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IV.

Der Winter nahte. An manchen Tagen stürmte das Meer wild gegen die kleinen Inseln und Riffe, die zwischen Ibiza und Formentera eine beinahe ununterbrochene Felsenkette bildeten. Nur wenige Kanäle führten hindurch, so eng und gewunden, daß ihr Passieren bei schwerer See gefährlich, wenn nicht unmöglich war. Überall tosende Wirbel, schaumgekrönte Klippen, die von der nächsten Woge begraben wurden, und eine wütende Brandung, deren Gischt das Gestade der Inseln weithin übersprühte.

Fast immer war der Himmel bedeckt und das Meer aschgrau. Noch höher reckte der Vedrá seine scharfe Spitze in die düsteren, sturmzerrissenen Wolken. Brüllend stürzten die tobenden Fluten in seine unterirdischen Grotten. Die wilden Ziegen, die während des Sommers mutwillig auf den Höhen herumgesprungen waren, meckerten angsterfüllt und flüchteten in die Berghöhlen, deren Zugänge Wacholdergebüsch verdeckte.

Trotz des schlechten Wetters fuhr Febrer häufig mit dem alten Ventolera zum Fischfang. Wenn Jaime mißtrauisch den Himmel betrachtete, erklärte ihm der Alte, daß sie im Rücken des Vedrá ruhiges Wasser finden würden, und versicherte, daß die Fische an solchen Tagen besonders gern anbissen.

Meist aber hüllte der Regen die Insel in einen grauen Schleier, durch den man kaum die verschwommenen Umrisse der nahen Berge erkennen konnte. Von den Nadeln der Pinien tropfte unaufhörlich das Wasser, und die dicke Schicht des Humusbodens war so aufgeweicht, daß der Fuß tief einsank und die Spur sich sofort mit Wasser füllte. Die breiten Kronen der Feigenbäume bewegten sich im Winde hin und her wie zerrissene Regenschirme, und die nackten Mandelbäume glichen schwarzen Skeletten. Von den Höhen stürzten Gießbäche, füllten die Schluchten und suchten sich einen Weg zum Meere.

An solchen Regentagen mußte Febrer in seinem Turme bleiben, denn Jagd und Fischfang waren unmöglich. Auf den Gehöften regte sich nichts; das einzige Lebenszeichen war die dünne blaue Rauchsäule, die aus den Schornsteinen emporstieg. Jaime blätterte in seinen wenigen Büchern oder ließ die Gedanken nach Palma zurückschweifen. Was hatte sich wohl alles auf Mallorca mittlerweile ereignet? Was machten seine Freunde?

Die gezwungene Untätigkeit lastete schwer auf ihm, dessen kräftiger Körper nach ständiger Bewegung verlangte. Jetzt saß er tagelang in der Stille seines Turmes, die nur durch das Geräusch der Brandung und den schrillen Schrei der Möwen unterbrochen wurde.

Vor einigen Wochen hatte er einen zweiten Brief von seinem Freunde Tòni Clapès erhalten, der ihm mitteilte, daß der Kapitän Valls hoffte, aus Jaimes Zusammenbruch noch etwas für ihn retten zu können. Erst aber wollte Don Pablo alles endgültig in Ordnung bringen, bevor er auf Einzelheiten einging.

Febrer zuckte die Achseln über diese schwachen Hoffnungen. Für ihn war alles zu Ende! Trotzdem lehnte er sich bisweilen gegen dieses Gefühl der Resignation auf. Sollte er immer so weiter leben? ... Beging er nicht eine Dummheit, sich jung und kräftig in diesen verlorenen Winkel einzuschließen, statt draußen in der Welt den Kampf aufzunehmen? Ohne Zweifel, die Insel war sehr schön. Er hatte sie als ein romantisches Asyl empfunden während der ersten Monate, als die Sonne lachte, die Bäume grünten, die Früchte reiften und die Sitten der Bauern noch den Reiz der Neuheit für ihn besaßen. Aber in der rauhen Jahreszeit erschien alles anders. Die Einsamkeit wurde unerträglich, und die Gebräuche der Bewohner kamen ihm jetzt barbarisch vor. Er mußte heraus aus dieser Umgebung! Aber wohin gehen? Wie sich von ihr lösen? ... Er war arm. Sein ganzes Vermögen bestand in den wenigen, von Mallorca mitgebrachten Duros, ein kleines Kapital, das er noch nicht angerührt hatte, weil Pep sich nach wie vor hartnäckig weigerte, irgendeine Entschädigung anzunehmen.

Und so führten ihn alle langen Erwägungen doch nur dahin, sich mit seinem Schicksal abzufinden. Er würde versuchen, nicht mehr zu denken, nichts mehr zu erstreben. Dennoch regte sich auch in ihm die Hoffnung, die den Menschen stets begleitet, und ließ' ihn an die Möglichkeit eines unvorhergesehenen Glückszufalls zu glauben, der ihn aus dieser Lage herausreißen würde. Aber inzwischen, welch unerträgliche Einsamkeit!

Pèp und die Seinigen bildeten seinen einzigen Verkehr, aber ohne sich dessen bewußt zu werden, vielleicht einem dunklen Instinkt gehorchend, entfernten sie sich jeden Tag mehr von ihm. Jaime vergrub sich in sein Einsiedlerdasein, und sie erinnerten sich seiner immer weniger.

Seit einiger Zeit kam Margalida nicht mehr zum Turm. Stets fand sie einen Vorwand, um nicht gehen zu müssen, und vermied auch alle anderen Gelegenheiten, Febrer zu treffen. Sie war eine ganz andere geworden. Das fröhliche und vertrauensvolle Lachen ihrer Kinderjahre hatte einem spröden und zurückhaltenden Lächeln Platz gemacht, dem wissenden Lächeln der Frau, die die Schlingen auf ihrem Wege kennt und mit vorsichtigen und behutsamen Schritten vorgeht.

Seit die jungen Burschen zweimal wöchentlich zum traditionellen Festeig kamen, um ihr zärtliche Worte zu sagen, schien sie sich Rechenschaft zu geben über große Gefahren, an denen sie früher ahnungslos vorbeigegangen war.

Dieser galante Brauch, durch die Gewohnheit von Jahrhunderten geheiligt, erfüllte Febrer mit dumpfem Groll. Er empfand den Einbruch dieser prahlerischen und verliebten Atlòts in Can Mallorqui fast als eine persönliche Kränkung. Bisher hatte er Pèps Haus ein wenig als sein eigenes betrachtet. Jetzt aber wurden alle diese Eindringlinge dort gastfreundlich empfangen, und ihm blieb nichts anderes übrig, als zu gehen.

Außerdem litt er darunter, daß sich die Familie nicht mehr wie in den ersten Zeiten ausschließlich mit ihm beschäftigte. Gewiß, Pèp und seine Frau sahen noch immer in ihm den Gebieter. Und Margalida sowohl wie ihr Bruder blickten zu ihm empor wie zu einem hohen, gewaltigen Herrn, aus fernen Landen hierher gekommen, weil es nirgendwo so schön war wie auf Ibiza. Aber dennoch stand er nicht mehr wie früher allein im Mittelpunkt ihres Interesses. Die Besuche dieser vielen jungen Leute und die Veränderungen, die sie in den Gewohnheiten des Hauses hervorgerufen hatten, brachten es mit sich, daß man Jaime etwas weniger Zuvorkommenheit zeigte. Die Zukunft Margalidas bereitete ihnen Unruhe. Wer verdiente es, ihr Gatte zu werden?

Sobald die Dunkelheit einbrach, beobachtete Febrer hartnäckig ein kleines Licht, das zu seinen Füßen schimmerte. Es war die Lampe von Can Mallorqui. Aber selbst an den Abenden, an denen die Familie allein um ihr Herdfeuer saß, versteifte er sich darauf, in seiner Abgeschiedenheit zu verbleiben. Nein, er würde nicht zu ihnen hinuntergehen!

Wo waren die wunderbaren Sommerabende, an denen er bis zu später Nachtstunde mit der ganzen Familie in der Weinlaube vor dem Hause saß! Eine leichte Brise wehte vom Meere herüber und brachte Erfrischung nach der Hitze des Tages. Der Duft blühender Blumen erfüllte die Luft, und über ihnen funkelten unzählige Sterne am tropischen Himmel. Margalida sang mit weicher Stimme alte Romanzen, und Pèp erzählte von seiner Soldatenzeit. Mit der Miene eines kühnen Forschers schilderte er die seltsamen Erlebnisse, die ihm damals, als er dem König diente, in den fernen phantastischen Ländern Katalonien und Valencia begegnet waren.

Der Hund lag zusammengekauert zu seinen Füßen. Die Augen aufmerksam auf seinen Herrn gerichtet, schien er seinen Worten zu lauschen. Bisweilen verschwand er, ohne einen Laut von sich zu geben, mit einem Satze in der Dunkelheit. Die feine Nase des Jagdhundes hatte einen Hasen oder ein Kaninchen gewittert. Manchmal aber richtete er sich mit feindseligem Knurren auf. Ein Schatten huschte in der Nähe des Hauses vorbei. Blieb der späte Passant stumm, so tat man, als ob man ihn nicht bemerke, denn es war uralte Sitte auf Ibiza, sich nach Einbruch der Dunkelheit außerhalb der Häuser nicht mehr zu grüßen. Jeder, der während der Nacht umherschweifte, hatte Gründe, unbemerkt bleiben zu wollen. Ein »gute Nacht« oder eine Bitte um Feuer konnte leicht mit einem Pistolenschuß beantwortet werden.

Häufig kam auch der alte Ventolera, der wußte, daß für ihn stets ein Gläschen Figòla bereitstand. Auch er suchte, zur Unterhaltung beizutragen. Am liebsten berichtete der Alte von den Kämpfen mit Piraten, an denen sein Vater als Schiffsjunge noch teilgenommen hatte. Manchmal erzählte er auch von den ungeheuren Schätzen, die von den Mauren und Römern an der Küste vergraben worden waren. Eine Höhle auf Formentera barg die aus Spanien und Italien zusammengeschleppte Beute der Normannen, goldene Heilige, Meßkelche, Ketten, Edelsteine und in Kornmassen aufbewahrte Goldmünzen. Ein schrecklicher Drache lag auf dem Schatz und bewachte ihn. Wer sich ihm nahte, wurde zerrissen und verschlungen. –

Die Normannen waren seit vielen Jahrhunderten tot; auch der Drache lebte nicht mehr. Aber der Schatz mußte noch auf Formentera sein. Wer ihn doch finden könnte! ... Die Zuhörer zitterten vor Erregung. Der Respekt, den ihnen das Alter des Erzählers einflößte, ließ sie nicht an dem Vorhandensein dieser Reichtümer zweifeln.

Wie schön war jene Zeit gewesen! Wie zufrieden und wunschlos hatte sich Jaime gefühlt!

Sein Groll steigerte sich noch an den Abenden des Festeigs. Ohne zu wissen warum stellte er sich in die Tür seines Turms und schaute verbissen nach Pèps Hause. Alles zeigte das gewohnte Aussehen, aber er bildete sich ein, in dem Schweigen der Nacht fremde Geräusche zu hören, den Klang von Liedern und die helle Stimme Margalidas. Der verhaßte Ferrer saß sicherlich dort unten, auch dieser arme Teufel von Cantó und alle die anderen rüden Atlòts in ihrer grotesken Tracht. Großer Gott! Wie war es nur möglich, daß ihr diese rohen Burschen gefielen? ...

Wenn das Kaplanchen ihm am folgenden Tage das Essen zum Turm brachte, fragte ihn Febrer nach dem Verlauf des Abends. Und während er Pepets Erzählungen lauschte, glaubte Jaime die Familie vor sich zu sehen, wie sie hastig ihr Abendbrot aß, um pünktlich bereit zu sein. Margalida nahm von einem Haken an der Decke ihres Zimmers den schweren Sonntagsrock, streifte ihn über, legte ein rot und grün gemustertes Seidentuch kreuzweise über die Brust und ein kleineres in denselben Farben auf ihr Haar. Um das Ende ihres langen Zopfes schlang sie ein breites Band und legte dann die goldene Kette um, die ihr die Mutter überlassen hatte. So geschmückt, setzte sie sich in einer Ecke der Küche auf einen Stuhl, auf dem der Abrigais, der dicke Winterschal, ausgebreitet war.

Der Vater steckte seine Pfeife an, und die Mutter flocht an einem Binsenkorb, während das Kaplanchen sich auf der Veranda aufhielt, wo sich die Atlòts zusammenfanden.

Nachdem sie unter sich die Reihenfolge festgesetzt hatten, in der sie mit Margalida plaudern wollten, klopfte einer von ihnen an die Tür.

»Avant qui siga!« rief Pèp und gab sich mit dieser formellen Aufforderung, einzutreten, den Anschein, als würde er durch einen unerwarteten Besuch überrascht.

Die Atlòts traten näher, begrüßten die Familie und schauten aufmerksam zu dem jungen Mädchen hinüber, neben dem ein leerer Stuhl bereit stand, auf dem sie nacheinander Platz nahmen, um Margalida von ihrer Liebe zu sprechen und zu versuchen, das Herz der Atlòta zu gewinnen.

Aber in den beiden Monaten, die der Festeig schon währte, konnte sich keiner der Bewerber eines Vorsprungs rühmen. Margalida hörte zu, lächelte und antwortete mit einer erstaunlichen Geschicklichkeit, die alle gleich behandelte. So hatte sie bis jetzt blutige Zusammenstöße unter einer streitlustigen und bewaffneten Jugend vermieden.

»Und der Ferrer?« fragte Don Jaime, dessen Gedanken sich viel mit dem »verfluchten Vèrro« beschäftigten.

Pepet schüttelte den Kopf. Der Ferrer war nicht weiter als die anderen, und das Kaplanchen schien es nicht sehr zu bedauern. Seine Begeisterung für den Vèrro hatte sich etwas abgekühlt.

Die Liebe weckt bei den Männern den Mut, und seit der Ferrer den Atlòts beim Festeig als Rivale gegenüberstand, verspürten sie keine Angst mehr vor ihm, ja, sie wagten es sogar, ihm entgegenzutreten. Eines Abends war er mit einer Gitarre erschienen. Als die Reihe an ihn kam, setzte er sich neben Margalida, stimmte sein Instrument und begann, spanische Lieder zu singen. Vorher aber hatte er aus dem Gürtel eine doppelläufige Pistole gezogen, die er mit gespannten Hähnen auf ein Bein legte, für den ersten, der es wagen würde, ihn zu unterbrechen. In tiefem Stillschweigen und mit Blicken, die nichts verrieten, hörten ihm die anderen zu. Er sang, solange er wollte, und steckte dann die Pistole mit Siegermiene ein. Aber auf dem Heimwege warfen ihn ein paar trotz der Dunkelheit sichergezielte Steine zu Boden, und eine ganze Reihe von Abenden vermied er, am Festeig teilzunehmen, um nicht seinen verbundenen Kopf zeigen zu müssen. Er machte keinen Versuch, in Erfahrung zu bringen, aus wessen Hand die Steine kamen. Seine Rivalen waren zahlreich, und außerdem mußte er berücksichtigen, daß auch ihre ganze Verwandtschaft sich sofort bereitgefunden hätte, für die Ehre der Familie einen Vendettakrieg zu führen.

»Ich glaube«, äußerte sich Pepet, »daß der Ferrer gar nicht so tapfer ist, wie man sagt. Wie denken Sie darüber, Don Jaime?«

Sobald Margalida mit dem letzten der Besucher geplaudert hatte, rief ihr Vater mit lauter Stimme:

»Halb zehn! Ins Bett! Gute Nacht!«

Dieser kategorischen Aufforderung folgten die Burschen sofort und verließen das Haus.

Der ständige Umgang mit den Atlòts, die alle Waffen trugen, erweckte in Pepet immer von neuem die Sehnsucht nach dem Dolchmesser des Großvaters. Wann würde Don Jaime sich bei seinem Vater für ihn verwenden, damit man ihm endlich dieses Kleinod der Familie aushändigte?

»Don Jaime«, fuhr der Junge keck fort, »ich muß Sie an Ihr Versprechen erinnern. Was kann ein Mann wie ich ohne Waffe anfangen? Nirgendwo kann ich mich sehen lassen!«

»Geduld, Pepet«, antwortete Febrer, »an einem der nächsten Tage gehe ich zur Stadt und kaufe dein Messer.«

Jaime, der ohnehin den Wunsch verspürte, einmal neue Eindrücke in sich aufzunehmen, wanderte am nächsten Morgen nach der kleinen Hafenstadt, die ihm, der ganz Europa kennengelernt hatte, jetzt wie eine Großstadt vorkam. Er freute sich über die langen Häuserreihen, die mit roten Ziegeln ausgelegten Rinnsteine und die von buntgestreiften Markisen beschatteten Balkone. Die Schaufenster der kleinen Läden musterte er mit demselben Interesse wie früher die Luxuswaren auf den Boulevards von Paris oder in Regentstreet. Lange Zeit fesselten ihn die Auslagen eines Goldschmiedes, besonders die schön gearbeiteten Filigranknöpfe mit einem kleinen Stein in der Mitte. Und der Wunsch stieg in ihm auf, ein Dutzend dieser Knöpfe zu kaufen. Welche Überraschung für die Atlòta von Can Mallorqui, wenn er sie bat, sie als Schmuck für ihre Ärmel zu verwenden! Sicherlich würde sie Margalida von ihm annehmen, dem ernsten Herrn, dem sie kindlichen Respekt entgegenbrachte. Lästiger Respekt! Verfluchter Ernst, der nur störte! Aber der Erbe der Febrer mußte von diesem Kauf Abstand nehmen, denn das Geld in seiner Tasche hätte nicht gereicht.

Von hier ging er zu einem Waffenhändler und kaufte für Pepet das größte und schwerste Dolchmesser, das es im Laden gab, als kärglichen Ersatz für die Waffe des glorreichen Großvaters.

Müde von seinem planlosen Schlendern durch das Hafenviertel und die engen steilen Straßen, die zu dem alten Fort hinaufführten, trat er mittags in das einzige Restaurant der Stadt. Im Speisesaal waren dieselben Stammgäste wie bei seinem ersten Besuche, junge Leutnants von dem Jägerbataillon, die mit gelangweilter Miene rauchten oder durch die Fenster die ungeheure Meeresfläche betrachteten.

Bei Tisch klagten sie über das traurige Schicksal, ihre Jugend in diesem abgelegenen Winkel der Welt vertrauern zu müssen. Mallorca erschien ihnen wie ein Paradies, und voll Sehnsucht dachten sie an ihre Heimat in Spanien. Frauen! ... Das peinvolle Verlangen nach ihnen zitterte in ihrer Stimme und lag in dem Blick ihrer Augen. Wie eine Zuchthauskette lastete auf ihnen die strenge Tugend von Ibiza, die nur zweierlei kannte, entweder feindselige Gleichgültigkeit oder ein ehrenhaftes Verlöbnis, um sich möglichst bald zu verheiraten. Galante Worte führten hier auf geradem Wege zur Ehe. Wenn sich ein Mann einer jungen Dame näherte, so erwartete sie, ihn von seiner Absicht sprechen zu hören, eine Familie zu gründen.

Der einzige Wunsch dieser Offiziere war, einen Urlaub nach Mallorca oder dem Festlande zu erhalten, um einige Zeit fern von der tugendhaften, ungeselligen Insel aufatmen zu können.

Frauen! Sie sprachen von nichts anderem. Und Febrer, der an der gemeinsamen großen Tafel saß, gab ihnen stillschweigend recht. Auch ihn quälten Langeweile, Überdruß und die Vorstellung, sich in einem Gefängnis zu befinden, wo er die grausamsten Entbehrungen erdulden mußte. Jetzt erschien ihm die kleine Hauptstadt der Insel, in der die jungen Mädchen in klosterhafter Zurückgezogenheit lebten, von einer verzweifelten Monotonie erfüllt. Besser war es schon, draußen auf dem Lande zu leben, wo die Frauen mit naiver Seele sich ihrer natürlichen Zärtlichkeit hingaben, nur gehemmt durch den ihnen angeborenen Instinkt der Verteidigung.

An demselben Nachmittag verließ Jaime die Stadt. Der Optimismus, den er noch vor wenigen Stunden gehabt hatte, war verschwunden. Jetzt bemerkte er, daß die schmutzigen Straßen des Hafenviertels Übelkeit erregten. Ein muffiger Geruch kam aus den Häusern, und in den Rinnsteinen wimmelten Schwärme von Insekten, die sich surrend aus den Pfützen erhoben, wenn der Schritt eines Vorübergehenden sie aufscheuchte. Er dachte an die Hügel in der Nähe seines Turms, deren Luft gewürzt war von dem starken Duft der wilden Kräuter und dem herben Salzgeruch des Meeres. Und seine neue Heimat schien ihm wie ein lächelndes Idyll zu winken.

Ein Bauer nahm ihn auf seinem Karren mit bis nach San José. Von hier wandte er sich nach den Bergen, quer durch die Pinienwälder, deren Bäume die starken Stürme fast alle etwas gebeugt hatten. Der Himmel war bedeckt, die Luft warm und drückend. Dann und wann fielen schwere Tropfen, aber ehe die Regenwolken sich zusammenballen konnten, fegte sie ein Windstoß auseinander.

Nahe bei der Hütte eines Kohlenbrenners sah Jaime zwei Frauen, die eilig zwischen den Pinienstämmen bergabwärts schritten. Es waren Margalida und ihre Mutter, die von der Klause der Cubells kamen. Neben dieser auf einer Höhe am Meere gelegenen Einsiedelei entsprang eine wundertätige Quelle, deren klares Wasser über die steilen Felsenwände herabsprang, die den Palmen und Orangenbäumen Schutz vor den rauhen Seewinden gewährten. Jaime kam näher und begrüßte die beiden Frauen. Dann sah er auch Pepet auftauchen, der im Gebüsch irgendein Tier aufgestöbert hatte. Gemeinsam setzten sie ihren Weg nach Can Mallorqui fort. Febrer, der an der Seite von Margalida ging, beschleunigte den Schritt, so daß sie bald ein Stück voraus waren, während die Mutter, auf Pepets Schulter gestützt, mühsam folgte.

Die arme Frau litt an einer Krankheit, über die sich der Arzt nicht klar werden konnte. Bei seinen seltenen Besuchen zuckte er ratlos die Achseln. So hatte sie ihre Zuflucht zu den Heiligen genommen und der Jungfrau der Cubells heute zwei dicke Wachskerzen geweiht, die von Pèp aus der Stadt besorgt waren.

Das eilige Gehen rötete Margalidas Wangen. Febrer blickte sie aufmerksam von der Seite an. Wo hatte er seine Augen gehabt, als er monatelang in ihr nur ein kleines, niedliches Mädchen, fast ein geschlechtsloses Wesen, sah? Neben ihm ging eine Frau! Die entzückendste Frau, die ihm je begegnet war!

»Margalida!« sagte er leise und mit Innigkeit, »Margalida!«

Er stockte. Der alte Lebemann erwachte in ihm. Der Hauch von Jugend und Reinheit, den dies blühende junge Leben ausströmte, weckte in ihm lüsterne Instinkte. Als Frauenkenner genoß er mehr in der Einbildung als mit den Sinnen den Duft dieses jungfräulichen, frischen Körpers.

Und dennoch, seltsam, empfand er plötzlich eine unüberwindliche Zaghaftigkeit, die ihn am Sprechen hinderte ...

»Margalida! Margalida!«

Fragend richtete das junge Mädchen die schönen Augen auf Febrer, der sich dazu zwang, endlich irgend etwas zu äußern. Er erkundigte sich nach den Aussichten der Bewerber. Hatte sie sich schon für einen entschieden? Und wen hatte sie erwählt? Den Ferrer? ... Den Cantó?...

Sie schlug verwirrt die Augen nieder und antwortete schüchtern, wie ein beschämtes Kind. Nein! Sie hatte überhaupt keine Lust, zu heiraten, weder den Cantó, noch den Ferrer, noch sonst irgendeinen anderen. Der Festeig mußte stattfinden, weil es so der Brauch war. Außerdem aber, erzählte sie errötend, machte es ihr Vergnügen, die neidischen Gesichter der Freundinnen zu sehen, die über die große Zahl der Bewerber außer sich gerieten. Für die Atlòts empfand sie eine gewisse Dankbarkeit, weil viele von ihnen immer wieder aus so großer Entfernung nach Can Mallorqui kamen. Aber lieben? Einen von ihnen heiraten?

Sie war allmählich langsamer gegangen, so daß ihre Mutter und Pepet sie überholt hatten und jetzt vorausgingen. Als die beiden sich nun allein auf dem Fußwege sahen, blieben sie unwillkürlich stehen.

»Margalida! ... Mandelblüte! ...«

Zum Teufel mit der Zaghaftigkeit! Febrer fand die Kühnheit seiner guten Zeiten wieder. Er neigte sich zum Ohr des jungen Mädchens und flüsterte ihm zärtlich zu:

»Und ich? Wie denkst du über mich, Margalida? Wenn ich nun deinem Vater eines Tages erklären würde, ich wollte mich mit seiner Tochter verheiraten?«

»Sie!« rief die junge Atlòta aus, »Sie, Don Jaime?«

Dieses Mal sah sie ihn ohne jede Schüchternheit an und fing an zu lachen. Ach, Don Jaime liebte es, sie zum besten zu halten. Vom Vater wußte sie, daß die Febrer äußerlich so ernst und würdig aussähen wie Richter, aber in Wirklichkeit immer aufgelegt wären zu Scherzen und Spaßen. Er wollte sich wohl wieder über sie lustig machen wie damals, als er ihr im Turm seine Braut aus Terrakotta zeigte, die ihn seit Tausenden von Jahren erwartet hatte.

Aber als sie den ernsten Blick Febrers gewahrte und sein bleiches Antlitz, in dem sich die Erregung spiegelte, wurde sie blaß. Ein anderer Mann stand vor ihr, ein Don Jaime, den sie bisher nicht kannte. Instinktiv trat sie einen Schritt zurück und lehnte sich wie schutzsuchend an einen Baum. Sie zwang sich zu einem Lächeln, als ob sie immer noch an einen Scherz glaubte.

»Nein«, fuhr Febrer mit Energie fort, »ich spreche vollkommen ernsthaft. Antworte mir, Margalida. Wenn ich mich auch am Festeig beteiligte, was würdest du mir antworten?«

Sie kauerte sich an den Stamm, als könnte sie so seinen heißen Blicken entgehen. Das schwache Bäumchen schwankte, und ein Regen von gelben Blättern überschüttete sie. Bleich, mit zusammengepreßten Lippen, unfähig, auch nur ein Wort hervorzubringen, stieß sie einen leisen Seufzer aus.

In ihren großen Augen lag der angstvolle Ausdruck einfacher Menschen, die von vielen Gedanken bestürmt werden und vergeblich nach Worten ringen. Er, der Letzte der Febrer, aus dem vornehmsten Geschlechte von Mallorca, er wollte ein Bauernmädchen heiraten! War er von Sinnen?

»Margalida, ich bin nicht mehr ein großer Herr. Du bist reicher als ich. Dein Vater wünscht für dich einen Mann, der seine Felder bewirtschaftet. Soll ich es sein, Margalida? Könntest du mich liebhaben?«

Den Kopf gesenkt, stammelte sie unzusammenhängende Worte. Welch ein Wahnsinn! Das war doch alles unmöglich! Wie konnte er nur so etwas aussprechen. Er mußte träumen. Ganz gewiß, er träumte!

Aber plötzlich fühlte sie, wie Febrer ihre Hand zärtlich streichelte. Ihre Knie zitterten. Kaum konnte sie sich aufrechterhalten.

»Bin ich vielleicht zu alt für dich?« fragte er flehend. »Wirst du mich niemals lieben können?«

Seine Stimme war immer zärtlicher geworden, aber die Augen in seinem Gesicht erschreckten sie, diese Augen, die sie zu durchdringen schienen. Am ganzen Körper zitternd, entriß sie ihm ihre Hand und flüchtete, als wäre ihr Leben in Gefahr.

»Jesus, Jesus!«

Jaime folgte ihr nicht. Langsam strich er mit der Hand über seine Stirn und versuchte, Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Der Schreck Margalidas und ihre ängstliche Flucht taten ihm leid, aber er bedauerte keins seiner Worte. Wie lange war er nicht von vagen Vorstellungen gequält worden, ohne sich über das Ziel seiner Wünsche klar werden zu können. Heute hatte er seinen Weg gefunden! Gut, daß auch Margalida ihn kannte!

Endlich schritt er weiter. Von einer Höhe konnte er Margalida mit den Ihrigen sehen, die, schon im Tal, den Weg nach Can Mallorqui einschlugen.

Ohne sich bei seinem düsteren Turm aufzuhalten, ging er bis zum Meer und ließ sich dort auf einen gigantischen Felsblock nieder, dessen Fuß durch den unaufhörlichen Wogenanprall tief ausgehöhlt war. Die Spitze hing weit hinaus über die Klippen und das Meer. Eine Sturmnacht konnte ihn aus dem erschütterten Gleichgewicht in die Tiefe werfen. Sein Fatalismus trieb Jaime, sich an den äußersten Rand zu setzen. Sollte der Fels stürzen, waren Qual und Sorgen für immer vorüber!

Die Sonne durchbrach noch einmal die zerrissenen Wolken. Ihre blutrote Scheibe ließ die ungeheure Meeresfläche wie in einer Feuersbrunst aufleuchten und verbrämte die schwarzen Gewitterwolken am Horizont mit scharlachroten Säumen. Für einen kurzen Augenblick schien es, als ob sich ein glühender Lavastrom über die Küste ausbreitete.

Jaime beobachtete, wie sich die Wogen zu seinen Füßen brachen und mit Getöse in die Höhlungen der Felswand stürzten. Die untergehende Sonne gab dem Wasser einen opalartigen Schimmer. Auf dem Grunde sah er, an die Felsen angeklammert, eine seltsame Vegetation, winzige Wälder, in denen sich phantastisch geformte Tiere schnell wie ein Pfeil oder mit plumper Schwerfälligkeit bewegten. Mit grauen oder rötlichen, stachelbesetzten Panzern bedeckt oder mit Zangen, Lanzen und Hörnern bewaffnet, machten sie Jagd aufeinander.

In dieser ungeheuren Einsamkeit kam sich Febrer sehr klein vor. Er glaubte nicht mehr an die überragende Stellung des Menschen in der Schöpfung und fühlte sich diesen kleinen Ungeheuern auf dem Meeresgrunde kaum überlegen. Diese Tiere waren für den Kampf des Lebens ausgerüstet und konnten sich aus eigener Kraft erhalten, ohne der Mutlosigkeit, den Demütigungen und der Trauer ausgesetzt zu sein, die ihn bedrückten.

Der grandiose Anblick des Meeres, grausam und schonungslos in seinem Zorn, überwältigte ihn und löste in seinem Gehirn zahllose Gedanken aus, die vielleicht neu waren, aber die er als verschwommene Erinnerungen an ein früheres Leben empfand; etwas, das er schon einmal gedacht hatte, nur wußte er nicht, wann und wo.

Ein Schauer von Ehrfurcht und instinktiver Anbetung überkam ihn. Er vergaß, was sich ereignet hatte, und beugte sich ergriffen vor der ewigen Schönheit des Meeres. Das Meer ...! Er dachte an den Ursprung der Menschheit, an die ersten elenden Menschen, die dem Tiere noch so nahe standen, gemartert und überall zurückgestoßen von einer üppigen, aber feindseligen Natur, die wie ein jugendlicher, kräftiger Körper die Parasiten zu vernichten oder zu entfernen sucht, die auf Kosten seines Organismus leben wollen. Am Gestade des Meeres, beim Anblick dieser ungeheuren mysteriösen Göttlichkeit mußte den Menschen zum ersten Male das Gefühl des Friedens überkommen haben. Aus den Fluten stiegen die ersten Götter empor. In die Betrachtung der zeitlosen Bewegung der Wogen versunken und eingewiegt durch die ewige Harmonie ihres Gesanges empfand der Mensch, daß etwas Neues, Mächtiges in ihm geboren wurde: eine Seele.

Das Meer! Die Lebewesen, die es bevölkerten, waren ebenso wie diejenigen des Festlandes der Tyrannei ihrer Umwelt unterworfen. Durch Jahrtausende hindurch pflanzten sie sich in ewiger Wiederholung derselben Form und Art fort. Die Schwachen wurden von den Starken verfolgt, die ihrerseits noch Stärkeren als Beute dienten. So war es zu allen Zeiten gewesen. Das zum Kampf geborene, mit Küraß und Zangen ausgerüstete Tier, das in den dunklen Abgründen der Meerestiefe einen schonungslosen Krieg führte, hatte sich niemals mit dem schwachen, graziösen Fisch verbinden können, der in silberschimmerndem Kleide in dem durchsichtigen Wasser der Oberfläche spielte. Die Bestimmung des ersteren war, stark zu sein, zu vernichten, und wenn es sich waffenlos sah, mit gebrochenen Scheren, sich dem Unglück ohne Protest auszuliefern und unterzugehen. Besser war es, zu sterben, als seinen Ursprung, das Verhängnis der Geburt, zu verleugnen. Für die Starken gab es weder Befriedigung, noch Leben außerhalb ihres Milieus. Sie blieben Sklaven ihrer eigenen Größe. Die Rasse brachte für sie mit den Ehren auch das Unglück. Und so würde es immer sein. Die Toten waren die einzigen, die das Gegenwärtige bestimmten und regierten. Die ersten Wesen, die eine Tätigkeit entfalteten, bauten durch die Art und Weise ihrer Lebensführung den Käfig, in dem alle kommenden Generationen wie Gefangene ausharren mußten.

Während Febrer diesen trüben Gedanken nachhing, war die Sonne untergegangen. Das Meer wurde beinahe schwarz und der Himmel bleigrau. Am Horizonte zuckten die Blitze auf, die wie feurige Schlangen zu den Wogen niederzüngelten. Jaime fühlte auf Gesicht und Händen die ersten Regentropfen. Immer schneller folgten sich die Blitze, immer näher rückte das Gewitter. Trotzdem blieb er unbeweglich auf dem Felsrande sitzen. Erfüllt von einem dumpfen Zorn wider das Geschick, empörte er sich mit der ganzen Heftigkeit seines Charakters gegen die tyrannischen Fesseln der Vergangenheit.

Und warum sollte man immer abhängig sein von den Vorfahren? Warum sollten die Toten befehlen? Warum sollte man sich fügen, wenn sie hartnäckig versuchten, unsern Weg zu kreuzen?

Plötzlich brach das Gewitter los. Ein furchtbarer Blitz zerriß den Himmel und verwandelte das Meer in flüssiges Licht. Unmittelbar darauf erdröhnte ein betäubender Donner, dessen Echo von Gipfel zu Gipfel weiter hallte. In diesem Moment schien es Febrer, als ob ein wunderbares Licht, das er zum ersten Male sah, die Nebel, die bis dahin die Wahrheit verhüllt hatten, mit seinen blendenden Strahlen zerteilte. Ein neuer Mensch war in ihm erstanden und spottete jetzt über die Gedanken, die ihn noch eben beherrschten. Die Tiere dort unten zwischen den Klippen und Felsen und mit ihnen die ganze Tierwelt im Wasser und auf dem Lande waren Sklaven ihrer Umwelt. Ihnen befahlen die Toten. Denn, an unveränderliche Eigenschaften gebunden, mußten sie ebenso leben wie vor Jahrtausenden die Art, von der sie stammten. Und ebenso würde Jahrtausende nach ihnen ihre Gattung weiter existieren.

Aber der Mensch war nicht ein Sklave seines Milieus. Als vernunftbegabtes Wesen konnte er es nach seinem Belieben umgestalten. In den primitiven Zeiten lebte er in Abhängigkeit von seiner Umgebung, aber sobald er anfing, die Natur zu besiegen und sich dienstbar zu machen, sprengte er diese Art verhängnisvoller Hülle, in der die anderen Geschöpfe gefangen blieben. Was bedeutete für Jaime das Milieu, in dem er geboren war? Er würde sich ein neues schaffen, wenn es ihm beliebte!

Aber diesen Gedankengängen konnte Jaime nicht weiter folgen. Das Gewitter raste über ihm, und der Regen rauschte wie ein Wolkenbruch hernieder. Beim Licht der Blitze rannte er zum Turm mit der überströmenden Freude eines Menschen, der aus langer Gefangenschaft kommt und freie Bahn vor sich sieht.

»Ich werde tun, was ich will!« schrie er und freute sich am Klang seiner eigenen Stimme. »Weder Tote, noch Lebende sollen mir befehlen! Zur Hölle mit meinen edlen Vorfahren! ... zur Hölle mit meinen alten Ideen!«

Bei dem Gedanken an seine Ahnen stieg das Bild des berühmten Komturs Don Priamo vor ihm auf. Tapferer Malteserritter, der sich über Gott und den Teufel lustig machte und kein anderes Gesetz als seinen eigenen Willen kannte! Nein, ihn wollte Jaime nicht verleugnen! Dieser Rebell, der Beste der Febrer, war sein wahrer Vorfahre.

Im Turm zündete er ein Licht an, hüllte sich in einen wollenen Burnus und nahm ein Buch, um seine Gedanken abzulenken.

 

Zur selben Zeit drängten sich in der Küche von Can Mallorqui Margalidas Bewerber mit lehmbeschwerten Sandalen und durchnäßter Kleidung. Das Zusammensein verlängerte sich heute über die übliche Stunde hinaus, denn Pèp erlaubte den Atlòts mit väterlicher Miene, das Ende des Gewitters bei ihm abzuwarten. Es tat ihm leid, die Burschen, von denen einige noch einen stundenlangen Weg vor sich hatten, in den Regen hinauszuschicken. Sollte das Gewitter anhalten, so konnten sie in der Küche oder der Veranda übernachten.

Die Atlòts waren hocherfreut, länger als sonst bleiben zu dürfen. Der Ferrer, immer darauf bedacht, seine Rivalen auszustechen, stimmte eine Gitarre und sang mit halber Stimme Volkslieder im Dialekt von Ibiza. In einem Winkel saß der Cantó und sann über neue Verse nach. Da jeder der Atlòts schon mit Margalida geplaudert hatte, wagte es keiner, sich nochmals auf den leeren Stuhl neben sie zu setzen. Pèp, von Müdigkeit übermannt, schlummerte in seinem Lehnstuhl. Seine Frau fuhr bei jedem Donnerschlag zusammen. Ihre leisen Angstschreie vereinten sich mit Stoßgebeten: »Gebenedeit seist du, heilige Barbara, bitte für uns.« Margalida, ganz unempfänglich für die Blicke der Verehrer, schlief beinahe auf ihrem Stuhl ein.

Plötzlich wurde zweimal an die Tür geklopft. Der Hund richtete sich auf, bellte aber nicht, sondern wedelte freudig mit dem Schwanz.

Margalida und ihre Mutter schauten mit einer gewissen Unruhe nach der Tür. Wer konnte es wohl sein? So spät in der Nacht und bei diesem Unwetter? War vielleicht Don Jaime etwas zugestoßen?

Pèp, den die beiden Schläge geweckt hatten, stand auf. »Avant qui siga!«

Die Tür öffnete sich. Der Wind jagte den Regen bis in die Mitte des Raumes und ließ die Lampe jäh aufflackern. In dem schwarzen Rechteck der offenen Tür hob sich, von einem Blitze scharf beleuchtet, eine vermummte Gestalt ab, die von Nässe triefte und deren Gesicht unter einer Kapuze verborgen war.

Mit entschlossenem Schritt trat der späte Gast ohne zu grüßen ein und ging, gefolgt von dem Hunde, der seine Beine zutraulich beschnüffelte, geradenwegs zu dem leeren Stuhl, der neben Margalida stand. Auf diesem nur für die Bewerber bestimmten Platze ließ er sich nieder, schob seine Kapuze zurück und blickte das junge Mädchen an.

»Ah!« seufzte Margalida erbleichend.

Heftig erregt fuhr sie mit einer brüsken Bewegung zurück und wäre beinahe zu Boden gefallen.


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