Alfred Bock
Der Flurschütz
Alfred Bock

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9

Christine starrte wie betäubt vor sich hin. Draußen senkten sich die Schatten der Nacht. Über das Talgebreite trieb dunkles Gewölk, und es entlud sich ein schweres Gewitter. Blitz um Blitz und Donnergetöse, Schloßen prasselten wider die Scheiben. Der Aufruhr der Elemente berührte sie nicht.

Ihre Gedanken kreisten um einen Punkt: sie hatte des Flurschützen Antrag kommen sehen, hatte nichts getan, ihn abzuwehren. Was ihr geschwant, hatte sich erfüllt, nun war kein Bleiben mehr für sie.

Der Herrgott droben hatte sie hieher geführt, der Glaube wurzelte fest in ihr. Was er dabei im Sinn gehabt, das hatte er freilich nicht verraten. Da fragte man tausend Meilen hinauf, es kam aber keine Antwort herunter. Daß sie die Mummerei so lang mit sich herumgeschleppt, war sicher nicht Gottes Wille gewesen. Darum traf sie jetzt sein Strafgericht. Ein Strom von Tränen löste ihre Erstarrung. Jüngsthin hatte der Pfarrer gepredigt: wer Sünde tut, der ist 82 der Sünde Knecht. Das paßte auf sie. Eine Heimliche war sie ins Haus gekommen. Ihr Recht wollte sie fordern, wenn der Jakob sich zeigte. Darüber war bald ein Jahr vergangen. Dem Flurschützen galt sein Sohn als verschollen. Sie aber hatte beharrlich geschwiegen. Beim Flurschützen war ein guter Platz, sie konnte sich keinen besseren wünschen. Sonst hatte sie als Magd gehorcht, der Flurschütz ließ ihr freie Hand. Und sie hörte von ihm kein rauhes Wort. Wenn sie rückwärts sah, wie sie sich hatte ducken müssen, wieviele Stumper sie abgekriegt, so hatte sie wahrlich hier goldene Zeiten. Solch schönen Dienst gab man wissentlich nicht auf.

Für die Mannsleute im Dorf hatte sie gar nichts übrig. Dieser und jener schielte nach ihr. Immerhin, sie machte sich keine Gedanken darum und ließ sich mit Bauern und Knechten nicht ein.

Die Kameradinnen hatten sie einstmals verspottet, weil sie so arglos und weichherzig war. Ja, wie einen der liebe Gott geschaffen, so mußte man sich verbrauchen lassen. Der Jakob hatte sie elend gemacht, aus ihrem blutenden Herzen wollte sie ihn reißen und hing mit allen Fasern an ihm. Da konnte der Schönste, der Reichste kommen, sie hatte für sein Freien kein Ohr.

In der Stadt lag's ihr immer schwer auf der Brust, hier war ihr leichter zu Mut geworden. Der Flurschütz war manchmal obstenat – jedes Mannsbild hatte halt seine Naupen – doch war er ein echter rechter Mann. Zuerst hatte er sich vor ihr verriegelt, sacht sprang ein Schloß nach dem andern auf. 83 So saßen sie getraulich bei einander, als hätten sie während so gesessen. Vielmals war's ihr, als müßt' sie sprechen, Wort für Wort hatte sie parat, dann würgte sie's wieder in sich hinein, die Kehle war ihr wie zugeschnürt. Wer Sünde tat, der war der Sünde Knecht!

Einmal sonntags hatten sie abgegessen. Da guckte der Flurschütz sie so eigen an, so vernättert, sie wußt' erst selbst nicht wie. Nicht, daß sie's dabei gegrisselt hätte, nur überfiel sie eine Bangigkeit. Seit der Zeit verschloß sie abends ihre Kammer.

Zuweilen, wenn sie ins Backhaus ging, mummelten die Weibsleute: »Die Christine bäckt den Handschlagskuchen, beim Flurschütz ist etz bald Verspruch.« Eine Zeitlang war im Dorf das Gerede, sie seien mitsammen beim Pfarrer gewesen, fix werde die Aufbietung ausgehängt. Das trug man ihr alles geflissentlich zu, und der Flurschütz hörte wohl auch davon.

Selbigmal lag sie stundenlang wach im Bett und quälte sich nächts mit ihrem Brast. Durch ihr Fenster sah sie den Sternenhimmel, und ihr heißes Flehen flog hinauf:

»Du mein Heiland, du sitzst doch nebig dem lieben Gott, kannst mit ihm sprechen, wann du willst. Mach' du, daß he mir eine Weisung schickt. Ich vergräm' mich schier zu Tod, dann ich hab' mich schrecklich hineingelappt. Dem Jakob wegen sein ich in Dienst hier gangen – alleweil bringen sie mich mit seinem Vater zusammen. Ja, und 's ist nicht bloß das Gewäsch von den Leut, der Flurschütz tut freßlieb mit 84 mir. Behüt', daß er mich narren will, der hat's, schätz' ich, ganz ehrlich vor. Aber dadevon kann keine Sprach' nicht sein. Nein, du mein Heiland, so schlecht sein ich nicht. Ich bitt' dich um alles, was meinst du dann? Mach' ich mir leicht oder seh' ich noch zu? Gesetzt, ich verzähl' dem Flurschütz meine Sach'! He hat seine Plane im Kopf und ist im Stand und jägt mich fort. Dernach stehn ich auf der Gass' und hab' rein nix. Bleibt dann der Jakob ewig versteckelt? Nix Gewisses weiß man nicht. Ja, der kann heut und morgen kommen. Wann man nur ein Fünkchen Klarheit hätt'! Das Gegrübel alsfort bringt ein' um. Du mein Heiland, ich bitt' dich, führ' meine Sach'. Die Sündschuld martert mich fürchterlich. Wie hat der Lehrer zu Velda gesprochen: Falsche Mäuler sind dem Herrn ein Greuel. Ja schon, aber ich sein doch sonst keine Lügnerin. Lieber Heiland, bist selbst bei armen Leut gewest. Du weißt, wie's unsereinem ist. Was wollt' ich dann in meinem Leiden? Doch nix als so ein klein wink Glück. Gelt, etzern sprichst du mit dem lieben Gott. Derweil sein ich still und verlass' mich auf dich!«

So beschwichtigte sie das mahnende Gewissen. Woche um Woche ging dahin, Zeichen und Wunder geschahen nicht. Es kam der Herbst und die Kirmeszeit. Da hielt der Flurschütz um sie an.

Zweimal hatte sie nein gesagt. Aufgebracht war er davongegangen. Die Kränkung würde er nie verwinden. Sie fühlte tiefinnerst, nun war's vorbei. Morgen schnürte sie ihr Bündel und wanderte in die Stadt zurück. Aber vorher wollte sie alles beichten, 85 daß sie in Wahrheit und Reinheit schied. Ihr hatte kein Heiland, kein Gott geholfen, so war's wohl am besten, sie half sich selbst.

Von diesem festen Entschluß durchdrungen, stieg sie in ihre Kammer hinauf. Totmatt sank sie auf ihr Lager, aber kein erquickender Schlummer schloß ihre Wimpern. Kummervoll warf sie sich hin und her. Erst gegen Morgen forderte die Natur ihr Recht, und sie fiel in einen tiefen Schlaf. Als sie erwachte, stand die Sonne hoch am Himmel. Erschrocken fuhr sie in die Kleider und eilte in die Stube hinunter, doch hatte der Flurschütz das Haus schon verlassen.



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