Mc Donnell Bodkin
Paul Becks Gefangennahme
Mc Donnell Bodkin

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Erstes Kapitel
Ein Antrag

»Sagen Sie nicht glattweg ›nein‹, das ist alles, was ich erbitte. Ich bedaure schon, daß ich davon anfing, es ist reinste Vermessenheit, und ich weiß nur zu gut, daß ich nicht wert bin, Ihnen die Schuhriemen zu lösen. Haben Sie Mitleid mit dem armen Kerl, der den Mund nicht länger halten konnte. Weisen Sie mich nicht ganz ab, lassen Sie mir ein Fünkchen Hoffnung; daß Sie ›ja‹ sagen, verlange ich ja gar nicht.«

»Sie verlangen nicht, daß ich ›ja‹ sage?«

Diese Worte klangen in einem leisen spöttischen Lachen aus. Der junge Mann, der sich zu einem völlig unüberlegten Antrag hatte hinreißen lassen, hob nun zum erstenmal die Augen zu dem Antlitz des jungen Mädchens. Die Wangen erglühten unter seinem heißen Blick, die zarten, süßen Lippen zitterten leise, aber in den Tiefen der klaren braunen Augen lachte neckisch ein Schelm.

Eine wilde, tolle Hoffnung erfaßte sein Herz.

»Norma, Norma, ist es möglich? Willst du mich?«

»Sie verlangen ja gar nicht, daß ich ›ja‹ sage,« noch leiser als vorher klangen diese Worte.

Das war genug, er holte sich die Antwort von den frischen Lippen, die sich ihm willig boten. Ein Wonnegefühl von Liebe und Triumph durchrann seine Glieder. Er hatte gesiegt; das Mädchen, nach dem seine Seele verlangte, war sein. Die ganze Welt versank um diese zwei, die jetzt die höchste Seligkeit des irdischen Daseins kosteten, die überwältigende Seligkeit der ersten Liebe.

»Ach du dummer Junge,« sagte sie und strich ihm mit zaghafter Hand das Haar aus der Stirn, »du hättest doch wissen müssen, daß ich dich mehr liebe, als du mich je lieben kannst. Ich wartete ja nur auf deine Frage, um dir das zu gestehen.«

Ihm schwindelte vor Entzücken. »Sie liebt dich, sie liebt dich,« flüsterte es in ihm. Er umschlang sie fest und küßte sie wieder und wieder, und die Gewißheit ihrer Liebe erfüllte ihn mit namenloser Wonne, 4 und in weltentrückter Seligkeit genossen sie den Augenblick. Der schwach beleuchtete Salon mit seinen gedämpften reichen Farben war wie der Tempel ihrer Liebe. Der Mann erwachte zuerst aus diesem Rausch des Entzückens, in ungeduldiger Erwartung noch größerer Wonnen. Dem Mädchen genügte die glückliche Gegenwart.

»Norma,« flüsterte er ihr in das kleine Ohr, »wann wollen wir heiraten?«

»Nie, nie, wenn du mich so fest hältst. Ich fürchte mich vor dir. Wir sind noch nicht einmal richtig verlobt, und du redest schon vom Heiraten. Vielleicht heiraten wir niemals.«

»Was!« rief er mit einem Stich der alten qualvollen Angst. »Du scherzest. Natürlich sind wir verlobt, das will ich dir schon beweisen. Na, sind wir's, oder nicht?«

»Ich kann mich ja nicht wehren, du bist stärker als ich. Aber ehe nicht mein Vater davon weiß, betrachte ich mich nicht als verlobt. Ich habe ja keine Mutter,« setzte sie sehnsüchtig hinzu. »Ich habe die Mutter wohl nie so entbehrt wie gerade jetzt.«

»Nun bist du mein, Liebling, und deinen Vater will ich gleich benachrichtigen. Willst du hier warten, bis ich wiederkomme?«

»Ja, ich will warten. Ich bin für niemand heut zu Hause. Aber merk dir eins, Phil, wenn Vater dich nicht will, will ich dich auch nicht. Du mußt also sehr lieb mit ihm sein.«

»Darum mach dir keine Sorge,« antwortete er vertrauensvoll schon an der Tür, »dein Vater und ich sind gute Freunde.«

Als er hinaus war, machte sie Licht und trat an den Spiegel. Eitelkeit? – Weit gefehlt! Sie wollte das Mädchen sehen, das er liebte. In dem breiten Glas sah sie ein junges Geschöpf, das ihr zuerst fremd erschien; nie vorher hatte sie dieses Gesicht gesehen, dieses seltsam süße Gesicht, glühend von wilden Küssen, mit Augen, in deren Tiefen das Morgenrot der Liebe schimmerte. Sie erschrak fast vor dem Leuchten in ihren Augen, drehte schnell das Licht aus und warf sich in einen der tiefen Sessel, zitternd vor unbestimmter Freude und Angst. – –

»Herein!« rief die scharfe Stimme des Mr. Theophilus Lee, und voll froher Zuversicht betrat 5 Phil Armitage das geräumige, behagliche Arbeitszimmer. Groß, mager und eckig erhob sich Mr. Lee von seinem Zylinderbureau, ihn zu begrüßen; doch in dem Gruß lag keine Wärme. Die kalten grauen Augen blickten höflich, aber kühl fragend auf den Eindringling. Mr. Lee trug eine goldene Brille tief auf seiner langen, schmalen Nase, schaute aber ganz unerwartet häufig über die Gläser hinweg gerade in die Augen seines Besuchs.

Phil Armitages fröhlicher Mut begann zu sinken. So hatte ihn Mr. Lee noch nie behandelt. Selbst stehend und ohne seinen Gast zum Sitzen aufzufordern, nahm er eine fragende Haltung an, die deutlicher als Worte sagte: ›Was haben Sie hier zu suchen? Sagen Sie es und gehen Sie.‹

»Es handelt sich um Ihre Tochter, Mr. Lee,« stotterte Phil.

»Meine Tochter! So? Und was ist mit meiner Tochter, Mr. Armitage?« Kein Laut verriet, daß er den Zweck des Besuches ahnte; nur höfliches Erstaunen, daß der junge Mann etwas über seine Tochter zu sagen habe.

Sein Ton stachelte den Mut des Bewerbers an. »Ich komme zu Ihnen, Mr. Lee,« sagte er sehr ruhig, »um Sie um die Hand Ihrer Tochter zu bitten.«

Das Antlitz des Älteren blieb völlig ausdruckslos, er strich mit der mageren Hand über den spitzen Bart, als streichle er einen Lieblingshund. Plötzlich trafen die kalten grauen Augen über die Brillengläser hinweg die des jungen Mannes. »Sie haben schon mit meiner Tochter gesprochen?« fragte er scharf.

»Jetzt eben, vor wenigen Minuten.«

»Sie halten das natürlich für ehrenhaft?«

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Vermutlich nicht. Sie wissen doch, daß meine Tochter mein einziges Kind und eine reiche Erbin ist?«

»Darüber habe ich nie nachgedacht.«

»Aber die Tatsache war Ihnen bekannt, als Sie hierher kamen und ihr den Hof machten, und nachdem Sie ihr das Versprechen abgelockt haben, kommen Sie zu mir und bitten um ihre Hand und ihr Vermögen.«

»Nein, nein; ich versichere Ihnen, ich verlange nicht einen Pfennig.«

6 »Sie brauchen sich hier durchaus nicht als Theaterheld aufzuspielen, Mr. Armitage, das macht auf mich gar keinen Eindruck. Sie wissen recht gut, daß mein Geld einst meiner Tochter gehören wird.«

Bei den letzten Worten klang ein wärmerer Ton in seiner Stimme. »Ich weiß wohl, daß man mich für hart hält, weil ich schwer gearbeitet habe und auf ehrliche Weise ein großes Vermögen erwarb, das ich nicht unnütz ausgebe. Aber nie hat mich jemand einen harten Vater genannt. Junger Mann, Sie sagen, Sie lieben meine Tochter, aber Sie lieben sie nicht halb so sehr wie ich. Alles, was ich bin und habe, gehört ihr. Wenn Norma einen Bettler oder einen Lumpen heiraten will, so ändert das nichts daran; aber sie soll weder einen Bettler noch einen Lumpen heiraten, so lang ich es verhindern kann.«

Der schmächtige Alte häufte Beleidigung über Beleidigung auf den jungen Hünen, der ihn mit einem Griff zerbrechen, mit einem Schlage töten konnte. Phil biß sich die Lippen und ballte die Fäuste, um durch physische Anstrengung die heiße, wilde Leidenschaft, die nach einem Ausweg rang, niederzuhalten. »Er ist ein alter Mann, er ist ihr Vater,« wiederholte er sich immer wieder.

»Ich hoffe, Mr. Lee,« sagte er nach einer Weile mit einer so vollkommenen Ruhe, daß es ihn selbst überraschte, »Sie halten mich weder für einen Bettler noch für einen Lumpen. Ich habe eine sehr gute Stellung in Aussicht und besitze außerdem zwanzigtausend Pfund für den Anfang.«

»Zwanzigtausend,« höhnte der alte Mann, »diese Riesensumme wagen Sie gegen die zweimalhunderttausend, die meine Tochter am Hochzeitstag erhalten wird. Eine gute Spekulation! Sie verstehen es, Ihren Vorteil und Ihre Liebe zu vereinigen. O, Sie brauchen natürlich kein Geld, ein uneigennütziger Mann braucht das ja nie, wenn er eine reiche Erbin heiraten will. Man nennt mich einen Geizhals, und wenn geizig sein heißt, daß man an die Macht und den Wert des Geldes glaubt, dann bin ich ein Geizhals.«

Erschöpft sank er auf seinen Stuhl, aschgrau, mit bläulichen Lippen.

»Setzen Sie sich,« sagte er mit Anstrengung und 7 wies auf einen Stuhl, »wir wollen zu Ende kommen.« Er lehnte sich zurück und wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn, fuhr dann aber rücksichtslos fort: »Ich will, daß meine Tochter alles haben kann, was mit Geld zu erkaufen ist, und das ist beinahe alles auf der Welt. Abraham Lamman hat bei mir um die Hand meiner Tochter angehalten, und ich habe ihm mein Wort gegeben, wenn er ihre Einwilligung erlangen kann.«

Der junge Armitage war durch diese Ankündigung auf das höchste überrascht. »Haben Sie Lamman nicht gesagt, daß ich –«

»Sie?« unterbrach ihn der Vater. »Wozu sollte ich Sie erwähnen?«

»Ich meine nur, er ist ein Freund von mir.«

»Heißt das, daß er nur mit Ihrer Erlaubnis heiraten darf?« Wieder brach der Zorn bei ihm hervor. »Ich sage Ihnen hiermit, junger Mann, es ist mein Wunsch, daß meine Tochter Lamman heiratet, und ich bin durchaus dagegen, daß sie Sie heiratet. Wenn Sie einmal Hunderttausend Ihr eigen nennen, dann fragen Sie wieder an. Und nun gehen Sie.«

»Darf ich Ihre Tochter noch sprechen, ehe ich gehe?«

Mr. Lee starrte ihn einen Augenblick an, bevor er antwortete.

»Gewiß,« sagte er kühl. »Sie würden es doch auf irgendeine Art zuwege bringen, sie zu sprechen. Am besten jetzt gleich; auf meine Tochter kann ich mich verlassen.« Damit drehte er sich seinem Schreibtisch zu, und Armitage verließ niedergeschmettert das Zimmer.

Das junge Mädchen hörte ihn die Treppe heraufkommen und sprang auf. »Nun?« rief sie ungestüm, »das hat lange gedauert. Hat er –« Trotz der matten Beleuchtung sah sie sein verändertes Gesicht, und der scharfe Blick der Liebe deutete den resignierten Ausdruck sofort richtig.

»Was bedeutet das, Phil? Er hat dich doch nicht abgewiesen? Seid ihr aneinandergeraten? Schnell, sag mir alles.«

»Dein Vater hat mich niederträchtig behandelt, Norma,« sagte er bitter. »Er nannte mich außer Mitgiftjäger noch Bettler, Lump und Lügner, und zwar mit dürren Worten. Er wünscht, daß du den Millionär Abraham Lamman heiratest.«

8 Sie seufzte nur leise.

»Wenn der Millionär nicht aufgetaucht wäre, hätte ich vielleicht eine Chance gehabt, so aber bin ich der Mitgiftjäger, der nur nach deinem Vermögen trachtet. Man kann ja gern ein Lump sein, wenn man nur über Millionen verfügt. – Nein, das wollte ich nicht sagen, denn Aby Lamman ist ein guter Freund von mir und brav und ehrlich wie nur einer.«

»Mir ist schon sein Anblick zuwider,« entgegnete Norma.

»So willst du ihn nicht heiraten?« flehte er eifrig.

»Nicht um alles in der Welt! Wie kannst du fragen.«

»Mein Liebling,« sagte er beruhigt. »Dein Vater wird sich wohl erst ein bißchen sträuben, aber bald genug nachgeben, wenn wir nur erst verheiratet sind. Je eher, desto besser.«

Er zog sie bei diesen Worten an sich, und sie widerstrebte ihm nicht; schon glaubte er gewonnenes Spiel zu haben.

»Phil,« flüsterte sie, »wir müssen warten, das siehst du doch ein, nicht wahr? Ich kann nicht gegen Vaters Willen heiraten. Mit der Zeit werde ich ihn schon überzeugen, er kann mir ja nichts abschlagen.«

»Warten, warten,« rief er, »und wie lange, Norma?«

»Wie kann ich das sagen? Bis ich Vaters Einwilligung habe.«

»Und wenn er sie nie gibt?«

»O, das wird er doch, Phil, sicher. Ich kenne ihn besser als du.«

Das Ohr des Liebenden hörte die leichte Zaghaftigkeit in ihrem Ton. »Wenn er es aber nicht tut,« drang er weiter in sie, »willst du mir dann versprechen, in drei Monaten – nein, sagen wir in sechs Monaten meine Frau zu werden? Willst du mir das versprechen?«

Seine Worte klangen nicht wie eine Bitte, sondern als habe er ein Recht zu fordern; dagegen aber lehnte sich etwas in ihr auf.

»Nein,« antwortete sie kühl, »so etwas verspreche ich nicht. Ich heirate nicht gegen den Willen meines Vaters.«

»Dann liebst du mich nicht, weißt gar nicht, was wahre Liebe ist.«

»Aber du weißt es!« gab sie spöttisch zurück. »Vor einer Stunde batest du demütig um einen leisen 9 Hoffnungsschimmer, und nun, wo ich dir törichterweise meine Liebe verraten habe, beleidigst du mich!«

»Beleidige ich dich, Norma?«

»Ja, du sagst, ich sei falsch, unbeständig und wisse nicht, was Liebe sei. Also gut, dann wollen wir nicht weiter darüber sprechen. Dann sind wir fertig miteinander.«

»Damit bin ich wohl entlassen?«

»Wie es Ihnen beliebt.«

»Leben Sie wohl, Miß Lee.«

»Leben Sie wohl.«

Er griff nach seinem Hut und Stock; im Grunde seines Herzens fühlte er wohl, daß er sie verletzt habe, und daß sie im Recht war. Er hätte sich ohrfeigen können und sie auf den Knieen um Verzeihung bitten, aber der Trotz war größer als die gute Regung. Unmutig, mit gesenktem Blick ging er durch das Zimmer zur Tür.

Seine Hand faßte schon den Griff, als eine leise Berührung ihn aufsehen ließ. Neben ihm war ihr errötendes Antlitz.

»Nein, nein,« rief sie, als er sie umfassen wollte. »Setz dich dahin, nicht so nahe, und höre mich an. Ich kann es nicht ertragen, daß wir so auseinander gehen. Ich glaube, daß du mich liebst – nein – bleib sitzen – Vater hat dich sehr häßlich behandelt, und ich darf dir nicht böse sein. Versuche aber einmal die Sache mit meinen Augen zu sehen. Ich liebe Vater, und er liebt mich. An meine Mutter kann ich mich nicht erinnern, er war mir Vater und Mutter, er hat mich nie gestraft, nur verhätschelt; er hat mich gepflegt, wenn ich krank war. Er würde mich auch jetzt es nicht entgelten lassen, wenn ich dich morgen heiratete.«

»Das sagte er auch,« stöhnte Phil. Er wollte ehrlich handeln, obwohl seine Hoffnung immer mehr schwand.

»Ich wußte es, ohne daß er es mir sagte. Er würde mir nicht zürnen, aber es würde ihm das Herz brechen, wenn ich so wenig Liebe für ihn hätte, daß ich gegen seinen Willen handeln könnte. Ich kann ihm seine große Liebe nicht so lohnen.«

»Du bist ein Engel, Norma, und ich bin nicht wert, deine Füße zu küssen.«

Vor ihrem Lächeln schwand seine Demut, er zog sie in seine Arme und küßte sie – wenn auch nicht gerade auf die Füße.

10 »Willst du auf mich warten?« fragte er flüsternd.

»Hundert Jahre, Phil.«

»Hoffentlich nicht ganz so lange,« rief er entsetzt, und beide mußten lachen. »Sagte ich dir, daß dein Vater einwilligt, sobald ich hunderttausend Pfund besitze?«

»Die hast du aber nicht, Liebster?«

»Ich kann sie aber vielleicht bekommen. Aby Lamman sagte mir mal, daß er zuweilen in einer Woche so viel verdient.«

»Ach, Aby Lamman!« Abneigung und Verachtung lagen in ihrem Ton.

»Ich wünsche gar nicht, daß du ihn gern hast, Liebchen. Mir ist er aber ein guter Freund gewesen und er kann mir vielleicht einen guten Tip geben.«

»Trau' ihm nicht.«

»Ich glaube, ich kenne ihn sehr genau. Nun wünsche mir Glück und sag' mir adieu.«

Der Abschied war lang und umständlich, und als sich endlich die Haustür hinter ihm schloß, fand das junge Mädchen ein kleines Medaillon auf dem Treppenläufer. Sie nahm es auf, öffnete es und fand ihr eigenes Bild darin. »O, du glückliches Mädel,« flüsterte sie, küßte es und verbarg es in ihrem Kleid.



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