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[Vorwort]

§§§ Das schöne Vorrecht späterer Geschlechter, das Urteil vorhergegangener Zeiten zu überprüfen, sei es um das einst über alle Gebühr Geschätzte und Gepriesene auf seinen wahrhaften Wert zurückzuführen, sei es um volle Genugthuung und Anerkennung da zu gewähren, wo sie einem verdienstvollen Streben und Wirken im Leben versagt gewesen, zeigt sich wohl in wenigen Fällen so belehrend und erfreulich wie an dem Lebenslauf, dem die folgenden Blätter gewidmet sind.

Seinem Wirken nach der zweiten Hälfte des XVII. Jahrhunderts angehörend, sollte Spinoza erst hundert Jahre später zu der ihm gebührenden Würdigung gelangen. Wohl galt er schon bei Lebzeiten für eine Berühmtheit, sogar mehr als ihm lieb war. Einen kleinen Kreis begeisterter Anhänger abgerechnet, deren liebevoller Sorgfalt wir die Erhaltung seiner Schriften verdanken, hatten diese bei seiner Mitwelt kein Verständnis gefunden, wiewohl in ihnen der Höhepunkt der damaligen Bildung erreicht ist. Langehin nach seinem Ableben behauptete sich der heftige Widerspruch, mit dem man ihm entgegen getreten, sein Andenken wurde geschmäht, seine Lehre mit gewissenloser Leichtfertigkeit als gefährlich verdammt. Meist nach Mitteilungen aus zweiter und dritter Hand beurteilt, galt sie einfach als Atheismus und blieb in solchem Verruf bis über die Mitte des XVIII. Jahrhunderts hinaus.

Noch Voltaire Vrgl. Voltaire: Le philosophe ignorant, Sekt. 24, u. Dictionnaire philosophique, Art. Dieu, Sekt. 3., der sich gern rühmte die Vorurteile seines Zeitalters vernichtet zu haben, stand unter dem Banne jener schiefen und unbegründeten Auffassung, daß Spinoza Atheist gewesen, und zwar in der vollen Bedeutung dieses Wortes. Für ihn war es ausgemacht, daß Spinoza keinen Gott anerkannt und sich des Ausdrucks nur bedient habe, um die Leute nicht kopfscheu zu machen, wie er eben deshalb die Vorschrift gegeben, man solle Gott lieben und verehren. Gegen die Redlichkeit seiner Gesinnung und die Lauterkeit seines Charakters, behauptet Voltaire, sei kein Zweifel zu erheben, wohl aber gegen die Klarheit und Haltbarkeit seiner Ansichten und seines ganzen Beweisverfahrens. Von seinem geometrischen Sinne verleitet, habe Spinoza allerhand Behauptungen aufgestellt, die er für bewiesen hielt, mit denen er aber, sich selber völlig unklar, nur Andere irregeführt habe. Dies bekunde namentlich seine Leugnung der Zweckursachen, die eben so offenbar in sich wie Zeugnisse des Daseins und der Wirksamkeit Gottes seien. Daraufhin käme es, meint Voltaire, gar sehr in Frage, ob Spinoza in der That so gefährlich sei wie man behauptet; – seinesteils bestreitet er es auf das Bestimmteste, eben weil er Spinoza in seinem Denken durchaus unklar und verworren gefunden, zudem seien dessen Schriften in schlechtem Latein abgefaßt, und wiewohl sie auch übersetzt worden, gebe es nunmehr keine zehn Personen in Europa, die sie vom Anfang bis zum Ende durchgelesen hätten.

So unzutreffend auch Voltaires Urteil über Spinoza war, giebt sich darin gleichwohl der Beginn eines Umschlags in dem bisherigen Verhalten ihm gegenüber deutlich zu erkennen. Die geistige Befangenheit, die ihn ein Jahrhundert hindurch zum Gegenstande erbitterter Verketzerung und schnödester Verachtung gemacht, war inzwischen einer freieren Denkart gewichen. Allgemach kam es zu einem wirklichen Studium seiner bis dahin ungeprüften und unverstandenen Schriften, und damit schwanden alsbald auch die gegen ihn gehegten Vorurteile.

Fortan wurde er zu den bedeutendsten Geistesheroen der Neuzeit gerechnet. Seine Schriften, um die Neige des vorigen Jahrhunderts zu den Seltenheiten des Buchhandels gehörend, liegen nunmehr in vielfachen Auflagen, lateinisch und in mancherlei Übersetzungen vor. Der erste Wiederdruck nach den vorhandenen Originalausgaben erschien 1802–1803 in Jena, von H. E. G. Paulus besorgt. Ihm folgte 1830, zu Stuttgart verlegt, einer von A. Gfroerer. Aus dem Jahre 1843 haben wir die verdienstvolle und überaus handlich angeordnete Ausgabe von C. H. Bruder, Leipzig B. Tauchnitz. Sehr hochgeschätzt und nunmehr auch die vollständigste ist die 1882–83 von J. van Vloten u. J. P. N. Land im Haag veröffentlichte Ausgabe in zwei Bänden. Vorher hat H. Ginsberg, Leipzig 1876–77, sämtl. philos. Schriften mit deutschen Einleitungen in drei Bänden herausgegeben. Dem die Briefe enthaltenden Bande ist eine dankenswerte Zusammenstellung von Notizen und Aufschlüssen über die Korrespondenten sowie über die im Briefwechsel erwähnten Persönlichkeiten beigegeben. Höchst wertvoll ist der Anhang: die Biographie Spinozas von der Hand des evangel. Predigers Jan Colerus, zuerst 1706 im Haag erschienen. Dieselbe findet sich auch, zugleich mit der in apologetischer Absicht gegen Colerus von dem Spinoza befreundeten Arzte Lucas verfaßten aus dem Jahre 1719, den Werken Spinozas in der französischen Übersetzung von Emile Saisset beigefügt, Paris, ed. Charpentier, 3 Bde. Durch ihre Eleganz besonders ansprechend, empfiehlt sich diese Übersetzung für die leichtere Kenntnisnahme der Schriften Spinozas, wo Unkenntnis des Lateinischen das Lesen des Originals nicht gestattet. Deutsche Leser werden natürlich eine Übersetzung in ihrer Muttersprache vorziehen und dürften sich vorwiegend an die von Berth. Auerbach halten, deren spätere Aufl. Stuttgart 1871 ohne Zweifel eine wohlverdiente Verbreitung gefunden, nachdem die ältere von 1841 gänzlich vergriffen worden. Viel sorgfältiger ausgeführt als diese frühere, läßt auch die spätere stellenweise eine stilistische und kritische Nachprüfung vermissen. Immerhin ist sie, unseres Erachtens, weitaus lesbarer als die von Hr. v. Kirchmann 1869–70 für die sogn. »philos. Bibliothek« gelieferte. Allerdings hat dieser, im Gegensatz zur großen Worttreue bei Auerbach, durch kritische Nachhilfe in der Interpunktion des Originals bei längeren Auseinandersetzungen diesen einen gefälligeren Fluß zu verleihen gesucht; um aber diesen Zweck sicherer zu erreichen, hätte er über ein minder trockenes und stilloses Deutsch verfügen sollen. Leider ermangeln beide deutsche Übersetzungen einer ausführlichen Inhaltsübersicht, deren Fehlen namentlich beim Tract. theol. polit. besonders fühlbar ist. Die sein Wirken betreffende wissenschaftliche Literatur bildet gegenwärtig eine viele hundert Bände umfassende Bibliothek, und unabsehbar ist die Reihe der Schriften, wo seiner eingehend erwähnt wird, von denen nicht zu reden, die sich auf ihn berufen oder seines Namens achtungsvoll gedenken. Mittlerweile ist sein Ansehen ein so entschieden anerkanntes geworden, daß unsere Zeitgenossen ihn mit einem Denkmal ehren konnten, Errichtet aus Beiträgen, zu denen ein Aufruf im Januar 1876 von Holland aus an die Verehrer Spinozas über den gebildeten Erdkreis ergangen war. Im Herbst 1877, dem Gedächtnisjahre seines zwei Jahrhunderte vorher erfolgten Todes, konnte der Grundstein an der vorgeschlagenen Stelle gelegt werden. Bei der Preisbewerbung um Entwürfe zum Monument wurde der vom Bildhauer Frédéric Hexamer in Paris eingereichte gekrönt und ausgeführt. Am 14. September 1880 fand die feierliche Enthüllung statt. In seinen Briefen an seinen Freund Jak. Auerbach, 2 Bde. Frankfurt a. M. 1884, berichtet Berth. Auerbach über das Standbild: »Der Denker ist sitzend dargestellt, in einfachem Gewande, der Tracht seines Zeitalters gemäß, in schlichter Haltung, das Haupt auf die rechte Hand gestützt, in den Gesichtszügen die morgenländische Abstammung und die körperliche Abgezehrtheit kenntlich, aber durch einen schönen Ausdruck einer verklärten Menschlichkeit gehoben«. welches im Haag an der Stätte seiner letzten Thätigkeit sich erhebt, von wo aus, nach dem sinnigen Worte seines jüngeren Zeitgenossen Pierre Bayle, trotz eines Lebens in stiller Verborgenheit sein Name und sein Ruf in die Welt hinausgeflogen waren.

Um das Zustandekommen dieser huldigenden Anerkennung hat sich das Heimatland des Philosophen in rühmlichster Weise verdient gemacht. Die Seele des neubelebten Interesses für Spinoza in den Niederlanden war Johannes van Vloten, Mitherausgeber der in Anmerk. 2 erwähnten großen Ausgabe der Werke Spinozas. Geboren d. 18. Januar 1818 in Kampen, wo van Vlotens Vater Prediger war, verlor er diesen bereits 1829 und bezog, nach absolviertem Gymnasialkursus, 1835 die Universität Leyden. Außer der ihm als künftigen Beruf bestimmten Theologie, studierte er vornehmlich alte, neuere und morgenländische Sprachen. Um 1842 legte er sein kirchliches Examen ab und erhielt im folgenden Jahre die theol. Doktorwürde. Aber der Theologie innerlich entfremdet und auf dem Wege der gleichzeitigen deutschen Philosophie und des Studiums Goethes zur Kenntnis Spinozas geführt, sagte er sich 1849 in einer Schrift »Die reformierte Kirche und ihre Zukunft« von dieser Glaubensgemeinschaft los und lebte fortan nur linguistischen und philosophischen Forschungen. Seit 1854 bekleidete er zu Deventer eine Professur für klass. Philologie. Anfang der 60er Jahre ward ihm die Herausgabe der eben damals in Amsterdam aufgefundenen Briefe und einer Jugendschrift Spinozas anvertraut, deren im Text eingehender gedacht wird. Die Ergebnisse dieses Materials durch emsige archivalische Forschungen bereichernd, veröffentlichte er 1862 eine überaus schätzbare Biographie Spinozas – Baruch d'Espinoza, zyn Leven en Schriften in Verband met zynen en onzen Tyd – leider nur holländisch erschienen. Der Sprache leider unkundig, haben wir diese Arbeit nur in ihrer Verwertung durch Berth. Auerbach, in dessen der späteren Übersetzung der Werke Spinozas beigegebenen Biographie, sowie derjenigen durch Ad. Trendelenburg in dessen »Histor. Beitr. zur Philosophie« uns zu Nutz machen können. Sein Amt in Deventer legte van Vloten 1867 nieder, wegen Konflikten mit der dort tongebenden Orthodoxie, und hat seit der Zeit seine ausgebreitete Thätigkeit an wissenschaftlichen Zeitschriften fortgesetzt, dabei das Interesse für Spinoza immer im Auge behaltend. Seinem eifrigen Bemühen ist die Errichtung des Spinoza-Denkmals und der Veranstaltung der damit verbundenen Feierlichkeiten zu danken. Er starb am 22. Sept. 1883 zu Harlem, wo er sich für die letzten 5–6 Jahre niedergelassen gehabt hatte. Aber die Ehre, Spinoza endgiltig in Reih und Glied mit den erlauchtesten Größen der Menschheit gestellt zu haben, gebührt der deutschen Aufklärung und der sie unmittelbar ablösenden Litteraturperiode.

An jeden der glänzenden Namen, die für immerdar den Stolz der deutschen Bildung ausmachen, knüpft sich das Verdienst, für eine gerechte Würdigung Spinozas mitgewirkt zu haben. Obenan steht Lessing mit Herder und Jacobi, durch ein wahrhaftes Verständnis seiner Lehre alle gleich ausgezeichnet. Mit welcher liebevollen Begeisterung Goethe an dem großen Denker hing, ist jedem Kenner von »Wahrheit und Dichtung« erinnerlich. Daß auch Schiller ihn gelesen und verstanden und seine hervorragende Stellung in der Geistesentwicklung seines Zeitalters vollauf eingesehen, davon zeugen dessen »philosophische Briefe«. Beim Anbruch unseres Jahrhunderts ist Spinozas eminente Bedeutung unbestritten anerkannt und er findet in Schleiermacher einen warmen Verehrer, der ihn von dem willkürlich ihm angehefteten Makel des Atheismus sachkundig und entschieden freispricht. Das wichtigste über Lessings Spinozakenntnis verdanken wir den wertvollen Mitteilungen Fr. Jacobis, Werke Bd. 4: Über die Lehre Spinozas in Briefen an M. Mendelssohn, 1. Aufl. Leipzig 1785. Dazu Ad. Stahr: G. E. Lessing, sein Leben u. s. Werke, Bd. 2 S. 171 f., und Erich Schmidt: Lessing, Gesch. seines Lebens u. sn. Schriften, namentl. Bd. 1 S. 452. Über Jacobis Verhältn. zu Spinoza vergl. L. Feuerbach, Werke, Bd. 6, S. 224 f. 300. – Herder: Gott, einige Gespräche üb. Spinozas System. 1. Aufl. 1787. – »Wahrheit u. Dichtung«, Buch 14 u. 16. – Schillers »philos. Briefe« der Abschnitt Theosophie des Julius. – Schleiermacher: Reden über Religion, 1. Aufl. 1799; die berühmte Stelle üb. Spinoza in d. 2. Rede, gegen Ende des ersten Drittels etwa. – Vrgl. außerdem die Vorlesungen üb. neuere Philosophie u. Kritik d. bisherigen Sittenlehre.

Mittlerweile war im Gebiete der Philosophie selbst durch das Erscheinen von Kants Vernunftkritik ein Wendepunkt eingetreten, der eine Ablenkung von der durch Spinoza erreichten Phase in ihr und der Denkweise seines Zeitalters überhaupt bedingte, eine Umgestaltung der philosophischen Forschung auf der Grundlage einer Erkenntnistheorie heischend, wie solche ihm von seinem Standpunkte aus nicht erreichbar gewesen. Aber bis der unvermeidliche Bruch mit den Anschauungen und dem ganzen wissenschaftlichen Verfahren vollzogen war, für welche das System Spinozas typisch ist, sollte diesem selbst noch eine Wiedergeburt in der nachkantischen Spekulation beschieden sein, wie sie das Geistesleben unseres Jahrhunderts bis über dessen Mitte hinaus beherrscht hat. Es war, als müßte der in Spinozas Schriften so lange aufgesparte Gedankenschatz erst ganz und voll ausgenutzt werden, bevor es zur rechten Empfänglichkeit für die epochale Leistung Kants kommen durfte. Als Merkstein des erreichten Verständnisses und der von da an thatsächlichen Weiterführung der Vernunftkritik betrachten wir das eminent bedeutende Werk von A. Riehl: Der philosophische Kritizismus und seine Bedeutung für die positive Wissenschaft, Leipzig 1876–87, drei Bände.

Allen jenen rasch aufeinander folgenden Systemen, die es auf eine »Überwindung Kants« abgesehen hatten, ist das Gepräge der Grundanschauung Spinozas und seines Denkverfahrens aufgedrückt. Schon Fichte, Wissenschaftslehre von 1801, § 32. Vrgl. dazu Briefwechsel zw. Schiller u. Goethe, Brief 21: »es regen sich starke Gegner in Fichtes eigener Gemeinde, die es nächstens laut sagen werden, daß alles auf einen subjektiven Spinozismus hinausläuft.« der gewöhnlich als dessen entschiedenes Widerspiel gilt, hat es nicht verabsäumt, seine eigene Philosophie durch einen Parallelismus mit der Lehre Spinozas zu stützen, indem er namentlich hervorhob, daß das seines Erachtens Haltbare bei diesem in der »Wissenschaftslehre« weitaus gründlicher und allen Halbheiten und Widersprüchen des Vorgängers entzogen zur Geltung gebracht sei. Hierdurch war es ganz von selbst gegeben, daß Schelling Ideen zu einer Philos. d. Natur, 1. Aufl. 1797. bei seiner die Berichtigung und Ergänzung der Lehre Fichtes bezweckenden »Naturphilosophie« einen engeren Anschluß an Spinoza suchte, den er auch in einer die Größe seiner Anhängerschaft merklich bekundenden Weise auszubeuten wußte. Für ihn war Spinoza der glückliche Finder einer Lösung der Fragen, mit denen sich der menschliche Geist in Mythen und Dichtungen, wie sie in den Religionen ganzer Völker niedergelegt, Jahrtausende lang beschäftigt hat, bis es jenem erhabenen Genius gelungen sei, die Begriffe zu entdecken, an denen alle folgenden Zeitalter das Verhältnis von Geist und Materie auffaßten und festhielten. Hegel Gesch. d. Philosophie, Werke Bd. 15, S. 337. schließlich vollzog den Anschluß an Spinoza noch entschiedener, nicht nur weil er in dessen Charakter als Denker das Ideal von dem verehrte, was für ihn der Zweck menschlichen Daseins und Strebens zu sein hat, sondern auch weil seiner Ansicht nach »Spinozist zu sein der wesentlichste Anfang alles Philosophierens, und man die Seele in dem Äther der einen Substanz baden müsse, in der alles, was man für wahr gehalten hat, untergegangen ist.« Und noch der diesem philosophischen Dreigestirn durchaus feindliche Schopenhauer, Die Welt als Wille u. Vorstellung, Bd. 2, Buch IV, Kap. 50 gegen den Schluß. der mit seinem Verständnis Kants alle damaligen Philosophen weit überragt, betonte den Zusammenhang seines Systems mit dem Spinozismus, indem er ihr beiderseitiges Verhältnis dem des alten Testaments zum neuen verglich, das eine also als die Verheißung, das andere als die Erfüllung betrachtet wissen wollte.

Für den Ruhm Spinozas bleibt dies Wiederaufleben seiner Lehre immerhin von Belang, wiewohl es an ihrer thatsächlichen Zugehörigkeit zu einer längst entschwundenen Periode der Wissenschaft nicht das mindeste ändert. Es war eine rückläufige Bewegung, die in ihrem Ansturm wider die Vernunftkritik seine Philosophie, wie einst die Castilianer den toten Cid, siegreich ins Feld geführt und langehin mit Glück behauptet hat, bis auch ihre Zeit um war und sie fortan nur bei den Anwälten ausgelebter und abgenutzter Denkgebilde, wie sie heute noch auf etlichen Gebieten menschlicher Entwicklung ihr Wesen treiben, dauernde Geltung behalten sollte.

Daß Spinozas Lehre, durch positive Ergebnisse der Forschung überholt, bei einer rückläufigen Bewegung in der Wissenschaft willige Zustimmung gefunden, leuchtet von selbst ein. Um so auffälliger erscheint aber hiernach das ablehnende Verhalten, das ihm seitens der eigenen Zeitgenossenschaft und der ihr zunächst folgenden Generationen geworden. Hat es bis zu der ihm gebührenden Würdigung eines vollen Jahrhunderts bedurft, so muß er offenbar seiner Zeit weit vorangeeilt sein; und doch regt sich ein Zweifel dawider, weil es nicht die fortgeschrittene, sondern die ihr entgegentretende wissenschaftliche Richtung ist, der er seine schließliche Anerkennung zu danken hat.

Hier drängt sich die Frage nach dem Verhältnis Spinozas zur Bildung seines Zeitalters unwillkürlich auf. Daß er mit seinen Einsichten auf die hier gebotenen Ergebnisse des Wissens angewiesen war und mit seinem Wirken durchaus in der Kultur des XVII. Jahrhunderts wurzelt, bedarf keiner Erörterung. Sein Zusammenhang mit der damaligen Geistesentwicklung bekundet sich als ein so inniger, daß ein guter Teil der Lehrmeinungen und Ideen, die den Bestand seiner Überzeugung ausmachen, ihm mit Malebranche und Leibniz, um nur die hervorragendsten Denker unter seinen Zeitgenossen zu nennen, gemeinsam ist. Jener entwickelte sich völlig unabhängig von ihm, sein ganzes System zeigt aber eine so offenbare Geistesverwandtschaft mit demjenigen Spinozas, Hinsichtl. der vielen Berührungspunkte zw. Malebranche u. Spinoza vergl. u. a. Friedr. Jodls meisterhafte Gesch. d. Ethik in d. neuern Philosophie. (Stuttgart 1882–89), Bd 1, S. 260–270. Victor Cousin nennt Spinoza: frère légitime de Malebranche dans la famille cartésienne. daß man sie fast für zwei verschiedene Bearbeitungen des nämlichen Originals halten könnte. Gleichwohl hat Malebranche, nachdem er Spinozas später erschienene Schriften kennen gelernt, jede Gemeinschaft mit ihm voll Abscheu und Geringschätzung abgelehnt. Seine Ausfälle gegen Sp. finden sich: Entretiens métaphysiques, VIII, § 9 und Méditations chrét., IX, § 13 u. 16. Ebenso ist Leibniz beflissen, den Unterschied seiner Lehre von derjenigen Spinozas nachdrücklich hervorzuheben, wiewohl deren Einfluß auf ihn nicht zu bezweifeln und viele seiner Theoreme bei folgerichtiger Durchführung die Lehre Spinozas als ihren eigentlichen Kern enthüllen. Vrgl. hierüber die Angaben im 1. Kap. von Ludw. Steins Monographie: Leibniz u. Spinoza, Berlin 1890, spez. S. 14 f.

Wodurch mag diese entschiedene Abneigung der Zeitgenossen gegen Spinoza bei sonst unverkennbarer Gleichheit der Ansichten bedingt gewesen sein?

Die so beharrlich gegen ihn erhobene Beschuldigung des Atheismus, und zwar nicht nur im Sinne einer Theorie, sondern auch in dem einer Ruchlosigkeit im praktischen Verhalten, weist auf die eigentümliche Bedeutung der Glaubensinteressen hin, wie solche ihnen damals, trotz der die Neuzeit kennzeichnenden Lossagung von den Religionsverhältnissen des Mittelalters, noch zukam. Wohl war die unheilvollste Periode der Glaubenswirren mit ihren blutigen Gräueln, wo der Glaube mit dem nackten Leben selbst unablässig auf dem Spiele stand, um die Zeit der Thätigkeit Spinozas bereits vorüber und die vielumstrittene Glaubensfreiheit, wenigstens innerhalb bestimmter Bekenntnisformen, endlich zu Recht anerkannt. Ebenso hatten wirtschaftliche und politische Interessen durch ihren mächtigen Aufschwung eine hohe Geltung in der Sphäre edlen menschlichen Thuns und Strebens erlangt. Aber der Glaube an sich, gleichviel ob mit oder ohne Abhängigkeit von der römischen Curie, wurde noch als die vornehmste Lebens- und Kulturangelegenheit angesehen. Auf beiden Seiten, der katholischen wie protestantischen, stand eine auf das Gedeihen und die Macht ihrer Kirche rastlos bedachte Hierarchie an der Spitze, unduldsam gegen Andersgläubige, unter Umständen auch zu Grausamkeiten und Gewissenlosigkeiten bereit, wie sie es hüben und drüben bei den die Religionskriege überdauernden Ketzer- und Hexenverfolgungen zur Genüge bewiesen hat. Es darf nie vergessen werden, daß sämtliche Kirchengemeinschaften, gleichviel ob an den mittelalterlichen Überlieferungen hängend oder sich gegen sie auflehnend, bei allem zwischen ihnen beharrenden Meinungszwiespalt und der dadurch genährten Gehässigkeit, im Punkte der Glaubenswut damals hinter einander nicht zurückstanden. Im schonungslosen Vorgehen gegen jede freie oder von den Glaubenssatzungen irgend abweichende Geistesrichtung gaben sie einander nichts nach, und bezüglich der Hexenverfolgungen überbot das ultraprotestantische England als Republik womöglich den sowohl katholischen wie evangelischen Kontinent. Vrgl. Buckle, Gesch. d. Zivilisation in England, Bd. 1, Kap. 7, und Lecky, Gesch. d. Geistes d. Aufklärung, Kap. 1 u. 3. – »Konsequenter Glaube ist Aberglaube«, sagt L. Feuerbach, Werke Bd. 6, S. 292. Doch mehr als der von den Kirchenbehörden ausgeübte Zwang, erhob das spontane Glaubensbedürfnis innerhalb der verschiedenen Gemeinden selbst den Glauben und seinen Inhalt zum Range einer die wichtigsten Seelenkräfte in Anspruch nehmenden Erscheinung, im Ausblick auf eine künftige bessere Welt mehr als reichlichen Ersatz für alle Mühen und Kümmernisse der täglichen Obliegenheiten und Verrichtungen bietend. Die gleiche Empfänglichkeit für den Glauben behauptete sich aber auch wo das Leben, gar wenig von Mühsal und Entbehrung berührt, eine ausgedehntere Beteiligung an den Vorteilen irdischen Daseins gewährte, als dies bei einer ernstlich dem Himmel zugewandten Glaubensrichtung statthaft schien; auch da mochte man auf die von der Kirche verheißenen Wonnen des Jenseits keineswegs verzichten. Da aber auch der hierbei erforderliche Ausgleich zwischen Diesseits und Jenseits von der Hierarchie nötigenfalls mit jener Taubensanftmut und Schlangenklugheit vermittelt wurde, wie sie Molières Meisterhand in einem unvergänglichen Typus als Schreckbild seinem Zeitalter vorgehalten hat, konnte das Hegen jeder anderen Überzeugung als der kirchlich vorgeschriebenen gar leicht als Ausdruck einer bösartigen Gesinnung beargwöhnt werden.

Dem überwiegenden Ansehen der Glaubensinteressen und ihrer öffentlichen Vertreter entsprach auch die Stellung der Theologie zu den Wissenschaften überhaupt. Schon die damals sehr beliebte Unterscheidung zwischen heiliger und profaner Wahrheit deutet auf den Vorzug, den sie als die vermeintlich rechtmäßige vor den nur geduldeten Emporkömmlingen beanspruchte. Sie hatte es mit den höheren ewigen Wahrheiten zu thun, das Wissen für sie war Mittel, jene unvergänglichen Wissensschätze in ihrem wandellosen Wert leuchten zu lassen; die auf das Ergründen der vergänglichen und nichtigen Dinge gerichtete Forschung mit dem Wissen als Selbstzweck galt als gering, weil ihr beständige Irrtümer und Fehlgriffe nicht erspart blieben, eben daher auch absoluter Respekt vor den ewigen Wahrheiten durchaus geboten war. Medizin und Rechtswissenschaft, und mit ihnen Altertumskunde und klassische Philologie, waren bei der heidnischen Bildung als ihrem wichtigsten Nährboden und bei ihrer Bethätigung innerhalb der unabweisbaren Bedürfnisse der Alltäglichkeit ernsten Kollisionen mit der Theologie weniger ausgesetzt, als die einstweilen auf den bescheidenen Pflichtteil der Mathematik und der ihr untergeordeten Astronomie und Physik eingeschränkte Naturforschung. Hier wirkte noch das ergreifende Schicksal eines Giordano Bruno und Galilei in einer ängstlichen Rücksicht auf die Theologie nach, die über Probleme des Weltalls und der biologischen Verhältnisse das letzte Wort zu haben verlangte. Und sie hat es auch behalten, solange die exakte Forschung unter dem Einfluß des noch obwaltenden allgemeinen Glaubensbedürfnisses es darauf anlegte, ihre Ergebnisse als mit den Heilswahrheiten übereinstimmend darzulegen und alle irgend mögliche Abweichung von ihnen als verfehlt und verwerflich hinzustellen. Über das Verhältnis der Theologie zu den Wissenschaften vrgl. Ludwig Feuerbachs großartiges Kap. 3 in dessen »Pierre Bayle« (Bd. 6 d. sämtl. Werke). Es sei bei dieser Gelegenheit von vornherein erklärt, daß die vorliegende Schrift ganz und gar auf der Grundlage der Lehre Feuerbachs ruht. Seitdem ihm nun endlich die lange vorenthaltene Beachtung geworden, wird auch das Studium seiner Werke gar viele zu der überraschenden Einsicht geführt haben, einen wie reichen Schatz der Belehrung, namentlich auf dem Gebiete der Geschichte der Philosophie, die für ihn nur Nebengebiet war, die Wissenschaft bei diesem eminenten Denker noch zu heben hat.

Mit andern Worten: die Theologie war, so Bedeutendes auch in den übrigen Wissenschaften geleistet worden, thatsächlich noch so vorherrschend wie bei der Gründung der Universitäten, an denen auch, hiermit durchaus übereinstimmend, die Philosophie noch als Scholastik fortbestand, wiewohl das gebildete Zeitbewußtsein längst über sie den Stab gebrochen hatte.

Aber auch dies nicht ohne gewisse Konzessionen an die theologisch-dogmatische Denkweise der Mitwelt, auch wo es sich um die Rechte der freien Forschung in einem möglichst vorurteilslosen Verhalten der gegebenen Wirklichkeit gegenüber handelte. Sogar für Bacon, einen der vornehmsten Vertreter dieser Richtung, galt dies Wissensgebiet als das niedere im Gegensatz zu dem »heiligen« der Theologie, »dem Kulminationspunkt des menschlichen Geistes, dessen Hafen und Ruhesitz.« Demnach erklärte er ausdrücklich: wie man dem göttlichen Gesetz ungeachtet des Widerstrebens seines Willens zu gehorchen habe, so müsse man auch dem Worte Gottes, ungeachtet des Sträubens der Vernunft glauben; denn je absurder und unglaublicher ein göttliches Mysterium erscheine, desto größere Ehre erweise man Gott, indem man es glaube. Sein jüngerer Zeit- und Gesinnungsgenosse Hobbes, der unerschrockene Verkünder einer durchaus mechanischen Auffassung der Natur, erwies dem allgemein herrschenden Glaubensbedürfnis die schuldige Reverenz in der an jeden guten Bürger gestellten Forderung, der von staatswegen anerkannten Religion und ihren Satzungen den nämlichen Gehorsam zu leisten, wie er ihn den Landes- oder Staatsgesetzen selbst schuldet. Vrgl. L. Feuerbach, Werke Bd. 4, S. 73 f., 111 f.

Die als unhaltbar erkannte Scholastik sollte schließlich doch von den öffentlichen Lehranstalten verdrängt werden, und zwar auch durch einen, der selbst außerhalb der Gelehrtenzunft stand und nie ein Katheder betreten hat. Es geschah bekanntlich durch René Descartes in den Niederlanden, denen er nicht durch Geburt angehörte, wohl aber durch seine während eines zwanzigjährigen Aufenthaltes ausschließlich dort entfaltete wissenschaftliche Thätigkeit. Für diese fand er ein so überwiegend bereitwilliges Entgegenkommen, daß wenige Jahre nach Beginn seines schriftstellerischen Wirkens seine Lehre bereits akademische Vertreter in Utrecht hatte. Ein Gleiches geschah bald danach auch an den übrigen Universitäten der damals an Bildung und Wohlstand alle Staaten Europas weit überragenden batavischen Republik, und noch zu seinen Lebzeiten war nicht nur dort, sondern auch an manchen benachbarten Hochschulen, sowohl auf deutschem wie belgischem Gebiet, die Philosophie in seinem Sinne reformiert worden. Über das Wirken Descartes in Holland vergl. insbesondere das gehaltreiche Werk von Francisque Bouillier: Histoire de la Philosophie Cartésienne, 2 Bde, Paris 1854.

Ein mathematischer Kopf ersten Ranges und dadurch einer der vornehmsten Förderer der Hauptwissenschaft seines Zeitalters, hatte Descartes an sich selbst die Unverträglichkeit der ihm als Schüler am französischen Jesuitenkolleg beigebrachten Scholastik mit den immer bedeutender werdenden Ergebnissen der gleichzeitigen Forschung erprobt. Diesem entsprechend hatte er für die Philosophie den Ausgangspunkt zu gewinnen gesucht, der die weltgeschichtliche Bedeutung der mit der Reformation emporgekommenen Geistesrichtung in sich schließt. Wie hier das aller menschlichen Autorität entrückte Selbst allein über den Glauben bestimmte, so auch machte er die Erkenntnis, die früher der aristotelischen Autorität und ihren syllogistischen Begriffsfesseln unterworfen war, von der freien Thätigkeit des Bewußtseins allein abhängig. L. Feuerbach, Werke Bd. 4, S. 9 f., 13 f., 21, 248. – Bd. 5, S. 178 f., 255. – Bd. 6, S. 24. Aber genau wie der mit dem Protestantismus zur Geltung gelangte freie Glaube noch den Zusammenhang mit der Schrift und demgemäß die ihr entstammende, wiewohl zum Teil eingeschränkte Dogmatik beibehielt, so auch übernahm Descartes die Grundbegriffe der Scholastik und die ihnen entsprechenden Ausdrücke, die er jedoch in einer seinem Erkenntniszweck angemessenen Weise zu verwenden sich erlaubte. So kehren alle der Scholastik gehörenden Vorstellungen mit ihren eigentümlichen Bezeichnungen – Substanz, Modi, Accidenzen, sowie eine Menge anderer, von mönchischer Spitzfindigkeit ausgeklügelter Formeln – in seiner Philosophie gleichsam als courante Münze wieder, wiewohl sie bei ihm einen von den Forschungsergebnissen und den damit übereinstimmenden Anschauungen bedingten Wert erhielten.

Der Anschluß der Philosophie an die Forschung war überhaupt eine Forderung der mit der Neuzeit erwachten geistigen Selbständigkeit; aber erst der von Descartes auf das Selbstbewußtsein gegründete Ausgangspunkt der Philosophie sicherte ihr dieses Recht gegenüber den herkömmlichen Ansprüchen der Dogmatik. Von dort aus entwickelte er als mathematischer Naturforscher seine Lehre über den Zusammenhang und das Kräftespiel der Welt, aus der er sowohl die kindlichen Vorstellungen der unmittelbaren Wunder wie auch deren abgeleitete Form, das Eingreifen geistiger Ursachen in das mechanisch-physikalische Geschehen, verbannt wissen wollte. In der Gesamtheit der Natur, deren Ordnung er aus den Eigenschaften der Materie und den Gesetzen der Bewegung zu erklären suchte, gab es für ihn, wie für alle Heroen der modernen Wissenschaft, nichts als strenge Ursächlichkeit. Feuerbach, Werke Bd. 6, S. 143 f. und Riehl, Philos. Kritizismus, Bd. 2, II, S. 7 ff.

So entschieden nun Descartes den Bereich des Wissens von allem Einspruch seitens der Scholastik abgrenzte, hatte er von dieser gleichwohl eine Reihe metaphysischer Probleme aufgenommen, wie sie in den Erörterungen über die Gottheit und das Verhältnis von Leib und Seele einen wesentlichen Bestandteil seiner Philosophie ausmachen; auch bei ihm gelten sie neben den die flüchtigen und vergänglichen Erscheinungen der Natur betreffenden Einsichten als die höheren und edleren Wahrheiten. Auch hierin entsprach sein Verfahren dem Charakter des Protestantismus, der bei aller Anerkennung der Rechte und sittlichen Bedeutung des irdischen Daseins die dem Leben in einer künftigen Welt angehörenden Glaubensinteressen ihm unbedingt voranstellte.

Bei einer so ausgeprägten Übereinstimmung seiner Lehre mit dem Geiste des Protestantismus müßte ihm also, wie man denken sollte, auch die ungeteilte Zustimmung der Vertreter des neuen Glaubens gewiß zugefallen sein. Nur freisinnige Theologen, der Zahl nach damals ziemlich gering, gehörten zu den Anhängern Descartes'; die überwiegende Mehrheit huldigte einer engherzigen Orthodoxie, die in seiner Lehre eine Gefahr für den Kirchenglauben witterte. Darin bildeten die Niederlande keine Ausnahme, seitdem diese Richtung bei der zum Schlichten der Glaubensstreitigkeiten zwischen den aufgeklärten Arminianern oder Remonstranten und den strengcalvinistischen Gomaristen berufenen Dortrechter Synode 1619 die Oberhand gewonnen hatte. Von hier aus wurde alles aufgeboten, die Verurteilung der »angeblich neuen Philosophie«, die man als durchaus schriftwidrig und zum Atheismus führend bezeichnete, zu Gunsten der alten und allein wahren zu erwirken, damit fortan nur die eine bestehe, die allein zur Höhe echter Gelehrsamkeit emporführe, während die andere der akademischen Jugend das Verständnis der gelehrten Ausdrücke erschwere und nur Zweifler und Religionsverächter großzöge. Descartes' eigene Umsicht und Entschlossenheit, unterstützt von dem wohlwollenden Wirken seiner Gönner, deren Einfluß bis in die dazumal mächtige Statthalterschaft reichte, bewahrte ihn selbst und seine Lehre vor den nachteiligen Folgen dieser zelotischen Anfeindungen. Bouillier, Hist phil. Cartés. Vol. 1, S. 242 f. 245.

Keine grundlosere Beschuldigung konnte in der That gegen sein Wirken erhoben werden, als die eines böswilligen oder rücksichtslosen Verhaltens gegenüber dem Glauben. Denn wie seine Lehre durch ihre so rasche und ausgedehnte Verbreitung sich als dem allgemeinen Bildungsstande ihres Zeitalters homogen erweist, so auch hat sie dem theologischen Geiste desselben sich anzupassen gesucht.

Zunächst bekundet solches die vorhin erwähnte Aufnahme scholastischer Philosopheme, unter denen namentlich die Bestimmung der Gottheit in ihrem Verhältnis zur Welt durchaus den herrschenden Glaubensvorstellungen gemäß gehalten ist; es zeigt dies nicht minder auch die Gestalt, in der Descartes seine Lehre an die Öffentlichkeit gelangen ließ. Ursprünglich hatte er sie in einem Werke entwickelt, das er französisch verfaßt und die Welt ( Le monde) betitelt hatte. Es war darin die Summe der ganzen bisherigen Naturforschung gezogen und ein Bild der gesamten Wirklichkeit entrollt, wie sie dem denkenden Bewußtsein und einer von wissenschaftlichen Prinzipien und nach prüfenden Versuchen geleiteten Erfahrung sich darbietet. Das Buch war eben dem Druck übergeben, als er von der im August 1633 stattgehabten Verurteilung Galileis hörte. Nicht bloße Klugheit, vielmehr ein rein persönliches Bedürfnis eines guten Einvernehmens mit der Kirche, »deren erhabene Wahrheiten er niemals zu beurteilen sich erdreistete, weil dazu ein mehr als menschlicher Geist gehöre«, ließen ihn das Werk aus der Druckerei zurückziehen. Nur einzelne Bruchstücke veröffentlichte er späterhin, das Übrige erhielt die Form, in der seine Philosophie nunmehr vorliegt.

Von wesentlichem Belang in deren anfänglichen Fassung war namentlich die Annahme der Erdumdrehung, von der er selbst gestand, daß sie durch die Prinzipien seiner Lehre besonders anschaulich gemacht werde. Gleichwohl erhielt dieser Punkt in der späteren Bearbeitung eine Darstellung, welche den theologischen Anschauungen auf eine geschickte Weise Rechnung zu tragen suchte. Da laut seiner Lehre alles in der Welt Bewegung ist, und die Erde, als ein geringer Bestandteil in ihr, füglich keine Ausnahme machen könne, so wußte er ihr den biblisch geforderten Stillstand auf die Art zuzuerkennen, daß er sie einem Schiff verglich, welches inmitten eines breiten uferlosen Stromes bei völliger Windstille ruhe, von der bloßen allgemeinen Strömung langsam getragen, den darauf befindlichen Menschen durchaus ein so fester und unbeweglicher Aufenthalt wie es das ohne Segel und Ruder auf dem Wasser schwimmende Fahrzeug seinen Insassen ist. Ähnlich wurden andere dem herrschenden Glaubenshange irgend anstößige Probleme zurechtgelegt und die fernere Ausbreitung der für ihre Zeit immerhin bedeutenden Philosophie gesichert.

Aber ganz abgesehen von derlei Konzessionen, liegt in den scholastischen Elementen der Philosophie Descartes' eine wesentliche Anlehnung an die Theologie und bildet eben ihren, den Zeitanschauungen entsprechenden Charakter; und bis zu welchem Grade sie eine vorwiegend theologische Zustutzung gestattet, wird an zwei seiner Schule gehörenden Denkern aus dem XVII. Jahrhundert besonders deutlich, an Bossuet und Leibniz.

Der einflußreiche und namentlich für die Bekehrung zum Katholizismus überaus eifrige französische Kirchenfürst und der auf eine Wiedervereinigung der christlichen Konfessionen unverdrossen bedachte deutsche Gelehrte, beide wußten die Lehre Descartes' mit Geschick zu benutzen, um ihr gewisse Vernunftgründe zur Rechtfertigung des Glaubens abzugewinnen. Bossuet in seiner » Connaissance de Dieu et de soi-même« bewegt sich in eben den Gedankengeleisen Descartes', mit deren Hilfe Leibniz in seinem » Discours de la conformité de la foi avec la raison« die dem Glauben gefährlichen Anschauungen der Philosophie abzuschwächen sucht. Vermittelst des aus dem Selbstbewußtsein abgeleiteten Gottesbeweises Descartes' wird den Wundern und der für die Wirksamkeit des Gebetes nötigen Voraussetzung übernatürlicher Eingriffe in den Naturverlauf Raum geschafft, weil die gegenteilige Ansicht als eine Beschränkung der göttlichen Allmacht und Güte zu betrachten sei, einer Grundwahrheit des Glaubens widerspreche und, wie unter ausdrücklicher Berufung auf das Selbstbewußtsein behauptet wird, keineswegs von der Vernunft gebilligt werde. Vielmehr lege diese durch eine ihrer wichtigsten Einsichten entschieden Zeugnis für eine solche höhere und das Beste der Geschöpfe fördernde Lenkung der Welt ab: nämlich durch die das ganze Universum beherrschende Zweckthätigkeit, wie sie ebenfalls dem vom menschlichen Selbstbewußtsein anerkannten vollkommenen Wesen in seiner Unendlichkeit und Allweisheit zukomme, die keinenfalls nach dem Maßstabe irdischer Vergänglichkeit und Zufälligkeit gemessen werden könne. Bouillier, Vol. 2, S. 223, 228, 232 f., 235–239. – Feuerbach, Werke Bd. 5, S. 114, 127, 221, dazu Bd. 8, S. 10 f.

Das Überwuchern der in Descartes' Lehre enthaltenen scholastischen Elemente kennzeichnet in seiner Schule die äußersten Ausläufer nach der Richtung hin, der es um die seinerseits ebenfalls angestrebte Eintracht mit der Theologie zu thun war. Die durchaus entgegengesetzte, die Abkehr Descartes' von der Scholastik einhaltend, ist durch Spinoza vertreten, der die Lehre des Meisters in folgerichtiger Weiterführung ihrer Grundbegriffe ausgestaltete. Zwischen diesen beiden Extremen entwickelte sich die Thätigkeit der übrigen Anhängerschaft, den anfangs erwähnten Malebranche mit einbegriffen, so nahe er auch an das Denkgebiet Spinozas streifte.

Für Spinoza konnte die von seiten der Orthodoxie immer spottwohlfeil zu habende Beschuldigung des Atheismus um so weniger ausbleiben, als dieselbe auch, wie vorhin angegeben, schon gegen Descartes als Gegner der Scholastik erhoben ward. So weit es sich in dessen Schule um ein gutes Einvernehmen mit der Orthodoxie handelte, mußte man also bemüht sein, jeden Vorwurf eines Zusammenhangs mit Spinoza abzuweisen, jede Spur irgend welcher Entlehnung aus ihm in Abrede zu stellen. In den gelehrten Streitigkeiten vom Ende des XVII. Jahrhunderts bis weit hinein in das folgende war Spinozismus ein beliebtes Schlagwort, um gegnerische Behauptungen zu entkräften oder zu verdächtigen, und die Häufigkeit dieser Beschuldigung wie auch die Angst vor ihr beruhte einfach auf der thatsächlichen Gemeinschaft der aus Descartes' Lehre stammenden Ansichten und Denkbestimmungen, die bei Spinoza zu voller Konsequenz gebracht waren.

Spinoza war das Lamm, sagt Ludwig Feuerbach treffend, Feuerbach, Werke Bd. 6, S. 224. das die Sünden der Philosophen, die halb auf seinem, halb auf dem Standpunkte der Orthodoxie standen, geduldig auf sich nehmen mußte; in seinem Blute suchten sie sich von der Schuld oder wenigstens von dem Verdachte der Ketzerei rein zu waschen.

Die Lehre Spinozas als solche und ihr Verhältnis zur Schule Descartes', sowie deren ablehnende Haltung ungeachtet ihrer Zusammengehörigkeit zu dem nämlichen Bildungsbereich zu entwickeln, gehört der Geschichte der Philosophie an, die auch ihre eigentümliche Wiederbelebung zu Anfang unseres Jahrhunderts zu würdigen hat. Seiner Richtung und dem ganzen in sich selbst unhaltbaren Beweisverfahren nach von der Wissenschaft, wie schon erwähnt, längst überholt, bietet das System Spinozas, bei vortrefflichen Einzelheiten auf psychologischem und ethischem Gebiete, nunmehr ein bloß fachliches Interesse. Vrgl. bezügl. der inneren Unhaltbarkeit von Spinozas System die musterhafte Darstellung desselben von Th. Camerer: Die Lehre Spinozas, Stuttgart 1877. Zur Beurteilung von Spinozas wissenschaftlichem Verfahren vrgl. A. Riehl, Philos. Kritizismus, Bd. 2 II, Kap. 4 des 1. Abschn., und Kap. 3 des 2. Abschn. zur Würdigung seiner Willenstheorie. Über Spinozas eminente Bedeutung als Ethiker vergl. Fr. Jodl, Gesch. d. Ethik, Bd. 1.

In diesem und in manchem anderen Punkte nicht gleicher Meinung mit unserem verehrten Freund und Mitarbeiter, lassen wir, als zeitweiliger Präsident unserer kleinen Gelehrten-Republik, gleichwohl volle Redefreiheit walten. Bolin ist Manns genug, seine Ansicht als Ausdruck ehrlicher, persönlicher Überzeugung jedem Widerspruch gegenüber selbst zu vertreten. Der Herausgeber. [Fußnote]

Das gilt namentlich von seinem durch die nachkantische Spekulation einst so ausgiebig besteuerten Hauptwerk, dem übrigens auch heute noch von Vertretern abgestorbener Stadien menschlicher Entwicklung eine ähnliche Verwertung zu Teil wird. Wohl mag es immer noch auf manchen, wie etwa ein kunstreiches Sakramentgehäuse, durch den vielverschlungenen Gang seiner Argumentation einen fesselnden und schwer zu bewältigenden Zauber üben; im allgemeinen jedoch, auch bei Übertragung aus dem lateinischen Original in eine moderne Sprache, stellt seine bisweilen schwerfällige, mit dem Ausdruck ringende und in vielfachen Wiederholungen sich ergehende Darstellungsweise keine geringen Forderungen an die Aufmerksamkeit des Lesers, der ohnehin durch die krause Terminologie der damaligen Zeit in eine längst entschwundene, ihrer Denkrichtung nach ihm fremde Welt versetzt wird.

Aber Spinozas Bedeutung ist nicht in den nunmehr veralteten Ergebnissen seiner philosophischen Thätigkeit erschöpft. Sein Wirken hat als vollkommenster Ausdruck der Bildung seines Zeitalters einen allen Wandel der Dinge und Geschlechter überdauernden Wert. Für das, was ihm nämlich seitens der heutigen Wissenschaft an Geltung entzogen werden muß, weil vor ihr nur positiv bestehende Ergebnisse ins Gewicht fallen, dafür wird ihm reichlicher Ersatz vom Standpunkte der Gesamtentwicklung der Menschheit.

Dies gerade ist in der charakteristischen Stellung Spinozas zu seinen Bildungsgenossen begründet. Was ihn diesen so abstoßend machte, darin eben besteht seine wahrhafte und unvergängliche Bedeutung. Während sein Zeitalter bei allem Bemühen um wissenschaftliche Erkenntnis zugleich noch im Glaubensbedürfnis die aus dem Kindesalter menschlicher Denkentfaltung stammenden Vorstellungen und Anschauungen festhalten will, ragt er über seine Zeit hinaus, indem er sich ausschließlich dem Erkennen hingiebt. Jenen Zwiespalt suchte seine Mitwelt aus Rücksicht für die Ansprüche der Theologie durch die Unterscheidung höherer, unbedingt giltiger und ihnen untergeordneter niederer Wahrheiten zu überbrücken. Im Gegensatz zu dem damals allgemeinen Bestreben nach einem Ausgleich zwischen herkömmlichen Glaubenselementen und den Tag für Tag sich mehrenden und sie entwertenden Wissensergebnissen, war es ihm einleuchtend, daß ein Widerstreit, wie er hier bestand, einen Ausgleich nicht zulasse. Wohl mag das Leben mitunter ein Übereinkommen zwischen gewissen Gegensätzen fordern, weil der Hang zum Temporisieren ebenso allgemein ist wie der Wahn, durch Vermittelung zwischen entgegengesetzten Dingen ein Höheres zu erwirken. An sich ist jeder derartige Ausgleich nur von vorübergehender Dauer. Daß die Wahrheit nur eine sei und ihre Richtschnur in sich selbst, nicht in Glaubenssätzen habe, die je nach dem Standpunkte der jeweiligen Bekenntnisse unter sich um das Vorrecht der Wahrheit streiten, dies eingesehen und redlich ausgesprochen zu haben, erhebt Spinoza über seine Zeitgenossenschaft und giebt ihm seine weltgeschichtliche Größe.

Mit den unmittelbaren Ergebnissen seiner Philosophie, welche die von Descartes aus der Scholastik übernommenen Probleme beibehält und methodisch entwickelt, wurzelt Spinoza ganz und gar im Bildungsstande seines Zeitalters. Aber mit dem, was das Treibende in seinem Denken war, mit dem eigentlichen Pathos seines Wirkens trat er über die dogmatische Befangenheit seiner Mitwelt hinaus und ward ihr unverständlich.

Hierdurch eben mußte er vereinsamt und verkannt bleiben. Ohne Anhang, der für seinen Ruhm gewirkt hätte, außerhalb aller Gemeinschaft, der er Stellung oder Erfolg zu danken gehabt, ging er treulich seinem mächtigen Wahrheitsdrange nach. Ein ganzer Charakter, der sein gediegenes Selbst für seine Überzeugung einsetzte, konnte er allem äußeren Ungemach unentwegt gegenübertreten, ohne Beistimmung oder Aufmunterung zu bedürfen, weil er sich bewußt war, der Entwickelung seines Zeitalters eine wesentliche Förderung verliehen zu haben.

Was er in solcher Beziehung ausgerichtet und wie er dazu gekommen, einen bleibenden Namen in der Geschichte der Menschheit zu erwerben, das darzustellen haben wir uns zur Aufgabe gemacht.

Für eine Biographie gewöhnlichen Schlages sind die uns überlieferten Daten zu karg und dürftig. Alles hierauf bezügliche ist im wesentlichen bei P. Bayle, in dessen Wörterbuch in dem Spinoza gewidmeten Artikel zu finden. Es bildet auch die Grundlage der in Anmerk. 2 erwähnten Biographie von Jan Colerus, der einige durch mündliche Überlieferung ihm zugängliche Daten hinzugefügt hat, das ganze ein etwas trockenes mit vielen Trivialitäten versetztes Elaborat, von einer offenbaren Voreingenommenheit gegen die Lehrmeinungen Spinozas beeinflußt, über die auch mit einer pastorenhaften Beschränktheit des Urteils ins Gericht gegangen wird. Im übrigen verfügt der Autor über eine keineswegs musterhafte Darstellungsgabe; sein redliches Bemühen, dem reinmenschlichen Charakterwert des Denkers gerecht zu werden, verdient jedoch unbedingte Anerkennung. Auch die Gegenschrift des Arztes Lucas, deren vorhin gleichfalls gedacht worden, zeichnet sich nicht durch Unbefangenheit aus, enthält aber, bei vielem Phrasengepränge und Ausfällen gegen Widersacher Spinozas, manche wertvolle Einzelheiten. Gewöhnliche Biographien des Philosophen beschränken sich auf ein bloßes Nacherzählen der Mitteilungen bei Colerus. Dies gilt auch von der ebenfalls weiter oben angeführten Spinozabiographie Auerbachs, die jedoch, durch manche ihr eigens gewidmete oder andern neuern Forschern entlehnte Ermittelungen bereichert, das vorhandene Material sorgfältig gesammelt und übersichtlich geordnet bringt. Dem auch schon erwähnten Briefwechsel Auerbachs mit seinem Vetter haben wir fernere Aufschlüsse zur Lebensgeschichte Spinozas zu danken. Was außerdem durch die emsigen Bemühungen der niederländischen Spinozaforschung (vergl. Anmerk. 4) und die von ihr aufgefundenen Briefe zu Tage gefördert worden, brachte mehr eine Berichtigung als eine wesentliche Bereicherung des bereits Bekannten, so schätzbar dies auch dem lückenhaften Zustande seines ursprünglich veröffentlichten Briefwechsels gegenüber bleibt, in welchem bekanntlich die Ängstlichkeit der Herausgeber vieles für spätere Zeiten Wissenswerte ausgemerzt hat. Auch über die Freunde und Anhänger Spinozas, mit denen er unmittelbar oder brieflich verkehrte, sind uns nur spärliche Nachrichten erhalten. Bei den meisten kamen spätere Ermittelungen bisher nicht über Namen und Stand, bei einigen höchstens zu einem Schattenriß, aber auch dann ohne erhebliche Aufschlüsse über das lebendig Inhaltliche ihrer Beziehungen zu Spinoza. Ebenso verhält es sich hinsichtlich seiner Beziehungen zu manchen hervorragenden Zeitgenossen, einheimischen wie auswärtigen, bei welchen nur die Thatsache des persönlichen Verkehrs feststeht. Aber seine Schriften zeigen ihn den wichtigsten Kulturproblemen seiner Zeit zugewandt, mit denen er, trotz seiner Zurückgezogenheit, teilnahmvoll und geistig überlegen in Fühlung geblieben war. Indem wir den thatsächlichen Inhalt seines gesamten Strebens und Wirkens am Faden der vorhandenen Lebensdaten anschaulich zu machen suchten, hat sich die von uns unternommene Würdigung Spinozas zu einem Kultur- und Lebensbild jener Epoche gestaltet. So allein war das erhaltene rein biographische Material ausreichend und das daran fehlende, so weit es ihn selbst und die einst ihm nahestehenden Persönlichkeiten betraf, leichter zu entbehren. In solcher Weise aus der Not eine Tugend machend, hielten wir unser Augenmerk auf die Entfaltung des geistigen Lebenselementes bei Spinoza gerichtet, neben dem die Einzelheiten des äußeren Lebenslaufes ohnehin von geringerem Belang sind. Den Werdegang Spinozas von den ersten Anfängen bis zum Ausreifen seines Lebenswerkes führen wir in pragmatischer Abfolge vor, bei seinen Leistungen auch die Zeitpunkte ihrer Veröffentlichung einhaltend, bei Handschriften den ihrer mutmaßlichen Entstehung.

Der äußere Verlauf seines Lebens umfaßt, mit der Dauer eines durchschnittlichen Menschenalters, die mittleren Jahrzehnte des XVII. Jahrhunderts. Kindheit und Jugend fallen in die zweite Hälfte des großen deutschen Religionskrieges und die damit gleichzeitige, ebenfalls der Gewissensfreiheit wegen statthabende englische Staatsumwälzung. Seine Lehrjahre kommen auf die verhältnismäßig ruhigere Periode der fünfziger und sechziger, für das Gedeihen der Niederlande überaus günstigen Jahre; das Jahrzehnt seiner Mannesreife füllt die Zeit der beginnenden Vorherrschaft Ludwigs XIV., dessen Tücke und Gewaltsamkeiten gegen die niederländische Republik Spinoza noch als Augenzeuge wahrnehmen und beurteilen sollte; den für seine Heimat glücklichen Abschluß dieser Feindseligkeiten, der zugleich den ersten Anstoß zum Niedergange der vom Sonnenkönig angemaßten Übermacht bedeutete, hat der Philosoph nicht mehr erlebt.


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