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Werden.

Eine der seltsamsten, psychologisch am schwersten deutbaren Erscheinungen im Leben unserer Künstler ist die Tatsache, daß, wo immer eine markante Persönlichkeit um die Anerkennung der Mitwelt gerungen hat, sie auf schier unüberwindliche Widerstände stieß. Diese Widerstände bekunden sich auffälligerweise am stärksten gerade dort, wo man sie billigerweise am wenigsten vermuten sollte: in der engeren Heimat und Umgebung, in der auf Verständnis und Schätzung am ehesten sollte gezählt werden können. Es ist, als ob der genius loci sich erschreckt zurückzöge, wenn er sein Eigenstes und Wertvollstes entdeckt sieht. Die Tatsache, daß im 19. Jahrhundert fast alle bahnbrechenden Künstler, die der Kunst neue Bezirke eroberten, erst nach mühevollen, an Entsagungen reichen Lebenskämpfen und durchweg erst gegen das Ende normaler Lebensdauer zu Anerkennung und Erfolg kamen, erhärtet diese Erscheinungen ebenso sehr, wie die Tatsache, daß es andern Künstlern, denen die Nachwelt die unbedingte Anerkennung versagen muß, leicht gelingt, zu Bedeutung und zu gesicherten Lebensverhältnissen zu kommen. Es ist ein fast trauriges Wortspiel, daß, je tiefer ein künstlerisches Werk erlebt ist, es um so länger dauert, bis sein Schöpfer seine Anerkennung erlebt.

Das Beharrungsgesetz, das die in einer Richtung befindlichen Kräfte in derselben Richtung weiter zu halten trachtet, gilt im Geistigen und Kulturellen ebenso sehr, oder vielleicht noch mehr, als im Materiellen. Jede Aenderung der einmal eingestellten Richtung beansprucht erhöhte Kraftaufwendungen, denen nur in seltenen, begünstigten Fällen gut organisierte Künstlernaturen gewachsen sind. Wir sehen deshalb so oft, wie bei ausgesprochenen Künstlernaturen vorzeitig Lebensbahn und Schaffen abgebrochen wird. Bei solchen schmerzvollen Abschlüssen hilft sich der bequeme Durchschnittsverstand mit der billigen Entschuldigung, daß der Künstler gesagt habe, was er zu sagen hatte, daß mit dem erreichten Höhepunkt Schaffen und Leben abgeschlossen seien. Wie selten wird gefühlt, daß ein kraftvolles, entwicklungsfähiges Wachstum den Kränkungen durch Teilnahmslosigkeit und der Mißkennung erlegen ist!

Solche Gedankengänge sind naheliegend, wenn man Leben und Schaffen des Künstlers überblickt, dem die nachfolgenden Seiten gewidmet sind: Hermann Braun. Wie wenigen Zeitgenossen war er bekannt, trotzdem sein Lebenswerk mit mehreren Tausenden von Blättern von ungewöhnlicher Arbeitskraft und Leistungsfähigkeit zeugt! Wo hat das Werk dieses ernsthaften und – wenigstens auf seinem engeren Gebiet – eigenartigen Künstlers wirklich festen Fuß gefaßt, Boden und lebenstärkenden Widerklang gefunden, trotzdem das Tätigkeitsfeld sich über das Gebiet des ganzen Deutschen Reiches erstreckte, ja, bis an die tiroler Sprachgrenze hinunterreichte? Wer hat denn zu Lebzeiten dieses Schaffenden, der deutlich und vielfach durch seine graphischen Publikationen zu der Mitwelt sprach, nicht nur bloß für das Ringen, sondern auch für die tatsächlichen Leistungen schon einen verständnisvollen Sinn und ein williges Herz gehabt? Wie wenige aber haben in dem geleisteten Werke Brauns die Möglichkeiten gesehen, zu denen sich ein Schaffen hätte entwickeln und in denen er seinen Innern Reichtum hätte entfalten können, wenn ein günstiges Geschick es zugelassen hätte!

Aber Hermann Braun hatte weder in seiner Natur, noch in seiner Kunst etwas von dem Inszenierungsgeschick, das für raschen Erfolg und allgemeine Anerkennung unerläßlich notwendig zu sein scheint. Er war zum Ungeschick seines Lebens und zum Glück für seine Künstlerschaft ein Träumer und dazu ein Westfale, wie der Dichter von »Dreizehnlinden« sie treffend mit den Versen charakterisiert:

Zäh, doch bildsam, herb, doch ehrlich,
Ganz wie ihr und euresgleichen.
Ganz vom Eisen eurer Berge,
Ganz vom Holze eurer Eichen.
– – – – – – – – – – –
Blasse, blonde, stille Menschen,
Träumerische, ahnungsreiche, ....

denen der Alltag Märchen zuraunt, denen im engen, alten Straßengewinkel und auf moderigen Dielen die Sonne der Schönheit ebenso aufgeht, wie vor den hoheitsvollen Zeugen alter Baukunst und den Herrlichkeiten der Gottesnatur. Braun war ein poetischer Verklärer der Welt, weil er selber ein Poet war, weil er, wie sein Landsmann, W. Raabe, etwas von dem Geiste des »Spökenkiekers« hatte, der den Niedersachsen eigen ist. Neben dieser Gabe, die reale, durch Alter und Eigentümlichkeit anregende Erscheinungswelt zu erkennen, wie Braun sie in den wundervollen Architekturen zur Darstellung brachte, lebte noch eine phantastisch schaffende Kraft in ihm, die den tiefsten Rätseln des menschlichen Daseins bildnerisch Gestalt zu geben suchte. Dieser Punkt ist es, der den herrlichen Architekturkünstler zum freien schöpferischen Genius machte und ihn aus der mit ungeheurer Beobachtungsschärfe im Realen lebenden Sphäre eines Menzel in die phantasievoll gestaltende Region eines Böcklin hebt. Möglich, daß auch an dieser sich nicht harmonisch gleichmäßig entwickelnden Zweiheit seiner Natur, dem künstlerisch erklärenden Realismus und dem dichterisch verklärenden Idealismus, der allzu frühe Tod des Künstlers H. Braun Anteil hat.

Hermann Braun wurde am 22. April 1862 zu Hausberge, Kr. Minden i. W., als Sohn eines Apothekers geboren. In den späteren Werken Brauns wirken die ersten Kindheitseindrücke aus der väterlichen Offizin unverkennbar nach. Aus ihnen entwickelt er in Interieurdarstellung und Stillebenstaffage seine an Fausts Studierzimmer gemahnenden Stimmungsbilder, die seinen Totentanzblättern das charakteristische Gepräge geben. Zweifellos hat der Verkehr in der väterlichen Apotheke auf die Gedankenwelt des sinnierend und tief veranlagten Jungen eingewirkt. Die Hauptthemata seines Phantasieschaffens handeln von Geburt und Tod. In die gelehrten Ideenkreise wurde Braun nach den vorbereitenden Elementarschuljahren auf dem Gymnasium des seiner Heimat benachbarten Minden eingeführt.

Eine andere neue Welt tat sich für den 12 jährigen Knaben auf, als seine Familie (1874) nach Braunschweig übersiedelte. Das frühzeitig sich bemerkbar machende Zeichentalent ließ es geraten erscheinen, die humanistische Schule mit dem Realgymnasium der alten Welfenstadt zu vertauschen. Auch hier werden wohl die Eindrücke der herrlichen alten Architekturen, der malerisch und architektonisch interessanten Straßenbilder, die Verbindung altertümlicher Geschichte mit der Kunst maßgebend gewesen sein. Denn schon in den Oberklassen des Realgymnasiums wandte sich der künstlerische Sinn Brauns der Betätigung zu. Er beteiligte sich freiwillig in den oberen Kursen an den Lehrgängen der mit der Lehranstalt verbundenen Kunstgewerbeschule, nahm mit Erfolg und Auszeichnung an den sich bietenden zeichnerischen Wettbewerben teil, – kurz, alles deutet in dieser Vorbereitungszeit für das Leben darauf hin, daß die Kunst in der späteren Betätigung des Mannes eine Rolle spielen werde.

Nach erlangter Maturität bezog Braun (1881) das Polytechnikum zu Braunschweig, um sich dem Studium der Architektur zu widmen. Auch diesem technischen Fachstudium wußte er von vornherein durch die Wärme seiner Natur eine Färbung ins Künstlerische zu geben, was ihm nicht bloß das Interesse und die Freundschaft seiner Professoren – besonders von Uhde und Nickol – erwarb, sondern ihm auch in den Konkurrenzen im Freihand- und Bauzeichnen vielfache Anerkennung und Preise erringen half. Je weiter er im fachlichen Studium fortschritt, umso stärker entwickelte sich sein künstlerisches Ingenium, umso entschiedener trat die ausschließliche Liebe zur Kunst in ihre Rechte, umso mehr fühlte er sich den rein praktischen Vorbedingungen des Architekturberufes fremd und fern. Seine stille, in sich versonnene Natur, die ganz auf das Künstlerische in der Baukunst gerichtet war, fühlte sich nicht fähig und geneigt, den Verkehr mit Auftraggebern, Handwerkern und Arbeitern gewandt und geschäftstüchtig zu bewältigen, Aufträge für Bauten zu gewinnen, Kompromisse mit Bauherren einzugehen, Geschäftsinteressen klug wahrzunehmen und zugleich dem zu dienen, was ihn innerlichst erfüllte: der freien Kunst.

Ernste Selbstprüfung, Erwägungen und Beratungen mit seinen ihm freundschaftlich wohlgesinnten Lehrern und seinen Angehörigen entschieden im Schlußergebnis für die Malerei, für die Braun, – allen zweifellos, – talentiert schien. Mit der Bestimmtheit, die der Durchführung eines ernsten Entschlusses erst die rechte Weihe gibt, ward das neue Lebensziel aufgenommen. Ohne Halbheit, ohne, wie ihm lebensklug geraten worden war, das Bauführerexamen abzulegen, wurde der Schritt getan. Auf Grund seiner vorgelegten Zeichnungen ward er (Ostern 1884) an der Kunstakademie zu München aufgenommen. Noch nach seinem Abgang vom Braunschweiger Polytechnikum erhielt er in Anerkennung seiner ungewöhnlichen Fortschritte das Gauss-Stipendium mit M. 300 zuerkannt.

Die Münchner Kunstakademie stand damals unter der Leitung des berühmten Historienmalers K. v. Piloty, der als Künstler, Lehrer und Förderer so vieler Talente sich großen Ruhmes erfreute. Braun begann seine Malstudien bei den Professoren Raupp, Hackl, Liezen-Meyer und Gysis, fast alle vorwiegend Figuristen, die dem innerlich gereiften und zeichnerisch schon ziemlich gefestigten Kunstjünger nicht allzuviel geben konnten. Denn auch das leicht erzählende, anekdotische Genre, das von den genannten Professoren gepflegt wurde, hatte für Braun, dessen spätere Figurenkompositionen nach ganz anderen Zielen gingen, keine besondere Anziehungskraft. Eine Landschafterklasse bestand damals an der Münchner Akademie nicht. Trotzdem wurde mit Fleiß und allem Ernst gearbeitet. Zweifellos haben in dieser Zeit schon die in München zugänglichen Bildersammlungen, namentlich hat der damals noch nicht allgemein durchgedrungene A. Böcklin, großen Eindruck auf Braun gemacht, wie ihn süddeutsches Wesen überhaupt anzusprechen schien. Mit Freuden ging er im Herbst 1885 auf Einladung eines Verwandten nach Bozen. Dieser an die welsche Grenze vorgeschobene Punkt birgt eine Menge anziehender Kräfte für Künstler. Die vom Lieblichen bis ins Großartige gehende Landschaft, der charakteristisch sich gebende Menschenschlag, die freundlichen und eigenartigen farbigen Architekturbilder, die sich darboten: alles das war dem bisher aus dem Geist der ernsten niederdeutschen Ebene und aus den Münchener Anschauungen schaffenden jungen Künstler eine neue Welt. Verstärkt wurden diese Eindrücke durch eine Reise nach Hause, an die sich um Weihnachten 1885 ein Ausflug nach Hamburg anschloß, dessen malerische Straßenbilder und dessen Schiffverkehr gar nachhaltigen Eindruck auf ihn machten. Der Sommer 1886 führte ihn wieder nach Tirol. Eine Reihe feiner Aquarelle entstanden, und die Entscheidung für das Landschaftsfach reifte, trotz der Münchener akademischen Historien- und Genremalerei, zur Gewißheit. Es galt nun, eine wirkliche Schulung für das Landschaftsfach durchzumachen. Für einen so sachlich beobachtenden und doch die feine künstlerische Wirkung erstrebenden Maler, wie Braun es geworden ist, schien der Karlsruher Professor G. Schönleber der rechte Mann zu sein. München wurde also im Herbst 1886 mit Karlsruhe vertauscht. Seine bisherigen zeichnerischen und malerischen Leistungen verschafften ihm Aufnahme in den Malklassen von G. Schönleber und H. Baisch. Schönleber scheint besonders auf die Wahl geschmackvoller Motive und auch hinsichtlich feiner Farbenzusammenklänge Einfluß gewonnen zu haben, während Baischs helle Palette unverkennbar aus einigen Bildern und Studien spricht. Schönlebers Kunstweise tritt uns in der geradezu klassischen Art entgegen, wie, etwa von hohem Augenpunkt aus, das Dächergewirr alter Städtchen klar und doch malerisch interessant entwickelt ist, oder wie die Wasser durch eine Schleuse und über ein Wehr rauschen usf. – Werke, die zwar durch Schönlebers Einfluß angeregt sein mögen, die aber doch schon ausgesprochen persönliche Art zeigen.

Für die Karlsruher Studienzeit, die sich vom Herbst 1886 bis ins Jahr 1888 zieht, sind noch die Figuralstudien bei Prof. F. Keller zu erwähnen, dessen dekorativ großzügig-sichere Art auf das kunstgewerbliche Schaffen Brauns unverkennbar einwirkte. Alles zusammengenommen bot Karlsruhe dem Kunstjünger reiche handwerkliche Anregung und Förderung, soweit eben die Schule überhaupt fördern kann. Für den wirklichen Künstler, der zu sich selber kommen und dessen Gestaltungskraft sich betätigen will, können Schuleinflüsse stets nur handwerkliche Anregungen sein. In diesem Sinn hat Braun auch die Karlsruher Schule genossen, denn was er später geleistet hat, steht außerhalb des Schulzusammenhanges. Er hatte Eigenes zu sagen, und es kam die Zeit, wo sein Schaffen so augenscheinlich von dem seiner Vorbilder abgerückt war, daß ihm einer seiner Professoren kurzweg erklärte: »Ihre Bilder interessieren mich nicht mehr.« – Er versuchte noch in den ersten Jahren in Karlsruhe, seine frühen künstlerischen Schöpfungen illustrativ zu verwerten, zunächst ohne Erfolg und mit der Einsicht, dadurch sein strenges Studium zu gefährden. Studienreisen durch die Rheinlande und Westfalen (1888) und ein Sommeraufenthalt in Westfalen und Hamburg (1889) lassen aber doch den Entschluß reifen, die illustrative Tätigkeit zu Erwerbszwecken nicht ganz bei Seite zu schieben. So erschien 1889 in Reclams Universum eine Serie von Zeichnungen unter dem Titel: Ein Stückchen rote Erde. Diese erste Publikation über seine engere Heimat bei einem Leipziger Verlagshaus hat eine kleine Geschichte über das schmerzliche Thema: er kam zu den Seinigen, aber die Seinigen nahmen ihn nicht auf. Die Paderborner Verlagsbuchhandlung von Ferd. Schöningh bereitete eine illustrierte Neuausgabe von Levin Schückings Werk »Das malerische und romantische Westfalen« vor. Braun hatte sich auf Grund seiner zahlreichen heimatlichen Studien darum beworben, illustrativer Mitarbeiter sein zu dürfen. Der Wille, seiner Heimat zu dienen, fand keinen Widerhall, jetzt nicht und später nicht. – Der Winter 1889/90 wurde zur malerischen Ausgestaltung der auf der Sommerreise gesammelten Anregungen und Motive verwendet. Diese ersten Gemälde nach westfälischen und Hamburger Motiven sind, im Sommer auf Reisen gesandt, auf der Kunstausstellung zu Magdeburg leider verbrannt.

Der Sommer 1890 lockte den eifrigen Maler in den malerisch wieder neuentdeckten nahen Schwarzwald. So heimisch Braun im lieblichen Süddeutschland, das besonders Norddeutschen wegen seiner Naturschönheiten und dem heiteren Lebensgenuß seiner Bewohner insgemein als ein Paradies erscheint, sich auch fühlen mochte, so wenig kam die »Schwarzwaldromantik« seinem künstlerischen Gefühl entgegen. Die eigenartige, zwischen zarter Lyrik und großartig einfacher Epik liegende Schönheit des Schwarzwaldes, wie die beiden Schwarzwälder Künstler Hans Thoma und Emil Lugo sie gerade in jenen Jahren so wundervoll zur Erscheinung brachten, sagte dem mehr auf herben, ja, manchmal düstern Balladenton gestimmten Sohn der »roten Erde« nicht besonders zu. »Der Schwarzwald ist ja auch schön, aber ich finde dort nicht die Motive, die ich brauche,« schrieb Braun einmal, und er fährt dann, sich und seine Art sehr fein charakterisierend, fort: »Man muß sich zum Malen doch vorwiegend an die Gegend halten, in der man aufgewachsen ist.« So stark und echt war seine Heimatempfindung, so wahr und rein sein Persönlichkeitsgefühl, daß in seinem Wesen künstlerisch nur widerklang, was seiner Art und Natur gemäß war. Wer mit aufmerksamen Augen seine vollendeten Werke aus nicht niederdeutschen Landschaften durchgeht, wird unschwer das herbe und zähe Niederdeutsche und das bei aller Ruhe innerlich glutvoll Westfälische entdecken, das sich von dem liebevoll Warmen, ja Schwärmerischen, aber durchweg Lebensfreudigen, oft schalkhaft Spielerischen der Oberdeutschen so merkbar unterscheidet. Wollte man den landsmannschaftlichen Gegensatz in zwei Beispielen hervorheben, so brauchte man nur die bekannten Dichternamen A. von Droste-Hülshoff und Ed. Mörike zu nennen.

Die Frage kann hier schon aufgeworfen werden, warum der heimatselige Braun doch in Süddeutschland blieb. Aber einerseits versagte die so heiß geliebte und bis ins innerste Wesen verstandene Heimat ihrem Sohne Verständnis und Anerkennung, und anderseits steigerte und befruchtete des Künstlers Heimatsehnsucht sein Schaffen, denn »alle Kunst ist Erinnerung«, wie W. Steinhausen so treffend sagt.

Die Zeit des Suchens ist mit dem Jahr 1890 abgeschlossen. Angestrengte Arbeit, aber auch reiche Fruchtbarkeit beginnt. Das Jahr 1891 spricht von unausgesetzter Arbeit im eigenen Atelier zu Karlsruhe und von der Ausstellung zweier Gemälde im dortigen Kunstverein. Das Jahr 1892, in dem Braun sein 30. Lebensjahr erreicht, bringt entscheidende Momente. Für Braun, der auf der Höhe eines durchschnittlichen Menschenalters stand, wurde die Frage des Erwerbs jetzt dringend. Seine Studienmappen waren gefüllt. Nach den westfälischen Motiven waren 14 größere Nummern teils in Bleistift, teils in Kohle ausgearbeitet. Sieben Blätter davon gelangten im Juni zur Ausstellung in Karlsruhe. Um sich bekannter zu machen, plante Braun die Herausgabe von Lichtdrucken nach diesen Blättern. Die leistungsfähige und bekannte Lichtdruckanstalt von H. Schober führte mit hohem Gelingen einige Probedrücke aus, aber die letzten Feinheiten gingen bei dem mechanischen Reproduktionsverfahren doch verloren. Das Leben der sensitiven Künstlerhand fehlte für das empfindliche Auge des Künstlers doch, und vor allem wurden die in den gezeichneten Originalen vorhandenen Werte an Licht und Sonnigkeit in der veränderten Größe der Lichtdruckreproduktionen verschoben. Diese Unzulänglichkeiten zu besiegen, war der Gegenstand nachhaltiger Erwägung. Auf einer Studienfahrt durch das Neckartal nach Thüringen und Westfalen fand Braun die Lösung dieser künstlerisch ihm so heikeln Frage. Braun wandte sich der Radierung zu.

In die Technik des Radierens führte damals an der Karlsruher Akademie der bekannte Porträtist W. Krauskopf ein. Bei diesem tüchtigen und gewandten Meister der Radiernadel wurde Brauns im Zeichnen und Tonhalten ohnehin gefestigtes Können so rasch gefördert, daß der im Oktober erstmals zu Radiernadel und Aetzwasser greifende Künstler bereits im November die zwei ersten Drucke – »Gänseliesel« nach einem Motiv von der Stadtmauer zu Eberbach und »Paderborn« – schon fast fertige Künstlerleistungen – in Probedrucken in die Heimat schicken konnte. Mit dieser die Handschrift des Künstlers verbürgenden Technik ist die Frage der Reproduktionen gelöst: die Radierung wird das Feld, auf dem er seine künstlerischen Eindrücke vom deutschen Land dem kunstliebenden Publikum zu unterbreiten, durch die er wirtschaftlich sich eine zuverlässige Stütze zu schaffen und mit der er rein künstlerisch das aussprechen zu können hoffte, was seine von Anschauungen, Empfindungen und Vorstellungen übervolle Seele bewegte. Allerdings ist dabei nicht zu übersehen, daß neben den die landschaftlichen Elemente pflegenden Architekturradierungen und -zeichnungen, Tuschen und Lithographien noch die schöpferisch gestaltende und sich vorzugsweise in Kohlenzeichnungen aussprechende Tätigkeit einherging. Trotz der hohen Vollendung, ja, gerade für die durch ihre Vielseitigkeit, Eindringlichkeit und immer poetische Größe bei aller Sachlichkeit in der deutschen Kunst geradezu einzig dastehenden Architektur-Landschaftradierung (und Zeichnung) scheint für die künstlerische Bewertung Brauns gerade seine erfinderische Bildnerei von wichtigerer und wertvollerer Bedeutung zu sein, trotzdem auf diesem Gebiete die technische Darbietung nicht ganz zur Entfaltung gekommen ist. Aber schon die geradezu erstaunlich zahlreiche Folge der Kohlezeichnungen dekorativer und rein künstlerischer Art erteilen Braun einen besondern Rang im Kunstschaffen unserer Zeit, selbst wenn nicht auch noch das Inhaltliche dieser Blätter uns von der bedeutenden Persönlichkeit, die sich darin ausspricht, Kunde gäbe.


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