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Drittes Buch

I.

Als Jaime zwei Tage später vom Fischfang zurückgekehrt war und im Turme auf sein Essen wartete, erschien plötzlich Pèp, der den Frühstückskorb mit einer gewissen Feierlichkeit auf den Tisch stellte und sein ungewöhnliches Kommen mit der Abwesenheit seiner Familie erklärte.

»Meine Frau und Margalida haben einen neuen Bittgang nach der Klause der Cubells unternommen, und Pepet begleitet sie.«

Febrer, der seit Morgengrauen auf dem Wasser gewesen war, aß mit gutem Appetit, bis ihm endlich die ernste Miene Pèps, der ihm schweigend zuschaute, auffiel.

»Pèp, du möchtest mir gern etwas sagen, hast aber keinen Mut anzufangen«, sagte Jaime im Dialekte von Ibiza.

»So ist es, Herr.«

Wie alle schüchternen Menschen, die lange zweifeln und schwanken, ob sie sprechen sollen, sich dann aber blindlings mitten in die Sache hineinstürzen, brachte Pèp ohne Umschweife sein Anliegen vor.

»Ja, ich habe mit Ihnen zu reden, Don Jaime, über eine sehr wichtige Angelegenheit. Seit zwei Tagen denke ich unaufhörlich darüber nach und kann nicht länger schweigen. Daß ich Ihnen heute das Essen brachte, war nur ein Vorwand, um mit Ihnen ungestört sprechen zu können. Warum machen Sie sich lustig über uns, die wir Sie so gern haben?«

»Ich, mich lustig machen?« rief Febrer erstaunt aus.

»Ja, Don Jaime, das ist leider wahr«, bestätigte Pèp traurig. »Was bedeutet sonst dieser Vorgang in der Gewitternacht? Welche Laune trieb Sie, sich vor aller Augen wie ein Bewerber neben Margalida zu setzen? Obacht, Don Jaime! Mit den Festeigs ist nicht zu scherzen. Ihretwegen töten sich die Männer. Ich weiß wohl, daß die Herren in der Stadt unsere Sitten verspotten und die Bauern von Ibiza für Halbwilde halten. Aber man sollte unsere Gebräuche respektieren und uns bei den wenigen Gelegenheiten, froh zu sein, nicht stören.«

Febrer hatte schweigend zugehört und antwortete jetzt bekümmert:

»Mein lieber Pèp, ich habe nie die geringste Absicht gehabt, mich über euch lustig zu machen! Damit du es ein für allemal weißt, ich bewerbe mich um Margalida, ebenso wie dieser widerliche Vèrro, der Cantó und alle die jungen Burschen, die bei dir zusammenkommen, um ihr den Hof zu machen. Neulich nachts nahm ich am Festeig teil, weil die Qual für mich zu groß wurde und ich mir endlich klar darüber geworden war, was mir fehlte. Ich liebe Margalida und werde mich mit ihr verheiraten, ... vorausgesetzt, daß sie mich will.«

Der ernste und bewegte Ton seiner Worte nahm Pèp jeden Zweifel.

»Also doch!« rief er aus. »Dann hat mir die Atlòta ja die Wahrheit gesagt, als ich sie nach dem Grunde Ihres Besuches fragte. Aber ich legte ihren Worten keine Bedeutung bei, denn junge Mädchen sind immer sehr von sich eingenommen und glauben, daß alle Männer ihretwegen den Kopf verlieren. – Also ist es wahr!«

Diese Gewißheit kam ihm so komisch vor, daß er lächeln mußte.

»Aber, Don Jaime! Mit diesem Beweise der Wertschätzung tun Sie mir und meiner Familie eine große Ehre an. Das Schlimmste ist nur, daß die Atlòta übermütig wird und sich einbildet, sie wäre würdig, einen Prinzen zu heiraten. Die Bauernburschen werden ihr nicht mehr passen. Nein, Herr, das kann nicht sein. Nicht wahr, Sie sehen selbst die Unmöglichkeit ein? – Ich bin auch jung gewesen und weiß, was das bedeutet. Man geht jedem Mädchen nach, das nicht gerade häßlich ist. Aber dann überlegt man und läßt die Dummheiten beiseite. Sie haben doch sicher inzwischen überlegt, Don Jaime? Ihr Besuch neulich abends war nur eine Laune, nicht wahr?«

Febrer schüttelte energisch den Kopf.

»Nein, Pèp, es handelt sich nicht um eine Laune. Ich liebe Margalida und werde tun, was meine Liebe von mir verlangt. Lange Zeit bin ich ein Sklave meiner Skrupel und Vorurteile gewesen, aber in Zukunft wird nur mein eigener Wille ausschlaggebend sein. Ich liebe Margalida und verlange dieselben Rechte wie irgendein anderer Bewerber. Und damit Schluß!«

Pèp, außer sich über diese Worte, die seine Ehrfurcht vor der Tradition aufs tiefste verletzten, erhob die Arme zum Himmel.

»Siñor, Siñor!«

Er hatte den Allmächtigen als Zeugen notwendig, um seinen Schreck und seine Verwirrung auszudrücken. Ein Febrer wollte sich mit einem Bauernmädchen von Can Mallorqui verheiraten! Dieses Vorhaben stieß alle Gesetze der Natur um, und es kam ihm vor, als ob das Meer die Insel überflutete und seine Mandelbäume auf den Wogen blühten. Hatte sich Don Jaime Rechenschaft darüber abgelegt, was sein Wunsch bedeutete?

Der tiefe Respekt und die religiöse Ehrfurcht vor den »Gebietern« von Mallorca, die ihm von seinen Eltern eingeflößt waren und die in den langen Jahren der Dienstbarkeit in seiner Seele immer tiefer Wurzel gefaßt hatten, empörten sich gegen einen Plan, der die ganze soziale Stufenleiter umriß und sich über den Willen Gottes hinwegsetzte.

»Und wollen Sie wirklich, Don Jaime, daß ich, der arme Pèp von Can Mallorqui, ein Verwandter werden soll von Ihrem Herrn Vater, der in Madrid im Palast des Königs wohnte, mit ihm Karten spielte und so vertraut umging wie ich mit meinen Freunden in der Taverne von San José? Nein, Don Jaime, Ihr Ernst hat mich getäuscht. Der Nachkomme einer so edlen Familie kann sich nicht mit armen Bauern verbinden wollen.«

Jaime streifte mit einem Blick die Ausstattung seines Turmes und antwortete lächelnd:

»Aber Pèp, du bist doch reich im Vergleich zu mir. Warum an meine Vorfahren denken, wenn ich nur mit deiner Unterstützung lebe? Hießest du mich gehen, wüßte ich nicht, wohin mich wenden.«

Wieder erschien der ungläubige Ausdruck, mit dem Pèp derartige Äußerungen stets aufzunehmen pflegte, auf seinem Gesicht. Arm! Und gehörte dem Herrn nicht der Turm? ...

Febrer mußte lachen. Bah! Ein paar alte Steine, die ihres Daseins so müde waren, daß sie beinahe zusammenfielen, und ein brachliegender Berg, der nur Wert erhielt, wenn Pèp ihn bearbeiten würde!

Aber der Bauer gab nicht nach. Und der Besitz auf Mallorca? Wenn auch der größte Teil verlorenging, so blieb doch immer noch viel übrig. Viel! Er breitete seine Arme weit aus, als wäre es nicht möglich, diesen Besitz zu umfassen, und fügte voller Überzeugung hinzu:

»Ein Febrer kann niemals arm sein. Diese Schwierigkeiten sind nur vorübergehend.«

Jaime verzichtete darauf, ihn von seiner Armut zu überzeugen. Wenn man durchaus glauben wollte, er wäre reich, desto besser. Dann würden diese Atlòts, deren Horizont nicht über die Insel hinausging, nicht sagen können, er suchte nur aus Verzweiflung eine Verbindung mit Pèps Familie, um wieder in den Besitz von Can Mallorqui zu gelangen.

»Warum erschrickst du überhaupt so sehr, Pèp? Schließlich ist es nichts anderes als die Wiederholung dieser uralten Geschichte, in der ein König verkleidet umherirrt, sich in eine Schäferin verliebt und ihr seine Hand reicht ... Und dabei bin ich weder König, noch verkleidet, sondern befinde mich in einer sehr elenden Lage.«

»Diese Geschichte kenne ich auch«, sagte Pèp, »als Kind habe ich sie oft gehört. Ich behaupte auch gar nicht, daß es nicht vorgekommen ist, aber in anderen Zeiten, in jenen uralten Zeiten, als die Tiere sprechen konnten.«

Der brave Pèp pflegte die älteste Vergangenheit und das goldene Zeitalter der Menschen stets mit dem Ausdruck »als die Tiere sprechen konnten« zu bezeichnen.

»Aber heutzutage?« fuhr er fort. »Wenn ich auch nicht selbst lesen kann, so weiß ich doch, wie es in der Welt zugeht. Jeden Sonntag treffe ich in San José den Schreiber des Alkalden und andere gelehrte Personen, die Zeitungen halten und über alles unterrichtet sind. Die Könige verheiraten sich mit Königinnen und die Hirten mit Hirtinnen, jeder mit seinesgleichen. Die glücklichen Zeiten sind vorbei!«

»Pèp, weißt du denn, ob Margalida mich nicht gern hat? Und bist du sicher, daß auch sie meinen Wunsch für einen Unsinn hält?« fragte Jaime.

Der Bauer blieb eine ganze Weile still. Er fuhr mit einer Hand unter das seidene Kopftuch und kratzte nachdenklich in seinem krausen, graumelierten Haar. Dann lächelte er mit einem schlecht verhehlten Ausdruck von Geringschätzung bei dem Gedanken an die Frauen, diese untergeordneten Wesen.

»Wer kann jemals aus Mädchen klug werden, Don Jaime! Margalida ist wie alle anderen eitel und liebt das Ungewöhnliche. In ihrem Alter träumen sie alle, daß ein Graf oder ein Marquis kommt, um sie in einem vergoldeten Wagen fortzuführen, und daß ihre Freundinnen vor Neid hierüber platzen.«

Dann aber verschwand sein Lächeln und er fuhr fort:

»Gewiß, es ist schon möglich, daß Margalida Sie liebt. Wenn man von dem Abend spricht, weint sie und sagt, es wäre eine Torheit gewesen, äußert aber nicht das geringste Wort des Tadels gegen Sie. Ich möchte wissen, was in ihrem Herzen vorgeht.«

Febrer hörte ihm glücklich lächelnd zu, doch seine Freude verschwand schnell, als Pèp energisch betonte:

»Sei es, wie es sei! Diese Heirat ist unmöglich und wird nicht stattfinden. Margalida kann denken, was sie will, aber ich widersetze mich als ihr Vater, der nur ihr Bestes im Auge hat. Jeder soll bei seinesgleichen bleiben, Don Jaime. Das erinnert mich an einen Einsiedler, der lange in der Klause der Cubells lebte. Dieser gelehrte Mann, aber wie alle Gelehrten halb verrückt, war darauf versessen, aus einem Hahn und einer Möwe von der Größe einer Gans eine Kreuzung zu züchten.«

Und mit dem gewissenhaften Ernst, den der Landmann dem Leben der Tiere entgegenbringt, beschrieb Pèp die Unruhe, von der die Bauern nach der Einsiedelei getrieben wurden, wo sie voller Interesse den Käfig umstanden und ihre Bemerkungen austauschten.

»Jahrelang dauerten die Bemühungen des guten Klausners. Aber nicht ein Junges! Unmögliches kann man nicht vollbringen. Die beiden waren eben von verschiedenem Blut und verschiedener Rasse.«

Bei diesen Worten verwahrte er das Geschirr im Korb und machte Anstalten, zu gehen.

»Bleiben wir also dabei«, beharrte er mit bäuerlicher Zähigkeit, »daß alles ein Scherz war und daß Sie die Atlòta nicht weiter mit Ihren phantastischen Ideen beunruhigen werden.«

»Nein, Pèp. Bleiben wir dabei, daß ich Margalida lieb habe und zum Festeig mit demselben Rechte gehe, wie die anderen. Man muß die alten Gebräuche achten!«

Und Jaime lächelte über Pèps mürrische Miene, der weiter auf seinem Nein bestand. Die jungen Mädchen des Kirchspiels würden Margalida wegen ihres seltsamen Bewerbers verspotten und boshafte Zungen vielleicht Can Mallorqui verleumden, das eine ebenso ehrenhafte Vergangenheit besaß, wie die beste Familie der Insel. Mußten nicht seine eigenen Freunde, die er jeden Sonntag in San José traf, mit Recht annehmen, der Ehrgeiz triebe ihn, aus seiner Tochter eine Señorita machen zu wollen? Aber nicht allein das war zu befürchten. Hinzu kam noch die Wut der Rivalen, die Eifersucht dieser Atlòts, die neulich, starr vor Überraschung, keinen Ton geäußert hatten, als Don Jaime mitten im Unwetter hereintrat und sich an Margalidas Seite setzte. Doch jetzt beratschlagten sie sicher schon, wie sie ihm entgegentreten wollten. Man mußte die Männer von Ibiza nehmen, wie sie waren. Sie töteten sich untereinander, ohne einen Fremden je zu belästigen, solange er ihrem Leben und ihren Leidenschaften gleichgültig gegenüberstand. Wehe aber, wenn er sich in ihre Angelegenheiten mischte, noch dazu, wenn er von Mallorca war. Noch nie hatte man es erlebt, daß ein Fremder den Atlòts von Ibiza ein junges Mädchen der Insel streitig machte.

»Don Jaime, ich, der ich Sie von Kindesbeinen an kenne, beschwöre Sie bei Ihrem seligen Herrn Vater, bei Ihrem edlen Herrn Großvater, verzichten Sie auf Ihren Wunsch. Verfügen Sie über das Gehöft und über uns alle. Wir sind gern bereit, Ihnen immer zu dienen. Aber bestehen Sie nicht auf dieser Laune. Nur Unglück wird daraus hervorgehen.«

Febrer, der ihm anfänglich aufmerksam zugehört hatte, empörte sich, als Pèp von Gefahren sprach. Wollte man ihm vielleicht Furcht einflößen? Auf der ganzen Insel gab es niemanden, vor dem er zurückwich. Jetzt sprach aus ihm nicht allein die Liebe, sondern auch sein Herrenbewußtsein und der uralte Haß, der die Bewohner beider Inseln trennte.

»Kein Wort weiter, Pèp! Ich werde die Festeigs besuchen, und im Notfalle habe ich gute Kameraden, um mich zu verteidigen.«

Dabei blickte er nach seiner Flinte an der Wand und dann auf den Revolver in seinem Gürtel.

Vor dieser entschlossenen Haltung senkte Pèp den Kopf mit dem Ausdruck völliger Hoffnungslosigkeit. Verlorene Mühe, den Herrn überzeugen zu wollen! Er war starrsinnig und stolz wie alle Febrer.

»Tun Sie nach Ihrem Willen, Don Jaime. Aber erinnern Sie sich meiner Worte: Unheil lauert auf uns!«

Pèp verließ den Turm, und Jaime schaute ihm nach, bis er in der Veranda von Can Mallorqui verschwand. Schon wollte er von der Tür zurücktreten, als er das Kaplanchen zwischen den Tamarisken auftauchen sah. Erst spähte der Junge nach allen Seiten und stürmte dann wie ein Wirbelwind die Treppe herauf.

»Wo kommst du denn her?« fragte Febrer. »Dein Vater sagte mir, du wärest auch nach den Cubells.«

Der Junge lachte. Er war auf halbem Wege zurückgelaufen, um, im Gebüsch versteckt, zu warten, bis sein Vater den Turm verlassen würde. Es mußte eine sehr wichtige Besprechung gewesen sein, denn der Vater hatte sie alle fortgeschickt und erklärt, er wollte selbst das Essen hinübertragen. Seit zwei Tagen sprach er zu Hause nur von dieser Unterredung.

Febrer unterbrach ihn und fragte hastig:

»Und Margalida? Was sagt sie, Pepet, wenn du von mir sprichst?«

Der Junge reckte sich mit Selbstbewußtsein, stolz auf seine wichtige Rolle. Seine Schwester? Sie hörte ihm stillschweigend zu, wenn er von Don Jaime sprach. Manchmal lächelte sie; dann wieder füllten sich ihre Augen mit Tränen. Aber nie unterließ sie, ihn zu bitten, sich nicht in diese Angelegenheit zu mischen, sondern dem Vater zu Gefallen in das Seminar zurückzukehren.

»Aber keine Sorge, Don Jaime«, fuhr der Junge fort, »das alles wird geregelt. Ich, Pepet, bürge dafür. Ich bin sicher, daß meine Schwester Sie liebt, sogar sehr liebt. Nur hat sie noch etwas Angst und sehr viel Respekt. Wer konnte auch erwarten, daß Sie ein Auge auf Margalida werfen würden!... Zu Hause sind alle von Sinnen. Der Vater zieht ein grimmiges Gesicht und spricht mit sich selbst; die Mutter seufzt von morgens bis abends und ruft die heilige Jungfrau an; Margalida weint. Und mittlerweile glauben die Leute, daß wir äußerst fröhlich sind! Aber wie gesagt, das alles wird geregelt, Don Jaime; Sie haben mein Versprechen!«

Größere Sorgen bereiteten ihm seine alten Freunde, die Mandelblüte den Hof machten.

»Vorsicht, Herr! Scharf aufgepaßt! Ich weiß nichts Bestimmtes, denn es scheint mir, daß die Atlòts das Vertrauen zu mir verloren haben und sich hüten, in meiner Gegenwart zu sprechen. Aber etwas geht ganz bestimmt vor. Bisher haßten sie sich, und jeder ging seinen eigenen Weg. Jetzt aber haben sie sich vereinigt, um den Fremden aus dem Wege zu räumen. Ihr Stillschweigen ist äußerst beunruhigend. Nur der Cantó läuft wie ein wildgewordener Hammel umher und schreit überall, er wollte Sie töten.

Die Burschen haben keinen Respekt mehr vor Ihnen, Don Jaime. In der Gewitternacht waren sie noch wie betäubt. Ich selbst wußte nicht, ob ich meinen Augen trauen sollte, trotzdem ich schon seit einiger Zeit das Gefühl hatte, daß Ihnen Margalida nicht gleichgültig war. Sie fragten mich zuviel nach ihr aus. Jetzt ist die erste Bestürzung der Atlòts vorbei, und sie werden sicher etwas unternehmen. Sie haben ja auch Grund dazu. Noch nie hat ein Fremder in San Jose die tapfersten Atlòts der Insel beiseitegedrängt.«

Der Stolz auf seine Heimat riß das Kaplanchen hin, für einen Augenblick die Meinung der anderen zu teilen. Aber bald gewann seine Dankbarkeit und Zuneigung für Febrer wieder die Oberhand.

»Doch das ist jetzt gleichgültig. Sie wollen Margalida haben, und das genügt. Warum soll meine Schwester später auch Feldarbeit verrichten, wenn ein Herr wie Sie sich mit ihr verheiraten will! Übrigens« – hier lächelte der kleine Frechling spitzbübisch – »paßt diese Heirat mir persönlich sehr. Sie denken sicher nicht daran, unser Land zu bebauen, sondern werden mit Margalida fortgehen. Dann hat der Vater keinen Schwiegersohn mehr, dem er Can Mallorqui übergeben kann und...adieu, Soutane! Don Jaime, Sie bekommen Margalida. Hier stehe ich, das Kaplanchen, um mit der halben Insel für Sie zu kämpfen!«

Er schaute umher, als befürchtete er, den langen Schnurrbart und die ernsten Augen des alten Gendarmen zu erblicken. Dann versenkte er mit kriegerischer Gebärde seine Hand in die Schärpe und zog ein Dolchmesser hervor, dessen Blitzen ihn zu hypnotisieren schien.

»Nun?« sagte er und ließ die Augen zwischen dem blanken Stahl und Febrer hin und her wandern.

Als Jaime ihm am vorhergehenden Tage das Geschenk überreichte, hatte er, seiner frohen Laune folgend, den Kleinen niederknien lassen und ihn mit dem neuen Messer feierlich zum Ritter des Kirchspiels San José und aller benachbarten Klippen geschlagen. Das Kaplanchen war tiefernst gewesen, da er das Ganze für eine unerläßliche Zeremonie der Herren hielt.

»Nun?« wiederholte Pepet und warf Don Jaime einen Blick zu, als ob dieser nun nichts mehr zu befürchten hätte.

Seine Finger fuhren leicht über die Schneide. Dann drückte er die Spitze ein klein wenig in die Handfläche. Welch ein Juwel!

»Mit dieser Waffe brauchen wir niemanden zu fürchten, weder den Ferrer noch den Cantó. Sie sollen nur kommen! Je eher ich diese Klinge gebrauchen kann, desto besser! ... Wer es wagt, etwas gegen Sie zu unternehmen, spielt mit seinem Leben.«

Pepet verwahrte das geliebte Dolchmesser wieder sorgsam im Gürtel.

»Sie kommen doch heute abend zum Festeig, Don Jaime? Also bis nachher!«

Bei Einbruch der Nacht bereitete sich Febrer vor, nach Can Mallorqui zu gehen. Bevor er den Burnus über die Schulter warf, prüfte er seinen Revolver und auch die Patronen, ob sie vielleicht durch Feuchtigkeit gelitten hätten. Dem Ersten, der Händel anfinge, würde er die sechs Kugeln unbedenklich in den Kopf jagen. Ein barbarisches Gefühl, das keine Schonung kannte, erwachte in ihm, wie es seine Vorfahren gehabt haben mochten, als sie an feindlichen Küsten landeten und ohne Gnade alles niedermachten, um nicht selbst getötet zu werden.

Zwischen den Tamariskenbüschen stieg er den Abhang hinunter, die eine Hand am Kolben seines Revolvers. Als er beim Gehöft ankam, sah er am Eingang eine Reihe von Atlòts, die darauf warteten, daß die Familie ihr Abendessen beendete. Brennende Zigaretten, die wie rote Pünktchen in der Dunkelheit glimmten, verrieten die Anwesenheit anderer Gruppen im Innern der Veranda.

»Bòna nit!« grüßte Febrer.

Aber nur ein leises Brummen kam als Antwort. Die halblaut geführten Unterhaltungen hörten auf, und ein feindseliges Stillschweigen verbreitete sich in der Veranda.

In Jaime, der sich in selbstbewußter Haltung an einen Pfeiler lehnte, stieg eine gewisse Erregung auf, die aber nichts mit Furcht zu tun hatte. Die Feinde, die ihn umgaben, vergaß er beinahe, dachte jedoch mit Unruhe an Margalida. Er empfand die Schauer des Liebenden, der die Nähe der Geliebten fühlt und zu gleicher Zeit ihr Erscheinen fürchtet und herbeisehnt. Unwillkürlich kamen ihm auch Erinnerungen an die Vergangenheit, und lächelnd dachte er an Miß Mary. Vielleicht würde sie ihn mit einem ländlichen Siegfried vergleichen, der den Drachen, den Hüter des Schatzes von Ibiza, tötet. Und seine alten Freundinnen in Madrid und Paris! Er stellte sich ihr Gelächter vor, wenn sie ihn jetzt sähen, als Bauer gekleidet und entschlossen, Rivalen mit der Kugel aus dem Wege zu räumen, um ein Bauernmädchen zu heiraten. Und wenn sie ihn sähen?... Margalida war mehr wert, als alle Frauen, die er bisher kennengelernt hatte.

Die Tür öffnete sich, und in ihrem erleuchteten Rahmen erschien Pèp, der wohlwollend zum Nähertreten einlud und die Atlòts begrüßte.

Als er Febrer erkannte, war er sichtlich betroffen. Wie konnte nur Don Jaime zusammen mit den anderen draußen warten, anstatt sofort in das Haus zu treten, das ihm doch ganz zur Verfügung stand. Febrer zuckte mit den Achseln. Er wollte keine Vorrechte haben, nur ebenso behandelt werden, wie die übrigen. Im stillen hoffte er auch, schneller an sein Ziel zu gelangen, wenn man sich seiner früheren Stellung als Respektsperson möglichst wenig erinnerte.

Pèp bat ihn, an seiner Seite Platz zu nehmen, und versuchte, ihn zu unterhalten. Aber Febrer achtete wenig auf seine Worte. Er ließ Margalida nicht aus den Augen, die mit der Miene einer schüchternen Königin die bewundernden Huldigungen ihrer Verehrer empfing.

Nicht wie sonst herrschte fröhliche Unterhaltung, noch hörte man Scherze und Lachen. Mit gesenkten Blicken und zusammengekniffenen Lippen verharrten die Atlòts in Stillschweigen, als ob nebenan ein Toter aufgebahrt wäre. Die Gegenwart dieses Fremden lastete auf ihnen. Verfluchter Eindringling von Mallorca!...

Als jeder der jungen Burschen Margalida von seiner Liebe und seinen Wünschen gesprochen hatte, erhob sich Febrer rasch und schritt zu ihr hinüber. Pèp blieb mit offenem Munde sitzen, denn Jaime verließ ihn, ohne abzuwarten, daß er den angefangenen Satz beendigte.

Niemand regte sich. Die Atlòts waren begierig, auch das leiseste Wort des Fremden zu hören. Doch Pèp, der ihre Absicht erriet, begann sofort mit seiner Frau und Pepet eine laute Unterhaltung über die Feldarbeiten es nächsten Tages.

»Margalida! Mandelblüte!«

Zärtlich schmeichelte sich Febrers Stimme in ihr Ohr:

»Ich bin gekommen, um dich von meiner Liebe zu überzeugen. Es ist eine echte, große Liebe, die mich treibt, nicht eine Laune, wie du neulich annahmst. Ich weiß selbst nicht, wann und wie dieses Gefühl in meinem Herzen aufgekeimt ist. Zuerst litt ich unter der Einsamkeit im Turm und empfand eine unbestimmte Sehnsucht, den Wunsch, geliebt zu werden. Lange habe ich geschwankt und gezweifelt, bis ich endlich den Weg fand, der zum Glück führt. Du bist das Glück, Margalida, Mandelblüte! Ich bin nicht mehr jung, ich bin jetzt auch arm, aber ich habe dich sehr lieb! Sage mir ein Wort, nur ein einziges Wort, weiter nichts, damit die Ungewißheit, in der ich lebe, aufhört.«

Margalida hob langsam den gesenkten Kopf.

»Nein, nein!« sagte sie. »Bitte, gehen Sie fort, ich habe große Furcht!« Und mit einem schnellen Blick streifte sie alle diese braunen Gesichter, deren schwarze Augen die beiden zu verbrennen schienen.

Furcht! ... Dieses Wort genügte für Febrer, um sich aus seiner bittenden, gebeugten Stellung emporzurichten und auf die in der Nähe sitzenden Rivalen einen verächtlichen Blick zu werfen. Furcht? Vor wem? Er war Mannes genug, um es mit allen diesen Burschen samt ihren unzähligen Verwandten aufzunehmen.

»Du darfst keine Furcht haben, Margalida, weder für dich, noch für mich. Beantworte lieber meine Frage. Darf ich hoffen?«

Aber das angsterfüllte Kind blieb stumm. Mit blutlosen Lippen und bleichen Wangen senkte Margalida tief den Kopf, um ihre feuchten Augen zu verbergen. Mühsam unterdrückte sie ein Schluchzen, denn ihre Tränen hätten in dieser haßerfüllten Atmosphäre das Zeichen zum Kampf sein können. Ihre Mutter, die nahe beim Herde Körbchen flocht, erriet mit dem Instinkte der Frau, wie das junge Mädchen litt. Glücklicherweise machte Pèp, der den angstvollen Blick seiner Tochter beobachtet hatte, der peinvollen Situation ein Ende und rief: »Halb zehn!«

Die Atlòts waren überrascht und protestierten. Noch fehlten einige Minuten, und Pèp müßte das Übereinkommen innehalten. Aber dieser Starrkopf war taub gegen alle Einwände, ging zur Tür, öffnete sie weit und rief nochmals: »Halb zehn!«

Die Atlòts, die keinen Widerspruch mehr wagten, kamen der Reihe nach an ihm vorbei, um sich zu verabschieden. Als Jaime ihm gute Nacht sagte, versuchte Pèp, ihn zurückzuhalten, und bat, seine Begleitung bis zum Turme anzunehmen. Bei diesen Worten schaute er unruhig auf den Ferrer, der hinter den anderen zurückgeblieben war und sichtlich sein Fortgehen verzögerte.

Anstatt zu antworten, befreite Febrer seinen Arm mit einer ungestümen Bewegung und verließ das Haus. Sah er aus, als hätte er Begleitung notwendig! Er war bekümmert über Margalidas Stillschweigen, das ihm wenig Hoffnung ließ, und voll Wut über die feindselige Haltung der Burschen. Auch fühlte er sich gekränkt durch Pèps seltsame Art, den Abend plötzlich abzubrechen.

Die Atlòts zerstreuten sich. Aber nicht wie sonst ertönten frohe Zurufe und Lieder. Das Dunkel der Nacht schien Tragisches zu bergen.

Ohne rückwärts zu schauen, verfolgte Febrer seinen Weg. Von dem Wunsche erfüllt, einem Feinde zu begegnen, ließ er sich öfter durch das Rascheln der vom Nachtwind bewegten dürren Zweige irreführen und lauschte angestrengt in die Dunkelheit.

Als er bei dem dichten Gestrüpp am Fuß des Hügels ankam, drehte er sich um und wartete mit dem Revolver in der Hand. Kam ihm denn niemand nach? Nicht einmal dieser berüchtigte Vèrro?

Aber die Zeit verging, ohne daß sich jemand zeigte. Die Bäume und Büsche um ihn herum, noch größer in dem geheimnisvollen Dunkel der Nacht, schienen mit ihrem Rauschen über seinen Zorn ironisch zu lachen. Allmählich teilte sich auch ihm die Ruhe der schlafenden Natur mit. Verächtlich zuckte er mit den Schultern und setzte seinen Weg zum Turme fort.

Den folgenden Tag verbrachte er mit dem alten Ventolera am Vedrá. Als er abends heimkehrte, fand er auf dem Tische das kalt gewordene Abendessen. In den weißen Kalk der Wand waren einige Kreuze und der Name Febrer eingekratzt. Diese Runen verrieten ihm, daß das Kaplanchen im Turm gewesen war. Der Junge versäumte keine Gelegenheit, sein Dolchmesser zu gebrauchen, und wäre es auch nur, um auf den Steinen etwas einzuritzen.

Am nächsten Morgen erschien Pepet mit geheimnisvoller Miene, um Don Jaime Sachen von höchster Wichtigkeit mitzuteilen.

Er war am vorhergehenden Nachmittage an der Schmiede des Ferrer vorbeigekommen und hatte den Vèrro in dem offenen Schuppen in eifriger Unterhaltung mit dem Cantó gesehen.

»Weiter nichts?« fragte Febrer erstaunt, als der Junge schwieg.

»Weiter nichts! Und das erscheint Ihnen wenig? Der Cantó, dem wegen seiner kranken Lunge das Steigen verboten ist, geht nie aus freien Stücken auf die Berge. Wenn er gestern bis zur Schmiede hinaufkletterte, so muß ihn der Ferrer dorthin bestellt haben. Ihre Unterhaltung war sehr erregt, und es schien mir, als ob der Vèrro Ratschläge gab, zu denen der andere beifällig nickte.«

»Und weiter?« fragte Febrer von neuem.

Das Kaplanchen hatte Mitleid mit so großer Einfalt.

»Don Jaime, jetzt heißt es aufpassen! Sie kennen die Atlòts von Ibiza nicht. Diese Unterhaltung in der Schmiede kommt mir sehr verdächtig vor. Wir haben Sonnabend, also ist heute Festeig. Sicherlich hat man irgend etwas gegen Sie geplant.«

Febrer lächelte verächtlich. Trotz alledem würde er abends nach Can Mallorqui kommen. Glaubten diese Burschen vielleicht, ihm Angst einjagen zu können? Er bedauerte nur, daß sie so lange zögerten, ihn anzugreifen.

Den Rest des Tages verbrachte Jaime in einem Zustande nervöser Überreiztheit und wünschte die Nacht herbei. Auf seinem Spaziergange vermied er, sich Can Mallorqui zu nähern, und beschränkte sich darauf, von weitem das friedliche Gehöft zu betrachten mit der leisen Hoffnung, vielleicht für einen Augenblick die zierliche Gestalt Margalidas zu sehen. Seit er sich um sie bewarb, mochte er das Haus Pèps nicht mehr wie früher freundschaftlich besuchen. Seine Gegenwart konnte diese einfachen Leute in Verwirrung bringen. Und wer weiß, ob sich das junge Mädchen nicht verbergen würde, wenn es ihn kommen sah.

Kaum funkelten die Sterne an dem klaren Winterhimmel, als Febrer vom Turme herabstieg. In der Veranda standen sämtliche Atlòts dicht gedrängt und schienen erregt über etwas zu diskutieren. Sobald sie Febrer erblickten, brachen sie die Unterhaltung ab. Niemand antwortete auf seinen Gruß. Nicht einmal das unwirsche Brummen ertönte wie beim letzten Festeig.

Als sie in die erleuchtete Küche eintraten, bemerkte Jaime in der Hand des Cantó das Tamburin. Also war der Abend für musikalische Vorträge bestimmt! Einige der Atlòts lächelten mit boshafter Miene, als freuten sie sich schon im voraus auf etwas Ungewöhnliches. Andere zeigten den mißbilligenden Ausdruck anständiger Menschen, die einem schlechten Streich beiwohnen müssen, den sie nicht verhindern können. Der Ferrer duckte sich in der entferntesten Ecke, wahrscheinlich, um möglichst unbemerkt bleiben zu wollen.

Sobald der Cantó anfing, das Tamburin zu schlagen, wurde es still, denn er hatte für den heutigen Abend ein neues Lied zu Ehren Margalidas angekündigt. Er schien auch besser bei Kräften zu sein als sonst, und seine Augen blickten lebhaft umher.

Schon bei den ersten Versen ertönte ein lautes Lachen, mit denen die Atlòts der geistreichen Ironie ihres Dichters Beifall zollten.

Febrer verstand nicht viel von dem Vortrage. Wenn er diese wilden Melodien anhören mußte, die an die naiven Weisen der ersten semitischen Seefahrer im Mittelmeer erinnerten, zog er es vor, sich seinen Gedanken zu überlassen, um geduldiger den Schluß dieser endlosen Romanzen abwarten zu können.

Aber das immer erneute, dröhnende Gelächter der Atlòts ließ ihn schließlich aufmerken. Er hatte ein unbestimmtes Gefühl, daß etwas gegen ihn vorginge. Was sagte nur dieses rabiate Schaf?

Es wurde Jaime nicht leicht, den Sinn der im Dialekt vorgetragenen Verse zu erfassen. Aber allmählich begriff er, daß die Romanze an die Atlòtas gerichtet war, die große Herren aus der Stadt heirateten, um sich wie Damen kleiden und städtischen Prunk entfalten zu können. Der Sänger verspottete die Moden, die er mit übertriebenen Ausdrücken geißelte, und erntete reichen Beifall bei seinen Zuhörern. Sogar der ehrliche Pèp lachte über diese Sticheleien, die seinem Bauernstolz schmeichelten.

Aber allmählich sang der Cantó nicht mehr von den Atlòtas im allgemeinen, sondern nur von einer einzigen, ehrgeizig und ohne Herz. Margalida saß unbeweglich mit gesenkten Augen und blassen Wangen, sichtlich erschreckt, weniger über den Vortrag, als durch den Gedanken an die wahrscheinlichen Folgen.

Jaime begann sich auf seinem Stuhl unruhig hin und her zu drehen. Es war doch unerhört von diesem Bauernlümmel, Margalida in seiner Gegenwart so zu belästigen! ... Ein noch stärkeres, noch unverschämteres Gelächter ließ ihn von neuem angestrengt aufhorchen. Der Cantó machte sich über die Atlòta lustig, die, um eine Señora zu werden, einen ruinierten Bettler ohne Haus und Familie heiraten wollte, einen Fremden, der nicht einmal Felder zu bebauen hatte.

Die Wirkung dieser Verse trat im gleichen Moment ein. So schwerfällig auch die Intelligenz Pèps war, begriff er jetzt endlich, worum es sich handelte. Er hob gebieterisch den Arm und rief:

»Genug, genug!«

Aber sein Einschreiten kam zu spät. Wie ein Blitz stürzte Febrer vor, entriß dem Cantó das Tamburin und schlug es ihm mit solcher Wucht auf den Kopf, daß die Felle platzten und der geschnitzte Holzreifen wie eine zerrissene Mütze tief auf der blutenden Stirn saß.

Sofort sprangen die Atlòts auf und fuhren mit der Hand in ihren Gürtel, noch unschlüssig, was sie tun sollten. Margalida flüchtete sich weinend an die Seite ihrer Mutter, und das Kaplanchen erachtete den Moment für gekommen, sein Messer zu ziehen. Doch der Vater brachte die Autorität, die ihm sein Alter verlieh, zur Geltung.

»Hinaus! ... sofort hinaus!« rief er.

Alle gehorchten; auch Febrer ging, trotz Pèps lebhaften Widerspruchs.

Die Atlòts, die draußen erregt diskutierten, schienen verschiedener Ansicht zu sein. Einige protestierten heftig gegen Febrers Vorgehen. Andere aber schüttelten den Kopf; sie waren darauf gefaßt gewesen. Man kann einen Mann nicht ungestraft beleidigen. Deshalb hatten sie auch vorher gewarnt, dieses Spottlied vorzutragen. Männer, die sich etwas zu sagen haben, sollen es unter vier Augen abmachen.

Beinahe wäre der Streit in Tätlichkeiten ausgeartet, wenn nicht der Cantó die Aufmerksamkeit abgelenkt hätte. Es war ihm mittlerweile gelungen, seinen Kopf von der Klammer des Tamburinreifens zu befreien. Er wischte das Blut von seiner Stirn ab und weinte dabei mit der Wut der Schwächlinge, die von der schlimmsten Rache träumen, sich dabei aber ihrer Ohnmacht bewußt sind.

»Mir das anzutun! Mir!« jammerte er, vollkommen fassungslos über diese gänzlich unerwartete Züchtigung.

Plötzlich bückte er sich und suchte in der Dunkelheit Steine, die er gegen Febrer schleuderte, wich aber nach jedem Wurf einige Schritt zurück aus Angst vor einem neuen Angriff. Doch seine Arme waren zu schwach, und die Steine fielen, ohne Febrer zu erreichen, auf den Boden. Einige Freunde ergriffen den Sänger am Arm und führten ihn fort. Solange er noch in Rufweite war, hörte man ihn wüste Drohungen ausstoßen und einen wilden Schwur, den verfluchten Fremden zu töten.

Febrer stand die ganze Zeit unbeweglich mit einer Hand im Gürtel zwischen seinen Feinden. Er schämte sich, daß sein Temperament mit ihm durchgegangen war. Um seine Gewissensbisse zu betäuben, stieß er mit halblauter Stimme Herausforderungen aus.

»Ich wollte nur, ein anderer hätte an Stelle des Cantó gesungen!«

Und seine Augen suchten den Ferrer. Aber der gefährliche Vèrro war verschwunden.

Erst viel später, als sich der ganze Lärm gelegt hatte, schlug Jaime den Weg zum Turme ein. Unterwegs machte er einige Male halt.

Niemand folgte ihm!


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