Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Mannheimer Pöbel.

Bis tief in die Nacht hatten die Schleimentsprossenen den Urstoff ihrer Bildung umgerührt, gegen die Casinomänner gewüthet in Worten, fürchterliche Vorsätze gefaßt und schließlich schwere Köpfe nach Hause getragen. Dann lagen sie in schweren Träumen, im Handgemenge mit den Ultramontanen, bis beim Erwachen die Ernüchterung kam und die Erinnerung, es seien heute die Fabriken geschlossen und Feiertag mit doppelter Löhnung.

Jeder Bahnzug des Morgens brachte viele Gäste, kräftige Männer vom Lande, in Mäntel gehüllt, oder ländlich einfach im Wamms. Alle blickten heiter und muthvoll, eine ganze Welt herausfordernd zum Zeugen ihrer festen Gesinnung und Standhaftigkeit gegenüber gesetzlicher Drangsal. Männer der Schreibstuben in großherzoglich façonirten Schnurr- und Backenbärten, in herrischer Haltung und gebietendem Wesen, wurden nicht bemerkt unter den Ultramontanen. Genannte Gattung lieferte kein bemerkbares Exemplar, allen Denkenden zum Beweise der Feindseligkeit des Bureau gegen die Kirche, und der Abgestorbenheit des Beamtenthums für religiöse Ueberzeugung. Bei amtlich stabiler Anschauung von der Staatsallmacht ist dies natürlich. Nicht minder natürlich die Nothwendigkeit, die geknebelte und bureaukratisch unterjochte Braut des Herrn aus den Ketten staatlichen Götzendienstes zu befreien. Dagegen wurde klar, daß kirchliches Bewußtsein tiefe Wurzeln schlage im Marke des Volkes, im Bauernstande und lebenskräftigem Bürgerthum.

Endlose Wagenzüge, von angestrengt arbeitenden Locomotiven befördert, gossen ungezählt die Menge aus. Um den Bahnhof staute das Gedränge, Bekannte fanden sich, herzliche Begrüßungen, warme Händedrücke, geflügelte Worte in allen Dialekten des Landes Baden. Gebildete Reisende, vom Schicksale ausersehen, unter die Schwarzen zu gerathen, steuerten mühevoll durch das Gewühl nach dem ersten Fiaker, der ultramontanen Fluth zu entgehen.

Auch düstere Schatten fehlten nicht. Vorposten des Neckarschleims waren bis zum Bahnhofe ausgestellt. Schmutzige Gestalten tauchten auf unter ländlicher Sauberkeit, Galgenphysiognomien neben hellen Gesichtern. Schon begannen die Schleimthiere unverschämt und frech, Gifte des Hohnes auszuspeien. Es fielen bedeutsame Worte, und Tigeraugen sahen falsch auf die auserlesenen Opfer.

Bei jedem Zuge stand Fritz Schröter in der Halle, des gewaltigen Schmied harrend. Er kannte die Riesenstärke des Mannes, seinen Widerwillen gegen Verhöhnung und wußte, daß er keineswegs geneigt sei, dem Neckarschleim als Zielscheibe ausgeworfenen Unflathes zu dienen. Mithin war eine Belehrung unerläßlich und dem Landwirthe bange, aus dem Unbändigen ein fügsames Opferlamm zu machen.

Endlich kam der Schmied, – an der hohen breitschulterigen Gestalt in der Menge leicht erkennbar. Bahnbrechend schritt er vor dem Hochwürdigen, Pfarrer Freundschick, her und stand nun plötzlich vor dem Häuptling.

»Ah, – Herr Schröter, guten Morgen!« rief er mit einer Stimme, die ein mächtiges Loch durch die schwirrende Masse gewöhnlicher Menschenlaute schlug. »Wie gut ist's, daß wir uns gleich da treffen! Hier bring' ich den Hochwürdigen, den Mühsam und noch ein Paar aus Waldhofen.«

»Recht so, Freunde!« versetzte Schröter, grüßend, händedrückend, kopfnickend nach allen Seiten.

Allein die Strömung war reißend, Stehenbleiben nur dem Schmied möglich, der wie ein Fels unbewegt der Brandung trotzte. Schröter sah manchen Bekannten vorübergleiten, unter diesen Heinrich Knapper, dem Helena's Vater einen zufriedenen Blick schenkte.

»Schmiedhannes,« sprach der Landwirth, von allen Seiten angerufen, »wartet auf mich am ersten Hause der Straße. Ich habe Euch etwas zu sagen.«

Sodann begrüßte Schröter umständlich den greisen Pfarrer, redete mit Freuden, vertraute Einigen seine Erfahrungen von gestern, und zog endlich mit den Letzten nach der Stadt.

Die Klapperbuben vollzogen mit Lust ihre Aufgabe. Kurz vor Ankunft der Züge eilten sie aus allen Gassen herbei, standen in dichten Haufen beisammen, die Casinomänner durch ihre Klappern begrüßend. Die Ultramontanen blickten verwundert auf die kleinen Unholde. Sie belächelten die Musik, staunten über die große Menge ungezogener Buben in Mannheim, und sehr Wenigen kam der ungeheure Gedanke, es möchte die Ungezogenheit von der hochgebildeten Stadt in Dienst genommen sein.

Der Schmied verließ behäbig den Bahnhof, suchte das erste Haus, dem er sich langsam nahte, und sah oft zurück nach Schröter. Den Sinn der Klappermusik begriff der biederbe Schmied nicht.

»Schau, – schau,« sprach er zu dem Casinomann, der gerade neben ihm ging, »was die Stadtbuben für eine närrische Mode haben! Ich finde die klapperige Musik gar nicht schön. Aber die Kerlchen verstehen es, die Instrumente geschickt zu handhaben und einen tüchtigen Lärm zu machen. Dazu braucht's eine lange Uebung, und die Bürschchen sind stolz darauf, ihre Kunst vor fremden Leuten zu zeigen. Raisonnabler wär's freilich gewesen, hätten uns die Mannheimer mit einer schönen Regimentsmusik empfangen.«

Am ersten Hause blieb der scharfsichtige Schmied stehen, ließ den Strom vorüberziehen und harrte des Gutsbesitzers.

Ferdinand weilte in der Nähe, sah den gewaltthätigen Mann, welcher das Schmählied auf den Papst unterbrochen, ihn mit blauen Malen bezeichnet und die Guitarre zerdrückt hatte, und pfiff seiner Meute. Die Auserwählten sprangen heran.

»Seht ihr den dicken, großen Kerl dort an der Ecke? Macht euch über ihn her, – verhöhnt ihn, werft ihm Koth in das Gesicht.«

Der Schmied schob gerade die Pelzkappe nach der rechten Seite, ärgerlich brummend über des Häuptlings langes Ausbleiben. Da fühlte er an der linken Wange plötzlich ein kaltes Pflaster durch einen fühlbaren Wurf angeheftet. Rasch fuhr er nach der Wange, blickte zornig um, und sah, zur höchsten Verwunderung, drei schmutzige Knirpse, Koth in den Händen, auf ihn eindringen. Wieder sausten fehl gegangene Würfe um die Ohren des Schwarzen, der augenblicklich in starrer Ueberraschung die häßlichen, Gesichter schneidenden Creaturen betrachtete. Kaum hatte jedoch ein Wurf an die Nase den Herkules zur Besinnung gebracht, als er mit gewaltigen Sätzen die jungen Schleimthiere erreichte. Zwei sausende Ohrfeigen und ebenso viele Buben kollerten in den Straßenkoth. Der Dritte flüchtete. Betroffen stand der Schmied vor den Niedergeschlagenen; denn Keiner rührte sich. Er nahm in jede Hand einen Buben und stellte sie auf die Füße. In demselben Augenblicke pfiff Ferdinand. Die Scheintodten liefen davon.

»Guck, – guck,« brummte der Schmied, »ganz die Art von Molch und Kröte! Rührt man dieses Ungeziefer an, so stellt es sich todt. – Was ficht die Teufelsbuben an, Dreck auf mich zu werfen? Wahrhaftig, – sie haben mir den Mantel und gar die Pelzkappe beschmutzt!«

Schröter trat vor den reinigenden Schmied.

»Denken Sie, was mir da passirte,« – und er berichtete den Vorfall.

»So, – geht es schon an? Darüber wollte ich gerade mit Euch reden,« sprach der Landwirth. »Gehen wir da hinab, die Gasse ist leer und still. Ihr sollt Euch wundern, Schmiedhannes!«

»Ja, – ja, Sie haben ganz recht! Heut' ist ein Tag zum Verwundern. Zuerst die Klapperbuben, dann die Dreckbuben. Aber ich will die Kröten Raison lehren! Kommt mir noch einmal so ein zweibeiniges Murmelthier in den Weg,« –

»Dann seht Ihr den Koth und verachtet ihn,« unterbrach der Häuptling.

»Doch nicht, Herr Schröter, doch nicht!« widersprach der Schmied. »Koth tritt man mit Füßen. Ich lass' mir nichts gefallen, – gar nichts, von diesen mannheimer Gassenbuben.«

»Seid ruhig, – hört mich an! Wenn schon die Ungezogenheit der kleinen Buben Euch diesen rothen Kopf macht, wie mögt Ihr die Rohheiten ausgewachsener Buben ertragen? Hört also: – Die Mannheimer haben berathen, beschlossen und festgesetzt, uns heute aus der Stadt hinaus zu prügeln.«

»Oho!« – rief der Gewaltige, die starken Glieder dehnend.

»Schreit nicht so, – hört doch erst! – Die Gebildeten von hier haben das Proletariat, den Neckarschleim, den Pöbel bezahlt, uns zu verhöhnen, zu prügeln. Sogar die Schuljugend bekam heute frei und wurde angewiesen, durch Pfeifen, Geschrei und Klappern die Casinomänner zu empfangen.«

»Aha, – jetzt geht mir ein Licht auf!« sagte der Schmied.

»An uns ist es,« fuhr der Landwirth berathend fort, »alle Beschimpfungen und Gewaltthaten geduldig zu ertragen.«

»Was denken Sie, Herr Schröter?« unterbrach der Unbändige. »Ich soll mich von jungem und altem Stadtgesindel beschimpfen lassen?«

»Ja!«

»Mich prügeln lassen?«

»Ja!«

»Mich zur Stadt hinaustreiben lassen, wie ein Schlachtvieh?«

»Ja!«

»Nein, – nein!« rief der Wilde, und seine schrecklichen Fäuste ballten sich zu Eisenhämmern. »Kann ich Einen langen, kriegt er Ein's auf's Maul! Und prügeln? Ei, – das wäre schön! Meinen Sie, ich sei da herein gekommen, mich prügeln zu lassen? Was denken die Mannheimer? Sind wir in Rußland? Sind wir unter Buschmännern, – unter Mongolen?«

»Nein, Schmiedhannes, wir sind just in einer hochgebildeten Stadt! Allein das Prügeln und Verspotten der Ultramontanen gehört eben zur mannheimer Bildung.«

»Die ich mir nicht gefallen lasse, – durchaus nicht!«

»Um Gottes willen, schreit nicht so! Seht Ihr nicht, wie aus allen Fenstern Köpfe herausschauen auf uns?«

»Meinethalben, – ganz Mannheim kann auf den Schmiedhannes sehen, – liegt gar nichts d'ran! Aber prügeln lass' ich mich einmal nicht, – nein, von ganz Mannheim nicht! Hätt' ich nur das Hebeisen da, welches daheim hinter der Schmiedthür' steht! Kämen sie nicht mit Kanonen angerückt, dann sollte mein Hebeisen alles bezahlte Lumpenzeug in dem ganzen Nest kurz und klein hauen.«

Fritz Schröter stand besorgt vor dem wüthenden Herkules.

»Seid vernünftig! Man muß etwas ertragen können um seines Glaubens willen. Millionen Christen wurden gemartert, – und Ihr wollt nicht einmal Hohn und Prügel erdulden?«

»Nein, – gewiß nicht! Ich bin kein heiliger Laurentius, der sich braten läßt von den Heiden, auch kein heiliger Petrus, der sich prügeln läßt von mannheimer Juden. Ich bin ganz einfach der Schmiedhannes von Waldhofen, und der läßt sich nicht hauen. Das wäre schön! Wir kommen da herein, halten Versammlung, wozu wir ein Recht haben, und das Stadtgesindel empfängt uns mit Klappern und Prügeln? Die Türken hätten so etwas nicht gethan, wären wir in ihre Stadt gekommen.«

»Gut! Nehmet an, die Mannheimer seien schlimmer, als Türken, – wollt Ihr den mannheimer Barbaren einen Gefallen erweisen?«

»Einen Gefallen? Wieso? Das versteh' ich nicht!«

»Gebt Acht! – Die Stadt Mannheim kennt die Pflichten der Gastfreundschaft sehr wohl, – nicht aus Muthwillen handelt sie an ihren Gästen frevelhaft; denn sie setzt alle Achtung ein, ihren besten Ruf, ihren Stolz und Anspruch auf Bildung. Was heute geschieht, wird Mannheim brandmarken vor Rechtssinn und Gesittung der ganzen Welt. So lange noch ein Stein auf dem andern liegt in dieser Stadt, wird er beschmutzt, beschimpft und verrufen sein, weil er sich nicht erhob gegen die himmelschreiende Gewaltthat. Und wenn nach tausend Jahren die Stadt in Trümmern liegt, wird die Geschichte erzählen: Hier stand Mannheim, wo am dreiundzwanzigsten Februar achtzehnhundert fünfundsechszig mehrere tausend Christen von dem Pöbel dieser Stadt, auf Anrathen der Vornehmen, mit Prügeln und Knitteln zerschlagen, gesteinigt und zur Stadt hinausgetrieben wurden.« – Die Besucher der Ruinen werden das lesen und denken: »Diese Trümmer bedecken ein verworfenes, entartetes Geschlecht.« – Dasselbe wird die gerechte und gebildete Gegenwart denken. Sie wird ein scharfes Urtheil fällen, Mannheim verabscheuen und dessen Bildungsstufe beklagen. Mannheim heftet sich ein Brandmal an die Stirne, das nie vergeht, – eine Schmach, die niemals stirbt. Heute tritt Mannheim aus der Civilisation heraus und steigt herab zu den Rothhäuten der Urwälder Amerika's. – Glaubt Ihr nun, Mannheim beschimpfe sich unverwüstlich aus Leichtsinn? Meint Ihr, es verliere jeden Anspruch auf Bildung aus Laune? O nein! Diese Stadt opfert Ansehen, guten Ruf und Humanität ihrem – Hasse gegen das Christenthum. Sie fällt über uns her in der Absicht, die Volksbewegung gegen die nichtsnutzige Schulreform zu ersticken. Mannheim will uns reizen zur Gegenwehr, es will Schlägereien veranlassen und der Landesregierung das Recht geben zu befehlen: »Das wandernde Casino ist hiermit verboten; denn es erzeugt Streit und Skandal!« Indem Ihr nun Widerstand leistet, Euch mit dem Pöbel schlagt, thut Ihr gerade, was die arglistige Stadt will, was die Freimaurer wünschen. Deßhalb habe ich Euch gefragt: – Wollt Ihr den mannheimer Barbaren einen Gefallen erzeigen?«

Der Schmied war stehen geblieben, mit steigender Verwunderung Schröters Erklärung folgend. Jetzt stieß er die Pelzkappe tief in den Nacken, stemmte beide Fäuste in die Seite und glich einem Löwen, der sich anstrengt, ein Lamm zu werden.

»Wenn's so ist, Herr Schröter, will ich nichts sehen, – nichts hören, – nichts fühlen! Püffe und Stöße will ich ertragen, so geduldig wie ein Schaf.«

»Darauf gebt mir Eure Hand und Euer Wort, Schmiedhannes! Was Ihr da bei ruhigem Blute sagt, könnte später Euch reuen. Allein Wort und Handschlag werdet Ihr unter allen Umständen respektiren, das weiß ich.«

»Auf Wort und Handschlag, Herr Schröter! Nur eine Bedingung muß ich machen. Spöttereien, Püffe, Stöße und dergleichen, will ich hinnehmen, wie ein Schaf. Geht mir's aber an's Leben, – oder seh' ich, daß ein Casinomann von den Mongolen abgeschlachtet, gesteinigt, oder todtgeschlagen wird, – so versprech' ich gar nichts! Sie müssen mir dann schon erlauben, meine Arme zu gebrauchen.«

»Die Bedingung sei genehmigt; denn so weit, bis zu Mord und Todtschlag, wird es hoffentlich doch nicht kommen.«

Im Laufe des Morgens hatten viele Casinomänner die sehenswerthe Jesuitenkirche besucht. Einige hundert Männer knieten betend in den Stühlen, oder saßen betrachtend. Viele beredete gläubiger Sinn, Gottes Segen für die Tagfahrt zu erflehen, und ländliche Einfalt erschien vertrauend vor dem Allerhöchsten. Keiner ahnte die Hagelbildung eines schweren Wetters, das emporstieg aus Sumpfgründen des Neckar, feindselig den Rücken und Köpfen der Ultramontanen. Einbildungskräftige sahen bereits Lindau, Brummel und andere Meister des Wortes auf der Kanzel, mit scharfen Streichen die colossale Tyrannei der Schulreform geißelnd, und mit eisernen Kolben die verhaßte Gewissensknechtung zerschlagen. Gutmüthige Ehrlichkeit sah die Zweifelnden Mannheims belehrt, überzeugt von der Rechtlichkeit des Widerspruches, gewonnen für Gewissensfreiheit und durch schlagende Gründe hinüber gezogen zur Streitmacht des Casino's.

»Nicht wahr, ihr Mannheimer,« dachte Mancher lächelnd in den Kirchenstühlen, »bisher habt ihr nicht gewußt, was für großes Unrecht uns geschieht! Ihr habt die Gefahr nicht erwogen, die uns bedroht durch den höllischen Geist der Schulreform! Ihr habt nicht beachtet, wie eure Kinder zum Unglauben in die Schule gezwungen werden sollten! Darum sind wir zu euch gekommen mit unseren Anwälten, damit euch die Augen aufgehen, und auch ihr einsteht für Glauben und Religion.«

So dachten hoffnungsvoll die Aufrichtigen.

Da fiel ein schriller Mißton in die harmonische Betrachtung. Befehlende Stimmen wurden laut in der Kirche. Betrachtung und Gebet sahen gestört empor. Ein halbes Dutzend Gensdarmen schritt säbelklirrend und commandirend durch die Gänge.

»Ihr Leute,« rief der Führer der Bewaffneten, »verlaßt augenblicklich die Kirche!«

Erstaunt, betroffen standen die Casinomänner. Sie begriffen nicht, wie man sie aus dem Hause Gottes hinausweisen konnte, das sie in frommer Gesinnung und bester Absicht betreten.

»Vorwärts! Wird's bald?« riefen barsch die Uniformirten. »Alle hinaus, – wer sich weigert, wird verhaftet!«

Die Männer gehorchten ohne Widerspruch. Die Gensdarmen verschlossen die Kirchenthüren und hielten die Eingänge besetzt.

Auf dem Platze vor der Kirche standen die ausgewiesenen Ultramontanen, Sinn und Bedeutung der Säbelherrschaft im Gotteshause erwägend. Indessen blieb zur langen Erwägung keine Zeit. Aus allen Straßen strömten Casinomänner, zur Vereinigung in Masse, nach dem Bahnhofe. Der letzte Morgenzug hatte noch einige Hundert gebracht, und jetzt zogen über viertausend Katholiken in die Stadt nach der Jesuitenkirche.

Ganz Mannheim fand die ultramontane Streitmacht imposant; denn es waren die Viertausend nur Abgesandte einzelner Gemeinden, hinter ihnen standen Hunderttausende.

Herr Blendung sah auf den Strom herab, der sich endlos durch die Straße wälzte, und schüttelte bedenklich das Haupt.

»Mir selbst unerwartet zahlreich!« sprach er. »Die Bewegung hat Verhältnisse angenommen, welche Alles befürchten lassen.«

»Nun, – so gefährlich ist es doch nicht,« sagte Wolf geringschätzend. »Vier bis fünf Tausend Ultramontane, – höchstens!«

»Jeder Anwesende vertritt hundert Abwesende,« sagte Blendung. »Angenommen, es seien nur Viertausend, so repräsentiren diese eine Masse von mindestens viermalhunderttausend Schwarzen. Mißlingt der zweite Dezember, – dann ist unsere Niederlage unabwendbar. – Nun?« – wandte sich der Millionär fragend an einen Herrn, der eilig herein kam.

»Alles in Ordnung!« antwortete der Gefragte. »Unsere Proletarier sind wüthend. Hören Sie, – das Vorspiel beginnt schon!« – wüstes Schreien und Getöse schallte herauf. »Viele Wissende haben sich unter die Massen gemischt. Wahrscheinlich bricht der Kampf vor der Jesuitenkirche los; denn dorthin ziehen die Clerikalen. Brummel und Lindau bestürmen die Behörde wegen Ueberlassung der Jesuitenkirche. Die Argumente des Rechtsanwaltes beweisen schlagend, es sei unmöglich, die verlangte Kirche gesetzlich zu verweigern. Wären heute nicht alle Gesetzesbanden gelöst und eine gemüthliche Revolution gestattet, die Behörde dürfte sich kaum der Anfälle des rechtskundigen Schwarzen erwehren,« – schloß lachend der Berichterstatter.

Blendung schritt ruhelos durch das Zimmer. Wachsendes Geschrei, Klappern und Tumult drangen aus der Ferne.

»Mir ist zu Muthe,« sprach Wolf, »als stünden wir vor der sicilianischen Vesper, oder am Vorabend der Bartholomäusnacht. Hört nur, – was für ein Höllenlärm!«

»Eilen wir zu Fuchs!« drängte Blendung. »Die Fenster seines Hauses gestatten freien Ueberblick des Theaterplatzes und des Raumes vor der Jesuitenkirche.«

Die Katholiken waren unter dem Geklapper vorausziehender Schuljugend die Straße hinabgeschritten, ruhig, geduldig, lächelnd über den aufgeführten Skandal. In allen Straßenmündungen durchschnittener Quadrate standen schmutzige Gestalten, höhnend, lachend, pfeifend.

Aus vielen Fenstern wurden auf die Casinomänner Beschimpfungen herabgeworfen, die jedoch spurlos im allgemeinen Tumulte verschwanden. Bis zur Jesuitenkirche waren die Ultramontanen in geschlossenen Reihen marschirt, dort aber mischte sich unsauberer Neckarschleim unter die klare Fluth. Bis über den Theaterplatz hin drängten die Massen. Die Katholiken hörten verwundert ausgesuchte Worte des Hohnes, grobe Beschimpfungen, schmerzende Stichreden. Sehnsüchtig blickten sie nach der verschlossenen Pforte der Kirche, wo Gensdarmerie, Polizei und Regierende der Stadt Wache hielten.

Immer frecher wurden die Schleimthiere. Schon zeigten sie Gebiß und Krallen, durch Püffe und Stöße die Schmähreden unterstützend. Unter vielen Blousen wurden Gegenstände kennbar, deren Formen Knitteln, Hämmern und Steinen glichen.

Auch das zarte Geschlecht Mannheims bekannte rühmlich den Geist urstofflicher Bildung. Elegante Damen durchschritten an den Armen feiner Herren die Reihen der Gäste, stachen dieselben mit spitzigen Reden, züngelten giftig und zeigten scharfe Katzenklauen.

Und die Katholiken bewiesen seltene Geduld. Spott und Schmähreden, Püffe und Stöße ertrugen sie lammfromm.

Der greise Freundschick stand zwischen Mühsam und dem Schmiedhannes.

»Nur ruhig, – nur ruhig!« mahnte klug der Pfarrer. »Seht und hört nicht! Denkt, es sei Charfreitag heute.«

»Das kann man recht gut denken; denn es laufen Juden genug da herum,« sagte der Schmied. »Was die Kerle für Reden führen! Wo haben sie das Zeug nur alles her? Ich könnt' ein ganzes Jahr d'rauf sinnen, brächt' aber so ein Gespött nimmer fertig.«

»Weil der böse Geist dieser Menschen nicht in Euch ist, Schmiedhannes,« belehrte der Pfarrer.

Ein Herr im Paletot ging vorüber, ihm zur Seite eine junge Dame.

»Da sieh', schon wieder ein Hirt!« rief sie, höhnend auf den greisen Pfarrer deutend. »Und was für dummglotzende Schafe um ihn stehen!«

»Doch lieber ein Schaf, als eine Gans!« rief zornig der Schmied entgegen.

»Er ist ein Flegel!« fuhr der Herr auf.

»So, – das hab' ich noch nicht gewußt,« sprach verwundert der Schmied. »Uebrigens sind Flegel recht gut, um die frechen Mäuler in Mannheim zu dreschen.«

»Warte nur, schwarze, verpfaffte Canaille, – du sollst gedroschen werden!« rief drohend der Herr und schritt vorüber.

»Schweigt doch, schweigt!« bat Freundschick. »Laßt sie höhnen und spotten, endlich werden sie müde und hören von selbst auf.«

»Ja, – wenn ich eine Geduld hätt', wie Sie, Herr Hochwürden! Lang' hab' ich geschwiegen, jetzt kann ich nimmer. Leid thut mir's nur, daß ich meine Händ' fest gebunden hab' durch ein Versprechen an Schröter, sonst hätt's schon ein paar fette Maulschellen abgesetzt. Da stehen wir, – 's ist wahr, gerad' wie Schafe, so geduldig! Die Kerle gehen vorbei, verlachen, verspotten uns. Sind wir denn herein gekommen, uns zum Narren halten zu lassen vom Neckarschleim und von herrisch gekleidetem Gesindel?«

Die Frage des wackeren Schmied wurde durch einen Stoß gegen seinen Rücken beantwortet. Waldhofens Herkules wandte sich um, wie ein ergrimmter Stier. Zwei Blousenmänner standen insultirend vor ihm.

»Kann Er nit Platz machen?« rief ein Schmutziger. »Einen Buckel hat Er, wie ein Kameel. Hat Er seinen Pfaff hereingetragen auf dem Kameelsbuckel?«

»Was steht ihr da und gafft die Jesuitenkirch' an?« rief der Zweite. »Ihr kommt doch nit hinein! Das ganze Jahr wird dummes Zeug genug geschwätzt in der Kirch' von den Pfaffen, – euer Geschwätz isch g'rad' überflüssig.«

»Ho, – wie er Feuer speit mit den Augen, – Pass auf, er beißt!« höhnte der Erste.

»Beißen? Thäten sie nur beißen, die hundsföttischen Kerle, – damit wir Grund hätten, ihnen die Zähn' einzuschlagen.«

In dieser Weise trug schmutziger und eleganter Pöbel Spott und Hohn durch die ultramontanen Reihen. Aber die Langmuth der Schwarzen blieb unerschütterlich; denn Allen war die Absicht klar, durch verletzende Spöttereien und Püffe Gesetzlosigkeiten zu veranlassen. Die geistlichen Hirten, durch die große Heerde vertheilt, mahnten unausgesetzt zur Ruhe und dämmten klug ausbrechende Entrüstung. Sohin wollte die Hetzjagd auf das angekündigte Schwarzwild nicht gedeihen, es blieb nur beim Kläffen der Meute. Und die leitenden Jägermeister sahen mißvergnügt, wie das Wild sich widerstandslos zerren und beißen ließ, ohne Schmerzensschrei, ohne Gegenwehr. Schon begann Blendung am Gelingen des zweiten Dezember zu verzweifeln, auf »das Aushauen des Schwarzwildprets,« in die Küche des Fortschrittes, trostlos zu verzichten. Da trieb ein Umstand die Schwarzen dennoch in die ausgespannten Netze.

Mit den Landesgesetzen und dem Polizeibuche in der Hand, war Herr Brummel für das Oeffnen der rechtswidrig verschlossenen Kirche thätig gewesen, – ohne jeden Erfolg. Deßhalb wurde beschlossen, die Wanderung nach Ludwigshafen fortzusetzen und dort, unter dem Schutze des blauweißen Banners, zu tagen. Eine kräftige Stimme rief den Beschluß über die harrende Menge. Die Stimme wurde vernommen, nicht aber verstanden, ob des Lärmens.

»Ruhig, – still'!« rief es von allen Seiten.

Auch die Schleimthiere forderten Stille und reckten neugierig die Köpfe. Das Getöse verstummte.

»Hinüber nach Ludwigshafen!« rief die Stimme wieder.

Das wandernde Casino kam in Bewegung. Diesen Augenblick benützten schlau der Pöbel und seine Lenker. Ein wildes Chaos von Tönen brach los. Es pfiff, schrie und heulte ganz entsetzlich.

»Hinaus mit ihnen, – fort, – schlagt sie todt, – steinigt sie, – erschlagt alle Pfaffen! Wo ist der Brummel? Hängt ihn, – zerreißt ihn!«

Drohungen und Forderungen dieser Art zerrissen die Luft. Hämmer, Todtschläger und Knittel, bisher verborgen gehalten, wurden von Ergrimmten geschwungen. Die Masse auf dem weitgedehnten Platze glich einem sturmgepeitschten See, aus dem Klagetöne geschlagener, getretener Ultramontanen aufschlugen und sich vermischten mit dem Gebrüll des Mannheimer Pöbels. Und je mehr der Pöbel brüllte, desto wüthender wurde er. Die Musen des angrenzenden Theaters sahen kopfschüttelnd hernieder auf das Getümmel, auf knittelschwingende Fäuste und rasende Geberden. Seit hundert Jahren bemüht, den Neckarschleim in menschliche Formen zu gießen, durch den Reiz des Schönen Gesittung und Bildung zu fördern, mußten sie jetzt zu ihren Füßen die unbändigste Wildheit des Neckarthieres entfesselt sehen.

Auch Schiller blickte traurig von seinem hohen Standpunkte. Auch ihm erschien die Masse, wie ein tobender See, über dessen Spiegel die scheußlichsten Ungethüme der Tiefe auftauchten. Vergebens schwang er das Manuscript seiner »Räuber« über den Entmenschten, vergebens rief sein veredelnder Geist die Wüthenden an. Die Tiefe heulte und brüllte fort: »Hinaus, – d'rauf, – schlagt sie todt!«

Nach allen Richtungen zerstäubten die Ultramontanen, verfolgt, gehetzt, geprügelt und gestoßen. Der Hauptstrom stürzte in wilder Flucht nach dem Schloßgarten. Dort, wo ein Thorweg in den Garten mündet, staute die gehetzte Menge der Katholiken. Das nachdrängende Proletariat warf Steine, schlug mit Knitteln und Prügeln auf erreichbare Rücken. Viele Blousenmänner sprangen, wie schnaubende Tiger, auf die Mauer, ihre Taschen durch Steinwürfe gegen die Flüchtigen entleerend. Hüte und Mützen flogen von den Köpfen, Schmerzensrufe Getroffener hallten durch den Garten. Dort floß auch das erste Blut. Ein Wüthender schwang sein blankes Messer, stürzte auf einen greisen Bürger aus Eppelheim los und stach in dessen Haupt. Ein Blutstrahl schoß hervor. Der Mann wankte und wurde von flüchtenden Katholiken fortgetragen.

Den greisen Freundschick hatte das Getümmel von den Seinigen getrennt. So rasch die altersschwachen Beine vermochten, eilte er durch die Straße, hinter ihm her die wilde Meute.

»Dort ist ein Pfaff!« hörte er rufen, und heran keuchten die Gräßlichen. Steine sausten um Freundschicks Haupt, der Hut fiel durchlöchert herab, wohlgezielte Würfe trafen den Rücken, – der Greis eilte in Todesängsten. Allein die Verfolger ließen nicht ab, den fortwankenden Mann zu bewerfen. Er blieb stehen und wandte sich bittend nach den Feinden. In demselben Augenblick traf ein Stein die Schläfe, Blut rann, Freundschick taumelte wie ein Betrunkener, und brach zusammen.

Um ihn her standen fluchend die Gewaltthätigen.

»Der Pfaff hat seinen Theil!« rief ein Schäumender.

»So sollten alle Pfaffen da liegen,« rief ein Anderer. »Fort, – laßt ihn vollends kreppiren!«

Freundschick lag bewußtlos. Ein Standesgenosse in jugendlichem Alter, von einer Judenrotte gehetzt, rannte vorbei. Er sah den blutenden Greis, blieb stehen und beugte sich helfend nieder. Und die Juden fielen über den Barmherzigen her, schleuderten ihm den Hut vom Kopfe, Einer trat frech heran, und schlug wiederholt mit flacher Hand in das priesterliche Angesicht. Der Wackere ertrug die Schläge, wich nicht von Freundschicks Seite und blickte nach Hilfe umher. Jetzt rief er zwei Polizeibeamte heran. Der immer noch bewußtlose Hirt von Waldhofen wurde emporgehoben und in einen Fiaker gesetzt. Mit dem jungen Geistlichen bestiegen die Beamten den Wagen, der in raschem Trabe davonrollte. Eine Pöbelrotte stürzte nach, zertrümmerte alle Fensterscheiben der Chaise, ohne Rücksicht auf die Schutzleute. Das Wuthgeheul der Canaille, Peitschenhiebe und Steinwürfe machten die Pferde scheu. Sie rannten in sausendem Galopp den Fruchtmarkt entlang, glücklich die Bedrohten entführend.

Fritz Schröter war nicht der Ausströmung der Massen gefolgt, sondern abwartend an der Kirchenpforte stehen geblieben. Er sah die geschwungenen Stöcke und Knüppel, die Stöße und Schläge auf seine Glaubensgenossen, er hörte das Gebrüll der Wüthenden, und den unerschrockenen Mann befiel Bangigkeit.

»Es ist doch unverantwortlich, dergleichen zu dulden!« rief er dem neben ihm stehenden Gensdarmen zu. »Sehen Sie, dort zerreißen drei Schurken einen wehrlosen Mann! Gibt es keine schützende Polizei in Mannheim?«

Der Angerufene zuckte die Achseln.

»Wir stehen auf unserem Posten!« antwortete er gleichgültig.

Die Menge war davongestürmt. Der Landwirth schritt über den Platz, stand auf dem Punkte, wo sich die Straßen durchschnitten und spähte nach verschiedenen Richtungen. Allenthalben sah er in der Ferne eilende Menschen, vom Rhein herüber gellte das Wuthgeheul des Pöbels. Auch Schröter lenkte seine Schritte nach dem Schloßgarten. Bald sah er am Boden die Spuren vollbrachter Gewaltthaten, zertretene Hüte, abgerissene Kleidungsstücke, Blutlachen. Zwischen den Baumstämmen des Parkes liefen gehetzte Katholiken, viele ohne Kopfbedeckung und blutend. Von der Rheinbrücke her stürmte unaufhörlich wildes Getöse. Er gedachte seines Pfarrers, und das rasende Geschrei: »Schlagt die Pfaffen alle todt!« trieb ihn vorwärts.

Als Schröter in der Nähe des europäischen Hofes den Garten verließ und die Straße zur Rheinbrücke betrat, bot sich ein haarsträubendes Schauspiel.

Eine Rotte, schnaubend und rasend, war in voller Thätigkeit begriffen. Am Boden lag ein Geistlicher, von zwei Kerlen an den Füßen durch den Koth geschleift. Andere hatten Stöcke in den Händen und schlugen unbarmherzig auf den Geschleiften los. Der Geistliche stieß Schmerzenslaute hervor, sträubte sich mit beiden Händen gegen das Schleifen und rief flehend seine Quäler an. Vergeblich! Die häßlich verzerrten Gesichter und wüsten Grimassen der Neckarthiere verkündeten zur Genüge, es sei ihnen jedes Menschengefühl entschwunden.

»Schlagt ihn tobt den Pfaff, – hin muß er werden, – in den Rhein mit ihm!« heulten die Unholde.

Einige Casinomänner des Laienstandes, wahrscheinlich dem Geistlichen zu Hilfe eilend, lagen im Handgemenge mit den Proletariern und wurden unmenschlich zerschlagen. Das Bild wurde immer wilder und blutiger. Die Häßlichkeit des Gemäldes zu steigern, standen einige elegant gekleidete Mannheimer bei Seite, lächelten zur »Abklopfung« der Ultramontanen und sahen verächtlich auf den Cleriker im Straßenkoth.

Schröter stand unbeweglich, betäubt von Schmerz und Entrüstung. Es drängte ihn, den Geschleiften zu retten, ohne Rücksicht auf persönliche Gefahr. Er stürzte heran, stieß die Schleifenden zurück und donnerte die Rasenden an.

»Ihr Unmenschen, – hinweg! Wollt ihr den Herrn umbringen?«

Unverzüglich hoben sich Knittel gegen den Landwirth, schmutzige Fäuste ballten sich gegen sein Haupt.

»Den laßt gehen, – er ist kein Casinomann, – er ist ein Fruchthändler,« rief abwehrend ein Häßlicher, der am vorigen Tage den rechnenden Gutsbesitzer im Bierhause gesehen.

»Was?« schrieen zehn Andere entgegen. »Ein Pfaffenknecht ist er, – auf ihn!«

Da schlugen Trommeln Sturmlauf. Eine Abtheilung Militär rückte mit gefällten Bajonetten heran. Das Gesindel stäubte fluchend auseinander.

Ein Eleganter trat vorwurfsvoll vor Schröter.

»Machen Sie, daß Sie zur Stadt hinauskommen, – wir stehen nicht gut für Ihr Leben! Wenn das Volk empört ist, kann Alles geschehen.«

»Was Sie da sagen, mein Herr,« versetzte der Landwirth erregt, »paßt für eine Stadt, wo Cannibalen hausen! Dort ist die Warnung gerechtfertigt: »Machen Sie, daß Sie zur Stadt hinauskommen, wir stehen nicht gut für Ihr Leben; denn Sie sind mitten unter Cannibalen!« – Ist auch Mannheim zur Stadt der Unmenschlichkeit geworden? Hat Mannheim das Recht, friedliebende Männer zu mißhandeln? Schämen Sie sich!«

»Was?« riefen Ergrimmte dazwischen. »Sie sind die Hetzer, – Sie haben die Revolution hieher gebracht!«

»Das ist eine Lüge!« rief Schröter entgegen. »Aber die Wahrheit ist: – Das liberale, gebildete Mannheim hat seinen Pöbel gegen badische Bürger gehetzt. Ja, – so ist es, – zerreißt mich, – es ist so! Mit dem Blute schuldloser Menschen hat Mannheim in den Straßenkoth geschrieben, wie es Humanität und Freiheit versteht.«

Wüthendes Geschrei unterbrach den Furchtlosen. Abermals wirbelten Trommeln.

»Auseinander!« befahl der Offizier. »Wer stehen bleibt, wird verhaftet!«

Schröter ging nach der Rheinbrücke. Dort zog ihm der Schmiedhannes an der Spitze eines Häufleins zagender Katholiken entgegen. Der Mantel des Schmied war mit Koth bedeckt, das Gesicht blutig, die Augen wild, die Züge furchtbar. In beiden Händen trug er schlagfertig eine wuchtige Stange, für gewöhnliche Menschenkräfte eine Last. Er aber schwang die Waffe leicht, rief mit Donnerstimme entgegenstrebenden Pöbel an, hob drohend den jungen Baumstamm, und die Neckarthiere wichen scheu dem Schrecklichen aus.

»Wer uns anrührt, den schlag' ich todt!« – verkündete der Herkules, in weit ausholenden Schritten auf dem Rückzüge nach dem Bahnhofe begriffen.

»Schmiedhannes, – wohin?«

Der Angerufene und dessen Schützlinge machten Halt vor dem Landwirthe.

»Himmel, Herrgott, – hätt' ich Ihnen nur das Versprechen nicht gegeben!« rief unwillig der Schmied. »Was ich ausgestanden hab', kann in zehn Büchern nicht geschrieben werden. Und in dem Zorn, den ich verschluckt hab', könnt' ganz Mannheim versinken. Da sehen Sie diesen Geistlichen,« – und er deutete auf einen Pfarrer mit zerrissenen Kleidern. »Wär' ich nicht gerad' noch beigesprungen, das Lumpenzeug hätt' ihn wahrhaftig in den Rhein geworfen.«

Anrückendes Militär unterbrach den Erzähler.

»Habt ihr unseren Hochwürdigen nicht gesehen?« frug Schröter.

»Er wird drüben in Ludwigshafen sein,« antwortete Mühsam. »Kommen Sie bald nach!«

»Auseinander, – vorwärts!« commandirte der Offizier.

Während der Schmied die Verschüchterten sicher nach dem mannheimer Bahnhofe geleitete, suchte Schröter seinen Pfarrer vergebens in Ludwigshafen. Er frug viele Bekannte, keiner wußte Auskunft. Dagegen vernahm er Unerhörtes über bestandene Mißhandlungen, sah blutige Köpfe und zerschlagene Glieder. Von solchem Entsetzen waren die Meisten erfüllt, daß sie die Rückkehr nach Mannheim nicht wagten, sondern durch die bayerische Pfalz heimfuhren. Schröter hingegen machte der Furcht kein Zugeständniß. Nach langem Suchen überschritt er die Rheinbrücke. Diese hatten mittlerweile Truppen besetzt und Bajonette rasch der Schreckensherrschaft ein Ende bereitet. Schröter nahm den kürzesten Weg nach dem Bahnhofe durch den Schloßgarten, und dort sollte er Zeuge einer Schlußscene der aufgeführten Tragödie sein.

Ferdinand Blendung hatte mit seinen Erlesenen Rühmliches vollbracht, die heranwachsende Canaille weidlich gehetzt, manches schwarze Haupt blutig werfen lassen, persönlich mit Hohn nicht gekargt, und in bange Ultramontanengesichter verletzenden Spott geschlendert. Dennoch wanderte Ferdinand unbefriedigt, mürrisch von der Rheinbrücke nach der Stadt. Den verhaßten Geliebten der schönen Helena, den Abtrünnigen vom Bunde des Frohsinnes, den gläubig entschlossenen Heinrich hatte er umsonst gesucht. Auf dem Theaterplatze hatte er ihn gesehen, den beneidenswerth Blühenden feindselig umkreist, ihm das verächtlichste Lächeln geschenkt, – und dann hatte die reißende Strömung das ausersehene Schwarzwild verschlungen.

»Mein Zorn brennt fort!« brummte Ferdinand. »Die Hetzjagd hat die flammende Entrüstung nicht abgekühlt; denn ihn, von allen Pfäffischen am meisten verhaßt, ihn zu jagen, war mir versagt. – Doch, – was seh' ich? Bei allen Göttern, – er ist es!«

Und es war keine Täuschung. Heinrich kam raschen Schrittes daher.

Ferdinand pfiff. Die Buben sprangen heran.

»Wir haben keine Steine mehr!«

»Verflucht, – greift nach Koth! Seht ihr den Burschen dort? Seid Teufel, thut euer Bestes, – werft ihn schmutzig von den Füßen bis an die Stirne!«

Die Gedungenen scharrten Koth zusammen, auch Kieselsteine fanden sich.

Der Pfad, den Heinrich wandelte, mündete in den Weg seines Feindes. Die jungen Männer gingen sich eine kurze Strecke entgegen. Heinrich sah die kleinen Bestien heranstürzen, zähnefletschend, schimpfend, frech lachend, Steine und Koth in den schmutzigen Händen. Dann sah er Ferdinands höhnisch lächelndes Gesicht, errieth Alles und blieb stehen. In rascher Folge trafen ihn Stein- und Kothwürfe. Der Hut fiel herab, Schmutz bedeckte sein Gesicht, seine Kleider, ein scharfer Stein zerriß die Wange. Heinrich wehrte der Mißhandlung nicht, von ihm kaum beachtet. Er stand mit verschränkten Armen und sah auf Ferdinand, der grinsend das entzückende Schauspiel betrachtete, die schimpfende, werfende Brut ermunternd.

In diesem Augenblicke kam Fritz Schröter unter den Bäumen daher, sah den Vorgang, erkannte zur höchsten Ueberraschung die vormaligen Freunde und stand beobachtend hinter dem Stamm einer Silberpappel.

Heinrichs duldende Ruhe setzte in Erstaunen. Die Körperkraft des jungen Mannes hätte ohne bedeutende Anstrengung der Feinde sich erwehren können. Er aber litt ohne Widerspruch. Schröter glaubte sogar, in dem beschmutzten Gesichte ein siegreiches und glänzendes Lächeln zu bemerken. Blendung hingegen erschien, wie ein Geist der Nacht, hämisch, Grimm und Haß in den bleichen Zügen. Selbst die Neckarthiere wurden stutzig. Der edle Stolz, die schweigende Verachtung des schönen Burschen beschämte und entwaffnete sie. Sie wichen zurück, sahen fragend auf Blendung, und gewahrten betroffen eine häßlich verzerrte Fratze.

»Herr Blendung,« sprach Heinrich mit natürlicher Hoheit, »ich danke Ihnen! Nachdem ich bisher von Steinen und Prügeln verschont geblieben, gaben Sie endlich Gelegenheit, für meine religiöse Ueberzeugung etwas zu dulden.«

»Und ich danke Ihnen, für die genußreiche Rolle eines dummen Schafes aus der großen Heerde der Gläubigen,« versetzte der Bleiche, widerwärtig lachend. »Sie haben ganz das Zeug für einen Märtyrer! Ihr Knechtssinn erlaubt sogar dem Straßenkoth, von Ihrem Gesichte Besitz zu ergreifen.«

»Sie wären demnach von meiner vollständigen Bekehrung aus dem Banne Ihrer Geistesrichtung überzeugt, Herr Blendung?«

»Vollkommen! Mich wundert nur, wie ein Mensch, der für geistige Sklaverei erschaffen ist, einen Augenblick der Bildung und Freiheit angehören konnte.«

»Und ich beklage, meine Seele mit jener Bildung und Freiheit jemals beschmutzt zu haben, von der Sie eben, und Ihre gebildete Vaterstadt diesen Nachmittag, Proben abgelegt. Mein Umgang mit Ihnen ist gesühnt! Sie und Ihre Buben hätte ich ohne Mühe zertreten können, bevor sie den zweiten Stein warfen. Ich that es nicht, – weil die Schuld, selbst dem Schlechten gegenüber, eine Sühne fordert. Ich hatte Ihnen das Recht gegeben, mich für einen Aufgeklärten zu halten, – dieses Recht haben Sie fernerhin nicht mehr. – Schließlich empfangen Sie die Versicherung meiner tiefsten Verachtung für Ihre gerühmte Bildung und bodenlose sittliche Verkommenheit!«

»Bravo, – bravo!« rief eine kräftige Stimme.

Ferdinand schaute zurück, erkannte den nahenden Gutsbesitzer von Waldhofen und schritt eilig von dannen.

Fritz Schröter stand bewegt vor dem verlegenen jungen Manne.

»Du hast Dich Deines Aussehens nicht zu schämen, Heinrich!« sprach er. »Alles habe ich gesehen, gehört und verstanden. Du hast Deinen befleckenden Umgang mit jenem Nichtswürdigen ehrenvoll gesühnt, und mir hast Du die Ueberzeugung von aufrichtiger Besserung abgerungen. Heinrich, – Alles Vergangene sei vergessen!«

Er nahm die Rechte des Jünglings und drückte sie warm. Sodann zog er sein Taschentuch hervor und reinigte vom Schmutze Heinrichs Angesicht, der stille hielt, wie ein glücklicher Knabe.

»Du blutest, – ein Riß in der Wange, – ganz ungefährlich! Hoffentlich gibt das eine kleine Schramme, zur ewigen Erinnerung an die Sühne im Schloßgarten zu Mannheim. Helena wird die Schramme nicht entstellend finden, wenn ich ihr den künftigen Eheherrn vorstelle,« – schloß lächelnd der Landwirth.

Diese plötzliche Wendung stürzte den Jüngling in einen Wirbel anstürmender Empfindungen unaussprechlichen Glückes. Er stand mit geöffnetem Munde, ohne ein Wort hervorzubringen, die Brust erbebte unter gewaltigen Herzschlägen, in den Augen erschienen volle Tropfen.

»Wir sind im Schloßgarten zu Mannheim, Heinrich! Komme nur, damit wir den Zug nicht verfehlen.«

Er nahm den Arm des Sprachlosen unter den seinigen, und brachte den vom Glücke Berauschten ohne weitere Hindernisse nach dem Bahnhofe. –

Blendungs zweiter Dezember hatte die beabsichtigte Wirkung. Im Interesse öffentlicher Ordnung wurde das wandernde Casino durch einen Machtspruch der Herrschenden unterdrückt.

Das geistige Mordinstrument des Herrn Knies, die Schulreform, war gerettet.

Und Salomon Nathan wurde die schwierige Aufgabe, Mannheims gefährdeten Ruf zu schirmen, die begangenen Unmenschlichkeiten anständig zu umkleiden, die beleidigte Bildung zu beruhigen. Und Herr Nathan genügte vollständig seinem gläubigen Publicum.

»Wie es bei allen derartigen Anlässen zu gehen pflegt,« schrieb er, »so auch bei dem gegenwärtigen, bei welchem den Ansichten und Gefühlen der weitaus größten Anzahl der Bevölkerung, durch das rücksichtslose Beharren auf der Abhaltung des Casino's gerade in hiesiger Stadt, die von den Wühlereien gegen das Schulgesetz nichts wissen will, in's Gesicht geschlagen werden sollte. Als die auswärtigen Casinoleute in Masse, trotz dem Verbote, zu der auf gestern angesagten Versammlung erschienen, wurden sie vom Volke unter äußerst tumultuarischen, von Mißhandlungen aller Art und sogar von Verwundungen begleiteten Scenen empfangen, auseinander gesprengt und unter großem Scandal nach Ludwigshafen getrieben. Die Furcht vor der mannheimer Lynchjustiz war bei vielen Casinomännern so groß, daß sie die Rückreise in ihre Heimath durch die Pfalz machten. – Die Moral vom Ganzen ist aber eine freudige, erhebende: – In Mannheim ist kein Boden für die Schwarzkutten und ihren Anhang.«

So schrieb Herr Salomon Nathan, und mit ihm die Gesammtpresse der Bildung, – Humanität, – Liberalität und – Freiheit!!


 << zurück weiter >>