heimweh nach Geißen; auf der Stelle mußten deren etliche herbeygeschaft seyn. Die Milch stuhnd mir und meinen drey Jungens treflich an; aber die Thiere gaben mir viel zu schaffen. Andremal hielt ich eine Kuh; oft gar zwey und drey. Ich pflanzte Erdapfel und Gemüse, und probirte alles, wie ich am leichtesten zurechtkommen möchte. Aber ich blieb immer so auf dem alten Fleck stehn, ohne weit vor – doch auch nicht hinterwerts zu rücken.


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