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Die Kultur des Florentiner Trecento

. Der erste jener blutigen Geschlechterkämpfe in den Florentiner Mauern fällt in die Jahre 1117–1179. Schon in ihm ist das Prinzip späterer Parteiungen deutlich genug ausgesprochen; denn die Uberti, die den furchtbar verheerenden Brand entfacht, waren treu kaiserlich und auf Grund dieser Gesinnung hofften sie mächtigere, alteingesessene Adelsgeschlechter aus ihrer Machtstellung zu verdrängen. Es war ein Kampf der Türme gegen Türme; eine Turmgemeinschaft kämpfte gegen die andere. Brand und Hungersnot wüteten verzweiflungsvoll in der Stadt. Schon beschloß das Volk, in ein neues, friedliches Florenz auszuwandern. Wie grausam oft solche Kämpfe in das Privatleben des einzelnen folgenschwer hineinwirken konnten, zeigt uns zur Genüge Dantes Leben. Bis zu seiner Geburtsstunde 1265 hat das wechselnde Geschick der letzten Staufer wie ein Verhängnis über dem Frieden von Florenz geschwebt. »Hie Guelf, hie Waiblinga« ... 1258 ist jene blutige Schlacht von Montaperto, wo das Wasser der Arbia voll vom Blute Florentiner Brüder floß. Die siegreichen Ghibellinen durften nach Florenz zurückkehren, neun Jahre später sind sie wieder endgültig verbannt. Im Rahmen dieses Buches haben diese kurzen Daten nur den Zweck, das allgemeine Zeitmilieu ins Gedächtnis zurückzurufen. Schon 1249 hatte sich das Volk in der Kirche von San Lorenzo zum ersten Male eine selbständige Verfassung gegeben. Das war gewiß der Ausdruck einer selbstbewußten Kraft, und tatsächlich gibt es in diesen Jahren Anzeichen für das nahe Emporblühen einer schon entwickelteren Kunst.

In der Florentiner Kunstentwickelung ist die Architektur die am niedrigsten stehende Kunstform. Ein Merkmal ist ihr allzu deutlich aufgeprägt, das sie gegen die psychische Art der Malerei, vor allem dann aber auch von der Plastik deutlich abhebt. Es ist ihr enger und unfreiwilliger Anschluß an die Entwickelung des Lebens in seiner geschichtlichen und sozialen Offenbarung. Schon oben wurde auseinandergesetzt, wie in den ersten Zeiten der Palastbau gezwungen war, seine Form der gefahren- und kämpfereichen Zeit anzupassen. Doch je mehr die Zeiten selbst sich klären, um so freundlicher wird auch der Stil der Florentiner Paläste. In jenen Zeiten aber nach Dantes Geburt, durchaus eine logische Äußerung der erhöhten Machtfülle des Gemeinwesens, beginnt man zwei Paläste aufzuführen, in denen für uns heute noch der ganze herbe Zauber des »Trecento« vereinigt ist. Denn jene beiden großen Kommunepaläste entstehen um die Wende des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts. Der Bargello, früher Palazzo del podestà, ist vielleicht noch mehr als der Palazzo vecchio geeignet, unsere Sinne zauberhaft gefangen zu nehmen, wenn unser Geist bei Betreten des prachtvollen Burghofes voll wird der Erinnerungen, die ihn durchfluten. Wappengeschmückt sind die massig gefügten Quadermauern. Auf einer rampenbekränzten, massiven Treppe, auf deren Mitte eine dekorativ wundervoll ausgeführte Tornische durchschreitend, steigen wir empor zur offenen Säulengalerie des ersten Stockwerks. Von dort geht der Blick hinunter in den gepflasterten Hof, in dessen Mitte sich der so typische »Pozzo« erhebt. Es ist eines jener Kastelle von den Bergen droben – und wir denken dabei an die bis heute noch so wundervoll erhaltene Burg von Vincigliata bei Settignano –, das man mitten in die Stadt hinein versetzt. Wehe, wenn die alte Glocke in dumpfen Schlägen oben im Turme erklang: »Fiat justitia« ... An einem Sünder ward die Gerechtigkeit vollzogen. Hier befand sich der mittelalterliche Kerker für all die vielen Staatsverbrecher, welche die tumultarischen Zeiten gebaren. Hier auf den steinernen Fliessen dröhnte der eherne Schritt der Gerechtigkeit, hier ist das Blut von so manchem wackeren Bürger geflossen, dessen einzigster Fehl oft nur die unauslöschliche Liebe zum Vaterlande war. ... Und heute umschließen die geräumigen Säulengänge, die hohen Säle die Wunderwerke der Florentiner Plastik; friedlich stehen sie da nebeneinander; drei Davids allein besitzt das Museo nazionale des Bargello: zwei von dem großen Florentiner Naturalisten Donatello, einen von Verrocchio. Warum fehlt hier der von Michelangelo? Man hätte greifbar an drei Meisterwerken die ganze ringende Geschichte der florentinischen Republik beisammen. Man sieht dem Bargello allzu deutlich seine ursprüngliche Bestimmung an, als daß sich viele Worte verlohnten. Er ist eine Festung, uneinnehmbar, zinnenüberkrönt. Und doch bedeutet sein Stil künstlerisch gegen den jener oben besprochenen Paläste und Türme einen gewaltigen Fortschritt. Der Hauch einer mißtrauischen Furcht ist von ihm genommen. Er offenbart reinere, selbstbewußtere Kraft. Schon daß der Turm nicht mehr entfernt von dem Palaste steht, sondern eng mit ihm zu einem Ganzen verwächst, bedeutet architektonisch einen Fortschritt.

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Chiesa di S. M. Novella

Eine erhabenere Schwester aber vom Bargello ist der Palazzo vecchio. Könnten seine Quadern doch zu sprechen beginnen und uns erzählen von vergangenen Tagen! Wer hat nicht in einer milden Frühlingsnacht vor diesem Wunderbau gestanden, und wen hat es nicht ergriffen wundervoll im innersten Herzen! Wem ist sie da nicht aufgegangen wie in einer heiligen Offenbarung die Mär vom alten Florenz. Wie an der höchsten Wetterstange trutzig der Florentiner Löwe, der »Marzocco«, gen Himmel klettert! Über ihm steht der weiße Mond; grell fallt sein Schein auf die starren Quadermassen. Er hat so oft gespenstisch die Leichen braver Männer beschienen, die man bei wilden Volkstumulten oder Straßenkämpfen dort an den Fensterbrüstungen zum Entsetzen aller aufgeknüpft. Er schien auch am Abend eines für Florenz bedeutungsvollen Tages. Ein hohes Gerüst erzählte damals von einem kurzen Drama, das wie ein Verhängnis sich in Florenz entwickelt. Sein Held, ein blasser Dominikanermönch, starb mutig im Angesichte dieser reinen Kraft den Feuertod; an seinem fahlen Körper züngelten die Flammen der toten Vergangenheit empor, die ihn verzehren, am Zenit aber stand die Sonne einer neuen, anders gearteten Zeit. Heute weist eine Bronzeplatte die Stelle, wo Savonarola den »Märtyrer«tod gestorben. Als man aber die Eingangspforte mit dem »Gigante« des Michelangelo, jenem kolossalen David, der sich heute, geschützt vor den Unbilden der Witterung, in der »Academia« befindet, flankierte, setzte man einer großen Vergangenheit ein ruhmreiches und deutlich sprechendes Denkmal; die große Geschichte von Florenz hatte sich vollendet. Der Palazzo vecchio erinnert an seinen Architekten Arnolfo di Cambio, der auch der erste Dombaumeister war. Unwillkürlich ließen sich hier die Gedanken fortspinnen, allein an den Werken, zu denen er den Grund gelegt, ließe sich die Geschichte der Florentiner Kultur abwickeln.

Als man Stein auf Stein zu diesen Städteburgen türmte, die uns greifbar schon eine selbstbewußtere städtische Macht symbolisieren, hatte sich im Innenleben des florentinischen Volkes eine fast natürliche und doch wunderbar wirkende Entwickelung vollzogen. Die Architektur war außerstande, der Seelensprache dieser Menschen Genüge zu tun. Schon der Name »Bargello« erinnert uns unwillkürlich an jene Capella del podestà, wo sich Dantes Bild befindet. Aber noch vor Giotto gibt es einen Künstler, den man gern an die Spitze der florentinischen Malerei stellt. Das ist Cimabue. Nur andeutungsweise habe ich auf das Ausdrucksmittel der ältesten Florentiner Malerei hingewiesen, den Byzantinismus. Er war fähig, noch über Cimabue hinaus seine alte, beschränkte konservative Macht zu behaupten; ganz natürlich. Und doch ist Cimabue, in seiner technisch noch hilflosen Kunst, der Interpret der gleichzeitigen Volksseele. Mit Recht hat man darauf hingewiesen, wie in Siena zur selben Zeit, ja noch zu Giottos Tagen, eine größere Heiterkeit, eine zartere Lyrik ihren Einzug hält. Es hat seinen guten Grund. Cimabue ist streng und ernst. Seine Tafelbilder in Santa Maria Novella oder in der Academia – ersteres, die sogenannte Madonna Rucellai, geleitete man einst in ungeheurem Triumphzug; denn man war sich der gewaltigen Neuerung bewußt, an seinen Bestimmungsort – beweisen es allzu deutlich. Um des Unterschiedes Cimabueschcr Kunst zwischen den Werken des Byzantinismus voll und ganz inne zu werden, vergleiche man beispielsweise die Deckenmosaiken des Baptisteriums mit jenem erwähnten Altarbild in Santa Maria Novella. Es spricht hier eine Stimmung, zu der später Dantes strenge Infernopoesie fast als Rückschlag wirkt. Die Madonna bemüht sich krampfhaft, alle ihr bis dahin vom Byzantinismus aufoktroyierte Starrheit und Gefühllosigkeit zu vergessen. Wohlbemerkt, es war die Zeit, da man die zelotischen Spuren, die der Investiturstreit und das Ringen imperialer und päpstlicher Gewalt der Kirche aufgedrückt, vergessen hatte. Die Madonna mußte zum personifizierten Mitleid werden, sollte sie in diesen Tagen noch an ihrer Christenkirche Gefallen finden. Das erklärt Cimabues Kunst. Wie das Jesuskind schon wie ein »bambino« dreinschaut, wie die Madonna mitleidig ihr Haupt neigt, wie Weichheit und menschliche Rührung aus ihr sprechen, das ist das Zeichen dieser technisch noch gar unbeholfenen Kunst. Mehr »Liebe« ist in die Kunst eingezogen, so schreibt Vasari, als er Cimabues gedenkt. Wenn in diesem primitiven Künstler die Volksseele schon sensitiv, gefühlvoll auszuklingen versucht, einen kräftigeren und deutlicheren Interpreten findet sie in seinem Schüler Giotto, dem Hirtenknaben, den Cimabue sich vom Felde in seine Werkstatt hereingeholt. Gerne hat man Giotto den Begründer des epischen Stiles in der Malerei genannt; unzweifelhaft mit Recht. Man muß Sienas Kunst in dieser Zeit betrachten, um des ganzen Unterschiedes zwischen der in traumhaften Allegorien sich ergehenden sienesischen Malweise und dem kräftigen Naturalismus dieses Meisters inne zu werden. Für ihn wird das Leben zum Ereignis; freilich noch in recht beschränktem Sinne; denn sein Stil schließt sich noch der streng kirchlichen Malweise an. Wie er aber auch hier schon Leben und Frömmigkeit zu einem harmonischen Bande verbindet, wie der hl. Franziskus, dessen ganzer Einfluß in Giottos Werken unverfälscht widerklingt, ihm zum Mittel wird, in seinen Fresken hinüberzugreifen in das Alltagsleben seiner Tage, das mögen die folgenden Betrachtungen zeigen.

Florenz besitzt als den Typus des reinen Franziskanerstiles die Kirche von Santa Croce. Breite und weite Flächen sind insgemein das Merkmal der italienischen Gotik. Diese Flächen sind den Malern willkommen, um auf ihnen »al fresco« ihre Kunst zu entwickeln. Giotto und seine Schüler waren die Maler des neugestifteten Ordens. Um ihrer Weise inne zu werden, muß man sich die Lehre des Heiligen von Assisi in ihren Tendenzen vergegenwärtigen. Armut, Keuschheit und Gehorsam waren die drei Kardinaltugenden dieses neuen Ordens, von dem aus auf lange Zeit ein frisches Leben in den alten Geist der Kirchendoktrin einzieht. Die Franziskaner wurden im wahren Sinne die ersten Erneuerer der mittelalterlichen, schon dem Zerfall zueilenden Kirche. Was Giotto, der feinfühlige Interpret seiner Zeitstimmung der Ecclesia Christi geleistet, ist wahrlich nicht geringer als das Verdienst des Ordensstifters. Man kann die Taten des Heiligen, die Giotto in der Kapelle »Bardi« in St. Croce erzählt, als symbolisch für den mit einemmal veränderten Geist seines Volkes hinnehmen. Ohne einen heiligen Franz von Assisi wäre Dantes ganzes »Inferno« ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. Wie hier der Maler, so wird dort der Dichter zum feinsinnigen Interpreten der Seele jener Menschen, die sich hier durch die Kunst zweier Großen ausspricht. Für Giotto erst werden alle jene hohen und breiten Flächen der Franziskaner-Gotik zum wahren Tummelplatz seiner Kunst. An den Werken, die er hier mit dem Pinsel erschuf, wird man allein seiner Kunst inne; denn Altarbilder hat auch er gemalt; Florentiner Kirchen und Sammlungen bewahren von ihm eine stattliche Anzahl. Sie lassen uns technisch seinen immensen Fortschritt über seinen Lehrer hinaus erkennen, als Ausdruck seiner Künstlerseele offenbaren sie uns fast nichts. Da schreiten wir lieber in jene, neben der Chorkapelle in St. Croce befindlichen Capeila »Bardi«, wo er uns wie eine schöne Mär das Leben des heiligen Franz erzählt. Wir wissen, wie der junge, mutige Ritter, der frohe, ausgelassene Zecher eines Tages im Kreise seiner schwärmenden Kumpanen, als deren König er gefeiert ward, urplötzlich von dem Gedanken ergriffen wurde, sein Leben dem Dienste des Herrn zu weihen und auf alles zu verzichten, was ihm bis dahin schön und erstrebenswert geschienen: Reichtum, Frauengunst und Macht. Es scheint mir äußerst charakteristisch, daß Giotto diese erste »lustige« Hälfte des Lebens seines Heiligen nicht verewigt. Er gibt die Geschichte nach dem großen Umschwung; wie sich die Ordensregel bestätigt, wie er aus dem Vaterhause flieht, wie er vor dem Sultan die Feuerprobe besteht, wie er stirbt und die Ordensbrüder erregt und betroffen seine Wundmale betrachten. In all diesen Bildern gibt der Künstler unverfälscht den reinen frommen Geist wieder, der durch des Franziskus Auftreten über Florenz gekommen. Daß er selbst davon befangen war, wird jedem leicht inne; woher sonst diese laute psychische Sprache, die hier des Künstlers Pinsel redet? Schon drückt sich in der Gewandung die innere Erregung aus, schon verzerren sich die noch ewig gleichen Mienen in bitterem Seelenschmerze, schon breiten sich die Hände klagend aus und versuchen so sichtlich dem dargestellten Vorgang durch psychische Affekte deutlicheren Ausdruck zu geben; schon sind all die Nebenpersonen nicht mehr bloß Staffage und Füllung, sie ergänzen in ihrer Art, was jenen auszudrücken vollkommen nicht gelang. Es liegt nicht in dem Rahmen dieses Buches, über Giotteske Kunst zu berichten. In Assisi und Padua lernt man diesen Meister noch gründlicher schätzen. Wir wollen nur den kleinen, feinen Zügen nachgehen, die uns in der Florentiner Geschichte den Einklang von geistigem und realem Leben mit der Kunst vergegenwärtigen. Darum nehmen wir diesen Freskenzyklus aus dem Leben des hl. Franz von Assisi hin als die Offenbarung des zwar strengen, aber geläuterten Franziskanerglaubens, der jetzt im Leben tiefe Wurzeln schlägt, wie Dante greifbarer beweist, in dem überhaupt die ganze mittelalterliche Theologie und Weltanschauung eine gewaltige, aber auch erschreckende Verkörperung gefunden hat. Durch Giottos Kunst einige intimere Züge aus dem Alltagsleben seiner Zeit zu erhaschen, müssen wir uns der folgenden Capella »Perruzzi« zuwenden. Hier erzählt er das unzählige Male in der toskanischen Kunst wiederholte Epos des Stadtheiligen von Florenz, des S. Giovanni. Die Dominikanerkirche Santa Maria Novella, zu der uns in kurzem unser Weg führt, besitzt allein zwei große Freskoschilderungen der Täufergeschichte. Wenn man Giottos wunderbar einfache Art mit der schon weit höher entwickelten jener beiden Meister, des Filippino und Ghirlandajo vergleicht, vermag man doppelt gut den reinen Hauch seiner Kunst aufzunehmen. Ghirlandajo, der große und raffinierte Schilderer glanzvoll florentinischen Lebens aus späteren Tagen, erscheint mir hier den direkten Anknüpfungspunkt an Giotto zu ergeben; denn wir befinden uns bei diesem letztgenannten Meister noch in der »guten alten« Zeit, die Dante durch seines Ahnherrn Cacciaguida Mund so köstlich preist:

... Der ganze Adel war im Fell zu schauen, Und stets mit Knäul'n und Spinnrad seine Frauen ...

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Portici degli Uffici

Schon die Geburt des Täufers gibt uns ein gewisses Milieu, das echt bürgerlich anklingt. Wochenstubenduft; schwermütiges Schicksalswehen. Andrea del Sarto hat in der St. Annunziata und im Scalzo zweimal mit dem ganzen prachtvollen Applomb des »Cinquecento« in derselben Szene die luxusumrauschte Geburt eines Patrizierkindes dargestellt. An innerlicher Kraft und Empfindung steht Giotto hinter jenem späteren in nichts zurück; nur denke man, um ihn zu begreifen in seiner schlichten Einfachheit, an die hausbackene Lebensphilosophie des »Trecento«. Geschnitzte, persianenumrauschte Wochenbetten kannten jene Weiber nicht. Wie in dieser, so spürt man fast in allen Szenen dieser Giottoschen Fresken den starken Duft echt zeitgemäßen Parfums. Nicht nur in seiner malerischen Wirksamkeit, sondern auch als Menschen dürfen wir Giotto durchaus als die typische Erscheinung seiner Zeit betrachten. Fernab steht er von jeder mystischen Gedankenschwärmerei, eine kraftvolle, wie aus einem Guß gegossene Persönlichkeit, in seinem Wollen und Denken eine klar ausgeprägte Individualität. Das unterscheidet ihn zumeist von seinen Malerkollegen in Siena. Während diese durchaus mystisch das Problem süßer Holdseligkeit zu ergründen sich Mühe geben, nimmt Giotto die Dinge der Welt, wie sie sich ihm zeigen, und projeziert sie auf die nasse Kalkwand. Trotz der tiefernsten Vorwände, die er in seinen Heiligenleben behandelt, spüren wir ihm an all den kleinen, genrehaften Zügen seine Freude am Dasein ab. Das unterscheidet ihn auch zumeist von manchen seiner sogenannten Schüler, die, wenn man so sagen darf, unter dem Eindruck einer anderen Philosophie stehen. Einer aber von ihnen berührt sich noch eng mit dem Meister, das ist Agnolo Gaddi, der neben ihm in der Chorkapelle von St. Croce die Geschichte des hl. Kreuzes dargestellt hat. Sollten wir den Charakter dieses Künstlers aus dem genannten Werke herauslesen, wir hätten da einen lustigen, mutigen Kavalier vor uns, der nicht nur mit einem gewissen Humor das freie, wilde Kriegsleben seiner Zeit, Roß und Reisige, Zeltlager und Heeresschau im Bilde verewigt; ihm macht es auch Freude, die Kirche von St. Croce selbst, in der er malt, zu kopieren. Aus feierlichen Aufzügen, in den Trachten seiner Zeit, aus der Darstellung einer Volksversammlung entnehmen wir typische Züge für das Treiben jener »großen« Welt. So müssen wir diesen Maler bewundern, wie er mutig das Gebilde der ungeheuren Landschaft zu bezwingen versucht, ein Fortschritt grandioser Art über seinen Meister hinaus. Agnolos Vater, Taddeo Gaddi, der gleichfalls in St. Croce in der Cap. Baroncelli ein Marienleben gemalt hat, gehört hinsichtlich seiner Malweise noch enger zu seinem Meister Giotto, ohne diesen nur im entferntesten zu erreichen – aber gerade jene zarte, oft weiche Anmut, die mich in Agnolos Werken so sympathisch berührt, geht dem Alten abhanden. Schließlich wollen wir noch eines Spätlings gedenken, der noch auf den Pfaden Giottesker Kunst wandelt. Seine Erzählerweise schließt sich dem epischen Stile seines Meisters an, nur ist er mehr Humorist als dieser. In der Sakristei von San Miniato sieht man von Spinello Aretinos Hand sechzehn Szenen aus dem Leben des hl. Benedikt. An zahlreichen Plätzen in Toskana begegnet man Werken dieses Meisters.

Genug – auch das Florenz der vergangenen guten, alten Zeit hat Weltfreudige und Weltverneiner gekannt; Naturen, die sich am Sonnenglanz des Lebens freuten, und Grübler, die in trockener Spekulation ihre Tage verschleißen. Daß Dante schon zu ihrer Zeit den letzteren Vorschub geleistet hätte, läßt sich mit Bestimmtheit kaum behaupten, vielmehr ist er selbst wie diese nur das Produkt einer anders gearteten Zeitströmung, die ihren Hauch auch über die bildende Kunst jener Tage breitet.

Um jene mystische Jenseitsstimmung zu verstehen, die jetzt die Menschen zum großen Teile erfaßt hat, muß man sich die Zeit selbst wiederum ein wenig vergegenwärtigen. Wohl schien die goldene Sonne am blauen Himmel Italiens und es gab Künstlernaturen, die aus ihrem Schein allein, ohne der Dinge zu achten, die ringsum vor sich gingen, die heitere Daseinsfreude in vollen Zügen sogen. Aber diese lächelnde Frühlingssonne schien auch hinein in die engen, dunklen Gassen der Stadt. Hier krochen in unheimlicher Dämmerung jene drei Tiere, die dem Dichterfürsten bei Beginn seiner Wanderung den Weg versperren. Haß und Zwietracht wohnte in blutbespritzten Mauern, die Gerechtigkeit verhüllte traurig ihr Aug'. Die furchtbare Todesgeißel des Mittelalters, die Pest, raste verheerend durch Gassen und über Plätze. Der Säugling, die Unschuld starb wimmernd am Busen der Mutter. Wie furchtbar belastet das Sündenregister der Zeit war, das zeigen Dantes neun Höllenkreise. War es wirklich so schlimm? Genug – die Tage, in Laster, Fehl und Todesnot geboren, gaben leicht erschreckten Menschenherzen genügend Grund, ans rächende Jenseits zu denken. Nie war die blasse Schädelstätte Golgatha den Menschen wieder so greifbar nahe gerückt als in den Tagen, da der göttliche Sänger heimatlos die Städte durchirrte, verzweifelnd am Menschsein, verzweifelnd am Leben, fernen Phantomen zueilend. Weltverneinung ist sein Schritt, Paradieseshoffnung sein Lied. War die göttliche Liebe wirklich tot? Ach, Paolo, der schöne, blondgelockte Paolo hatte ja noch eben in Seligkeit seiner Francesca Lippen geküßt, aber Gottes strafender Arm hatte diesen ehebrecherischen Kuß furchtbar gerächt. Manfred, der vielbeweinte Heldenjüngling, tot bei Benevent; Priesterhände hatten seinen jungen Leichnam der Erde entrissen, daß Krähen und Raben sich an ihm sättigen mochten. Nur über Wolken, in Sternenkreisen thronte Beatrice, die ewige Liebe. –

Es ist sonderbar und doch natürlich, daß mit dem Mönche von Assisi fast im Gleichschritt auch der Kirchenfürst Thomas wandelte, erklärlich, wie seine Doktrin die ersten Geister der Zeit zu eigen zwingt. In des Franzikus-Kirche malte Giotto und die, welche ganz eng zu ihm gehören. Wo die »Hunde des Herrn«, die Dominikaner, beteten, deckt Dantes Malerschüler Andrea Orcagna mit Hilfe seines Bruders Nardo die Wände der Capella Strozzi mit seinen Fresken: Weltgericht, Paradies und Hölle. Er hat dort, wenn man den Forschungen unserer Tage glauben darf, seinen Dichtermeister zweimal im Bilde verewigt.

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Or. S. Michele

Bedurfte man wirklich der Hände sienesischer Meister, um nebenan in der spanischen Kapelle die große Apotheose des hl. Dominicus, die Doktrin des Thomas von Aquino zu allegorisieren? Gewiß! Denn Giottos echtester Einfluß war in den Florentiner Künstlerherzen noch zu stark. Fast erscheint Orcagna als ein Apostat. Der Mann, der den Auftrag gab, jene Kapelle auszumalen, muß ein Kunstkritiker seiner Zeit gewesen sein, daß er so fein die individualistische Manier der Sienesen herauskannte, die in der Allegorie, wie es ein Meister Ambruogio Lorenzetti beweist, so unendlich stark waren. Wie sich die Hunde des Herrn auf die ketzerischen Wölfe stürzen und sie zerfleischen! Es ist das hohe Lied der Inquisition, zu deren Herren ja die Dominikaner wurden, das hier vorahnend verklärt wird, und darüber fast wie eine Ironie die Glorie des Fürsten alles verzeihender Liebe! Es ist das Geburtswehen des um zwei Jahrhunderte zu spät geborenen Dominikanermönches Savonarola, dessen Zetergeschrei in ohrverletzender Dissonanz das liebliche, zarte Träumereich des glückselig-kindlichen Beato Angelico, das Kloster von San Marco durchzittern sollte, was sich hier ankündet. Wie sie steif und gravitätisch dasitzen, diese Idealgestalten des beschaulichen und tätigen Lebens! Was wäre aus uns armen Menschenkindern geworden, wären diese Allegorien im Sinne des hl. Dominikus wirklich zu echtem Leben erwacht. Es sind Gegensätze schlimmster Art, diese beiden Reiche des heiligen Franziskus und Dominikus, die nur im Gebiete des allgemein Menschlichen ihre Erklärung finden.

Ihre Herrschaft zu stürzen, ihren Tendenzen zu wehren, war allein das äußere tatenatmende Leben berufen; die Reaktion mußte kommen, eben weil die Erde nicht den Himmel bedeutet. Dantes »Divina Comedia«, der naturgetreueste Ausdruck jener von mir nur eben angedeuteten Zeitstimmung, fand, ihren ersten Kommentator in dem losen Erzähler des »Decamerone«. Damit ist alles erklärt. Wir können nicht beklagen, daß Dantes Weltanschauung in der Kunst fast ohne jeden Eindruck geblieben ist. Alle jene Höllenszenen sind fast gleichzeitig mit seiner Infernowanderung entstanden; nur Orcagna ist in Florenz direkt von ihm beeinflußt. Was die spätere Kunst an Weltgerichten gezeugt, steht fernab von der verschrobenen Gedankenrichtung des großen Dichters. Wenn Bocaccio über die »Divina Comedia« Vorträge hält, so erinnert das vollkommen an ein modernes Faustkolleg. Innerlich stand man durchaus einer toten Zeit gegenüber. Bocaccio und Dante: Der erstere der Erklärer des zweiten. Es ist wie der im Sonnenglanz erwachende Morgen, der zurückdenkt an die Gebilde eines nachtumfangenen, phantastischen Traumes. Eine verstorbene Weltanschauung, der eine neue, lebendige am Grabe die Ehrenrede hält. Dante und Bocaccio; Orcagna und Donatello, allein der Gang des geschichtlichen Lebens vermag solche Gegensätze zu begreifen.

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