Charlotte Birch-Pfeiffer
Die Grille
Charlotte Birch-Pfeiffer

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Dritter Aufzug.

Der Zwischenakt muß kurz sein, die Zwischenmusik schon mit dem Fallen des Vorhangs im vorigen Aufzug begonnen haben, so daß am Schluß der Musik gleich wieder aufgezogen werden kann.

 
Freie Gegend mit der Hütte der alten Fadet wie in der Verwandlung des ersten Aufzuges.

Erster Auftritt.

Die alte Fadet allein.

Fadet (kommt von rechte aus der Hütte, trägt ein kurzes Mäntelchen über dem früheren Anzug und ein Körbchen am Arm). Ist mir nicht recht, daß die Fanchon nicht daheim – möchte lieber nicht mehr nach der Priche hinüber. Aber der Schmiedemeister zahlt gut, darf in dieser schweren Zeit kein Verdienst versäumen! (Im Gehen sieht sie nach der Hütte zurück.) Kann das Häuschen schon ohne Hüter lassen, (boshaft lachend) das aberwitzige Volk fürchtet sich vor meiner Schwelle, als säße der böse Feind darauf! Hi, hi, hi! Ist doch was Nützliches um die Dummheit. (Sie geht gegen den Steg.)

 
Zweiter Auftritt.

Die Vorige. Fanchon kommt atemlos und fieberhaft aufgeregt von rechts hinter der Hütte.

Fanchon. Großmutter! Hört!

Fadet (fährt zusammen). Herr Gott – erschreckt mich das Unglückskind! Fanchon! Du schon zurück am Saint-Audoche? Hattest ja keine Ruhe, bis ich dich zum Tanz laufen ließ. Was jagt dich denn heim?

Fanchon (wütend). Die Schande! der Spott! Die Wut! (Mit den Füßen stampfend.) Großmutter, ich mag nicht mehr leben, so nicht! Ihr seid schuld; warum gebt Ihr Euch das Ansehen einer Hexe, und habt mich doch fromm und in Gottesfurcht erzogen!

Fadet (grinsend). Weil ich Geld verdienen muß, weil du ernährt sein willst, und der Bauer die Hexe besser bezahlt als den Doktor.

Fanchon (ungeduldig). Geld! Geld! Ich höre von Euch immer nur von Geld – gesehen hab' ich's nie, aber ich weiß, Großmutter, daß Ihr nicht arm seid, warum denn muß ich in solch jämmerlichen Fahnen einherziehen?

Fadet (zornig). Was? Hab' ich dir nicht heute den prächtigsten Staat deiner eitlen Mutter gegeben?

Fanchon (bitter lachend). Ja, gewiß, das gefiel mir auch ganz gut, was versteh' ich von Kleidern! Aber als ich unter die anderen kam, da merkt' ich erst, daß ich herausstaffiert bin wie eine Närrin! Großmutter, ich will keinen Putz, aber (plötzlich mit Energie) ich will nicht mehr lächerlich sein! Hört Ihr, Großmutter! Verlacht werden, wenn einem das Herz vor Jammer bersten möchte, ist Marter. Hätt' ich gewußt, wie ich aussehe, wie sie mich hassen und verachten, ich hätte dem Landry mein Tage die Schande nicht angethan, mit mir tanzen zu müssen!

Fadet (starr). Wer? Was? Der Landry Barbeaud, der hoffärtige Zwilling hat mit der Grille getanzt – bist du närrisch oder lügst du?

Fanchon (trotzig). Ich lüge niemals – Ihr wißt's, Großmutter.

Fadet (in zitternder Wut). Die giftige Brut aus dem Zwillingshof läßt sich mit dem Enkelkind der Anna Fadet ein? Da haben sie etwas vor mit dir! Bekenne, was hast du mit ihm?

Fanchon. Nichts, Großmutter. (Sie scharf ansehend.) Sagt mir lieber, warum Ihr wie besessen seid, wenn Ihr von den Barbeauds reden hört.

Fadet (mit Ingrimm). Das geht dich nichts an! (Sie schreit.) Grille! Der Landry tanzt mit dir? Bist du in den Burschen verliebt?

Fanchon (auflachend). Verliebt? Ha, ha, ha! Nein, Großmutter.

Fadet. Was? Du verlachst mich noch und willst nicht reden? (Sie erhebt den Krückstock.) Warte! Ich werde dir die Wahrheit schon herausklopfen!

Fanchon (tritt mit gekreuzten Armen vor sie hin, fest aber ruhig). Großmutter, setze deinen Stock in Ruhe, ich lasse mich nicht mehr von dir schlagen. Heute bin ich siebzehn Jahre geworden, die Kinderzeit ist um – ich brauche keine Schläge mehr.

Fadet (deren Hand mit dem Stock langsam herabsinkt). Ja, ja! – Richtig! Dein Geburtstag! Ja, armer Wurm, (fast weich) den hatt' ich vergessen.

Fanchon (faßt ihre Hand, ernsthaft und gutmütig). Thut nichts, Großmutter. Ich danke dir für jeden Schlag, für jede harte Brotrinde, die du mir gabst – ich habe dadurch Geduld und entbehren gelernt. Jetzt aber ist's ganz genug, und es thäte mir leid, wenn du mich noch einmal anrühren wolltest, (energisch) denn wehren dürft' ich mich nicht gegen dich, so müßte ich dir also davonlaufen, und ich möchte dich lieber pflegen, wenn du nicht mehr fort kannst.

Fadet (weinend, fast kindisch). Ja, ja, das sollst du auch. Ich habe ja nichts als dich in der Welt!

Fanchon (faßt ihre Hand, sie krampfhaft schüttelnd). Nun dann, Großmutter, so erbarme dich! Gieb mir das gröbste Zeug, aber ganz und reinlich, nicht in Lumpen laß mich gehen!

Fadet (wieder ganz die Alte). Bah! Es ist schon recht, wie es ist. Die Putzsucht hat deine Mutter ins Verderben, deinen Vater ins Grab gestürzt. (Feierlich.) Trage immerhin deine Lumpen geduldig, es ist besser, sie verhöhnen – als sie verführen dich, mein Grillchen! Ich muß jetzt nach der Priche.

Fanchon. Nach der Priche! Heute noch? Großmutter, Ihr kommt vor Mitternacht nicht heim.

Fadet (im Gehen, vergnügt). Aber es trägt Geld, blankes Geld! Leg' dich schlafen, wenn es dir zu spät wird. (Sie ist schon an der Brücke.) Räume auch die schönen Kleider sorgsam auf, daß mir nichts zu Grunde geht, hörst du? Schlaf wohl! (Sie geht über die Brücke und verschwindet hinter den Felsen.)

(Es wird langsam dunkler.)

 
Dritter Auftritt.

Fanchon allein.

Fanchon (steht unbeweglich, ihr nachsehend). Die schönen Kleider! (Sie faßt ihre rote Schürze an.) Die schönen Kleider! (Bitter.) Ha, ha, ha! Ich will sie sorgsam bewahren. (Sie reißt sich die Schürze ab.) Die böse Madelon soll dich nicht mehr »Hexenpanier« schimpfen. (Sie reißt die Jacke auf, die auf der Brust zu öffnen sein muß, und fährt blitzschnell aus den Ärmeln heraus, während sie spricht.) Sie sollen nicht mehr an den abscheulichen Schößen zerren, (sie reißt das blaue Tuch mit herunter) ich will wieder in meine Lumpen kriechen. (Sie läuft nach dem Hintergrund auf die Brücke und schleudert die Kleider in den Fluß.) Da, da, zieht hinunter nach der Priche und nehmt den Schmerz und die Schande mit, die ihr ihm und mir bereitet habt! (Sie trägt unter der Jacke ein weißes Miederchen und ein Hemdchen mit kurzen Ärmeln, so daß der Anzug anständig und kleidsam ist, von der früheren Tracht bleibt nur der Rock zurück.) Ach, könntet ihr auch die Reue mitnehmen, die mich plagt! (Sie bricht in Thränen aus, legt das Gesicht in beide Hände und schluchzt bitterlich, sie steht mit dem Rücken gegen den eben auftretenden Landry.)

 
Vierter Auftritt.

Die Vorige. Landry, den Hut auf dem Kopf, einen Stock in der Hand, eine dunkle Jacke nachlässig über die Schulter geworfen, kommt schon etwas früher von rechts hinter der Hütte und bleibt verwundert stehen, da er Fanchon die Kleider ins Wasser werfen sieht.

Landry. Grille! Du bist's, die so bitterlich weint? Was machst du denn da?

Fanchon (fährt erschrocken zusammen und wendet sich langsam nach ihm um). Was macht Ihr da, Landry?

(Die Abendröte erscheint am Horizont.)

Landry (trocken). Die Furt im Thal ist bei dem Hochwasser nicht zu passieren, ich wollte über den Steg nach der Priche zurück.

Fanchon (von der Brücke herabkommend, tritt zur Seite. mit bebender Stimme). Dann will ich Euch nicht im Wege sein.

Landry (wie oben). Danke. (Er geht die Stufen hinauf bis zur Mitte der Brücke.) Gute Nacht, Grille.

Fanchon (mit gesenktem Kopf, mühsam die Thränen zurückhaltend). Schön Dank, Landry.

Landry (auf der Brücke stehend, wendet sich plötzlich um.) Warum weinst du denn, Grille?

Fanchon (unter Thränen lachend, wischt sich mit beiden Händen die Augen aus). Ich weine ja nicht.

Landry. Ei freilich! Lüge nicht – die dicken Tropfen rinnen dir über die Backen! Was ist dir denn geschehen? Haben sie dich wieder gezerrt und verhöhnt?

Fanchon. Nein, seit Ihr mich so tapfer verteidigt, hab' ich keinen der bösen Buben mehr gesehen.

Landry (ungeduldig). Na, weshalb stellst du dich denn so an? Etwas muß dir doch geschehen sein?

Fanchon (legt beide Hände über das Gesicht). Laßt mich, Landry – Ihr wißt es ja!

Landry (in sichtlichem Kampf mit sich selbst). Grämst du dich um des Streites willen im Wirtshaus, weinst du deshalb noch?

Fanchon (ausbrechend). Ich weine, daß der liebe Gott solch ein elendes Ding wie mich geschaffen hat, das keinem zur Freude oder Nutzen, sich selber aber nur zum Leid auf der Welt ist. (Sie wirft sich auf den Hügel im Vordergrunde und verbirgt ihr Gesicht.)

Landry (ergriffen für sich, indem er langsam von der Brücke herabkommt). Sie dauert mich fast! (Näher kommend.) Weißt du Grille, du thust mir leid; ich habe dich immer nur lachen und spotten hören, ich dachte gar nicht, daß du weinen kannst.

Fanchon (den Kopf erhebend, wie umgewandelt, von jetzt an mild und sanft). Du dachtest eben wie die anderen, ich sei von Stein; darum tratet ihr mich immer mit Füßen und haßtet mich.

Landry (immer näher kommend, mit Schonung). Ich dachte, du seist boshaft, Fanchon, und jeder hält dich dafür, und wenn du verhaßt bist, so liegt wohl nur an dir selber die Schuld.

Fanchon (hat sich, aufmerksam horchend, aufgerichtet und sich auf dem Hügel zurecht gesetzt, mit gefalteten Händen und gesenktem Haupt, sanft und leise). Ich hab' es nicht gewußt, wie sehr sie mich alle hassen; Ihr habt ein Recht dazu, ich hab' gegen Euch schwer gefehlt – die anderen wissen nicht warum.

Landry (sanft aber ernst). Ich hasse dich nicht, obgleich du mich nur zum Tanz zwangst, um dich an mir zu rächen; aber ich war im Unrecht gegen dich.

Fanchon. Es ist wahr, ich sollte Euren Stolz kränken, denn ich hielt Euch für undankbar, wortbrüchig und feig. Heute aber sah ich, daß Ihr nur abergläubisch seid, Euch nur vor Zauberei fürchtet. Euresgleichen gegenüber seid Ihr mutig, nehmt Euch des Unterdrückten an und haltet Wort. Deshalb möcht' ich sterben vor Reue über den Streich, den ich Euch gespielt! (Mit Leidenschaft.) Aber Landry, so wahr ich Gott liebe, ich wußte nicht, daß du die Madelon im Ernst so gern hast, daß ich dich durch meinen Einfall so unglücklich machen, ein so großes Unrecht au dir begehen würde.

Landry (fast ungeduldig). Ach was, unglücklich bin ich deshalb nicht, wenn mir eine hübsche Dirne ein schiefes Gesicht zieht – und es ist jetzt nicht von der Madelon die Rede, sondern von dir, arme Grille, die sich selber unrecht thut, vielleicht ohne es zu wissen.

Fanchon (rückt etwas zur Seite, als wollte sie ihm Platz machen, sanft). Nein, Landry – ich weiß nichts von einem Unrecht. Sagt mir meine Fehler, ich will's besser machen, wenn ich kann.

Landry (sehr verwundert, etwas näher tretend, stützt sich auf seinen Stock und läßt die Jacke unbeachtet herabgleiten). Da du so sanft und vernünftig bist, Fanchon, wie ich es nie gedacht, so will ich dir in aller Güte sagen: warum dich keiner mag und achtet, obgleich dir eigentlich niemand etwas Unehrbares nachsagen kann. Das kommt daher: weil du selber nichts auf deine Person hältst und dich nicht wie eine erwachsene Dirne, sondern von Kind auf wie ein echter Bube gehabst. Wenn dir's einfällt, wirfst du dich auf das wildeste Pferd von der Weide und überjagst die tollsten Bursche! Mut haben und sich vor nichts fürchten ist wohl gut, aber bei einer Frauensperson sieht es aus, als wollte sie Aufsehen erregen, und das thust du auch; deshalb neckt man dich und ruft dir Spottnamen nach. Du aber hast Verstand und eine spitze Zunge, und wirfst alsdann den Leuten ihre Geheimnisse an den Kopf, die du erlauscht, darum fürchten sie dich, und wen man fürchtet, den haßt man, Fanchon. Und dann – wär' es doch gut, daß du nicht solche Dinge thätest, die dich in schlechten Ruf bringen.

Fanchon (die ruhig und aufmerksam zuhörte). Was für Dinge?

Landry (stockend). Nun, was triebst du gestern abend Unheimliches, als wir dich zuletzt sahen?

Fanchon (sich besinnend). Gestern? – Ach ja! Ich war eine Närrin. Ich sprang und sang und freute mich, daß ich heute mit dir tanzen sollte, und schwatzte mit meinem Schatten. Das thu' ich oft bei Vollmond, weil ich doch sonst niemand habe zum Plaudern; (sanft) ich dachte nicht, was Unrechtes zu thun.

Landry (halb mißtrauisch, halb neugierig). Du bist doch eigentlich ein seltsames kleines Ding, Grille. Man wird nicht klug aus dir, ob du gut bist oder böse. (Während ihrer folgenden Rede setzt er sich nach und nach wie unwillkürlich neben sie.)

Fanchon (nachdenkend). Ich weiß es selber nicht – ich meinte immer, ich sei nicht böse – doch muß es wohl so sein, und darum will ich mir alles, was du mir sagtest, ernstlich überdenken, aber – überdenke auch du einmal mein elendes Los. Ich war sieben Jahre alt, als ich die Mutter verlor! Sie sagen, sie sei mit einem schönen Regimentsdoktor davon gegangen, als die Soldaten so lange in der Gegend standen, und reden ihr Übles nach – ich verstehe das alles nicht recht, ich weiß nur, daß sie mich sehr lieb hatte! (Mit hervorstürzenden Thränen.) Mich aber hat noch niemand auf der ganzen Welt gern gehabt als sie, denn mein Vater war ein finsterer, grämlicher Mann, der sich nichts aus mir machte und auch bald darauf starb. Seit sie mich zuletzt geküßt, hat mich kein milder Atem mehr angeweht und keine Hand hat mir die Backen gestreichelt, und keiner wird mich mehr lieben. Ich bin ein recht armes vergessenes Waisenkind! (Sie verhüllt das Gesicht.)

Landry (bemüht, seine Rührung zu bekämpfen). Nun, nun – weine nur nicht wieder, Fanchon!

Fanchon (die Thränen abwischend). Ihr habt recht, Landry. Mit Thränen, die keinem aufs Herz fallen, verteidigt man sich schlecht – ich will tapfer sein! (Trocken und ruhig.) Da ich denn also eine Waise war, nahm die Großmutter mich auf wie eine Last, Schläge und Hunger waren meine Erzieher, einen Stein mußte mein Elend erbarmen – nur die Menschen nicht; sie warfen mir täglich meine Mutter vor und schmähten sie. Siehst du, das ertrug ich nicht! (Mit tiefem Gefühl.) Meine arme Mutter war immer meine Mutter, und habe sie gefehlt wie sie wolle, ich werde sie doch mein Lebtag im Herzen tragen. Wenn sie sie nun das »Soldatenliebchen« schimpfen, (zitternd vor Zorn) so gerate ich in solche Wut, daß ich den Leuten ihre eigene Schlechtigkeit ins Gesicht werfe. Aber – du kannst mir's glauben, Landry, (mit fester Ehrlichkeit, legt die Hand auf die Brust) ich wehre mich nur mit Worten für sie und habe nie einem Menschen Schaden zugefügt.

Landry (der immer nachdenklicher und aufmerksamer zuhört). Das ist brav von dir, Fanchon.

Fanchon (ruhig). Es ist nur meine Schuldigkeit. Daß ich auf meine Person nichts halte, wie du sagst, kommt daher: einmal, weil ich blutarm bin und nichts habe, mich zu putzen, und dann, weil ich gar wohl weiß, daß ich grundhäßlich aussehe und nicht so dumm bin, zu glauben, daß mich Kleider hübscher machen könnten, als der liebe Gott einmal wollte, daß ich werden sollte.

Landry (sie mit sichtlichem Wohlgefallen betrachtend). Aber Fanchette, ohne den bunten Plunder bist du gar nicht so häßlich, und wer weiß, wenn du in so hübschen Röcken stecktest wie die Madelon –

Fanchon (trocken). So würde ich doch immer die »Grille« bleiben! Laß es gut sein, Landry, meine Häßlichkeit hat mir nie Kummer gemacht. (Humoristisch). Weiß ich doch, daß der liebe Gott mir so wenig Vorwürfe über mein Gesicht macht als ich ihm.

Landry (eifrig). Aber ich sage dir ja: du bist nicht häßlich. Der Didier meinte noch heute: daß du ein paar prächtige Augen habest – und es ist wahr, (sie fest ansehend) du hast Augen –

Fanchon (wie oben). Ja, Augen hab' ich – und mir ist's einerlei, was für Augen ich habe, denn es ist mir ganz recht, denen zu mißfallen, die mir nicht gefallen. Wär' ich hübsch, so möcht' ich nur dem einen hübsch vorkommen, der mir zusagt – und die anderen könnten mich (lachend) meinetwegen für eine Nachteule halten – darum kümmerte ich mich gerade so viel. (Sie schlägt ein Schnippchen.)

Landry (betrachtet sie sinnend, wie in Gedanken). Ja, ja, das trau' ich dir zu! Dir ist nicht einer so viel wert als der andere – »wenn er nur tanzen kann!« Höre Grille, du hast mir mehr zu denken gegeben als ich mein Lebtag bedacht habe. Ich wollte – daß dich alle Leute kennten wie ich.

(Es beginnt zu dämmern.)

Fanchon. An den anderen liegt mir nichts. Ich habe dir's gesagt, Landry, ich brauche keinem zu gefallen, der mir nicht gefällt.

Landry (sieht sie groß an, von ihr abrückend). Wenn du dich aber gegen mich allein rechtfertigst, so – (er stockt) sollte man ja denken – daß ich dir – ge—

Fanchon (unruhig werdend, steht auf und sieht sich um). Gott bewahre, die Sonne ist schon unter – gleich wird die Nacht da sein! (Lustig.) Hört Ihr die Grillen zirpen, Landry? Meine lustige Familie ruft mich – ich muß hinein.

Landry (springt auf). Tausend Wetter, und ich muß nach der Priche zurück.

Fanchon (halb spöttisch, halb gutmütig). Armer Landry! Statt zu tanzen und zu schmausen, habt Ihr nun mit mir eine schöne Stunde verloren!

Landry (ernsthaft). Ich habe sie nicht verloren, Fanchette; ich meine – ich hätte eher gewonnen, da ich das Fest verließ.

Fanchon (mit versteckter Neugierde). Weshalb thatet Ihr das, Landry?

Landry. Weil mir die Roheit zuwider war, mit der sie dich fortgetrieben, und weil ich mein Wort von dir nicht zurücknahm.

Fanchon (wie oben). Sagt lieber, weil Ihr es nicht aushalten konntet, mit der Madelon in Unfrieden zu sein! – Aber tröstet Euch, Landry, ich hab' Euch entzweit mit Eurer Liebsten, ich mache Euch wieder gut.

Landry (zerstreut). Bah! Die Madelon ist noch lange nicht meine Liebste. (Sich das Haar aus der Stirn streichend.) Laß die jetzt – ich wollte lieber, du versöhntest dich erst mit mir.

Fanchon (immer heiter). Ich? Ei, ich denke ja – wir sind gute Freunde geworden, Landry.

Landry. Das können wir nicht sein, da ich dich so bitter beleidigt, dich da drunten so verächtlich behandelte. Hab' ich dich nicht nach dem Tanz stehen lassen, ohne dir einen Kuß zu geben, wie es doch Sitte und Brauch ist zwischen Burschen und Mädchen, seit Andoche gefeiert wird?

Fanchon (sehr beklommen, gezwungen lachend). Daran habe ich gar nicht gedacht, Landry!

Landry (mit Feuer). Aber ich denke jetzt daran, Fanchette. Du hast mich selbst zum Tänzer gewählt, und jetzt will ich mein Recht! (Er tritt ihr näher.)

Fanchon (ernst). Euer Recht, Landry, war ein Kuß auf dem Tanzplatz, am hellen Tage vor allen Leuten, da wolltet Ihr nicht – jetzt fordert Ihr ihn, da wir seelenallein sind, da es schon dunkelt, (bestimmt) jetzt will ich nicht.

Landry. Und warum nicht, Fanchette?

Fanchon. Weil es nicht ehrbar ist, Landry! Weil ich kein kleines Mädchen mehr bin und mein Lebtag keinen Burschen geküßt habe und keinen küssen werde, als dereinst – meinen Mann, wenn es Gott gefällt, mir einen solchen zu bescheren.

Landry (schlingt die Arme um sie). Fanchon!

Fanchon (reißt sich heftig los und springt schnell ein paar Schritte zurück, zitternd und hastig). Nein, nein, nein, Landry! – Du willst mich jetzt nur küssen, weil du mein Gesicht nicht mehr recht siehst. Morgen, wenn der Tag kommt, würdest du dich schämen, die häßliche Grille geküßt zu haben, und wieder verächtlich zur Seite sehen, wenn ich dir über den Weg liefe wie sonst; und das könnt' ich jetzt nicht mehr erdulden, da du mich kennst wie der liebe Gott, das würde mich wieder boshaft machen, und ich will nicht mehr böse sein! (Schnell wieder munter und bestimmt.) Morgen sollst du die schöne Madelon küssen und dir selber sagen: die kleine Grille hatte gestern mehr Vernunft als der kluge Landry vom Zwillingshof! (Sie hält ihm die Hand hin, lustig.) Schlag ein, Kamerad, und gute Nacht!

Landry (halb zornig, halb verblüfft). Du kannst leicht mehr Vernunft haben als ich, Fanchette – denn mir scheint, du hast mir die meine ganz und gar gestohlen, da es mir vorkommt, als wär' ich ein feiger Bursche, wenn ich dich jetzt so fort ließe, und als müßte ich dich erst recht küssen, da du mich so jämmerlich ablaufen läßt! (Er stampft unwillig mit dem Fuß.) Ich sage dir, Fanchette, (er macht ein paar Schritte ihr nach.) ich gehe nicht von der Stelle, ehe du nachgiebst!

(Stimmen aus der Ferne.)

Fanchon (ist nach der linken Seite gelaufen, horcht plötzlich auf). St! Still, Landry! Hörst du nicht Stimmen? Da kommen Leute!

Landry (horcht erschrocken). Sie hat recht!

Fanchon (hastig). Immer näher! Das sind wohl die aus der Priche, die heimgehen. Nun, Landry, mach' dich eilig auf die Füße, wenn du vor ihnen die Schlucht erreichen willst – (gezwungen scherzend) oder bleib hier, wenn du den Mut hast, morgen in der ganzen Gegend für den Liebhaber der Grille zu gelten.

Landry (stampft mit dem Fuß, steht einen Augenblick unschlüssig, stülpt dann den Hut auf den Kopf, wirft sich eilig die Jacke über die Schulter, ruft). Fanchon, wir haben nicht das letzte Wort mitsammen geredet! Für heute: gute Nacht! (Er geht mit raschen Schritten über die Brücke, in den Felsen links verschwindend.)

Die Stimmen (kommen näher).

Fanchon (steht mit gefalteten Händen, ihm nachsehend). Wie er läuft! (Pause.) So groß ist die Schande, mein Schatz zu heißen! (Die Lippen aufwerfend.) Lauf, Landry! lauf, immerzu, sie erwischen dich nicht mehr. – Ja, ja! Morgen sollst du die Madelon küssen, aber die arme Grille dein Lebtag nicht! (Sie geht nach rechts in die Hütte ab.)

Die Stimmen (hört man jetzt ganz nahe).

Der Vorhang fällt.


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