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Zukunft

I.

Der Friede ist ausgebrochen, doch noch lebt jene große Zeit, die keinen in Frieden ließ. Ultimatum des Völkerbunds aus einer Jules Verne-Kanone wird nächstens den Sirius zum Anschluß auffordern, widrigenfalls dieser Planet in Verschiß des Seniorenkonvents erklärt wird. Auch der Mann im Mond muß Farbe bekennen, weil ihm deutsche Luftboote neuester Konstruktion verdächtigen Ferienbesuch abstatten. »Deutsche Agenten«, Abkömmlinge der »Pitt und Koburg« im Terreur, hießen bekanntlich alle, die in Ententeländern das Wort Frieden aussprachen, selbst der brave Harvard-Münsterberg, der sein Buch »Amerika und der Friede« durch untertäniges Wilhelmkapital um jede Wirkung brachte, leitete solche Agentur. Die Patagonier versicherten, sie verständen die Welt nicht mehr, und wollten für Geld und gute Worte die Leibkompagnie des 1. Garderegiments auffressen. Entrüstung der Kongoneger, daß man in der Reimser Kathedrale Kinder röste, bis einem das Wasser im Wund zusammenläuft, machte sich gern erbötig zu intensiver Geruchverbreitung von gebratenen Menschenfleisch. Daraufhin verschickte eine Gründung mit besonderen Hintergedanken, limited, im Paternoster-Row Prospekte authentischer Hunnenkadaverölfabriken. Als ein englischer General nachher öffentlich die schneidige Lüge gestand, grinste man: schadt nichts, nur immer feste druff! Dagegen wollte ein Sachem der Sioux beim Skalpieren bleiben, der edle Mann nahm nach geistlichem Zuspruch mit geistigen Getränken ein Missionspatent für Marterpfähle, empört über unlauteren Wettbewerb deutscher Barbaren. Die Papuaneger erinnern sich keiner solchen Gaudi wie der Durchpeitschung deutscher Frauen und Kinder auf Neuguinea mit hoher obrigkeitlicher Bewilligung. Es war eine Lust zu leben. Schnoddriele d'Isonzio spendete eine Versanthologie Cadornascher Wetterberichte, reich illustriert, wie Filmriese Maciste seine eigenen Kollegen in österreichischen Uniformen verhaut, bei welcher Schwächung italienischer Wehrmacht Rom illuminierte – gewidmet dem Herzog der Abruzzen mit seiner Anspielung auf romantische Zuneigung der Abruzzenbewohner für Lösegeld der Inglese. Das waren Patrioten, wie sie im Buche stehen, und wenn der britische Theaterkönig Beerbohm Tree auf amerikanischer Propagandatour durch Autounfall den Heldentod starb, so bestraft dies seinen schnöden Witz, »die englische Bühne kommt auf den dressierten Hund«, weil er damit nur deutsche Unteroffiziersdressur gemeint haben kann und er selbst die Bühne auf den Hund brachte, in deutschem Auftrag natürlich! Drüben bewachte er wohl die 100 000 hölzernen Pferde, womit transatlantische Griechen das deutsche Troja überschwemmen wollten. Dagegen heimelte es rührend an, daß heimkehrende Poilus schwarze Angebinde in den Wiegen fanden, »Brüderlein fein, Schwesterlein klein«, Fledermauskuplet patriotischer Hingebung: so sorgte man treu für Stärkung der Hinterfront.

Solchen Hexensabbath und Höllenbreugel sollen wir vergeben und vergessen? Wir danken für solches Pazifistenobst und andere Südfrüchte. Der haarsträubenden Unwissenheit des Belgiers Vandervelde »40 Jahre deutscher Herrschaft rechtfertigen nicht den Elsaßraub« diente sogar der Franzose Bertourieux: »Zweihundert Jahre französischer Herrschaft beseitigen nicht achthundertjährigen deutschen Besitzstand«. Nur die Frankenkönige bis zum Vertrag von Verdun besaßen das Elsaß, das waren aber mit Verlaub Deutsche, besonders Charlemagne, der kein Wort romanisch verstand. Noch zu Goethes Studienzeit blieb Straßburg kerndeutsch, auf dem Wiener Kongreß verlangte man Rückerstattung, der Rechtsbegriff blieb so unverschiebbar, daß Bismarck vor 1866 Österreich zu gemeinsamer Rückeroberung der Reichslande einlud. Lothringen fiel erst unter Ludwig XV. definitiv an Frankreich, dort donnerte noch unter Rudolf von Habsburg gegen päpstlichen Hochmut der Bischof von Toul als deutscher Patriot. Aber natürlich: bricht Preußen den Tilsiter Frieden, heißts Verrat; bricht Frankreich den Frankfurter und dazu den Pariser Frieden von 1815, so triumphieren Freiheit und Recht. Denn ihm sind auch Saarbrücken, Mainz, Landau, Köln »gestohlen« worden, nicht minder Italien, Spanien und Niederlande, »Anschwemmung der französischen Ströme Rhein und Maas.« Am Genfer Konferenztisch gähnt natürlich der mit Exoten gespickte Völkerbund über jede historische Vorlesung, Schlafkrankheit aus dem Aktenstaub als Verdauungssiesta entwickelt. Was kümmert diese Pazifisten, daß sie nach Sankt Wilsons Grundsätzen Indien, Ägypten, Südafrika, Cypern, Gibraltar, Malta oder Nordafrika, Indochina, Madagaskar, Syrien oder Tripolis, Massaua oder Korea, Kiautschou oder Kuba, Havai, Philippinen räumen müßten!

Keine gelbe Presse New Yorks wendet die gelbe Gefahr ab, Chinas Kohlenschätze machen noch Indiens Baumwolle und Manganerze konkurrenzfähig, Europas neidgelber Friede läuft durch östlichen Schimmer noch gelblicher an und kriegt die Gelbsucht. Ein prinzlicher Wärter der Friedensindustrie ging in hoher Lohe seines Undeutschgefühls mit der Zumutung hausieren, um die hochnotpeinlichen Torturen der Versailler Schreckenskammer zu beschönigen, man hätte lieber gleich die Neger in Berlin einziehen lassen sollen! Heut weiß man, daß die Pariser Großmut sich in Wohlgefallen auflöst und auch noch Neuauflage eines separatistischen Rheinbundes für ihr verbrieftes Recht hielt. Der wirkliche Hunne Clemenceau (nachweislich blieben Hunnen in seiner französischen Heimat sitzen, sein Schädel beweist die Abstammung) richtete Selbstbestimmung der Völker so ein, daß man von einem Bein aufs andere sprang, mal ins Geleise der Nationalität, mal in das der Geographie. Das Polonisieren glich der Zustimmung des weisen Polonius, jede Wolke gleiche dem Tierchen, das Hamlets Pläsierchen sei: die Untertanen wechseln Farbe und Rasse je nach Belieben der Kabinettsjustiz für Freiheit und Recht. Gräßliche Unwissenheit der Angelsachsen (ein bekannter Autor legt Leibnitz' »Beste aller Welten« Voltaire in den Mund, der gerade dagegen stichelte) kennt auch keine Selbstbesinnung. Der alte Friede von Versailles beim amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, wo Frankreich die schon verbratenen Kastanien aus dem Feuer holte, wird nicht durch Wilsons Verbrechen rückbezahlt. Nemesis straft immer ethisch. Über Belgien schwebte Astralrache unzähliger durch König Leopolds Profitwut gemeuchelter Kongoneger. Wenn die Flamen Franzosenfeinde seit Schlacht von Courtrai gegen Philipp le Bel bis 1814, wie französische Spezialschrift zugibt, so wird ihre heutige Unterdrückung gerechte Strafe für Verwelschung ihrer Maeterlink und Verhaeren. Freilich bleibt auch deutsche Welschgängerei sich immer gleich. Da schwärmten Graf Yorks Weltgeschichtsskizzen für »das begabteste Volk Europas«, er klagt, daß Franz I. sich mit den Türken gegen Deutschland verbündete, als ob Louis XIV. dies nicht allerchristlichst nachahmte und die Republik sich dem Zarismus verschrieb. Der Michel als germanische Blutmischung steckte auch dem Longobarden Garibaldi im Leibe, der stets ausgeplünderten »lateinischen Schwester« liegt erst heut französisches Patronat zu schwer im Magen. Bei uns aber geht das Rheinbundgespenst noch immer um, ein bayerischer Major lehnte sich auf, Bayern habe ältere Kultur und Geschichte als Preußen! Hält er fränkische Reichsstädte für bayuvarisch? Bayerns Geschichte meldet nur, daß es sich gegen Deutschland mit den Habsburgern, gegen Österreich und Preußen mit den Franzosen verbündete. Doch die norddeutschen Protestanten gaben ihnen nichts nach, setzten Henri II. der sich frech »Schirmherr deutscher Freiheit« nannte, als Reichsvikar in Metz ein und zauderten aus Zank und Scheelsucht, gegen den herausgeforderten Karl V. rechtzeitig das Schwert aus der Scheide zu ziehen. Preußens Baselei 1795 und 1805 nebst überstürztem Ultimatum 1806 mutet so bekannt an: so pendelte die Wilhelmstraße, die eigentlich in Potsdam lag, ringsherum und ballte nach kalten Wasserstrahlen die Faust im Sack, statt das Präveniere mit des Degens Schneide zu wagen. Friedrich, der es wagte, klagte über »widernatürliche Allianzen« gegen das kleine Preußen, Ententeverschwörung wusch sich noch auf dem Wiener Kongreß die Hände, wo Wellington Allianz mit Frankreich und Österreich gegen Preußen in der Tasche trug – vor Waterloo! Auch der Zarismus, seit Bestutchef auf Preußenfeindschaft eingestellt, begönnerte nur zeitweilig die deutsche Großfürstinnenstuterei, Wilhelms I. Briefwechsel mit Orlich lehrt, wie wenig er sich auf Rußland verließ.

Was sagt man vollends zu französischen Sozialisten, die bei Jaurès' Ermordung keine Sturmglocke läuteten und später frech von deutschen Genossen ein Schuldbekenntnis erpreßten? Der greise Genosse Hyndman, der englisch-französisches Arbeiterleben als »Hölle« und deutsches als vorbildlich malte, machte im Weltkrieg wacker die Verschmelzung englischen Größen- und Verfolgungswahns mit. Also täusche man sich nicht: Gallische und englische Nationalpsyche unterwerfen sich stets dem Imperialtrug ihrer Machthaber, die »mit mathematischer Sicherheit« schadenfroh Deutschlands Vernichtung prophezeiten und doch den Selbstwiderspruch der Fälschungsfabrik ersannen, daß Siegfried von der Potsdamburg herabstieg, um harmlose Riesen zu überfallen. Solcher Wahnsinn war allzeit Methode. Die Feder sträubt sich, wenn Pfarrer Fidchett vom heiligen Befreiungskrieg in Spanien schwafelt (für englische Absatzmärkte gegen Kontinentalsperre!). Als italienische Freiheitsmärtyrer an Nelsons Raaen baumelten, sang England ein Tedeum über Sieg der Freiheit und hörte später entgeistert Byrons Vers: »O könnte endlich England klar erkennen, wie niemand seinen Namen noch verehrt, wie alle Völker auf die Stunde brennen, die seine Brust bloß legen wird dem Schwert!« 1892 beschrieb ein kostbarer Aufsatz Napoleons Missetat bei Kriegseröffnung, englische Zivilisten und Matrosen einzukerkern: Daran erinnerte sich der arme Sünder auf St. Helena! O du natürlich perfides Albion! (denn wie könnte Dein Ausbeutergeschäft ohne Perfidie auskommen!) Ahmtest du ihm nicht in weit größerem Umfang nach, als die Isle of Man für so viele Huns ein Helena wurde? Das war sicher »glorreich«, wie alles in Englands Geschichte. Unentschiedene Kanalschlacht 1794 heißt »der glorreiche 1. Juni«, Nelsons Kopenhagenattentat besang Campbell als »glorreich«, weshalb wohl Lord Fisher glorreichen Überfall von Kiel empfahl. Friedens- und Neutralitätsbrüche sind Englands heiliges Vorrecht, doch wenn Zeppeline im Krieg London bewerfen, so ists Riß durch die moralische Weltordnung. Wellingtons Zorn über Massenas Portugalverwüstung vergaß, daß er selbst zuvor Gleiches befahl. Jammern über Erschießung der Spionin Cavell und des Mörders Fryatt glich dem Diebesschrei: haltet den Dieb! Wer nannte je Kaperkreuzen des Yankee Jones oder des Briten Trelawney Piraterie! Doch unsere U-Boothelden hießen Piraten, weil die viel zahlreicheren englischen und französischen Submarins nichts konnten, das machte den Unterschied! Solch bewußtes und unbewußtes Selbstbetrügen ist der ärgste Greuel. In Brice's Greuelkommission gabs eine Reise-um-die-Welt-in 80 Stunden für den Scherz, daß ein belgischer Kronzeuge »benighted«, d. h. übergeschnappt war, weil er zwei Säuglinge spießen sah – obschon das Foreign Office in ungesundem Anfall von Ehrlichkeit dies alles ins Reich der Hysterie verwies. Schon angemeldet beim Jüngsten Gericht und Leipziger Reichsgericht! Doch wirkliche Kriegsverbrecher, englische, wie Steffen Grahams Tagebuch eines Gardefreiwilligen sie naiv vorführt – dies Kind, kein Engel ist so rein! In solcher Schule geben selbst Kosaken ein Handbuch für Hunnengreuel heraus, ihre Gänsehaut beim Ausreißen sträubte sich besonders über Adams Sündenfall bei Kalusz, wo sie in den sauren Apfel boshaft hinterlassenen deutschen Branntweins bissen und dann bei erotischem freiem Walten – die Liebe und der Suff, das reibt den Menschen uff – von deutschen Schlangen überrumpelt wurden! Northcliffes Kodaks verewigten alte Kischinew-Pogroms mit der Unterschrift »deutsche Greuel in Belgien!« Eine Herzogin als freiwillige Krankenschwester und viele andere mochten über die Dummgläubigkeit der »Inselpharisäer« (Galswerthy) sich ereifern, dafür tat man sie in Boykott. Von den Moritaten der ritterlichen Franzmänner (ähnlich den britischen in Irland, Spanien, Indien) legte de Sade eine Dokumentensammlung an, den Sadismus erfand er nicht, den kannte schon Gilles de Rhetz zur Zeit, als englische Lords und Pfaffen einst die von ihren adligen Waffengenossen als unbequeme Plebejerin verratene Jungfrau verbrannten. Wer glaubt da noch an Lockerung britischer und gallischer Wahlverwandtschaft! Heute wird England vorsätzlich Frankreichs Handlanger, denn »die auf Englands Brust gerichtete Pistole« (Napoleon) Antwerpen wird heut ersetzt durch viel nähere Küstenbedrohung aus Calais und das könnte unangenehm werden.

Wo zum Altar des Völkerbundes Prozessionen wallfahrten – Melodie: die Scharwacht hält das Schwert gezückt – schmeißt man sich schon die Friedenspfeifen an den Kopf – Melodie: In Friedenau, da ist der Himmel blau – doch er ist dunkel voll Donner und Blitzen. Durch schmelzende Arien solcher Mikadooperette, wo die schöne Marianne als Geisha lockte, dröhnen schon ferne Trommelklänge, doch preußisches Avanciersignal piept nur verstohlen in die Janitscharenmusik der Weltpolitik hinein. Michels kleinlauter Verzicht möchte Händedrücke von irgendwelchem Ausland eintauschen, dessen Psychologie er immer noch nicht lernte. Nur Franzosen besitzen die Frechheit, »Reunions« für grobes Raubrecht zu erfinden, wie einst die Römer ihr Annektieren »Zurückbringen« ( redigere) tauften und für die Briten freie Buren schon »Rebellen« hießen. Fenelons Hirtenbrief brandmarkte damals den Elsaßraub, später erging an den Konvent die Elsässer Petition, er möge das »vom Tyrannen Louis gestohlene« Land den rechtmäßigen Eigentümern zurückgeben. Ja, prost Mahlzeit, da kennt man die Franzosen jeder Couleur schlecht, die heute das gleiche Stückchen am Rhein und Saar aufspielen. Michel aber will sich »verständigen«, wenn die Biedern uns alles verzeihen, was sie uns angetan! Michels Einfälle scheinen zwar verflucht gescheit, doch sind herzlich dumm zu nennen, wenn seine Koofmichseele, Revolution mit Besitzverschiebung und Lohnerpressung verwechselnd, sich auf »Wirtschaft« beschränkt und politisch verzichtet. Handel folgt der Flagge, die günstigen Absatzbedingungen in Asien, wo nur deutschen Waren nicht allgemeiner Boykott droht, werden null ohne Machtrückgrat. Unser Erbfeind wird nie die Krallen einziehen, man kann nicht jeden Funken von jedem Pulverfaß fernhalten, unbeachteter Zündstoff vermehrt Explosionsgefahr, wenn man das Faß nicht mit der Axt einschlägt und das Pulver mit beherzter Ferse auseinanderstäubt, dann braucht man nicht mehr jeden Funken zertreten. Englische Seeräubermoral wird stets Deutschland die Fliegenflügel zerzupfen, solange sein wunder Arm in der Binde liegt. Ein Ressortchef französischer Trughistorie wie Hanotaux wird nie ehrlich gestehen, auf welchem krummen Weg sein Richelieu zum Elsaß kam, für Wilsonische Geschichtkunde wird Straßburg stets französisch und die Hansestadt Danzig urpolnisch bleiben. Wie die Freiheitsstatue über Mammonsburg New York, sollte diese Menschheit sich ein Höchstes Wesen bildhauern: die allmächtige Lüge. Gott hat man abgesetzt, denn unmöglich darf man ihn glauben, da man ihn doch weder betrügen noch bestechen könnte. Graf Coudenhoves Paneuropa will nur noch Rußland-Asien und Angelsachsentum als Agens anerkennen, wogegen sich Deutschland und Frankreich vereinen müßten: auch das ist Illusionsphrase. Nichts regiert als Isoliertheit schmutzigen Interesses, Betrügen von Fall zu Fall, Verständigung gilt nur auf Kündigung. Weltkrieg erschlug nicht den Krieg, Gewaltfriede verewigt ihn. Was erschlagen werden sollte, der Mammonsmechanismus, die seichte Geistlosigkeit oberflächlicher Gier, das blieb leben herrlich und in Freuden! Die Kriegermillionen sollten freilich das Gruseln verlernt haben und lachen: Schützengraben 999, det bin icke, mir imponiert nischt! Nein, sogenannte Demokratie blieb leere Hülse, man brauchte nicht vor Mißbrauch beim überstürzten Baugerüst zu warnen, denn Staatssozialisierung ward nur zur alten Staatsgötzerei umgebogen. Unter den mit Knallerbsen gefüllten Donnerrohren der Presse – Druckerschwärze ist heut schwarze Magie – winkt uns die heilige Zuversicht: Unsinn, Du siegst und ich muß untergehn. Statt Pflichten gebt Rechte, vor allem dem Geist das wahre Recht auf Arbeit! Die alte Lügenlosung, daß Pflichten und Opfer für beliebige Regierungen zu bringen seien, schirmt heut die Aufwertungs-Großdiebe.

II.

Des Imperialismus Glück und Ende liegt in ihm selber vorbedingt. Sobald Richelieu den monarchischen Zentralismus an den Roi Soleil vermachte, vererbte dieser an die Jakobiner den terroristischen Militär- und Polizeiapparat und bürokratische Einheitsmaschine. Diese, mit Chauvinismus geölt, brachte Napoleon in Schwung, bis ihr Rückstoß ihn selbst zerschmetterte, heut setzten sich die festgefahrenen Räder wieder in krampfhafte Bewegung. England verkaufte sein Erstgeburtsrecht freiheitlicher Verfassung fürs Linsengericht imperialen Machtwillens, »Briten werden nie Sklaven sein« hieß der Fälschungsrefrain zu »Britania, beherrsche das Meer!« Einst hoffte Spanien nach Schlachten der Henne, daß sie noch goldene Eier lege, doch Aussaugen der Kolonien raubte dem eigenen Volke die sittliche Kraft, scheinbare Weltmacht gibt sich selbst den Todesstoß in Ohnmacht unnatürlicher Expansion. Wenn Annunzio den Egoismus heiligt, sollte ihn schon Venedigs Schicksal belehren, daß Imperialismus umsonst nach innen eiternde Wunden mit Purpur verbindet, solch Verbandzeug wirkt nicht antiseptisch. Wie Spanien seine West- und Ostkolonien durch gemeinsamen Rat von Indien aus Madrid plünderte, so England das riesige Hindustan durch Londoner Kompagnie, deren Verwandlung in Vizekönigstum nur merkantilen Baumwollenschwindel ins Bürokratische übersetzte. Frankreich beteiligte sich am internationalen Gründertum schon durch Laws Missisippiaktien, Suez- und Panamaaktien, Syndikate für »Zivilisierung« Afrikas besorgten Imperialpolitik, die in England ihr reifstes Basiliskenei ausbrütete. Deutschland und Italien lehnten freilich politischen Zentralismus (gleich finanzieller Trustamalgamierung) ab, deutsches Wahlkönigtum förderte freie Gliederung der Stände, doch wie bei griechischen Freistaaten gegenüber mazedonischem und römischem Imperialismus schwächte Dezentralisierung im rohen Daseinskampf. Ursprünglich litten die Westvölker unter weit ärgerer Zerfahrenheit, doch Nationalstolz gegen das Ausland überwand jede Hemmung auch kultureller Rückständigkeit, so daß das früher bettelarme, durch stete Bürgerkriege verwüstete England sich 1600 mit einem Sprung in die Vorderreihe der Kultur stellte und das bis Heinrich IV. ähnlich heimgesuchte Frankreich seit 1650 sein Zivilisationszepter nicht mehr aus der Hand legte. Unser Nationalepos besingt die Nibelungentreue, weil sie den Deutschen so bitter mangelt, nicht mal ihrer geschichtlichen Vergangenheit bewahren sie Treue, sonst hätten sie nicht das Geflunker mitgemacht, sie seien eine junge Macht und junge Kultur. Die Emporkömmlinge an Seine und Themse vertuschen umsonst, daß wir lange vor Dante als Literaturgewaltige prangten, schon Otto III. wollte nicht feudale, sondern geistige Kulturherrschaft der Deutschen. Und sozial? In England lächelte Richard III. boshaft, wenn das von jeder Despotenlaune ausgeplünderte London mit Privilegien prahlte! Heinrich VIII. und die Heuchlerin Elisabeth legten den Grund aller sozialen Übel, die »Sternkammer« als nationale Folterkammer blieb Vorbild verzopfter Klassenjustiz bis ins 19. Jahrhundert, während schon unsere Reichskammergerichte einen wirklichen Rechtsstaat vertraten. Unter Jakob II. wurden politisch Mißliebige als Sklaven verkauft, die »glorreiche« Verfassung mit unerhörtem Wahlschwindel nahm erst 1831 menschenwürdige Formen an. Wer mit chauvinistischem Purzelbaum sich auf den Kopf stellt, sieht alles verkehrt. Den überheblichen Westvölkern führten schon »Über Deutschland« der Staël, »England und die Engländer« von Bulver zu Gemüte, daß Deutschland ungleich mehr Behagen und Freiheit genieße. Wohl fiel schon beim Armagnachhandel das berufene Wort von Frankreichs natürlichen Grenzen, doch die Elsässer halfen sich selbst gegen den französischen Marder, der bis Richelieu nur scheu den Taubenschlag umstrich. Erst das Pendeln der Reichsstände zwischen Österreich und Preußen machte das graue Elend der Serenissimi und Staatsprofessoren zu ständiger Institution der Entmachtung, die noch heute Eifersüchteln der »Länder« untereinander aufrechterhält.

So wird die zahlenmäßig und energetisch stärkste Europarasse, die fleißigste und begabteste, durch sich selbst herabgewürdigt, weil sie statt brutalen Machtwillens der Westvölker immer nur bornierte Obrigkeiten als Führer des Volkes ins Treffen führt. Kusch dich, Pudel, das ist der Wahrheit Kern, der Kasus macht uns freilich nicht lachen, sondern den Zauber wünschen, daß der Pudel sich plötzlich in den Löwen des furor Teutonicus verwandelt, was alle Jubeljahre mal vorkommt. Ein echter Kulturkämpfer vom absinthfrohen Boulevardier zum cocktailduftigen Wallstreetbörsianer erdrosselt noch heut die Boches mit der Lügenschlinge, denn 50 Millionen hat das Quai d'Orsay für großzügige Propaganda verschenkt, nachdem schon vor dem Krieg 3 Millionen russische Schweigegelder unabhängigen Blättern den Mund stopften. Wenn Friedrich keine »Salbe« für siebenjährige Wunden bekam, streut man uns noch Pfeffer hinein und kein Versuch ehrenwerter Briten und Franzosen, den trennenden Blutstrom des Kanals oder Vogesenlochs zu überbrücken, glückte bisher. Obwohl die Briten ein Haar in der versalzenen Suppe fanden und den geplanten Kanaltunnel keiner Probe aussetzen möchten, bleibt ihre Regierung im alten Franzosenbann, Frankreichs böses Gewissen stiert heut gar durchs Binger Rheinloch. Giftpillen verhindern jede Gesundung. Durch Entfettung des bleichsüchtigen Europa wird auch amerikanische Überproduktion abmagern. Nachdem er seiner Nationalsitte des Ausspuckens Genüge tat, schnitzelt heut Onkel Sam nach seiner anderen Gepflogenheit tiefsinnig am Stock herum, den er gegen seinen besten Kunden Deutschland schwang. Churchills »business as usual« singt man nirgendwo mehr. Den Mussolini, früher französisch orientiert, trieb jetzt Kausalität vom »Großen Orient« weg ins gallierfeindliche Lager. Italien erinnert sich, daß sein Bahnnetz auf Gotthard und Brenner eingestellt, wie das Rußlands auf Berlin und Wien, daß geographisch-wirtschaftlich wie einst geschichtlich der dünne »Stiefel« sich wie Fortsetzung Mitteleuropas ausnimmt. Doch auf neue Bundesgenossen ist so wenig Verlaß wie auf Pazifistensäuseler und Demokratensänge eines unruhigen Unruh. Nur ein Donnerstreich der unerforschlichen Mächte wird uns plötzlich ungeahnt von unseren Blutsaugern befreien, vielleicht für immer. Leichengift verzehrt Leichenräuber, »auch Patroklus ist gestorben, und war mehr als Du.«

III.

Wird etwa Frauenstimmrecht Staatsbildung verbessern? Während die Männer oft grüne Jungen bleiben, die von erfundenen Madonnen den Ablaß ihrer eigenen Sünden erbetteln, bleibt dem nüchternen starken Geschlecht Kannegießerei ein Greuel, Realpolitik seinem unverbildeten Naturwesen eher angemessen, als männlichen Phrasenschwatz, den das nie schwärmende und nur mit Praktischem arbeitende Weib über die Achsel ansieht. Im femininen Bienen- und Ameisenstaat gehts verdammt realistisch her. Nun, die angeblich Weiber verachtenden Griechen schoben alles Segensreiche den Göttinen zu, selbst die Kriegskunst der Jungfer Athene neben dem Bramarbas Ares. Doch Unterrocksregierung der »jungfräulichen« Elisabeth oder nie jungfräulichen Katharina, die sich von Potemkin prügeln ließ und zur platonischen Liebe mit Platon Zuboff herabsank, während Queen Beß sich morganatisch mit dem Giftmischer Leicester und die geistvolle Maria Stuart mit dem wüsten Boswell vermählten, hatte nicht ethische Vorzüge vor männlicher Maitressenwirtschaft. Manche Damen des dreißig-siebenjährigen-Befreiungskrieges machen erfreulichen Eindruck, doch in der Franzosentid poussierte das keusche Gretchen den Landesfeind und hätschelte im Weltkrieg französische Gefangene. Auch hier Charakterlosigkeit würdig ihrer Männlein, während die Französin ihren schlechten Ruf nur jener Ehebruchsliteratur verdankt, mit der ihr unritterliches Männerpack, das sie an der Leine hält, Revanche nimmt. Nicht zufällig gebar Frankreich die reinste Jungfrau von Orleans, die vornehmste Heldengestalt, auch Madame Sans Gene (Dragonerrittmeisterin Therese Figeur) hatte viele ähnliche soldatische Kameradinnen. Nie aber heischte die Französin Suffragettenrechte, denn seit den Damen der Fronde kannte sie ihre Macht hinter den Kulissen. Wenn heute energische Frauenzimmer erklären, Deutschlands Wiederaufbau könne nur durch seine Frauen gelingen, so spürte man bisher oft nur Zeitungsinserate an des Teufels Großmutter oder kindische Sentimentalität für »unseren Kaiser« oder kindische Verliebtheit in pazifistische Popanze. Ob Opfermut und Pflichttreue der Mütter für die eigene Familie den Übergang zum Altruismus bedeuten, scheint dem Skeptiker fraglich.

Das kommunistische Gemeinwesen des uralten Inkasstaats, den die Götzenchristianität der Conquistadorenverbrecher zermalmte, erbaute sich auf Grundlagen eines frommen sanften Volkes mit dem Königsoberhaupt als Hohepriester der Sonne, die auf all ihre Menschenkinder gleichmäßig niederschaut. Nur unter solcher Weihe kann Eintracht der Daseinsbedingung willig angenommen werden. Pseudosozialismus als natürlicher Sohn des antisozialen Materialismus treibt nur den geisttötenden Staatsbegriff auf die Spitze und untergräbt jede geistige Freiheit. Bei ihm ist alles Scholastik und Marx' Lehre beruft sich auf Hegels Abstrakta. Die Zornrufe des Alldeutschen Chamberlain, der jeden Nichtdeutschen für einen Paria erklärte, möchten wir nicht nachtönen, seinen Deutsch-Größenwahn erachten wir für ebenso irreführend wie Spenglers Orakel, daß nur Preußentum und Sozialismus uns förderlich seien als antiindividuelle Massenorganisierung. Freilich finden Demagogen Unterhalt und Unterhaltung in Pfaffenpfründen marxistischer Dogmatik, wobei die Straße als Kathederprofessur dient, doch gibt es ja ehrlich besessene Scholastiker von den Kirchenvätern bis zu Häckels Neunmalweisen. Die Marxisten wollen einfach das für alles Erkennen gültige Gesetz der Wechselbeziehung nicht erkennen, Löwen und Esel aufs gleiche Prokrustesbett schnallen, gröbliche Störung des Kräftespiels, ohne welches selbst die äußere Materie in Unordnung geriete. Sie experimentieren am untauglichen Objekt, indem sie Dinge zu erfassen glauben, während sie nur gegen feindliche Iche antiindividualistisch zu Felde ziehen und gar nicht von realen Dingen, sondern subjektiven Ideen ausgehen, die sie mit Pfaffenintoleranz jedem aufzwingen möchten. Plechanow brachte heraus, daß Marx nicht von Hegel, sondern Feuerbach inspiriert wurde, Lassalle folgte sowohl Hegel als Fichte, schrieb aber ein Buch über Heraklit den Dunkeln, den der gelehrte Sozialismus für einen Exponenten der Aristokratie ausgibt. Herr, dunkel ist der Rede Sinn, doch Marx selber hüllt sich in heraklitisches Dunkel, da manche seiner Sätze tödlich für Arbeiterdiktatur lauten, denn bei angeblich ewigem Wechsel der Produktionsverhältnisse können sie übermorgen anders sein als morgen und morgen einem anderen Verhältnisse entsprechen als heute. Hegels dialektische Methode definierte das Weltphänomen, daß alles, was ist, schon deshalb vernünftig sei. Er ließ sich gefallen, daß dies damals als Sanktion des Berliner Polizeistaats galt, während dann logisch auch Revolutionsgreuel vernünftig sein müßten. Wir gehen nicht auf Philisophisches des Sozialismus ein, stellen nur fest, daß all seine Gründer auch in Frankreich – ähnlich wie Adam Smith, als er Nationalökonomie in zwei verschiedenen Werken auf ganz verschiedene Basis stellte mit völligem Selbstwiderspruch – die soziale Entwicklung nur abstrakt theoretisierten, ohne sich zu handgreiflichen Tatsachen herabzulassen. Letztere besagen deutlich: Solange es eine Menschheit gab, bestand allzeit Abstufung in Kastenglieder, nur deren Wechselbeziehung ermöglicht pulsierendes Leben. Sklaventum und Leibeigenschaft werden als Begriff nie wegfallen, in anderer feinerer Form (siehe des Großkapitalisten Ford Bestrebung) immer wieder nötig erscheinen, man kann ihn aufs humanste mildern, aber nie entfernen. Aus jedem Kommunistenstaat würde sich erneut eine Oberschicht herausbilden. Gedankengänge von Marx und Engels belustigen in ihrer Verkennung, daß nur Individuelles auch in Völkerpsychologie die Dinge regiert und die Fabrikarbeiterschaft sich ganz zu Unrecht als Normalproletariat gebärdet, während sie als Erbe von Handwerk und Bauernschaft nur ein Produkt der Maschine bedeutet. Zerschlüge man die Maschinen, wie Chesterton vorschlägt und Herbert Spencer indirekt bestätigt, so entstände eben ein anderes Proletariat und die soziale Magenfrage ließe sich nicht mehr in die Fabrik einsperren. Ersetzt Elektrizität die Kohle, die nur bei Vergasung ihren Wert behielte, so wird Betriebsvereinfachung soziale Umwälzung, wie einst Entdeckung Amerikas dem Seehandel andere Bahnen wies. Eine größtenteils arbeitslos werdende Arbeiterschaft müßte dann ins Bauerntum zurückfluten, und da dafür die Äcker nicht ausreichen, überschwemmt man notgedrungen fremden Boden wie zur Völkerwanderungszeit. Die Internationale ginge dann von selber in die Brüche.

Ungleichheit individueller Anlagen ist ein Naturgesetz, das jeder gewaltsamen Verkünstelung spottet. Zwischen Bauer und Junker aber besteht innerer Zusammenhang, beide hassen die Städter und Proletarier, solche natürlichen Gegensätze können weit eher monarchisch als republikanisch überbrückt oder verkleistert werden. Nur Fälschung redet der Moderne ein, Monarchie sei ein überwundener Standpunkt und Republik le dernier cri, genau umgekehrt sind alle Anfangsstadien der Gesellschaft anarchisch-republikanisch, was auch fürs Mittelalter gilt, wo Feudalismus auf zentrifugale Republik hinauslief, in der man den Titularkönig nur als Präsidenten, Primus inter pares, betrachtete. Republikgründung in der Schweiz und Amerika setzte primitive Verhältnisse voraus. »Ein König ist nicht in der Natur, nur in der Kultur«, dies Monumentalwort Napoleons gleicht einem Austerlitz-Zentrumsstoß ins Innerste der Dinge. Allzeit fiel Gründung der Monarchie mit Ausreifen des Kulturstaats zusammen. Augustus, Louis XIV., Elisabeth, Philipp II. entsprachen natürlichem Bedürfnis zur Abrundung des Höchststandes der Kulturgesellschaft. Napoleons Satz, ein Thron sei nur Holz und Samt, tastet den Thronbegriff selber nicht an als uraltes Symbol für Natürliches. Wenn Mommsen es den Fluch der Monarchie nennt, daß höchstens einmal in 100 Jahren ein König diesen Titel verdiene, so darf man eben die Anforderungen nicht zu hoch spannen, denn nur einmal saß ein wahres Genie auf legitimen Thron und das war ausgerechnet ein Hohenzoller. Aber sind Genies – ein mißbrauchtes Wort, das nur dem Höchsten zukommt – etwa sonst etwas gebräuchliches? Der schlechteste Cäsarismus erwies sich zeitlich dauerhafter als die von steten Zuckungen fiebernde Parlamentsregierung Alt-Roms. Keine Zahlenkabbalistik wie in Spenglers und Kemmerichs Tafeln kann vorausbestimmen, wann Alexander den Hellespont und Cäsar den Rubikon überschreitet, prophezeien läßt sich nur, daß derlei in der Luft liegt. Daß die deutsche Republik einen Cromwell oder Bonaparte gebären müsse, ist an sich falscher Vergleich von ganz Verschiedenem, da Deutschland keineswegs politisch um 250 oder 120 Jahre hinter den Westvölkern zurück war und nun erst in gleiches Stadium eintritt, sondern im Mittelalter mit Ständegliederung, starkem Bürger- und Wahlkönigtum weit vorausging, daher seine Entwicklung wesentlich eine andere sein muß. Künftiges deutsches Kaisertum steht vielleicht im Zeichen freier Wahl, nicht durch Kurfürsten, sondern Volksentscheid, ohne aber damit altes Herrscherrecht eines geschichtlich vorgezeichneten Geschlechts anzutasten. Richtigkeit und Wichtigkeit des monarchischen Gedankens, wie Schopenhauer ihn mal klar formulierte, wird sich durch Bankerott des Parlamentarismus erst recht stärken.

Mussolini als bedeutendster Staatsmann der Gegenwart begriff die nationalistische Zeitströmung, die Sans-Patrie werden allmählich selber die eingeimpfte Lauge der Internationale abstoßen, denn dies chemische Präparat widerstrebt den roten Blutkörperchen der Volksseele. Natürliches Empfinden der Arbeiterschaft weiß so wenig davon, daß der in England für Juli 1914 angesagte Generalstreik sofort unterblieb, sobald die Regierung Kriegsgefahr versicherte, und anfangs unsere Sozialdemokratie kräftig für Nationalkrieg eintrat, wofür ausländische Genossen sie als aussätzig behandelten, während sie selber das Nämliche taten. Heute dämmert in Arbeiterkreisen die Erkenntnis, daß kein Proletariat das Geringste von Internationale zu hoffen hat. Die lieben Franzosen verschafften an Ruhr, Rhein, Saar zu gediegenen Anschauungsunterricht, gleichsam eine Revue des Nationalhasses.

Wir hörten: »Nationalsozialismus«, was meinte Hitler? Nationale, die sozial, Soziale, die national fühlen? Nichts besseres könnte man wünschen, leider gibt es zwar national gesinnte Sozialisten, aber wenig Völkische mit sozialem Empfinden, man darf es den Gegnern nicht verdenken, wenn sie darin nur Falle sehen. Schlagt die Juden tot? Die meisten Inflationsdiebe sind recht teutonischer Abkunft. Das Schlagwort »gegen den Marxismus« scheint Marx für einen Bolschewisten zu halten, im Gegenteil träumt sein »Kapital« von Selbstzersetzung der Hochfinanz, Enthaltung von Gewaltsamkeit prägte er seinen Jüngern so ein, daß sie keinen Terror gegen all jene Putschisten übten, die sich beim Umsturz feige ins Mauseloch verkrochen. Niederwerfung der wahren Novemberverbrecher verdankt man Noske und Auer, frivole Lohnstreiks trotz der im Ebertprozeß dargebotenen Zweideutigkeit mißbilligte die offizielle Sozialdemokratie stets und die proletarischen Raffkes büßten heute mit verminderter Entlohnung für falsche Auslegung von Angebot und Nachfrage. Wenn die Großindustrie zu schlau für sie war, so hatte sie dabei das eisernste Lohngesetz auf ihrer Seite: Ruin der Wirtschaft wird Ruin der Arbeit. Für Sozialisierung war weder die Zeit reif noch hatte die Futterkrippe-Republik dazu den Mut. Hitler ahnte nicht, welch unlauteren Interessen »nationaler« Großhändler er diente. Er wolle keineswegs das Alte zurückführen, seinen Hintermännern wars aber nur darum zu tun, seine wirre Völkischheit für Wiederkehr des Alten auszunützen. Vom militärischen Staatsstreich darf man nicht das Wunderbare erhoffen, sofern er von jenen Händlern finanziert wird, denen sowohl Vaterland als Monarchie nur so teuer sind wie ins Ausland verschobener Devisenramsch oder etwaiges Ergattern von Titeln und Orden. Wir warnen inständig vor »nationaler« Finanz, die jede gebührende Steuerlast Marxismus schimpft und nur Einen herbeisehnt, dessen Titel lauten müßte »von Plutus' Gnaden Kaiser«. Wehe, wenn er solche Verpflichtung vergäße! Plutokratie bedient sich royalistischer Maske nur aus Wut gegen sozialistische Profitstörung, sonst wäre ihr die Republik hochwillkommen. Gotteswille, wie Chamberlain so rührend an Hitler schrieb, bedeutet allen Großhändlern: Trusts aller Länder, verbrüdert Euch! Wollte ein aufgeklärter Monarch gegen diesen Stachel löcken, so wäre er bald erledigt, sofern er sich dem goldenen Käfig anvertraute. Deshalb heischt Logik der Verhältnisse, daß der Kaiser, der für uns die Rolle Napoleons und Cromwells spielen müßte, nie im Namen der heiligen Dreieinigkeit Großfinanz, Großindustrie, Großagrarier einziehen darf. Er hat Napoleons Titel zu führen »Kaiser der Deutschen durch den Willen der Nation.« Jeder ausschließliche Rechtsputsch brächte zwar nicht den Bürgerkrieg, falls einer den Monk spielen möchte, bei der Kugelscheu der Demokratie, zumal weder Bürger noch Bauern die Barrikaden-Ballonmützen segnen würden. Aber Frankreich lauert nur darauf, Tanks und Flugzeuge am deutschen Volkskörper zu probieren und wer füllt unsere Bataillone, wenn die Arbeiter den Waffendienst weigern? Wer finanziert den Scherz? Jene Kreise, die trotz Tiraden und Gesten zum Stimmenfang eher für Erfüllungs- als Kampfpolitik zu haben wären, die in der Aufwertungsfrage ihre Wähler verrieten, den Reparationskommissar mobil machten mit aufgelegtem Landesverrat? Nur Massenerhebung des ganzen Volkes führt zur Abschüttlung des Jochs, vorausgesetzt, daß das Schicksal es durch besondere Katastrophenschiebung ermöglicht. Nur ehrliche Sozialmonarchie schafft eine Einheitsfront zur Wiederherstellung deutscher Rechte und Vergeltung uns zugefügter Unbill, Errettung aus internationalen Klauen. Wer maßlosen Antisemitismus verdammt und weiß, daß Lasalle und Marx für deutsche Einheit schwärmten, und dem Bund der Frontkämpfer jüdischer Konfession nicht Achtung versagt, meint damit noch nicht, die Juden seien sündenlos. Wer die Sozialdemokratie gegen Übertreibung ihrer Schuld verteidigt, spricht sie damit noch nicht frei von Schädigung des Gemeinwohls durch ihre amtlichen Satrapen. Wer die Demokratie nicht als Gottseibeiuns fürchtet, begrüßt sie noch nicht als Himmelstochter. Wer die alten Offiziere und Beamten, deren Bestechung durch übermäßige Pensionen dieser feigen Republik mißlang, wohlwollend würdigt, belächelt doch ihre kindliche Einstellung, als ob Kasernierung heute noch Vaterlandsrettung bedeute. Stinnes und Hugenberg halten sich ihre gekaufte Zeitung, sonst halten sie nichts von Geistigem. Köter bellen die fixe Monomanenidee »Juden raus«, dann wird sich alles alles finden ... in den Kassen ausländischer Banken. Clemenceau und Lloyd George verständigten sich in Verehrung Robespierres, der sich solchen Gedankenaustausch imperialistischer Blageurs verbitten würde: so konfus schwätzt Opportunismus seine Sprüche.

IV.

Wegen pechschwarzer Gegenwart darf man die Vergangenheit nicht rosenrot vergolden, immer sentimental am falschen Platze dem Alten reine Märtyrerglorien dichten. Doch dem Ausland gegenüber bedeutet demokratische Mehrheit die alte Rückschrittpartei. General Buat bekannte offen, Deutschland hätte gewonnen, wenn es seine Volkskraft aufs äußerste gestrafft hätte wie Frankreich. Die Verabschiedung anderer als vorgespiegelter Furcht vor Deutschland verdankt man der Verachtung des Auslands für unsere hämische Volksvertretung. Schon Aufbauschung des Zabernkrawalls bot Wetterzeichen, woher der Wind wehte. Botschafter Cambon meldete treuherzig, Bayern werde nicht für Preußen marschieren, man glaubte an Promenade militaire à Berlin. Erst als die Glocke Mitternacht schlug, beleuchtete ein greller Blitz den Abgrund, daß nur unsere unerhörte kriegerische Überlegenheit die Verhängung eines noch schlimmeren Loses verhinderte. »Wir werden die Deutschen zu Europas Heloten machen«, auf einer Phantasiekarte blieb vom Reich nur noch Thüringen übrig, heute klagt verbissene Wut, daß nicht der wahre Zweck der Übung erfüllt sei: völlige Zertrümmerung. Davor hat uns, während Greys gnädige Beruhigung seines Hofnarren Lichnowsky über »Englands Nutzen beim Friedensschluß« ein Fetzen Papier blieb, das »fluchbeladene« Kaiserreich genügend geschützt. Doch All-Michelei unserer Geschäftshuber läßt Hermann nie unter Roms Schwert fallen, sondern unter Meucheldolch seiner Landsleute, deren Charakter, treulos wie Rheinbundstruppen, auch an plötzlichen Feigheitsanfällen leidet gemäß Napoleons Speiwort: »ebenso aufgeblasen im Glück wie niederträchtig im Unglück«. Goethe nannte das Nibelungenlied eine Bibel deutschen Wesens – nun, heimtückischer als Hagen den Siegfried in den Rücken schießt, können selbst Schupoleute nicht heimkehrende Oberschlesienverteidiger mit den Gummiknüppel bearbeiten. Ein römischer Autor, der mit Varus in Syrien lebte, nennt die falschen Syrier harmlos im Vergleich zu den Germanen, von denen Kleists Varus meint: »So kann man blondes Haar und blaue Augen haben und doch so falsch sein wie ein Punier«. Selten gegen den Landesfeind, stets gegen eigene Volksgenossen kehren die Deutschen ihre unberechenbare Roheit heraus, umsonst singt der Nibelungenstolz: »Es ließen sich nicht scheiden die Fürsten und ihr Heer, sie ließen von der Treue zueinander nun nicht mehr«. Verrat zieht sich als roter Faden durch unsere Geschichte, früher von Fürsten, heute von Demokraten, selbst gegen Friedrich den Großen frondierte der Adel unter Prinz Heinrich, selbst vor dem Befreiungskrieg gab es welschgehende Junker und kriechende Koofmichschieber. Der Sozi Ledebour rief im Reichstag: »Welch edles Volk die Franzosen sind!« Die Gallierrepublik verlegte ihre Raubmörderkonferenz bezeichnend in den Versailler Rokkokopomp, keine romanische Demokratie verleugnet den cäsaristischen Zug, selbst in Amerika rast nur Gewaltherrschaft des gewählten Regierungspöbels unter Mitjohlen der Volkssouveränität, dieser Außenfassade und Lockspeise. Jede Demagogie knebelt mit schrankenloserer Willkür als je fürstliche Autokratie. Der dicke König verwarnte Kant, schon sein Nachfolger sagte schlicht: »Fichte hat Händel mit dem Herrgott, mir schadts nicht«, Jakobiner würden Kant auf die Verdächtigenliste setzen und Fichte hinrichten, die Pariser Zensur verbot Sardous »Termidor« wegen Majestätsbeleidigung der Demokratenlegende. Der alte Staatsbegriff glich wenigstens einem auf Paragraphen eingeschworenen Justizkollegium, der republikanische kennt keine Magisterbedenklichkeiten, er geht aufs Ganze.

Den bürgerlichen Liberalismus in kosmopolitischer Kinderstube brandmarkt Mereschowkys »Reich des Antichrist« als Vorfrucht des Bolschewismus und droht Europa, weil es Rußlands Untergang zuließ, denn die weit ärgere Schandtat, das gebildeste Kulturvolk zu erdrosseln, scheint ihm Nebensache. So herrscht überall nur beschränkter Ichwahn. Seine Ungeschicklichkeit nennt Michel Ehrlichkeit, er belügt sich, selbst wo er sich anschwärzt, um »Kriegsverbrecher« zu denunzieren, unsere Judasse sind sich über das »Belgien zugefügte Unrecht« so einig wie Schweizer Spießer. Ach, die bösen Alldeutschen wollten wie Marlowes Tamerlan »gegen den Himmel marschieren«, diese armen schwarzen Schafe, deren kleiner Parteistall nicht das kleinste Echo in der Wilhelmstraße weckte, während alle Überpatrioten der Entente grunzten gleich »fünfhundert Säuen« und ihren Völkern dabei kannibalisch wohl war und ihre Bestialität sich gleich herrlich offenbarte. Da fielen unsere Brillmagister von den Ratsstühlen, wie einst der Regensburger Reichstag, wenn welscher Übermut seine Allongeperücke zauste. Die Narrenkappen schüttelnde Professorenweisheit, deren aufdringliche Segnungen sich das Ausland verbat, erbrach beim Rütteln des Weltkrieges lauter Gase. Als Lichnowsky, der in Grey den Ausbund aller Tugenden verehrte – Nicholson brauchte dafür einen Vergleich aus dem Tierreich – seine heimischen Kollegen als Neidhintertreiber seines Bremsversuchs anklagte, zeigte solche Ungeheuerlichkeit, welcher patriotischen Pflichttreue er unsere Staatsmänner fähig hielt. »Unser Kaiser« war uns »die Sonne«, Italien bundestreu, Wilson leidenschaftlich neutral, die Neugierigen des Munitionsschiffes Lusitania wurden erst noch gewarnt, dabei aber ertappte exterritorialer Einbruchsdiebstahl Wilsonscher Polizei das täppische Angebot an Mexiko und Japan und verbotene Wege des allzugeschäftigen Papen, dem Sabotage ein Pappenstiel war. Und was änderte sich heut unter Stresemännern und Luthern, die nie eine Wittenberger These anschlagen, nie eine Bannbulle verbrennen würden! Wir blieben die Alten. Volksaufläufe auf Weidenplätzen politischen Verbrechertums brachen nichts Neuem eine Gasse. Plötzlich demokratische Professoren stellten zunächst Verfassungspapier her statt billige Lebensmittel. Strolchewisten, die sogar die Villa ihres analphabetisch ABC-Hoffmann plünderten, ein Familienidyll zum Kranklachen, lösten doch nur die schmierigen Jobber ab, die heut über geschäftliche Unmoral wimmern und doch höchstens die zehn Gebote hielten: laß dich nicht erwischen! Bildungszuchthäuser akademischer Seminare heut ohne staatliche Subvention? hatten sie je Raum für Unabhängige wie Eugen Dühring? Heute müßte Kleist sich geradeso erschießen. Der Eisner-Genosse Edgar Steiger hinterließ einen Brief: Dazu halfen wir den Arbeitern, damit die geistigen Arbeiter Hungers sterben! Das All-Gemeine speit heute den gleichen Streberauswurf, während das Großkapital hohnlächelnd seine Säcke türmt und Pöbelraubgier umsonst auf Schädelpyramiden zum ersehnten Mammon hinaufklettern möchte. Nur zur Plünderung der Wäschestücke und Orden im Kaiserschloß schwang der Janhagel sich auf, doch in jener großen Zeit, wo sich jeder ein Maschinengewehr mit nach Hause nahm, hatte man heilige Scheu vor Kugeln, die ihre Adresse nicht erreichten. Das Staatsphilistertum mit Auslese des Mittelmäßigen wird nie aussterben. Il y a des juges à Berlin? Ebensogut könnte man faseln: Il y a des fourbes à Rixdorf. Buridans Esel zwischen zwei Heubündeln tutet Ya, Echo des blöden Hurra von rechts und links. Kausalität braucht zwar Scheidewasser, nicht Scheidemänner, doch nicht so, daß nur Klassenkampf von Eigennutz gegen Eigennutz tobt und der Fabrikarbeiter sich geradeso wie der Feudalbaron für Protoplasma sozialen Erstgeburtsrechts hält. Diktatur des Proletariats schmuggelt nur durch Hintertür den alten Gewaltstaat wieder herein. Der sogenannte historische Materialismus spielt mit lauter falschen Karten. Die Kirchenväter Marx und Engels gaben noch den »Zufall« großer Männer zu, die das Rad beliebig vor- oder rückwärts drehen. Aus Marx' eigener Synthese folgert nur, daß bei steter Veränderung der Produktionsmittel die Sozialdemokratie morgen geradeso veralten kann wie das Kapital. Während im rohen Kräftespiel nur das Schwert den Knüppel zerhaut, wie Louis' Pariser Dezemberputsch die Arbeiterjunischlacht, auf was beruft sich der geforderte Altruismus? Die Natur kennt nichts dergleichen, also auch nicht die Naturwissenschaft, in die sich heute jede soziale Freimauerei drapieren möchte. Solchen Luxus können nur wahre Übermenschen als Überschuß ihrer Kraft abgeben und auf wen kann sich die soziale Gerechtigkeit allein berufen? Nur auf den Gott-im-All, den haltlose Menschenvergötterung leugnet. Man betet zur mythologischen Göttin der Vernunft, hinter deren Tempel sich Freudenhäuser verstecken, wobei man separate Heuchlerkapellen für hohe Herren erbaut.

Ohne Enthusiasmus sei nie Großes geschehen, sagt Kant, doch wer erwartet ideale Impulse von Parlamenten, da Ch. Hartmann das englische Unterhaus den »größten Advokatenklub der Welt« nennt. Kommunistische Revolte aber endet immer wie die englische Wat Tylers, deren Gleichheitsschwindel höchst gleichartiger Panik verfiel, sobald die Köpfe der Führer vor straffer Reichswehr zu Boden rollten. Chamberlains Schrift: »Demokratie und Freiheit« fälscht freilich den Obrigkeitsstaat zum Regiment geistiger Freiheit um, doch Demagogenwirtschaft kennt weder Geist noch Freiheit.

Kant macht Metaphysik für »das wahre dauernde Wohl der Menschheit« verantwortlich, geißelt aber zugleich die Verdummung der Wissenschaft, den »Pöbel der Vernünftler«, der sein Sprüchlein herleiert, »freie Bahn dem Tüchtigen«, womit er Staatsexamina der Halbbildung meint. Doch vom Bolschewismus Kulturverjüngung zu erhoffen, ist kindischer Aberglaube. Die Natur macht keine Sprünge, die Germanen der Völkerwanderung und selbst die Türken waren staatlich und religiös gegliedert, fingen nicht die Welt gleichsam von vorne an, und ob die Sophienkirche später Moschee hieß, fällt unters Relativitätsgesetz. Jedenfalls siegte hier junge Naturkraft. Doch alkoholisierte kannegießernde Proletenhorden ohne Verständnis für Geistheiligtümer spenden nicht Jungbrunnen, sondern erst recht Degenerierung. Auch Thomas Morus schloß in seine »Utopia« den Religionskult ein als einzig mögliche Fürsprache bessernder Gesellschaftsänderung, Zwangssozialismus der Vielzuvielen wird stets Utopie bleiben, ohne metaphysisches Bedürfnis, dies tragikomische Selbstbekenntnis des innerlich feigen Egoismus, der sonst nur in Staats- und Kirchenautorität dem verhaßten Idealismus einen falschen Wirkungskreis einräumt. Wo das Proletariat nur Futterkampf auf seine Fahne schreibt, hat heiliger Egoismus der Herrschenden und Besitzenden das gleiche Lebensrecht, dem »Pack« nicht als Packträger dienen zu wollen.

Daß man einige Pfeiler und Ornamente des alten Systems abbricht und dem Neuen einige Opfer schlachtet, verbessert nicht die Nationalpsyche, wo goldenes Kalb und Priapus des Arbeiters Herz geradeso erfreuen wie des frischfreifröhlichen Ausbeuters. Das alte System war an sich noch keineswegs »fluchwürdig«, sondern paßte sich dem Gesetz der Wechselbeziehung des naturhaft Ungleichen besser an als das gewollte Prokrustesbett der Gleichheitspöbelei. Sie möchte das vom »Racker Staat« gefesselte Individualrecht erst recht zertreten. Seelenlose Mechanik, freiheitsfeindlich in ihrem Wesen, weshalb ihr erster Begründer Hobbes das Gottesgnadenrecht der Stuarts heiligte, zerstört den Hebel jeder Befreiung, erst müßten die Menschen sich von ihrer eigenen Bosheit und Dummheit befreien. Hussiten und Puritaner schöpften Möglichkeit ihres Sieges nur aus Verquickung des politischen mit religiösem Idealismus. Wie die Erdrinde nur ein Prozent der Erdkugel beträgt und doch die feurige Unterschicht niederhält, warum sollte nicht Gleiches organisch im Staatsleben bestehen! Doch erst wenn Zusammensetzung der Obrigkeiten auf rein geistiger Auslese beruht, kann der gefräßige Dickhäuter Demos gebändigt werden. Das Rhinozeros ist halbblind, verfehlt daher sein Ziel, wenn es im Galopp attakiert, doch zertrampelt dabei die Felder. Man muß ihm eine Weidehürde schaffen, wo es sich einpferchen läßt. Manchem Schwärmer müssen dann die Augen übergehen, wie leicht schwachsichtige Massen, in der Irre herumspaziert, sich müde um jeden Futtertrog kauern, den ihnen ein Wärter vorsetzt. Von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit wird man nicht satt, die Arbeiter huldigten Napoleon, als er ihnen das Recht auf Arbeit zumaß.

Völkerbünde stiften ohne gemeinsames seelisches Band? Sprache, Sitte, Charakter trennen die Völker. Chauvinistische Eitelkeit, von Herrschenden absichtlich genährt, zaubert jeder nationalen Unwissenheit ihre Gottähnlichkeit vor. So ist Goethegeplapper professoraler Mißbegriff besonderen Reifetyps für alldeutsche Philister, während bei Anmaßung der Gallier und Angelsachsen nicht ihr Kulturverdienst, sondern Banausengüter der Gloire den Ausschlag geben sollen. Da Geschwindigkeit keine Hexerei, kann man Altgewordenes auf Kommando neu zuschneiden oder demokratischen Phantomen ein Scheinleben einflößen? Zwar singt der balladeske Baron Münchhausen ehrlich »der Adel ist des Fürsten und nicht des Landes«, doch Blutadel stammt nicht von Fürsten und der Strolchewismus möchte umsonst eine glatte abgewalzte Tenne zustampfen, auf der kein Gras vornehmen Lebens mehr wächst. Ein Kommunistenführer heißt richtig Toller, Tolle steckt man in die Zwangsjacke, wenn sie natürliche Ungleichheit mit Daumschrauben verrenken möchten. Wenn Napoleon sagte »ein König ist nicht in der Natur«, so gibt es dort auch apriorisch keine Freiheit, eine liebknechtende Armeleutdiktatur verschleiert nur ihre Unterdrückerwut mit Falschmeldung durchtriebener Gelüste.

V.

»Wir heißen Euch hoffen«, dies Goethewort wollen wir nicht aufgeben, nach so viel Bußen muß den Deutschen ein Ausgleich tagen. Schon viele Makkabäer und Leviten, die dem Landesfeind gefälschte Dokumente schweifwedelnd apportierten, traf der rächende Strahl. Doch nach Erfrechung der Massen kommt jetzt wieder alter Schund der Ordnungshüter für Orden und Sittlichkeit, um den Geist mit heuchlerischen Schmutz- und Schundgesetzen zu knebeln und ein neues eisernes Hauskreuz an neue Gitterstäbe zu schmieden. Doch hantiert solcher Gegendruck etwa verlogener als jene Pazifistenschläue, die mit gleißendem Salböl das Stirnrunzeln unserer Henker wegmassieren möchte? Der alte Kurs verhauchte seine Rednerseele: »Deutschland ist das Land des Idealismus, England des Mammonismus, eins von beiden muß untergehen«, o je! Solchen Vorschußlorbeer würzt heut der Katzenjammersalat mit ranzigem Öl abgestandener Illusionen und deutscher Mammonismus schwimmt in der verdorbenen Metzelsuppe obenauf! »Händler und Helden«, o Sombart? Als ob's nicht deutsche Händler und englische Helden gebe! Chamberlain stellt sich in »deutsches Leben« an, als vergäße er das qualvolle deutsche Leben seines Richard Wagner. Wahrlich, wenn heute die Wirtschaft das alte Vaterland des Idealismus an den Schuhsohlen mitnehmen möchte, könnte manch schwerindustrieller Profitpatriot an Laternenpfählen zur Beleuchtung dieser Scheinheiligkeit dienen. Alle Phrasen rechts und links gehören auf den Kehrichthaufen, den der Nachkrieg zusammenfegte. Nach wie vor schwingt die Exekutive, Volksvertretung als Sicherheitsventil benutzend, den Kantel über unmündigen Schuljungen nach Marats Losung: »Jede Regierung ist ein Volksfeind«. Jedenfalls hofft man so wenig wie von Schlotbaronen von regierenden Demagogen, ihr Name bleibt immer Haase und Kohnsorten. Als Mehring gegen Nietzsche den stumpfen Pfeil schoß »Prophet des Kapitalismus«, bestrafte solch plumpes Mißverstehen die falsche Herrenmoral für Sklavenseelen, die sich auf den kreischenden Zarathustra berief, weil er Ethik unter die Füße stampfte und sich in Gedankenflucht festritt, dem Ausland Waffen schleifend gegen die »mensoge allemand«, die ein selber so lügenhaftes Frankreich uns in die Zähne wirft.

Haben wir ein Recht, uns über fremde Heuchelei zu erbosen und »Deutschland über Alles« zu musizieren? Obwohl Bulwer richtig Preußens Volkfürsorge den englischen Übelständen vorhielt, so lebt der Mensch eben nicht von Brot allein, Freie fühlten sich oft in Preußens Atmosphäre wie unter einer Luftpumpe. Und niemand will zulernen, auch nicht im Militärischen. Wie verstimmte Yorks »Napoleon als Feldherr« durch den Zweck der Übung, regellosem Genie preußisches Fachmonopol gegenüberzustellen! Abgeschmackt, denn Napoleons Militärinstitutionen ließen gerade im preußischen Sinn nichts zu wünschen übrig. Das französische Troupierheer 1870, das österreichische 1866 stützten sich auf mehr Prestige und Kriegserfahrung als das neue preußische Volksheer, zerbrachen aber sofort. Den Briten und Russen half nichts im Weltkrieg ihre frühere praktische Schützengrabentechnik. Nur das Milizsystem holt zeitgemäß die Massen heraus, Antiinteressenten umnebeln nur die Wahrheit. Preußische Militärs wie Borke und Scheibert, General Wolsley usw. bezeugten die Unübertrefflichkeit der Milizen im amerikanischen Bürgerkrieg. Der Hinterwälder-Sokrates Lincoln erzwang fabelhafte Organisation, indem er »Fachleute« möglichst aus den Amtsstuben hinauswarf. Bei uns aber werden heutige Stahlhelmbünde mehr und mehr Kommißgebilde. Daß ein Bauernsohn Scharnhorst 1806 als Generalstabschef herrschte, wäre unter Willys Prätorianern unmöglich gewesen. Nirgendwo als in Deutschland, so mächtig überall das Offizierswesen, stolzierte des Königs Rock so kastenmäßig. Der englische Offizier trägt Uniform nur bei Hofkur und Maskenball, sonst legt er gesellschaftlich stets Zivil an, um sich bescheiden einzufügen, ein tief bedeutsamer Unterschied. In den Befreiungskriegen sonderten die adligen Berufsoffiziere sich von Landwehrkommandanten ab, siehe Friccius' Selbstbiographie, dem man später die Erstürmung des Grimmaschen Thors für einen Major von Mirbach rauben wollte. Doch Gerichtsrat Graf Wedel fiel bei Möckern vor seiner Landwehr: »Ihr Brüder, für Deutschlands Freiheit!« Wir zweifeln, ob künftiger Befreiungskrieg solche Worte hören würde, mehr und mehr schwindet die Möglichkeit für Aussöhnung zwischen altväterischen und neuliederlichen Klassenstaat. All das Überlebte, was im Sammelbecken des Militarismus zusammenfließt, muß man wegschütten, wenn wahre Ertüchtigung zum Vergeltungskampf erstrebt wird. Kapphengste für Feudalzucht müssen abgezäumt werden, lütte Leut ohne Mutterwitz verschwanden spurlos, solche Putsche werden immer unzeitgemäßer. Dies betonen wir mit gleicher Schärf, wie wir demokratischer Anremplung gegen Fürsten und Adel entgegentreten, denn alle Vorurteile rechts und links entspringen der gleichen verrannten Aufgeblasenheit.

Fremdtümelei ist nur ein Artikel für deutsche Warenhäuser, aber Deutschtum stinkt heute auch wie eine verfaulte Lilie aus dem dicken Bauch des alten Adams, der sich nicht seelisch häuten mag. So besorgte er den ärgsten Finanzskandal der Geschichte gegen das eigene Volk. Alle Minister und Parlamentarier, die den Aufwertungsschwindel, d. h. Straßenraub sanktionierten, betrieben Umwertung aller sittlichen Werte, Deutschnationale in der Welt voran mit gebrochenem Wahlversprechen. Wir wollen nicht mal glauben, daß dieser tiefe Schacht der Gewissenlosigkeit sich mit Nutznießung und Hehlerschaft des Nationaldiebstahls füllt. Doch wie kommts, daß Dawes selbst erklärte, bei anständiger Aufwertung hätte er seine Ansprüche an diesen »schuldenfreien« Staat zugunsten seiner unglücklichen Bürger herabgestimmt! Keine staatliche Rücksicht bewog also zu rücksichtslosem Raubzug, sondern nur Schonung der »Wirtschaft« (lies des Großkapitals, das die Beute einsteckte) unter Mittäterschaft der Regierungen – im Plural, denn alle sich folgenden Parteigruppierungen waren für diesen hohen Zweck einig und Hindenburg, für dessen Präsidentschaft man über 600 000 Mark auswarf, mußte die schamloseste Grausamkeit unterschreiben, die je gegen 43 Millionen deutscher Bürger (so hoch beläuft sich die Summe der Leidtragenden) ersonnen wurde. Und wie kommt es, daß man dabei Geld zum Fenster hinauswirft für Riesengehälter hoher Beamter und Generale und Pensionen selbst von Ministern, die nur einen Tag fungierten, während man die durch eigene Schuld des Reichs maßlos angewachsenen Unterbeamten abbaut oder zu Hungerkünstlern erzieht, oder die gewesenen Unterleutnants, die doch auch ihre Haut zu Markte trugen, mit einem Trinkgeld abspeist, das nicht mal zum Hungern reicht? Soll man sich da wundern, daß das Ausland hier ein Bild ungeheurer Korruption erblickt und logisch folgert: Wie darf man Leuten trauen, die ihre eigenen Landsleute erbarmungslos begaunern! Was wiegt aller Barmatschmutz privater Diebsgesinnung im Vergleich zu staatlicher Entrechtung des Eigentums! Du ahnst es nicht, o ahnungsloser Engel Du, wie das Ausland deinen Kredit bewertet, Du ehrvergessene Germania!

Doch dies biedere Ausland vergißt, daß es sich aus unserer Haut Riemen schneiden wollte und einen Ausverkauf in deutschen Gauen spitzbübisch feierte. Die sittliche Entrüstung aller fremden Eidgenossen, daß Deflation sie um ihre angehäuften Papiermilliarden und erpreßten Sachwerte betrog, erheitert uns in aller Trübsal. Und vergessen wir selber nicht, daß nur die Niedertracht der Franzosen unseren Inflationsgaunern die nötige Handhabe bot, daß noch Dawes' Reparationsschraube unseren Haushalt zu sehr einschränkte, um sofort anständiger Aufwertung Raum zu geben. Wer gewährt uns Reparationen für Frankreichs Schandtaten? Die Gegenrechnung wäre erdrückend. Sollte nun aber die Nemesis uns plötzlich vom Reparationsjoch befreien durch politische oder gewisse Erdkatastrophen, würden die Inflationsdiebe dann freiwillig den Raub hergeben und die Staatsgläubiger befriedigt werden? Wer die Neudeutschen kennt, bei denen Treu und Glauben ein längst beseitigtes Vorurteil, erwartet nichts von Anstand, nur von Zwang.

Berliner Aufmarsch des »Stahlhelm« gab ein erhebendes Zeichen, daß Vaterlandstreue noch nicht erlosch, um so mehr als 60 % dieser alten Frontkämpfer aus Arbeitern bestehen. Andererseits macht bedenklich, daß Major Anker, ein Anhänger des Kronprinzen, jetzt heftig bei Mosse vor dem alten System warnt! Steckt dahinter eigene Erfahrung? Jedenfalls würde das Ausland deutschen Faschismus nicht begünstigen, wenn sich darin Stärkung der Nation verkörpert. Mussolini, dessen carta di lavoro uns endlich überzeugt, daß in ihm ein großer Mann erstand, betritt Wege, die unseren Rechtsinteressenten keineswegs passen und ihnen nach Marxismus riechen, worunter man jede Zähmung der Ausbeutung versteht. Seine Faschisten aber durchdringt zu innig der sacro egoismo, als daß sie irgendeine Machtauferstehung Deutschlands wünschen könnten. Gewiß strotzt heut Italien von Franzosenhaß und Deutschfreundlichkeit, obschon diese seltsamerweise nicht zum Schweizertessin vordrang. Ein prächtiger Geschichtswitz verlegte den Humbug von Locarno nach einem Städtchen, das begeistert beim Waffenstillstand in Volksversammlung aller Matin- und Secololeser »abasso la Germania« heulte. Dieser Geist von Locarno, als beim Camelienfest ein Wagen mit Pappetempel »Pax Locarnensis« bedenklich wackelte, kicherte verständnisvoll, denn an Ort und Stelle faßt jeder die berühmte Trinkverbrüderung als Einseifung deutscher Dummheit und Triumph welscher Arglist auf. Nur unsere treuherzigen Pazifisten sehen noch nicht als betrübte Lohgerber ihre wanzenreichen Felle fortschwimmen. Bei der Unzuverlässigkeit und unwissenden Einbildung romanischer Völker darf man auf deren Beständigkeit in deutschen Sympathien so wenig rechnen wie auf englische Gleichgültigkeit. Mit den Sowjets sich anbiedern wäre unsichere Spekulation. Leider wäre möglich, daß die Kommunisten gewaltigen Zulauf von den Aufwertungs-Enterbten bekommen und so das Tier der Apokalypse plötzlich rot anläuft. Vorläufig wäre Lavieren zwischen Ost und West das Vernünftigste. Nur in Dir sind Deine Schicksalssterne, nur auf sich selbst vertraue Deutschlands Schicksal! Doch werde nicht wieder Heinrich Manns »Untertan«, nachdem »der Kopf« vorn überfiel!

Wer kennt die Zukunft? Die Völker kennen einander nicht, jedes hält sich fürs Hofburgtheater der Kultur und verlangt für seinen Fundus von Requisiten und Kulissen eine Abfindungssumme von besonderem Prestige. Doch derlei wird den Angelsachsen und Galliern wie den Alldeutschen nur von Fall zu Fall bezahlt und die Kasse oft gestopft. Auch Bolschewismus hat die ungenauen Steuerzettel und falschen Rubelscheine von russischem Wesen, an dem die Welt soll genesen, nicht liquidieren können, Selbsteinschätzung seelischer Steuerveranlagung schwindelt eben allzeit. Die Vielzuvielen sind nie bei Kasse. Der Gott, der Eisen wachsen ließ, wollte keine Knechte, doch alle bleiben Knechte der Rassenverunreinigung, teils durch chauvinistische, teils durch pazifistische Selbstverstümmlung. »In Frankreich sieht man viel Talent, doch kein Genie«, kein Bratenbarde betonte stolzer deutsche Überlegenheit als jener, der sein Sorgenhaus Sanssouci nannte, »ja, wir werden eine große Literatur haben«, aber Nibelungenlied und Goethe waren ihm keinen Schuß Pulver wert und er verschmähte sein eigenes bärbeißig geniales Deutsch für gelecktes Französisch – welcher Abfall vom »deutschen Gedanken« (Rohrbach), dieser alten Gedankenverwirrung! Wo lebt heut ein deutscher Gedanke? Schon die Mystiker des 13. Jahrhunderts wußten, daß nur Freisein von Zwang sittlich zu handeln befiehlt. Der raffinierte Staatszwang unserer Krämerrepublik entsittlicht weit mehr als der alte Absolutismus, wo »aufgeklärter Despotismus« dem Ausleben des Geistes manchen Schlupfwinkel offen ließ. Dem Ausland führt man als Bevollmächtigte einen Ausschuß von großen Unbekannten vor, ähnlich jenen Journalisten- und Bürgermeisterreisen nach London, die zum Staunen gutgläubiger Briten aufdeckten, daß Deutsche noch weniger Englisch verstehen als Engländer Deutsch. Als Karl Peters, Wiedergeburt von Warren Hastings, über dessen Verbrechen sein dankbares Vaterland den Mantel englisch-christlicher Liebe breitete, eine Pfandweibspionin aufhing, mußte ihm der Neid eilig ein Bein stellen, und als er, kein Koriolan geworden, im Weltkrieg wieder mobilisiert werden wollte, grinste man froh: für diesen Kerl keine Verwendung, der ohne Staatsexamina bloß mit genialer Energie auskommen wollte! Das Kesseltreiben unserer Strolchewisten gegen Ordnung und Bildung schuf in Braunschweig das Monument jener Waschfrau als Kultusminister, doch bürgerliche Kulturministerei die judäoberlinische Dichterakademie. Akademische Köche mästen weiter den Kropf der Gänseriche mit unverdaulichen Nudeln für eine Gänseleberpastete von Scheinkultur. Doch so schneidig Deutschland immer noch gegen sich selbst frevelt, stellt dies boshaften Feinden noch keinen Freibrief aus, ähnlich den Weltkriegpässen des ententistischen Amerikabotschafters in Berlin. Richter Lynch fällte sein maßgebendes Urteil zur Rettung der Kultur, noch Präsident Harding proklamierte Deutschlands Alleinschuld, denn der Wunsch ist Vater des Gedankens und Unwissenheit die Mutter des Leichtsinns. Als Gallien seine schwarzen Horden ausspie – der Mohr tat seine Schuldigkeit und kann nun gehn – bekannte es wenigstens ehrlich, daß es sich selbst mit dem Teufel verbinden würde, blieb sich selber treu im Erbhaß gegen friedfertigen Michel. Die Angelsachsen aber verbrämten ihren unnatürlichen Germanenverrat mit jener Heuchelei, die ihnen gleichfalls vererbt im Blute sitzt. Wie die Angeln, deren Thane Harold bei Hastings im Stiche ließen, erst durch Normanen zur Staatszucht erzogen, so konnte nur Preußen die Deutschen zur strengen Genossenschaft aufrütteln, das Geheul wider Verpreußung ist Diebsfinte. Harte Notwendigkeit wird Einheit aller Germanenrassen erzwingen gegen slavisch-mongolische Weltgefahr. Die Arier – Inder, Gräkolateiner, Germanen – sind Individualisten, gerade weil sie Kulturelles auf höchste Stufe brachten, daher im Gegensatz zu Chamberlains falschen Begriffen viel unbegabter für straffes Staatsbilden. Bloße Staatsbevormundung gründet nicht Grundlagen des zwanzigsten Jahrhunderts, sondern Besinnen auf Individuelles. Eine Rolle, wie sie zum Heil Italiens der anrüchige Annunzio und der ehemalige Maurer Mussolini spielten, weil man ihre geistige Potenz vorurteilslos wertete, wäre bei uns undenkbar. Den Philisterhohn »verkanntes Genie«, wenn Genie sich nicht materiell durchsetzt, kennt kein anderes Volk. Wenn Frankreich ganz Europa in Blut taucht, so schaufelt es doch nie seinen eigenen Größen ein Grab, huldigte stets dem Pathos der Distanz im Respekt vor Geisteswerten. Der Deutsche kennt nur Schulmeisterbildung. Daß objektive deutsche Gründlichkeit eine Chimäre, zeigt schon die ungründliche Parteiwut, mit der deutsche Stradfordier und Baconier sich wechselseitig des epidemischen Wahnsinns bezichtigen, etwa so als ob die einen leugneten, daß die Erde sich um die Sonne dreht, die anderen unterschieben, sie drehe sich um den Mond, d. h. eine Unmöglichkeit durch die andere ersetzen. Jede Verstocktheit bleibt geheiligt, sobald professorale Outsider über Hochgeistiges schwatzen. Weil nur die Germanen Erben der Hellenen, konnte englische Ästhetik den Homer als Großmeister statt Vergil und Ovid einführen, doch der deutschen Schule fehlt noch heut jede wahre Beziehung zum uns viel wichtigeren Nibelungenlied.

Der geniale Strindberg sieht im Schulwesen die Wurzel alles Übels. Wilhelms in dieser Richtung gesunder Instinkt gegen den Gymnasialhumanismus schnappte wie gewöhnlich nach erstem Anlauf ab. Gerade wie die gutgemeinte Sozialreform später in brutales Scharfschießenwollen bei einem Streik ausklang: »Mindestens 500 müssen auf der Strecke bleiben!« (Zedlitz). Und das soll »einer der edelsten Menschen« gewesen sein? Wen betrügt man hier? Nachdem selbst die Konservativen ihn aufgaben, rief die oft maßlose Anschwärzung des Nieschweigers jüngst einen Verteidiger in die Front, der »Schuld und Schicksal« bei ihm abwägt. Wenn mans so hört, möcht's leidlich scheinen und steht doch ziemlich schlecht darum. Wenn Ludwig Kohns Wilhelmbuch, der gleichzeitig über so Entgegengesetzte wie Napoleon und Bismarck sein geistreiches Geseires stilvoll mauschelte, antimonarchisch geifert, so bindet eine anonyme Broschüre über Wilhelms Tragik geradeso unwahr die Maske der Objektivität vor, ein Meisterwerk von Mohrenwäsche mit einigem Richtigen. Unser eigener Aufruhr gegen »die verrückte Zwiebel«, welches Kosewort ein anscheinend inspiriertes Buch dem Kronprinzen in den Mund legt, richtet sich nicht gegen den Privatmenschen, sondern den umschmeichelten Cäsarenaffen, der noch heute in sentimentalen Illusionen schwärmt. Vergleiche das läppische Interview mit Sylvester Viereck über seine zweite Heirat, ebenso unbedeutend wie anmaßlich. Wenn er vielleicht den besten Willen hatte, so mischte sich seiner lauten Vaterlandsliebe so viel heimliche Dynasteneinbildung, daß schwer zu unterscheiden, wo krasse Selbstsucht aufhörte und Vaterlandsgefühl anfing. Seine Eitelkeit, sich in alle Kunstdinge einzumischen und mit falschen historischen Zitaten um sich zu werfen, entsprach seiner mangelhaften Bildung, ganz im Bann der üblichen Drillkultur, die zu durchschauen seine Oberflächlichkeit ihm versagte. Er versicherte Jules Simon weihevoll: »Sie haben heute große Autoren, z. B. Ohnet«, worauf Simon geantwortet haben will: »Ganz Frankreich würde über Ihr Urteil lachen.« Das einstige Versailler Vorbild dieses Ohnetverehrers mit Geschmack einer Ladenmamsell fragte mal Boileau: »Wer von meinen Dichtern wird meiner Regierung den meisten Glanz verleihen?« Schon diese Frage verblüfft ein deutsches Lakaiengemüt. »Moliere? Das wußte ich nicht, doch Sie verstehen das besser als ich.« Als ob Wilhelm je etwas nicht besser gewußt hätte als beschränkter Untertanenverstand! Der Sonnenkönig ließ sich abends geduldig langweilige Verse vom greisen Corneille vorlesen, unser Kaiser, König und Herr schmatzte Ganghofers Jägerlatein. Daß er sich heute mit Rückberufung schmeichelt, zeigt nur den Tiefpunkt der Republikverachtung. Die hohe Begabung, welche viele Ausländer und heimische Byzantiner bei ihm entdeckten, beruht auf der Scheinperspektive, die eine lebhafte Regsamkeit, wie er sie von beiden Eltern erbte, mit Schöpferischem verwechselt. Bei den Kaisermanövern, deren Liebedienerei geradezu vergiftenden Einfluß übte, trat auch seine militärische Unzulänglichkeit zu Tage: Aufgeputzte bemalte Scheinerfolge.

Seine angebliche Milde nahm man wohl selten in seinem Auge wahr. Liebhaberei für Treibjagden und Gutherzigkeit! Als sein Intimus Eulenburg, dessen Memoiren ihn politisch rehabilitierten, in der Patsche saß, beugte er sich mut- und treulos jener inszenierten Holstein-Harden-Hetze nebst dem künstlichen Advokatenkniff der haltlosen Meineidsklage, die den einzigen hochgebildeten Berater wegen so weit verbreiteter Privatverfehlung von ihm entfernten. Auch sein Betragen bei Bülows Entlassung (wieder ein Unglück, da Bülows Schwächen ihn nicht seiner Geschicklichkeit beraubten) zeugt nicht von treuem Edelsinn, sondern von nachtragender Rachsucht wegen der Daily Telegraph-Intrige, bei der sich der Wouldbe-Autokrat wieder zu demütiger Kapitulation bequemte. Unvornehmeres als der Uriasbrief an Franz Joseph bei Bismarcks Wiener Besuch kann man sich nicht denken. Wenn er sich manchmal im Privatverkehr freundlich und schlicht gab (das bekräftigen wir, damit wird aber sein öfter brutales Benehmen nicht vermindert), so begreifen eben Unkundige nicht, daß er ein Schauspielertalent besaß, das zu »diesem verdammten Metier« gehört, wie Friedrich der Große es nannte. So erklärt sich, daß wir seinen vorübergehend glänzenden Eindruck auch auf uns Nahestehende bestätigen können. Wir bestreiten nicht, daß er vom Vater ererbte liebenswürdige Gemütsseiten hervorkehren konnte, je nach Belieben der Laune. Man hat vor Augen, wie man alles, was ein allmächtiger Kaiser von sich gibt, zu seinen Gunsten zurechtdreht, in der Behauptung, er habe recht wohl unangenehme Wahrheit ertragen können. Warum? Weil Moltke erzählt, er habe vor Übernahme der Generalstabsgeschäfte seinem Gönner über die Kaisermanöver derbe die Wahrheit gesagt, dieser habe es gütig aufgenommen und Besserung gelobt. Abgesehen davon, daß trotzdem keine wirkliche Änderung eintrat und daß Moltkes »Erinnerungen« ein Interesse daran hatten, sein Sträuben gegen den verantwortlichen Posten möglichst breitzutreten (man färbt oft untertänige Andeutung in deutliche Vorstellung um) – abgesehen von der kindlichen Naivität, notgedrungene Streberei der Hofgenerale nicht bemerkt haben zu wollen, während jede Kritik Berufener mit Kaltstellung endete, vergl. auch den Fall Kretschmann in Lilli Brauns Memoiren – hat nicht vielleicht wie bei Bülows jäher Absägung Wilhelms Gedächtnis jene seine Größe kränkenden Äußerungen behalten und bei unerhört brüsker Absetzung Moltkes mitgewirkt? Gewiß läßt sich Kohn-Ludwigs gehässiger Anwurf, der Kriegsherr sei für alle militärischen Fehler verantwortlich, nicht belegen, obschon wir im Fall Hentsch nicht klar sehen, im Gegenteil bekannte er durch Passivität seine militärische Ohnmacht. Doch umgekehrt wird die Behauptung, der Marnerückzug sei gegen kaiserlichen Befehl erfolgt – also auch hier Willensschwäche und Mangel an Autorität bei einem so gottesgnadenfrohen Autokraten – erst recht sinnlos, weil der Mohrenwäscher die alte Lüge von Moltkes Schuld aufwärmt. Also man hätte den Rückzugsskandal gewagt gegen ausdrückliche Willensmeinung des Monarchen? Er befahl, »immerfort anzugreifen und keinen Schritt zu weichen?« Ha, welch tiefsinnige Einsicht, wäre er doch sein eigener Stabschef gewesen! Natürlich nur eine jener leeren Redensarten wie seine gepriesenen feuilletonistischen Schlagworte, denn solche Losung hätte nur dann einen Wert, wenn sie aus Kenntnis der Lage hervorgeht, was bei dem Weilen weit hinter der Front ganz wegfiel, sonst bleibt es inhaltloses Geschwätz.

Sein kirchlicher Biereifer mit biblischen Vorlesungen, ist's unbewußte Heuchelei oder jene Unreife, wie sie sein Aufsatz über Hamurabi, Wilhelm d. Gr. und seine Handlanger so schülerhaft enthüllte? Seine Vorliebe für Wagners Stoffe und für Hebbels verfehlte Nibelungen entsprang bloßer dynastischer Deutschthümelei, ebenso hohl und kunstfremd, wie wenn er Herzogs Condotiere-Tamtam »Shakespearisch« nannte und sich aus politischen Gründen für Schönherrs ödes, der »Handel-Mazetti« nachempfundenes »Glaube und Heimat« erwärmte oder die dramatischen Böllerschüsse des Major Lauff kommandierte, dessen gutes Romantalent er durch seine unheilvolle Gunst verdächtig machte. Hat sein Deutschgefühl je Dankbarkeit für Wagners Genius gezeigt? Hatte er je gesunden Blick für Echtes, selbst wo es ihm nahe lag? Das sind nicht bloß Schwächen des Intellekts, sondern auch des Charakters. Seine Oberflächlichkeit ging nie in die Tiefe. Daß unsere Zukunft auf dem Wasser liege, war nur hochtrabender Einfall des Machtfimmels. Tragödie des Idealismus? Wir kennen solche schönen Gesten übergeschnappten Machtgefühls, dem nur das Zeitalter römischer Cäsaren fehlte. Nicht dem Edelsinn, sondern dem Mangel an gefaßtem Mut entsprang die Krise, wo Hindenburg als treue Amme den königlichen Säugling in die Windeln wickelte. Wir geben zu, daß die Flucht nach Holland mit sehr mildernden Umständen gedeutet werden kann, wobei Hindenburg – peinlich ist's zu sagen – um so mehr versagte, als der Kronprinz mit äußerster Energie sich gegen willenloses Verzagen auflehnte. Allgemeine Panik log damals dem hier beklagenswerten Kaiser viel vor. Sicher bleibt aber, daß die Armee es als bängliche Desertion auffassen mußte. Daß die Arbeiterräte durch Sperrung der Rheinbrücken dem Heer die Verpflegung entzogen, gehört mit zu den aufgeregten Gerüchten maßloser Übertreibung. Über die vaterlandslose Haltung der damaligen Arbeitermassen kann die Verdammung nicht scharf genug lauten, doch das feige Kuschen der Behörden und des Bürgertums erleichterten es. In letzter Instanz tragen die Deutschen, ausgenommen ihr edles Frontheer, selber die Schuld an so schmählichen Untergang, davon ist der Kaiser freizusprechen. Doch sein bombastisches Wesen, seine schwächliche Impulsivität schufen mit die Vorbedingung, daß Byzantismus und Größenwahn der Nation in charakterlosen Abfall von angebetenen Göttern zerbröckelten. Daß er nur ein unbedeutender Narr gewesen sei, behaupten freilich nur blinde Narren, doch wenn ein ziemlich Begabter sich als historische Größe träumt, stellen sich verhängnisvolle Folgen von selber ein. Daß Bismarck selbst zur Selbstüberschätzung des Prinzen viel beitrug, weil er ihn gegen seine Eltern aufzüchtete, gehört zur Ironie des Schicksals. Der Bramarbas fiel immer aus den Wolken, daher die aus Angst und Wut gemischten pöbelhaften Marginalglossen vor Kriegsbeginn.

Mißverstandene Königs- und Mannentreue wird oft atavistischer Götzen- und Fetischkult. Gern möchten wir abschwächen und beschönigen, wenn es sich mit strenger Gerechtigkeit vertrüge. Doch wenn der monarchische Gedanke sich nur dadurch bewähren kann, daß man das Spiegelbild des Pseudogenialen, das den Genialen abstößt wie Gebärdenspiel eines Schimpansen den homo sapiens, und dieses krankhaften Egoisten, dessen eitle Kleinlichkeit den Kaiserfilm seines früheren Günstlings Bonn mit Klagedrohung verfolgte, fälschend veredelt, dann danken wir für solche Neuauflage der alten Schmeichellegende von Interessenmonarchisten. Der Vernunftsmonarchist begrüßt es, daß politische Schriftübungen des »Königs in Exil« ein abgeklärteres Gepräge tragen als einstige Entgleisungen. Doch wenn er sich als Muster bescheidener Zurückhaltung eines konstitutionellen Herrschers preist, wer lacht da! Man denke an burschikose Abfertigung des »Zivilkanzlers«, als Bethmann untertänigst vor Kriegsbeginn Ratschläge erteilte. Freilich darf man problematische Naturen nicht einseitig abschätzen, nicht so den Stab brechen, als seien hier nur Unfähigkeit und Größenwahn zu Roß erschienen. Derlei erinnert an das Zerrbild, das alle Bismarckfeinde entwarfen. Indessen sei hier offen gestanden, daß wir aus wohlerwogenen Gründen auf Darstellung des späteren Bismarcklebens verzichteten. Denn abgesehen von den innerpolitischen Mißgriffen enthält das letzte Ausleben des Allmächtigen leider viele seinem Andenken nicht förderliche Züge. Uns sind nicht nur die Akten des Prozeß Diest-Daber in Sachen Bleichröder bekannt geworden, sondern zwei Annekdoten aus Zeugenmund, die auf seine privaten Geschäftsmanieren ein noch peinlicheres Licht werfen als sein Prozeß mit seinem pensionsberechtigten Oberförster. Wenn Eulenburg das ganze Bismarckhaus amusisch nennt, so erzählte uns Björnson, daß ihm Bismarck sagte: er habe zum Lesen höherer Literatur keine Zeit, amüsiere sich nur mit Kriminalromanen wie einen von Gaboriau, den er Björnson schenkte und den dieser uns mit Geringschätzung des »ungebildeten Knoten« übergab. Jawohl, so war der Leser von Stindes Buchholzen und einstiger Kenner Shakesspeares, Byrons, Goethes vom praktischen Leben verunziert. Der pfiffige Bäckermeister, den A. v. Werners Kongreßbild vorführt, bleibt schreiend unähnlich, doch Lenbachs Wotan mit dem Schlapphut entsprach mehr der Idee Bismarck, in großem Augenblick des Großen vom großen Künstlerblick erfaßt, als ständiger Wirklichkeit des 11 Eier zum Frühstück Verschlingenden und dabei Staatsanwaltformulare gegen Reichskanzlerbeleidigungen emsig Unterzeichnenden. Da mochten Mißgünstige ihn wohl als barbarischen Oger malen. Wir verhehlen nicht, daß sein Widerwille gegen Friedrichs des Großen »Ruhmsucht« (unglaubliches Unverständnis des so bescheidenen Größeren) zu denken gibt. Derlei traurige Reste des Allzumenschlichen darf man so wenig in den Vordergrund rücken, wie es Kleingeister auch für Napoleon besorgen. Doch solche Pietät ziemt sich nicht vor Persönlichkeiten kleinen Wuchses. Der Vernunftsmonarchist will nur unbalanzierte Schmähungen Wilhelms II. ablehnen, doch damit basta.

Tendenziöse Reinwaschung bringt ebenso in Harnisch wie Demokratenlegende, er sei wie ein Fatzke drauflos gegondelt, eine gewisse Klugheit fehlte seiner romantischen Politik keineswegs. Schuf er gewiß nicht den unerhörten Aufschwung der Industrie, so blieb er doch Anreger und wir bedurften der von ihm beharrlich erstrebten maritimen Macht zur Deckung des Seehandels und der Küsten. Die heutigen Schreier gegen die Flottenpolitik gleichen jenen Rückschrittlern, die Bismarck den Größenkitzel austreiben wollten, verkennen die Nötigung dazu, wie der Weltkrieg sie offenbarte, auf die Gefahr hin, England schwer zu reizen, dessen übertriebene Empfindlichkeit sich erst recht gegen die amerikanische Seegeltung richten konnte. Wenn Seemacht allein Weltmacht bedeutet, wie die englische Mahan-Schule doch selber lehrte, wie durfte man deutschen Aufstieg verpönen, da doch der Zweimächte-Standard bis zuletzt bewahrt blieb und höchstens Vereinigung der deutschen und amerikanischen Flotte ihn hätte bedrohen können. Doch sein lobenswertes Streben verdarb Wilhelm stets durch Übermaß. Konnte England den tollen Einfall je verzeihen, während des Burenkriegs eine deutsch-russisch-französische Koalition wachzurufen? Seine Versuche, Frankreich zu schmeicheln, verrieten die gleiche Weltenkunde wie seine Beglückung Amerikas mit der Büste Friedrichs d. Gr., dessen unergründliche historische Unwissenheit in der Rede eines Senators ausklang, Rückerts Kyffhäuserlied drohe mit einem »obscuren mittelalterlichen Tyrannen«! Daß Friedrich zuerst die Unabhängigkeit und Bismarck zuerst die von England und Frankreich befehdete Union im Bürgerkrieg anerkannten, vergaß man lange. Der kaiserliche Romantiker »brauchte Sonne«, alles Unliebsame enthielt man ihm vor; ob der »überzeugte Optimist« es heut noch ist? Den Weltkrieg wünschte er nie, doch so perfid das Kautskybuch sich dem unbedingten Angriffswillen der Entente verschließt, kann man sich dem Eindruck nicht entziehen, daß dynastische Wut gegen die Serbischen »Königsmörder« jede kalte Überlegung raubte. Beileid versagen wir ihm nicht, doch daß er uns ins Ungewisse steuerte, dafür schulden wir ihm nicht dankbare Anhänglichkeit.

VI.

»Freiheit, wie viel Verbrechen begeht man in Deinem Namen!« Doch »Freiheit, die ich meine« ist keine Kalenderheilige. »Ich bete in mir die Diktatur des Volkes an« drückte Marat einfach des Absolutisten »der Staat bin ich« aus. Freiheitsstatuen gleichen hohlen Pappegehäusen voll abgefeiltem Sägemehl mit rotem goldenen schwarzrotgoldenem Anstrich und Gleichheit war nie Postulat der Notwendigkeit. Die Pappeumwallung der Luftschlösser braucht man nicht mit scharfen Patronen zu beschießen. Wirklich besteht ein ewiges Lohngesetz, weil jede Wirtschaftstheorie auf eine Formel einschrumpft: Nationalgüter sind gleich der Zahl organisierter Arbeitskräfte. Wer sie gut organisiert, ob monarchisch oder republikanisch, der allein veranstaltet keine Schmierenkomödie, bloße Verstaatlichung der Arbeit (Zwangssozialismus) führt nur aus Halb- zu Ganzsklaverei (Herbert Spencer).

Ein Züricher Pfarrer schleuderte »Reden an die deutsche Nation« wider ihre Gottfremdheit. Ja, echtdeutsch brachte sie rohen Machtwillen erst in Nietzsche-Haeckelsche Doktrin, mit solchen Kleinigkeiten gab sich praktische Raffgier sonstigen Europäertums samt seinem Bastard Amerika nicht ab. Doch der Herrgott von Dennewitz fand im »guten Gott von Frankreich« und im englischen Jehova würdige Genossen, im Namen Gottes feste druff! Auf Newyorker Kanzeln predigten bezahlte Hetzkaplane die Ausrottung aller Hunnen, so sieht das Christentum aus, das sich ein 20. Jahrh. gefallen läßt, denn wie der Mensch so sein Gott. Bei Wiedererwachen der Einsicht, kein blindes Ungefähr regiere im All, muß der ungläubigste Thomas seine mit chemischer Retorte beschmutzten Finger in spirituelle Wundmale legen, statt »Welträtsel« zu verflachen. Schon in Nostradamusorakel warfen Zeppeline und U-Boote prophetische Schatten. Buchstäbliche Erfüllung der Lehninschen Prophezeiung wird nicht dadurch geschmälert, daß sie vor 150 statt 450 Jahren entstanden sein mag. »Sinn und Wert des Lebens« müßten die Waffen strecken, wenn man wie Eucken noch schielend mit Mechanistik paktiert und nicht übersinnliche Eingriffe zuläßt. Ohne Geheimdiplomatie der unerforschlichen Mächte könnte keine moralische Weltordnung uns retten.

Es ist erreicht, die Bartbinde hängt herunter, der abgedankte Lohengrin hat sich schon andere Bartfrisur zugelegt, nach Nam' und Art darfst Du den Schwerenöter nicht befragen. Leb wohl, mein lieber Schwan! doch das Geschnatter der Gänse schallt weiter in verstärktem Chor. Deutschland mag seelische Todsünden gegen sich selbst begehen, aber alle Wohlgerüche Arabiens waschen den garstigen Fleck der Hungerblockade, stinkend wie von einer Lydditbombe, von Englands Hand nicht ab. Bei Doktor Wilson Eisenbart (kuriert die Leut' nach seiner Art), ob man Berechtigungsschein zum Weiterleben von angelsächsischem Größenwahn beziehen müßte, denkt man an Roseberrys Erdreistung: »Nach Gottes Willen soll England die Welt beherrschen«, Gott vorzugreifen ist kindliches Unterfangen. Wenn satte Erben in der Gallerie großer Ahnen spazieren gehen, täuschen sie sich über Familienähnlichkeit. 1912 prophezeite ein englisches Buch allgemeine Umkehr zum Altruismus, statt dessen raste der hlg. Egoismus sich grenzenlos aus. Schon das Konzil von Konstanz wollte vereinigte Staaten von Europa unter einem Reformpapst, dafür bekam man Hußverbrennung und doppelte Reaktion. Chesterton spottet, die Vergangenheit hinterlasse nicht Ruinen, sondern halbvollendete Bauten. Der Europäer in seinem herablassenden Übermut glaubte in Ruinen hineinzubrüllen, als Asiens Urkulturen sich ihm erschlossen, statt dessen machte er nur die eigene Kultur zur Ruine. Das Füchsische schlug ins Tigerhafte um, das Raubtierhafte blieb in der Familie, Zähmung allgemeinen Weltkriegs durch verlogenen Völkerbund beschneidet nicht die Krallen. Tragikomisch an sich, bleibt das Leben immer Tragödie. Geschähe jedem nach Recht, wer wäre vor Prügeln sicher! ruft Hamlet, das sollten Sieger wie Besiegte beherzigen. Der Samurai erweitert die Losung »Siegen oder sterben« in »Siegen und Sterben«, Admiral Togo rapportierte öffentlich den Geistern der Gefallenen, daß die See Japan gehöre. Ein Volk, das so mit einer Überwelt in Glaubensverbindung steht, wäre unüberwindlich, doch spielte im Weltkrieg eine recht schäbige Rolle. Das große Schlachtfeld wünscht keine pazifistischen Klageweiber, sondern Totengräber mit grimmigem Hamlethumor, die nachsehen, an welcher Erbwunde diese Menschheit starb.

Die Ententejournaille leistete Bedeutendes im Servieren von Enten und blinden Seeschlangen der Verleumdungsoffensive, doch wenn die deutsche Presse sich darob in Zornkrämpfen wand, so schmeckte sie nur selber, wie es tut, von systematischer Mißgunst verfolgt zu werden mit Unterdrückung jeder Gegenstimme. Nur sie kannte den Todschweigeboykott gegen alle, die den Cliquenanschluß versäumten, noch beim Tode Eugen Dührings herrschte »achtungsvolles Schweigen«! Statt Versicherungsprämie gegen Dunkelmännerei zu werden, bestätigte man Goethes Warnung, die Presse bedeute Untergang der Literatur, denn »das Gute muß gleich vom Mittelmäßigen und Schlechten verschlungen werden« und Halbkultur der Massen vernichte die Kultur. Überall auf Erden sucht das Zeitungswesen seine Freiheit in eigener Tyrannis und Lohnsklaverei der Tintenkulis unter des Unternehmerpaschas Geschäftsmache. Der Papierschweif des Inseratendrachen wirbelt nur Staub auf, um den Leser zu blenden, der Kopf des Leitartikels schnappt nur zur Deckung der hintern Plantagen. Wenn aber anderswo journalistische Klopffechter sogar den Ministerstab im Tornister tragen, so berührte tragikomisch, daß ein Hohenzoller mit plumper Zudringlichkeit just transatlantische Schmierfinken als »kommandierende Generale« anschmeichelte, die doch nur nach der Pfeife von Trustmagnaten tanzen. Dann müßten Zeitungssultans auf ihre Karte setzen »oberster Kriegsherr«! Umsonst steckten Harden und Kraus Zukunftsfackeln an, den Augiasstall zu beleuchten, wo Privatmist sich öffentlich zur Schau stellt. Demokratie soll Anteil am öffentlichen Leben bedeuten, doch wird zunichte, wenn nur Gutdünken listiger Interessenten entscheidet, was öffentliche Meinung sein soll. Wenn freilich die Staatsmaschine entgegenkurbelt, um unbequemes Federvieh in den Stall zu sperren, so ist dies gradeso »fiktives Mandat« nach dem Sprichwort »wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand.« Hier verfehlt Lassalles Witz seinen Beruf: »Die Griechen nannten Barbar, wer ihre Sprache nicht verstand, der Staatsanwalt und ich sind für einander Barbaren«. Ein solcher bereicherte den Sprachschatz durch unsern Witz »ver nagelte Weltliteratur«, doch dieser Nagel zum Sarg der Bildung avancierte darob zum sächsischen Justizminister. Solche Rechtshüter erfanden auch den Kniff des dolus eventualissimus, die Gewöhnung an Majestätsbeleidigungsschnüffeln versteifte sich auf Heiligsprechung unfehlbarer Rechtsfindung. Es hieße Bücher nach Leipzig ins Reichsgericht tragen, wollte man solche Hauereien im Rechtsstaat Deutschland aufzählen, wo auch Entmündigung derber Ankläger wegen Querulantenwahn von gefälligen gerichtlichen Sachverständigen Blankoatteste empfing. In England holte Doyles Logik als Sherlock Holmes einen Ausländer aus dem Zuchthaus nebst hoher Entschädigung des Verurteilten, in Deutschland hätte man Doyle wegen »Begünstigung« und »contempt of court« mundtot gemacht.

Selbst der Einjährigfreiwillige Alldeutsche Chamberlain, Eidam Richard Wagnerscher Tantiemen, gab zu, daß die Deutschen kein Volk der Dichter und Denker, sondern der Soldaten und Kaufleute seien. Doch er vergaß den Schulmeister, dessen schleimiges Schneckenkriechen Maulwurfswühlen für Tiefseeforschung hält. Kulissenreißer auf Brettern, die nicht die Welt bedeuten und wo die Weltvernunft sich langweilt, deklamieren nicht die Wirklichkeit in Grund und Boden, doch bildete vielleicht die Eisenkur des Weltkriegs die roten Blutkörperchen um? Komisch unterscheidet man »Menschen im Kriege« von Menschen im Frieden, die nach Blüchers Wort den Hundsfott im Leibe haben, doch ihn erst durch Weltkriegfolgen recht herauskommen ließen. Denn Demokratisierung wechselt nur den Rock, zieht neuen Domino in der Maskerade an. Jeder Fortschritt muß »gegen die Parlamente, nicht durch sie erzwungen werden«. Nur Parsifal der reine Tor feiert den Sieg dieses Gewerbes, Kuhhandel für Stimmvieh. Ein Arbeitermeeting empfing Lloyd George, mit dem Wutschrei: Nieder mit den Advokaten! »Roter Siegellack«, wie der Brite die Bürokratie nennt (vergl. Dickens' Circumlocution Office und Geißelung der Justiz), klebt aber besonders am Zopf der zu Staatsanwälten gehäuteten Republikadvokaten. Da ist Scharfmacherei Trumpf, drum sandte die Entente die heulenden Derwische der »Strafbestimmungen«, die im Völkerbund die Rechtsbeugung maskieren.

Napoleon sprach: »Solange man sich in Europa schlägt, ists Bruderkrieg«, die Schwarzen als einig Volk von Brüdern ahnte er nicht. Doch die Verräter der weißen Rasse zogen nicht nur ihre Weiße Schmach, sondern auch die Schwarze Gefahr für sich selber groß und unsere Million durch Hungerblockade erwürgter Frauen und Kinder vermehrt nur unzählige Millionen verhungerter Inder und Iren im Konto der Blutschuld Englands. Legts zum Übrigen! Statt des erfundenen War-Lord Willy spaziert heut der Schmerbauch John Bull umher, doch sein Stampfen gerät in Asiens Fußangeln. Nicht länger strahlt transatlantisches Transparent der Sterne- und -Streifen, vulkanisch brenzelt der gelbe Horizont von Japans »aufgehender Sonne«. Barbusses bengalisches »Feuer« war auch nur Strohfeuer, Gallierbosheit überstand Locarno und Genf-Späße. Kurpfuscherei mit falscher Diagnose löffelt umsonst den einst von Virchow angerührten Brei »lauter gleichbegabter Rassen«, die slavischen Randstaaten sind eine einzige Pleite und Onkel Sam präsentiert dem tollen Europa auf abgegraster Heide die Erklärung der Menschenrechte in unquittierten Schuldscheinen. Umsonst flüstert einer Französin holdseliger Vers über sterbende Deutsche und Franzosen: »ils pensent à leurs mamans«, die Mütter mit verdorrten Brüsten starren nur auf Medeas Drachensaat. Wenn keltischer Einschlag die Tragik des Doppelichs in Englands Seele verlegte, deren Angelsachsentum doch seinen Odem vom German Ocean nimmt, so bleibt Gallierart nach Guillotinenausmerzung des fränkisch-burgundischen Adels stets einheitlich gleich. Für sie ist jedes Nachbarrecht ein Fetzen Papier, Talleyrand anerkannte »nur Grenzen, die von der Natur selbst gesetzt«, welche unnatürliche Ausdehnung damals bis Hamburg und Cadix reichte, »es gibt keine Pyrenäen mehr« dozierte Louis XIV., Clemenceau möchte als gallischer Hahn krähen »es gibt keinen Rhein mehr«. Wie England Neutralität auffaßt, mußte Dänemark zwei Mal genießen, Lord Greys Blockade Norddeutscher Küsten 1805, leuchtete Edward Greys Kriegspfad 1914 vor. Pemberten Billings »schwarzes Buch« entlarvte die Sodomiterei deutscher Kellnerbataillone, deren Spionage die Militärgeheimnisse der City ausbaldowerte! Blatchford warnte vor Wilhelm dem Eroberer, Northcliffes Froschmajestät blähte sich über ein »perverses Deutschland«, man sah nämlich sein eigenes Ebenbild in deutschen Zerrbild und zerbrach wütend den Spiegel. »Daily Mail« ergoß sich allen Ernstes 1919 in Schimpfreden über »wahnsinnige Produkte Karl Bleibtreus und seiner Schule«, die statt »Goethe, Schiller, Klopstock« den Büchermarkt beherrschen! Man glaubt zu träumen. Ein Verehrer deutscher und Verächter französischer Verwaltung sprach das große Wort: »Jede Regierung ist organisierte Gewalt«, sein Name war Wilson, Meister vom Stuhl, er organisierte freilich seine Gewalt. Italienische Maurermeister beschlossen »die Zivilisation zu retten«, doch wer lacht nicht über Freimauererideal von Gott- und Selbsterkenntnis, wenn Logenheilige und Jesuiten sich gegenseitig Satansbrut schimpfen, sowie die wesensverwandten Rom und Jerusalem sich in den Haaren liegen! Überall zischt die Viper der Weltlüge. Der Sozialismus kam uns spanisch wie Egmont mit pomphafter Grandezza, indem er Arm in Arm mit erdichtetem Posa der Weltverbrüderung das 20. Jahrh. in die Schranken forderte, half aber nur dem Don Philipp der Entente, die Ruhe eines Kirchhofs bereiten, so daß mancher das Ende von Fiesko mitmacht: »ich gehe zum Andreas«. Doch wenn der Herzog fiel, muß auch der Mantel mit, besonders der blutige Purpursaum weißgewaschener Senatorentoga von Imperialrepubliken. Napoleon sprach zum andern mal: »Die Hlg. Alliance ist ein mir gestohlener Gedanke, nur meinte ich die der Völker«. Doch die Angelsachsen sehen nur Paradiesbäume ihrer Weltherrschaft in den Himmel wachsen, mag auch darunter die Schlange fauchen. Der gallische Chanteclair kräht von seinem Misthaufen dem Morgen neuer napoleonischer Hegemonie entgegen, bis ihm die Schwingen gestutzt und die Krallen abgeschärft. Nicht nur in Geldsachen hört die Gemütlichkeit auf, eines Tages schmeißt Deutschland den Kelch, den es bis zur Neige lehrte, seinen Henkern an den Kopf. Ob sie wie Foch in die Messe, wie Wilson in die Sorbonne laufen oder sich offen wie Clemenceau als Freigeisterfreimaurer bekennen, alle verlachen sie heimlich den Gott, der seiner nicht spotten läßt. Er ist ein Gott der Lebendigen und läßt, die nicht sehen wollen, sich selbst lebendig begraben.

Friedrich d. Gr. konnte durchhalten, obschon er umsonst eine »Salbe« für Preußens Wunden verlangte, doch setzte sich nicht selber in Brennesseln wie alldeutsche Schreihälse. Immerhin, so heiser das Wolfsrudel beim Anreißen eines abgemagerten Mitwolfs heult, der Vielfraß sei zu fett geworden, so gierig er die Zähne einschlägt, Deutschland ist ein zu harter Bissen. Schon spürt der Franzmann die erbrecherischen Folgen seines Freßschlingens. Phrasennebel hält sich für Tarnkappe, hinter der man die eiserne Stirn gallischer Großmut nicht sehe. Doch wehe, wenn man nicht der eigenen Selbstverliebtheit den Schleier wegzieht. Klopft vielleicht das harte Hämmern des Schicksals ein unter Schmutz und Quarz verborgenes Edelmetall heraus, zieht vor seelischen Goldsuchern ein Zeitalter herauf, wo weder Marseillaise noch Rule Britania noch Deutschland über alles nach dem God save the King und Heil Dir im Siegerkranz umsonst in gleicher Melodie angestimmt? Jedenfalls ist Völkerbund keine elektrische Birne, die man nach Belieben anzünden und abdrehen kann, sondern lebendige Frucht, die nur im Sonnenschein der Wahrheit reift. Gilt Robespierres Spruch »die Wahrheit hat ergreifende Töne, die Lüge kann sie so wenig nachahmen wie Salmoneus die Donner des Zeus«?

Fenriswolf und Midgardschlange der Götzendämmerung beißen nicht so tödlich, wie der blöde Hodur auf Baldur schießt. Nicht eher kommt Allvadurs Segen über eine neue Welt, ehe nicht der hämische Loki in der deutschen Seele erschlagen. Wie das große 18. Jahrhundert bei Waterloo den Heldentod starb, so brachte das größenwahnsinnige 19. Jahrhundert sich selber um, wie sieht die Wiedergeburt des 20. aus?

In Mereschkowskis genialem Leonardo-Roman prophezeit der problematische Herzog Moro: »Wenn künftige Jahrhunderte von Leonardo reden, so wird man auch seines Beschützers gedenken müssen«. Wir nennen diese wilde Epoche, wo unzählige Wilhelme, Ludendorff, Erzberger und hilflose Helfferiche umherwimmelten – nur von viel höherem Wuchs des Cesare Borgia mit seinem Machiavelli oder des Papst Julius mit seinem Michel Angelo – das Zeitalter Leonardos. Wird die Zukunft so die lange Spanne, wo der Berg kreiste und nur eine vergiftete Ratte gebar, nach irgendeinem Ewigkeitsmenschen taufen, der im innersten Wesen unerkannt und unverstanden dahinging, wie jener Christ und Antichrist, der stille, unheimliche Weise, der die Kunst als Wissenschaft und die Wissenschaft als Kunst betrieb? Mit nichten. Das maschinelle Zeitalter mochte wohl alle Entdeckungen und Erfindungen, deren Geheimnis er mit ins Grab nahm, vollenden und das Modell seines Flugapparates in die Lüfte heben. Doch was der Vater und Genius aller Mechanik erkannt und gewollt, die Einheit des Freischöpferischen (Gott) und der Notwendigkeitsmechanik (Natur) und im Menschen die Einheit alles Ahnens (Glauben und Wissen), erstarb in seinen unwürdigen Vollendern. Der große Pan ist tot, der Heilige Geist entfloh. Der Spiritus im Keller brennt und alles steht in Flammen.

Noch entriegelte keine Sybille die Apokalypse kommender Dinge. Erschallt schon die letzte Trompete, wird letztes Siegel gelöst, letzte Schale ausgegossen? Nach unsrer eigenen Entzifferung, daß der Patmosadler ein Diorama der Geschichte vom Jahr 100–1934 deutlich verkündete, fragt man, was soll es bedeuten: »Da geschah solch Erdbeben, wie die Welt es niemals sah ... es kam ein neuer Himmel, ohne neue Erde«? Ists wörtlich zu nehmen oder heißt es in üblicher Prophetensprache Weltrevolution, wobei »Berge und Inseln« des Individuellen verschwinden und die gröbste Doppellüge »Die Menschen sind gleich«, »die Menschen sind gut« am politischen Horizont (»Himmel«) triumphiert? Daß Babel wie ein Mühlstein ins Meer plumpst »durch einen Sturm an einem Tage« mit allen Flotten, meint dies ungeheures Meerbeben durch Auftauchen der alten Atlantis und Versinken Englands oder nur Untergang der Babelmächte im Völkermeer? Und werden »Die Heiligen des Herrn«, die Idealisten, nachher das Neue Jerusalem einer gereinigten Menschheit bauen? In Bereitschaft sein ist Alles und der Rest ist nicht Schweigen, sondern neue ewige Ordnung im All.


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