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Ich kehre von etwas Archäopteryx-Philosophie noch einen Augenblick zu Archäopteryx selbst zurück.

Wie man sich stellen mag, so wird dieses Geschöpf doch immer interessanter, das zu seiner Zeit jedenfalls schon aus dem Saurierwesen im ganzen irgendwie herausbrach. Man möchte alles auch über sein Leben wissen, und es ist tragisch, daß man doch so sehr wenig weiß.

So folgerichtig Archäopteryx schon in ihrer einmal eingeschlagenen Vogellinie stand, so mangelhaft muß sie doch noch gerade vor ihrer engeren Anpassungstechnik des Fliegens selbst bestanden haben. Keinesfalls schoß sie über ihren Wald schon mit Schwalbeneleganz. Wenn man sie mit wechselvollen Farben geschmückt denkt (und warum nicht, da dieses Kunstformengebiet der Natur ja ebenfalls uralt war – sind doch die zufällig allerältesten Reste, die wir vom Urweltleben überhaupt besitzen, bereits solche Kunstformen sogenannter Radiolarien), so dürfte sie nur gemach wie ein wundersames buntes Tüchlein daher geschwebt sein, jedenfalls mit dem dicken Knochenschweif immer noch schwerfälliger als selbst ein heutiger Pfauhahn in der Pracht seiner großen Schwanzdeckfedern. Dafür trugen sie die schon völlig korrekten Vogelfüße allerdings gut und im Dickicht wohl auch die angeklammerten seltsamen Überflügel-Krallen.

Das an sich so saurierhaft anmutende Gebiß war an dem kleinen zarten Kopf mit den Luftdruckbrillen um die Augen immer doch nur das einer mäßigen Eidechse, und wie solche mag sie den zahllosen Insekten ihres Paradieswaldes nachgejagt, vielleicht auch Koniferenfrüchte gebrochen haben in einer Stunde, die eigentliches Obst in unserm Sinne mangels der obersten Blütenpflanzen noch nicht lieferte.

Wie die Geschlechter sich unterschieden, wie das Ei aussah ob uns wohl Solnhofen davon noch einmal etwas weiter verraten wird? Sein Glück ist ja sicherlich noch nicht zu Ende, wenn auch die industrielle Ausbeutung der Brüche leider heute durch das Überholtwerden unserer Lithographie und andere Gründe rasch zurückgeht und ein reiner Abbau auf die weit zerstreuten Versteinerungsfunde trotz der Kostbarkeit einzelner Objekte nicht lohnte.

Wenn man bedenkt, daß unser Rätselvogel nur von dieser einen Stelle bekannt geworden ist und nie ein Knöchelchen von anderswo in dieser ganzen Mitte des Saurieralters, so wird man nicht glauben, daß sein Volk im ganzen der Zeit schon eine stärkere Rolle gespielt habe. Immerhin muß auch der Vogeltyp, einmal da, sich still ausgebreitet haben. Denn an jenem Niobrarameer der Mosasaurier und Pteranodonten gegen Ende der Kreideperiode sehen wir ihn ganz unverhofft in Amerika wieder auftauchen und sogar gleich jetzt in respektabler Zahl und sehr verschiedener Weitergestaltung.

Auch diese Kreidevögel sind zuerst durch Marsh's romantische Entdeckerfahrten bekannt geworden. Sie, die anscheinend in ungeheuren Kolonien bereits die Uferklippen jener weiten Seeschlangenbuchten bewohnten (die Funde sind diesmal Legion), waren aber keine Archäopteryx-Type mehr, sondern fast in allen Zügen längst richtige Vögel von heute. Die Entwicklung, wenn sie glatt anschloß, müßte in der Zwischenzeit gewaltige Fortschritte gemacht haben. Bon den früheren saurierhaften Dingen war wesentlich nur eines noch bei ihnen übrig – die Zähne in den Kiefern.

Ausnahmslos scheinen sie noch solche besessen zu haben, die bald in Zahnhöhlen, bald in gemeinsamer Rinne saßen. Von dem Eidechsenschwanz und den Nebenklauen war dagegen keine Rede mehr.

Abb. 85.
Versuch einer Wiederherstellung des Lebensbildes des Vogels Archäopteryx (vgl. Abb. 84). Im Hintergrunde die Rifflagunen im Gebiet des heutigen Solnhofen, der Wald aus Ginkgobäumen (vgl. Abb. 28, 29).

Im übrigen machte sich aber ganz im Sinne heutiger Vogelverschiedenheit ein weitestgehender Anpassungsgegensatz jetzt schon geltend.

Ein kleiner ungefähr taubengroßer Geselle, den man den Fischvogel (Ichthyornis) genannt hat, war nach dem Brustskelett zweifellos schon ein glänzender Flieger.

Ein anderer viel stattlicherer dagegen, der »königliche Westvogel« (Hesperornis regalis), zu einer seehundartigen Lebensweise übergegangen, die in vielem an unsere Pinguine, noch stärker aber vielleicht an die possierlichen Haubensteißfüße unserer märkischen Seen und eng verwandten schönen polaren Seetaucher gemahnt hat. In Folgerichtigkeit hatte er sogar gleich unserm Kiwi die ganzen äußeren Flügel wieder abgeschafft, konnte auch nach gewisser Annahme nicht mehr recht gerade stehen, sondern lag wirklich nur noch faul wie solche Robbe in der Sonne oder rutschte höchstens auf dem Bauch. Sein Paradies aber ist, wie bei jenen Mosasauriern, erneut das »fischdurchwimmelte Meer«, wie es bei Homer heißt, gewesen.

Wie viel muß sich auch da an Sonderentwicklung eingeschoben haben, um bereits zu solchem Extrem zu führen – während zugleich wieder erhellt, wie wenig der Vogeltyp als solcher (was ja bis heute Pinguin und Strauß lehren) bloß am Fliegen hing.

»In Stahl gehüllt, vom Strahl umwittert,§§§
Die Schar, die Reich um Reich zerbrach,§§§
Sie treten auf, die Erde schüttert,§§§
Sie schreiten fort, es donnert nach.«

Der Vers aus dem zweiten Teil von Goethes Faust mit seiner unvergleichlichen Klangmalerei will mir nicht aus dem Sinn, da ich von den größten Gestalten reden soll, die je lebendig auf dem Boden unserer alten Erde gewandelt sind.

Auch sie zum Teil wie in Metall verpanzert, vom geheimnisvollen Hauch noch eines andern Schöpfungstages umschauert, die wildesten Urwaldreiche der Natur unter sich zermalmend wie Gras – wie soll die Feste nicht auch gezittert haben, wenn sie mit einem Gewicht von vierunddreißigtausend Kilogramm und mehr über sie dahin schritten?

Gestalten, gegen deren Maß der stärkste Elefant von heute ein Zwerg war, die sich in Länge des Grönlandwals über Land schleppten und ihre Hälse aufreckten bis zur Höhe von mehr als vier solchen ganzen übereinander gestapelten Elefanten.

Ich spreche von den sogenannten »Dinosauriern«, und indem meine Erzählung sich ihnen zuwendet, ist sie sich bewußt, das großartigste und spannendste Saurierabenteuer zu berühren, das alles bisher Berichtete noch einmal bis ins geradezu Schrankenlose überbietet.

Tafel 25
Festländer und Meere in der oberen Triasperiode

Eben diese Hemmungslosigkeit selbst erschwert aber auch etwas die ruhige Schau, und seit man diese Dinosaurier (meist erst mit ziemlich jungem Wissen) genauer kennt, kennt man auch die eigentümliche Not, von ihnen ein einheitliches Bild zu geben.

Abb. 86.
Zur späteren Entwicklung der Vögel in der Saurierzeit. Lange nach den Tagen, aus denen unsere beiden Exemplare der Archäopteryx stammen, tauchten in Nordamerika Vögel in Menge auf, die bereits den heutigen wesentlich näher standen. Der hier im ergänzten Skelett gezeigte Fischvogel (Ichthyornis victor) lebte am Niobrarameer der obern Kreide, war ein guter Flieger und hatte die Größe einer Taube. Das wichtigste Merkmal, das ihn von den lebenden Vögeln unterschied, war, daß auch er noch Zähne in den Kiefern führte.

Ich will dabei gleich vorausschicken, daß es sich um eine Gruppe, eine besondere Ordnung der alten Reptilsaurier handelt, nicht aber um einen einzelnen Typ. Einen »Dinosaurus« im Singular, wie man von einem Ichthyosaurus oder Plesiosaurus spricht, gibt es nicht, sondern nur »die Dinosaurier«, in die sich dann eine ganze Fülle engerer, äußerst verschiedenartiger Typen einordnet.

Das Wort selbst – von deinos, griechisch schrecklich, also soviel wie Schreckens- oder Grauenssaurier – mag im rechten Sinne heute auch auf jene ungeheuerliche Größe der meisten ausgelegt werden, die uns bei einer Begegnung wohl genügend in Schreck versetzt hätte, auch ohne daß ein Angriff erfolgte. Dieses Überwältigende wirkt ja heute noch im Skelett. Geologisch ist der Begriff so mehrfach vergeben worden – außer hier besonders noch bei dem größten wirklichen urweltlichen Elefanten der späteren Tertiärzeit, der im rumänischen »Dinotherium gigantissimum« (also »maximal riesigen Schreckenstier«) volle 5 m Schulterhöhe besaß bei krummen nach unten gebogenen Stoßzähnen, aber ungereizt vermutlich ganz harmlos gewesen wäre.

Eine gewisse erste Einheit scheint dieser Ordnung dann die gemeinsame Lebensart zu geben.

Wir stehen vor ausgesprochenen Landsauriern diesmal, von denen für keinen bisher sicher nachgewiesen ist, daß er auch gewohnheitsmäßig ins offene Meer seiner Zeit ging.

Ozean und Luft waren ja von den andern Sauriern damals genügend erobert, aber diese Tage hatten nicht minder ihre Kontinente, wenn auch nicht alle an der gleichen Stelle oder im gleichen Umfang wie heute. Mehrfach sind uns bereits die Küsten aufgetaucht, von denen geheimnisvolle Wälder binnenwärts zogen. Da drinnen aber müssen fast alle Gegensätze wie jetzt bestanden haben – neben dem dichten Urwald helle Buschsteppe und offene dürre Wüste, Hügel und Schlucht, silberne Flußädern und blaue Binnenseen, wohl nur etwas weniger Hochgebirge und alles einheitlich gewiegt in jener Tropenwärme, die bis zu hohen Breiten ging. Also nicht bloß Krokodilsumpf. Das Charaktertier dieses Innenlandes aber waren die Dinosaurier – nach Abklang wieder einer kleinen älteren Sondergruppe, von der gleich noch zu reden, auch sie in ihm Herr und Meister – zeitlich mindestens seit der Triasperiode und durch Jura und Kreide ständig noch gesteigert in ihrer Eigenart und Wucht.

Wo immer man Festland damals sucht, sind sie – sie erfüllen das verschwiegenste Waldtal, wandern durch die Steppen, kreuzen, ihre Fährten einprägend, die schlammigen Senken, gehen in die Binnenseen; wo der große Strom aus seinem Festlande kommt, schwemmt er ihre enormen Kadaver mit.

Und entsprechend erscheinen sie auch diesem Landleben, Kontinentleben angepaßt, bewegen sich durchweg auf festen Füßen mit Klaue oder gar einer Art Huf ähnlich wie die Säugetiere, die später, als ihre Zeit um, an ihre Stelle dort traten und bis heute den Hauptanteil behaupten. Wobei doch auch eine gewisse Verschiedenheit dieses Anpassungsbild belebte, gerade wie und noch stärker bei diesen Säugern nachher selbst.

Einst, als die ersten noch etwas unklaren Kolossalknochen auch von ihnen in englische Gelehrtenhand kamen, schien es ja, als hätten sie alle mehr oder minder nur den sogenannten »Dickhäutern« unter diesen spätern Säugetieren selbst geglichen. Dickhäuter – so nannte man in der ältern Zoologie eine Säugerordnung, in der Elefant, Nashorn, Flußpferd standen, auch dort die größten, schwersten Landtiere, die zugleich selber einen gewissen urweltlichen Zug noch zu wahren schienen. Heute weiß man, daß diese Ordnung in Wahrheit gar nicht existiert, obwohl das Wort Dickhäuter noch in der Volksnaturgeschichte mitläuft: der Elefant zählt ganz für sich, das Nashorn ist ein alter Pferdeonkel, das Nilpferd ein Ur-Wiederkäuer.

Abb. 87.
Zur späteren Entwicklung der Vögel in der Saurierzeit. Neben dem in Abb. 86 gezeigten Fischvogel lebte am gleichen Niobrarameer der Kreidezeit ein viel größerer Vogel, der königliche Westvogel (Hesperornis regalis), der ebenfalls noch Zähne in den Kiefern trug, aber das Fliegen bei sich offenbar nachträglich schon wieder abgeschafft und sich auf der Fischjagd einem geradezu seehundartigen Leben ergeben hatte.

Damals aber meinte man, auch alle Dinosaurier noch auf reptilischen Elefanten oder Saurierflußpferd beschreiben zu müssen. Die ersten Rekonstruktionen zeigten sie so, auch schon plastische Modelle im berühmten Glaspalast zu Sydenham bei London, zu denen der große Owen die damaligen wissenschaftlichen Anhalte gab und die Vorbild der späteren schon verbesserten Hagenbeckanlage in Stellingen bei Hamburg werden sollten.

Denn gar bald merkte man, daß man auch hier das wahre Bild nicht erschöpfen konnte.

Ein Teil der Dinosaurier war bei all ihrer vielfältigen Riesengröße fleischfressend, nicht dickhäuterisch pflanzenabweidend gewesen, hatte also mehr als elefantengroße Raubtiere gestellt.

Andere hatten sich dagegen auch in voller Drachengestalt wie mehr oder minder ungeheure Känguruhs oder auch Riesenmenschen selbst bloß auf den Hinterbeinen bewegt, und zwar sowohl solche fleisch- wie pflanzenfressenden Typen.

Abb. 88.
Das wieder zusammengesetzte und in die natürliche Lebensstellung gebrachte Skelett eines gewaltigen Dinosauriers vom Anfang der Kreidezeit, des Iguanodon bernissartensis, aufgestellt im Museum für Naturgeschichte zu Brüssel. Es stammt aus einem großartigen Funde bei Bernissart in Belgien, der eine ganze Schar dieser Kolosse in tadelloser Erhaltung lieferte. Die Länge von der Schnauze bis zur Schwanzspitze betrug volle 10 m, die Höhe 5 m. Der Riese bewegte sich aufrecht auf den Hinterbeinen. Er war harmloser Pflanzenfresser, der sich mit seinen in spitze Dolche verwandelten Daumen verteidigte. (Vgl. Abb. 89 und 90, sowie Tafel 23.)

Das Bild war offenbar sehr viel reicher auch schon nach dieser reinen Anpassungsseite gewesen, ging mindestens selber in verschiedenartige Sängerähnlichkeiten schon von später ein.

Allerdings allzu reich war es auch wieder nicht – die reine Anpassung hatte Grenzen. Zu dem ganzen unendlichen Gegensatz der Säugetiere unter sich sind die Dinosaurier offenbar noch nicht gelangt.

Dafür macht sich aber jetzt etwas anderes in ihnen geltend, das auch als eine gewisse Einheit und roter Faden sich durch ihre ganze Reihe zu ziehen scheint.

Die Dinosaurier haben alle einen unverkennbaren Zug zum Extremen, Extravaganten, Übertreibenden, beinah möchte man sagen, Verrückten noch weit über die einfache Anpassung im Daseinskampfe hinaus.

Schon reichlich Drachen meist von Natur und Umfang, wie sie sind, gibt diese Tendenz ihnen erst das ganz Tolle, Phantastische, das ihre Gestaltung an allen Ecken und Enden beherrscht und karikaturenhaft aufputscht.

Ihre Abzeichen, Umrisse, ja die Waffen selbst scheinen sämtlich ergriffen von diesem paradoxen und maßlosen Zug.

Ab und zu kommen ja solche Luxusabenteuerlichkeiten auch sonst in der Lebenswelt vor. Unsere kleinen Eidechsen von heute zeigen in tropischen Arten als Chamäleons, Molche, Basilisken manchmal auch so etwas in allerlei anscheinend sinnlosen, bloß wie närrisch übertreibenden Körperzutaten. Bisweilen hängt das hier mit Geschlechtsmerkmalen zusammen, geht aber auch darüber hinaus. Bei den Säugetieren beschritten einzelne, alle wieder verschwundenen Urweltler in sinnlosen Hörnern und anderm einen ähnlichen Weg – bis zu Gebilden, die ihnen selbst nur lähmende Hemmnisse werden konnten. Es ist wie ein losgelassener bizarrer Schöpfergeist, den die Tiere selbst nicht mehr los werden, nicht mehr beschwören können. Manchmal geht er in Kunstformen, anderswo aber auch ins scheinbar ganz Verrückte und bloß Maßlose. Bei vielen Dinosauriern und gerade den markantesten und riesigsten Formen versteigt sich aber auch das in größten Stil, von dessen Übertreibung man sich kaum noch einen Begriff machen kann. Allenthalben scheint es durchzubrechen, auch sie zu beherrschen wie ein wirklicher Dämon.

Abb. 89.
In Ergänzung zu der Abb. 88 wird hier noch einmal der Schädel des kolossalen aufrecht schreitenden Dinosauriers Iguanodon bernissartensis einzeln und in größerm Maßstabe gezeigt. Er war relativ hoch, mit seitlich zusammengedrückter Schnauze, in den Kiefern saßen stets ungefähr 92 Zähne in gleichzeitiger Leistung, während bei Abnutzung Ersatzzähne ständig nachwuchsen. Die nicht bezahnten Spitzen der Schnauze trugen im Leben schnabelartige Hornscheiden. Das Tier dürfte besonders Nadelholzbäume (z. B. Araukarien, vgl. Abb. 30) abgeweidet haben.

Es macht ihren Anblick für uns unendlich romantisch über alle nüchterne Anpassungsform hinaus, aber auch zu einer wahren Fratzenwelt, die dann an die wüsten Phantasien alter Mythologie mit ihren wildesten Dämonen und Tiergötzen erinnert, ja Bilder von dort geradezu vorwegzunehmen scheint. Der schreckliche Drache wird zum verschnörkelten indischen Tempelbild, das man endlich nur noch mit ebensoviel Grauen wie doch auch Humor anschaut. Man gewahrt ungeheure Tiere, die zugleich wie schlechte Witze der Natur aussehen.

Selbst sehr nüchterne Forscher haben gelegentlich gesagt, das Sauriertum scheine hier noch einmal eine Art Walpurgisnacht oder auch eigene Parodie gehabt zu haben.

Der Leser betrachte einige der mitgeteilten ungefähren Wiederherstellungsfiguren, um beurteilen zu können, was ich meine und daß ich nicht selbst auffärbe. Wobei er gewiß sein mag, daß diese Rekonstruktionen, auch von kühlem Gelehrtentum versucht, meist wohl noch weit hinter dem Grotesken des wahren Lebensbildes zurückbleiben, da uns ungezähltes äußeres Beiwerk verloren ist.

Ganz unbezweifelbar gehört aber eben zu diesem Hexensabbat des Übertreibenden nun auch das wahnsinnige Größenmaß selbst.

Jene Längen und Höhen, die weit noch über jedes Maximum, das wir bisher bei Sauriern erlebt haben, hinausschweifen, und zwar diesmal nicht bei vom Wasserauftrieb getragenen Meerschwimmern, sondern ebenfalls schweren Landwandlern.

Es sind dies Maße, die, allmählich immer sicherer bekannt geworden, allerdings noch am stärksten wieder diese Dinosaurierschöpfung für uns zu einer Zeitsensation gemacht haben. Maße, die uns gezwungen haben, für die Skelette oder Gipsabgüsse von solchen gelegentlich unsere ganzen Museen umzubauen, neue Riesensäle mit mehreren Stockwerken eigens zu schaffen.

Besonders die Nordamerikaner haben bereits aus dieser ihnen besonders landeseigentümlichen Gigantomachie ohne Ende einen wahren Sport gemacht, haben ihre Galerien daraufhin zu Weltsehenswürdigkeiten, ja Weltwundern erhoben, wie im Altertum etwa die Pyramiden oder der Koloß von Rhodus als solche galten. Manchmal meint man, es sei ein wahrer Saurierfimmel der Gelehrten dort ausgebrochen, aber immer wieder sind die Bestätigungen mit tatsächlich noch extremerem Maß erfolgt.

Nun könnte man ja glauben, wenigstens diese Größe sei bei den Tieren ihrer Zeit doch noch etwas halbwegs Normales gewesen. Sie hätten Jahrmillionen lang ungeheure Urweltkontinente fast ohne andere Großtierwelt frei zur Verfügung gehabt – warum sollten sie nicht nach Gullivers Muster eine Riesenwelt Brobdignag sich geleistet haben, die sonst so gut und berechtigt war wie jede andere?

In Wahrheit geht aber mit dieser Größe, je mehr sie selber ansteigt, hier eine ebenso wachsende Verkleinerung, ja geradezu Degeneration des Gehirns Hand in Hand. Während die Märchendrachen dieser Stelle einen Rekord der Körperlänge schlugen, schlugen sie zugleich auch einen solchen der Dummheit gegenüber der ganzen Wirbeltierwelt aller Zeiten, und zwar alle, Jäger wie Wild, Vierbeiner oder Zweibeiner – der Gehirnraum ihrer vielfach auch äußerlich schon winzigen Schädelkapseln wird im umgekehrten Verhältnis ihrer sonstigen Gigantengestalt immer dürftiger – der Himmelsstürmer, unter dessen Tritt die Erde zittert, ist an dieser entscheidendsten Stelle auf dem ersichtlichen Wege zum geistverlassenen Idioten.

Und deshalb wird man, seit man auch das aus zweifelfreien Indizien hat feststellen können, selbst in dieser viel bestaunten Größe nur jenes Prinzip des sinnlos Übertreibenden und Verrückten wiedererkennen. Auch in ihm waltete, wie der Grieche im Menschen- und Völkerleben zu sagen pflegte, eine »Hybris«, ein einseitiger Übermut, der hier sogar, schlimmer als in allem andern, den Untergang selbst über kurz oder lang herbeiführen mußte.

Ich will, da ich das Wort »Verrücktheit« halb symbolisch gebraucht habe, wenigstens erwähnen, daß ein ausgezeichneter neuester Sachkenner auf dem Gebiet es sogar wörtlich vertritt, indem er annimmt, es sei auf gewisser Stufe bei diesen Dinosaurierextremen eine krankhafte Entartung der sogenannten Hypophysendrüse im Gehirn erblich geworden, die zu sogenannter Akromegalie (krankhaftem Riesenwuchs) geführt hätte, wie sie auch bei uns Menschen als gelegentliche pathologische Erscheinung auftritt, dort aber ein ganzes Tiergeschlecht ergriffen und endlich dem Niedergang geweiht haben würde.

Abb. 90.
Versuch einer Wiederherstellung des Lebensbildes zu dem in Abb. 88 gegebenen Skelett des gigantischen Dinosauriers Iguanodon bernissartensis. Das Ungetüm wandelte für gewöhnlich wohl langsam auf den Hinterfüßen dahin. Die Haut dürfte dick und warzig gewesen sein, doch ohne Panzer. Der Rücken könnte einen Kamm getragen haben. Wenigstens findet man diese Sachlage bei einer verwandten, zeitlich späteren Gattung, von der sich noch Hautmumien erhalten haben. Der schwere Schritt des Tieres erzeugte im morastigen Boden tiefe dreizehige Spuren, die man an anderer Fundstelle ebenfalls noch gesunden hat. Vgl. auch Tafel 23, wo zwei solcher Iguanodonten in ihrem Drachenwalde vor einem entsprechend großen Raubdinosaurier flüchten.

Wie es aber damit sei: man wird nicht darum kommen, in dem genannten Komplex auch dieser Erscheinungen einen tiefsten Charakterzug dieser Dinosaurier aus ihrem innersten Wesen zu erkennen, der sie ebenfalls verband noch weit über ihre gleiche Lebensart hinaus.

Ob diese Lebensweise auf dem Lande selber ihn irgendwie unterstützt und provoziert habe, möchte ich dabei nicht entscheiden – wahrscheinlich ist es eigentlich nicht, da die späteren Säugetiere mit wenigen vorübergehenden Ausnahmen auf dem gleichen Boden nichts derart gezeigt haben; ihre gegenwärtige Maximalleistung an lebendiger Größe dort, unser Elefant, ist jedenfalls in gar keiner Weise mit gleichzeitigem Gehirnschwund behaftet, besitzt sogar im Feinbau ein hervorragend hochentwickeltes Hirn.

Etwas weniger günstig scheint es dann allerdings mit der Einheit unserer Zunft zu stehen, wenn man sie streng systematisch nachweisen soll.

Man wird zunächst auf negative Züge gewiesen. Die Dinosaurier nähern sich wenigstens auf ihrer Höhe keiner der andern urweltlichen Sauriergruppen enger an. Trotz ihrer Landbesetzung stehen sie den späteren Säugetieren im Skelett ebenfalls ganz fern und jedenfalls viel mehr als eine noch am Schluß zu besprechende andere Gruppe dort. Mit den meisten lebenden Reptiltypen haben sie auch keinen direkten Bezug, wie wir ihn etwa bei den Mosasauriern zu unsern Waraneidechsen fanden; wenn man manchmal in Zeitungen liest, es sei in jenem neu entdeckten Riesenwaran von Komodo ein »noch überlebender Dinosaurier« gefunden, so ist das grobes Mißverstehen.

Immerhin lassen sie sich hier in manchem wenigstens noch unsern Krokodilen entfernt vergleichen. Und man wird versucht, das so zu deuten, als wenn sie sich vielleicht wenigstens auch von jener verdächtigen Aetosaurus-Ecke gleich den Flugsauriern ursprünglich abgezweigt hätten. Statt wie diese klugen Flieger geistig empor zu gehen, wären sie bloß ein intellektuell dort absteigender Ast gewesen, der sich dafür aber in anderm auslebte. Mindestens denken könnte man das, und es würde ihnen auf jeden Fall auch so einen gewissen einheitlichen Auftakt geben. Daß auch sie ursprünglich klein angefangen haben, wird durch mancherlei Anzeichen belegt.

Abb. 91.
Das Skelett eines dem Iguanodon (vgl. Abb. 88, 89, 90) nahe verwandten anderen pflanzenfressenden Riesendinosauriers aus der späteren Kreidezeit, des Trachodon annectens, nach der Wiederherstellung durch Marsh. Die Länge betrug in diesem Typ auch 8 bis 10 m. Der Schädel hatte eine löffelartig verbreiterte Schnauze, in der man über 2000 Zähne und Ersatzzähne gezählt hat. Das Ungetüm lebte in der Nähe von Sümpfen in Nordamerika und ist besonders merkwürdig dadurch geworden, daß sich von ihm sog. Mumien gefunden haben mit Abprägung der Hautskulptur im umhüllenden Sandstein (vgl. Tafel 22).

Im engern scheinen sie dann allerdings in ihrer Eigenentwicklung noch zwei Sonderlinien verfolgt zu haben, von denen ein erster Sachkenner sogar annimmt, sie hätten von Anfang an gar nichts miteinander zu tun gehabt. In Wahrheit scheint es doch schwer, auch zwischen ihnen ein ganz scharf sonderndes systematisches Merkmal aufzufinden.

Jener Gegensatz des aufrecht zweibeinigen oder erdnäher vierbeinigen Ganges wiederholt sich in beiden als solcher. In beiden kommen rein pflanzenfressende Formen vor. Und ein anscheinend bedeutsamer Unterschied im Bau des Beckens, nach dem die einen mehr vogelähnlich, die andern echter reptilisch sein sollten, hat sich wenigstens im anfangs erwarteten Maße auch nicht bewährt. Es läuft das auf einen gewissen Gegensatz in der Stellung der sogenannten Schambeine hinaus, die beim Vogel stets nach hinten wachsen, beim normalen Reptil dagegen nach vorne. Bei gewissen Dinosauriern jener einen Reihe macht sich nun eine Tendenz geltend, wenigstens ein Teilstück oder Hauptstück ebenfalls vogelhaft nach hinten zu entsenden – aber die Unterscheidung leidet an Unsicherheiten in der Benennung und Deutung der betreffenden Knochen selbst.

Einen engeren Beweis für Verwandtschaft der Dinosaurier mit den Vögeln daraus abzuleiten, wäre aber auch nicht zulässig, denn es handelt sich höchstens um eine unabhängige Anpassung, die (ähnlich wie eine gewisse Parallele in der Fußbildung) dem auch hier auftauchenden zweifüßig-vogelhaften Gang in der einen Reihe wenigstens verdankt wurde.

So schwanken die Meinungen einstweilen noch hin und her, doch im ganzen wird eine Einheit wohl auch hier nicht zu umgehen sein, die das Gesamtwort Dinosaurier auch systematisch rechtfertigt

Worauf im einzelnen dann wieder unsere Kenntnis wesentlich durch fünf scharf umrissene engere Haupttypen getragen wird, um die sich die andern und nebensächlicheren mehr oder minder deutlich gruppieren. Manche wieder mögen ganz verschollen sein, das liegt nun einmal in dem Lückenhaften aller altlebenskundlichen Überlieferung. In bestimmter Reihenfolge der Anordnung geht es aber bei jenen fünfen wie mit Romanfiguren – eine scheint immer die nächste herauszulocken, sei es durch Überbietung oder Kontrast.

Indem ich wieder mit einer sehr wirksamen und vielbesprochenen Gestalt dabei beginne, leite ich zugleich erneut zu einer der großartigsten urweltlichen Entdeckungen über, die je geglückt sind: diesmal dem Rätsel der Drachenschlucht von Bernissart.

Auch geologische Bezeichnungen haben ihr Schicksal. So war das fröhliche Alt-England bis in historische Tage mit ungeheuren Wäldern durchsetzt, in denen der Balladenheld Robin Hood jagte und die Klosterlegende auch damals noch einen veritabeln Drachen hausen ließ. Von einem späten südenglischen Rest dieser Waldgebiete aber erhielt auch eine geologische Bodenschicht dort gelegentlich ihren Namen: Wealden oder Weald (sprich uilden oder uild = Wald), ort die sich, als man sie auch auf dem Kontinent wiederfand, unser deutsches Wort Wälderton anschloß.

Tafel 26
Stegosaurier

Die Fügung aber wollte, daß auch sie selbst zur Zeit ihrer Bildung schon einen allerdings noch viel urälteren Waldboden dargestellt hatte – von Araukarien- und Palmfarnwäldern auf der Grenze zwischen Jura- und Kreideland.

Nach Abzug des Jurameers hatte dieser Wald hier überall gegrünt, ehe das neue Kreidemeer seinen Einzug hielt. In diesem vorweltlichen Waldgrunde als solchem aber geschah es, daß man in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts auch den großartigsten Dinosaurierfund tat, der je in unserm Erdteil gemacht worden ist.

Mancher kennt vielleicht den Ort noch von der westlichen Kriegszone her – Bernissart in Südbelgien, zwischen Tournai und Möns. In einem Steinkohlenbergwerk dort ging man auf die tiefliegende echte alte Kohle mit einem Schacht und schnitt dabei in etwas über 300 m unter Tag auch jenen Kreidewaldgrund – dabei aber zeigte sich jäh ein Nest ungeheurer Knochen.

Nicht von einem Tier, sondern wie bei jener schwäbischen Aetosaurusplatte von einem ganzen »schlafenden Heer«, aber diesmal auf Dinosauriermaß statt auf Aetosauruslein gestimmt.

Tafel 27
Dreihornsaurier

Schwärzlich in Schokoladenfarbe wie eine geheimnisvolle Runenschrift markierte sich den Schachtsteigern die Rieseneinlage im helleren Kreideton – nur leider auch zunächst weich und zerbrechlich wie solche Schokolade. Worauf zum Glück doch bald tatkräftige wissenschaftliche Hilfe von Brüssel her sich der einzigartigen Sachlage bemächtigte und Rat zur rationellen Bergung schuf. Kalkkessel wurden in dem Schacht selbst etabliert, der alte Kreide-Waldgrund samt dem kostbaren Inhalt in handliche Blöcke zerschnitten, Block um Block noch in der Tiefe selbst mit Kalk umgössen und die ganze Fracht so, sechshundert rohe Wickelteile an der Zahl von no Tonnen Gewicht, ins Brüsseler Museum geschafft, wo in vieljähriger Arbeit dann die engere Knochenhärtung und Auspräparierung gelang.

Heute stehen zehn von den fast dreißig mehr oder minder wohlerhaltenen Kolossen in voller aufrechter Lebensstellung wieder zusammengesetzt und montiert in der prachtvollen Galerie dort wahre Krieger des Kadmos, die aus ihren ausgesäeten Drachenzähnen auferstanden. Der Rest liegt, auch sehr anschaulich in seiner Weise, genau in der Fundlage selber noch bei.

Mau schreitet nicht ohne ein gewisses Grauen unter den schokolade-schwarzbraunen Gestalten hin, die mir bei einem Besuch im Zwielicht wie eine Schar aufbäumender Gespensterpferde erschienen, vom Mondlicht ins Ungeheure vergrößert, mit dem dämonischen Zug, den von je der Volksglaube gerade im Pferde sucht. In Wahrheit doch alle echt dinosaurische Drachen aus einer urverschollenen geheimnisvoll schaurigen tiefen Waldschlucht ihrer Zeit.

In der Tat scheint heute die Situation, die den Fund ermöglichte, als solche ungefähr wenigstens geklärt.

Der alte Frühkreideboden bildete an dieser Stelle schon damals eine tiefe callonartige Schlucht in dem bereits viel älteren Steinkohlengebirge. Noch erkennt man die Steine mit echtem Kohleneinsatz, die ab und zu von diesem alten Gebirge schon damals in die Klamm gewittert – noch auf der Sohle aber lag in mehreren Schichten übereinander auf einem senkrechten Raum von einigen dreißig Metern das dinosaurische Drachennest selbst, Kadaver über Kadaver gepackt.

Mit dem ganzen Inventar wieder seines verwunschenen Waldwinkels: Tausenden von Pflanzenmoderresten, den Fischen, Molchen, Schildkröten, echten Krokodilen naher Sümpfe und Seen – alles noch beisammen.

Abb. 92.
Wie bei dem Iguanodon in Abb. 89 wird auch hier noch einmal vergrößert und in Sicht von oben, wie von der Seite der Schädel des in Abb. 91 wiedergegebenen riesigen Dinosauriers Trachodon gezeigt, um die merkwürdige Löffelschnauze und das Gebiß deutlich zu machen.

Man hat sich natürlich weidlich den Kopf zerbrochen, was in der bänglichen Schlucht ihrer Zeit geschehen sein könnte. War sie jahrhundertelang die Höhle, das Versteck der Unholde selbst gewesen, wo dann immer einmal wieder der eine oder andere graue Alterspräsident (der Fund wies nur alte Tiere) auch sein Grab fand? War auch in dieser Klamm eine geheime Falle gewesen – Moor, Saugsand, der auch solchen Drachen, wenn er heranhumpelte, öfter verschlang? Oder hatten Wasserfluten einer grauenvollen Sintflutnacht das Nest gelegentlich unter Wasser gesetzt, die Eingeschlossenen hoffnungslos darin ersäufend?

Abb. 93.
Die späteren Verwandten des riesigen Dinosauriers Iguanodon von Bernissart (vgl. Abb. 90) haben in Nordamerika zum Teil wohl gern in Süßwassersümpfen gelebt. Schon das in Abb. 91 und 92, sowie auf Tafel 22 dargestellte Tier Trachodon besaß, wie die Hautmumien ausweisen, Schwimmhäute. Der hier dargestellte ebenfalls nah zugehörige Corythosaurus casuarius scheint aber fast ausschließlich solcher Sumpfschwimmer gewesen zu sein. Das Bild gibt sein Skelett genau in der Stellung, wie es in Kanada gefunden wurde. Sein Kopf trug einen hohen helmartigen Kamm, mit dem es auftauchend einem riesigen Kasuar geglichen haben muß. Daher der Beiname Kasuarsaurier. Die Länge auch dieses Ungetüms betrug über 9m.

Wenn man schon solche katastrophalen Hochfluten in Bewegung setzen will, gibt es doch auch noch andere Möglichkeit. Die Klamm könnte gegen einen Strom ausgegangen sein, der in solchem Hochwasser gelegentlich Leichen trieb, könnte eine eingewirbelte Staustelle gebildet haben, wo solche Leichen, Opfer der Katastrophe selbst, sich samt allem anderen Waldschwemmsel häuften. Vielleicht macht moderne Altlebenskunde etwas viel Gebrauch von solcher Kadaververschwemmung, aber bestechendes hat der Gedanke doch.

Mag er aber das ganze Schicksalsrätsel dieser verwunschenen Schlucht nun lösen oder nicht: wir freuen uns des Kadmosheeres, das da wieder vor uns aus der Scholle gewachsen ist. Und genießen zum erstenmal noch anschaulich, wie solcher große typische Walddinosaurier seiner Tage wirklich aussah.

Der Name war in diesem Falle schon aus kleineren Funden des englischen Wealden selbst gegeben: Iguanodon.

Man hatte ihn dort zuerst auf einzelne Zähne hin gebaut, die denen der südamerikanischen Leguaneidechse Iguana zu gleichen schienen – also ( Iguana und odous oder odon = Zahn) Leguanzähner. Das Wort doch heute im Sinne wieder überholt und nur insofern noch interessant, als es sich offenbar diesem Zahnbau nach auch hier um einen Dinosaurier von jenem Pflanzenfressertyp handelte.

Wir sehen auf scharfe gekerbte Zähne, mit denen das ungeheuere Gespensterpferd eigentlich mehr wie eine Kuh seinen Araukarienbaum abgeweidet hatte – in unermeßlichen Portionen jedenfalls, um den Riesenwanst zu füllen. Erscheint doch schon eine heutige solche Kuh fast wie eine Maschine auf ihrer Alm, die den ganzen lieben Tag nur einfuttern muß, daß der Brennstoff im Innern nicht einen Moment versage – wie viel mehr solches Ungeheuer von Über-Kuh, das Wälder zerkaute.

Rund 90 Zähne waren stets gleichzeitig in Gebrauch. Mehrere Reihen Ersatzgebißzähne aber hatten im Zahnfleisch noch geborgen dahinter bereit gestanden, wenn das ständige Äsen das nicht sehr solide Reptilmaterial abnützte – man denkt doch mit etwas Neid, daß diese Wälderton-Helden noch keinen Zahnarzt brauchten. Vorne half beim derberen Brechen eine doppelte zahnlose Hornkappe der Schnauzenspitze, die unten sogar ein besonderer überzähliger gezackter Kieferknochen stützte, wobei eine lange Giraffenzunge noch nachgeholfen haben mag. Man hört sie ordentlich noch knacken, rupfen, kauen, schlucken, die Riesen in ihrem Araukarien- oder Ginkgowald, wenn sie ihn wie gigantisch-fette Raupen herunterfraßen.

Wobei die seltsam nach unten langen, wie viereckigen Augen über der gebogenen Ramsnase auf einer Höhe sich bewegten, wo sie in ein oberes Stockwerk eines heutigen Hauses bequem hätten hineinglotzen können. Denn auch diese Kolosse gehörten dem »aufrechten Typ« an, schritten und griffen gewohnheitsmäßig in Känguruhstellung, wenn auch etwas schwerfällig auf den enorm dicken Hinterbeinen.

Die Größe war immerhin noch nicht ganz dinosaurischer Rekord, aber für ein Känguruh respektabel genug – im größten alten Exemplar 10 m Schnauzen- bis Schwanzspitze – gibt aufrecht volle 5 m.

Interessanterweise sind in Bernissart nicht alle Exemplare gleich groß, einige wesentlich kleiner und auch zierlicher; da alle dort doch ausgewachsen, muß es sich entweder um zwei verschiedene Arten handeln, oder, wie ein vorzüglicher Sachkenner will, größere Weibchen und in diesem Falle kleinere, graziösere Männchen – die Unterscheidung selber gemutmaßt aus dem Beckenbau. Dieses Becken hat dabei beim Iguanodon ausgesprochen jenen vermeintlichen Vogelzug mit Schambeinteilen sowohl vor- wie hinterwärts.

Im übrigen kommt das »Verrückte« in diesem ersten Typ, so seltsam er ist, noch nicht ganz zur Geltung – es sei denn eben in dieser Größe selbst bei gleichzeitig aufrecht schreitendem oder trabendem Gang, die etwas von einer Kraftvergeudung hat. Ein Über-Känguruh, das sich so in Balance bewegen soll, doch mit dreifachem Elefantenmaß, das eigentlich zur Erde drückte. Wobei über diesen hinterbeinigen Gang selbst trotz mancher versuchten ernsten fachmännischen Widerrede wohl kaum Zweifel sein kann.

Nur die Hinterbeine waren im Bau wirklich Gehfüße, doppelt oder doch ein Drittel so lang wie die dazu ganz ungeeigneten Arme. Man hat gesagt, auch der Frosch habe solches Mißverhältnis und gehe doch nicht aufrecht, aber hier spricht, meine ich, der Fuß selbst. In anderswo (bei Bückeburg, wo auch solcher Waldboden lag) erhaltene dreizehige Schlammpatschen zweireihiger Fährten paßt der Bernissarter wie in einen Polizeiabguß.

Dagegen ist die Hand, obwohl der Arm immerhin hier auch noch Klotz genug, wirklich reine Greifpfote, wenn schon richtig verdrehte Welt gegen unsere. Der kleine Finger ist verstellbar als Daumen, der richtige Daumen dafür in eine furchtbare Waffe verwandelt mit starr abstehender Knochenspitze als Dolch, die sich dem Angreifer ins Fleisch bohrte.

So wackelte der Riese an, hinten aufpatschend in seinem weichen Waldgrund, vorne auf Abwehr bereit oder das Dickicht teilend, der ungeheure seitlich platte Krokodilschwanz, den ein starres Muskelgefüge straffte, gleichsam als Balancestange, der mächtige Pferde- oder Giraffenkopf nickend auf langem gebogenen Schwanenhalse – dabei doch alles hier noch relativ robust, ein Krokodilelefant wirklich, von dem man meint, er müsse stets etwas gekeucht haben bei seiner Geharbeit.

Abb. 94.
Das in Ostafrika gefundene Skelett des Kentrurosaurus. Das Bild führt in die Wunderwelt der sog. Stegosaurier, phantastischer Dinosaurier auf der Wende zur Kreidezeit, die sich durch kolossale kammartige Rückenverteidigungen auszeichneten. Den typischen Stegosaurus selbst zeigt die Tafel 26. Der hier nach dem Skelett im Berliner Museum für Naturkunde dargestellte, nahe verwandte Kentrurosaurus stammt aus den großartigen deutschen Ausgrabungen von 1909 bis 1912 am Tendaguruhügel in Ostafrika. Bei ihm tragen Schwanz und Rumpf hauptsächlich gewaltige Stacheln, die erst gegen den winzig kleinen Kopf zu in Knochenkamm-Platten, wie sie der echte Stegosaurus führte, übergehen. Das Tier wurde 7 m lang und lebte, wie die schönen Funde erweisen, in Herden bis zu fünfzig Stück.

Der Leser überzeugt sich dazu wohl am Bilde des Skeletts selbst, das bei den Dinosauriern überall das ohnmächtige Wort ersetzen muß.

Ein Panzer vermehrte diesmal noch nicht die Last, die Muskulatur wird von den Wiederherstellern straff, nicht verfettet angenommen, was einen dicken Hängebauch nicht ausschließt. »Allez«, sagt Busch, »der schönste bist du nicht.«

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Was dann noch näher vielleicht über die Haut selbst zu sagen, mag eine Parallelgestalt dieses ersten Typs aus der späteren Kreidezeit hinzugeben, von der wir gerade über diesen Punkt unterrichtet sind – sie hat uns nämlich noch sozusagen auch ihr »Fell« hinterlassen.

Auch die Iguanodonten hatten in der Trias klein angefangen. Noch im Wealden lebte in England solche nur meterlange Nebenform, die sogar auf Bäume geklettert sein soll. Der riesige Typ trieb sich dann gleichzeitig in Europa wie in Nordamerika um, drüben aber, scheint es, nachher länger, woraus ein Koloß Trachodon der oberen Kreide von Wyoming, jenseits zeitlich noch von jenem Niobrarameer der Zahnvögel und Mosasaurier, erstand, der in der Hauptsache noch dem Iguanodon selbst glich, uns aber besonders merkwürdig geworden ist eben durch solche »Hautmumien«.

Abb. 95.
Sehr spät noch gegen Ende der Kreidezeit und damit des ganzen Saurieralters ließen sich als phantastische Nachblüte in Nordamerika die paradoxen Ochsen- oder Nashornsaurier (Ceratopsiden) sehen, zum Teil ebenfalls gewaltige Tiere des Dinosaurierstamms, deren Hauptmerkmal die oft riesigen und in der seltsamsten Weise bewehrten Köpfe waren. Das Bild gibt oben den Schädel, unten das ganze Skelett des zugehörigen Dreihornsauriers Triceratops. Der allein 2 m lange Schädel zeigt über jedem Auge ein mächtiges Horn, während ein einzelnes noch auf der Nase ragte. Nach hinten aber war dieser Schädel zu einem Knochenkragen ausgewachsen, der eine Art Nackenschutz bildete. Das ganze Tier wurde 8 m lang. (Vgl. Abb. 96, sowie Tafel 27 und 28.)

In der wundervollen Frankfurter Senckenbergsammlung kann man unter anderm noch eine in natura sehen – ein vielbesagtes Schaustück wieder.

Die Acht- bis Zehnmeterscheusale dürften in diesem Falle als angeschwemmte Leichen auf Sandbänken einem trockenen Dörrungsprozeß unterlegen sein, bei dem die dicke Haut sich mit ganzer Oberflächenskulptur noch in die umgebenden Sandkrusten einzeichnete, die sie dann, zu Sandstein verhärtet, bis heute neben dem Skelett erhalten haben. In geschickter Aufmachung sieht das Ganze, Schale wie Geripp, wieder so echt aus, daß man im Scherz gesagt hat, man erwarte, daß es nunmehr im Museum wieder zu stinken beginne.

Und da gewahrt man denn, daß die Haut richtige Drachenhaut wie im Märchen war, faltig und knotig in dickem Muster. Über den Rücken zog sich ein zackiger Kamm, und da der Trachodon wohl besonders gern auch im Sumpfsud gründelte, hatte er sogar ordentliche Schwimmhäute zwischen den Fingern und am Handrand angesetzt, während seine Schnauze diesmal löffelartig und jedenfalls sehr häßlich in die Breite gezogen war. An wirklich funktionierenden und schon harrenden Ersatz-Zähnen führte dieses groteske Drachenmaul über zweitausend Stück – man hat gesagt, ein ganzes zahnärztliches »Magazin«. Zur Bestätigung reiner Pflanzennahrung sollte in der Frankfurter Mumie noch der direkte Nachweis des Mageninhalts dienen, der als tiefbrauner Fladen reines Laub- und Nadelholzgefaser von der Henkersmahlzeit des ersäuften und verdorrten Scheusals wies.

Von einem zweiten Iguanodontiden dieser späteren Tage, dem über 8 m langen Kasuarsaurier von Kanada, nimmt man an, daß er sich sogar fast ganz in die Sumpfwasser selbst zurückgezogen hatte, dort schwamm und tauchte und nur gelegentlich den Kopf auf langem Schwanenhalse sehen ließ, wobei er dann wie eine Kombination aus unserm Schlangenhalsvogel und einem ungeheuren Wasserkasuar gewirkt haben muß; denn er führte am Schädel einen hohen helmartigen Knochenkamm wie solcher Kasuar, auf dem aber noch Gott weiß was für ein Horn oder Hautschmuck aus der Hexenküche weiterer dinosaurischer Verrücktheit gesessen haben mag.

Und diese reine Zusatzhieroglyphe gibt mir Anlaß, von dem Typ Iguanodon zu einem zweiten überzugehen, der sozusagen diese dinosaurische Oberverrücktheit bereits in ihrer ganzen Maienblüte zeigt – dem Generaltyp Stegosaurus und Konsorten. (Bitte abermals Blick auf das Bild.)

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