Charlotte Birch-Pfeiffer
Die Grille
Charlotte Birch-Pfeiffer

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Fünfter Aufzug.

Ein Jahr später.

Reiche Bauernstube in Barbeauds Gehöft.

Mittelthür, Seitenthüren rechts und links. Im Vordergrund links ein großer runder Tisch, daneben ein Holzstuhl. Rechts ein kleiner Tisch, daneben ein gepolsterter Großvaterstuhl. Im Hintergrund rechts und links von der Mittelthür je eine Bank.

Die Darsteller müssen alle umgekleidet sein.

Erster Auftritt.

Vater Barbeaud. Mutter Barbeaud. Didier.

Vater (sitzt im Polsterstuhl rechts, den Arm auf das Tischchen gestützt, und raucht aus einer kurzen holländischen Pfeife; er sieht finster und gedankenvoll vor sich hin, nach einer kleinen Pause). Na – ist euch die Zunge lahm, daß keiner ein Wort redet? – Didier!

Didier (sitzt im Hintergrund auf der Bank an der Thür und schnitzt am Schaft zu einer Hacke, trotzig). Was giebt's, Vater?

Vater. Was treibst du da hinten?

Didier (wie oben). Die Hacke ist mir vom Stiel los.

Vater (rauchend, ohne Rauch). Was sagst du dazu, daß der Landry bei der Konskription verspielt hat?

Didier. Nichts, als daß Ihr ihn hättet vor einem Jahr verheiraten sollen, dann hätt's ihn jetzt nicht getroffen.

Vater (auffahrend). Ich wollte es ja –

Didier. Ja, Ihr wolltet – und Er, es wollte nur keiner wie der andere. Nun könnt Ihr einen Ersatzmann kaufen!

Mutter (steht an dem runden Tisch links und legt Wäsche zusammen). Laß es gut sein, der wird sich auch finden.

Vater (immer bemüht, Rauch zu gewinnen). Finden? Den Teufel wird er sich finden! Hier im Dorf will keiner dran als der Collin, und den hat die Kommission verworfen, weil der Knirps das Maß nicht hat. Wetter, da ist das Feuer schon wieder aus! (Er wirft die Pfeife auf den Tisch, daß die Stücken umherspringen.) Weiß der Kuckuck, warum ich keine Pfeife mehr in Ordnung halten kann; es ist nicht anders, als hätte sich alles mir zur Schur verdreht und verkehrt.

Mutter (die Wäsche auf den Arm nehmend, sanft). Du warst auch dein Lebtag nicht so ungeduldig und ruhelos als seit – (Sie legt die Wäsche in die Tischlade.)

Didier (trocken, immer mit der Hacke beschäftigt). Seit die Grille wieder im Dorf ist – jawohl.

Vater (aufspringend). Und ist's nicht, als müßte seitdem alles verquer gehen? Wir hatten nun fast ein Jahr Ruhe und Friede im Zwillingshof, weil die junge Kröte fort war; der Landry war vernünftig, still und fleißig, nicht ein Wort haben wir seit der Zeit miteinander verbrochen –

Didier (wie oben). Das glaub' ich – er hat der Fanchon versprochen, Friede mit Euch zu halten – und was er in sich ausstand, das kümmerte Euch nicht, Vater!

Vater. Halt's Maul, Gelbschnabel – ich rede mit der Mutter!

Didier (halb für sich). Ich red' auch mit der Mutter!

Vater. Maul halten! – Seit den zwei Wochen, daß dieses Unglückskind zurück ist – ist der Landry wie umgewandelt, störrisch, finster, giebt nicht Red' und Antwort, sitzt am Tisch und ißt nicht –

Didier. Liegt im Bett und schläft nicht, Vater – das weiß ich –

Vater (im Zorn unwillkürlich fortfahrend). Schläft nicht – da hörst du's, Mutter – drum sieht er so jämmerlich aus, 's ist zum unsinnig werden! Und alles das aus boshaftem Trotz; ich soll wollen wie er, er will mich zwingen! Ha, ha, ha – er kennt mich aber schlecht – jetzt erst recht nicht. Wäre die Grille in der Stadt geblieben – wie sie es versprochen – wer weiß, was geschehen, aber da die listige Dirne uns wieder auf den Hals rückt. trotz ihrer schönen Redensarten, jetzt erst gar nicht.

Mutter. Vater, du redest dich mit Gewalt in den Zorn hinein, du weißt wohl, daß die Grille kommen mußte, da die alte Fadet sie in der Todeskrankheit zurückforderte. Wenn sie uns was wollte, hätte sie sich wohl schon sehen oder hören lassen. Sie hat sich aber noch keinem Menschen gezeigt als der Manon, ihrer Pate, und von ihr weiß ich, daß das arme Ding Tag und Nacht am Bett der Alten saß. sie getreulich pflegte und keinen Fuß vor ihre Thür setzte. Sie hat wahrlich keine guten Tage bei der alten Fadet gelebt, und als sie tot war, wich sie doch drei Tage und drei Nächte nicht von ihrem Sarg; denn fromm ist die Fanchon, das muß ihr jeder lassen.

Didier (kommt in den Vordergrund). Und gestern beim Begräbnis der Alten kam sie zum erstenmal zum Vorschein und sah so züchtig und ernsthaft aus, daß wir sie fast nicht mehr erkannten.

Vater (ganz starr). Was? Du warst auch dabei?

Didier (keck). Freilich – ich und der Landry!

Vater (aufspringend). Hatte ich euch nicht verboten hinzugehen?

Didier (wie oben). Ich dachte, Ihr hättet das nur im Zorn gethan – denn so unchristlich könnt Ihr doch nicht im Ernst sein, daß wir der Alten nicht um Fanchons willen, die so rechtschaffen gegen Euch gehandelt hat, die letzte Ehre erweisen sollten?

Vater (in unterdrücktem Zorn). So, so! – Natürlich! Der Landry mußte ihr zu Gefallen dem Vater zuwider thun, das ganze Dorf sollte sehen, daß sie sich hinter meinem Rücken verstehen!

Didier. So ist's nicht, Vater. Das ganze Dorf hat's gesehen, daß die Fanchon kein Auge vom Grab und dem Pfarrer wandte, daß sie mit ihrer Pate kam und fortging, ehrbar und still und mit keinem Menschen ein Wort sprach, nicht einmal einen Blick hat sie auf jemand geworfen – nicht einmal mich hat sie angesehen.

Vater. Ei! Dann hat sie was gelernt und will den Landry aufs äußerste treiben, wie es in der Stadt die Koketten machen, damit er wieder anbeißen soll – weil sie denkt, das Jahr hab' ihn abgekühlt. Aber sie soll erfahren –

Didier (empört). Pfui, Vater, jetzt sprecht Ihr, was Ihr nicht denkt, denn für so schlecht könnt Ihr die Fanchon nicht halten! Ihr macht es Euch nur selber weiß – damit Ihr ein Recht habt, so gehässig zu sein.

Mutter (besänftigend). Um Gottes willen, Didier!

Vater (starr vor Staunen und Wut). Bursche! Was unterstehst du dich! (Er erhebt die Faust, als wollte er auf ihn los.) Bin ich zum Kinderspott geworden, daß du so mit mir redest?

Mutter (zu ihm tretend). Vater!

Didier (sich vor ihn hinstellend). Das nicht, Vater, aber – ich wollt' Euch nur fragen – ob ich nicht früher ein dummer, launenhafter, unausstehlicher Bengel war, den niemand gern hatte als Ihr? Wenn ich jetzt ein vernünftiger Bursche bin, an dem Ihr Freude habt, so dankt Ihr's einzig und allein der armen Grille, die Ihr so bitter haßt – sie hat mich durch Zureden und Beispiel zu einem anderen Menschen gemacht. Die Fanchon ist grundbrav gegen Euch gewesen; wenn sie gewollt hätte, so wäre ihr der Landry nachgelaufen durch die ganze Welt, sie befahl ihm, zu bleiben und gehorsam zu sein, nur darum that er seine Pflicht. Und bildet Euch nur nicht ein, daß der Landry sein Lebtag eine andere nimmt, eher geht er zu den Kapuzinern! Ihr könntet also nichts Besseres thun, als ihm die Grille geben, wenn sie ihn will – und thut Ihr's nicht – na, so paßt auf, daß Ihr nicht uns beide verliert; wenn der Landry sie nicht gern hätte, so wär' ich längst in sie vernarrt, und wird sie nicht Landrys Weib, so (herausplatzend) sehe ich zu, daß ich sie kriege, – denn ich gönne sie keinem als ihm – oder mir! – Und krieg' ich sie auch nicht, dann – dann geh' ich auch zu den Kapuzinern, und dann – dann habt ihr zwei Kapuziner! (Rasch ab durch die Mitte.)

Mutter (schlägt die Hände zusammen). Jetzt fängt der auch an!

 
Zweiter Auftritt.

Vater und Mutter Barbeaud.

Vater (hat erst starr, in zitternder Wut vor sich niedersehend, dagestanden, dann seinen Ohren nicht trauend, in wütendem Zorn). Ihr seid beide vom Teufel besessen, ich werd' euch helfen, indem ich euch die Knochen entzweischlage und euch aus dem Gehöft werfe! (Will Didier nach.)

Mutter (ihm in den Arm fallend). Vater, sei nicht gottlos. Auch im Zorn muß man nicht sagen, woran man nicht denkt, es zu thun!

Vater (in den Stuhl sinkend). Nun, Mutter, wenn du noch nicht glaubst, daß die boshafte Kreatur uns beide Jungen verhext hat, wo uns das Milchgesicht gerade unter die Nase sagt, daß er sich auch in sie vergafft hat – dann ist das –

Mutter (lächelnd). Einbildung, Vater! Er hat von je dem Landry alles nachgemacht, so meinte er nun, er müßte auch in die Grille vernarrt sein. Und das (ihm näher tretend, leiser) können wir uns nicht verhehlen, Vater: daß der Didier jetzt ein ganz anderer Bursche geworden, danken mir einzig und allein der Fanchon, und daß sie dienen ging, um dem Landry aus den Augen zu kommen, ist auch ein Beweis, um wie viel klüger und rechtschaffener sie ist als zehn andere Dirnen, die den reichen, hübschen Freier schon festgehalten hätten. Unsere Jungen sind nicht so dumm, daß sie das nicht einsähen, und dazu hatte das wackere Ding stets heiteren und zufriedenen Sinn in all ihrer Armut – das ist ihre Hexerei, und das weißt du so gut wie ich.

Vater (schlägt die Hände zusammen). Gott verzeih mir – nun haben sie die Alte auch breit geschlagen, die Buben! Du machst den Teufelsadvokaten für die Grille, auf die das Dorf mit Fingern weist, da soll ja doch –

Mutter (legt die Hand auf seine Schulter). Ich mache den Advokaten für dein Gewissen, Alter, und denke dabei: daß ich lieber die Grille als Schwiegertochter in den Zwillingshof haben möchte – und wenn die ganze Welt mit Fingern auf sie wiese, als einen Sohn, der sich in der Schenke den Tod im Branntwein holte, wie dein Bruder Collas – der auch die nicht nehmen sollte, die kein Geld in die Wirtschaft brächte!

Vater (springt auf, außer sich). Was – was? Nun kommst du mir auch noch mit dem Vorwurf? (Sich gewaltsam fassend.) Nicht um des Geldes willen hab' ich die Anna von der Schwelle gejagt – sie hatte es zu gleicher Zeit mit dem Collas und dem Fadet – darum wollt' ich sie nicht zur Schwägerin. Laß mir die Toten in Ruhe – ich that nur, was ich für Recht hielt; jetzt hab' ich's mit den Lebenden zu thun. Du wirst schwach, wenn dir einer von deinen Zwillingen was vorheult, und denkst nicht dran, welches Kuckucksei die Grille in dem Zwillingshof wäre –

Mutter (fast zornig). Ich denke nur dran, daß ich mir keine bessere Schwiegertochter wüßte – weit und breit!

Vater (höhnisch). So? Wohl auch keine bessere Schwieger mutter für den Landry, als »das Soldatenliebchen« – das uns eines Tages in Lumpen, von Schande und Sünde verzehrt, ins Hans geschleppt käme?

Mutter (sieht erschrocken vor sich nieder).

Vater (triumphierend). Gelt – da steht dir die flinke Zunge still! He?

Mutter. Was geht uns die schlechte Mutter an, die Grille ist brav, das kannst du selber nicht leugnen. Ich will dir was sagen, Alter. Wenn du sicher bist, recht zu thun, warst du von jeher ruhig und vernünftig; in dieser Sache bist du zum erstenmal toll und ungebärdig (mit dem Finger drohend) und hast zum erstenmal – Heimlichkeiten vor mir!

Vater (betreten). Bist du närrisch?

Mutter. Heimlichkeiten, sag' ich, denn als die Grille kaum wieder ins Dorf zurück war, hast du den Herrn Pfarrer an den Schlosser Bertrand schreiben, dich strengstens nach Fanchons Aufführung erkundigen lassen, das weiß ich, ist auch Antwort gekommen –

Vater (brummend). Na ja, was ist's denn weiter? Ich wollte nur wissen –

Mutter (unterbrechend). Ob du dem armen Ding auch nicht zu viel gethan, ja, ja! Wenn dir die Sache nicht gewaltig im Kopfe herumginge, hättest du der Grille nicht nachgefragt und – nicht so mausstill geschwiegen, wenn dir was Schlechtes zu Ohren gekommen wäre! Du bist jetzt nur so laut, um dein Gewissen zu überschreien, und willst dir nicht gestehen, daß es eine Vergeltung ist, die durch das unschuldige Enkelkind der Anna Fadet über uns kommt. Der liebe Gott legt dir den Weg zur Sühnung alles Unrechts gerade vor das Gesicht und, wie verstockt du auch sein magst, gutwillig oder nicht, du wirst ihn doch noch gehen, dieweil der Mensch immer muß, wie unser Herrgott einmal will! (Aufatmend.) So! Das liegt mir schon lange wie ein Stein auf dem Herzen – herunter ist's! Jetzt thue, was du willst – ich hab's gesagt. (Sie geht nach der Mittelthür.)

Vater (in sichtlicher Bewegung, die er von sich abhalten will, stampft mit den Füßen, schlägt sich die geballten Fäuste vor den Kopf, will reden und ruft endlich, als die Mutter schon an der Thür ist). Du – Alte!

Mutter (wendet sich rasch und vergnügt um).

Vater. Jetzt erst recht nicht! Merk's! (Er will nach der Seitenthür links ab.)

Mutter (ärgerlich, im Begriff zu gehen, öffnet die Mittelthür).

 
Dritter Auftritt.

Die Vorigen. Landry, der jetzt bereits ein Schnurrbärtchen trägt, kommt der Mutter entgegen, er ist bleich, sein Wesen finster und niedergeschlagen.

Landry. Guten Tag!

Mutter. Ah! Landry – ist Caillard zurück aus der Stadt? Hat er einen Ersatzmann gefunden?

Landry. Was liegt mir daran. Sagt mir lieber –?

Vater (der unter der Thür links stehen blieb). Was, es liegt dir nichts daran, ob du Soldat werden mußt oder hier bleiben kannst?

Landry (sieht den Vater setzt erst, stockt einen Augenblick, dann mit finsterem Trotz). Nichts liegt mir dran – gar nichts.

 
Vierter Auftritt.

Die Vorigen. Didier eilig durch die Mitte.

Didier. Vater Caillard ist zurück und will zum Abend herüberkommen.

Vater (rasch). Nun, hat er einen Ersatzmann?

Didier. Drei für einen, der Mathieu hat sie gesehen, er sagt: es wären Kerle wie vom Galgen abgeschnitten, und meinte: die nähme man wohl schwerlich für den Landry!

Vater. Da hat man's! Ich dachte gleich, daß der Caillard nichts zustande bringt, muß mich zuletzt noch selber aufmachen.

Landry (entschlossen). Jetzt geht alles in einem hin, jetzt wollen wir einmal geradezu mitsammen reden, Vater. Es braucht keinen Ersatzmann für mich, ich gehe selbst, ich habe verspielt, es ist Gottes Wille so, ich mache mir weiter nichts aus dem Leben hier!

Vater. So – du machst dir nichts mehr aus dem Leben mit uns! Ei! Pfeift es wieder aus dem Ton? Nun hast du dich ein Jahr lang vernünftig aufgeführt, da setzt sich dir diese unselige Grille wieder in den Kopf und hetzt dich auf gegen mich –

Landry (sich bezwingend). Ihr wißt wohl, daß die Fanchon den Sohn nicht gegen den Vater aufhetzt – sie hat es Euch bewiesen. Auch hab' ich mit dem wackeren Kinde seit einem Jahr nicht geredet.

Vater. Was? Du hättest nicht versucht, sie jetzt zu sehen?

Landry (trotzig). Wohl hab' ich's versucht! Ich müßte ja ein elender Bursche sein, wenn ich nicht mein Mädchen gesucht hätte, da ich erfuhr, sie sei da. Ich wollte der Fanchon sagen: da ich jetzt mündig bin, daß ich taglöhnern will für Weib und Kind, und daß wir glücklich sein können, ohne das verfluchte Geld!

Vater (in zitternder Wut). Auch ohne Vaters Einwilligung und Segen?

Landry (verzweifelt). Was hilft es mir, wenn Ihr ihn mir heute geben wolltet? Ihr habt mir Fanchons Herz entfremdet, habt das wackere Mädchen zu schmählich mißhandelt. Wenn ich das Jahr hindurch still und zufrieden war, so geschah's, weil ich hoffte, die Fanchette werde mir nicht anrechnen, was nicht meine Schuld war. Aber – damit ist's nichts; dreimal war ich vor Fadets Häuschen, seit Fanchon zurück ist. Laden und Thüren waren verschlossen; ich klopfte, bat und weinte, ich hörte es drin gehen und stöhnen, sie war da – sie öffnete mir nicht; ihr Stolz ist gekränkt, Ihr begreift nicht, wie stolz es ist, das arme junge Ding! Sie hat sich nie viel aus mir gemacht, und nun – ist es ganz vorbei, sie will nichts mehr von mir wissen!

Vater (aushorchend). Ei! Das wäre ja vernünftig! Dann hätt' ich ihr zu viel gethan! Sie hat wohl jetzt in der Stadt gelernt, was sich schickt – und sieht ein, daß es mit euch doch nie etwas werden kann.

Landry. Ich weiß nicht, was sie einsieht, ich weiß nur, daß ich die Fanchon verloren habe, wie (entschlossen) Ihr mich, Vater; denn jetzt freut es mich, daß ich verspielte; ich stelle mich der Kommission, wie es sich gehört, davon soll keiner mich abhalten.

Vater (seine Bestürzung verbergend). Oho! Denkst du, ich werde einwilligen, dich mit Tornister und Flinte hinter dem Kalbfell herziehen zu lassen?

Landry (trocken). Es wird niemand nach Eurer Einwilligung fragen, Vater, wo das Gesetz mich fordert –

Vater (fährt betroffen zusammen).

Landry. Und ich gehe gern nach Algier, am liebsten in den Tod! Es ist abgemacht, ich werde Soldat, damit ist's gut. Wenn ich erst fort bin, kommt ihr alle hier zur Ruhe – und ich – so Gott will, zuerst! (Er geht ab nach rechts.)

 
Fünfter Auftritt.

Die Vorigen ohne Landry.

Didier. Vater! Ihr werdet doch den Landry nicht wirklich ziehen lassen?

Vater (nach einer Pause). Wenn's keinen anderen Weg giebt, den ungehorsamen Sohn zur Vernunft zu bringen – meinetwegen, so mag er ihn gehen!

Mutter (entsetzt). Vater! Um Gottes willen! das ist dein Ernst nicht!

Vater (mit Überwindung seinen Schreck verbergend). Und warum nicht? Soll ich mich zwingen lassen von dem starrköpfigen Burschen? Da soll ja eher das Donnerwetter den Zwillingshof in tausend Stücke schlagen!

(Es klopft an der Mittelthür.)

Vater. Na – wer klopft? (Er schreit.) Nur herein, was giebt's denn?

 
Sechster Auftritt.

Die Vorigen. Fanchon kommt in tiefer Trauer durch die Mitte: ländliches Kostüm, zwei Röcke übereinander, der eine aufgezogen, aber von feiner Wolle, einfach, aber zierlich und kleidsam; sie trägt einen Spenzer bis zum Hals geschlossen, wie bei Bauern üblich, wenn sie über Land gehen, ein schwarzes Sammethäubchen, die Zöpfe nicht wie früher den Rücken herabhängend, sondern mehrfach um Kopf und Stirn gelegt; sie ist größer und ihre Haltung aufrechter als früher, ihr Gesicht blühend und frisch; man muß ihr den Aufenthalt in der Stadt anmerken, ohne daß sie aufhört, Landmädchen zu sein: ihr Ton ist einfach und bescheiden. aber entschieden, ihr Wesen gehaltener, ruhiger als früher.

Alle (fahren zurück).

(Fast zugleich:)

Vater. Was, was – die Grille?

Didier (schreit freudig auf). Fanchette!

Mutter. Ach, guter Gott!

Fanchon (gelassen). Guten Abend, Vater Barbeaud. (Zu den anderen.) Guten Abend mitsammen.

Mutter (hat sich zuerst gefaßt und tritt zu ihr, ihre Hand fassend, herzlich). Willkommen, Fanchon!

Vater (kann noch immer nicht zu sich selber kommen). Was willkommen – wer willkommen! Diese da? Was willst du hier im Zwillingshof? Suchst du den Landry Barbeaud, so thätest du besser, dir ihn vor die Thür zu rufen, statt dich hier einzudrängen, wohin dich niemand rief.

Fanchon (wie oben). Wenn ich den Landry wollte, so hätt' ich nicht nötig, ihn vor der Thür des Zwillingshofes zu suchen; er wüßte mein Häuschen zu finden, falls ich ihn begehrte – aber ich habe nur mit Euch zu thun, Vater Barbeaud.

Vater (sehr verblüfft). Mit mir? Was willst du denn von mir?

Fanchon (bescheiden). Ich möchte gern etwas mit Euch besprechen, wenn's Euch recht ist, nur mit Euch allein!

Vater (sehr verwirrt). So, ei! I nun, – ich kann mir's wohl denken – was du willst, und deshalb meine ich, daß du dir und mir Zeit sparen könntest, Grille.

Fanchon (trocken). Ich glaube kaum, daß Ihr es Euch denken könnt, und deshalb solltet Ihr mich hören, da ich mit allem Vertrauen zu Euch komme. Ich bedarf des Rates eines gottesfürchtigen Mannes – und der Herr Pfarrer meinte: da wär' ich bei Euch an der rechten Stelle. (Freundlich.) Nun, Vater Barbeaud, wollt Ihr mich hören, oder wollt Ihr nicht?

Mutter (gutmütig). Vater – du willst, nicht wahr?

Didier (eifrig). I, freilich will der Vater! Anhören muß er jeden, der bescheiden und mit Vertrauen zu ihm kommt – und erst – das Mädchen!

Vater (unwirsch). Von müssen ist nicht die Rede! (Sanfter.) Wenn dich aber der Herr Pfarrer schickt, und wenn er meinte – na, in Gottes Namen – geht hinaus – ich muß ihr wohl den Willen thun! –

Didier (leise zur Mutter). Seht Ihr's? (Laut.) Aber Fanchon – hast du den armen Landry denn ganz –

Vater (zornig). Marsch, marsch, hinaus; die Grille hat Eile!

Didier (zögernd). Aber – ich bliebe doch viel lieber da –

Mutter (nickt Fanchon freundlich und ermutigend zu, zu Didier). Nichts, nichts! Komm, mein Junge! (Leise.) Paß nur auf, daß der Landry nichts merkt, ich hole mir geschwind Rat bei dem Herrn Pfarrer. (Ab nach rechts.)

Didier (mit der Mutter ab).

 
Siebenter Auftritt.

Vater Barbeaud. Fanchon.

Vater (wischt sich den Schweiß von der Stirn, geht ein paarmal hin und her, räuspert sich, endlich setzt er sich breit in den Polsterstuhl rechts). Na –? – Was soll's nun geben?

Fanchon. Vater Barbeaud, wenn ich auch weiß, daß Ihr einen Groll gegen mich hegt, den ich nicht verdiene, so halt' ich Euch dennoch, wie alle Leute im Dorf, für einen rechtschaffenen und zuverlässigen Mann. So denke ich: daß Ihr einer armen Waise, die keine Seele auf der weiten Gotteswelt mehr hat, nicht abschlagen werdet, die Vormundschaft über sie anzunehmen.

Vater (sieht sie sehr verblüfft an). Was – wie – ich sollte – dein Vormund werden? Wie kommst du auf den Gedanken?

Fanchon. Der Herr Pfarrer hat mich belehrt, daß ich als unmündige Waise einen Vormund haben müßte; wenn ich zu Euch das Vertrauen hätte, wäret Ihr der rechte Mann dazu.

Vater (wider Willen geschmeichelt). Hm! Der Herr Pfarrer thut mir zu viel Ehre an – aber –

Fanchon (als hörte sie nicht). Und dann – so meinte er – wenn ich mich selber zu Euch aufmachte, und Ihr meine Verlassenheit ins Auge fassen wolltet, würdet Ihr mir's auch nicht abschlagen und den Groll gegen die Großmutter nicht auf das Enkelkind übertragen, so wie ich nichts von dem Haß der Seligen gegen Euch geerbt habe!

Vater (halb spöttisch, halb bedauernd). Na – dann wird dein Erbteil freilich nicht groß sein!

Fanchon (ernsthaft). Groß oder klein, das ist aber gewiß, daß ich die Großmutter beerbt habe und mir in solchen Dingen gar nicht zu helfen weiß.

Vater (nachdenklich). Na, das wird nicht viel Arbeit geben; aber – wie ist mir denn, (mit Stirnrunzeln) das Erbe kann dir ja deine Mutter streitig machen, wenn sie einmal wiederkommt, denn sie ist der rechtmäßige Erbe.

Fanchon (mit gesenktem Kopf, ernst, aber ohne alle Sentimentalität). Wenn sie wiederkommen könnte, würden wir uns gewiß nichts streitig machen. Sie ist tot.

Vater (rasch). Das wäre! Tot? Hast du Beweise dafür?

Fanchon. Vor zwei Jahren schon ist sie gestorben, in Paris. Unter den Papieren der Großmutter fand ich ihren Totenschein. Warum mir's die Selige verschwieg, weiß ich nicht – sie hätte mir viel bitteres Weh sparen können.

Vater (unwillkürlich milder werdend). Ja, ja, du armes Ding – du hattest viel Schande und Spott um sie!

Fanchon (sieht ihn groß an). Das war's nicht, Vater Barbeaud! Aber solang' meine Mutter lebte, gehörte sie nicht mir, obgleich ich sie immer im Herzen trug, durch ihren Tod ist sie erst wieder mein geworden und – des lieben Gottes. (Mit einem Blick nach oben.) Jetzt weiß ich doch, wo ich sie suchen kann, jetzt ist ihr wohl!

Vater (für sich). Die Mutter tot! Hm! Hm! Weiß Gott, wie mir geschieht! Mir ist, als wollt' mir all mein Zorn abhanden kommen! (Laut.) Nun, und was willst du nun weiter?

Fanchon. Ich möcht' Euch bitten, daß Ihr mir das kleine Anwesen versorgt, wenn ich fortziehen sollte –

Vater (betreten, sie unterbrechend). Ja – was – du willst nicht hier bleiben?

Fanchon (sanft, sieht ihn mit einem ernsten Blick an, und schüttet den Kopf). Ich glaub' es nicht, daß ich bleiben kann. (Ernst.) Vater Barbeaud, ich habe wenig Freude am Orte meiner Geburt – und viel Haß gefunden.

Vater (verlegen). Na, na, du denkst dir's wohl schlimmer, als es ist. Du warst auch ein wildes verkehrtes Ding. Aber für böse hab' ich dich nie gehalten, nur – für –

Fanchon (lächelnd). Für eine Hexe, nicht wahr, Vater Barbeaud?

Vater (sieht sie mehrmals an und wieder weg, endlich lächelt er unwillkürlich). Straf' mich Gott, Grille – ich glaub', ich halte dich jetzt erst recht dafür!

Fanchon (lächelnd). Dann habt Ihr gewiß um so weniger dagegen, wenn ich mich aus dem Staub mache! (Wieder ernst werdend.) Seht, Vater Barbeaud, es wird mir in hiesiger Gegend so schlecht nachgeredet, selbst von sonst ehrenwerten Leuten, die sich nie die Mühe nahmen, zu fragen: ob ich's verdiene –

Vater (mit sich selbst kämpfend). Wenn du nur wegen der üblen Nachrede von hier fort willst (mit sichtlicher Überwindung) so – so wäre das nicht mehr nötig, Fanchon – denn ich bin schon der Mann, der deinen guten Leumund herzustellen Stimme genug hat in der ganzen Gegend.

Fanchon (freudig). Wie – Ihr – Ihr wolltet! Ihr würdet –

Vater (sehr gequält, sich den Schweiß abwischend). Ich würde thun – was die Schuldigkeit jedes ehrlichen Mannes ist und wär' er auch dein schlimmster Feind. Ich würde der Wahrheit die Ehre geben und den Leuten sagen – (mit Überwindung aber fest.) »daß du dich in der Stadt tadellos aufgeführt hast, und dir der Schlossermeister Bertrand das Zeugnis giebt. daß du die fleißigste, züchtigste und gottesfürchtigste Magd seist, die er je gekannt« – und mir werden sie glauben, Fanchon.

Fanchon (mit funkelnden Augen). Gewiß – Euch glauben sie!

Vater (begütigend). Nun, Grille – so bleib' in Gottes Namen in dem alten Häuschen – es ist doch immer eine Heimat.

Fanchon (fest). Das kann ich nicht, Vater Barbeaud. Es ist nicht ehrbar noch ratsam für eine junge Dirne, einsam zu wohnen: das würde mir mit Recht üblen Leumund machen.

Vater (zwischen Ernst und Scherz, sie von der Seite lauernd betrachtend). Hm! mußt dir eben einen Mann nehmen, dann wärst du sicher vor schlechter Nachrede.

Fanchon (sieht ihn groß und ehrlich an). O ja, einen Mann möcht' ich schon gern, da habt Ihr's getroffen, Vater Barbeaud! Aber – meint Ihr, es sei mit dem »Nehmen« gethan? Ich mag nicht jeden, hab' auch meinen Kopf! (Ihm einen Schritt näher tretend.) Wißt Ihr einen Vater oder eine Mutter, die sich's nicht zur Unehre anrechnen würden, die verlästerte Grille als Tochter aufzunehmen?

Vater (bitter lachend). Ei, was liegt heutzutage an Vater und Mutter! Kannst schon einen Mann kriegen, der dich um deiner hübschen Augen willen nimmt, und sich den Kuckuck um den Willen der Alten schert!

Fanchon (fest). Einen solchen Mann nähme ich nicht, und wenn er von Gold wäre, denn ich könnt' ihn nicht mögen. Ich darf mit gutem Gewissen dem Rechtschaffensten unter die Augen treten, Vater Barbeaud, und so brauche ich mich nicht hinter dem Rücken der Eltern in eine Familie einzudrängen, die mich nicht ehrsam selber ins Haus holt, davor bewahre mich Gott! (Mit zitternder Stimme.) Und wenn ich den Mann, der das vierte Gebot nicht ehrt, so lieb hätte, daß er mein ganzes Leben wäre, und wenn ich drüber vor Herzeleid zu Grund gehen müßt, ich nähm' ihn doch nicht!

Vater (in widerstrebendem Gefühl, geht hin und her, sie zuweilen forschend betrachtend). Meiner Seel', Grille – das traue ich dir zu! (Mit Entschluß.) Sei's drum, die Vormundschaft nehm' ich an, (er reicht ihr die Hand, sie schlägt ein) und will dein Weniges rechtschaffen besorgen.

Fanchon (seine Hand schüttelnd). Schön Dank, Herr Vormund! – Der Herr Pfarrer hat's doch gewußt!

Vater. Und nun sage, (listig lächelnd) bist du deshalb allein gekommen? He?

Fanchon. Nein! Ich kam auch, um Euch zu sagen: daß ich vorigen Sommer, da ich von hier fort ging einem armen, jungen Burschen, der mich nicht lassen wollte, in meiner Herzensangst ein Gelübde bei Gott und der heiligen Jungfrau gethan, ihn um ein Jahr vor meinem Häuschen zu erwarten, wenn er mich während dieser Zeit nicht verfolgen und aufsuchen würde. Der brave Bursche hat Wort gehalten, so muß ich mein Gelübde nun auch erfüllen; er wird mich suchen und wird mich finden. So, nun wißt Ihr's, Herr Vormund, das war's! Ihr sollt mir nicht nachsagen, daß ich hinter Euerem Rücken gehandelt habe. Wehren laß ich mir's nicht – darum wär' es mir lieber, wenn Ihr nichts dagegen hättet.

Vater (vor sich hin lachend). Würde mir nicht viel helfen – wenn du dir's doch nicht wehren läßt! (Blinzelnd.) Nur, eins – wissen möcht' ich doch, was du denn dem Burschen sagen willst.

Fanchon (ernsthaft). Ich will ihm sagen: daß wir auseinander müssen, weil mich sein Alter nun einmal nicht zur Tochter will.

Vater (blinzelnd). Warum will dich der alte Dickkopf nicht?

Fanchon (sieht ihn groß an). Ja – das muß er wissen! Ich bin ihm wohl zu arm.

Vater. Bah – reich bist du freilich nicht; (lachend) hast ja aber doch dein eigen Haus – wenn's auch nicht viel mehr wert sein mag als das einer Grille!

Fanchon (wie oben). Ja, wenn's nicht meine Armut ist – dann denk' ich, wird's wohl meine Häßlichkeit sein!

Vater (eifrig). Na, höre – was die Häßlichkeit betrifft, (sie wohlgefällig betrachtend) damit hat sich's! Ich muß dir sagen, Fanchon, daß du dich in der Stadt teufelmäßig verändert und ein Paar Augen im Kopfe hast, Prachtaugen! Gott's Blut! Kannst den Jungen ohne Hexerei die Köpfe verdrehen – und mir scheint – den Alten erst recht! Dann bist du auch ein braves Mädchen, Fanchon –

Fanchon (in staunender Freude, faltet die Hände). Ja, wenn's aber nicht meine Armut und Häßlichkeit ist – wenn er nun endlich einsieht, daß ich auch von Charakter nicht so schlimm bin – dann weiß ich nicht, warum er mich dem braven Sohn nicht geben will?

Vater (mit den Augen zwinkernd, als käme ihm eine Thräne). Ich weiß es auch nicht! Solltest eben einmal selber bei ihm anklopfen – wer weiß! Probier's!

Fanchon (plötzlich ernsthaft, sieht ihn groß an). Anklopfen – ich? Ei bewahre, Vater Barbeaud, das hieße ja die Welt auf den Kopf stellen! Wer mich haben will, der muß bei mir anklopfen in aller Form, wie es Brauch ist im Land und wie es ein ehrbares Mädchen fordern kann, anders kriegt mich keiner zur Tochter.

Vater (verblüfft). Ei, ei, sieh einmal! Alle Donner auch! Bist ja höllisch stolz! (Er geht hin und her.)

 
Achter Auftritt.

Die Vorigen. Landry und Didier von rechts.

Landry (noch draußen). Sie ist hier! (Hereinstürmend.) Laß mich! Laß mich doch!

Didier. Erzürne den Vater nicht noch mehr.

Landry (sich losreißend). Mir einerlei! Ich halt' es so nicht mehr aus! Geh' es wie es wolle, ich muß und will eine Frage an die Fanchon thun, ehe wir für immer auseinander gehen – und wenn die ganze Welt zuhörte!

Vater (gelassen). Frage, frage, mein Sohn, ich will dich nicht daran hindern.

Didier. Was Tausend!

Landry (sieht ihn starr und staunend an). Vater – Wie?

Vater (rasch). Na, was soll's? Was gafft ihr mich an wie ein Kamel am Jahrmarkt, dumme Jungen? (Mit erzwungenem Zorn.) Bin ich im Wege – so kann ich gehen. – ja, ja, ich kann gehen! (Er geht nach links, halblaut zu Didier.) Pack dich auch – naseweiser Gelbschnabel, wenn der Landry die Grille was fragen will – mußt die Schnauze nicht in allem haben! (Er geht nach links ab.)

Didier (für sich). Potz Welt! Die Mutter wird Augen machen! (Er folgt ihm nach links.)

 
Neunter Auftritt.

Fanchon. Landry.

Landry (sieht ihm wie versteinert nach). Bin ich verrückt? Was ist denn mit ihm vorgegangen?

Fanchon (sanft). War es das, was Ihr mich fragen wollt, Landry Barbeaud?

Landry. Nein, nein, Fanchon! Ich wollt' Euch fragen – (er stockt).

Fanchon (wie oben). Nun – Was?

Landry (mit Überwindung). Ob Ihr wißt, Fanchon, daß ich, seit Ihr aus der Stadt zurück seid – dreimal bei Euch war?

Fanchon. Ja, das weiß ich, aber in Gegenwart meiner sterbenden Großmutter konnt' ich Euch nicht sehen, Landry, und sie verlassen konnt' ich auch nicht.

Landry (bitter). Ihr habt mich auch nach dem Tode der Alten nicht eingelassen.

Fanchon (mit einem ernsten vorwurfsvollen Blick). Ich saß bei der Leiche und betete für ihre arme Seele. Ich wußte wohl, Landry, wovon Ihr mit mir sprechen wolltet – aber in Gegenwart des Todes von Liebe und Glück zu reden, bringt niemals Segen, denn es ist Sünde. Ich konnte dich nicht einlassen, Landry.

Landry (sieht sie bewunderungsvoll an). Du bist ein braves rechtschaffenes Kind, Fanchon!

Fanchon. Auch hatte ich mir gelobt, dich nicht hinter dem Rücken deines Vaters wiederzusehen

Landry (fährt zurück). Fanchon!

Fanchon. Ich hab' es ihm gesagt, daß wir uns heute wiederfinden müssen, denn heute ist das Jahr um, Landry! (Mit einem zärtlichen Lächeln.) Und du hast in allem redlich Wort gehalten, was du mir versprachst!

Landry (zitternd). Und du, Fanchette, du? Kannst du dein Pfand zurückfordern?

Fanchon (ihm ganz nahe tretend, ernst). Trägst du es noch, Landry?

Landry (zieht das Medaillon hervor, das er an einer schwarzen Schnur unter dem Hemde trägt). Ich hab's nicht vom Herzen gebracht, seit du mir es gabst, und es hat nicht einmal von mir fort verlangt, denn ich habe keinen Gedanken gehabt als an dich und habe täglich zu Gott gebetet: er möge diese Gedanken zu dir schicken, damit du sie auch denken und endlich die Liebe verstehen lernen müßtest.

Fanchon (mit niedergeschlagenen Augen). Ach, Landry, was habt Ihr da gethan – dann habt Ihr es ja vom lieben Gott erbeten und seid schuld, daß ich jetzt – (sie stockt).

Landry (starrt sie an, zwischen Furcht und Hoffnung). Daß du jetzt – die Liebe verstehst? – Fanchon – du hast – einen Geliebten?

Fanchon (wie oben). Ja, Landry, ich will es dir nur gestehen – ich hab' einen Schatz gefunden!

Landry (zurückfahrend, sieht sie in zweifelnder Fremde und zugleich erschrocken an). Siehst du?

Fanchon (erhebt die Augen strahlend zu ihm, immer hastiger und leidenschaftlicher werdend). Einen Schatz, der mir mehr wert ist als die ganze Welt! Es ist der rechtschaffenste reinste Bursche, der je einem Mädchen die Treue bewahrt; und denke nur Landry, ich hatte den hübschen Jungen schon lieb, da ich kaum zwölf Jahre zählte, und verfolgte ihn mit Neckereien, nur damit er zu mir rede, und als ich älter ward, paßte ich ihn des Nachts am Wege ab, wenn er von der Arbeit kam, nur um ihn zu sehen, und als er ertrinken wollte, jubelte ich, weil ich da war, ihn zu retten, und dann zwang ich ihn, mit mir zu tanzen, weil ich dachte, ihm im Tanz zu gefallen – und da ich endlich sah, daß er mich lieb gewonnen – erschrak ich vor meinem Glück und meinte: das sei zu viel für mich, und solch plötzliche Liebe müsse geprüft sein, wenn sie halten sollte, und ging mit schwerem Herzen in die Fremde. (Jubelnd, schlägt in die Hände.) Und denke nur, mein herziger Schatz hat die Prüfung bestanden, er liebt die arme Grille noch heute, und dafür giebt sie sich ihm jetzt zu eigen mit Leib und Seele für alle Zeit! (Sie fliegt an seinen Hals.)

Landry (der mit zitternder Freude dastand, seinen Sinnen nicht trauend, preßt sie an sich). Fanchette! Mein Grillchen! Herr Gott! (Zwischen Lachen und Weinen.) Ich werde närrisch vor Glück! Jetzt komm, fort aus diesem Haus der Hoffart, wir wollen ihnen einmal zeigen, den harten Geldsäcken, daß der Mensch selig sein kann ohne ihr goldenes Kalb, komm schnell fort!

Fanchon (schelmisch). Still, still, Landry, schimpfe mir nicht aufs Geld; die Großmutter hatte schon recht: es ist doch nicht ohne damit. Das giebt einem eine gar wunderbare Courage!

 
Zehnter Auftritt.

Die Vorigen. Vater Barbeaud kommt von links im Bratenrock, prächtig geputzt, einen großen Strauß im Knopfloch, den Hut in der Hand, in der anderen einen Stock mit goldenem Knopf, tritt gravitätisch ein und vor Fanchon hin. Didier folgt ihm und setzt sich während des Vaters Rede auf einen Stuhl links.

Vater. Mademoiselle Fanchon Vivieux, genannt Grille, Ihr seht hier einen alten Mann, der Euch viel Unrecht angethan. Dahingegen hat dieser Bursche hier – Landry Barbeaud geheißen – Euch schon lieb gehabt, wie alle Welt Euch verspottete, hat nicht von Euch gelassen, endlich gar aus Trotz unter die Soldaten laufen wollen, (droht ihm mit der Faust) der verstockte Bengel! (Schnell wieder gravitätisch.) So komm' ich denn als Brautwerber, klopfe an und frage Euch: Wollt Ihr meinen Zwilling Landry zum Mann und uns eine liebe und geehrte Tochter sein?

 
Elfter Auftritt.

Die Vorigen. Mutter Barbeaud ist durch die Mittelthür eingetreten, erstaunt stehen geblieben und hat die letzten Worte gehört.

Mutter. So ist's recht, Alter! So lasse ich mir's gefallen!

Landry (auf sie zu). Mutter, was ist denn geschehen?

Mutter (lachend). Er hat den Kürzern gezogen.

Vater (halb zornig, halb lachend). Na – und ist's ein Wunder? Das Mädel kann nichts dafür, aber eine Hexe ist sie doch!

Mutter. Und noch dazu eine reiche – denn der Herr Pfarrer bewahrt ihr Erbe (herausfahrend), und es macht gerade zwanzigtausend Franken.

Vater (fällt wie vom Schlag getroffen in den Stuhl, auf dem Didier sitzt). Zwanzig? –

Didier (schreit schmerzlich auf). Tausend!

Vater (schnellt in die Höhe und giebt Didier eine Ohrfeige). Franken! – Herrgott, Grille, was bist du für ein Goldvogel! (Fast erschrocken.) Landry, hast du gewußt, daß die Fanchon so reich ist?

Landry (der mehr mit Verwunderung als mit Freude zuhörte). Ei freilich hab' ich's gewußt! Weshalb hätt' ich sie sonst so gern? (Sie umschlingend.) Sie ist so reich, daß sie kein König reicher machen könnte als sie war, da sie noch keinen Sou in der Tasche hatte, und heilig sei Euch die Grille, die ohne Geld Segen und Glück an unseren Herd bringt!

Vater. So soll es sein!

Mutter. Und bleiben alle Zeit!

Didier (ist hinter der Gruppe auf einen Stuhl gestiegen und breitet die Hände wie segnend über sie). Amen!

Der Vorhang fällt.


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