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Die Schwalben

Als die englischen Kolonisten nach Neuseeland kamen, sahen sie das Land, und es gefiel ihnen, aber es war bei weitem nicht englisch genug. Einem Ansiedler auf der Südinsel fehlten die guten Brombeeren, aus denen man in England eine Mehlspeise macht, die saftige Blackberry Pie. Er ließ ein wenig Brombeersamen kommen, und heute sind auf der Südinsel Gebiete, so groß wie englische Grafschaften, fast unbewohnbar, weil in das dichte Brombeergestrüpp niemand eindringen kann. Man versuchte, die Brombeeren auszubrennen, aber man verbrannte nur den göttlichen Urwald; heute wachsen wieder Brombeeren über den verkohlten Baumleichen.

Ein anderer Kolonist, ein Schotte namens Mackenzie, mochte in keinem Land leben, über dem keine Lerche sang. Es gibt die neuseeländische Grundlerche, aber sie singt nicht, ihr Maoriname verrät den dürftigen Ton ihrer Stimme: Pipit. Dieser Mister Mackenzie war ein strenger Puritaner, aber ich bin einem alten Mann begegnet, dem Sohn dieses frühen Pioniers, und er hat mir gesagt, wie sehr sein Vater Bäume und Vögel liebgehabt hat. Genug, Mackenzie ließ sich aus Schottland ein Lerchenpärchen nachschicken, in einem Käfig, und setzte auf seiner neu gerodeten Farm die Vögel in Freiheit. Andere Farmer müssen dem Beispiel gefolgt sein, denn wenn jetzt der neuseeländische Farmer über sein Feld geht auf der grünen Ebene von Canterbury, sieht er am Rain des Ackers nicht nur die Bäume Altenglands zu dem ein bißchen anders blauen Frühlingshimmel emporstreben, sondern er sieht auch und hört auch die europäische Lerche, die Sängerin der höchsten Höhe.

Ich weiß von einem anderen Pionier, der sich seine Farm irgendwo im Busch gebaut hatte, ich weiß nicht, ob an dem Ufer des Wanganui oder auf der Südinsel, zwischen den Bergen und dem westlichen Meer. Er hatte natürlich die Farnbäume niedergebrannt und die hohen Palmlilien, die er gräßlicherweise Kohlbaume nannte; und er hatte einen kleinen Garten ganz mit englischen Blumen bepflanzt, mit Geranien, rot wie Tommy Atkins' Waffenrock; und dahinter war das Haus, oh, ein ganz kleines hölzernes Haus, aber » comfortable«, mit einem Dach aus rotem Wellblech, vorn wie eine halbe Röhre vorgewölbt, so daß man darunter eine offene Veranda haben konnte, mit zwei Schaukelstühlen; hier wohnten diese Farmersleute und züchteten Schafe, und es ging ihnen gut; aber wenn der Farmer zur Zeit der Mittagsruhe auf dem Schaukelstuhl saß, mit seiner kurzen Holzpfeife, fehlte ihm irgend etwas, eine letzte Gemütlichkeit, irgend etwas undefinierbar Anheimelndes, das noch nicht da war und das er daheim in Essex immer gehabt hatte, er wußte lange nicht, was. Aber eines Tages stand der Farmer aus dem Schaukelstuhl auf, mit einem ganz erleuchteten Gesicht, und ging gleich in die Stube und schrieb einen Brief an seinen Bruder daheim in Essex. Er hatte entdeckt, was diesem neuen Heim britischer Menschen noch fehlte.

Viele Monate später kamen die ersten Schwalben nach Neuseeland. Sie kamen gerade zur rechten Zeit an, im Frühling, das heißt natürlich: im November. Der ganze Busch war goldgelb von den Blüten des Kowhaibaums; es war ein ganz richtiger zarter und duftiger Frühling, in den die englischen Schwalben da kamen. Sie kamen natürlich nicht geflogen, wie sonst Schwalben im Frühling geflogen kommen, sondern sie reisten in abscheulichen Käfigen. Der Farmer hatte sich erinnert, daß man in Europa alles kaufen kann, selbst Schwalben, und hatte sich eine ganze Kolonie bestellt. Ich denke, er verstand etwas von Schwalben und wußte, wie man es anfängt, sie unter einem Wellblechdach anzusiedeln; kurz, sie bauten wirklich ihre Nester unter dem Dach dieser Veranda, und flogen ein und aus, und benahmen sich ganz wie Schwalben, und flogen niedrig, wenn ein Regen drohte; das mußten sie auf Neuseeland sehr oft tun. Auch legten sie ihre Eier und brüteten und fütterten ihre Jungen, die ersten Schwalben, die jemals auf Neuseeland aus einem Ei gekrochen waren, und zwitscherten und waren ganz normale englische Schwalben, so daß dem Farmer und seiner Frau jetzt gar nichts mehr fehlte.

Unterdessen kam natürlich der Sommer, und im Wald erlosch der Goldglanz der Kowhaibaume, dafür aber fingen die Ratabaume grellrot zu flammen an, und dann kam der Herbst, und der Farmer war ganz stolz darauf, daß die englischen Sträucher in seinem Garten ordnungsgemäß ihre Blätter verloren, so wie es respektablen englischen Sträuchern zukommt, – obwohl natürlich dieser ausländische und daher ein wenig verdächtige Urwald von Neuseeland ganz grün blieb. Aber deswegen kam doch der Winter heran; im Mai konnte man nicht mehr verkennen, daß der Spätherbst da war, die Jahreszeit, zu der europäische Schwalben nach dem Süden fliegen.

Und dann flogen die Schwalben, die unter dem roten Vordach des Farmers genistet hatten, fort. Der Farmer sah sie fortfliegen, alle, die Schwalbeneltern, die er aus Essex hatte kommen lassen, und die Jungen, die ersten eingeborenen Schwalben von Neuseeland. Der Farmer sah dem Schwarm lächelnd nach: »Auf Wiedersehen im Frühling!« Aber seine Frau sagte erschrocken: »Die Schwalben kommen nicht wieder. Siehst du denn nicht, wohin sie fliegen?«

Er begriff nicht.

»Sie fliegen nach Süden!« sagte seine Frau und weinte ein bißchen.

Es war wahr, und so endet diese neuseeländische Schwalbengeschichte. Diese Schwalben aus Essex hatten ganz gut verstanden, daß bei den Antipoden zu Weihnachten die Hitze groß ist und daß im Mai der Winter naht; aber sie wußten nicht, daß im Süden von Neuseeland nichts liegt als das ewige Eis der Antarktis. Sie flogen, konservativ wie echt britische Schwalben, südwärts und sind niemals wiedergekommen.

Man hat noch mehrmals versucht, Schwalben in Neuseeland einzubürgern. Wenn der Herbst kam, flogen sie jedesmal nach Süden, in den sicheren Tod.

Deswegen gibt es auf Neuseeland jetzt jegliches Gewächs und jegliches Getier Altenglands, nur keine Schwalben. Es ist nicht gänzlich gelungen, dieses antipodische Inselland britisch zu machen.


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