Björnstjerne Björnson
Der König
Björnstjerne Björnson

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Erster Akt.

Erste Szene.

Eine Generalversammlung einer Eisenbahnaktiengesellschaft findet in einem großen Saal mit nackten Wänden statt. Einige Embleme und einiges Werkzeug weisen darauf hin, daß derselbe in einer Fabrik gelegen ist. Links, etwas weiter im Hintergrund steht ein erhöhter Rednerstuhl. Gerade ihm gegenüber sitzen die Honoratioren. Die übrigen Anwesenden stehen. Die großen Fenster rechts sind offen und man sieht draußen eine große Menschenmenge. Der Saal ist dicht gefüllt mit Menschen; die Mehrzahl der Anwesenden sind Bauern oder Arbeiter.

Fabrikant Gran (links, vor dem Rednerstuhl). – – Die große Eisenbahnlinie konnte also nicht zu uns einbiegen und da alle unsere dahingehenden Versuche gescheitert waren, kamen wir überein, auf eigene Kosten eine Zweigbahn zu bauen. Mir wurde die Ehre zuteil, Präsident des Verwaltungsrates zu werden.

Niemals hat eine Verwaltung größere Vollmacht gehabt, als die unsere. Das kam wohl daher, daß in Bezug auf die zu wählende Linie volle Einmütigkeit herrschte. Die Natur selbst hatte sie abgesteckt. Erst als mit dem Einkauf der Wagen begonnen werden sollte, entstand Uneinigkeit, nicht unter den Leitern des Unternehmens, sondern unter den Aktionären, Da die meisten Bauern und Arbeiter sind, hatten wir beschlossen, eine einzige Sorte Wagen einzukaufen und zwar etwas bequemere als die jetzigen dritter Klasse. Das ist unser ganzes Verbrechen. Was man in diesen Plan alles hineingelegt hat, werden wir vielleicht heute zu hören bekommen.

Wir müßten niemanden zur Beratung zuziehen. Unsere Vollmacht ist unbeschränkt. Dessen ungeachtet haben wir beschlossen, die Aktionäre einzuberufen und uns ihrem Urteilsspruch zu unterwerfen. Ich danke im Namen des Verwaltungsrates für ihr zahlreiches Erscheinen. Jung und Alt, Männer und Frauen sehe ich vor mir, vielleicht ein drittel aller, die an dem Unternehmen beteiligt sind!

Ich bitte die geehrte Versammlung jetzt den Vorsitzenden zu wählen. (Er setzt sich.)

Vogt (nach einer Pause). Ich schlage vor, daß die höchste Obrigkeit dieses Bezirks, welche, wie ich mit Freuden sehe, die Versammlung mit ihrer Anwesenheit beehrt, auch die Güte haben möge, den Vorsitz anzunehmen. (Schweigen.)

Gran Der Vorschlag lautet also, daß der Herr Amtmann den Vorsitz einnehmen möge. Genehmigt die Versammlung denselben? (Schweigen.)

Vogt Ja. (Gelächter.)

Gran Zum Vorsitzenden wird wohl am besten jemand gewählt, von dem man annehmen kann, er stehe über den Parteien.

Alstad (erhebt sich halb mit der Brille in der Hand). Da werden wir wohl von weither einen Mann holen lassen müssen, denn hier finden wir gewiß keinen einzigen mehr. (Er setzt sich. Gelächter)

Pastor Alle Obrigkeit ist von Gott eingesetzt. Indem wir der Obrigkeit gehorchen, gehorchen wir Gott. Aber der Gehorsam, der fällt freilich unserer Zeit sehr schwer.

Gran Aber wir sollen ja unsere Obrigkeit gerade erst wählen. Wir haben doch noch keine.

Pastor Ja, so ist das jetzt! Jede Versammlung glaubt heutigen Tages selbst ihre Obrigkeit zu sein. Aber laßt uns der wirklichen Obrigkeit Ehrfurcht erweisen, die Ehrfurcht, die wir unserm Vater im Himmel erweisen. (Setzt sich.)

Gran Somit scheint der Herr Amtmann, wenn ich recht verstanden habe, von zwei Aktionären in Vorschlag gebracht?

Pastor Ja.

Gran Hat jemand zu diesem Punkt einen anderen Vorschlag zu machen? (Stille.)

Alstad Darf ich also den Herrn Amtmann bitten, den Vorsitz einzunehmen.

Amtmann Es ist mir nicht gerade angenehm, auf diese Weise gewählt zu werden und ich nehme den Vorsitz nur an, damit die Sache ein Ende hat. (Besteigt den Rednerstuhl und gibt ein Glockenzeichen.)

Ich erkläre die Versammlung für eröffnet.

Gran (erhebt sich). Herr Vorsitzender!

Vorsitzender Herr Gran hat das Wort.

Gran Der Verwaltungsrat bringt also in Vorschlag: Es ist nur ein Sorte von Wagen, etwas komfortabler ausgestattet als die gegenwärtig üblichen Wagen dritter Klasse, einzukaufen. (Er überreicht dem Vorsitzenden den schriftlichen Vorschlag und nimmt seinen Platz wieder ein.)

Vorsitzender (nimmt die Schrift entgegen). – Dieser Vorschlag wird also der Entscheidung der Versammlung unterbreitet. (Er liest ihn durch.)

Wer wünscht hierzu das Wort? (Stillschweigen.)

Ja, jemand muß es wohl verlangen, sonst bringe ich den Vorschlag sogleich zur Abstimmung. (Schweigen, hier und dort wird gelacht.)

Pastor Herr Vorsitzender!

Vorsitzender Der Herr Pastor hat das Wort.

Pastor Ich sehe in der Versammlung viele junge Menschen, ja selbst Frauen. Ich erlaube mir die Frage, ob diese jungen Menschen, ja sogar die Frauen an den Verhandlungen teilnehmen sollen?

Vorsitzender Jeder mündige Aktienbesitzer hat das Recht dazu.

Pastor Aber Paulus sagt ausdrücklich, daß Frauen nicht sprechen sollen in der Versammlung.

Vorsitzender Nun, – dann können sie ja schweigen.

(Man lacht.)

Pastor Ja, auch nur das Stimmrecht auszuüben bei einer Versammlung von Aktionären einer Eisenbahnunternehmung, entspricht nicht der Demut und Zurückhaltung, in die Natur und Schrift das Weib gewiesen haben. Es scheint nur, daß wir hier auf einem falschen Wege sind. Der Apostel sagt – –

Vorsitzender Wir müssen es den Beteiligten selbst überlassen, das zu entscheiden. Wünscht jemand das Wort?

Pastor (unterbrechend). Wenn es mir schon nicht gestattet wird, den Apostel zu zitieren, so will ich doch noch sagen, daß ein junger Mensch, der gegen seinen Vater, ein Weib, das gegen ihren Gatten stimmt – –

Vorsitzender Ich möchte wissen, wer ihnen das verbieten könnte?! Wünscht jemand – –

Pastor (einfallend). Die Bibel, Herr Vorsitzender, die heilige Schrift, die hoch über uns allen steht, selbst – – –

Gran (erhebt sich, unterbrechend). Herr Vorsitzender!

Vorsitzender Herr Gran hat das Wort.

Gran Ich möchte nur die Anfrage stellen, ob – –

Pastor Aber ich habe ja das Wort.

Vorsitzender Herr Gran hat das Wort.

Pastor Dagegen muß ich protestieren.

Alstad (erhebt sich halb mit der Brille in der Hand). Herr Pastor, leisten Sie Ihrer Obrigkeit Gehorsam!

Pastor Nicht, wenn sie ungerecht ist. Ich appelliere an die Versammlung.

Vorsitzender Gut! Diejenigen, welche meinen, daß dem Herrn Pastor das Wort gebührt, mögen sich erheben, diejenigen, welche – (er hält inne. denn niemand erhebt sich und die Stehenden ducken sich. Gelächter.)

Vorsitzender Einstimmiger Beschluß: Der Herr Pastor hat nicht das Wort. (Der Pastor setzt sich.) Herr Gran hat das Wort.

Gran (sich erhebend). Ich verzichte darauf. (Neuerliches Gelächter.)

Vogt Herr Vorsitzender!

Vorsitzender Der Herr Vogt hat das Wort.

Vogt Ich gehöre zu der großen Zahl jener, die den Vorschlag des Eisenbahnverwaltungsrates – gelinde gesagt – merkwürdig gefunden haben.

Sollen wirklich, meine Damen – ich spreche nicht von mir, denn ich als Polizeibeamter bin gezwungen, mich in mancherlei Gesellschaft aufzuhalten – aber sollen Damen, wohlerzogene Damen mit allem möglichen Pöbel zusammenfahren, mit Verbrechern, die in die Gefängnisse der Hauptstadt gebracht werden, mit »wandernden Handwerksburschen«? Soll Seine Hochwohlgeboren, der Herr Amtmann, Kommandeur des höchsten Ordens Seiner Majestät, Seite an Seite fahren mit einem trunkenen Grubenarbeiter? Falls Seine Majestät diese an Naturschönheiten reiche Gegend besuchen will, – die ja berühmt geworden ist, seitdem die vornehme Gesellschaft der Hauptstadt hier ihre Sommerhäuser hat und seitdem die großen Fabriken angelegt worden sind, – soll Seine Majestät auch in einem Bauernwagen hierher kommen, vielleicht gar in Gesellschaft einiger nach altem Käse stinkender Zwischenhändler? In einem Wagen mit Volk, das unterwegs – – ja, ich weiß nicht, ob ich in Ansehung der Anstandsrücksichten weitergehen darf, es sind ja Damen zugegen. (Gelächter.)

Ersparungsrücksichten! ruft man. Ein Lieblingswort heutzutage. Darf ich fragen, ob es wirklich eine Ersparnis sein kann, seine Kleider beschmutzen zu lassen? (Gelächter.) Nützt sich ein Waggon erster Klasse schneller ab als ein Waggon dritter Klasse? Die höheren Herstellungskosten werden ja durch die höheren Preise gedeckt.

Ich finde keinen plausiblen Grund für diesen Vorschlag, von welcher ökonomischen Seite ich ihn auch betrachten mag. Ich müßte auf seine politische Seite eingehen, um ihn zu erklären – und das möchte ich ungern.

Ich schließe also nur mit der Bemerkung, daß jenen, von welchen der Vorschlag ausgeht, wohl selbst ein Vorteil daraus erwachsen müßte. Die Eisenbahn hätte allerdings keinen dabei. (Er setzt sich)

Vorsitzender Die letzten Worte des Redners kamen einer Verdächtigung so nahe – –

Vogt Ich deutete nur an, was ohnehin alle anderen denken.

Vorsitzender Es gebührt sich unbedingt nicht, Verdächtigungen auszusprechen, selbst wenn man voraussetzt, daß alle die eigene Meinung teilen. – Herr Alstad hat das Wort. (Man hat während der Rede des Vogtes gesehen, daß Alstad sich zum Wort meldet.)

Alstad Die menschliche Natur ist schwach. Darum begreife ich auch, daß Vorschläge wie der vorliegende vorgebracht werden können.

Aber aufrichtig gesprochen – denn wir sollen ja alle aufrichtig sein – was durch einen derartigen Vorschlag auf der einen Seite gewonnen wird, wird in der Achtung der Besseren eingebüßt. (Unruhe.)

Es ist mit den Fabriken und den fremden Arbeitern und den Sommergästen sehr viel Neues zu uns gekommen. Niemals gab es früher diese Aufwiegelei und nie war von dieser Art von Gleichheit die Rede. Soll jetzt der Schein hervorgebracht werden, als gäbe es hier im Ort nur eine Klasse, und das sei die dritte, so werde ich nicht der einzige unter den Bauern sein, der damit unzufrieden ist. Wir wollen unseren Arbeitern gewiß nicht auf dem Nacken sitzen, aber wir wollen auch nicht, daß sie uns auf dem Nacken sitzen. (Er setzt sich.)

Gran Wir sind gewöhnt, die Loyalität des Vogtes überall, hervortreten zu sehen. Daß er aber auch heute den König ins Spiel gebracht hat, hat mich wirklich überrascht. In welchem Wagen solch ein hoher Herr zu uns kommen sollte? Nun – sind ihm unsere Wagen nicht gut genug, so kann man ja seinen Salonwagen vom Hauptgleis herüberkommen lassen. Jene anderen von uns gewöhnlichen Sterblichen, die die Gesellschaft schlichter Leute aus dem Volke scheuen, können sich ja in bestimmten Wagen zusammensetzen. Die Wagen sind ja getrennt. Sie sind nur alle von derselben Art. Der Zudringlichkeit der Bauern wird man sich selten zu erwehren haben. Unsere Bauern sind eher mißtrauisch – mehr als wünschenswert. Bei allen kleineren Eisenbahnen (vielleicht auch bei vielen großen) tragen die einfachen Wagen, die Wagen zweiter oder dritter Klasse, die Kosten der eleganten. Die dritte Klasse ist es, welche die erste erhält. Aber daß jemand auf Kosten derer bequem fährt, die selbst unbequem fahren, das wollen wir nicht zugeben. (Beifall.) Ein alter Gemeinderat und Bauersmann beschuldigt uns, alle Sitten und Gebräuche zu bedrohen. Nun, wenn der Brauch der großen Herren, den Unterschied zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer noch größer zu machen, als er ohnehin schon ist – wenn der alt ist, dann trachte man, ihn so rasch als möglich aus der Welt zu schaffen, denn er ist nicht gut, er ist sogar gefährlich. (Unruhe.) Und was die Politik betrifft –

Vorsitzender Sollten wir die nicht aus dem Spiel lassen?

Gran (lächelt und verbeugt sich). Das wollte ich gerade sagen, Herr Vorsitzender, daß wir wohl am besten tun, sie aus dem Spiel zu lassen. (er setzt sich. Beifall und Gelächter in der Versammlung. Erst beginnen die jungen Leute, dann auch die Bauern laut und lauter untereinander zu sprechen.)

Vorsitzender Ich muß die Versammlung ersuchen, sich ruhig zu verhalten, solange die Verhandlungen dauern. – Der Herr Vogt hat das Wort.

Vogt Ja, ich bin loyal.

Vorsitzender Ich bitte die Außenstehenden, sich ruhig zu verhalten.

Alstad (der in der Nähe des Fensters sitzt). Ihr sollt ruhig sein! (Es wird still.)

Vogt Ja, ich bin loyal. Ich setze meine Ehre als Gemeinderat darein, Seiner Majestät zu zeigen, daß wir, als wir die erste Schiene legten, zu allererst an den großen Augenblick dachten, da es Seiner Majestät gefallen würde, uns die Ehre eines Besuches erweisen zu wollen. »Laßt ihn seinen eigenen Wagen benutzen,« antwortet man uns. Nein, Herr Vorsitzender, so antwortet man nicht, wenn von Seiner Majestät die Rede ist. Und Seiner Majestät Gefolge, soll das in die Bauernwagen? Ich sage, es heißt Seine Majestät mißachten, wenn man seine Wagen mißachtet, – sein Gefolge, will ich sagen. Ich sage noch mehr. Ich sage, daß Seiner Majestät Beamte hier Seine Majestät repräsentieren, und daß sie mißachten unseren allerhöchsten Landesherrn mißachten heißt. Ich weiß, daß viele Ohren das nicht gerne hören, denn ein Beamter soll ja heutzutage nicht in höherer Achtung stehen als jeder andere. Die große Masse regiert und die denkt nur an sich und ihre Schmeichler. Aber auch hier, gibt es eine kleine Zahl, die die Bürde ihres Amtes trägt und seine Ehre repräsentiert und man wird uns niemals hinunterdrängen in die Gleichheitspfütze, in der jetzt alle untertauchen sollen. (Unruhe.) Ja, Volksgunst, Herr Vorsitzender – – –

Vorsitzender Der geehrte Redner scheint mir in die Politik geraten zu sein.

Vogt Das ist möglich, Herr Vorsitzender, aber welcher biedere Mann kann auch mit der Wahrheit zurückhalten. Vergleichen Sie die jetzigen Verhältnisse in dieser Gegend mit denen früherer Zeiten, da alles hier so friedlich war, der König und sein Beamter geachtet und da die regierten, die regieren konnten. Wir hatten damals Sängerfeste, Schützenfeste und andere festliche Zusammenkünfte und ja – vergleichen Sie, sage ich, jenen Zustand mit dem jetzigen, das heißt allen jenen Veranstaltungen, denen sie das Wort »Volk" vorsetzen – – –

Vorsitzender Wir sprechen von den Eisenbahnwagen.

Vogt Ganz recht. Aber worin hat ein derartiger Vorschlag seine Wurzel, Herr Vorsitzender? Ist das nicht der Ausfluß jener niederreißenden Tätigkeit, jener Gleichmacherei, deren Trachten dahin geht, den König abzusehen, die Autorität nieder – –

Pastor Auch die Kirche, Teuerster!

Vogt – – Auch die Kirche, sehr wahr. Ja, denn sie wollen Kirchen haben und – –

Vorsitzender Wir sprechen von den Eisenbahnwagen.

Vogt Jawohl. Aber ein alter Beamter, der früher in hohem Ansehen stand in der Gemeinde, der die Stützen der Gesellschaft wanken sieht, der tiefsten Schmerz empfindet, wenn – –

Vorsitzender Zum letzenmal: Wir sprechen von den Eisenbahnwagen.

Vogt (sehr erregt). Ich habe nichts mehr zu sagen.

Vorsitzender Herr Alstad hat das Wort.

Alstad (erhebt sich). Ich will mir zunächst erlauben, meinem alten Freund, dem Vogt, recht herzlich zu danken. Er hat mir aus der Seele gesprochen. Ich verstehe auch die anderen sehr gut. Denn ich bin auch einmal jung gewesen und habe von Freiheit und Gleichheit und Selbstregierung geredet und wie das sonst noch heißen mag. Aber damals war ich jung und ich tat es, um dabei zu sein, wenn man Opposition machte, wie das genannt wurde – –

Flink (in der Menge). Das war nett.

Vorsitzender Keine Unterbrechung!

Vogt (erhebt sich, um zu sehen, wer der Zwischenrufer war).

Alstad Ja, wir sind alle schwache, verkrüppelte Menschen. Aber das Leben biegt uns gerade. Man verzichtet dann auf die Redensarten und nimmt die Wirklichkeit – – –

Flink Und die Orden!

Vogt (erhebt sich abermals, um zu sehen, wer es war).

Vorsitzender Ich lasse den Zwischenrufer entfernen.

Alstad Die vorliegende Sache ist geringfügig. Aber die weiteren Folgen, die fürchte ich. Was kann an Vorschlägen dieser Art nicht noch alles gebracht werden? Unsere Gemeinde aber soll nicht mit diesen Gleichmachereien vorangehen, es wäre schade um ihren guten Ruf, den sie von altersher besitzt. Eins möchte ich noch sagen. Wir sahen es bisher immer als eine Ehre und ein Glück an, den reichsten Mann des Landes in unserer Mitte zu haben. Wenn aber gerade er mit dieser Art von »volksfreundlichen" Vorschlägen hervortritt, dann wird das für mich, für mich wenigstens so unverständlich, daß – aber ich will nicht wieder etwas aussprechen, was der Herr Vorsitzende eine Verdächtigung nennen könnte, ich setze mich wieder und schweige. Das wird mir wohl gestattet sein. (Setzt sich).

Vorsitzender Herr Gran hat das Wort.

Flink Es lebe Herr Gran! (Beinahe alle Anwesenden brechen in Hochrufe aus, der Vorsitzende ermahnt mit erhobener Stimme zur Ruhe und gibt mehrmals vergebens das Glockenzeichen.)

Vorsitzender (als wieder Ruhe eingetreten ist). Ich bitte die Versammlung, ihren Vorsitzenden zu respektieren, andernfalls verlasse ich diesen Platz. – Herr Gran hat das Wort.

Gran Es ist hier durchaus nicht von einem neuen System die Rede. Es besteht schon lange genug. In Amerika – –

Pastor, Alstad und mehrere andere Ja, Amerika!

Vogt (erhebt sich). Herr Vorsitzender, wollen Sie es wirklich zugeben, daß Politik in die Diskussion einbezogen wird.

Vorsitzender Ich kann nicht einsehen, inwiefern die Nennung von Amerika schon Politik sein sollte.

Vogt Was ist Politik, wenn Amerika keine ist?

Vorsitzender Das gehört z. B. zur Politik, was Sie, Herr Vogt, früher vorbrachten. – Herr Gran hat das Wort.

Gran Ich sehe, daß der Herr Pastor das Wort wünscht, und verzichte gerne zu seinem Gunsten.

Vorsitzender Der Herr Pastor hat das Wort.

Pastor Ich sehe viele in der Versammlung, zu denen ich von heiligerer Stelle zu sprechen gewohnt bin. Meine geliebten Pfarrkinder, um Euretwillen bin ich hierher gekommen! Ihr hört es ja selbst: es handelt sich um nichts als Politik. Aber, meine Geliebten in Christo, der Politik sollt Ihr Euch ferne halten. Hat nicht der Herr selbst gesagt: Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Die Freiheit, die Gleichheit, von der hier die Rede ist, ist nicht die innere Freiheit, die Gleichheit vor – – –

Vorsitzender Ich muß den geehrten Redner bitten, diese Ausführungen zu verschieben, bis er wieder die Kanzel betritt, (Halb unterdrücktes Gelächter.)

Pastor Man wartet nicht mit dem, was einzig not tut, dieweil – –

Vorsitzender Ich verbiete Ihnen fortzufahren.

Pastor Es steht geschrieben, du sollst Gott mehr gehorchen als den Menschen. Meine geliebten Pfarrkinder, laßt uns alle diese Stätte verlassen. Wer folgt seinem Priester? (Er tut ein paar Schittt, niemand folgt ihm. Gelächter.)

Pastor Ach, ach.

Vorsitzender Wenn niemand mehr das Wort wünscht – – –

Binaeger Herr Vorsitzender.

Vorsitzender Herr Binaeger hat das Wort.

Binaeger Diese Verhandlungen gemahnen mich an China, an die chinesischen Mandarinen, die einem gewöhnlichen Sterblichen nicht erlauben, sie zu berühren.

Sie weisen mich aber auch auf Europa hin, auf eine wunderliche Mißgeburt, noch absonderlicher als die Ungeheuer des Morgenlandes, auf die Mißgunst der Demokraten, die anderen nicht gönnen, was sie selbst nicht besitzen.

Um beide Teile zufrieden zu stellen, erlaube ich mir folgenden Vorschlag vorzubringen. Man lasse Wagen mit zwei Stockwerken bauen (wie das häufig auch anderweitig geschieht.) So kann man die zufriedenstellen, die abgesondert sitzen wollen, sie können nämlich oben sitzen, aber auch die anderen, denn sie können doch in demselben Wagen sitzen. (Lebhafte Heiterkeit.)

Vorsitzender Wenn niemand mehr das Wort verlangt (ersieht auf Gran, der den Kopf schüttelt), so bringe ich die Sache zur Abstimmung. Es liegt der Vorschlag des Verwaltungsrates vor, welcher lautet.

Vogt Ich bitte um Entschuldigung, mein Vorschlag betreffs eines Wagens für Seine Majestät – –?

Vorsitzender Ich habe Ihre Worte nicht so aufgefaßt, als ob damit ein Antrag gestellt sein sollte.

Vogt O ja!

Vorsitzender So werde ich ihn nach dem Vorschlag des Verwaltungsrates zur Abstimmung bringen.

Vogt Ein Vorschlag, der den König betrifft, geht allen anderen vor.

Vorsitzender Auch der König steht unter dem Gesetz der Logik. Der Vorschlag des Verwaltungsrates lautet: »Es ist nur eine Sorte Wagen, etwas komfortabler ausgestattet als die jetzt üblichen Wagen dritter Klasse, einzukaufen.« Jene Anwesenden, welche diesem Vorschlage zustimmen, mögen gefälligst nach links herübertreten, hierhin – Jene, welche ihm nicht zustimmen, mögen nach rechts treten. (Fast alle treten nach links. Man hört draußen Hochrufe. Nach und nach stimmen auch die Anwesenden im Saale ein.)

Vorsitzender (gibt das Glockenzeichen). Ich bitte um Ruhe. (Die Rufe verstummen, aber ein allgemeiner, lebhafter Meinungsaustausch beginnt.)

Vogt (schreiend). Es haben nicht alle die Abstimmung verstanden.

Vorsitzender (entschieden). Ich muß um Ruhe bitten! (Es wird still.) Was sagten Sie, Herr Vogt?

Vogt Ich sage, daß man die Abstimmung mißverstanden hat, denn ich sehe meine Tochter Natalie, die auch Aktionärin ist, auf der anderen Seite stehen. Sie hat natürlich falsch verstanden.

Natalie O nein, Vater, keineswegs. (Gelächter. Beifall.)

Pastor Ach, ihr meine verirrten Schäfchen, ich will für euch beten.

Vorsitzender Ruhe! – Der Vorschlag des Herrn Vogtes – –

Alstad Ich möchte dem Herrn Vogt empfehlen, seinen Vorschlag zurückzuziehen. Wir wissen ja ohnehin, welches Schicksal ihm in einer Versammlung wie dieser zuteil werden würde.

Vorsitzender Solange ich Vorsitzender der Versammlung bin, dulde ich keine höhnende Äußerung über dieselbe. – Besteht der Herr Vogt auf der Abstimmung über seinen Antrag ? (Flüstert ihm zu.) Sagen Sie doch: nein

Vogt Nein.

Vorsitzender Da niemand mehr das Wort verlangt, erkläre ich die Versammlung für geschlossen. (Die Anwesenden verlassen Ihre Plätze und beginnen lebhaft zu reden.)

Alstad (zu seinem Sohn Wilhelm) Du unterfängst dich mit diesen, mit diesen – – Amerikanern zu stimmen, gegen deinen alten Vater, wie?

Wilhelm Höre, Vater, es schien mir wirklich – – –

Alstad Ja, wart' du nur, bis wir zu Hause sind!

Wilhelm So? Nun, dann gehe ich nicht nach Hause. Dann bleibe ich hier und trinke mir einen Rausch an.

Alstad Nun, nun!

Wilhelm Ja, das werde ich tun. Ich bleibe hier und trinke mir einen Rausch an.

Alstad Aber, Wilhelm, du, höre doch – – (Er faßt ihn unter dem Arm)

Ein fremder Herr (hat unterdessen den Amtmann und Gran zu ihrer großen Verwunderung untergefaßt und führt sie in den Vordergrund. Er sieht ihnen abwechselnd ins Gesicht, bis der

Amtmann (ruft). Der König!

Der fremde Herr Still!

Gran Ja, wahrhaftig!!

Der Fremde (zu Gran). Du bist ja hier der Hausherr. So schaffe uns ein Zimmer und Champagner. Ich habe einen Durst, als käme ich von der Jagd.

Der Vorhang fällt. Szenenwechsel.


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