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Sechstes Kapitel

Viele Blüten hatte diese mannigfaltige Jugendzeit des Bürgertums, die wir heute die «romantische» nennen.

Draußen marschierte der Soldat, drinnen weinte die Braut, aber sie weinte nicht immer. Es war schon Ofenwärme in den Stuben und der Duft von Kaffee und frisch gebacknem Kuchen. Familiäre Schreiben sind die wahrhaftesten Dokumente jeder Zeit. Wir durchblättern die «Briefe einer Braut», die Edith von Cramm aus ihrem Familienschatz veröffentlichte. Sie veranschaulichen ein Stück Geschichte, miterlebt im Herzen und hinter Butzenscheiben. Diese nur lose zusammenhängenden Schreiben gleichen einem melancholischen Liebesroman, wie ihn wohl manches Mädchen jener Zeit hat durchleben müssen. PHILIPPINE VON GRIESHEIM war die Braut eines jener unglücklichen elf Reiter aus dem Schillschen Regiment, die als «Rebellen» standrechtlich erschossen wurden. Nach langen trüben Jahren der Verzweiflung folgt Philippine den Wünschen der Eltern und heiratet einen seit langem um sie Werbenden. Aber sie vergißt nie den Jugendgeliebten. Alt geworden und Witwe, läßt sie sich jeden Tag als einzige Unterbrechung einförmigen Stundenlaufs im Rollstuhl in das kleine Museum fahren, das man der Schillschen Reiterschar gewidmet hatte.

Ihre Briefe jedoch, von denen man sich vorstellt, daß sie im Perlbeutelchen mit sich getragen worden sind, geben nicht nur vertraulichen Einblick in die Freude und Furcht einer Braut. Wir verdanken ihnen auch ein äußerst lebhaftes, anschauliches Bild jener wechselvollen Zeit der Einquartierungstage, an denen die friedlichen steifen Bürgerhäuser zu Biwaken von Soldaten aller Nationen wurden. Ein seltsamer Zustand, der durchaus nicht so schreckhaft zu sein brauchte, wie man hätte glauben können. Es zeigte sich schon die Macht friedlicher Stuben voll Ofenwärme, voll Musik, Backwerk, Bratäpfeln und Blumen.

Lesen wir einige Briefe aus dem Jahre 1813, geschrieben in Köthen, gerichtet an Philippines gleichaltrige Freundin Charlotte von Münchhausen:

«Immer wärende Durchmärsche und Einquartirung bringen täglich oft erfreuliche, oft auch lästige Abwechselung in unser reges Leben. Mein exemplarisches Gedächtnis wird Dir eine flüchtige Skizze davon entwerfen. Die gutmüthigen geselligen Kosacken, die seit längerer Zeit auf dem Schloßplatze bivouaquiren, schließen uns in den vier Mauern ein. Auch haben sie sich unseres Hausfluhrs, Hofs und Stalls bemächtigt. Graf von Cruss machte uns Visite, die Zudringlichkeit seiner Soldaten zu entschuldigen und sie zur Bescheidenheit aufzumuntern. Sie führen mich oft am Klavier, wo ich ihnen Volkslieder wie ‹Schöne Minka› vorsingen muß. Er bat uns persönlich zu einem Ball, den er General Tschernischef zu Ehren veranstaltet. Seine Offiziere ließen sich den jungen Damen durch ihn vorstellen, sie zum Tanz auf zu fodern. Auffallend war der feine Gesellschaftston dieser rauhen Nation, sie redeten uns in verschiedenen Sprachen an und verbanden mit der nordischen Treuherzigkeit, die Höflichkeit der Südbewohner. Während der Pausen des Tanzes sangen die Kosacken Nationallieder und tanzten Nationaltänze, die höchst originel sind. Im Gefolge des Generals waren wir überrascht Herrn von Bötticher zu sehn. – Der General Tschernischef ist bekanntlich ein SCHÖNER GEISTREICHER Mann von sechsundzwanzig Jahren, doch möchte ich ihm bei diesen Vorzügen mehr Bescheidenheit wünschen. Er ist zuvorkommend höflich, spricht viel von sich selbst, nennt sich L'ENFANT GATE DES PARISIENNES , in deren Mitte er drei Jahre zugebracht! Du weißt wie dieser eigene Lobestribut mir stets an den Herren zuwider ist! Er ist nach der Einnahme von Berlin, das er vom französischen Ungeziefer gesäubert, in Kupfer gestochen worden, brachte uns daher am andern Tage, wo er uns Visite machte, einige Exemplare mit und war verwundert, unsere Wände nicht mit seinem Bilde geziert zu sehn, wie dies in Dessau und wo er noch in allen Palästen der Fürsten gewesen, der Fall war; einen coquettern Herrn sah ich fast nie. Auf diesen Ball folgten noch mehrere Ditos, da die Russen gern zu tanzen schienen. Die soupers sind nach russischer Sitte mit orientalischer Pracht verbunden, was das Auge blendet und dem Gaumen schmeichelt findet man dort vereint. Die ausgezeichnetste Kunst hatte das Dessert geordnet, gemachte Blumensträuße und Attrappen mit bonbons gefüllt wurden herum präsentirt. Orangerie in glänzenden Gefäßen zwischen den Tafelaufsätzen zerstreut, zauberten den Frühling auf die Tafel, die mit Treibhausobst aus der Umgegend besetzt war. Es ist noch von vielen Siegesfesten die Rede, die sogar mit einem Ball masqué gefeiert werden sollen. Wir haben vor zu verreisen, da wir das Pfingstfest in Trebnitz zubringen werden, worüber ich besonders froh, da mir Lustbarkeiten mitten im Kriegsgetümmel zuwider sind. Euere Journale sprechen gewiß vom Siege der Schlacht bei Bautzen, doch sind die Röcke der Franzosen dort ein wenig vom Staub ausgeklopft worden ...»

 

Wir lesen die Mitteilung über die Schlacht bei Leipzig, von der Philippine erfährt, «als sie bei einer Tasse Tee recht friedlich an einem warmen Ofen, im traulichen Gespräch mit einer Nachbarin saß», aus dem sie «heftiges Klopfen an der Tür aufschreckte».

Sie schreibt darüber:

«Ein Offizier unserer früheren Einquartierung stürzte athemlos herein, uns freudige Kunde von dem glorreichen errungenen Siege bei Leipzig zu bringen.

Er wurde als Courir nach P. abgeschickt ... Unserer Freude kann ich keine Worte geben, nachdem unsere Erwartung über den Ausgang höchst peinlich! Der Kampf soll GRESSLICH aber auch der Sieg um so rühmlicher gewesen sein. Die Axe der ganzen Weltgeschichte hat sich durch diese große Völkerschlacht gedreht und so kräftig auch der Widerstand war, hat doch diesmal den Allirtenfahnen die Glücksgöttin beigestanden. Die Franzosen haben eine GÄNZLICHE Niederlage erlitten, und natürlich ist der Sieg mit großer Aufopferung erfochten. In den Straßen sind Ströme von Blut vergossen, über aufgehäufte Leichen ist der Feind verfolgt worden ... Doch weg mit diesen Bildern des Kriegsschauplatzes! ...

Der Friede erfolgt nun natürlich demnächst, und welch eine erfreuliche Aussicht eröffnet sich dadurch allen Familien! Welch ein freudiger Zuwachs des Glückes wird, nach bang überstandenen Sorgen, der Friede in alle Gemüther tragen! Die Durchmärsche dauern fort, Courire und Estavetten machen sich den Vorsprung streitig, und unser Schloßplatz und Posthaus ist stets mit Reisenden ausgefüllt ... Wir haben die Freiheit gegen Ketten mit vielen Opfern erkauft, doch eine freundliche Zukunft ist mit einer unterjochten Gegenwart ausgetauscht. Möge Gott bald die Wunden heilen, die dieser blutige Krieg geschlagen hat. Die Todtenlisten werden noch manches Herz treffen! Doch wer für diese gerechte Sache fiel, wird vielleicht von Gott in den dritten Himmel erhoben! – Könnte ich doch mit einem Zauberschlage diese Zeilen in Deine Hände versetzen, um die errungenen Siegesfreuden mit Dir zu theilen! Ach, gar zu gern möchte ich mit Hüons Zorn der ganzen Welt unser Glück verkünden!»

 

In diesen Briefen wird auch Lützows Freischar erwähnt. Wir werden damit an einen Dichter erinnert und sein Schicksal: an THEODOR KÖRNER.

Theodor Körner (1791 - 1813).
Kreidezeichnung von Emma Körner, der Schwester des Dichters.

Wenn wir uns mit seinem kurzen hochsteigenden Dasein beschäftigen, erhalten wir Einblick in ein Stück Bürgerleben, das man vorbildlich nennen könnte. Alle Eigenschaften, die das Spießbürgertum später verplattete, verbilligte, wenn nicht überhaupt verlor, waren hier noch echte Würde.

Theodor Körner galt als «Günstling des Glückes». Mit zwanzig Jahren schon ist er weithin berühmt, seine Theaterstücke anerkannt und inszeniert von einem Goethe. Er hat das edelste Elternhaus, ist glücklicher Bräutigam. Aus dieser freudigen Lage stürzt er hinaus in den Kampf um die vaterländische Freiheit. Er schreibt an den Vater am 10. März 1813:

«Jetzt, da ich weiß, welche Seligkeit in diesem Leben reifen kann, jetzt, da alle Sterne meines Glücks in schöner Milde auf mich niederleuchten, jetzt ist es, bei Gott, ein würdiges Gefühl, das mich treibt; jetzt ist es die mächtige Überzeugung, daß kein Opfer zu groß sei für das höchste menschliche Gut, für seines Volkes Freiheit. – Eine große Zeit will große Herzen, und fühl' ich die Kraft in mir, eine Klippe sein zu können in dieser Völkerbrandung – ich muß hinaus und dem Wogensturm die muthige Brust entgegendrücken. Soll ich in feiger Begeisterung meinen siegenden Brüdern meinen Jubel nachleyern? – Ich weiß, Du wirst manche Unruhe erleiden müssen, die Mutter wird weinen – Gott tröste sie! Ich kann's Euch nicht ersparen. – Daß ich mein Leben wage, das gilt nicht viel, daß aber dies Leben mit allen Blüthenkränzen der Liebe, der Freundschaft und der Freude geschmückt ist, und daß ich es DOCH wage, daß ich die süße Empfindung hinwerfe, die mir in der Überzeugung lebt, Euch keine Unruhe, keine Angst zu bereiten, das ist ein Opfer, dem nur ein solcher Preis entgegengestellt werden darf.»

Das Vaterhaus, in das dieser Brief sauste, Vater, Mutter, das Familienleben darin, schildert ein Zeitgenosse von damals anschaulich in folgendem:

«Körners Vater, geboren in Leipzig, wo sein Vater Pastor zu St. Thomas und Superintendent war, widmete sich der Rechtsgelehrsamkeit. Er brachte es darin zu hohen Ämtern. Er lebte sechsundvierzig Jahre in glücklicher Ehe mit Annemarie Jakobine, geborene Stock. Er verschied ohne jeden Kampf, nachdem er sich noch kurz vor seinem Tode mit den Angelegenheiten seines Berufs beschäftigt hatte. Er stand in inniger Verbindung mit Schiller. Er liebte, kannte und übte bis in seine letzten Tage hinein Musik und philosophische Forschung, ebenso die Dichtkunst und Malerei und folgte der Wissenschaft und Kunst in allen ihren bedeutenden Erscheinungen. Die Mutter, deren genauer persönlicher Bekanntschaft wir uns rühmen können, beweist uns, daß ihr Geist ebenso klar, reich und gebildet, als ihr Gemüt treu, liebevoll und innig und ihre Gesinnung tüchtig ist. – Welche nach der bräutlichen Innigkeit zu schließen, mit welcher sie noch im Greisenalter an dem ihr unbedingt vertrauenden Gemahl hing, gewiß von jeher im Bunde mit ihm das schönste Bild ehelicher Liebe und Treue durch die verschiedenen Lebensalter darstellt und als waltende Hausfrau den in ihr wohnenden Geist der Liebe und Sitte über die Ihren verbreitete. Von allen Teuren allein im Leben zurückgeblieben, beweise sie die Tiefe und Kraft ihres Charakters am besten durch die würdige heitere Haltung, mit welcher sie ihr einsames Alter trägt.»

Aus diesem Familienkreis schrieb der Vater, ein Amtmann, an seinen Sohn, einen Dichter, Briefe solcher Art (an einen Sechzehnjährigen):

«Seit heute bist Du nun, lieber Sohn, Dir selbst überlassen. Über diese wichtige Veränderung in Deinem Leben habe ich Dir wenig zu sagen. Ich liebe die Vermahnungen nicht, weil ich sie für unnöthig halte, wenn man Grund zum Vertrauen hat, und weil sie im entgegengesetzten Falle ganz unnütz sind. Ohne Vertrauen auf Dich würde ich sehr unglücklich sein, aber ich rechne fest darauf, daß Du fortfahren wirst, Deinen Eltern Freude zu machen.»

An den Neunzehnjährigen:

«Zwei Briefe von Dir liegen vor mir, mit der Nachricht von Deinem Theaterglück. Eine so gute Aufnahme mußte Dich freuen, und auch uns war es kein kleines Fest, Deinen Namen auf dem Komödien-Zettel zu lesen, und einen guten Erfolg zu wissen. Auf dem Parnaß ist nicht immer schönes Wetter; genieße den Sonnenschein, so lange er währt, und verliere den Muth nicht, wenn sich der Himmel umwölkt. In Wien hast Du mit einem Publikum zu thun, das noch lebensfroh und unbefangen ist, sich einem angenehmen Eindruck zu überlassen ... Fahre fort, Deine Pläne mit Besonnenheit zu entwerfen, aber bei der Ausführung überlaß Dich ganz Deiner Phantasie und Deinem Gefühl. Lebe in Deinem Stoffe, ohne an irgend etwas in der übrigen Welt zu denken. Aus Deinem Innern muß Charakter und Situation in ihrer ganzen Fülle hervorgehen, und was Dir lebendig vorschwebt, wird auch immer lebendiger in die Wirklichkeit treten, je mehr Du die Mittel beherrschest, die Du zur Darstellung brauchst. Schon jetzt bist Du in einem hohen Grade Herr Deiner Sprache und hast im Versbau Gewandtheit und Wohlklang. Kein Gedanke der Koketterie, nicht die kleinste Rücksicht auf den Effect bei irgend einem bestimmten Publicum, entweihe Deine Stunden der Production. Aber die Würde der Kunst und ihre Bestimmung sei immer vor Deiner Seele.»

Zum zwanzigsten Geburtstag, der der letzte sein sollte:

«Du feierst Deinen Geburtstag diesmal unter sehr günstigen Umständen ... Du kannst, ohne Dir Vorwürfe zu machen, vielmehr mit Zufriedenheit auf das vergangene Jahr zurücksehn. Du bist thätig gewesen und hast in der Kunst, sowie in Deiner persönlichen Ausbildung bedeutende Fortschritte gemacht. Deine Producte haben den Beifall der Menge erlangt und sind von Sachverständigen geschätzt worden. Deinen Eltern hast Du viel Freude gemacht, und sie sehen für Dich einer glücklichen Zukunft entgegen. Mit frohen Aussichten werden wir Deinen Tag feiern, werden Gott danken für Alles, was er uns in Dir gegeben hat und noch zu geben verspricht, und die Hoffnung, Dich bald wieder zu sehen, wird uns die Trennung erträglich machen. Ich drücke Dich im Geist an die Brust und gebe Dir meinen besten Segen! ... Der ältere Blümner ist jetzt hier. Er hat Deine Sühne in Weimar gesehn und war sehr dafür eingenommen. Die Aufführung soll vorzüglich gewesen sein.»

Und wenige Wochen bevor der Vater die Blitznachricht erhielt, daß sein Sohn unter die Freiwilligen geht, diese Worte höchster Nachsicht:

«Du hast den Sinn für das Heilige bewahrt, aber kirchliche Meinungen haben jetzt für Dich kein Interesse, jedoch nicht aus Frivolität oder Geringschätzung, sondern weil Liebe und Kunst ausschließend in Deiner Seele herrschen. Du hast zu viel Tiefe, um nicht früher oder später auch auf Untersuchungen über Gegenstände der Religion geführt zu werden. Für diesen Zeitpunkt ist es wichtig, die Freiheit Deines Geistes zu behaupten und nicht in die peinliche Lage eines Streites zwischen Deinem Bekenntnis und Deiner Überzeugung zu gerathen.»

Das große Problem der Erziehung Heranreifender, das heute wieder so aktuell und wieder so unklar geworden, als hätte es niemals zuvor umwälzende Zeiten und nicht immer «neue» Zeiten gegeben, scheint hier in der klaren Ruhe der Selbstverständlichkeit gelöst, in höchster Vollkommenheit.

Des Dichters Werk, sein Schicksal, die Würde und Haltung seiner Angehörigen erregte damals Hochachtung selbst im Ausland. Nicht nur England brachte mitfühlende Nachrufe in den Zeitungen, sandte Grüße den Seinen, übersetzte seine Gedichte, auch Frankreich, dessen Haß sein Tod gegolten, zeigte nicht geringere Anteilnahme. Eine große Anzahl von Körners Gedichten wurde sofort ins Französische übersetzt.


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