Mc Donnell Bodkin
Paul Becks Gefangennahme
Mc Donnell Bodkin

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Elftes Kapitel
Der Lebensretter

»Na, ist sie nicht wunderbar, Phil?« fragte Norma, nachdem sie Doras erstes Zusammentreffen mit Herrn Beck geschildert hatte.

»Ja, ja, mehr als das, erstaunlich, überwältigend. Ich weiß gar kein bezeichnendes Wort für sie, denn wie ich höre, gilt er für den besten Detektiv in London.«

»Ist er auch,« kam Doras prompte Antwort.

»Der beste männliche Detektiv,« fügte Phil hinzu.

»Ich wünschte, Sie und Norma redeten nicht solchen Unsinn. Ich weiß, daß ich ihm nicht gewachsen bin, außerdem habe ich Angst vor ihm, er ist so kaltblütig und ruhig. Dies sind erst seine ersten Schachzüge, ich wünschte, es wäre alles vorüber.«

»Ich meine, es ist schon so ziemlich alles vorüber, Sie haben ihn ja völlig matt gesetzt. Ich habe keine Ahnung, was er zunächst tun wird.«

»Auch ich nicht. Aber ich wünschte, ich wüßte es.«

»Aber Dora,« rief Norma dazwischen, »ich hab' dich doch noch nie ängstlich gesehen!«

»Ich hatte auch noch nie so viel Grund.«

»Beruhigen Sie sich, Miß Myrl. Noch bin ich nicht gehängt, und es wird auch wohl kaum so weit kommen, wenn Sie sich meiner annehmen.«

»Was wolltest du uns eigentlich erzählen, Phil? Als du kamst, sagtest du, du hättest uns etwas zu erzählen,« unterbrach ihn Norma, die, ohne eifersüchtig zu sein, es doch nicht liebte, wenn er sich viel mit Dora unterhielt.

»Ja, ich fing gerade mit meiner Erzählung an, als du mir ins Wort fielst. Na, ich beklage mich gar nicht, denn deine Geschichte ist viel interessanter als meine. Ich hatte gestern abend ein kleines Abenteuer. Erschrick nur nicht, denn mit unserm Versteckspiel mit Herrn Paul Beck hat es nichts zu tun. Es war nur ein nettes, harmloses kleines Abenteuer mit glücklichem Ausgang.«

»Du kannst dich in den Sessel da setzen und dir eine Zigarette anzünden, Dora hat nichts dagegen, und ich hab' es gern.«

Beim Anzünden der Zigarette ging es etwas umständlich zu. Dora wünschte sich aus dem Zimmer, 66 und vielleicht teilten die beiden andern diesen Wunsch im stillen.

»Ich kam gestern abend ziemlich spät nach Haus –«

»Woher?«

»Du mußt mich nicht unterbrechen, Kleine. Du wolltest ja nicht mit ins Theater. Also ich ging ziemlich spät nach Haus und dachte –«

»An gar nichts,« rief Norma übermütig.

»Du brauchst nicht so eilig zu sein, denn ich dachte nicht an dich, sondern an Miß Myrl, wie klug und hübsch sie ist, als ein kräftiger Griff an meine Kehle mich fast umwarf.«

»O Phil, wie schrecklich!« Sofort war das Lachen in ihren Augen erloschen und ihr Gesicht erblaßt.

»Es hat mir nichts geschadet, Norma,« fuhr er rasch fort. »Ich packte den Kerl beim Arm und riß mich los. Er schrie auf vor Schmerz bei meinem Griff. Dann kam der zweite – es war noch einer da – mit einem Lebensretter; komisch, daß man das einen Lebensretter nennt. Ich duckte mich rasch und so verfehlte er sein Ziel; er hatte nicht Zeit, noch einmal loszuschlagen, denn plötzlich griff ein dritter ein. Zuerst glaubte ich, er gehöre dazu, bis ich sah, wie er den zweiten Kerl erst am Handgelenk und dann am Kragen faßte. Der stämmige Raufbold war wie ein kleines Kind in seinen Händen, er riß ihm seine Waffe aus der Hand, hob den ganzen Kerl in die Höhe und warf ihn auf seinen Genossen, so daß die zwei sich im Rinnstein überkugelten. Als sie wieder auf die Füße kamen, gaben sie schleunigst Fersengeld.

Die ganze Geschichte hat keine zehn Minuten gedauert. Als die beiden Räuber um die Ecke verschwanden, drehte sich mein neuer Freund ganz gelassen zu mir. ›Hoffentlich haben die Burschen Sie nicht verletzt?‹

›Nicht im geringsten,‹ sagte ich. ›Sie haben aber kurzen Prozeß mit ihnen gemacht.‹

›Diese Straßenräuber sind eine elende, feige Bande. Wenn ihr erster Griff an die Kehle oder das Niederwerfen mit dem Sandsack mißlingt, wagen sie sich nicht weiter. Sie hätten ganz gut allein mit ihnen fertig werden können, ich konnte aber dem Wunsch nicht widerstehen, einzugreifen, und habe dabei eine gute Zigarre eingebüßt. Haben Sie vielleicht Feuer?‹

67 Ich reichte ihm ein Zündholz, da bestand er darauf, daß ich mir auch eine von seinen Zigarren anstecke. Als ich ihm das brennende Hölzchen hinhielt, warf ich einen Blick in sein Gesicht. Ein ernstes, kluges Gesicht, ein Mensch, dem man vertrauen und gut sein kann; solch einen Menschen möchte man bei jedem Streit an seiner Seite haben.«

Dora hörte jetzt weit eifriger zu als im Anfang.

»Es fand sich, daß wir den gleichen Weg hatten, so gingen wir rauchend und plaudernd einige Straßen entlang. An einem Haus in der zweiten Querstraße von meiner Wohnung schloß er mit einem Drücker auf. ›Komisch, daß wir so nah beieinander wohnen,‹ sagte er da. ›Ich bin erst vor ein paar Tagen hergezogen. Kommen Sie auf fünf Minuten mit herein, ein Fingerhut voll Whisky wird uns beiden gut tun nach der Anstrengung von vorhin.‹

Es war ungefähr halb zwölf, aber als ich endlich fortging, war es fast halb zwei. Das lag nicht am Whisky, Norma, sondern an dem Mann selbst. Noch nie in meinem Leben bin ich mit einem angenehmeren Menschen zusammengetroffen. Er schien über alles orientiert zu sein, dabei so gar nicht überlegen. Und wie er erzählen kann! Noch nie hat ein Mann auf den ersten Blick einen solchen Eindruck auf mich gemacht. Man fühlt sofort, daß man ihm vertrauen kann! Mehr als einmal fühlte ich mich versucht, ihm meine Geschichte zu erzählen und ihn um Rat zu bitten.«

Dora warf hinter seinem Rücken Norma einen Blick zu mit einem ganz leisen, bedeutsamen Zwinkern, worüber Norma schuldbewußt errötete; ihr fiel ihr netter Tischherr ein, den sie auch beinahe zu ihrem Vertrauten gemacht hätte.

»Er hat mir versprochen, übermorgen bei mir zu frühstücken,« fuhr Armitage fort, ohne dies kleine Nebenspiel zu ahnen. »Willst du auch kommen, Norma? Und Sie auch, Miß Myrl? Ich weiß genau, er wird Ihnen beiden gefallen.«

»Ich werde dabei sein,« antwortete Dora sofort, und Norma versprach nach einigem Zögern ebenfalls ihr Kommen. »Ich bin überzeugt, daß er mir gefallen wird, Phil.«

68 »Ja,« fügte Dora trocken hinzu, »davon bin ich auch überzeugt.«

Als Armitage bald darauf fortging, begleitete ihn Norma zur Haustür, kam aber schneller als sonst zurück.

Sofort fragte Dora: »Nun, du weißt doch natürlich, wer sein netter Freund ist?«

»Ich? Wie sollte ich?«

»Na, dann bist du ein kleines Schaf. Phils mitternächtlicher Freund ist dein Freund von neulich beim Frühstück mit den berühmten Leuten und meiner aus dem Photographieabenteuer. Das ist doch klar genug. Aber bedenke nur die teuflische Klugheit dieses Mannes.« Ehrliche, unverhüllte Bewunderung sprach aus ihrer Stimme. »Natürlich war der ganze Überfall eine abgekartete Sache, um sich an Phil heranzumachen. Gerade so etwas führt zu plötzlicher Freundschaft. Ach, Norma, Norma, ich fürchte, diesem Manne bin ich nicht gewachsen. Du weißt, daß ich nicht ängstlich bin, hier aber fühle ich, daß ich es mit ihm nicht aufnehmen kann. – Na, na, na, kleiner Hasenfuß, so schlimm hab' ich es ja gar nicht gemeint; ich glaube sicher, daß alles gut wird, und weinen führt überhaupt zu nichts.«

»Ich kann nicht anders, Dora,« schluchzte die andre, »ich bin so unglücklich. Ich ängstige mich so sehr und merke wohl, daß Phil auch die Sache recht ernst nimmt, denn –«

»Denn was? Fahr fort, Norma. Du darfst vor mir keine Geheimnisse haben.«

»Du wirst mich nicht auslachen, Dora?«

»Gewiß nicht. Mir ist nicht lächerlich zumute.«

»Du meinst, daß Phil in Gefahr ist?«

»Nein. Ich meinte nur, daß ich nicht lache, wenn du weinst, aber ich möchte wissen, warum du weinst.«

»Er ist nicht mehr, wie er früher war.«

»Ist das alles? Er ist sehr lieb mit dir, so weit ich es beurteilen kann, und wenn ich einen Verlobten hätte, würde ich ihn mir gar nicht anders wünschen.«

»Sei du erst mal in meiner Lage. Früher sprach er beständig von unsrer baldigen Hochzeit, jetzt erwähnt er nie mehr etwas davon. Ich habe natürlich keine Eile –«

»Aber man mag sich gern ein wenig bitten lassen. Norma, ich glaube, ich kann dir sagen, weshalb er dich 69 nicht beschwört, ihn morgen oder spätestens übermorgen zu heiraten. Wer ihn wie ich oft ganze Abende beobachten konnte, würde an seiner Sehnsucht nach dir nicht zweifeln. Aber er ist ängstlich.«

»Wer, Phil?«

»Ja, er sorgt sich deinetwillen; er will nicht, daß du einem Sträfling angehörst, und das gefällt mir an ihm. Du brauchst mich nicht so entsetzt anzustarren. Bedenke doch, du bist ein erwachsener Mensch und kein schreckhaftes Kind. Du weißt, daß seine Feinde ihm auf der Spur sind und daß er bestraft wird, wenn sie ihn fassen. Wir beide finden ja, daß er recht handelte, aber das Gesetz stellt sich auf einen andern Standpunkt.«

»Ach, Dora, meine einzige Hoffnung bist du.«

»Ich werde mein Möglichstes tun. Wenn sich dieser Herr Beck nicht der Sache angenommen hätte, wäre es ein leichtes, mit dem Schuft von Lamman fertig zu werden, der, nebenbei gesagt, es auch einmal auf mich abgesehen hatte. Aber jetzt liegt Beck auf der Lauer, und das gefällt mir nicht.«

»Bist du denn sicher, daß er es ist?«

»Ganz sicher. Ich sehe deutlich seine Hand in dem Straßenüberfall und muß nun herausfinden, was er vorhat. Norma, du mußt mir ein Zeugnis ausstellen.«

»Ich weiß nie, was du eigentlich im Sinne hast, Dora. Nicht fünf Minuten kannst du ernsthaft bleiben.«

»Ich bin völlig ernsthaft. Ich will mir eine neue Stellung suchen, verstehst du? – und dazu brauche ich ein Zeugnis. Ungefähr so: ›Jane Morton – der Name ist gut – war drei Jahre in meinem Hause und hat mir stets ehrlich und treu gedient. Sie ist sehr sauber und willig zu jeder Arbeit. Sie verläßt mich auf ihren eigenen Wunsch.‹ Was meinst du, wird mich Phils Haushälterin daraufhin engagieren?«

Norma rief überrascht: »Phils Haushälterin?«

»Ich verstehe nicht, was heut in dich gefahren ist, Norma. Siehst du denn nicht ein, daß ich am Platze sein und Paul Beck im Auge behalten möchte. Er hat mich hier als Hausmädchen gesehen und wird glauben, ich habe meinen Dienst gewechselt. Du mußt natürlich Mr. Armitage einweihen.«

Norma antwortete nicht.

70 »Du brauchst absolut nicht eifersüchtig zu sein,« sagte Dora nach einer Weile ruhig.

Norma errötete schuldbewußt, sie war sich über ihr Gefühl nicht eher klar geworden, bis Dora es beim Namen nannte.

»Ich werde nicht mit ihm flirten, Norma, das verspreche ich dir; außerdem wäre es verlorene Liebesmüh, denn ihm liegt mehr an deinem kleinen Finger, als an meiner ganzen Person, also sei nicht albern.«

»Ich tue natürlich alles, was du für gut hältst, Dora.«

»Es wird am besten sein, du sagst Phil nichts über Onkel Pauls wahre Persönlichkeit, sondern nur, daß du mir den Auftrag erteilt habest, ihn allerorten zu überwachen. Darüber wird er lachen und die Sache wie einen guten Witz behandeln, und wenn er sich dabei amüsiert, ist es ja gut.«

So kam es, daß Paul Beck bei dem Frühstück bei Armitage von demselben hübschen, unschuldigen Hausmädchen bedient wurde, das er bei seinem unverhofften Besuch in Miß Lees Hause gesehen hatte. Mit viel Verdruß gewahrte er, daß Armitage, der doch mit einem andern Mädchen verlobt war, mit seinem neuen Hausmädchen auf recht vertrautem Fuß zu stehen schien und daß sie ihn spröde abwehrte und es vermied, seinen lächelnden Blicken zu begegnen.

Das mißfiel Paul Beck ganz außerordentlich und rief ihm ins Gedächtnis zurück, was Lamman ihm von Armitage erzählt hatte, und verstärkte seinen Wunsch, den jungen Wüstling unschädlich zu machen.



 << zurück weiter >>