Björnstjerne Björnson
Der König
Björnstjerne Björnson

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Verwandlung.

(Ein Zimmer bei Gran in gotischem Stil, ausgestattet mit Jagdgeräten, kostbaren Teppichen und Fellen.)

Zweite Szene.

Der König. Amtmann Koll. Der Hausherr (Gran.) Anna

Gran Hier sind wir ungestört.

(Anna, ein vierzehn- bis fünfzehnjähriges Mädchen, bringt einen Korb mit Champagner und stellt während des folgenden Gläser, Erfrischungen, Zigarren, Pfeifen auf den Tisch. Sie ist jeden Augenblick zur geringsten Handreichung bereit und wartet mit gespannter Aufmerksamkeit auf eine Gelegenheit, sich nützlich zu machen; wenn sie unbeschäftigt ist, sitzt sie auf einem Schemel im Hintergrund. Sie verständigt sich mit Gran durch Zeichen und er erteilt ihr auch die Befehle auf diese Weise. Sie nähert sich mehrmals, wenn das Gespräch lebhafter wird, unwillkürlich dem Tisch, bis ihr Gran einen Wink gibt, zurückzutreten.)

König Sieh, sieh! Da erkenne ich dich wieder. Ein Zimmer im gotischen Stil mit Jagdgeräten an den Wänden! Ein echtes Junggesellenheim. Ja, dazu hattest du seit jeher Anlagen. Wir nannten ihn schon damals an Bord nie anders als den Hagestolz. Er war in den ganzen drei Jahren nicht ein einziges Mal verliebt, während wir anderen uns in jedem Hafen mindestens einmal verliebten.

Koll Darin ist er derselbe geblieben.

Gran (bietet Champagner an).

König Danke! Der soll mir munden. (Zu Koll) Auf dein Wohl, mein alter Lehrer! (Zu Gran.) Und auf das deine! (Sie trinken.) Das tut wohl! – Nun, das muß ich sagen! Auf dieser ganzen Versammlung war eigentlich von nichts anderem die Rede, als von der Republik, obwohl das Wort nicht ein einziges Mal genannt wurde.

Koll (lächelnd). Das ist nicht unrichtig.

König Und du, der du zu freisinnig warst, um mein Lehrer bleiben zu können, du bist hier nicht freisinnig genug. Du wärst ja beinahe vom Volk gestürzt worden.

Koll Ja, ja. Da sieht man die Folgen einer Minoritätsregierung.

König Wohl auch die Folgen davon, daß man solche Untertanen hat wie meinen lieben Freund hier, den Großkapitalisten.

Gran Es ist immer ein Fehlgriff, einen einzigen Mann für eine Volksbewegung verantwortlich machen zu wollen.

König Das glaube ich auch. – Nun, da wären wir ja schon bei der Sache, um derentwillen ich hergekommen bin – in tiefstem Inkognito, wie ihr seht. Ja, übrigens, ich hoffe, daß mich niemand erkannt hat?

Gran und Koll Niemand! Niemand!

Dritte Szene

Die Vorigen. Flink.

Flink Ach, hier seid ihr. (Rennt in freudiger Erregung händereibend im Vordergrunde auf und ab.) Was sagt ihr zu der Versammlung, Kinder? Wie?

König Wer ist das?

Gran Wir wollen trachten, ihn los zu werden. – Höre einmal, du – –

Flink (blickt auf, sieht den König, stutzt). Ich bitte um Entschuldigung, ich dachte, wir seien – –

Gran (macht den Versuch, vorzustellen). Herr, Herr – – (Er sieht den König fragend an.)

König Speranza.

Flink Sind Sie Italiener?

König Nur dem Namen nach.

Gran (vorstellend). Herr Flink.

König Doch wohl nicht A. B. Flink?

Gran Jawohl.

König (lebhaft). Unser Wander-Philosoph. (Er ergreift seine Hand.) Ich habe einige Ihrer Bücher gelesen.

Flink (lächelnd). Wirklich?

König Waren Sie auch jetzt wieder auf Reisen?

Flink Ja.

König Wieder zu Fuß?

Flink Immer zu Fuß.

König (eifrig). Da gibt es wohl keinen Menschen im ganzen Land, der die Volksstimmung besser kennt als Sie? Setzen Sie sich doch zu uns. – Trinken Sie Champagner?

Flink Ja, wenn es nichts Besseres gibt.

König (Flink zutrinkend). Auf Ihr Wohl! (Alle trinken und setzen sich.)

König (in halb liegender Stellung auf einer Ruhebank). Wo sind Sie jetzt gewesen?

Flink Zuletzt auf der Jagd mit meinem Freund Gran.

König Auch Ihnen ist er ein Freund? Er ist auch der meine. Der beste Freund meiner Jugendzeit. (Er streckt seine Hand aus, Gran erhebt sich und umfaßt mit seinen beiden Händen die Rechte des Königs.)

Koll (zu dem erstaunten Flink). Herr Speranza ist gleichzeitig mit Gran Seekadett gewesen.

Flink Ah! Sie waren auf demselben Schiff?

König Wir haben eine ganze Weltumseglung zusammen gemacht.

Flink Wohl damals, als auch der brustkranke Prinz mit war? Der König?

König Der seither König geworden ist – ganz richtig.

Flink Nun, wir sitzen da wahrhaftig in einer Gesellschaft, die dem König sehr nahe steht. Hier seine Schiffskameraden, dort sein Lehrer der Rechtswissenschaft – –

Koll Du vergißt dich selbst, du bist ja der Lehrer seines Lehrers.

König – – Der Philosophie, wirklich?

Flink Ja, solche Sorge können einem seine Schüler machen.

König Sie wird wohl nicht so groß sein als die Sorge, die ihrem Schüler der seine seither gemacht hat.

Koll Der König war ein sehr fähiger Schüler.

Flink (lustig). Davon merkt man an seiner Regierung verdammt wenig.

Koll Nichts Böses über den König, wenn ich bitten darf.

Flink Gott bewahre! (Er schnupft.) Seine Anlagen, seine großen Anlagen, seine genialen Anlagen – ich kenne das schon. (Er reicht seine Dose herum.)

Gran Aber wir sprachen ja von der Stimmung im Volke, Flink. Ist sie ungefähr wie die, die heute hier zutage trat?

Flink Das möchte ich nicht gerade sagen. Diese Gegend ist weiter vorgeschritten als die andere.

König Ist die Bevölkerung republikanisch oder königstreu gesinnt?

Flink Ja, wie man's nimmt. Die König hat vor kurzem große Reisen im Lande gemacht, er ist ja der commis voyageur seines Hauses wie alle Könige und Kronprinzen. Er wurde auch überall sehr gefeiert. Fragt man aber den Bauer: Wie gefiel dir die Pracht und der Prunk des Königs? Dann antwortet er unbedingt: Sie sind verdammt teuer. Hahaha.

Gran Der Bauer ist ein Realist.

Flink Ein grober Realist! Hahaha! Die Autonomie ist billiger. Das kann er sich von den Fingern abzählen.

König Also bewußter Republikaner ist er doch nicht?

Flink Im großen und ganzen nicht. Noch nicht. Aber es geht vorwärts. Dafür sorgt schon unsere reaktionäre Regierung. Und die Briefe aus Amerika.

König Die Briefe aus Amerika?

Gran Es gibt kaum eine Familie im Lande, die nicht Verwandte in Amerika hätte.

König Und die schreiben nach Hause von Autonomie, von republikanischen Bräuchen?

Flink – – und Einrichtungen. Jawohl, so ist es.

König Haben Sie schon einen derartigen Brief gelesen.

Flink Viele.

König Dein Champagner ist gut. (Trinkt.)

Gran Dann wollen wir trinken. (Alle trinken.)

Flink Ich vertrage übrigens nicht viel von diesem Zeug.

König Wenn nun aber der König eine wirklich volkstümliche Regierung einsetzte? Wenn er selbst nach jeder Richtung das Leben eines Bürgers führen würde?

Koll Nach jeder Richtung? Was wäre darunter zu verstehen?

König Wenn er einen bürgerlichen Haushalt, das Eheleben eines Bürgers führte und sich zu bestimmten Zeiten in seinem Arbeitszimmer einfände wie jeder andere Beamte?

Koll Also auch kein Hofstaat?

König Nein. (Gran und Koll wechseln bedeutungsvolle Blicke.)

Flink (achselzuckend) Nun, das wäre das einzige, was noch zu versuchen übrig bliebe.

König (der die spöttische Bewegung nicht gesehen hat) Nicht wahr, das wäre eine Möglichkeit, darin sind wir einig? Es freut mich sehr, daß ich Gelegenheit hatte, mit Ihnen zu sprechen, Herr Flink.

Flink Ganz meinerseits, Herr – – Herr. (Leise zu Koll) Ist er Republikaner?

König Ob ich Republikaner bin? Ich habe zu viele allerhöchste Herrschaften gekannt, um es nicht zu sein. (Er nippt an seinem Glas.) Verdammt guter Tropfen das.

Flink (der auch trinkt) Aber sehen Sie, Herr.... Herr Republikaner, hehehe! .... (lächelnd und flüsternd) das, was Sie vorgeschlagen haben .... das darf der König einfach nicht, hehehe! –

König Wie meinen Sie das?

Gran (der inzwischen Zigarren herumgeboten, macht Koll ein Zeichen, worauf dieser sich rasch erhebt) Bist du sicher, daß das gut enden wird?

Koll Dem König wird es keinesfalls schaden, das eine oder das andere zu hören.

Flink (der sich erhoben hat, um zum Pfeifentisch zu gehen). Das darf er einfach nicht, der Arme! – – – –Was ist das Königtum? Ich frage! – Eine Versicherungskasse, recht und schlecht! Priester, Beamte, Adel, Gutsbesitzer, Großindustrielle, Militaristen sind die Aktionäre. Und die werden dem Direktor, meiner Treu, nicht durch die Finger sehen! Hehehe!

König (erhebt sich) Hahaha!

Flink (schreiend) Ist das vielleicht nicht wahr?

König Bewahre! Sehr wahr! Hahaha!

Flink (der währenddessen eine Pfeife gereinigt, gestopft und zu rauchen begonnen hat, nähert sich plötzlich dem König). Und gegen welche Gefahren versichern sie sich, diese – diese Schelme?

Ernst (gedämpft) Gegen das große Volk – gegen sein Volk!

König (sieht ihn an, wendet sich dann ab).

Gran Höre, Flink, sollten wir nicht lieber ein wenig ans Meer hinuntergehen? Der Frühlingsabend ist so schön.

Flink Im Vergleich zu einem politischen Disput scheint mir der schönste Frühlingsabend wie warmes Wasser gegen edlen, Wein. Nein, laß uns bleiben, wo wir sind! Aber was fehlt dieser Pfeife?

(Das Mädchen will ihm helfen, aber er versteht sie nicht.)

Gran Gib ihr die Pfeife, du!

Koll Wenn der König die Lage kennen würde, – das habe ich immer gesagt – so schritte er ein.

Flink Der König? Er schert sich keinen Pfifferling um alles zusammen! Er hat andere Geschäfte! Hehehe!

König Hahaha!

Koll Der König ist viel zu reich begabt, um sich auf die Dauer abseits zu halten.

Flink Er ist nicht der erste, dessen reiche Begabung dem Teufel verfällt!

König Tralala! Tralalalalala! Tralala! Es ist sehr amüsant, mit euch beisammen zu sein! (Trinkt.)

Flink (zu Gran). Ist er betrunken?

König (der sich setzt). Gib mir eine Zigarre! – Und laßt uns die Sache etwas diskussionsmäßiger behandeln. (Koll und Gran setzen sich.)

Gran Und schließlich und endlich kann eine solche Sache nicht diskutiert werden. Sie muß getan werden. An dem Tage, an dem der König sagt: Ich will mit meinem Volke leben; ich steige von dem alten königlichen Thron herab, den nur eine Lüge noch erhält – an dem Tage wird alles übrige sich von selbst finden.

Flink (der wieder bei dem Pfeifentisch ist, um die Pfeife in Ordnung zu bringen). Ja, an dem Tage!

Gran Pst, du bist bei einem Freund des Königs.

König Kein Hausdespotismus, du Republikaner! Freie Diskussion!

Flink Ich will gewiß den König nicht beleidigen. Er hat mir niemals Böses getan. Aber du erlaubst mir wohl, daran zu zweifeln, daß der König wirklich das große Licht ist, das ihr einstimmig aus ihm machen wollt?

König Ja, sicherlich!

Flink (lebhaft). Sie stimmen darin mit mir überein?

König Vollkommen! – Aber abgesehen von ihm, – angenommen, da wäre ein König, der sich unabhängig machte und sich nun über die Parteien stellte –?

Flink (der abermals bei dem Pfeifentisch ist und neuerlich die Pfeife reinigt, unterbricht). Fromme Wünsche, Kinder! König aller Parteien? (Bläst die Pfeife aus.) Das gibt's nicht! Diese Lüge erhält das konstitutionelle Königtum. Der König soll über den Parteien stehen? Ja, natürlich! –

Gran Das hieße auch das Übermenschliche von ihm verlangen.

Flink Natürlich.

König Aber ein Präsident wird das doch noch weniger tun?

Flink (wendet sich um). Er wird aber auch nicht vorgeben, es zu tun! Hehehe! Das ist der Unterschied. (Kommt nach vorne, sagt bedächtig, langsam,) Die Lüge ist hier das Unterscheidende! –

Koll O, was das betrifft ... es gibt noch genug Lügen in der Republik!

Flink Ja, gewiß, aber sie sind nicht Institutionen! Hehehe!

König Dieser Gedanke kommt aus Professor Ernsts Schriften.

Flink (lebhaft). Haben Sie sie gelesen?

König Ich habe in den letzten paar Monaten kaum etwas anderes gelesen. (Koll und Gran wechseln Blicke.)

Flink Ja – dann brauche ich nichts mehr zu sagen!

Koll Aber mit all dem kommen wir nicht von der Stelle. Unser Freund (zeigt auf den König) scheint wissen zu wollen, ob ein wirklicher, ernster Versuch mit dem, was ich ein Volks-Königtum nennen möchte, nicht auf Verständnis, auf Beistand rechnen könnte –

König (unterbrechend, lebhaft). – So ist es! ...

Koll Bei unserem aufgeklärten Volk, das der Lüge müde ist und nach einer ausgedehnten aber auch wohlgeleiteten Autonomie verlangt.

Flink (der sich eben setzen wollte, springt auf, legt die Pfeife beiseite und stemmt die Arme in die Seite). Aber was für ein Gedanke spukt da in euch allen? Seid ihr denn nicht Republikaner?

Koll Ich bin es nicht.

Gran Ich bin es; – aber finde dessen ungeachtet, daß ein Übergang gefunden werden muß, der mit Behutsamkeit –

Flink Das soll heißen mit Verrat?

Gran Verrat? –

Flink An der Wahrheit, an unserer Überzeugung.

Koll Laßt uns die großen Worte sparen! Das Königtum wurzelt in den Verhältnissen.

Flink (lächelnd). Die Assekuranzkasse!

Koll Nun ja – nenne es so! Es ist – das ist die Hauptsache. Und da es ist, wollen wir es so wahr, so zweckmäßig wie möglich gestalten.

König Dein Wohl, Koll! (Sie trinken.)

Flink (der sich einige Schritt entfernt hatte). Darauf wird sich kein Republikaner einlassen.

Gran Doch, doch!

Flink (stutzt).

König (sieht das). Laß mich! (Springt auf.) Gesetzt, wir hätten einen König, der sagte: Entweder ich helfe mir, indem ich ein Volks-Königtum, frei von allen Überresten des Absolutismus, frei von der Lüge einführe – oder ich nehme meinen Abschied –

Flink Bah!

König Ich sage nur: gesetzt den Fall! – Sie wissen ja selbst, daß sein Vetter, der Thronfolger, bigott ist –

Koll (der sich gleich Grau erhoben und wieder Blicke mit diesem gewechselt hat, wirft nun rasch ein.) Das wissen wir ja!

König (lächelt). Das wissen wir ja! – und seine Mutter, die ihn beherrscht, –

Flink – ist noch ärger! –

König Was wählten Sie da? – Entweder den König zu unterstützen in seinem Streben, das Volks-Königtum einzuführen – oder – –

Flink (unterbrechend). Zehntausendmal lieber den bigotten Prinzen mit den Dummheiten seiner Mutter und seinen eigenen. Je schlimmer, desto besser!

Gran Nein, nein, nein, nein!

König (zu den beiden). Da haben wir den Mann! (Macht einige Schritte gegen den Hintergrund.)

Koll (zu Flink). Das ist die gewöhnliche Prinzipienreiterei der Republikaner.

Gran Das Reich, das Vaterland steht über –

Flink – der Wahrheit? Lieber eine kurze Qual als eine lange Lüge, mein Lieber! – Diese Wahrheit gilt auch für das Vaterland.

Koll Diese Theoretiker – und diese Redensarten –!

Gran Ich bin auch Republikaner; ebensogut wie du, denke ich. – Aber ich zog nicht in Erwägung –

Flink – daß es Verrat wäre?

Gran Was gebrauchst du für Worte?

Flink Worte? Nur Worte? Nein, mein Freund, tätest du das – das, was du nicht einmal aussprechen solltest – da käme ich eines Tages, um Rechenschaft zu fordern! Und wenn du dich nicht mit mir schlagen wolltest – dann schösse ich dich nieder wie einen Hund!

Grau (mild). Das tätest du nicht!

Flink (rasend). Das täte ich nicht? ... Ich hätte die tiefste Liebe meiner Seele offenbart, damit du zum Verräter an ihr werden solltest ... Ich sollte die größte Errungenschaft meines Lebens ... ich sollte ihn unsere Sache verraten sehen ... und bei seinem ungeheuren Ansehen Tausende mitreißen ... nach allen meinen Enttäuschungen – am Abend meines Lebens noch diese – (Da er das Zittern seiner Stimme fühlt, bricht er ab. Schweigen.) Höre, du sollst mit dergleichen nicht spaßen. (Geht auf und ab. Das Mädchen hat sich beschützend an Graus Seite gestellt.)

Koll Ich denke, wir verändern sowohl Schauplatz als Gespräch –

König (im Vorbeigehen). – Ja, bringe ihn fort!

Flink (im Hintergrund wie zu unsichtbaren Zuhörern). Disziplin halten heißt es!

Koll (zu Grau). Du verstehst ja mit dem Mädchen zu sprechen, sage ihr, daß sie sich mit dem Abendessen beeilt.

Grau (gleichsam erwachend). Ja.

Koll (zum König). Aber hätten Sie nicht Lust, jetzt einen Spaziergang längs des Meeres zu machen?

König Gut, ich bin einverstanden!

Flink (zu Grau). Diese Freundschaft mit dem König – auf die ich weiter kein Gewicht gelegt, wird dich doch nicht – (Stockt.)

Grau – Verdorben haben, meinst du?

Flink Eben das!

König (lächelnd). Politisch?

Flink Die Politik hat auch mit Moral zu tun, mein Herr.

König Aber warum ereifern Sie sich so, mein Herr – der jetzige König ist ja ein –

Koll (rasch unterbrechend). Wir wissen schon!

König (lächelt). Sie sagen ja selbst, daß er sich des Teufels um alles das kümmert. Er hat andere Geschäfte! Und so bleibt das doch eine Frage, die in die Luft gebaut ist.

Flink (gutmütig). Sie haben im Grunde recht.

König Ja, habe ich nicht recht? Ihr wäret ja alle einig darin, daß unter ihm die Republik wachse, daß es nur eine Lust sei.

Flink Sie haben recht! Er könnte es nicht besser machen, wenn er Republikaner wäre, das versichere ich Ihnen.

König Vielleicht ist er Republikaner?

Flink (lebhaft). Vielleicht ist er Republikaner! Ausgezeichnet! Darum nimmt er Partei gegen sich selbst –

König – ist commis voyageur für seines eigenen Hauses Untergang –

Flink (sich steigernd). – für seines eigenen Hauses Untergang. Ausgezeichnet! Unterstützt seine reaktionäre Regierung mit königlichen Handschreiben, Edikten und Tischreden ...

König Selbstmörderisch!

Flink Selbstmörderisch, graß! – Ja, Sie lachen, Sie?

Koll Still, es könnte uns jemand hören!

Flink Hör' uns, wer da will! (Der König lacht laut.) Aber heiße ihn mit seinem Gelächter aufhören, du königlicher Beamter! Es ist unverzeihlich, ist Majestätsbeleidigung –

Koll Nein, höre!

Flink Dieses Gelächter sollte verhaftet werden! – Falls der König –

Gran Das ist der König.

(Der König fährt fort zu lachen. Flink sieht ihn an, dann blickt er auf Gran, auf Koll und wieder auf ihn.)

König Ich kann nicht mehr! (Ein Stuhl wird ihm gebracht.)

Flink (geht)

Vierte Szene.

Die Vorigen ohne Flink.

Koll Das war sehr übel gehandelt.

König Ja, ich weiß, vergebt mir! Aber ich konnte nicht anders. Hahahahaha!

Koll Er ist trotz aller seiner Wunderlichkeiten zu gut, um einen Narren abzugeben.

König Ja, schilt nur, ich verdiene es, aber – Hahahaha!

Gran Still, da ist er wieder.

König (springt auf.)

Fünfte Szene.

Die Vorigen. Flink kommt zurück.

Flink Seine Majestät kann überzeugt davon sein, daß ich mich in Ihrer Gegenwart nicht so ausgesprochen hätte, wenn ich ehrlichen Bescheid bekommen hätte.

König Ich weiß das. Es ist allein meine Schuld.

Flink Nein, andere tragen die Schuld; meine sogenannten Freunde.

König (eifrig). Keinesfalls! Nur meine Schuld, einzig die meine! Ich habe schon meine Schelte dafür bekommen! Und ich bitte meine Freunde in Ihrer Gegenwart um Verzeihung! Ich habe sie in falsches Licht gesetzt. Ich bitte auch Sie um Vergebung. Der Übermut gewann die Oberhand. (Lächelt wieder.)

Flink Ja, es war ungemein erheiternd!

König (wie oben). Das war es wirklich! Und schließlich und endlich, worüber haben Sie sich zu beklagen? Sie konnten mir ja Ihre Meinung sagen

Flink Das konnte ich!

König Nun ja! – Und ich verhinderte Sie daran, die Rücksichten zu nehmen, die sonst beobachtet werden müssen. Geben Sie sich zufrieden damit.

Flink Nein, zufrieden gebe ich mich nicht!

König So? – Was verlangen Sie von mir?

Flink (rauh). Nichts!

König Verzeihung! – Ich dachte nicht Sie zu beleidigen.

Flink Das haben Sie in solchem Maße getan, daß Sie natürlich nicht imstande sind, es zu begreifen! (Geht.)

Sechste Szene.

Die Vorigen ohne Flink.

König Das war ein dumme Geschichte! (Lächelt. Bemerkt Gran, der abgewandt beim Pult steht und geht direkt zu ihm hin.) Du bist böse mit mir?

Gran (steht langsam auf). Ja.

König Warum hieltest du mich nicht zurück?

Gran Das kam ja in einem Augenblick. – Aber daß Sie das Herz dazu hatten? –In meinem Hause, gegen meinen und meines Vaters alten Freund –?

König Harald! (Legt den Arm um dessen Schulter.) Habe ich dich jemals um was gebeten, das du mir nicht gewährtest?

Gran Nein.

König So bitte ich dich, mir zu glauben, daß ich es nicht getan hätte, wenn ich gedacht hätte, dich damit zu kränken – nein, um keinen Preis! – Willst du mir das glauben?

Gran Ja.

König Dank! – Und nun muß ich dir gestehen, daß ich die letzten Monate in fürchterlicher Spannung verlebt habe; deshalb gerate ich so leicht aus einem Extrem ins andere. – Und nun. Freunde (tritt von Gran fort) verzeiht mir! Oder scheltet mich ein anderes Mal. Denn jetzt muß ich mit euch von der Sache sprechen, um derentwillen ich gekommen bin. Ihr seid die einzigen, zu denen ich sprechen kann! – Deshalb seid gut mit mir! – Sollen wir uns wieder setzen?

Koll Wie Sie befehlen.

König (bleibt zwischen ihnen stehen.) Ich weiß, ihr denkt jetzt beide dieselbe Frage: Warum komme ich erst jetzt? Antwort: Weil mir meine eigene Lage erst jetzt klar geworden ist. Wenige Monate sind verflossen, da hat ein starkes Wort in mein Leben geklungen .... Es hat buchstäblich eine Menge Staub und Moder in die Luft gewirbelt. – Sag', soll das Mädchen nicht hinausgehen? (Sie hat eben die Gläser gefüllt.)

Grau Sie hört nichts.

König Armes Ding! (Setzt sich.) Als ich von der Reise zurückkehrte, – mein Onkel, der König, war tot, mein Vater König geworden, und ich Kronprinz! – Da begleitete ich meinen Vater in die Kirche. Es sollte ein Dankgottesdienst, meiner glücklichen Heimkehr zu Ehren, abgehalten werden.

Grau Ich war dabei.

König Das Ganze war mir neu, feierlich. Ich war gerührt. Da flüsterte mein Vater: ›Geh' weiter nach vorne, mein Lieber! Das Volk muß seinen künftigen König beten sehen.‹ – Damit war es vorbei! – Ich war nicht zum König geboren, meine Seele war noch rein, und mit dem größten Widerwillen stieß ich die Lüge von mir. Stellt euch das vor: Von einer dreijährigen Seereise zurückkehren und das Leben in dieser Weise beginnen – vor einem Spiegel! – Ich will mich nicht länger dabei aufhalten. Aber als mein Vater starb und ich König wurde, war mir die Lüge, in der ich lebte, so lieb geworden, daß ich die Wahrheit nicht mehr sah. – Es steht in den Staatsgrundgesetzen, welche Religion ich haben muß – und ich habe natürlich keine. So ging es mit allem! Stück für Stück! Konnte es denn anders sein? Den einzigen Lehrer, dem ich vertraut hatte – du, Koll – hatte man verabschiedet, denn man hatte entdeckt, daß du zu freisinnig wärest.

Koll (lächelt.) Ja, ja! –

König Den einzigen wirklichen Freund aus meiner guten Zeit – dich, Harald – hatte man fortgewiesen. Du warst Republikaner. – In der Verzweiflung über diesen Verlust verliebte ich mich zum erstenmal wirklich – in deine Schwester, Harald. Wieder Verbannung! – Was blieb mir? Ja, das mächtige Brausen der gesunden Jugendkraft, der Drang zur Liebe, verklang in mir zu einem liederlichen Singsang. (Trinkt.)

Grau Ich verstand das wohl.

König Wenn ihr das alles überblickt – da habt ihr mein Leben! – – Bis vor kurzem! Denn es hat sich etwas ereignet, meine lieben Freunde! – – – Nun sollt ihr mir helfen. Um es kurz und gut zu sagen: Entweder ich will der erste Beamte dieses Landes sein und mein Amt in angemessener, bürgerlicher, gesunder Weise ausfüllen, oder, beim lebenden Gott, ich will nicht länger König sein! (Erhebt sich, die anderen folgen seinem Beispiel.)

Koll So ist die Stunde nun endlich gekommen!

König Glaubt ihr denn, ich weiß nicht, daß er, der Republikaner, das Urteil der Denkenden über mich aussprach? (Sie schweigen.) Aber wie hätte ich eingreifen können, solange ich glaubte, daß alles Komödie und Lüge wäre, alles und alle? – Jetzt weiß ich, wo die Lüge liegt! Sie wird uns als Institution eingeimpft... er hatte ja recht! Und Lüge zeugt Lüge! –Ihr könnt nicht begreifen, wie komisch mir das selbst erscheint – wie sündig und traurig zu anderen Zeiten, – daß ehrbare Bürger so tun, wie wenn ich ein Wesen höherer Art wäre! – Ich? – (Geht, bleibt wieder stehen.) Der Staat ist es, die Institution, die Lüge fordern – von ihnen und von mir! Um den Frieden und das Glück zu sichern! (Geht, bleibt wieder stehen.) Schon in meiner ersten Kronprinzenzeit hat man mir alles genommen, das die Wahrheit in mir hätte großziehen können – Freundschaft, Liebe, Religion, Beruf – denn mein Beruf liegt irgendwo anders – im Namen des Staates hat man das getan! So nimmt man mir, als mündigem König, auch die Verantwortung, – die Verantwortung für meine eigenen Handlungen, – das System fordert das! Welcher Lappen muß ich sein statt einer Persönlichkeit! – Und die Macht? Die liegt in Händen der Verwaltung und der Regierung, darüber klage ich nicht; aber ich klage darüber, daß es so scheinen soll, als besäße ich sie, daß alles in meinem Namen geschieht, daß vor mir gekniet, gehurrat, gebrüllt wird, daß sich alle vor mir beugen und vor mir kriechen, wie wenn die Macht, die Verantwortung, der Zuschnitt des ganzen Landes in meiner Hand läge. – Bei mir, dem man um der Gesamtheit willen alles genommen! Ist das nicht eine jämmerliche und lächerliche Lüge? Aber um sie glaubwürdig zu machen, schmückt man sie überdies mit dem Begriff der »Heiligkeit« aus, der König ist »heilig«, »unser allergnädigster Herr,« »Seine Majestät.« Das grenzt an Gotteslästerung!

Gran Ganz gewiß.

König Nein, kann das nicht anders werden, dann gehe ich. Aber es muß anders werden können! Denn ein Volk soll doch auf seinem ewigen Zug nach Wahrheit nicht mit einer Lüge an der Spitze marschieren!

Koll Nein, das soll es nicht!

König (eifrig). Und du sollst mir helfen, das zu beweisen.

Koll Das will ich gerne tun. – Jetzt wird es lebendig werden im Land!

König Und du, mein Freund – fürchtest du nicht, von dem verrückten Republikaner erschossen zu werden, wenn du mir beistehst?

Gran Du weißt, daß ich nicht sehr bange bin vor dem Tod. – Aber das Mädchen sagt, daß das Mahl fertig ist.

König Ja, laßt uns speisen!

Koll Und dann wollen wir weiter sehen!

(Der Vorhang fällt. Musik.)

Zweites Zwischenspiel.

Während der Vorhang fällt, leitet Musik die folgende Szene ein. Beim Wiederaufgehen des Vorhangs sieht man eine Eislandschaft. Links oben sitzt ein alter grauer Mann in lang herabwallendem Gewand.

Der Graue Sohn, mein Sohn! –
    Am härtesten werd' ich nun gestraft.
        Sohn, mein Sohn!
    Geh' nicht weiter! Hast nicht die Kraft!
        Sohn, mein Sohn!
    Nicht die Kraft! Ich raubte sie dir –
    Und andre vor mir.
        O welche Pein!
    Daß er, der mein,
    An Wunden langsam schwinde,
    Die einst schlug meine Sünde.
    Armer! Selbst weißt du nicht, was in dir ringt!
    Wenn süßer Liebe Lied dir klingt.
    Ich schwächte den Willen, lähmte die Kraft,
    Ich nahm der Blume Farbe und Saft.
    Nur eine Frostnacht – die Blätter blinken,
    Welken und sinken.
    Erst wenn vergangen
    Des kurzen Kampfes hoffendes Bangen,
    Ahnt er die Gründe – –
    So bin ich verstoßen, da ich ihn finde.

Unsichtbarer Chor (weit entfernt). Bist du nun da?

Der Graue O, sind mir nun wieder die Lockenden nah!

Chor (ringsum.) Warum allein?
    Warum in Erdnebels düstrem Schein?
    Wirf alles hin und komm' mit uns!
    Bangen und Reue
    Besiegst du aufs neue,
    Bietest nur den Gedanken du Trotz!

Der Graue Ich bin gebunden.

Chor Reiß dich doch los! Du kannst gesunden,
    Nur der Starke zum Lichte sich schwinget. –
    Hör', wie es klinget!

(Ferne, erhabene Harmonien.)

    Es sind der Befreiten jubelnde Scharen,
    Die nun zu ewiger Freude fahren
    Durch das unendlich ewige Licht,
    Befrei' dich und folge, ergib dich nicht!

Der Graue Ja! – – – Nein, ich darf nicht!

Der Chor Entscheide dich doch! Befrei' dich, folge uns nach!

Der Graue Reißend, toll wie im brausenden Bach
Schwelgt ihr in Wonne!

Der Chor Hahaha. Trotz
Dem Gesetz wir bieten, das unsre Wonne haßt,
Den Seligkeitsnarren,
Den Psalmgesangssparren,
Den Toren, die harren
Auf Jenseits-Beglückung!
Jämmerlich leben sie dort,
Drum befreie dich, hebe dich fort
Von diesen selbstgeschaffnen Qualen, die blutig
Dir den Busen reißen! Jage die friedlosen Geier mutig
Dahin, woher sie kamen – in die giftschwangern Büsche,
    Wo feindlich Gezische
Ertönt gegen Freiheit und Stärke und Licht,
    Verscheuchst du sie nicht?
Du selbst hast sie gerufen, gebiet', und sie fliehn!
    Befrei' dich, laß sie ziehn!
Was hinter dir liegt, ist vergangen, – und vor dir
– – Sieh ihn, den Herrlichen! Sieh ihn! Er hier!
Luzifer – Strahlender! Dich grüßt die Welt!

Der Graue (auf den Knien). Hilf mir, Erlöser!

Der Chor (weit entfernt).
Hahaha, Schwächling! Schmiedst deine Kette!
Hahaha, Tor du! Vor Gedanken dich rette!
—   —   —   —   —   —   —   —   —   —

Der Graue Etwas vernahm' ich, wie Frühlingssehnen.
—   —   —   —   —   —   —   —   —   —
Winterkalt war's – Nun schmolzen die Tränen,
Flossen herab übers Kinn so lind
Bis sie entführt der Frühlingswind,
Wie über Eisfelder sanft er zieht;
Töne erschallen,
Schwellen und wallen.
Schmeichelnd und flüsternd, ein Frühlingslied.
Was war das wohl? – –
Wann werd' ich kommen so weit als ich seh'?
Drei Male schon
Sah ich sie nahn. Er hielt mich bang,
Stets wenn sie kamen,
Durch seinen Namen
War ich gebunden, ich betet' – der Zauber zersprang
—   —   —   —   —   —   —   —   —   —
O welche Lust
Drücket nun wieder
Schwer meine Glieder!
Aufs neue erfüllen
Gedanken die Räume, die mich bedrängen,
Die mich versengen.
    O welche Pein,
Wenn nicht des Entschlusses lebendige Kraft
Löset die Fesseln! Ewig in Haft
Dieser jagenden Schemen,
Die fesseln und lähmen,
Zweifel, Nebel.....Tyrannen sind es!
Was wollen die Mächtigen?

Der Chor der Tyrannen Deinen Sohn hemme doch, du!
        Flüstre ihm zu,
        Du, der durch Blutesbande ihm traut,
        Weck' sein Begehr'
        Nach einem Heer –
    Hast dann gebracht
    Seine Gedanken auf Ehre und Macht.

Der Graue Ich selbst hab' sie besessen!.....

Der Chor der Tyrannen Weihe dem Spott,
        Was schwach sich bot!
        Härt' ihm die Brust,
    Daß sein Gesetz nur seine Lust. –
        Suchen soll er und sehren
        Die Macht, sich zu wehren, –
    Zu Teig zu kneten die Massen,
    Um froh beim Mahle zu prassen!

Der Graue Ich selbst hab' das gedacht.

Der Chor der Tyrannen Glaub' nicht dem Schein,
        Jeder allein
        Hätt' Zweck und Ziel,
        Ein eignes Ziel.
    Tropfen bleibt Tropfen, wird nicht zum Fluß.
        Stein über Stein
        Im engen Verein
        Wird stolz ein Schloß,
    Steht, wenn Jahrtausende Kleines zerstört.

Der Graue Ja, ich hab' es gesehen!

Der Chor der Tyrannen Keiner wird groß,
        Dem sich verschloß
        Der Wahrheit Tor:
        Andrer bedarf es
        Der Opfer viel,
    Als Steine zu dienen in seinem Spiel.
        Des Ruhmes Lohn
        Schmückt erst die Kron',
        Wenn Schwache gegeben
        Zum Opfer ihr Leben.

Der Graue Ja. So ist es.

Der Chor der Tyrannen Nicht ein Hirn allein
        Gedanken webt,
        Nur im Verein
        Wird es erstrebt.
        Wenn einer gewonnen.
        Was andre ersonnen.
    Heil dem mächtigen Lebensfürsten,
    Der einmal gelöscht sein ewiges Dürsten!

Der Graue So ist es wohl!

Der Chor der Tyrannen Volk, du sollst geben
        Gedanken und Leben,
        Vereinigte Kraft
        Nur den Großen erschafft!
        Welch hohes Ziel!
        Leid' darum still!
        Welch hoher Lohn!
    Schaffen und bilden so herrlich den Sohn!

Der Graue Könige der Vorzeit!

Der Chor der Tyrannen Blitz ist sein Speer,
        Über Berge und Meer
        Gewaltig er streicht.
    Der Gedanken Strahl die Sterne verbleicht.
        Gott ist er gleich!
        – Bald ward verletzt
        Dieses Gesetz!
    Gott stolz zu gleichen: – nun sei's erreicht!

Der Graue Gewalt'ger Gedanke!

(Hoch über ihm zieht ein Gewitter vorbei.)

Der Graue Imperator-Scharen!

(Hoch und ferne sieht man den endlosen Zug von Wesen aus verschiedenen Zeitaltern. Man hört:)

        Weltengötter
        Jetzt verkünden
        Heerschau über alle Sklaven.
        Die die Saat
        Des Schreckens streuten.
        Treuer Tat
        Ihr Leben weihten, –
    Sklaven, Sklaven, Sklaven, Sklaven!
        Weltengötter
        Jetzt verkünden
    Heerschau über alle Sklaven.
        Millionen
        Mal Millionen
        Die Geschöpfe ganzer Zonen:
    Sklaven, Sklaven, Sklaven, Sklaven!

(Rollender Donner)

Der Chor der Tyrannen (nahe) Besiegt ist er, er!
        Land oder Heer
        Besitzt er nicht,
        Er, der alles wollt' für sich
        Der Lebenden Troß
        Hier ist er, hier! –
        Ist er nicht groß!
    Sag' deinem Sohn, was du weißt – Fort müssen wir!

Der Graue Groß ist er, ja! Unbändige Kraft
Durchströmt die Räume. – Doch tief aus dem Schacht
Stieg einst ein Geist, der ihr Ende verhieß.

Frauenstimmen (nahe) – Ist nicht gewiß!

Der Graue Was soll man glauben? Was ich lehrte, war recht –

Frauenstimmen – war's vielleicht schlecht?

Der Graue Hier endet der Zweifel, dachte ich wir –

Frauenstimmen – wächst eben hier!

Der Graue Hier alles wächst; – das Gute und das Böse.

Frauenstimmen Das Gute und das Böse!

Der Graue Klarheit ich hoffte. Doch je länger die Frist –

Frauenstimmen – um so dunkler es ist?

Der Graue Gottes Gebote, Gerechtigkeitsspruch – ?

Frauenstimmen Worte im Buch!

Der Graue Des Herzens reinstes Verlangen – mein Sohn! –

Frauenstimmen – Fandest du Lohn?

Der Graue Strafe fand ich, Leiden und Qual!

Frauenstimmen Flieh ihn einmal!

Der Graue Er ist mein Einziger, Letzter – mein Sohn!

Frauenstimmen Dein Gebet, fand es Lohn?

Der Graue Hilf mir zu retten ihn, rette ihn, du!

Frauenstimmen Rufe nur zu!

Der Graue Wer ist's, der die Andacht –

Frauenstimmen – Verspottet, verlacht?

Der Graue (mit aller Macht) Bist du der Herrscher, so höre mein Wort!

Frauenstimmen Weil er wohl hier, an diesem Ort?

Der Graue Nimm die Strafe von ihm. Nur mich triff, den Stamm!

Frauenstimmen Opferflink Lamm!

Der Graue Antworte mir! Willig füg' ich mich deinem Gebot!

Frauenstimmen Glaubst an den Gott?

Der Graue Nein, nein, ich glaube nicht, was nützt es viel? –

Frauenstimmen Trügerisch' Spiel!

Der Graue Nennt sich die Liebe – umgarnt meinen Sinn –

Frauenstimmen – zu deinem Ruin.

Der Graue Liebte ich nicht – ging am Sohn vorbei –,

Frauenstimmen – dann wärest du frei!

Der Graue Wie lockend, licht –!

(Bei diesen Worten steigt der Nebel, man hört:)

    Der Eisgürtel bricht
    Das Eisfeld dampft
    Das Flammenroß stampft
    Voll Sehnen zu fühlen deine Hand.

(Der Nebel verdichtet sich, seltsame Formen und Zeichen erscheinen darin.)

Der Graue (zusammen mit dem Chor, während er mehr und mehr im Nebel verschwindet)
        – – – – –
        Ließe ich doch
        Frei meinen Willen
        Hei, wie stiege ich hoch! –
        –   –   –   –   –   –   –  

Der Chor Es scharrt das Roß!
    Erst wenn das letzte
    Band zerreißt
    Bist du sein eigen, dann bist du Geist.

Der Graue (gleichzeitig) Sohn! – Sohn! – Wo bist du?
Der Nebel verbirgt sich; – dein Vater ist hier!

Der Chor Laß doch den einzelnen!
    Die wahre Liebe
    Kennt im Getriebe
    Den einzelnen nicht,
    Ein Band alle und alles umflicht.

Der Graue Hilfe! Mein Schöpfer! Nur einen Wink!
Der Nebel! – O eile, oder ich sink!

(Der unendliche Kampf der Töne löst sich, während der Vorhang fällt, und verklingt in leise Melodien, sanft wie milde Winde.)


 << zurück weiter >>