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5.

Die gefundene Leiche.

Frank Esdeale stand am Fenster.

Seit jener letzten Auseinandersetzung mit Hans Sontheimer hatten die beiden nur mehr die notwendigsten geschäftlichen Anordnungen besprochen. Das war in einer möglichst kurzen Art erledigt worden. Ein aufmerksamer Beobachter aber hätte dabei merken müssen, daß stets getan wurde, was Esdeale vorschlug.

Hans Sontheimer hatte nur den Schein eines freien Willens. Er war ja so müde geworden; nicht nur die Haare waren weiß geworden, er selbst fühlte sich als alter Mann.

Er hatte kaum auf die Vorschläge hingehört, die ihm Frank Esdeale unterbreitet hatte; er sah nur die Schriftzeichen, unter die er seinen Namen setzen sollte. Seine schwere Hand hielt die Feder und seine Augen irrten flüchtig über die Schriftzüge hin.

Mit über der Brust verschränkten Armen sah Frank Esdeale auf seinen Teilhaber.

Feinde waren sie, er aber hatte gesiegt, er hatte die Macht, zu leiten, wie er es wollte. Damals hatten sie sich gemessen, er war nicht unterlegen; er hatte ja die Waffe in der Hand, mit der er Sontheimer zwingen konnte.

Hans Sontheimer hatte schon einige der Schriftstücke unterzeichnet, als eines doch seine Aufmerksamkeit hervorrief.

»Sie ernennen Rudi Tornay zum ersten Buchhalter?

»Ja!«

»Und den alten Elena?«

»Den habe ich entlassen. Er war schon zu alt, um das Geschäft als erster Buchhalter zu vertreten.«

»Weshalb gerade Rudi Tornay?«

»Er hat sich um das Haus Sontheimer-Esdeale schon manche Verdienste erworben.«

»Glauben Sie? Ich glaube, ihm fehlen die notwendigen Kenntnisse.«

»Sie waren schon lange Zeit nicht mehr in den Bureaus,« war die Antwort Esdeales.

»Daran mag es liegen. Vielleicht bin ich auch schon zu alt.«

Und Hans Sontheimer unterzeichnete auch dieses Schriftstück wie die anderen.

Als Esdeale dann alle in seine Mappe zurückgeschoben hatte, und eben das Arbeitszimmer Sontheimers verlassen wollte, da rief ihn dieser nochmals zurück.

»Esdeale?«

»Sie wünschen noch?«

»Wie ist die Sache vorübergegangen?«

»Gut!«

»Wenn man aber etwas finden wird?«

»Man wird nichts finden.«

»Könnte es nicht doch möglich sein?«

»Nein!«

»Dann – ist es ja gut!«

Und Frank Esdeale hatte das Zimmer verlassen. Hans Sontheimer jedoch bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen und stöhnte dabei:

»Nur um Deinetwillen! Mag schließlich mit mir geschehen, was will! Nur um Deinetwillen!«

Frank Esdeale war in das Bureau eingetreten; dort war von dem ganzen Personal nur noch Rudi Tornay anwesend; dieser wandte sich sofort an Esdeale:

»Wie war der Alte heut?«

»Wie immer!«

»Er hat also unterzeichnet?«

»Ja!«

»Es war aber auch die höchste Zeit! Länger hätte ich nicht mehr hingewartet.«

Und Frank Esdeale schwieg; er hatte in Rudi Tornay den gleichen rücksichtslosen Gegner, der er Hans Sontheimer war. Wie er diesen festhielt, so hielt ihn Rudi Tornay und so war dieser erster Buchhalter geworden.

*

An dem Porzellantürschild stand mit schwarzen Lettern: Robert Willig.

Detektiv Steinherz schellte.

Schlürfende Schritte kamen näher, eine kleine, dicke Frau mit sehr spärlichem Haarwuchs, aber mit desto üppigerem Bärtchen, das sie allscheinend auszureißen versuchte, denn es glich einem gemähten Stoppelfelde, öffnete und fragte mit heftiger Stimme nach seinen Wünschen.

»Hier wohnt Robert Willig?«

»Ja.«

»Ich möchte ihn sprechen.«

»Das möchten Sie gerne? Es wird aber nicht möglich sein.«

»Weshalb nicht?«

»Er ist schon seit mehreren Wochen nicht mehr gekommen. Die Miete ist auch schon wieder fällig. Und er war doch sonst ein so netter Herr.«

»Dann darf ich wohl sein Zimmer ansehen.«

»Weiß ich nicht! Er könnte damit nicht einverstanden sein.«

Erst jetzt legitimierte sich Steinherz und erklärte, daß er im Auftrage des Vaters von Robert Willig handle.

Wie alle Leute aus dem Volke hatte auch die dicke Frau einen furchtbaren Respekt vor allem, was von der Polizei kam oder mit dieser in Zusammenhang stand. Deshalb zögerte sie auch nicht lange, sondern führte Steinherz sofort in das Zimmer des Verschollenen, während sie laut klagte und jammerte, trotzdem Steinherz zu versichern suchte, es liege nichts von Bedeutung vor.

Das Zimmer Robert Willigs wies peinliche Sorgfalt auf; da lag nichts auf dem Boden herum, da war überall solche Ordnung, daß jeder das finden konnte, was er wollte, selbst wenn er zum ersten Male dort weilte.

Auf dem Schreibtisch lagen ungeöffnet einige Geschäftsbriefe und die Briefe des Vaters und dessen Telegramme. Deshalb hatte er nie Antwort bekommen, weil diese Briefe und Telegramme nie geöffnet worden waren.

Außerdem lag noch ein Lieferschein bei. In der Bahnhofsgepäckhalle lag ein Koffer zum Abholen bereit.

Woher und von wem dieser Koffer kam, fand sich nicht vermerkt. Jedenfalls konnte es nicht von zu großer Wichtigkeit sein.

Sämtliche Briefe, die er im Schreibtisch fand, sichtete er und manche las er mit größter Aufmerksamkeit. Aber keiner war darunter, der in die geheimnisvolle Angelegenheit und das seltsame Verschwinden Aufklärung gebracht hätte.

Viele Briefe waren mit Erna unterzeichnet; diese wanderten in die Tasche des Detektivs, denn seine Auftraggeberin konnte nur daran Interesse haben, daß diese Briefe wieder in ihren eigenen Besitz übergingen.

Die nächste Aufmerksamkeit schenkte Steinherz dem Papierkorb, den er vollständig entleerte und durchsuchte. Hier war die Arbeit eine sehr mühevolle. Oftmals mußte er die Stücke eines zerrissenen Briefes zusammensuchen und wenn dies mühsam gelungen war, dann mußte er erkennen, daß die Mühe sich nicht gelohnt hatte.

Nichts hatte er gefunden! Und kein Raum, kein Behälter, den er nicht durchsucht hatte.

Nur der Ofen!

Er öffnete diesen.

Nur Asche! Aus der Asche aber leuchteten einige weiße Papierstückchen, die nicht vollends verkohlt waren; er sah darauf Schriftzüge.

Konnte ihm das die Lösung bringen?

Sorgfältig holte er alle aus der Asche.

Nach mühevollem Suchen konnte er das folgende Bruchstück eines Briefes zusammenstellen:

». .nde machen. . i Glonn Auho . . neun U . . lein . . enster off . . . etzte . . estimm . . orn . . ai . .«

Was aber konnte er mit so unvollständigen Bruchstücken beginnen. Die Worte selbst konnte er entsprechend ergänzen.

Ende machen, bei Glonn Auhof, neun Uhr, allein, Fenster offen, letzte, bestimmt.

Mit den zwei letzten wußte er nichts zu beginnen.

Mit aller Sicherheit konnte er nur das eine entnehmen, daß Robert Willig in diesem Schriftstück nach der einsamen Villa an der Glonn bei Auhof bestellt worden war.

Daraus aber ergab sich mit untrüglicher Sicherheit, daß er dort ermordet worden war.

Nur die Leiche war noch nicht gefunden.

Sorgsam barg er die Bruchstücke des Briefes in seiner Mappe, dann eilte er mit dem Lieferschein des Koffers nach der Gepäckstation.

Der Lieferschein trug als Datum den 25. Juni.

Ein Beamter nahm ihm den Schein ab; als er den Namen und Nummer gelesen hatte, sagte er:

»Das ist aber höchste Zeit. In dem Koffer ist wohl Wildpret verpackt, denn er riecht fürchterlich. Wie kann man das Wochen hindurch liegen lassen?«

Diese Worte hatten auf Steinherz eine überraschende Wirkung ausgeübt. Ein furchtbarer Verdacht regte sich in ihm, der sich noch mehr steigerte, als er den Koffer selbst sah. Dieser war von sehr großem Umfang, stark gebaut, die Ecken aber mit Stahlbeschlägen geschützt.

Und Steinherz bemerkte den gleichen Geruch von übelriechendem, faulendem Fleisch.

Da zweifelte er nicht mehr, da wußte er die furchtbare Lösung, da kannte er den Inhalt des Koffers.

»Detektiv Steinherz!« legitimierte er sich nun vor dem Beamten. »Robert Willig wurde bei mir als verschollen gemeldet. Ich hege nun die Befürchtung, daß an ihm ein Verbrechen verübt worden ist, deshalb möchte ich in Ihrer Anwesenheit als Zeuge den Koffer öffnen.«

Der Beamte erklärte sich denn auch bereit.

Bald waren Brechwerkzeuge beigeschafft.

Der Deckel war aufgesprengt.

Der Inhalt lag bloß..

Obenauf ein zusammengelegter, blutgetränkter Bodenteppich.

Dieser war herausgeworfen worden.

Nun zeigte sich der grauenvolle, gräßliche Anblick einer Leiche, die schon in Verwesung überging.

Der Schädel war zertrümmert. Das Gesicht verzerrt. Gewaltsam war die Leiche in den Koffer gepreßt worden. In hockender, zusammengekrümmter Stellung lag sie darin.

Und neben der Leiche lag das blutige Beil.

Die Taschen des Toten, die Steinherz sofort durchsuchte, waren geleert worden. Nichts fand sich darin vor.

Über alle Einzelheiten stellte er sodann genauen Bericht auf und holte dann zwei Polizisten, die den Koffer wieder schließen und zur nächsten Polizeistation schaffen mußten.

Dann eilte Steinherz zu dem nächsten Telegraphenamt und depeschierte nach Hamburg:

»Unfall. Ihre Hierherkunft unbedingt notwendig.«

Als er aber bei Michael Gebhart eintraf, da sagte er zu diesem:

»Ich wußte es ja, daß ich mich nicht irren konnte. Der verschwundene Teppich mußte zu finden sein, wo die Leiche war. So war es denn auch.«


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