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Neckarschleim.

Zu den höchsten Errungenschaften fortgeschrittener Bildung gehört die großartige Entdeckung, daß der Stammvater des Menschengeschlechtes ein – Affe sei.

Die lebende Größe, bewundert auf der Höhe der Zeit von Millionen Gebildeter, Carl Vogt genannt, hat es bekanntermaßen unternommen, diese ehrende Abstammung unseres Geschlechtes zum Gemeingut zeitgemäßer Bildung zu machen. Herr Carl Vogt bereist die deutschen Gauen, hält Vorträge in großen und kleinen Städten, entfaltet staunenswerthes Wissen, zerschlägt mit scharfer Geistesklinge die alten Thorheiten von Gottähnlichkeit und Menschengeist, eifrig bestrebt, die irrende Menschheit dahin aufzuklären, daß wir im Grunde doch nur vollendete Affen seien.

Als gelehrte Forschung noch in Windeln lag, würde Carl Vogts erster Vortrag sicher unterbrochen und der Affenapostel in ein Irrenhaus gesteckt worden sein. Seitdem aber alte Ueberlieferungen heiliger Bücher die allgemeine Geltung verloren, die Ansichten über Menschenwürde getheilt sind, und der Reiz des Thierlebens manchen Gebildeten beschlichen, – seitdem darf Herr Carl Vogt das Evangelium vom Waldmenschen ungestört predigen. Die elegante Herren- und Damenwelt, in vielen Stücken der Hoffart ergeben, sitzt lauschend zu des Gelehrten Füßen und läßt sich die Erniedrigung zum Affen geduldig gefallen.

Allerdings wird der affenfreundliche Mann zuweilen unanständig unterbrochen durch Aufläufe und Tumulte ungebildeter Ultramontanen, die von ihrer Gottähnlichkeit nicht lassen wollen. In Aachen liefen gar fünfhundert Arbeiter zusammen, mit lautem Protest gegen die Affenabstammung. Das sind übrigens nur die letzten Zuckungen abgelebter Anschauungen, die bald vom hochgehenden Strome menschenwürdiger Bildung verschlungen sein werden. Bereits wurde die erhabene Idee angeregt, dem Stammvater aller Menschen, dem Affen, ein Denkmal aus Erz und Marmor zu errichten, und fand diese Idee, so natürlich wie das Ei des Columbus, die wärmste Theilnahme aller Affensprößlinge.

Indessen, – so tief Vogts Forscherblick eingedrungen in die Geheimnisse der Natur, – Vogt ist nicht unfehlbar. Historische Thatsachen und öffentliche, unbesiegbare Meinung bestätigen, es sei nicht das gesammte Menschengeschlecht dem Affen entsprungen. Herr Vogt saß an der Quelle, die sein Wissen erläutern konnte: – zu Mannheim, und ihm entging, es ist erstaunlich, der offenkundige Beweis in tausend lebenden Bildern, daß eine Abart, eine gewisse Menschenrace, dem – Neckarschleim ursprüngliches Entstehen verdankt. Das Volk hat in sicheren Ueberlieferungen diesen Ursprung treu bewahrt, es kennt den »Neckarschleim« und seine Kinder.

Freilich ist die erste Bildung der Schleimzeugung unklar, wissenschaftlich keineswegs fest begründet. Ob die ersten Schleimthiere Molche, Kröten, Schlangen oder ähnliche Reptilien gewesen, ist noch immer eine offene Frage. Sicher gelänge es Herrn Vogt, Licht in das Dunkel zu bringen, zumal die Wiege, nämlich der Neckarschleim, den Hervorgegangenen eigenthümlich geblieben. Vielleicht steht auch der Name »Mannheim« mit dieser Thatsache in Zusammenhang. Wie der erste Mensch »Adam«, verdeutscht »Erdmann« hieß, hiedurch seinen körperlichen Ursprung aus Erde zu erklären, – so dürfte das Wort »Mannheim« besagen, jener Fleck im Weltenraume sei die Heimath, die Gebärmutter einer ganz einzigen und seltenen Abart von Geschöpfen.

Da kein Wesen die Abstammung verläugnet, so ist erklärbar, weßhalb in Mannheim der Schleim fortgesetzt in hoher Achtung steht. Nicht blos Einzelne, ganze Gassen der Stadt sind dem Schleimdienste geweiht. Dort findet besagter Stoff innige Verehrung, ein ächtes Schleimthier scheut keine Ausgaben, seiner Ursprungsmaterie Huldigung zu erweisen. Und wie der alte, markvolle Römerstaat seine Vestalinen besaß, jungfräulich reine Priesterinen, und das Christenthum seine fleckenlosen, keuschen Nonnen, so unterhält mit Vorliebe die Schleimstadt eine zahlreiche Schaar weiblicher Creaturen nach ihrem Geschmack.

Nicht mit Unrecht setzte Herr Blendung großes Vertrauen in das Proletariat; denn es behauptet der Neckarstoff seine Gattung. Jeder genaue Beobachter wird tausend Schattirungen der Rohheit und Frivolität zu Mannheim finden, deren sich das Reinmenschliche enthält. Auf diese Sinnesart der Schleimthiere baute Herr Blendung seine Hoffnung für den beabsichtigen Empfang der Casinomänner. Ihm war nicht bange, Eckel oder Abscheu gegen die Gewaltthat überwinden zu müssen. Er kannte die Neckarmänner genau, und rührte so verständig durch Agenten und Presse in der Schleimmasse herum, daß am ersten Tage schon der Stoff in wilde Bewegung kam. Wie Nathans Journal den Gebildeten Kühnheit und Anmaßung der Ultramontanen zur Beherzigung empfahl, in dem hochgebildeten Mannheim das schwarze Banner zu entfalten, so bellten und keiften alle Winkelblätter heftig und bissig gegen das freche Casino. Die Sensation war ungeheuer, die Bewegung kreiste in tosenden Wirbeln, Neckars ergrimmte Söhne rüsteten. Alte Waffen wurden hervorgesucht, kräftige Knittel in's Dasein gerufen, wuchtige Hämmer bereit gelegt, und die Nachfrage nach den rühmlich bekannten »Todtschlägern« war groß. Die Gährung des Neckarschleims wurde so kochend, daß er die Grenzen zehntausendjähriger Entwickelung zum Menschen überschritt und zum wilden Chaos seines Urzustandes zurückkehrte. In allen Bier- und Weinhäusern lief er siedend heiß zusammen, wüthend gegen die Ultramontanen. Haarsträubende Drohungen wurden maulfertig geschwungen, Molch- und Basiliskenblicke schwebten giftig über sich leerenden Gläsern, und die Schleimsprache spottet jeder Uebersetzung in das Menschliche.

Auch die Gebildeten traten unternehmend zusammen, an ihrer Spitze der Oberbürgermeister und die Abgeordneten der Stadt. Es wurde kräftig gesprochen gegen die Dunkelmänner, – gegen den Papst der Encyclica der Bann geschleudert, – in Strömen heiligen Zornes die schwarze Agitation ersäuft, – eine Adresse an den edeldenkenden Großherzog votirt, – die Ergebenheit für die liberale Regierung geziemend hervorgehoben.

»Eine Kirche,« rief ein Feuriger, »welche Alles, was dem gegenwärtigen Geschlechte theuer und werth ist, als fluchwürdig verdammt, hat auch den leisesten Anspruch auf Leitung der Volkserziehung verloren. Es gilt mit einem Worte: – Uns öffentlich loszusagen von der Partei der Encyclica und zu bezeugen, daß die Katholiken der wandernden Casino nicht die katholische Kirche des badischen Landes bilden.«

Obwohl jedem Denkenden eine katholische Kirche ohne Papst unbegreiflich, wurde von allen Gebildeten das Undenkbare dennoch beklatscht, die Aufforderung zum Abfall vom katholischen Glauben sogar in die Adresse an den Landesfürsten aufgenommen.

Sogar die Halbwüchsigen wurden gespornt, zur Entfaltung aller Vertilgungskräfte gegen die Casinomänner. Journale und Blätter enthielten Einladungen an die Klapperbuben zur musikalischen Ausrüstung. Die Neckarschleimmusik, beim Empfang der schwarzen Gäste aufzuspielen berufen, wurde von den Klapperbuben übernommen, und schließlich in allen Blättern dieses herrliche Corps gebeten, am Vorabend des ultramontanen Einzuges auf dem Zeughausplatze eine Probe zu halten.

Gegen drei Uhr des zwei und zwanzigsten Februar liefen aus allen Gassen und Straßen die Musikanten auf der weitgedehnten Fläche vor dem Zeughause zusammen. Auch Neckarmänner und Damen fanden sich ein, die Leistungsfähigkeit der Hoffnungsvollen zu prüfen. Das Musikcorps zählte nach Hunderten. Alle trugen Klappern in den Händen, deren harmonische Klänge nur mannheimer Ohren zu ertragen vermochten. Kundige Männer hatten sich unter die Buben gemischt, brachten dieselben in gewünschte Ordnung, gaben Verhaltungsmaßregeln und endlich das Signal zur vollkräftigen Musikprobe. Und das feste Zeughaus erbebte in seinen Grundmauern, die Kanonen aus Stein zitterten, alle Spatzen flogen entsetzt davon, menschliche Wesen, zufällig vorübergehend, hielten die Ohren zu und ergriffen die Flucht. Die Schleimthiere hingegen, groß und klein, lachten vergnügt und fanden die Musik ausgezeichnet.

Auch der Hochmögende beehrte die Probe durch seine Gegenwart. Er stand am offenen Fenster eines nahen Hauses und sah befriedigt auf das Treiben des Platzes. Herr Fuchs kam eilig herein und schrie gewaltig, das rauschende Concert der Klapperbuben zu durchbrechen.

»Hier, meine Herren!« rief er, Nathans Journal hochhaltend.

Ein halbes Dutzend wißbegieriger Köpfe umdrängte den Zeitungsträger und Alle lasen.

»Heute frühe kamen bereits einzelne Geistliche, gefolgt von einer Anzahl ihrer Schafe, vom Lande herein, der Vortrab zur morgigen großen Versammlung.«

Dessen freuten sich die Neckarherren; denn es hatte Frau Fama gemeldet, das Casino in Mannheim würde unterbleiben.

»Morgen,« – erklärten die Directoren den Klapperbuben, »habt ihr keine Schule den ganzen Tag. Dafür steht ihr an den drei Thoren Wache, seid bei jedem Bahnzuge, der ankommt, an Ort und Stelle, um die erwarteten Gäste würdig zu empfangen. Ihr geht vor den Casinomännern her und macht tüchtig Musik. Zur Musik gehört auch schreien und pfeifen.«

Die Galgenvögel begriffen die Weisung und jubelten.

Ferdinand Blendung war prüfend umhergewandelt unter den Klapperbuben. Sein praktischer Sinn hatte offenbar einen tüchtigen Plan erdacht, zu dessen Ausführung er die Werkzeuge suchte. Wählerisch bei der Musterung, fand er endlich drei Buben zusammen. Diesen gebot er, ihm zu folgen. Der Millionär trat in den nächsten Gasthof und verlangte ein Zimmer. Er saß auf einem Stuhle in der Mitte des Zimmers, vor ihm standen in einer Reihe die drei Erwählten. Mit Genuß betrachtete Herr Ferdinand die jugendlichen Spitzbubengesichter, las in jeder Linie verwegene Frechheit, entdeckte in der gelblichen Hautfarbe Merkmale tiefster Verkommenheit, in den tückischen Augen Willfährigkeit zu jeder Unthat und schloß endlich die Betrachtung mit der Ueberzeugung, es stehe vor ihm ächter, unverfälschter Neckarschleim.

Während aber Ferdinand die kleinen Unholde musterte, entging er selbst der Musterung nicht. Die kleinen Buben entdeckten in dem hüstelnden jungen Manne sogleich einen fleißigen Besucher der privilegirten Schleimgasse und ein Muster, dem nachzuahmen sie lüstern waren. Auch glaubten sie, in der gebeugten Haltung und fahlen Gesichtsfarbe knospende Kirchhofblumen zu finden. Dies war keine Täuschung. Trotz der waldhofer »Luftsaison« hatte der junge Millionär, in Folge des Genusses mannheimer »Wintersaison,« zur großen Versammlung der Todten einen bedeutenden Schritt gethan.

»Kennt ihr mich?« frug er die Buben.

»Ja! Sie sind der junge Herr Blendung.«

»Wißt ihr, wo ich wohne?«

Dreifache Bejahung.

»Ihr seid wackere Jungen, könnt morgen etwas Tüchtiges leisten, – nicht?«

Die drei Gesichter grinsten.

»Ihr sollt nicht umsonst thun, was ich verlange. Jeder bekommt sogleich einen halben Gulden; ist das Stück ausgespielt, erhält Jeder noch zwei Gulden, – sage: Zwei Gulden! – Seid ihr einverstanden?«

Allgemeines Kopfnicken.

»Hier ist der halbe Gulden,« – und er legte Jedem das Silberstück in die schmutzige Hand. »Jetzt paßt auf! – Zuerst eine Frage: – Wißt ihr, was morgen für Leute kommen? Du, – sage mir's!«

»Casinomänner, Pfaffenknechte, Strohfresser, schwarze Hunde, römische Teufel!«

Ferdinand lachte hell auf, wurde aber sogleich durch heftiges Husten unterbrochen.

»Woher weißt Du das?«

»Von meinem Vater! Seit zwei Tagen flucht er, wie ein Türk, gegen die schwarzen Satane, – und das Alles hat er im Anzeiger gelesen.«

»Mein Vater hat gesagt,« versicherte der Zweite, »man soll Keinen ganz aus Mannheim hinaus kommen lassen.«

»Und meine Mutter hat gesagt,« erklärte der Dritte, »man solle die verfluchten Pfaffen alle in den Rhein schmeißen.«

»Du hast eine ganz ausgezeichnete Mutter! Und was sagt Dein Vater?«

»Ich habe keinen Vater.«

»Das ist prächtig! Ich sehe, ihr alle seid wackere Burschen, in euch steckt ächte Race. Was eure Väter und Mütter sagten über die Casinomänner, ist Alles richtig. Ersäufen, todtschlagen, steinigen sollte man die Schurken, die Wichte, die Pfaffenbrut. – Könnt ihr mit Steinen gut umgehen?«

»Ich werfe über das Theater,« rühmte Einer.

»So ist es nicht gemeint! Wollt ihr morgen mit Steinen und Koth auf die Casinomänner werfen?«

»Ja, – recht gern!«

»Morgen dürfen wir Alles thun, mein Vater hat es gesagt,« behauptete der Zweite. »Es geschieht Niemand nichts, – die Geldprotzen nehmen Alles auf sich.«

»Die Geldprotzen? Wer ist das?« frug Ferdinand stirnrunzelnd.

Verlegenes Schweigen.

»Diesen Ausdruck dürft ihr nicht gebrauchen, – das ist ein Schimpfwort,« belehrte der Millionär. »Von den Reichen lebt ihr. Wären die Reichen nicht, müßtet ihr Alle verhungern. Das nebenbei! – Also, – merkt auf! Jeder von euch füllt morgen seine Taschen mit Kieselsteinen. Dann kommt ihr gegen neun Uhr vor unser Haus und erwartet mich auf der Straße. Wir gehen dann miteinander den Casinomännern entgegen, jedoch so, daß ihr immer fünf bis sechs Schritte hinter mir seid. Verstanden?«

Bejahendes und lebhaftes Kopfnicken.

»Merkt euch diesen Pfiff!« – und Ferdinand stellte eigenthümlich den Mund, zwischen den Zähnen ein gellendes Pfeifen hervorstoßend.

Die Buben lachten. Ferdinand wiederholte das Pfeifen.

»Wenn ich so pfeife, dann Achtung, – die Steine bereit gehalten, – zu mir dicht heran gekommen! Und den ich euch zeige, den bewerft ihr tüchtig mit Kieseln.«

»Wenn aber die Steine all' sind?« frug ein Besorgter.

»Dann rafft Koth zusammen,« – und ausführliche Belehrung wurde den Gedungenen.

Zu jenen Schafen, welche am Vortage hereingekommen, zählten auch die beiden schwarzen Häuptlinge aus Waldhofen und Siebelfingen, Fritz Schröter und Clemens Schall. Der Klapperprobe auf dem Zeughausplatze hatten sie mit Staunen beigewohnt, bedenkliche Reden vernommen und für den folgenden Tag ein schweres Wetter in Aussicht. Hiezu kam die Erfahrung, es sei die Aula, für alle möglichen Zwecke offen, dem Casino verschlossen. Verschiedene Gasthofbesitzer seien angegangen worden, den Tanzsaal gegen lockenden Miethzins zu überlassen und alle Wirthe hätten abgelehnt.

»Das ist mannheimer Gesinnungstüchtigkeit und Liberalität!« sprach verletzt der Landwirth. »Uebrigens hat dies gar nichts zu bedeuten. Unsere Versammlung betrifft Glauben und Religion; wir werden in einer Kirche zusammenkommen, wie es geschah in den meisten Städten und Flecken, wo sich geräumige Localitäten nicht befanden.«

Bis zum Abend wandelten die Häuptlinge beobachtend durch verschiedene Straßen. Allenthalben bemerkten sie Gruppen lebhaft verkehrender Männer, hörten Drohworte und Flüche über Pfaffenknechte, untermischt mit blutigen Vorsätzen gegen die Verhaßten.

»Diesmal geht es schlimm!« sagte Schall. »Die Gassenbuben empfangen uns mit Klappern, die Erwachsenen mit Prügeln.«

»Und was für ein Geschrei in den Wirthshäusern!« versetzte Schröter. »Offenbar ist der Pöbel aufgehetzt, und ich kenne die Geschicklichkeit des Neckarschleims im Fache der Rohheit. Was ich sehe und höre, erscheint fast unglaublich! Mannheim steht in hohem Ansehen wegen Bildung und Liberalität, – dennoch rüstet es sich, wie eine Stadt von Barbaren gegen friedfertige Männer. – Trinken wir ein Glas Bier und erforschen die Gesinnungen!«

Sie traten in ein Bierhaus. Die große Stube war angefüllt mit Arbeitern und Handwerkern. Kaum fanden die Schwarzen einen Platz. Steinkohlenhitze, Bierdunst, Tabaksdämpfe, wildes Lärmen und Schreien brodelten in dem weiten Raum, und die Gasflammen zeigten leidenschaftlich erregte Gesichter. Hundert Augen hingen forschend an dem hochgewachsenen Landwirth, sogar den Lärm dämpfte der Eindruck seines Erscheinens. Niemand kannte ihn. Nach Ansicht des Neckarschleims, konnte der stattliche Mann mit dem röthlichen Vollbart, dem freien, festen Blick und dem geraden Wesen, unmöglich ein Pfaffenknecht sein. Dieses Urtheil bildete sich in Allen, und die flüchtig stockende Unterhaltung lenkte wieder in bewegte Bahnen.

An dem langen Tische, der Schröter und Schall knappe Plätze gewährte, saßen kleine Handwerker und Fabrikarbeiter des Herrn Blendung und Genossen. Ein Strudel gemeiner Verwünschungen und niederträchtiger Behauptungen über Ultramontane wirbelte um den Tisch. Kaum ertrug Schröter das Himmelschreiende der Gehässigkeiten und schmähsüchtigen Verunglimpfungen. Schlagwörter gröbsten Calibers sausten um seine Ohren, dicke Lügen und Ergüsse des wüthendsten Hasses flossen unerschöpflich. Gesteigert wurde die Gluth der Stimmung, als ein langer Mensch hereinkam, und das beliebteste Schmutzblatt triumphirend emporhielt. Der Lange stellte sich unter eine Gasflamme und deutete, im Kreise nach den Versammelten sich drehend, auf einige schwarze Hände, die nach einer pickanten Anzeige hinwiesen.

»Vorlesen, – vorlesen!« rief es.

Der Lange las:

 

»Morgen trifft eine Partie Schwarzwildpret »zum Aushauen« hier ein. Alle Liebhaber »des Aushauens« sind höflichst eingeladen, an Ort und Stelle sich einzufinden.«

 

Wieherndes Gelächter.

»Bin schon fertig zum Aushauen« rief ein Schmutziger in Schröters Nähe. »Da seht her,« – und er zog einen Hammer hervor. »Krieg' ich den Brummel, wird er gedengelt.«

»Steine sind besser,« rief ein Anderer. »Dein Hammer hat einen kurzen Stiel, man kann nicht weit damit langen. Aber Steine, die fliegen. Zuerst kartätschen wir sie mit Pflastersteinen, dann kommen Knittel.«

»Franz hat Recht!« bestätigte ein Dritter. »Peter, Dein Hammer richtet nicht viel aus, – die Pflastersteine sollen leben!«

»Was sagt ihr dazu?« rief ein Vierter, den Todtschläger empor haltend. »Wir schlagen den Ultramontanen die Schädel ein, – he!«

Ein schallendes Bravo des ganzen Tisches begrüßte den Todtschläger.

»Guck, man sieht doch gleich, wo Einer gearbeitet hat,« sagte Peter. »Sein Lebtag' wär' Jakob nicht auf den gescheidten Einfall mit dem Todtschläger gekommen, hätt' er nicht beim Crämer von Doos geschafft. Ich sag' euch, wenn's der Crämer wüßt', was morgen hier vorgeht, er wäre von Doos mit Extrazug hieher gefahren und hätt' redlich mitgeholfen.«

»Wir brauchen den dummen Altbayer nicht!« rief ein Uebermüthiger. »Das Schwarzwild gehört uns ganz allein zum Aushauen.«

»Halt's Maul, Xaver, schimpfe über den Crämer nicht!« tadelte Jacob. »Er ist ein Ehrenmann, ein Freund des Volkes und ein Feind der Pfaffen. Kein zweiter Altbayer hätte den Muth gehabt, zu rufen: »Schlagt den Ultramontanen die Schädel ein!« Wer so was fordern kann, dem liegt nichts an der Achtung vor der ganzen Welt. Respekt vor Crämer von Doos, – er soll leben!«

Und der Neckarschleim brachte dem Herrn ein donnerndes Hoch. Der einzige Xaver hatte sein Glas nicht berührt, trotzig gesessen und Verwünschungen gemurmelt.

»Gegen das Schädeleinhauen, welches der Crämer für die Ultramontanen erfunden, hab' ich gar nichts,« rief er jetzt. »Aber der Crämer ist ein reicher Filz, ein Geldsack. Er hat eine Fabrik, in der Knochen gemahlen werden für Guano, – er braucht viel Knochen, und je billiger er die Knochen kriegt, desto größeren Profit hat er. Darum hat er nur aus Geiz das Schädeleinhauen gepredigt, damit er wohlfeile Knochen kriegt für seine Fabrik.«

Alle lachten über die tolle Behauptung.

»Was lacht ihr?« rief Xaver zornig. »Der Crämer ist ein Fabrikherr, – kein Loth besser, als die anderen, – basta!«

Die energischen Worte entzündeten geheime Gedanken und verhaltenen Groll der weißen Sklaven.

»Einverstanden!« rief ein Nagelschmied. »Die Fabriken ruiniren das Handwerk. Wir können nicht bestehen neben den billigen Fabrikwaaren. Verhungern müssen wir, geht das so fort, – ja, verhungern, oder in Fabriken gehen und dort arbeiten um Spottpreise für die dicken Geldsäcke.«

»Das ist ein anderes Lied,« sagte Peter achselzuckend. »Wir kennen alle die Melodie, – dürfen sie aber nicht singen. Wißt ihr, in den dreißiger Jahren, wir waren damals noch Buben, da hieß das Lied: »Höpp, höpp, höpp, – schlagt den Juden auf die Köpp!« Die Juden hatten das Volk geschunden, darum das Lied.«

»Nun, – und heut'?« rief hitzig der Nagelschmied. »Und heut'? Gibt's nicht mehr Schinder und Blutsauger, als im Jahr' zwei und dreißig? Alles geschieht nur für die Reichen, – für die Armen geschieht nichts. Die Reichen, die's Geld in Haufen liegen haben, die allein wollen regieren, profitiren, fabriciren und dabei die Armen ruiniren. Ja, – die Reichen haben ganz das Heft in der Hand! Paßt auf, – habt ihr's noch nicht gemerkt, wie's geht mit dem Geld? Heute noch ist Geld genug da, die Geschäfte gehen, es wird gebaut, gearbeitet, verdient. Auf einmal, im Handumwenden, ist das Geld fort, die Geschäfte stocken, das Bauen stockt, das Verdienen stockt, Alles stockt. Warum? Weil die Capitalisten das Geld angezogen haben. – Warum ziehen sie das Geld an? Weil's dahinten zwischen Türken und Russen losgehen will, oder weil der Napoleon ein schief Gesicht gemacht hat, darum kriegen die Capitalisten Angst, geschwind ziehen sie ihr Geld an und Alles stockt. Daran sieht man's klar, daß die Reichen Alles regieren mit ihrem Geld. Haben meine Kinder und die Kinder von Millionen Arbeitern kein Brod, – so kommt's daher, weil die Fabriken still stehen und das Geschäft nicht geht. Die Geschäfte aber sollten doch gehen, ob die Reichen Angst haben oder nicht, es sollte nicht Alles abhängen von den Geldsäcken.«

Allgemeiner Beifall.

»Und so ist's überall, die Reichen machen, was sie wollen, wir müssen uns ducken,« schloß der Nagelschmied »Guckt nur in die Zeitungen, les't, was in den Kammern geschafft wird!«

»Die Kammern sind recht,« behauptete Jacob. »Dort werden Stricke gedreht für die Pfaffen, der Hokuspokus wird zerschlagen, der Mensch frei. Geht's noch eine Weile so fort im Landtag', dann gibt's in zehn Jahren von Aberglauben keine Spur mehr. Die Gewissensfreiheit gilt, es kann Jeder thun, was er mag. Gefällt ihm seine Frau nimmer, so jagt er sie fort und nimmt eine andere. Man setzt sich zusammen und lebt, wie's einem gefällt.«

»Ja, – ja, wenn man zu leben hat!« rief der Nagelschmied. »Du siehst nur, was die Kammern gegen die Pfaffen thun, – was aber gegen die armen Leut' geschieht, das siehst Du nicht. Eben sind die Herren im Landtag daran, das Wuchergesetz abzuschaffen. Wißt ihr, was das heißt? Das heißt: Den unbemittelten Mann schutzlos an den Geldsack ausliefern. Gegen Mörder, Räuber und allerhand Spitzbuben gibt's Gesetze, – aber gegen Wucherer, die auch Spitzbuben sind, soll's keine Gesetze mehr geben. Braucht ein Handwerksmann hundert Gulden, – er kann sie kriegen, aber gegen dreißig, vierzig Procent. Ist das Jahr herum, bin ich statt hundert, hundert vierzig Gulden schuldig. Für wen hab' ich gearbeitet? Für den Reichen. Und so ist's in allen Stücken. Die Geldsäck' regieren, die Armen kreppiren.«

»Das Gluthchen hat Recht!« sagte Peter. »Wenn ihr's beim rechten Licht betrachtet, sind wir nur Sklaven der Geldprotzen. Sie bezahlen uns, gerade hinreichend, damit wir nicht verhungern, – und sie prassen in unserem Schweiß.«

»Den Nagel auf den Kopf getroffen!« erklärte Xaver. »Sind wir nicht auch Menschen? Haben wir aber Menschenrechte, wie die Reichen? Weit gefehlt! Nicht einmal in die Kammer können wir wählen und gewählt werden. Und darin liegt's gerade! Denn seht, dort, in den Kammern, wo die Gesetze gemacht werden, sitzen nur dicke, fette Sklavenhalter, und diese machen die Gesetz in ihrem Vortheil, – immer gegen uns. Deßhalb sind wir so elend daran. Die Fabrikherren bezahlen uns, wie sie wollen. Wir haben kein Recht, unsere Arbeit zu taxiren nach dem Ertrag der Fabrikate. Zum Beispiel: Meine Wochenarbeit in der Fabrik bringt einen Reingewinn von zwanzig Gulden, – und ich krieg' davon fünf Gulden. Ist das Recht? Gewiß nicht; denn ich hab' mich geschunden und geplagt, und krieg' kaum zu leben, – der Fabrikherr hat nichts gethan und steckt fast Alles in die Tasche. Klagen wir, so heißt's: – Ihr könnt gehen! Jawohl, wir haben nur noch die Freiheit, entweder zu arbeiten für die Reichen, oder zu verhungern. Keiner ist mehr im Stand', ein Handwerk zu treiben, sich zu erwerben, unabhängig zu sein. Das Capital verschlingt Alles mit Haut und Haaren.«

»Nur Geduld, Brüder, es kommt anders!« rief Peter, nach dem Landwirthe argwöhnisch hinüber schielend.

Allein Schröter sprach so lebhaft mit Schall über Fruchtpreise, und notirte so eifrig in sein Taschenbuch, daß die vermeinten Getreidespekulanten für die Unterhaltung der Arbeiter nicht die mindeste Aufmerksamkeit zeigten.

»Wie meinst Du?« frug Jacob.

»Das will ich euch erklären, – gebt Acht! Wie der Affenprediger, der Vogt, hier, gewesen ist, und Vorträg' gehalten hat über die Abstammung aller Menschen von den Affen, da hat er gesagt: »Es muß sich Alles entwickeln!« Jawohl, – es muß sich Alles entwickeln! Seit Jahren kriegen sie in Amerika, damit die Sklaverei ein End' nimmt, damit in Kammern und Aemtern, neben den Geldsäcken, die befreiten Sklaven sitzen können. Lange hat's dort gekocht und gebrodelt, – endlich ist's losgebrochen. Der Krieg hat sich eben entwickeln müssen. Geradeso geht's bei uns. Wir sind jetzt am Kochen und Brodeln, dann kommt der Krieg. Und wir sind die Mehrzahl, – auf einen Reichen kommen hundert weiße Sklaven. Wer da gewinnt, ist leicht zu sagen. Allein es muß sich zuvor noch Einiges entwickeln. Wir Arbeiter müssen uns verbrüdern, in Vereinen zusammentreten in ganz Europa. Wir müssen eine große Familie ausmachen, und wenn der Vater sagt: »Jetzt, Kinder, jetzt ist's Zeit, packt an, d'rauf los!« – seht ihr, dann bricht an einem Tag' in ganz Europa der Sklavenkrieg aus.«

»Bravo, – bravo!« riefen Alle.

»An einem Tag',« fuhr Peter fort, »werden allen Tyrannen der Armen die Schädel eingeschlagen. Aber, wie gesagt, das muß sich entwickeln, und es hat sich schon Vieles entwickelt. Wenn der Crämer predigt: »Schlagt allen Ultramontanen die Schädel ein!« – so denken wir: »Ganz recht, – und nach den Ultramontanen kommen unsere Tyrannen daran!« Lehrt uns der gescheidte Vogt: »Alle Menschen stammen von Affen ab, sind entwickelte Affen, ohne Seele, ohne Geist!« – so schließen wir: »Ganz ausgezeichnet; denn wir brauchen uns kein Gewissen daraus zu machen, alle Geldaffen todtzuschlagen.« – Seht, so muß sich Alles entwickeln, Brüder! Darum Geduld, es geht bald los.«

»Herrgott,« rief Xaver, die Fäuste ballend, »sind wir morgen fertig mit den Casinomännern, dann sollten wir gleich über die Geldsäcke herfallen! Es ginge in Einem hin.«

»Langsam, – morgen ist nur so eine Vorübung,« belehrte Peter.

»Und morgen dürfen wir Alles thun, Alles wagen, – unser Protz hat's in der Fabrik gesagt,« rief Jacob.

»Das hat auch der unsrige gesagt,« betheuerte Franz. »Morgen gilt kein Gesetz, keine Polizei, – morgen regieren wir ganz allein mit Knitteln und Pflastersteinen.«

»Jawohl, bei doppeltem Lohn, ohne Arbeit,« sagte Peter lachend.

»Die Reichen sind eigentlich Esel,« behauptete Xaver. »Sie hassen die Pfaffen, heben alle Polizei auf, lassen die Verhaßten prügeln, zur Stadt hinaus treiben, – dabei denken die Herren nicht daran, daß es auch Leute gibt, welche sie hassen, und daß jene Leute sich ein Exempel nehmen können. Ist es den liberalen Herren erlaubt, den Ultramontanen auf die Köpfe zu schlagen, warum sollte es den Unterdrückten, den Hungernden, nicht erlaubt sein, auf die Geldsäcke zu schlagen?«

»Das gehört auch zur Entwickelung,« versicherte Peter. »Darum nur tüchtig gearbeitet morgen mit Steinen, Hämmern, Knitteln und Prügeln! Ha, – das ist einmal ein Fressen für uns!«

Die vermeinten Fruchtspekulanten verließen das Bierhaus.

»Ei, – ei, das wird schlimm!« sagte Schall. »Wäre es nicht gerathen, die Versammlung zu unterlassen?«

»Nein! Die Gewaltthat möge über uns ergehen, damit sich die liberale Heuchelei enthülle vor der ganzen Welt. Glauben Sie mir, Schall, der nächste Tag wird der katholischen Sache besser dienen, als die zahlreichste Versammlung bisher; denn er wird die schlafenden Katholiken aufrütteln. – Mir ist nur bange wegen des Schmiedhannes. Der Herkules wird Beschimpfungen, Stöße und Schläge des Neckarschleims nicht ertragen, sondern d'rein hauen mit seinen eisernen Fäusten, – und Gegenwehr dürfte gefährlich sein.«


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