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3. Unerwartete Wendung der Dinge.

Nikol, der Lotse, war der Vater von Nikolai Nikoloff; sein einziger Sohn war sein größter Stolz, er begleitete »Vater Nikol« immer in dem kleinen Lotsenboote, wenn dieses einlaufenden Schiffen entgegenfuhr. Kein Wetter war zu stürmisch für den Knaben, den man von frühester Kindheit an daran gewöhnt hatte, es als lustigen Sport zu betrachten, auf den Kämmen hochgehender Wogen herumgeworfen zu werden. Kollia hatte russischen Schulunterricht genossen und außerdem im häufigen Verkehr mit englischen und amerikanischen Schiffern etwas von deren Sprache aufgeschnappt, so daß er, als die Amerikaner von Sitka Besitz ergriffen, sie verstehen und sich ihnen in gebrochenem Englisch verständlich machen konnte.

Als Paul jetzt Kollia ins Antlitz sah, bemerkte er, daß dieser bis an die Lippen erbleicht war. Pauls Hand in der seinen festhaltend, trat er auf den offenen Raum in der Nähe des Feuers hinaus und hob seinen Arm in die Höhe. In dieser Stellung stand er den erregten Indianern gegenüber, die auf ein Zeichen ihres Häuptlings Annahuz verstummten. Kollia sprach nun in ihrer Sprache zu ihnen, seine Stimme klang fest und leise. Während Nikolai in gleichmäßigem Tone zu sprechen fortfuhr, bemerkte Paul, daß die Indianer beunruhigte Blicke wechselten. Einmal zeigte Kollia auf Alunka; sie schlug die Augen nieder und wandte sich halb ab. Dann wieder richtete er sich stolz in die Höhe, blickte in die dunklen Gesichter der Umstehenden und betonte, während er rasch weiter sprach, die Worte »Kußki« und »Czär«, schließlich zeigte er mit erregten Worten auf Paul und mit einer Gebärde des Entsetzens gegen die Festung.

Er zog Paul noch näher an sich heran, legte den Arm um seine Schulter und richtete seine Schritte durch das Gedränge nach dem Ausgang. Paul hatte einen solchen Erfolg nicht erwartet und war erstaunt, zu sehen, daß die Indianer ihnen Platz machten. Bald standen die beiden wieder unter freiem Himmel.

»Laß uns eilen, Paul! Sie könnten ihren Sinn ändern. Komm!« sagte Nikolai, und sie schickten sich an, in raschem Lauf das Tor zu erreichen. Sie waren schon nahe am Ziel, als sie Schritte hörten. Besorgt warfen sie einen Blick über ihre Schultern zurück und sahen zu ihrem Entsetzen dicht hinter sich das teuflische Gesicht Alunkas und das ihres mürrischen Vaters.

Dieser Mann, namens Hintza, war der Sohn des Annahuz, des Häuptlings von Sitka. Der friedfertige alte Annahuz wünschte immer mit seinen Nachbarn in gutem Einvernehmen zu leben; aber seit seiner frühesten Jugend war es Hintza, der seinen Vater mit den Russen sowie den nachbarlichen und den entfernten indianischen Stämmen in Unannehmlichkeiten stürzte.

Als Kollia merkte, daß dieser Indianer sie verfolgte, erfaßte ihn ein wildes Entsetzen, aber er hielt die Hand Pauls fest und trieb ihn zur Eile an. Die Knaben rannten aus Leibeskräften; galt es doch ihr Leben! Ihre Anstrengung war jedoch vergebens, denn der Indianer kam ihnen immer näher. Seine krummen Beine – die diese Mißgestalt durch das Sitzen im Kanoe angenommen hatten – waren flink genug, um sich die Beute nicht entrinnen zu lassen. In einer Entfernung von etwa zwanzig Metern vor dem Tor erfaßte er beide und bemühte sich, sie in das nächste Haus zu schleppen.

Die Knaben schrien laut um Hilfe, doch es nützte ihnen nicht viel; denn selbst wenn die Schildwache schon zum Nachtdienst aufgezogen gewesen wäre, würde sie vermutet haben, daß die kläglichen Rufe von Indianerkindern stammen, die von ihren Eltern gezüchtigt wurden. Trotz ihres Sträubens und flehentlichen Bittens wurden die Knaben dem Eingang eines anderen Gefangenenhauses immer näher gebracht.

Statt aber ihrem Vater bei der zweiten Gefangennahme behilflich zu sein, stand Alunka in größter Spannung seitwärts; es schien ihr etwas Besonderes begegnet zu sein. Sie atmete heftig; ihre Blicke waren nicht auf die Gefangennahme, die sie angestiftet hatte, gerichtet, sondern auf das Wasser, auf welchem sich ein großer, schwarzer Gegenstand, umgeben von einer Menge kleinerer Punkte, geräuschlos und schnell dem Lande näherte. Im nächsten Augenblicke wurde ihr Verdacht zur Gewißheit. Alunka stieß einen eigenartigen, schrillen Schrei aus, der die Situation wie durch einen Zauber verwandelte.

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Auf Alunkas Schrei warf Hintza einen Blick auf das Wasser, und sofort gab er Paul und Kollia frei. Im nächsten Augenblicke hatte er sie vergessen und nun ließ er denselben schrillen Warnungsruf ertönen, der sich bald wie ein tausendfältiges Echo am ganzen Strande fortpflanzte.

Aus den Häusern stürzte ein Schwarm bewaffneter Krieger, die sich beeilten, ihre Plätze in den Kähnen einzunehmen, denn die Lage der Dinge erforderte rasches Handeln.

Eine Menge vollbemannter Kanoes stieß mit einem Schlage vom Strand ab, und ehe noch der einfallende Häuptling Kauklutz und sein ungeheures Kriegsboot mit den begleitenden Kanoes dem Marktplatz gegenüber war, erwarteten die Sitkas bereits den ersten Angriff.

Für Paul und Nikolai bedeutete die ganze Geschichte Freiheit und Leben. Sie eilten wie mit Siebenmeilenstiefeln davon und beachteten kaum die durch das Tor hereinstürmende Indianerschar, die der Schlachtruf ihres Stammes herbeilockte. Selbst als sie schon sicher den offenen Platz durchkreuzt hatten, verlangsamten sie ihren Schritt nicht, sondern liefen, als ob sie von beiden Stämmen verfolgt würden, über Stock und Stein, bis sie atemlos in die Arme eines Artillerieoffiziers sanken, der gerade daran war, die Wachen aufzujagen. Nikolai, dem sonst unbeholfenen und ruhigen Aleuten, entrang sich ein Strom von russisch-englischen Ausrufen: » Skurrai, o Excellenza; Skurrai! Minorga (viele) Kutzenus! Minorga Tschilkats! Minorga Stickines! Es sind viele auf einmal gekommen!«


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