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6.

Dienstmann Nr. 849.

Für Staatsanwalt Wadricza war es kein Vergnügen gewesen, als der Privatdetektiv und ehemalige Kommissar Steinherz von seinem Erfolge berichtete, der genau das bestätigte, was dieser früher schon ausgeführt hatte.

Über alle Einzelheiten, von Erna Sontheimers Aussagen, von dem Briefe des alten Willig, von der Suche in Robert Willigs Wohnung bis zur Auffindung der Leiche hatte Steinherz berichtet, dabei hatte er es in seiner geschickten Art verstanden, da und dort auf die Erfolglosigkeit der polizeilichen Nachforschungen hinzuweisen.

Zuletzt endete er seinen Bericht mit den Worten:

»Ich nehme jetzt wohl nicht mit Unrecht an, daß es nunmehr für den so tüchtigen Kommissar Fraundorfer eine mühelose Arbeit sein wird, den Mörder festzunehmen.«

Der Staatsanwalt hatte die Bedeutung der Worte richtig verstanden, aber er mußte schweigen, denn Steinherz war nicht mehr sein Untergebener.

Er stellte nur noch einige Fragen, die ihm von besonderer Wichtigkeit schienen.

»Hans Sontheimer war also gegen eine solche Verlobung?«

»Sehr entschieden sogar!«

»Dafür hatte er aber keine Gründe anzugeben gewußt?«

»Er hatte diese nicht angeben wollen.«

»Natürlich! Er wollte doch auch nicht angeben, wo er zur kritischen Zeit gewesen war.«

Steinherz zog die Stirn in Falten; er hütete sich aber, seine Ansicht auszusprechen, sondern begnügte sich mit einem vielsagenden und doch wieder nichtsverratenden Achselzucken.

»Ich werde den Kommissar Fraundorfer natürlich sofort veranlassen, die notwendigen Anordnungen zu treffen.«

»Sollte nicht vorher nach dem Absender des Koffers gefahndet werden?«

»Sie sind jetzt doch Privatdetektiv, Herr Steinherz!« entgegnete scharf der Staatsanwalt. »Als solcher haben Sie es nicht nötig, durch nicht verlangte Ratschläge den Amtshandlungen vorzugreifen.«

»Pardon! Ich vergaß die Selbständigkeit der Amtsbehörden.«

Als Steinherz aber allein war und die Treppe zum Ausgang hinunterstieg, da murmelte er ein Wort vor sich hin, das ihm eine Amtsbeleidigung zugezogen hätte, wenn es jemand gehört und wenn es dem Herrn Staatsanwalt Wadricza gegolten hätte.

Gehört hatte das kriminelle Wort niemand. Wen aber Steinherz damit gemeint hatte, das verriet er nicht.

Sein Weg hatte ihn zunächst nach der Gepäckaufbewahrstelle zurückgeführt, wo er auf seine eigene Verantwortung ein Verhör vornahm, das für ihn beachtenswerte Resultate zeitigte, sodaß er mit vergnügtem Gesicht sein Privatbureau aufsuchen konnte, wo er schon von Michael Gebhart erwartet wurde.

»Was haben Sie erreicht?« war dessen erste Frage, mit der er Steinherz begrüßte.

»Viel und wenig! Wie man zufrieden ist!«

»Und was ist es?« fragte Michael Gebhart weiter, der seine Unruhe kaum mäßigen konnte.

»Staatsanwalt Wadricza, der jetzt noch weniger freundschaftliche Zuneigung gegen meine unscheinbare Person gezeigt hat, ist glücklich auf einer Spur. Das hat er mir zu verstehen gegeben. Ich hätte ihm zwar sagen können, daß er der falschen Fährte folgte, aber ich hielt dies nicht für notwendig, da er hierin eine widerrechtliche Beeinflussung der Amtsgeschäfte gesehen hätte. Ich werde ihn also nicht stören; jedenfalls bin ich fest entschlossen, den Fall Willig, so darf man ihn jetzt wohl nennen, auf eigene Verantwortung zu verfolgen.«

»Auf wen hat er Verdacht?«

»Ich will den Namen nicht zu früh nennen; Wenn aber schon heute oder morgen eine Aufsehen erregende Verhaftung eines bekannten Finanziers gemeldet wird, so werde ich nicht überrascht sein.«

»Sollte es –«

»Keinen Namen,« unterbrach ihn Steinherz. »Ich glaube, wir beide kennen ihn.«

»Und Sie! Haben Sie etwas von Wichtigkeit erfahren?«

»Ein Dienstmann Nummer 849 hat den Koffer gebracht. Die Adresse auf dem Koffer weist die gleichen Schriftzüge auf wie die von mir im Ofen vorgefundenen Brieffragmente!«

»Dann können wir ja heute noch ein Resultat erzielen. Der Dienstmann Nummer 849 ist doch bald gefunden,« rief Gebhart aus.

»Scheinbar! Ich war schon in dem Dienstmännerinstitut, um mir Name und Adresse von 849 zu notieren,« war die Antwort.

»Haben Sie ihn dann aufgesucht?«

»Nein«

»Weshalb nicht?«

»Weil es diese Nummer nicht gibt.«

»Nicht gibt?«

Die Enttäuschung und Überraschung zugleich stand auf dem Gesicht Gebharts zu lesen. An eine solche Möglichkeit hatte er am wenigsten gedacht, und da er geglaubt hatte, seinem Ziele schon so nahe zu sein, mußte er erkennen, daß er noch ebensoweit davon entfernt war.

»Ja! Ein Dienstmann Nummer 849 ist noch nicht angemeldet. Mir war die Nummer schon verdächtig hoch vorgekommen.«

»Aber dann sind Sie nicht einen Schritt vorwärts gekommen.«

Steinherz zuckte die Schultern.

»Nichts zu ändern! Sicher aber ist, daß am 24. Juni nachmittags in dem Maskenverleihgeschäft Diring das Kostüm eines Dienstmannes entliehen worden war. Dieses Kostüm hatte die Nummer 849.«

»Das war er.«

»So scheint es.«

»Weiter! Weiter!« drängte Gebhart seinen Teilhaber, von dem er erwartete, er müßte noch mehr zu berichten haben.

»Dort hatte sich der Inhaber des Verleihgeschäfts gewundert, daß an einem Sommertage Kostüme geliehen werden. Der Entleiher mußte den vollen Wertbetrag einsetzen, den er wieder zurückerhalten hätte. Aber das Kostüm wurde nicht wieder zurückgebracht.«

»Wie sah der Mann aus?«

»Groß mit Vollbart. Aber mit weißen Haaren.«

»Hans Sontheimer!« rief Gebhart aus. »Auch sein Haar ist weiß, weiß geworden in der Nacht nach der Mordtat.«

»An der Gepäckaufbewahrstelle schilderte man den Dienstmann in gleicher Weise.«

Michael Gebhart starrte entsetzt vor sich hin; es schien ihm dies so ungeheuerlich, daß er es kaum fassen konnte; aber alle kleinen Verdachtsmomente drängten sich jetzt zusammen zu einem einzigen großen Verdacht:

Die Schlüssel nur in seinem Besitz; die Ähnlichkeit auf der Photographie, sein seltsames Benehmen, seine Weigerung, über seinen Aufenthalt in der kritischen Zeit Aufschluß zu geben, die Färbung seines Haares, und jetzt noch die genaue Beschreibung, die wieder auf Hans Sontheimer paßte. Weshalb aber sollte dieser zum Mörder geworden sein?

An seiner Schuld wagte Gebhart nicht mehr zu zweifeln; aber welches Geheimnis mußte vorliegen, das diesen Mann zu solcher Tat veranlassen konnte.

Und er betonte Steinherz gegenüber nochmals diesen Verdacht und die schwerwiegenden Überführungspunkte.

Dieser aber zuckte nur die Schultern; eine Antwort schwebte schon auf seinen Lippen, aber er schwieg. Irgend etwas schien ihn zu veranlassen, seine Ansicht vorerst noch für sich zu behalten.

Eine weitere Auseinandersetzung war dadurch schon unmöglich gemacht worden, daß ein neuerlicher Besuch angemeldet worden war.

Emil Willig aus Hamburg.

Dieser war von kleiner, unscheinbarer Gestalt mit verrunzeltem Gesicht, bartlos und mit grünlichen Augen, die unstet umherirrten.

»Auf Ihr Telegramm bin ich sofort mit dem nächsten Expreßzug gereist. Unfall! Ich befürchte das Schlimmste. Ist er tot? Sagen Sie es, halten Sie mich nicht zurück! Kann ich ihn lebend noch sehen?''

»Es ist das Schlimmste.«

»Also tot!«

Für einen Augenblick schien Emil Willig ganz in sich versunken; dann aber kam sofort wieder Leben in seine erstarrte Gestalt.

»Wie ist er gestorben? Ein Unfall oder Schlimmeres? Sein letzter Brief, den ich Ihnen mitgeteilt habe, läßt mich dies befürchten!«

»Werden Sie nicht erschrecken?«

»Nein! Ich habe Nerven, die alles ertragen können. Was nicht mehr zu ändern ist, ist nicht mehr zu ändern. Dann sind auch Klagen zwecklos!«

Steinherz sah fast bewundernd auf diesen alten Mann, der trotz eines solchen Verlustes noch so reden konnte.

»Er wurde ermordet.«

Dann berichtete er genau, wie er nachgeforscht hatte, wie er die ersten Spuren entdeckte, bis er die Leiche selbst gefunden hatte.

Die Bruchstücke des Briefes legte er dem Alten vor.

»Ist Ihnen diese Schrift bekannt?«

»Nein!«

»Finden Sie keine Ähnlichkeit mit einer Ihnen bekannten Schrift heraus?«

»Nein! Ich habe dafür ein besonders gutes Auge. Die Schrift ist ja verstellt, denn der Schreiber machte die Schlingen der h, g und l mit Absicht breit und lang. Hier hatte er sich verschrieben! Die seinen sind für gewöhnlich kurz und schmal! Hier! Dann hatte er die Schlinge verlängert und bauchig gemacht.«

»Sie wissen auch heute noch nicht, was der Tote mit seinem Briefe angedeutet hat?«

»Nein!« erklärte er mit Bestimmtheit. »Mir ist es ein Rätsel.«

»Sie können auch gegen niemand irgendwelchen Verdacht aussprechen?«

»Nein!«

»Hat Ihr Sohn Ihnen geschrieben, daß er sich heimlich mit der Tochter Ihres Geschäftsfreundes verlobt hat?« frug Steinherz weiter.

»Mit Erna Sontheimer?«

»Ja!«

»Nein! Das hätte ich auch nie geduldet!«

»Sie auch nicht?«

»Natürlich nicht! Das wäre – nein das hätte ich nicht zugelassen.«

»Weshalb nicht?«

»Darüber spricht man nicht gern. Zudem hat dies mit dem Mord nicht das geringste zu tun. Sie werden selbstverständlich für mich noch weiter tätig sein. Zu den Gerichtsbehörden habe ich nicht viel Vertrauen!«

Die Geste, die er dazu machte, verriet allerdings nur ein sehr mäßiges Zutrauen.

»Ich bleibe hier, bis Sie den Mörder gefunden haben! Geld ist Nebensache.«


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