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Condittierengeist im Zeitalter des alten Cosimo

. Als Florenz aus Säuglingsträumen zur Tat erwachte, da läutete die alte, eherne Kriegesglocke im Bargello zu blutigem Sieg. Nicht wie ein verliebter Jüngling, in Weh und Ach verzweifelnd spinnend, pflückt man die Früchte tatenfroher Tage. Der Löwe, dessen Tatzen tiefe Wunden schlagen, war das Symbol der jungen Republik. Im Palazzo vecchio stand er lebendig angebunden und sein Geheul brüllte wie Warnung, wenn blutiger Bürgerhaß in wildem Straßenkampf der höheren Pflicht vergaß. »St. Georg und seine Helden«, man möchte glauben, es sei der Schlachtruf in jenen Tagen gewesen, der Täufer aber, immerfort als Stadtheiliger verehrt, ward zum Zerrbilde seiner selbst. Und daneben der David, der den Riesen Goliath erschlägt. Donatellos Kunst wird zum großen Interpreten dieser neuen Zeit. Aber der Umschwung vollzog sich nicht plötzlich. Hinter Klostermauern, bei sentimentalen Gemütern, die fernab stehen von den tumulterfüllten Aufregungen des Tages, vollzieht sich der Übergang. Die »Anbetung der Könige«, wie wir sie beispielsweise von dem Umbrer Gentile Fabbriono in der Academia sehen, wird zum beliebten Motiv, um Religion und Welt unter einen Hut zu bringen. Beato Angelico, der Mönch von Fiesole, der in San Marco malt, eine der reinsten und lieblichsten Gestalten, welche die Florentiner Kunst weist, verstopft sein Ohr krampfhaft dem betäubenden Lärm des Tages. In unendlich weichen und melodiösen Akkorden klingt in ihm die Lehre des hl. Antonius fort in seinen Madonnen. Die Einfachheit seiner Farbenskala ist der Ausdruck seiner reinen, träumenden Seele, das Gold auf seinen Tafelbildern wird zum jubilierenden Gesang erhoffter Paradiesesseligkeit. Dieser zarte, blonde Christus, nie konnte er Böses denken, diese tanzenden, schwebenden Engel, die auf Posaunen dem Schöpfer das »Te deum« blasen, wie wundervoll ist die Welt, in der dieser Künstler webt. Man möchte ihn fast einem verliebten deutschen Jüngling vergleichen, der traumverloren auf den Fluren das Schönste sucht, womit er seine Liebe schmückt. Und diese Liebe ist blond und ideal ... Selbst über sein »jüngstes Gericht« in der Academia ist so viel Engelsreine gebreitet, daß man deutlich fühlt, dieser Mensch hat nie des Herzens wilden Drang zur Sünde empfunden. Angelico ist ein heiterer Ausgang jener Kunstperiode, die wir völlig zutreffend als die des Dominikus bezeichnen können. Schon, daß er die Landschaft, die Natur mit Inbrunst umarmt, muß hervorgehoben werden; denn gerade in ihr offenbart sich Gottes herrliche, segenspendende Schöpfung.

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Loggia del Lanzi

Während dieser selige Mönch fernab träumt hinter dem Schutz von Klostermauern, da geht es schon mit Sturmesgebrause eines neuen Tages durch die engen Gassen der Stadt. Wundervoll war sich das Volk seiner eigenen Kraft bewußt geworden, es verkündete durch die Tat ein neues Evangelium, das die letzten Spuren jeder Jenseitsduselei völlig abgestreift. Wie ein junger Löwe rüttelt und reißt es an seinen Ketten, der Tag der Befreiung war nahe. Schon herrschte blühender Wohlstand in den Hallen der Zünfte. Or San Michele, jener wundervolle gotische Bau wird zum sprechenden Ausdruck und das Volk ist kräftig und reich genug, sich hier zum Schmucke der besten Künstler zu bedienen. Der Dom strebt täglich mächtiger empor. Orcagnas Name ist mit seinem Baue eng verbunden. Er schafft den obersten Vertretern dieser Bürger jene wundervolle Loggia dei Lanzi, die in ihren stolzen Rundbogen, wodurch sie ein enges Bindeglied zur nahen Renaissancearchitektur wird, die ganze Würde der stolzen Republik im kalten Steine ausprägt. Schon 1378 bei dem »tumulto dei Ciompi«, einem ersten, kräftigeren Ausdruck des Selbstbewußtseins und der Kraft jener Bürger, die immer stärker an den Knechtesfesseln rütteln, die ihnen die alten Geschlechter angelegt, wird wie auf Geisterflügeln zum erstenmal ein Name durch die Stadt getragen, der vorahnend schon hier das Geschick kommender Tage andeutet, der Name »Medici«. Noch ward er überschattet von dem gewaltigeren der Albizzi und anderer Geschlechter. Wer war der erste in dem Haus der Medici, der die Zukunft des Volkes, das nunmehr täglich kräftiger erwacht, in seiner vollen Bedeutung erfaßt und die Parole »popolo« als heilige Tradition Kindern und Kindeskindern vermacht? Giovanni dei Medici nennt man gewöhnlich als den Begründer der Macht seines Hauses. Er hat treulich die Tendenz seines Großvaters Salvestre befolgt; sein Sohn Cosimo aber war berufen, am Eingang einer neuen Welt zu stehen, einer Welt, in Schönheit und Kraft geboren. Er kommt 1429 vierzigjährig – man kann noch nicht sagen »zur Regierung«. In der Florentiner Geschichte bedeutet der Name Medici die Glanzzeit höchster Kultur. Was vor ihr liegt, mutet an wie Geburtswehen, was nach ihr kommt, klingt wie Grabgeläute. Am wunderbarsten aber stellt sich die Morgenröte jener neuen Zeit in einem Meister dar, in dem großen Florentiner Plastiker Donatello. In seinem strengen Naturalismus, dessen Lehrmeister er auf lange Zeit hinaus wird, prägt sich deutlich die ganze siegesbewußte Kraft der jungen Republik aus. Wenn man seinen nackten Davidknaben sieht, der eben dem Riesen das Haupt abgeschlagen, so denkt man unwillkürlich an den Kampf seines Staates gegen die übermächtigen Mailänder Visconti. Und dieser hl. Georg, wie wird er nicht zum hohen Liede selbstbewußter Jugendkraft. Den Schutzheiligen von Florenz, den Johannes, hat der Meister unzählige Male in allen Lebensaltern dargestellt. Mich überkommt es jedesmal, wenn ich diese Gestalten sehe, wie eine bittere Ironie, die ich jenem großen künstlerischen Geiste nachempfinden kann. Wie das unheimliche Feuer in all diesen Täufern brennt! Wie die Fetzen um diese schlotternden Beine baumeln; ist es nicht der Gang der Kirche, den diese dürren Glieder bezeichnen! Sie werden erstarren in Askese und Fanatismus. Der Schritt dieser Füße bedeutet Unfruchtbarkeit, bedeutet Erstarrung und Tod. Und wie anders der Klang der erzgepanzerten Schritte jenes Georg, wenn sie zum Leben, zur Bewegung würden! Wie blitzt das Auge funkensprühend schon im toten Stein! Es ist natürlich, daß ein Mann wie Donatello zum Freunde jenes Cosimo werden mußte. Hier Leben, dort Kunst, die im Gleichtritt miteinander wandeln. Und wenn dieser Künstler jene wundervolle Tonbüste des Niccolò da Uzzano formt, hat er diesen Zügen nicht etwas vom Geiste des alten Cosimo gegeben? Schon daß sich Donatello so gewaltig von der Antike gefangen nehmen läßt, ist charakteristisch für ihn wie für viele andere zu seiner Zeit. Jenen nachgeborenen Geschlechtern bedeutete die Antike im ersten Sinne das Ideal höchster menschlicher Kraft, später erst ward sie auch zum Ideal höchster menschlicher Schönheit. In den Reliefmedaillons im Hofe des Palazzo Medici nimmt sie in Donatellos Werken vielleicht am deutlichsten Gestaltung, aber man vergleiche nur den Bacchus dort mit der weichlichen Schönheit eines Apoll von Belvedere, und man hat sofort den ganzen Unterschied Donatelloscher Art von der Antike. Kraft, selbstbewußte, unbezwingbare Kraft, das ist der Grundton seines künstlerischen Bekenntnisses; nur einer, lange nach ihm, reicht in dieser Beziehung dem Meister des Gatamelata die Hand. Das ist Michelangelo, der aus totem Stein den Riesen David geformt. Selbst da, wo Donatello lyrisch zu werden versucht, wo er süssen Zauber geben will, in den Reliefs seiner tanzenden Knaben an seiner berühmten »Cantoria«, selbst da überwiegt der Ausdruck des Kräftigen in all diesen muskulösen Knabengestalten. In seinem oft herben Naturalismus ist der »Condottiere« Donatello für uns der feinste, fast übersinnlichste Ausdruck jener selbstbewußten Zeitstimmung. So offenbart er besser noch als Brunelleschi, der neben ihm die Domkuppel wölbt, besser noch als Ghiberti, in dem leise das kommende Schönheitsideal schon anklingt, den ganzen herben Zauber jener neuen Epoche, an dessen Eingang Cosimo von Medici steht. Alle drei aber sind, wie viele andere neben ihnen, nur Werkzeuge, um Zeugnis abzulegen von der höchsten Blüte des florentinischen Staates: Brunelleschi führt den Stolz des Volkes, den gewaltigen Dom, an dem nun schon anderthalb Jahrhunderte von tausend Händen mühevoll gearbeitet wurde, zur Vollendung; Ghiberti durch seine beiden Türen am Battistero schmückt dieses alte Stadtheiligtum mit wundervollen Paradiesespforten; der große Donatello aber predigt das Evangelium höchster Menschenkraft. Daß die beiden letzteren neben anderen noch berufen waren, die Nischen von Or San Michele, dem sprechendsten Denkmal für den Glanz der Zünfte zu schmücken, nimmt man gerne als ein glückliches Symbol derselben Zeit hin. Vor ihnen hatte schon Orcagna in dieser Kirche ein großes Tabernakel, das ein wundertätiges Marienbild umschließt, aufgestellt, und nach ihnen vereinigt sich an seinen Wänden noch Luca della Robbias liebliche Kunst; Verrocchio mit seiner berühmten Thomasgruppe und Giovanni di Bologna mit seinem hl. Lukas kommen hinzu, um die Kulturgeschichte von Florenz an einem einzigen Beispiele deutlich auszusprechen. An solchen Denkmälern wie Or San Michele, dem Dom und der Loggia dei Lanzi ließe sich bequem die ganze Geschichte von Florenz und seiner Kunst abwickeln. Selbst Namen, wie Ninno di Banco, ein Vorläufer Donatellos, von dem an der Nordseite von Or San Michele allein drei Statuen aufgestellt sind, dienen dazu, trotz ihrer geringen kunsthistorischen Bedeutung, Übergänge zu vermitteln, die deutliche Streiflichter auf die Art jener Tage werfen. Donatellos Name erinnert gleichzeitig an den seines Mitarbeiters Michellozzo, und in ihm begrüßen wir den Erbauer des Palazzo Medici. Das führt uns für kurze Augenblicke zur Architektur, die wir bei Arnolfo di Cambio, dem ersten Bauherrn des Domes, dem Erbauer des Palazzo vecchio, verließen. Giotto war der Schöpfer des schlanken gotischen Campanile. Schon, indem wir uns von der ältesten Festungsarchitektur des romanischen Stiles zum Bargello wandten, betraten wir unvermerkt das Gebiet der Gotik. Wenn noch rauh, so ist doch die Empfindung des Trecento gegen Ende schon feiner geworden. Als Ausdruck einer neuen Zeitepoche, wie sie Donatello, Brunnelleschi und Ghiberti in der Plastik offenbaren, wie Masolino und Masaccio in der Malerei, nehmen wir die neuerstandene Palastarchitektur heraus, und da wollen wir neben einem Pal Spini, Davanzati und Castellani als typischstes Beispiel den Palazzo Medizi kurz betrachten, den sich der alte Cosimo von Michellozzo aufführen ließ. Die Zeiten sind kräftiger, im Inneren weniger gefahrvoll, aber auch anspruchsvoller geworden. Quadratische Quadern werden nicht mehr regellos aufeinander getürmt, man hat jetzt Muße und Geld genug, dieselben fein säuberlich behauen zu lassen. So entsteht die Rustica. Palazzo Pitti, den Brunelleschi baut, und Palazzo Medici weisen sie deutlich vor. Es ist, als habe man diese Bauten mit einem gewissen vorahnenden Bewußtsein aufgeführt; daß sie imstande seien, in weiten, hohen, lichtdurchfluteten Gemächern den ganzen Zauber des schönheitstrunkenen Cinquecento aufzunehmen. Noch sind es Festungen nach außen; denn noch immer kehrten die inneren Tumulte wieder, und man mußte sich stündlich auf Sturm und Belagerung gefaßt machen. Aber jede Ängstlichkeit ist gewichen, trotzige Condottierenkraft spricht aus den Quadern, kunstvoll gefügte Laternen und Fackelhalter geben uns eine Ahnung von dem heiteren Glanz, der sich in stillen Frühlingsnächten dort enthüllte. Die Höfe, in denen sich größtenteils das süße Minneleben des Cinquecento abspielte, werden luftiger und freier, Der blaue Himmel scheint voll und ganz hinein, und in seinem Glänze verbringt man Stunden in loser philosophischer Plauderei, verträumt bei schwarzlockigen Frauen unter frohem Gesang friedenatmende, wonnigliche Augenblicke. Die Architektur vermag nicht das Seelenleben einer Zeit zu offenbaren, dazu rechnet sie auch bei der graziösesten Renaissancefassade zu sehr mit der Masse, aber Trotz, Kraft und frohen Mut vermag auch sie auszusprechen.


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