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Die Prinzessin

Die in Schönheit strahlende Prinzessin öffnete ihren Mund und begann zu erzählen:

O ihr Jünglinge, meine Freunde, wisset, daß ich die Tochter eines Königs bin! Als einziges Kind meines Vaters verschwendete er an mich all seine Zärtlichkeit, die aber für mein Gefolge harte Strenge hieß. Auf meinen Wunsch ließ er im Park einen Palast bauen. In meinen Diensten standen Eunuchen und eine Leibwache. Meine Jugend war ungetrübt, ich wurde verwöhnt, jeder meiner kindlichen Wünsche fand Erfüllung. So führte ich ein heiteres, ungetrübtes Dasein bis zu dem Augenblicke, wo mir der Einfall kam, das öffentliche Bad aufzusuchen. In einer vergoldeten Sänfte, von vier Maultieren getragen und umgeben von meinem Gefolge, machte ich mich auf den Weg dahin. Als wir unterwegs an dem Bazar vorbei mußten, betrachtete ich mit Vergnügen das allgemeine Treiben. An einer Kreuzung gewahrte ich plötzlich in der Gasse der Tuchmacher einen Jüngling, dessen Schönheit die Umgebung erhellte. Kaum traf ihn mein Blick, als ich auch schon der Liebe verfiel. Meine heitere Ruhe war verjagt; schon als man mich, beim Bade angelangt, aus der Sänfte hob, war mein Gesicht von Tränen entstellt. Ich erfand für meine erstaunte Begleitung tausend Vorwände, die meinen Zustand verständlich machen sollten. Endlich drang ich darauf, daß man umkehrte, aber nun ließ ich meine Sänfte nicht mehr von Maultieren tragen, sondern von Sklaven. Diese bekamen noch von mir den Befehl, recht vorsichtig und langsam zu gehen. Für die anderen sollte das Schaukeln der Sänfte der Grund meiner Verstörung sein.

Nun konnte ich ganz aus der Nähe mich an ihm satt sehen. Er war ein noch recht junger Bursche mit flaumigem Bart, schwarzen Locken, die metallisch glänzten. »Niemand, niemand,« so sagte ich mir, »weiß, wie mir zu Mute ist!« Zu Hause angelangt, übermannte mich die Verwirrung, ich war unfähig, meinen Zustand zu verbergen. Meine schweren Seufzer weckten die Besorgnisse meiner Amme.

Als wir wieder einmal allein waren, faßte meine Amme Mut und fragte: »O, mein Liebling, vertraue dich mir an! Seit dem Tage, wo wir nach dem Bade gingen, ist dein Sinn so düster. Du öffnest mir nicht dein Herz, sagst mir nichts über die Ursache deiner Tränen. Beichte mir doch, ich werde in meiner Liebe zu dir sicher ein Mittel finden, das deinen Kummer heilt. Bemühe dich nicht, mir ein Geheimnis vorzuenthalten. Was du mir verschweigst, errate ich doch!«

.

Ich erschrak: sie weiß alles. »O, Amme, an jenem Tage sah ich an einer Straßenkreuzung des Bazars einen jungen Tuchweber, dessen Schönheit mein Herz verwandelt hat. Alle meine Anstrengungen, die Heiterkeit meiner Mädchenzeit wieder zu gewinnen, versagen.«

Meine Worte brachten die Amme aus der Fassung, sie kreischte förmlich: »Welche Reden führst du da! Gib acht, daß du nicht mit deinem Geständnis uns alle ins Verderben stürzest! Sobald dein Vater von diesem Vorfall Wind bekommt, wird er uns alle hart bestrafen! Der erste Blick bei so unerfahrenen Menschen, wie ihr es seid, hat gar nichts zu bedeuten. Vergiß nie, daß er nur ein Tuchweber ist, du hingegen aber eine Prinzessin. Gib dich nicht solchen Gefühlen hin, du entheiligst damit nur deine Scham. Wenn tausend Liebhaber dir nahen, welcher unter ihnen wäre würdig, von dir geliebt zu werden!«

Auch nach diesem Tadel, der voll ehrlicher Erregung war, mußte ich unter Schluchzen bekennen: daß meinem aufgeregten Herzen nicht zu helfen sei; daß sie nur ein Mittel zu ersinnen habe, das mich beruhigen könne; fände sie es nicht, so werde der Schmerz mich töten. Stürbe ich nicht daran, daß er nicht in meiner Nähe sei, so gäbe es nichts, meine Ungeduld zu beenden, als mich selbst zu töten. Einer plötzlichen Regung folgend, gab ich ihr mein kostbares Armband. Besser als alle Beweise, die ich hätte vorbringen können, wirkte dies Geschenk.

»Gut, gut, beruhige dich nur, fasse dich, ich werde gleich einen geeigneten Boten finden!« Sie sprang auf und begab sich nun selbst zu dem jungen Tuchweber, weihte ihn ein und gab ihm noch Weisungen auf den Weg.

Der junge Mann befolgte die ihm gegebenen Instruktionen, erhaschte den richtigen Augenblick, in dem er unbemerkt die Parkmauer erklettern konnte und versteckte sich sodann bis zum Anbruch der Nacht. Meine Amme, die mit mir alles anordnete, schickte die Diener schlafen und erst als sie sich an den Türen horchend von der Tiefe der Ruhe überzeugt hatte, holte sie den Jüngling aus seinem Versteck hervor.

Als dieser mein Zimmer betrat, glaubte ich den Mond mit seinen silbernen Strahlen aufgehen zu sehen. Beglückt von seinem Anblick zog ich ihn an mich und bedeckte, aller Scham ledig, sein Antlitz mit Küssen. Ich war allein mit ihm. Es schien mir unwürdig, jede Haltung zu verlieren. Um mich nicht ganz zu vergessen, bot ich ihm Speisen an. Ich nahm einen Apfel, schälte ihn, brach ein Stück ab und spießte es am Ende eines Messers auf. Entzückt von meiner Schönheit und der Anmut meiner Gebärde, überschüttete er mich mit den Versicherungen seiner Ergebenheit: »Wir lieben einander, niemand kann uns je etwas anhaben. Wir wollen niemals voneinander scheiden!«

Nach diesen einfachen Worten überfiel mich der Wunsch nach Zärtlichkeiten von neuem. Und wie in einer Liebkosung führte ich ihm selbst an der Spitze des Messers den Apfel zum Mund. Während ich dies tat, wollte es ein tückischer Zufall, daß mein junger Freund gerade in diesem Augenblick nießen mußte. Er stolperte förmlich in mein scharfes Messer, und dies mit solcher Gewalt, daß seine Gurgel bald durchschnitten war. Das kam für mich ganz rasch und unvermittelt. Erst als er mit einem gurgelnden Seufzer seine Seele entließ, begriff ich. Bei diesem Anblick schrie ich vor Angst auf, zerfleischte mein Gesicht. Meine Amme, aufgeschreckt von dem Lärm, eilte herbei, und als sie die Szene überblickte, jammerte sie: »0 Prinzessin, was hast du da getan!«

Nur stammelnd konnte ich ihr sagen, wie unvermutet uns da das Mißgeschick ereilt hatte. Der blutende Leichnam war so schauerlich anzusehen, die Furcht meiner Amme vor einer strengen Bestrafung durch meinen Vater so groß, daß sie erbleichend hinsank und starb. Ein Gallengefäß war ihr geplatzt. Oh, nun hatte ich zehnfachen Schmerz zu ertragen! Wo Liebe blühen sollte, herrschte jetzt Verzweiflung. Was tun?! Ich entschloß mich, den Kadaver des Jünglings in ein Zimmer zu zerren, von dem ich wußte, daß es nie betreten wurde. Dort versperrte ich vorsichtig die Tür und nahm den Schlüssel an mich. Die Leiche der Amme, die ich nicht von der Stelle gerückt hatte, bot einen so erschütternden Anblick, daß meine Verzweiflung offen ausbrach. Aus meiner Ohnmacht erwachte ich erst, als der Morgen herankam.

Das Gesinde hegte die Meinung, daß der Tod der Amme wie aus heiterem Himmel gekommen war. Man hatte sie hinausgetragen, bestattet, aber der Körper des jungen Mannes, den ich getötet hatte, lag noch immer verborgen. Nach einigen Tagen verbreitete sich der Geruch des verwesenden Kadavers auch in meine Gemächer und ich wußte nicht mehr, wo ich mich aufhalten sollte. Zudem zitterte ich, daß es jemand wagen könnte, nach der Ursache zu fragen. Dann wäre der Zusammenhang aufgerollt worden und ich hätte die ganze Strenge meines Vaters auf mich geladen. In steter Angst lebte ich dahin, in wachsender Ratlosigkeit.

Mein Vater hatte einen schwarzen Sklaven gekauft, der als sehr wohlerzogen galt und der auch bald nur zu seinen Diensten stand. Der Neger versäumte nicht, mich seiner demütigen Ehrerbietung zu versichern. Mein Gefolge liebte es, mit ihm zu lachen und zu plaudern. Eines Tages kam der Neger, als niemand bei mir war. Da ich keinen Rat mehr wußte, wie ich mir helfen sollte, wandte ich mich an ihn und erzählte ihm die Geschichte meines Unglücks.

»0 Frau der Frauen, wisse, daß man sich in der Stadt zusammenrottete, um diesen jungen Mann zu suchen, und daß man schon hundert Leute, die man verdächtigte, auf die Folter spannte! Nun zeigt es sich, daß du ihn ermordet hast. Wenn du es verstehst, dich mit mir gut zu verhalten, so will ich dir helfen und den Leichnam verscharren. Wenn nicht, so werde ich nicht zögern, deinem Vater alles zu verraten!«

Vergeblich warf ich mich ihm zu Füßen, umklammerte flehend seine Knie, bot ihm Geld und Gold. Er nahm alles an, aber am Ende der Rechnung überfiel er mich und raubte mir die Jungfräulichkeit. Noch in der Nacht des gleichen Tages holte er den Leichnam des jungen Mannes und begrub ihn heimlich. Jeden Tag zwang er mich, seinen Wünschen willens zu sein. Den Grimm meines Vaters fürchtend, schloß ich die Lippen, und in dieser Haltung einer Erstarrten, Verstummten beschlief mich dieses Tier. Wo war ein Tod, der mich erlösen konnte?

Eines Abends sammelte sich die Leibwache zu einem Gelage. Jeder nahm seine Geliebte mit, und, um in dem Neger ein Opfer zu haben, das man verspotten könne, lud man auch ihn ein. »Du darfst mit uns halten, nur mußt du dir die Dame deines Herzens mitbringen!«

»Tut nicht so groß! Ihr alle, die ihr euch versammelt habt, seid nichts als Knechte meiner Geliebten!«

Aufgebracht ob dieser Worte, warf man ihm tausend Beleidigungen an den Kopf, er aber soff immer ungebärdiger. Endlich schlich er sich von dem Gelage weg in mein Gemach. Und an meinem Kopfkissen zerrend, zischte es an mein Ohr: »Auf, auf, erhebe dich, sonst werde ich deinen Vater herbeibitten müssen!«

Fürchtend, daß er, berauscht wie er war, seine Drohung ausführen könnte, folgte ich ihm gehorsam. Ich hatte mir aber heimlich ein Betäubungsmittel zugesteckt. Nun nahm ich kühn inmitten der Trunkenen Platz. Ich machte ihnen den Mundschenk, und jedesmal, wenn ich von einem zum andern gehen mußte, goß ich zum Wein das Schlafmittel. Ich ermunterte die Trinker.

Man hatte vorerst seinen Augen nicht getraut, starrte mich an wie eine Erscheinung und sank erst allmählich wieder, getrieben von meiner frechen Art der Anfeuerung, in den Zustand besinnungslosen Rausches. Einen Augenblick solch allgemeiner Auflösung machte ich mir zu Nutze, warf mich auf den Neger, entriß ihm sein Türkenschwert und hieb ihm seinen Kopf ab, mir wohl überlegend, daß ich hier mit dem Verräter beginnen mußte. Dreißig Personen beförderte ich so ins Jenseits, bevor noch die Morgensonne aufging. Wie gewöhnlich lag ich in meiner Schlafstätte, als man die Kadaver wegtrug. Niemand erriet den Urheber dieses Blutbades. Von dem Neger war ich befreit. Ich trauerte nur dem Verlust meiner Jungfräulichkeit nach. Als einige Zeit vergangen war, kam ein Prinz, hielt um meine Hand an und bekam die väterliche Einwilligung. Damals hatte ich eine Dienerin von so seltener Schönheit, daß ich mich nie von ihr trennen konnte. Als die Nacht kam, in der man mich meinem Gatten anvertrauen wollte, zog ich meiner Dienerin das Brautkleid an. Und als mein Gatte sich mir näherte und die Einleitungen immer deutlicher wurden, entschlüpfte ich, mit der Ausrede, mich reinigen zu müssen. Er möge nur einen Augenblick Geduld haben. Ich löschte die Lampe aus und verständigte meine Dienerin. »Eile in die süße Umarmung meines Gatten. Nachdem er dir deine Jungfernschaft geraubt haben wird, erst dann werde ich kommen und das Licht wieder anzünden. Er ist betrunken und wird nichts merken.«

Bevor die Dienerin ging, behelligte sie mich noch mit der Frage, wieso ich eigentlich meine Jungfernschaft verloren hatte. »Durch einen unglücklichen Zufall – Sturz von einer Leiter.« Es schien, als genügte ihr diese Erklärung und sie eilte nun, um das Glück der Umarmung nicht zu verzögern. Ich folgte ihr ganz leise und wartete, aufrecht stehend, am Fußende des Bettes den Augenblick ab ...

Es seufzte einer in den Armen des anderen, ich aber blieb ruhig, bis ich meiner Sache gewiß war. Als mein Gatte fest eingeschlafen war, kitzelte ich meine Dienerin am Fuße, zum Zeichen, daß es nun Zeit sei.

»Was willst du von mir?«

»Erhebe dich, damit ich deinen Platz einnehmen kann!«

Aber anstatt zu gehorchen: »Geh, Schamlose, sei still, sonst werde ich meinen Liebsten aufwecken, und er wird dich, statt zu kosen, verprügeln!«

Was tun? Nur der rascheste und kühnste Einfall konnte mir helfen. Ich schlich aus meinem Brautgemach, ging ins Freie, blickte um mich und bemerkte, dem Palaste angebaut, eine Hütte, die ich voll mit ausgetrocknetem dicken Rebholz wußte. Ich setzte den Schuppen in Brand und als die Flammen hoch aufschlugen, schrie ich laut und es eilten gleich von allen Seiten Leute herbei. Ich suchte rasch das Zimmer auf, weckte meinen Gatten, der sogleich nach dem Balkon stürzte. Bald waren beide auf der Terrasse und blickten von hier aus auf das nahe Feuer. Ich trat hinter beide, drängte meine Dienerin an die Rampe und warf sie dann mit einem leichten Stoß in die Flammen. Hernach zerriß ich mir meine Kleider und benahm mich, als wäre ich nun durch diesen Unglücksfall in Verzweiflung geraten. Man beeilte sich jetzt, den Brand zu löschen, damit der Palast nicht in Gefahr komme.

Es gelang auch, die Gefahr abzuwenden. Mein Gemahl konnte mich bald in das Gemach zurückführen und seine Zärtlichkeiten waren nun viel kühner, jetzt, wo er mich über einen Schaden zu trösten hatte.

Um meine Lieblingsdienerin zu ersetzen, brachte man mir am nächsten Morgen eine neue schöne Sklavin.

Endlich hatte ich alle Gefahren besiegt und lebe nun seit sieben Jahren in einer glücklichen Ehe, die mir sieben Kinder brachte.

»Wie auch immer das Vertrauen sei, das dir jemand einzuflößen versteht, verrate ihm nicht die Geheimnisse deines Herzens. Mache niemanden zum Mitwisser deiner Taten, wenn du wirklich den Schutz der Götter genießen willst. Befolge diese Mahnung, sonst wirst du dich bald in nutzlosen Klagen erschöpfen!«


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