Alice Berend
Das verbrannte Bett
Alice Berend

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Konstanzes Handschuhladen lehnte sich nachbarlich an ein Schokoladengeschäft. Dessen Inhaberin war schnell und schlank wie eine Forelle. Vielleicht weil ihre Mutter Fischhändlerin war in der Markthalle drunten. Sie war hellblond, von jenem Eiergelb, womit niemals die geschmackvolle gütige Natur jemanden verunglimpft, sondern nur die allzu menschliche Kunst eines Friseurs. Ihre Lippen waren feuerrot, wie die billigste Mischung des Marzipankonfekts, die zuckersüß aus Abfällen hergestellt war und merkwürdigerweise unter dem Namen »Familienmischung« verkauft wurde.

Diese Blondine erlebte Abenteuer, wohin sie die Schritte lenkte.

Konstanze erfuhr kurze Berichte darüber, sobald das schmale Fräulein herübergehuscht kam, im nachbarlichen Sprung, um große Münze in kleine umzuwechseln oder nach dem Stand der Tageszeit zu fragen. Denn ihre Uhr pflegte mitten am Tag haltzumachen, weil ihre Besitzerin am Abend vorher andere Zerstreuungen gewußt hatte, als Uhren aufzuziehen.

Zu dieser kleinen Nebenbemerkung lächelte sie und fügte noch hinzu, daß Geheimratstöchter natürlich keine solche Ablenkungen kennen durften.

Udo von Silken hatte auch im Konfitürengeschäft ein kleines Schuldkonto für dringende Einkäufe angelegt. Bequemlichkeit halber, wie er sagte.

Die eierblonde Rotlippige hielt Udo für Konstanzes Vetter. Sie ärgerte sich, daß sie ihm gegenüber vergeblich lächelte. Daß er ohne Grund erzählte, daß es immer noch Dinge gäbe, die er nicht einmal geschenkt haben möchte.

Das hinderte sie jedoch nicht, nachbarlich zu bemerken, sie wünschte sich, daß Udo ihr Vetter wäre.

Dazu machte sie die gleiche geschickte Bewegung, mit der ihre Mutter in der Halle die armen verkauften Hechte am Bottichrand betäubte, damit sie sich im Marktkorb wunschgemäß benahmen. Und des Fräuleins Zungenspitze fuhr dabei hervor, wie ein kleiner blutgetränkter Dolch.

Solche Zusammenstöße mit der Umwelt mahnten Konstanze an manche menschliche Minderwertigkeit. Merkwürdigerweise jedoch nicht an die der andern, sondern an die eigene.

Wer sich nicht geliebt glaubt, besitzt selten die Überheblichkeit, die zur Selbstschätzung nötig. Daher wohl kommt es, daß Liebe allein die Welt bewegt. Gleichviel an welches Objekt sie sich verschwendet.

Konstanze prüfte sich nach Fortschlupf der zierlichen Nachbarin genau im Spiegel, fand sich zu lang, zu eckig, übertrieben damenhaft und prüde wirkend.

Solches Augenblicks fühlte sie sich beinahe geschmeichelt, als eines Tages ein großer Umschlag mit steifer, aber flotter Handschrift einen Gruß brachte von dem Herrn Kanzleioffizial Blümel aus Wien.

Konstanze legte ihn vor den Spiegel. Sie erreichte auch damit, daß ihn die schmale schnelle Nachbarin sofort entdeckte, ihn beroch, obwohl er nicht parfümiert war, und ihn, trotz seines Kanzleiformats, für einen Liebesbrief erklärte . . .

Dieses Schreiben war von Herrn Blümel doch noch länger überlegt worden, als er es selbst für möglich gehalten.

Dreierlei hatte ihn schließlich dahin gebracht, diesen Gruß aufzusetzen und abzusenden.

Erstens: erneutes Lob des neuen Kollegen über des Herrn Kanzleioffizials Handschrift. Obwohl Blümel drei Viertel davon auf Strebertum und Hinterlist abrechnete. Ein Viertel Ansporn blieb übrig. Zweitens hatte befeuernd gewirkt eine Plauderei in Herrn Blümels Lieblingszeitung, die geschickt und glaubwürdig nachzuweisen verstanden, daß nichts besser geeignet sein könne, den Charakter eines Mannes auszumodellieren, als ein intimer Briefwechsel mit einer gescheiten persönlichen Frau. Nicht nahes Zusammenleben mit einem weiblichen Wesen lasse den Mann erstarken, sondern seelisches Vertrautsein, Austausch innerer und äußerer Erlebnisse mit einer Unsichtbaren, ohne Furcht vor Ernüchterung durch die Kompaktheit des Körperlichen.

Drittens wirkte Fräulein Steffi Pichlers Handdeutung nach. Herr Blümel hatte darüber nachgedacht. Wahrscheinlich war er wirklich leidenschaftlich. Er hatte es nur nicht gewußt. Wie hätte das Fräulein auch sonst zu dieser Art Deutung seiner Lebenslinien gelangen können? Etwas Wahres war an allem, was unter Menschen gesprochen wurde. Selbst Lüge kann Wahrheit verraten . . .

Konstanze beantwortete die steifen Fragezeilen über Wohlbefinden und Sommerwünsche auf elegantem, eigenartigem Papier. Dieses war kürzlich gekauft worden, als Konstanze die feste Ahnung zu fühlen glaubte, daß eine Nachricht von Udo kommen müsse, die schnelle Beantwortung verlangen würde. Udo nannte Briefe schriftliche Besuche. Bogen und Umschlag bedeuteten das Kostüm des Besuchers.

Auf diesem elastischen Papier lief die Feder von selbst. Man schrieb zu seinem eigenen Vergnügen.

Konstanze entsann sich, wie Udo einmal behauptet hatte, daß jeder Brief, der nicht geschäftlichen Inhalts wäre oder einer dringend notwendigen Mitteilung halber abgesandt wurde, nur an sich selbst geschrieben werde. Man beichtete sich selbst, was man dachte, wünschte, glaubte und meist selbst nicht gewußt hatte, bis man es geschrieben vor sich sah.

Zeile auf, Zeile ab lief der feste Füllfederhalter, der in einem Würfel endete, der auf allen vier Seiten Sequenz zeigte.

Konstanze ließ ihn Wien loben, ihn erzählen, daß ihre Gedanken oft die schön geschwungene Waldlinie von Kahlenberg bis zum Leopoldsberg entlang liefen. Daß sie neben jedem Kirchturm die Zierlichkeit des Stefansdoms ins Himmelblau gezeichnet sähe. Daß sie sich der Walzer erinnere im Schönbrunner Park, daß sie des Abends, wenn Autohupen die jetzt sommerstillen Großstadtstraßen durchschrillten, an die Adlerschreie im Schönbrunner Tierpark gemahnt werde, an den Adler des Prinzen Eugen, der zu trauern verstanden hatte wie ein Mensch. Und daß sie auch sonst nichts vergessen hatte, das ihr in der schönen Donaustadt begegnet war.

Als Konstanze die vielen Blätter in den Umschlag schichtete, schob sich wieder eine Spottbemerkung Udos dazwischen.

Jene freche Behauptung, daß, wenn verliebte Frauen mit Tinte und Feder in Berührung kämen, sie berauscht davon würden wie von Sekt. Schwatzlust und Vertrauensseligkeit arteten ins Orgienhafte aus.

Erst als Konstanze jetzt den Umschlag mit Namen und Wohnort versehen mußte, kam es ihr zum Bewußtsein, daß Udo gar nichts mit diesem Schreiben zu tun hatte. Daß auch hier von Verliebtheit genau so wenig die Rede war, wie wenn der Gruß wirklich an Herrn Udo gerichtet wäre.

Sie holte das Schreiben noch einmal hervor und überlas es. Warum es eigentlich absenden? Wer schrieb das? Und an wen?

Aber nun war es einmal da. Es war vielleicht ein Spaß abzuwarten, was der steife, brave, wortkarge Herr Kanzleioffizial auf solches Schreiben zu erwidern suchte.

Ein wenig Erwartung war nicht zu verachten in diesen schläfrig-warmen Sommertagen . . .

*


 << zurück weiter >>