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V

Ihr Baden nahm viel Zeit in Anspruch, die Pflege ihres Haars fast sogar noch mehr. Aus ihrer Kommode, dieselbe auf demselben Platz, die sie von Kind auf benützt hatte, – aus dem untersten Schubfach nahm sie das allerfeinste Unterzeug hervor, das sie getragen hatte. Getragen nur ein einziges Mal, nämlich an ihrem Hochzeitstage – vor der Entweihung. Nachher nie wieder. Aber heute – jetzt, jetzt, jetzt! Jedes Stück, daß sie außerdem noch anzog, war etwas, das kein anderer berührt hatte. Sie wollte sein wie die, die sie in ihren Träumen gewesen.

Sie ging zu den Knaben hinein, die wach, aber noch nicht angezogen waren: »Wißt Ihr was, Kinder, heute soll Tea Euch zur Großmutter bringen!« Große Zustimmung – auch von Tea, denn das bedeutete einen freien Tag. »Mama, Mama!« hörte sie hinter sich her rufen, als sie in die Küche hinunter lief, um eine Tasse Kaffee zu trinken, und dann fort. Zuerst wollte sie Blumen holen, dann wollte sie ihre Stunden absagen. Denn jetzt, jetzt, jetzt –!

Auf der Straße fiel ihr ein, daß es zu früh sei, um jemand aufzusuchen. Darum machte sie einen Spaziergang vor die Stadt, den frischesten, fröhlichsten, den sie je gemacht. Sie kam gerade zurück, als Frau Holme aufmachte. Als Ella eintrat, hielt die »Blumenfrau« ein kostbares Bouquet in der Hand, das gerade fortgeschickt werden sollte. »Das will ich haben!« rief Ella, sie schloß die Thür hinter sich. »Sie?« entgegnete Frau Holme, etwas mißtrauisch; das Bouquet war sehr teuer. »Ja, ich! Ich muß es durchaus haben!« Ella's kleine grüne Börse war schon heraus. Das Bouquet war vom reichsten Hause der Stadt bestellt, und Frau Holme sagte das. »Das macht nichts!« antwortete Ella. So viel ehrliche Anbetung für ein Bouquet hatte die andere nie gesehen – und Ella bekam es.

Von da zu Andresens an der Ecke; einer von den Kommis nahm bei Ella Unterricht in Handelsrechnung; sie wollte ihm absagen und ihn ersuchen, dem ganzen großen Kreis Bescheid zu sagen. Sie bat ihn darum mit zündenden Augen, und er versprach es mit Feuer. Das appetitlichste rote Tuch hing gerade vor ihr. Das mußte sie heute um den Kopf binden, wenn sie ausfuhr, denn daß sie heute ausfahren würde, daran war kein Zweifel! Andresen selbst kam dazu, als sie gerade nach dem Preis des Tuches fragte; er sah ein paar Blumen aus der Papierhülle hervorkommen; »das sind ja herrliche Rosen«, sagte er. Sofort brach sie eine ab und gab sie ihm. Von der Rose sah er zu ihr hin; sie lachte und fragte, ob er ein wenig von dem Tuche ablassen würde; sie habe nicht ganz soviel Geld bei sich. »Wieviel haben Sie?« fragte er. »Genau eine halbe Krone zu wenig.« Er selbst packte ihr das Tuch ein. – Auf der Straße traf sie Cäcilie Monrad; Ella gab einer ihrer Schwestern Klavierunterricht und sparte es sich nun, bis ans andere Ende der Stadt zu traben. Heute glückt mir alles. »Haben Sie von den beiden gelesen; die sich in Kopenhagen zusammen umgebracht haben?« fragte Cäcilie. Ja, Ella hatte es gelesen; Fräulein Monrad fand es grauenhaft, »Weshalb?« – Der Mann war ja verheiratet. – »Allerdings,« erwiderte Ella, »aber nun liebten sie sich!« Ihre Augen waren ein Glutmeer; Cäcilie schlug die ihren nieder und wurde rot. Da nahm Ella ihre Hand und drückte sie. – Da bin ich in eine Liebesgeschichte hineingekommen, dachte sie und flog mehr als sie ging durchs Villenviertel; der größte Teil ihrer Eleven wohnte dort oben. Auf einem Dache sah sie zwei Staare, die ersten vom Jahr; das Tauwetter vor einigen Tagen hatte sie wohl verlockt. Aber nicht, daß die Staare etwa verzagt gewesen wären; keineswegs, sie liebten! »Mama, Mama!« hörte sie im selben Augenblick. Das waren doch deutlich ihre Jungen! Sie hatte wohl an sie gedacht, als sie die Staare sah. So sehr hatte es sie in Anspruch genommen, daß sie zu weit an den Straßenrand kam; dabei trat sie auf ein Brettende, das ins Schwanken kam; sie wäre beinahe gefallen. Aber unter dem Brett war es Frühling! Von der Tauwetterzeit übrig geblieben stand da – ja freilich war es Löwenzahn! So langweilig wie er weiter in den Sommer hinein wird – als erster Mann ist er willkommen! Sie beugte sich nieder und nahm die Blumen. Sie steckte sie zwischen die Rosen; der Löwenzahn nahm sich dort dürftig aus; aber der erste im Jahr, und heute gefunden!

Hiernach war sie ganz ausgelassen. Hüpfte die Anhöhen hinunter, als sie fertig war; grüßte gleichmäßig Bekannte und Halbbekannte, und als sie dann Cäcilie wiedersah, legte sie die Blumen aus der Hand, machte einen Schneeball und warf ihr den in den Rücken.

Zu Hause angekommen, ließ sie die Knaben zusammen mit Tea in den Schlitten packen. »Mama, Mama!« riefen sie und zeigten nach dem Hotel hinauf; Axel Aarö stand dort und grüßte.

Gleich darauf kam er herüber. »Sie sind wohl ganz allein?« er trat zu ihr. – »Ja;« – sie machte sich mit den Blumen zu schaffen und blickte nicht auf, denn sie zitterte. »Ist heute Geburtstag im Hause?« – »Sie meinen wegen der Blumen –?« – »Ja. Das sind ja herrliche Rosen! Und die da im Glase? Löwenzahn!« – – »Die ersten im Jahr.« Er sah sie nicht an. Er stand so unentschlossen da, als überlege er etwas. »Darf ich Ihnen etwas vorsingen?« sagte er endlich. – »Ja, bester –!« sie ließ die Blumen, um das Klavier zu öffnen und den Stuhl herunter zu schrauben – und zog sich dann bescheiden zurück. Nach einem längeren, gedämpften Vorspiel, begann er Ole Olsen's »Sonnenuntergang« ganz ruhig, ja, so wie er gesprochen und gewesen war, seit er bei ihr eingetreten. Nie hatte er schöner gesungen; seine Gesangskunst war so viel größer geworden. Aber in der Stimme lag derselbe, nein, ein noch trostloserer Schmerz als der, den sie das erste Mal vernommen. »Trauer, Trauer, – ach, ich bin verloren!« – sie hörte es wieder so deutlich. Als er den ersten Vers zu Ende gesungen hatte, saß sie vorübergebeugt und weinte; sie hatte nicht einmal versucht, sich Zwang aufzulegen. Er hörte es und drehte sich um; gleich darauf fühlte sie daß er ihren Zopf berührte, ja, ihr war, als küsse er ihn; jedenfalls hatte er sich ganz über sie niedergebeugt, denn sie fühlte seinen Atemzug. Aber sie hob den Kopf nicht, sie hatte nicht den Mut.

Er ging durchs Zimmer. Kam zurück, ging wieder. Da wurde es still in ihr, sie saß unbeweglich und wartete.

»Darf ich Sie heute spazieren fahren?« vernahm sie. Den ganzen Tag wußte sie schon, daß sie zusammen ausfahren würden, sie wunderte sich daher nicht. Gleichwie dies nun in Erfüllung gegangen war, würde das andere kommen. Alles, sie blickte durch Tränen auf und lächelte. Er lächelte ebenfalls! »Ich gehe und bestelle das Pferd«. Und als sie nicht antwortete, tat er's.

Wieder zu den Blumen. Sie hatte sie ihm also nicht geben dürfen. Die paar Blüten Löwenzahn wollte sie fortwerfen.

Als sie sie aus dem Glase nahm, fielen ihr die Worte ein: »Da haben Sie doch etwas Reelles.« Die Worte waren allerdings nicht vom Löwenzahn gesagt: aber sie waren ihr oft wieder eingefallen; es war nicht wunderlich, daß sie ihr jetzt einfielen. Sie ließ den Löwenzahn stehen.

Aarö blieb lange fort, länger als eine Stunde. Als er aber kam, war er außerordentlich munter. Er saß hinten auf einem flotten Damenschlitten in dem eleganten Pelz von gestern, dem kostbarsten, den sie je gesehen; grüßte mit der Peitsche hinein und sprach und lachte mit den Kindern sowohl wie mit den Erwachsenen, die sich um ihn sammelten, während sie sich ankleidete. Das war bald geschehen; sie hatte nicht viel anzuziehen, brauchte es auch nicht.

Er stand sofort auf, grüßte, packte sie ein, und fort ging es im Trabe. Unterwegs beugte er sich zu ihr und flüsterte: »Wie gütig von Ihnen, daß Sie mitkommen!« Seine Stimme war so warm, aber sein Atemhauch war anders als vorhin. Sobald der prächtige Hengst im Laufe nachließ, beugte er sich wieder vor: Ich habe per Telephon ein Lunch in Baadshaug bestellt. Es ist bereit, wenn wir kommen. »Sie haben doch wohl nichts dagegen?« Sie drehte sich um damit sie ihm den Kopf zuwenden konnte; sie stießen beinahe zusammen: »Ich habe vergessen, Ihnen für die Karte von gestern zu danken.« – Er wurde rot: »Ich habe es nachher bereut«, sagte er; »aber in dem Augenblick, wo ich die Karte sah, mußte ich an Sie denken, wie Sie hier heraus passen!« Jetzt wurde sie rot und zog sich zurück. Da hörte sie dicht neben sich: »Sie dürfen nicht böse werden. Es pflegt so zu gehen; wenn man eine Dummheit wieder gutmachen will, so macht man eine zweite«. Gern hätte sie seine Augen gesehen während er das sagte; aber sie wagte es nicht. Jedenfalls war es mehr, als was er bis jetzt gesagt hatte. Die Worte fielen weich wie Flaum! Bis heute hatte sie seine Zurückhaltung beinahe mißdeutet, – aber wie schön sie doch alles machte; sie betete sie an. »In einer Weile sind wir im Walde; dort werden wir anhalten und uns umsehen,« sagte er. Dort dachte sie! Er fuhr im raschen Trabe dahin; sie freute sich, freute sich. Die Sonne funkelte auf dem Schnee, die Luft war warm, sie mußte das Kopftuch lösen, und dabei half er ihr. Wieder fühlte sie seinen Atem; es war etwas – nicht wie Tabak, feiner, angenehmer, aber was war es? Es entsprach ihm selbst gleichsam. Ihr war so wohl, mit solchem Überfluß von Glück in der Landschaft, durch die sie nun fuhren, und die beständig schöner wurde. Auf der einen Seite des Weges die Berge, die weißen Berge, denen die Sonne einen rötlichen Glanz gab! vor den Bergen Anhöhen, zum Teil mit Wald bewachsen, und zwischen den Anhöhen lagen Höfe. Auf der anderen Seite des Weges hatten sie die ganze Zeit das Meer; aber zwischen ihnen und dem Meer flache Strecken, vielleicht Moore. Das Meer selbst grauschwarz gegen die Schneegrenze; das sprach herein von anderen Seiten des Lebens. Von ewiger Unruhe, salzigem Ernst, nur Protest auf Protest gegen das Schnee-Idyll.

Während des Tauwetters waren Zweige, Stämme, Zäune feucht gewesen; der erste Schnee der dann kam, war ebenfalls feucht an sich und klebte gut fest. Als dies dann zusammenfror, und das Schneegestöber immer gleichmäßig überwältigend blieb, da bildeten sich Figuren über den ersten erstarrten Formen, wie man selten etwas Ähnliches sieht. Die Schwere des ersten feuchten Schnees machte, daß er hinabsickerte, an irgend einer Unebenheit haften blieb und sich dort sammelte; oder unter die Zweige hinabglitt oder zu beiden Seiten der Zaunpfähle. Als dies sich nun in Ruhe fügte und vermehrte, kamen die schnurrigsten Tiere zum Vorschein, – weiße Katzen, weiße Hasen, die mit krummem Rücken und gestrecktem Vorderleib an den Baumstämmen in die Höhe kletterten, oder unter den Zweigen manövrierten, oder oben auf den Hürdenstangen einen Buckel machten. Zottige, weiße Tiere, oft so groß wie der Marder, aber sogar auch groß wie der Luchs, ja, wie der Tiger. Demnächst allerhand kleines Getier, weiße Mäuse, Hermeline, oben und unten und drüben. Und alle möglichen Raritäten, Kobolde, die an den Beinen hingen, Pierrots, Gnomen auf den äußersten Spitzen der Hürdenpfähle, Heinzelmännchen mit Rucksäcken; oder eine hingeworfene Kappe, eine Nachtmütze, ein Tier ohne Kopf, ein anderes mit einem Schweif von ungeheurer Länge, ein großer Fausthandschuh, eine umgestülpte Wasserkanne. An einigen Stellen bloßes, schwarzes Laubwerk als Verzierung an der weißen Wand, an andern große Schneelasten in den Nadelbäumen mit Grün drüber und drunter, mächtige Farbenmengen gegeneinander.

Aarö hielt an; sie stiegen beide ab.

Da stürmte eine Reihe ganz anderer Eindrücke hervor. Dicht neben ihnen lag ein alter Bursche von einem Stamm, halb umgestürzt im Spiel des Lebens. Aber träumte er nicht jetzt im Winter den schönsten Traum, nämlich daß er jung sei? Beim ausgelassenen Aufbauen schneeweißer Herrlichkeit hatte er alle Schmerzen und Hinfälligkeit vergessen; versteckt war das Moos auf seiner Haut, die Fäulnis der Wurzel war zugedeckt, die Narben von den verlorenen Zweigen unsichtbar. Eine gebrechliche Pforte war ausgehängt und an den Zaun gelehnt, sie war zerbrochen und unbrauchbar. Auch sie hatte des Winters Künstlerhand aufgesucht und erneuert; jetzt war sie ein architektonisches Meisterwerk. Die schiefstehenden, dunklen Zaunpfähle waren junge Stutzer mit schiefem Hut und munteren Mienen. Die alten, schmutziggrauen, moosbewachsenen Hürdenstangen – man kann sich das Paradies hinter keiner schöneren Einfriedung träumen! Ihre Schwäche war bei der Auferstehung ihre Stärke geworden, Sprünge und Äste im Holz der vorzüglichste Baugrund für den Schnee, jedes Loch mit einem Wisch himmlicher Krystalle zugestopft; entstellende Unebenheiten schon seit der Zeit, wo sie gespalten worden, waren nun zugedeckt und geküßt, beruhigt und geschmückt, alle Fehler mit aufgenommen in die weiße Gemeinschaft.

Eine verfallene Tenne unterhalb des Weges, ein wohlausgedienter Mutterarm für Laub und Torf, – ebenfalls aufgesucht und verschwenderischer übergossen, als die reichste Braut der Welt. Aus des Himmels reichstem Schoß mit solchem Überfluß beschüttet, daß der Schnee in weißen Fahnen einen halben Meter weit über das Dach hing, an einigen Stellen mit hoher Kunst wieder aufgefaltet. Die grauschwarze Wand unter den Fahnen sah dadurch aus wie ein altes persisches Gewebe; die ganze Tenne hätte fertig in einem Shakespeareschen Drama auf die Bühne gestellt werden können. Hinten die Berge, vorn die Höhen, alles glänzte in der Sonne wie einst im Hosianna der Juden. Ella vernahm aus der Ferne fortwährend zwei zarte Stimmen »Mama, Mama!« die in dies alles hineinklangen. Als sie sich nach ihrem Begleiter umsehen wollte, saß er tiefergriffen auf dem Schlitten, während die Tränen ihm über die Backen liefen.

Bald fuhren sie weiter, aber langsam. »Ich erinnere mich dieses schmutzigen Weges«, sagte er; die Stimme klang so wehmütig, »die Bäume gaben so viel Schatten, so daß er selten trocken wurde; aber jetzt ist er doch sehr fein!« Da drehte sie sich um und hob den Kopf empor: »Ach, singen Sie etwas!« – Er antwortete nicht gleich; sie bereute, daß sie darum gebeten hatte; dann aber sagte er: »Ich wollte schon, aber da kam eine solche Erregung über mich. – Sprechen Sie jetzt eine Weile nichts, dann kann ich's vielleicht. Das alte Winterlied nämlich.« – Sie sah ein, daß er nicht eher singen konnte, als bis es für ihn selbst so recht zur Wahrheit wurde. Solche stillen Schwärmer dachte sie, sind wählerischer in Bezug auf das, was echt ist. Das meiste ist ihnen nicht echt genug. Deshalb berauschten sie sich auch so gern, sie wollten hinaus, mußten eine Welt für sich allein schaffen. Ja, nun sang er:

Müde schlummert der Sommer ein,
Winter decket ihn sorglich zu.
»Bächlein«, sagt er, »geht nun zur Ruh,
Wogen, lasset das Plätschern sein!«
Weste schweigen die kosenden,
Stürme heulen, die tosenden.

Somren sovned i Vintrens Favn,
Vintren rejste sig, daekked til,
»rolig« sa han til Elvens Spil,
»rolig« sa han til Gaard og Havn.
Tause blev de saa, Skogerne.
Hjemme hörtes kun Slogerne.

All den Duft, den der Sommer gab,
Fein verwahrt er fürs nächste Blüh'n,
Ruhen durft er für all sein Müh'n.
Bäume senken das Laub herab,
All, die Blumen, die prächtigen,
Bergen sich vor dem Mächtigen.

Al den Ting, som var Somren kjaer,
fint forvartes til naeste Gang;
Hvile fick det for al sin Trang,
Markens Spirer og Vand og Traer.
Gjemtes som Kjaernen i Nödderne,
Mulden smuldred am Rödderne.

Was der Sommer an Krankheit bracht,
Pestkeim, den seine Glut erzeugt,
Winterkälte hat ihn verscheucht,
Hoch auf Bergeshöh er erwacht,
Atmet die Lüfte, die tauenden,
Grüßet die Gipfel die blauenden.

Alt, hvad Somren af Sygdom led,
Pestfrö over dens Liv og Frugt,
Vintren draebte i Frost og Flugt –
vaagne skal hun i fjaeldblaa Freed,
toet af Sneen og Vindene,
hilset af Sundhed i Sindene.

Über des schlafenden Sommers Stirn
Streut der Winter gar holden Traum,
Sternenhoch trug er im Weltenraum
Ihn zu der Nordlicht umstrahlten Firn,
Durch die Zeit, die nie säumende
fort – bis erwacht der Träumende.

Over den sovendes höstgraa Bryn
Vintren strödde saa fager Dröm.
stjaernehöj, hvid-hvid i Nordlys-Ström
bar den hende fra Syn til Syn
gjennem de lange Dögnene
frem, til hun obtlog Öjnene.

Er, den grausam und bös' sie schmähn,
Schaffet, was er doch nie darf seh'n;
Er, der Räuber und Mörder genannt,
Schirmet und wachet all Jahr im Land, –
Weiter eilt dann der Flüchtige,
Harrt auf die Zeit, die richtige.

Han, som skjaeldtes for ond og vred,
lever for det, han ej faar se;
han, som skjaeldtes for Morder, han
skjaermer og tor hvert Aar vort Land, –
gjemmer sig saa i Fjaeldene,
til det blir kaldt am Kvaeldene.

Die vielen kleinen Schellen begleiteten den Gesang wie Sperlingszwitschern; seine Stimme läutete zwischen den Bäumen den Gottesdienst des Menschengeistes in den weißen Hallen ein.

Ein Tag, das fühlte Ella, bezahlte für tausend. Ein Tag tut das, was das Winterlied erzählt, er wiegt einen müden Sommer zur Ruhe, dämpft seine Krankheitskeime, zerbröckelt die Erde für den neuen, macht die Nerven stark und die dunkelste Zeit hell. In ihm sammeln sich all unsere langen Träume. Was hätte nicht auch aus ihr werden können, wie klein sie auch war, wenn sie viele solche Tage gehabt hätte? Was hätte sie dann nicht für ihre Knaben werden können?

Sie kamen an ein langes, weißes Gebäude zwischen zwei Flügeln, alle von Holz. Auf dem Hofplatz standen viele Schlitten mit aufgestellten Gabeldeichseln; es waren also schon mehrere Gesellschaften hier. Ein Stallknecht führte ihr Pferd fort; der Diener, der sie bedienen sollte, war gleich zur Hand, um ihnen zu helfen, und ein Mann im bloßen Kopf mit jovialem Gesicht kam dazu; es war Peter Klausson! Er schien sie erwartet zu haben und wollte Ella durchaus beim Ablegen behilflich sein. Aber er roch nach Cognac oder was es war; um ihn los zu werden, fragte sie nach dem Zimmer, in dem sie speisen sollten. Sie wurden in ein warmes, gemütliches Zimmer mit gedecktem Tische geführt; dort half Aarö ihr mit den Sachen. »Ich konnte Peter Klaussons Atem nicht ertragen,« sagte sie. Da lächelte Aarö.

»In Amerika hat man Mittel gegen dergleichen.« – »Was meinen Sie?« – »Man nimmt etwas, das den Atem anders macht.« – Gleich darauf bat er, ihn zu entschuldigen, er habe noch dies und jenes anzuordnen. Sie war also allein, bis angeklopft wurde; es war wiederum Peter Klausson! Er sah ihr Erstaunen und lächelte: »Wir werden ja zusammen speisen,« sagte er. – »So?« – Sie sah nach dem Tisch; er war für fünf gedeckt! – »Haben Sie kürzlich von Ihrem Manne gehört?« – »Nein.« – Lange Pause. Ist Peter Klausson eine Gesellschaft für Axel Aarö? Der beste Kumpan ihres Mannes? Aarö, der nur haben wollte, was echt war? Aber im selben Augenblick, da sie dies gedacht hatte, mußte sie auch zugeben, daß Peter Klaussons unmittelbare Natur vollkommen ehrlich sei, was er sonst auch immer sein mochte.

Der Diener brachte einen Korb mit Wein ins Zimmer, schloß die Tür aber nicht eher hinter sich, als bis er von draußen noch mehr hereingeholt hatte, nämlich Champagner in Eis. »Ist all der Wein für uns?« fragte Ella. – »Wie ich sehe«, erwiderte Peter Klausson; er war sichtlich erfreut. – »Aarö trinkt doch keinen Wein?« – »Aarö? Er hat mich aufgefordert, heute herauszukommen – ich kam zufällig zu ihm hinauf, – und da haben wir beide den allerfeinsten Cognac getrunken.« – Ella kehrte sich nach dem Fenster um, denn sie fühlte, wie sie erbleichte.

Gleich darauf trat Aarö ein, so höflich und vornehm, daß Peter Klausson die Hände aus den Hosentaschen ziehen mußte; er wagte beinahe nicht zu sprechen. Aarö teilte mit, daß er Holmbos eingeladen habe; gerade eben hätten sie abgesagt; sie mußten sich jetzt alle drei an ihrer gegenseitigen Gesellschaft genügen lassen. Er führte Ella zu Tisch. Aarö zeigte sich als der liebenswürdigste und der erfahrenste Wirt. Mit dem deutschen Diener sprach er englisch und gab fortwährend kleine Winke in Bezug auf das Anrichten; er verdeckte die Sünden des Dieners, brachte Kleinigkeiten zur Geltung – alles so, daß man es kaum merkte. Gleichzeitig nährte er eine einfache Unterhaltung durch kleine Anekdoten aus seinem gesellschaftlichen Leben. Er schenkte niemals selbst ein; wenn er trank, zitterte ihm die Hand. Auch früher glaubte sie dies schon bei ihm gesehen zu haben; jetzt quälte es sie.

Der erste Gang waren Austern, und davon aß sie tüchtig; sie war sehr hungrig. Aber später konnte sie weniger und immer weniger mitkommen, ja, zuletzt war es, als würde ihr die Kehle zusammengeschnürt. Sie hätte ebenso gut weinen wie essen und trinken können.

Anfangs war es ihr nicht recht klar, weshalb. Wohl, daß es so ganz anders war, als sie geträumt hatte: der herrliche Tag war im Begriff eine Enttäuschung zu werden. Im Beginn dachte sie: dies wird wohl einmal ein Ende nehmen, und dann haben wir es auf dem Heimwege wieder angenehm. Aber nach und nach, als seine Laune immer ausgelassener wurde, erwies er ihr alle erdenkliche Aufmerksamkeit, ja, sie wurde von beiden Kavalieren zugleich gefeiert – bis sie hätte schreien mögen. Nach der Mahlzeit wurde sie elegant an Aarös Arm in ein anderes Zimmer geführt, das ebenfalls in Bereitschaft gehalten war – gemütlich, prächtig mit einem Klavier.

Der Kaffee wurde sofort serviert (mit einem » Avec«) und unmittelbar darauf baten die Herren um Erlaubnis, einen Augenblick rauchen zu dürfen, es solle nur ganz kurz sein. Sie gingen – und ließen sie allein. Dies war nicht einmal mehr höflich – und nun erst begriff sie, daß nicht nur der Tag, sondern Aarö ein anderer geworden, als sie gedacht hatte! Das große Dunkel der Ballnacht kam über sie hergezogen; sie kämpfte dagegen, sie erhob sich und ging, wollte hinaus, als könne sie ihn dort so wiederfinden, wie sie ihn in ihrer Vorstellung hatte. Sie suchte den Weg nach dem ersten Zimmer, nahm dort ihr rotes Tuch um und war gerade auf den breiten Platz vor dem Gebäude gekommen, als der Diener vom Mittag hinter ihr her kam und etwas auf englisch sagte, was sie anfangs nicht verstand; sie war nämlich zu sehr mit den eigenen Gedanken beschäftigt, um sofort die Sprache wechseln zu können. Der Diener erzählte, daß einer von ihren Begleitern krank geworden sei; der andere sei nicht zu finden. Als sie die Worte bereits verstand, begriff sie nicht, was es sei, sondern folgte ihm mechanisch. Unterwegs fiel ihr ein, daß Aarös Zunge ihm nicht ganz gehorcht habe, als er nach dem »Avec« um Erlaubnis gebeten, hinausgehen und ein wenig rauchen zu dürfen; ihn hatte doch wohl nicht der Schlag getroffen –!

Sie kamen am Rauchzimmer vorbei, das ihr im Vorübergehen voll erschien – jedenfalls voll Rauch und Gelächter. Die Tür zu einem kleinen Zimmer daneben wurde geöffnet; dort lag Axel Aarö auf dem Bette; er mußte sich dort hinein geschlichen haben – vielleicht um noch mehr zu trinken. Er hatte nämlich eine kleine, dicke Flasche mit hineingenommen, die auf einem Tische neben dem Bette stand. Auf diesem lag er selbst, vollständig angezogen mit erloschenen Augen, ohne Kraft oder Empfindung; er sagte zu ihr: »Tip, tip, Peté!« Er wiederholte es mit ausgestrecktem Finger: »Tip, tip, Peté!« Beidemal in der Fistel. Sollte das Peter heißen? Glaubte er, sie sei ein Mann? Hinter ihm auf dem Kopfkissen lag etwas Haariges; es war ein Toupet; jetzt sah sie's, er hatte eine Glatze. »Tip, tip, Peté!« hörte sie hinter sich, als sie hinausstürzte.

Armseliger als jetzt Ella in ihren Pelzschuhen und Winterkleidern so schnell, wie ihre kurzen Beine sie tragen konnten, nach der Stadt zurücktrabte, ist wohl selten jemand über einen Landweg gelaufen. Der schwere Mantel, den sie auf der Fahrt gehabt, war aufgeknöpft, das Kopftuch trug sie in der Hand, und doch schwitzte sie, daß es herab tropfte; die Vorstellung beherrschte sie, daß es die Träume seien, die von ihr abfielen!

Anfangs dachte sie nur an Axel Aarö, den unglückselig Verlorenen! Morgen oder übermorgen hatte er das Land verlassen, sie wußte es bereits, und diesmal für alle Zeiten!

Aber wenn sie es sich so recht entsetzlich ausmalen wollte, wie es war, dann lag das Toupet auf dem Kopfkissen und sagte: »Es war doch wohl nicht alles so echt mit Axel Aarö?« Doch, doch, – was konnte er dafür, daß er so früh kahl geworden war? Hm, erwiderte das Toupet, er hätte es eingestehen können.

Ella arbeitete sich vorwärts. Glücklicherweise begegnete sie niemand, auch kam niemand von all denen, die jetzt auf Baadshaug waren, hinter ihr her; sie mußte ja komisch aussehen, schwitzend und weinend mit aufgeknöpftem Mantel, in Pelzschuhen mit dem Tuch in der Hand. Sie versuchte ein paarmal, langsamer zu gehen, aber der Aufruhr in ihr war zu stark, und dann lag es in ihrer Natur, sich vorwärts zu arbeiten.

Aber in ihrem gejagten Blut meldete sich die kräftige Frage: Möchtest du, Ella, nun all deine Träume entbehren, da es jedesmal so jämmerlich damit gegangen ist? Da flennte Ella laut auf und erwiderte: nicht, wenn es mein Leben gälte! Nein, denn die Träume sind das Beste, was ich gehabt habe; sie haben mich gelehrt auszuhalten, sie haben mir gegeben, womit ich all das andere messen kann, so daß ich niemals etwas für hoch halte, was niedrig ist. Nein, meine Träume, die habe ich auch um meine Kinder gewebt, so daß ich jetzt tausendmal mehr Vergnügen an ihnen habe. Die, und dann die Blumen, das ist alles, was ich habe. Und sie flennte und arbeitete sich vorwärts.

Aber nun sind dir ja keine Träume mehr geblieben, Ella!

Anfangs wußte sie nicht, was sie darauf antworten sollte; es schien ja allzu wahr, allzu entsetzlich wahr, – und das Toupet zeigte sich wieder.

Gerade hier hatte Aarö das Winterlied gesungen. Wie das Zwitschern der Schellen die Weise begleitet hatte, so begleitete jetzt das »Mama, Mama!« der zarten Stimmen ihre Tränen. Es war nicht wunderlich, denn sie lief ja zu ihren Knaben, aber jetzt meldeten sie sich, als wären sie's, von denen sie träumen sollte. Nein, nein »da haben Sie doch etwas Reelles«, antwortete es mit Aarös Stimme; sie erinnerte sich, wie er es gesagt, sie erinnerte sich seiner Wehmut dabei. Hatte er wirklich an sie und sich gedacht und an die Knaben und sie? Hatte er seine eigene Schwäche mit ihrer Gesundheit und Zukunft gemessen? Sie kam wieder weit von den Knaben ab; sie war wieder bei all seinen Worten und Blicken, um das Rätsel zu deuten; aber darunter brach das Sehnen und der Schmerz wieder auf, wie nie zuvor; das ganze Leben war vorbei, der Traum zu alt in ihr, zu stark, zu lieb, die Wurzeln konnten nicht ausgerissen werden, unmöglich! Sie waren ja ungefähr alles, was sie den nächsten Tag sehen würde, berühren, vornehmen würde! – Zu aller Verzweiflung kam noch, daß die Knaben nicht zu Hause waren; sie kam an ein leeres Haus.

Aber Kräfte waren in ihr. Denn als sie nach Hause kam und gebadet und sich schlafen gelegt hatte, und der Mondschein von gestern abend ins Zimmer sah und erwähnte, was sie mit einander gehabt hatten, da warf sie sich im Bett umher und weinte laut wie ein Kind; hier konnte niemand sie hören, niemand hereinkommen. Ihr Herz war jung, wie damals, als sie siebzehn Jahre alt war; es konnte und wollte nicht aufgeben!

Was war es denn eigentlich, was sie heute gewollt hatte? Ja, das wußte sie nicht; – nein, sie wußte es nicht! Sie wußte nur, daß dort ihr Glück sei, und nun hatte sie es darauf ankommen lassen. Jetzt lag sie hier enttäuscht und betrogen in einer Weise, wie gewiß wenige vor ihr es gewesen.

Sie vermochte aber auch nicht, ihn zu entheiligen. Deshalb zog die Winterweise mit seiner Stimme vorüber, gut, voll, traurig; die wollte gleichsam alles für sie ordnen. Und gehorsam wie ein Kind legte sie sich zurecht und lauschte. Was sagte sie? Freilich, die sagte, daß die Träume zwei Sommer zusammenbänden, den, der war, und den, der sich langsam aufs neue emporarbeitete, dank den Träumen, die gewacht hatten. Sie sagte auch, daß die Träume etwas für sie seien, oft höhere Wirklichkeit, als die der Verhältnisse. Sie hatte das ja oft so empfunden, wenn sie mit ihren Blumen beschäftigt war.

Bei all ihrer Ruhelosigkeit im Bette war der Zopf an ihre Seite geraten, wehmütig zog sie ihn herauf; noch heute hatte er ihn geküßt.

Und dann legte sie sich auf die Seite und nahm ihn zwischen die Hände und weinte.

»Mama, Mama«, flüsterte es. Und so schlief sie ein.


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