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Allegorie und Trauerspiel. (Zweiter Teil)

Ihr kraft beraubte Wort', ihr seid zerstückte Stück',
Und seichte schattenstreif, allein, entweicht zu rük;
Vermehlet mit Gemähl ihr werdet zu gelassen,
Wenn ein tief Sinnebild hilft das verborgne fassen.

Franz Julius von dem Knesebeck:
Dreyständige Sinnbilder
Motto – Dreyständige Sinnbilder zu fruchtbringendem Nutzen und beliebender ergetzlichkeit ausgefertigt durch den Geheimen

Die philosophische Erkenntnis der Allegorie allein, die dialektische von ihrer Grenzform insbesondere, ist der Grund, auf dem das Bild des Trauerspiels mit lebendigen – und, wenn das ausgesprochen werden darf, mit schönen – Farben sich abhebt, der einzige, auf dem das Grau der Retuschen nicht haftet. In Chor und Zwischenspiel tritt allegorische Struktur am Trauerspiel so aufdringlich heraus, daß sie ganz nie den Betrachtern entgehen konnte. Aber eben darum blieben das die kritischen Einfallsstellen, durch die man in den Bau, der so vermessen als Griechentempel sich behaupten wollte, eindrang, um ihn zu zerstören. So Wackernagel: »Der Chor ist Erbe und Eigenthum der griechischen Bühne: er ist auch nur auf ihr die organische Folge historischer Prämissen. Bei uns war nirgend ein Anlaß auf den sich ein solcher hätte bilden können, und so haben denn auch die Versuche die von den deutschen Dramatikern des XVI. und XVII. Jahrhunderts... sind gemacht worden ihn auch auf die deutsche Bühne überzuleiten, nur verunglücken können.« Wackernagel l.c. S. 11. Unbezweifelbar ist die nationelle Bedingtheit des griechischen Chordramas, ebenso unbezweifelbar aber, daß eine gleiche sich in der scheinbaren Griechennachahmung des XVII. Jahrhunderts auswirkt. Der Chor im Barockdrama ist nichts Äußerliches. Er ist im gleichen Sinn sein Inneres, wie das gotische Schnitzwerk eines Altars als Inneres hinter den aufgeklappten, mit Historien bemalten Flügeln, sich zeigt. Im Chor, beziehungsweise in dem Zwischenspiel, ist die Allegorie nicht mehr bunt, geschichtsbezogen, sondern rein und streng. Am Schluß des IV. Akts der Lohensteinschen »Sophonisbe« treten Wollust und Tugend im Streit auf. Zuletzt wird die Wollust entlarvt und läßt von der Tugend sich sagen: »Wol! wir wolln bald des Engels Schönheit sehn! | Ich muß dir den geborgten Rock ausziehen. | Kan sich ein Bettler in was ärgers nehn? | Wer wollte nicht für dieser Sclavin fliehen? | Wirff aber auch den Bettler-Mantel weg. | Schaut/ ist ein Schwein besudelter zu schauen? | Diß ist ein Krebs- und diß ein Aussatz-Fleck. | Muß dir nicht selbst für Schwer- und Eyter grauen? | Der Wollust Kopff ist Schwan/ der Leib ein Schwein. | Laßt uns die Schminck' im Antlitz auch vertilgen. | Hier fault das Fleisch/ dort frißt die Lauß sich ein/ | So wandeln sich in Koth der Wollust Liljen. | Noch nicht genug! zeuch auch die Lumpen aus; | Was zeigt sich nun? Ein Aaß/ ein todt Gerippe. | Besieh' itzt auch der Wollust innres Haus: | Daß man sie in die Schinder-Grube schippe!« Lohenstein: Sophonisbe l.c. S.75/76 (IV, 563 ff.). Das ist das alte allegorische Motiv von der Frau Welt. Aus dergleichen markanten Stellen ist hin und wieder auch den Autoren des vorigen Jahrhunderts eine Vorstellung von dem gekommen, worum es hier geht. »In den Reyen«, heißt es bei Conrad Müller, »wird der Druck der geschraubten Natur Lohensteins auf sein Sprachgenie geringer, weil das Schnörkelwerk seiner Worte, das sich seltsam an dem stilvollen Tempel der Tragödie ausnimmt, eigen mit dem Gaukelputz der Allegorie zusammenstimmt.« Müller l.c. S.94. Und wie im Wort manifestiert das Allegorische sich auch im Figuralen und im Szenischen. Das erreicht in den Zwischenspielen mit ihren personifizierten Eigenschaften, den fleischgewordenen Tugenden und Lastern, seinen Höhepunkt, ohne irgendwie auf sie beschränkt zu sein. Denn es erhellt, daß eine Typenreihe, wie König, Höfling, Narr sie bilden, von allegorischer Bedeutung ist. Hier gelten wieder die Divinationen des Novalis: »Eigentliche Schauszenen, nur die gehören aufs Theater. Allegorische Personen, die meisten sehn nur solche um sich. Kinder sind Hoffnungen, Mädchen sind Wünsche und Bitten.« Novalis: Schriften. Bd. 3, l.c. S.71. Einsichtsvoll weist das auf Zusammenhänge eigentlicher Schaustellung mit Allegorie. Deren Figurinen waren freilich im Barock andere und – christlich und höfisch – bestimmtere als Novalis sie ausmalt. Wie selten und wie schwankend sich die Fabel auf deren eigentümliche Moralität bezieht, darin verraten die Figuren sich als allegorisch. Im »Leo Armenius« bleibt ganz dunkel, ob Balbus einen Schuldigen oder einen Schuldlosen trifft. Genug daß es der König ist. Auch läßt sich anders nicht verstehn, daß nahezu beliebige Personen in das lebende Bild einer allegorischen Apotheose einrücken können. Die »Tugend« preist den Masinissa, cf. Lohenstein: Sophonisbe l.c. S.76 (IV, 585 ff.). einen erbärmlichen Wicht. Nie hat das deutsche Trauerspiel vermocht, die Züge der Person so geheim in tausend Falten einer allegorischen Gewandfigur, wie Calderon es konnte, zu verteilen. Nicht besser hat ihm Shakespeares große Interpretation der allegorischen Gestalt in neuen einzigartigen Rollen glücken wollen. »Gewisse Figuren Shakespeare's haben den physiognomischen Zug der Moral- Play-Allegorie an sich; doch nur für das geübteste Auge erkennbar; sie gehen, hinsichtlich dieses Zuges, gleichsam in der allegorischen Tarnkappe, umher. Derartige Figuren sind Rosenkranz und Güldenstern.« J. L. Klein: Geschichte des englischen Drama's. Bd. 2. Leipzig 1876. (Geschichte des Drama's. 13.) S.57. Dem deutschen Trauerspiel blieb die Unscheinbarkeit des Allegorischen dank der Vergaffung in den Ernst versagt. Das Bürgerrecht in dem profanen Drama leiht Allegorischem allein die Komik, wo sie jedoch im Ernst den Einzug hält, da ist es unversehens der tödliche.

Die wachsende Bedeutung des Zwischenspiels, das schon in der mittleren Periode des Gryphius vor der dramatischen Katastrophe die Stelle des Chores einnimmt, cf. Hans Steinberg: Die Reyen in den Trauerspielen des Andreas Gryphius. Diss., Göttingen 1914. S.107. fällt mit der zunehmenden Aufdringlichkeit seiner allegorischen Prachtentfaltung zusammen. Sie erreicht bei Hallmann den Höhepunkt. »Wie das Ornamentale der Rede das Konstruktive, den logischen Sinn überwuchert ... und sich zu Katachresen verzerrt, so ... verdeckt das aus dem Redestil geborgte Ornamentale als inszeniertes Exemplum, inszenierte Antithese und inszenierte Metapher die Struktur des ganzen Dramas.« Kolitz l.c. S.182. Sinnfällig geben diese Zwischenspiele den Ertrag aus den Prämissen allegorischer Betrachtung, um welche das Vorangeschickte sich bemühte. Ob nach dem Beispiel des jesuitischen Schuldramas ein allegorisch, ›spiritualiter‹ zutreffendes Exemplum aus der antiken Geschichte abgehandelt wird – Hallmann: der Dido-Reyen aus »Adonis und Rosibella«, der Callisto-Reyen aus »Catharina« cf. Kolitz l.c. S.102 u. S.168. –, ob die Chöre, wie Lohenstein es bevorzugt, eine erbauliche Psychologie der Leidenschaften entwickeln, oder, wie bei Gryphius, die religiöse Reflexion in ihnen vorwaltet – mehr oder minder ist in allen diesen Typen der dramatische Vorfall nicht als einmaliger, vielmehr als die naturnotwendige, im Weltlauf angelegte Katastrophe aufgefaßt. Aber selbst die allegorische Nutzanwendung ist nicht Zuspitzung des dramatischen Verlaufs, sondern breites, exegetisches Zwischenspiel. Nicht einer aus dem andern schießen die Akte empor, sie staffeln sich vielmehr terrassenartig. In breiten Ebnen simultaner Umschau ist das dramatische Gefüge abgesetzt, wobei der Stufenbau des Zwischenspiels zum Standort einer ausladenden Statuarik wurde. »Es geht mit der Erwähnung des Exemplums in der Rede seine szenische Darstellung als lebendes Bild parallel (Adonis); es stehen solche Exempla sogar bis auf drei, vier und sieben gehäuft nebeneinander auf der Bühne (Adonis). Dieselbe szenische Umsetzung hat auch die rhetorische Apostrophe: Schau, wie ... in den prophetischen Geisterreden erfahren.« Kolitz l.c. S.168. Mit aller Macht holt in der ›stillen Vorstellung‹ der Wille zur Allegorie das verklingende Wort in den Raum zurück, um es der phantasielosen Anschauung zugänglich zu machen. Der, sozusagen, atmosphärische Ausgleich zwischen dem Raum einer visionären Wahrnehmung der dramatischen Person und der profanen des Zuschauers – ein theatralisches Wagnis, das selbst Shakespeare kaum je unternimmt – läßt, je weniger es diesen geringern Meistern gelungen ist desto deutlicher, seine Tendenz hervortreten. Die visionäre Beschreibung des lebenden Bildes ist ein Triumph barocker Drastik und barocker Antithetik – »Handlung und Reyen sind zwei getrennte Welten, sie unterscheiden sich wie Traum und Wirklichkeit«. Steinberg l.c. S.76. »So ist die dramatische Technik des Andreas Gryphius, daß in Handlung und Reyen die reale Welt der Dinge und Geschehnisse sehr scharf getrennt ist von einer idealen Welt der Bedeutungen und Ursachen.« Hübscher l.c. S.557. Ist es erlaubt, dieser beiden Aussagen als zweier Prämissen sich zu bedienen, so ist der Schluß nicht weit, daß die im Reyen vernehmbar sich machende Welt die der Träume und Bedeutungen sei. Erfahrung von der Einheit dieser beiden ist eigenster Besitz des Melancholikers. Doch auch die radikale Trennung von Handlung und von Zwischenspiel besteht nicht vor den Augen seines erwählten Beschauers. Hier und da tritt im dramatischen Vorgang selber die Verbindung zutage. So wenn im Reyen Agrippina von Seejungfrauen sich gerettet findet. Nirgends bezeichnenderweise schöner und eindringlicher, als durch die Person eines Schlafenden, wie das Intermezzo nach dem IV. Akt des »Papinian« in dem Kaiser Bassian ihn vorstellt. Während seines Schlummers führt ein Reyen sein bedeutendes Spiel auf. »Der Käyser erwachet und gehet traurig ab.« Gryphius l.c. S.599 (Ämilius Paulus Papinianus IV, Szenenanm.). »Wie sich übrigens der Dichter, dem Gespenster Realitäten waren, die Verbindung dieser mit Allegorien vorgestellt hat, bleibt eine müßige Frage«, Steinberg l.c. S.76. bemerkt Steinberg mit Unrecht. Gespenster wie die tief bedeutenden Allegorien sind Erscheinungen aus dem Reiche der Trauer; durch den Trauernden, den Grübler über Zeichen und Zukunft, werden sie angezogen. Nicht gleich klar liegen die Zusammenhänge für das eigentümliche Auftreten der Geister von Lebenden. »Die Seele der Sophonisbe« tritt in dem ersten Reyen jenes Lohensteinschen Trauerspiels ihren Leidenschaften gegenüber, cf. Lohenstein: Sophonisbe l.c. S.17 ff. (I, 513 ff.). während im Hallmannschen Szenar zur »Liberata« cf. Kolitz l.c. S.133.] und in »Adonis und Rosibella« cf. Kolitz l.c. S.111. es nur um die Verkleidung ins Gespenst sich handelt. Wenn Gryphius einen Geist in der Gestalt Olympiens kommen läßt, cf. Gryphius l.c. S.310 ff. (Cardenio und Celinde IV, 1 ff.)., so ist das eine neue Wendung des Motivs. Das alles bedeutet natürlich nicht reinen »Unsinn«, A. Kerckhoffs: Daniel Casper von Lohenstein's Trauerspiele mit besonderer Berücksichtigung der Cleopatra. Ein Beitrag zur Geschichte des Dramas im XVII. Jahrhundert. Paderborn 1877. S.52., wie Kerckhoffs bemerkt, gibt vielmehr ein absonderliches Zeugnis von dem Fanatismus, der auch das schlechthin Singulare, die Person, im Allegorischen vervielfältigt. Um eine noch weit mehr bizarre Allegorisierung handelt es sich vielleicht in einer Vorschrift, die sich in der »Sophia« Hallmanns findet: wenn nämlich, wie man fast vermuten muß, es nicht zwei Tote, vielmehr Erscheinungen des Todes sind, die als »zwey Todte mit Pfeilen ... ein höchst trauriges Ballet nebst untergemischten grausamen Geberden gegen die Sophie tantzen«. Hallmann: Trauer-, Freuden- und Schäferspiele l.c. »Die himmlische Liebe oder die beständige Märterin Sophia« S.69 (Szenenanm.). Dergleichen ist gewissen emblematischen Darstellungen verwandt. Die »Emblemata selectiora« etwa haben eine Tafel, cf. Emblemata selectiora. Amstelaedami 1704. Tab. 15. die eine Rose gleichzeitig halb blühend, halb verwelkt, die Sonne in der gleichen Landschaft auf- und untergehend zeigt. »Das Wesen des Barock ist die Gleichzeitigkeit seiner Handlungen«, Hausenstein l.c. S.9., heißt es ziemlich grobschlächtig, doch in einer Ahnung des Sachverhaltes bei Hausenstein. Denn fürs Vergegenwärtigen der Zeit im Raume – und was ist deren Säkularisierung anderes, als in die strikte Gegenwart sie wandeln? – ist Simultaneisierung des Geschehens das gründlichste Verfahren. – Die Zweiheit von Bedeutung und von Wirklichkeit hat in der Einrichtung der Bühne sich gespiegelt. Der Zwischenvorhang ließ ein Spiel auf der Vorderbühne mit Szenen, welche in die ganze Tiefe sich erstreckten, wechseln. Und »der Prunk, den man zu entfalten nicht zögerte, konnte ... nur auf der Hinterbühne recht vorgeführt werden«. Flemming: Andreas Gryphius und die Bühne 1. c. S. 131. Da nun die Auflösung der Situation nicht tunlich ohne die Apotheose des Schlusses war, so konnten sich die Verwicklungen im beschränkten Raume der Vorderbühne nur schürzen, die Lösung fand in der allegorischen Fülle statt. Die gleiche Teilung geht durch die tektonische Struktur des Ganzen. Es wurde angedeutet, daß ein klassizistisches Gerüst zum Ausdrucksstil in diesen Dramen kontrastierend steht. Auf ein entsprechendes Faktum stieß Hausenstein und behauptet, das Mathematische bestimme die Gestaltung des Außenbaus bei Schloß und Haus, bis zu einem gewissen Grade selbst bei der Kirche, der Innenstil sei das Feld der wuchernden Einbildungskraft. cf. Hausenstein l.c. S.71.. Wenn anders Überraschung, ja Verschlingung im Aufbau dieser Dramen für etwas steht und gegen eine klassizistische Durchsichtigkeit des Handlungslaufes zu betonen ist, so ist der Exotismus in der Stoffwahl ihm nicht fremd. Das Trauerspiel veranlaßt zur Erfindung der dichterischen Fabel nachdrücklicher als die Tragödie. Und wurde hier aufs bürgerliche Trauerspiel verwiesen, so könnte man in diesem Sinne weit gehen und an den ersten Titel über Klingers »Sturm und Drang« erinnern wollen. »Der Wirrwarr« hatte der Dichter dies Drama genannt. Verwicklung sucht schon das barocke Trauerspiel mit seinen Wechselfällen und Intrigen. Greifbar deutlich ist gerade hier, wie genau die Allegorie es betrifft. In einer komplizierten Konfiguration setzt sich der Sinn von seiner Handlung wie Lettern im Monogramm durch. Birken nennt eine Art der Singspiele ein Ballett, »damit andeutend, daß die Stellung und Anordnung der Figuren, und die Pracht des äußern Aufzuges dabei das Wesentlichste ist. Ein solches Ballett ist weiter Nichts als ein allegorisches Gemälde mit lebenden Figuren ausgeführt, und in seinen Scenen wechselnd. Das Gesprochene will Nichts weniger als ein Dialog sein; es ist nur eine Erklärung der Bilder, von ihnen selbst hergesagt.« Tittmann l.c. S.184.

 

Diese Erklärungen betreffen, wenn anders man auf die forcierte Anwendung verzichtet, auch Trauerspiele. Daß es in ihnen um die Schaustellung einer allegorischen Typik sich handelt, erhellt allein aus der Gepflogenheit der Doppeltitel. Es lohnte wohl der Mühe, nachzuforschen, warum nur Lohenstein nichts von ihr weiß. Von solchen Titeln geht der eine auf die Sache, der andere auf das Allegorische daran. In Anlehnung an mittelalterlichen Sprachgebrauch erscheint das allegorische Gebilde triumphierend. »Wie nun Catharine den sieg der heiligen liebe über den tod vorhin gewiesen, so zeigen diese den triumph oder das sieges-gepränge des todes über die irdische liebe«, Gryphius l.c. S.269 (Cardenio und Celinde, Inhalt). heißt es in der Inhaltsangabe von »Cardenio und Celinde«. »Der Hauptzweck dieses Hirtenspieles«, bemerkt Hallmann zu »Adonis und Rosibella«, »ist die Sinnreiche und über den Todt triumphierende Liebe.« Hallmann: Trauer-, Freuden- und Schäferspiele l.c. S.3 »Obsiegende Tugend« übertitelt Haugwitz den »Soliman«. Die neuere Mode dieser Ausdrucksform kam aus Italien, wo die trionfi in den Prozessionen herrschten. Die eindrucksvolle Übersetzung der »Trionfi«, cf. Petrarca: Sechs Triumphi oder Siegespraditen. In Deutsche Reime übergesetzet. Cöthen 1643. die 1643 in Köthen erschien, mag für die Geltung dieses Schemas förderlich gewesen sein. Von jeher war Italien, das Ursprungsland der Emblematik, in diesen Dingen tonangebend gewesen. Oder wie Hallmann sagt: »Die Italiäner gleich wie sie in allen Erfindungen excelliren: also haben sie nichts weniger in Emblematischer Entschattung« der »Menschlichen Unglückseeligkeit ... ihre Kunst erwiesen.« Hallmann: Leichreden l.c. S.124. Nicht selten ist die Rede in den Dialogen nur die an allegorischen Konstellationen, in welchen die Figuren zueinander sich befinden, hervorgezauberte Unterschrift. Kurz: die Sentenz erklärt das Szenenbild als seine Unterschrift für allegorisch. In diesem Sinne können denn Sentenzen sehr passend »schöne eingemengte Sprüche« Herodes der Kindermörder, Nach Art eines Trauerspiels ausgebildet und In Nürnberg Einer Teutschliebenden Gemeine vorgestellet durch Johan Klaj. Nürnberg 1S45; zitiert nach Tittmann l.c. S.156. heißen, wie Klai in der Vorrede des Herodesdramas sie nennt. Bestimmte Weisungen sind noch von Scaliger her für ihre Anordnung im Umlauf. »Die Lehr- und Dancksprüche (lies: Denksprüche) sind gleichsam des Trauerspiels Grundseulen; Solche aber müssen nicht von Dienern und geringen Leuten/ sondern von den fürnemsten und ältsten Personen angeführet ... werden.« Harsdörffer: Poetischer Trichter. 2. Teil, l.c. S.81. Aber nicht nur eigentlich emblematische Aussprüche, cf. Hallmann: Leichreden l.c. S.7. sondern ganze Reden klingen hin und wieder, als stünden sie von Haus aus unter einem allegorischen Kupfer. So die Eingangsverse des Helden im »Papinian«. »Wer über alle steigt und von der stoltzen höh | Der reichen ehre schaut, wie schlecht der pövel geh, | Wie unter ihm ein reich in lichten flammen krache, | Wie dort der wellen schaum sich in die felder mache | Und hier der himmel zorn, mit blitz und knall vermischt, | In thürm und tempel fahr, und was die nacht erfrischt, | Der heiße tag verbrenn, und seine sieges-zeichen | Sieht hier und dar verschränckt mit vielmahl tausend leichen, | Hat wol (ich geb es nach) viel über die gemein. | Ach! aber ach! wie leicht nimmt ihn der schwindel ein.« Gryphius l.c. S.512 (Ämilius Paulus Papinianus I, 1 ff.). Was in barocker Malerei der Lichteffekt, ist hier Sentenz: grell blitzt sie in dem Dunkel allegorischer Verschlingung auf. Wiederum schwingt sich eine Brücke zu älterem Ausdruck hinüber. Wenn Wilken in seiner Schrift »Über die kritische Behandlung der geistlichen Spiele« die Rollen solcher Spiele mit Spruchbändern, die »auf alten gemälden zu den bildern der personen, denen sie aus dem Munde gehen ... beigefügt sind«. E. Wilken: Über die kritische Behandlung der geistlichen Spiele. Halle 1873. S.10. verglichen hat, so kann das gleiche von vielen Stellen der Trauerspieltexte gelten. »Uns stört es«, konnte vor fünfundzwanzig Jahren R. M. Meyer noch schreiben, »wenn auf den Gemälden alter Meister den Figuren Spruchbänder aus dem Munde hingen ... und wir schaudern fast bei der Vorstellung, daß einmal jegliche von Künstlerhänden gefertigte Gestalt gleichsam ein solches Band im Munde trug, das der Beschauer lesen sollte wie einen Brief, um den Boten dann wieder zu vergessen. Dennoch dürfen wir ... nicht übersehen: daß dieser fast kindlichen Auffassung des Einzelnen eine großartige Gesamtauffassung zu Grunde lag.« Meyer l.c. S.367. Freilich wird deren kritische Betrachtung aus dem Stegreif sie nicht nur halbherzig beschönigen sondern auch von ihrem Verständnis sich so weit entfernen müssen, wie der Verfasser es mit der Erklärung tut, aus der »Urzeit« da »alles belebt« war, sei diese Anschauungsweise herzuleiten. Vielmehr – und das wird darzulegen sein – ist im Verhältnis zum Symbol die abendländische Allegorie ein spätes, auf sehr prägnanten kulturellen Auseinandersetzungen beruhendes Gebilde. Dem Spruchband ist die allegorische Sentenz vergleichbar. Und wieder anders ließe sie als Rahmen, als obligater Ausschnitt sich bezeichnen, in den die Handlung, stets verändert, stoßweise einrückt, um sich als emblematisches Süjet darin zu zeigen. Was das Trauerspiel kennzeichnet, ist also durchaus nicht Unbeweglichkeit, ja auch nur Langsamkeit des Vorgangs – »au lieu du mouvement on rencontre l'immobilité«, Wysocki l.c. S.61., bemerkt Wysocki – sondern die intermittierende Rhythmik eines beständigen Einhaltens, stoßweisen Umschlagens und neuen Erstarrens.

Je nachdrücklicher ein Vers sich als Sentenz einprägen will, desto reicher pflegt der Dichter ihn mit Namen von Dingen auszustatten, die der emblematischen Schilderei des Gemeinten entsprechen. Das Requisit, dessen Bedeutung im Barocktrauerspiel angelegt ist, bevor sie mit der Befugnis des Schicksalsdramas offenkundig wird, tritt in der Form der emblematischen Metapher im XVII. Jahrhundert schon aus der Latenz. In einer Stilgeschichte dieser Zeit – die Erich Schmidt zwar plante, aber nicht verwirklicht hat cf. Erich Schmidt 1.c. S.414. – wäre mit den Belegen dieser Bildmanier ein stattliches Kapitel anzufüllen. In ihnen allen ist die überwuchernde Metaphorik, der »ausschließlich sinnliche Charakter« Kerckhoffs 1.c. S.89. der Redefiguren einer Neigung zur allegorischen Ausdrucksweise, nicht aber einer viel berufenen ›poetischen Sinnlichkeit‹ zuzurechnen, weil gerade die entwickelte Sprache, und zwar auch die poetische, die ständige Betonung eines Metaphorischen, das ihr zugrunde liegt, vermeidet. Doch auf der andern Seite »das Prinzip..., die Sprache eines Teiles ihres sinnlichen Charakters zu entkleiden, sie abstrakter zu gestalten« als solches, »das sich bei Bestrebungen, die Sprache feinerem geselligen Verkehr dienstbar zu machen, stets offenbart«, Fritz Schramm: Schlagworte der Alamodezeit. Straßburg 1914. (Zeitschrift für deutsche Wortforschung. Beiheft zum 15. Bd.) S.2; cf. auch S.31/32. in jener ›modischen‹ Manier zu reden aufzusuchen, ist ebenso verkehrt und eine irrige Verallgemeinerung von einem Grundsatz ›alamodischer‹ Stutzersprache auf die ›modische‹ der damaligen großen Poesie. Denn das Preziöse dieser, wie überhaupt barocker Ausdrucksweise liegt zum großen Teile in dem extremen Rückgang auf die Worte für Konkreta. Und die Manie, dergleichen einzusetzen einerseits, die elegante Antithetik andrerseits zu zeigen, ist so entschieden, daß dem Abstraktum, wenn es denn schon unvermeidlich scheint, ganz ungemein oft das Konkretum dergestalt beigegeben ist, daß neue Worte Zustandekommen. So: »Verleumbdungs-Blitz«, Hallmann: Trauer-, Freuden- und Schäferspiele l.c. »Mariamne« S.41 (III, 103). »Hoffahrts-Gifft«, Hallmann l.c. »Mariamne« S.42 (III, 155). »Unschulds-Zedern«, Hallmann l.c. »Mariamne« S.44 (III, 207). »Freundschaffts-Blut«. Hallmann l.c. »Mariamne« S.45 (III, 226). Oder: »So weil auch Mariamn' als eine Natter beißt | Und mehr die Zwietrachts-Gall' als Friedens-Zucker liebet.« Hallmann l.c. »Mariamne« S.5 (I, 126/127). Triumphierend erweist sich das Gegenstück solcher Anschauungsweise, wo die bedeutende Aufteilung eines Lebendigen in die disiecta membra der Allegorie gelingt, so wie in einem Bilde des Hoflebens bei Hallmann. »Es hat Theodoric auch auff dem Meer geschifft/ | Wo statt der Wellen/ Eiß; des Saltzes/ heimlich Gifft/ | Der Ruder/ Schwerd und Beil; der Seegel/ Spinneweben; | Der Ancker/ falsches Bley/ des Nachens Glaß umgeben.« Hallmann l.c.. »Theodoricus Veronensis« S. 102 (V, 285 ff.). »Jeder Einfall«, heißt es sehr treffend bei Cysarz, »wird zum Bild platt gewalzt, sei er auch noch so abstrakt, und dieses Bild wird dann in Worte gestanzt, sei es auch noch so konkret.« Unter den Dramatikern unterliegt keiner dieser Manier wie Hallmann. Sie verdirbt ihm das Konzept seiner Dialoge. Denn kaum stellt irgendeine Kontroverse sich ein, so ist sie auch im Handumdrehen schon vom einen oder anderen Unterredner in ein Gleichnis verwandelt, das durch viele Repliken mehr oder weniger variiert, fortwuchert. Mit der Bemerkung »Der Tugenden Pallast kan Wollust nicht beziehn« beleidigt Sohemus den Herodes schwer: und der, weit entfernt diese Beschimpfung zu ahnden, versinkt bereits in die Allegorie: »Man siehet Eisen-Kraut bey edlen Rosen blühn.« Hallmann l.c. »Mariamne« S.65 (397/398). So verdunsten vielfach die Gedanken in Bildern. cf. Hallmann l.c. »Mariamne« S.57 (IV, 132 ff.). Auf einige der ungeheuerlichen Sprachgebilde, zu denen insbesondere diesen Dichter die Jagd nach den ›concetti‹ führte, ist von so manchen Literarhistorikern gewiesen worden. cf. Stachei l.c. S.336 ff. »Mund und Gemüthe stehn in einem Meineids-Kasten | Dem hitz'ger Eifer nun die Riegel loß gemacht.« Hallmann: Trauer-, Freuden- und Schäferspiele l.c. »Mariamne« S.42 (III, 160/161). »Seht/ wie dem Pheroras das traur'ge Sterbe-Kleid | Im Gifft-Glas wird gereicht.« Hallmann l.c. »Mariamne« S.101 (V, 826/827). »Imfall die Warheit kan der Greuel-That erhell'n/ | Daß Mariamnens Mund unreine Milch gesogen | Aus Tyridatens Brust/ so werde stracks vollzogen/ | Was Gott und Recht befihlt/ und Rath und König schleußt.« Hallmann l.c. »Mariamne« S.76 (V, 78). Gewisse Worte, bei Hallmann zumal »Comet«, finden groteske allegorische Verwendung. Um Unheilvolles, das im Schlosse zu Jerusalem sich zuträgt, zu kennzeichnen, bemerkt Antipater, daß »die Cometen sich in Salems Schloß begatten«. Hallmann l.c. »Mariamne« S.62 (IV, 296); cf. »Mariamne« S.12 (I, 351) S.38/39 (III, 32 u. 59), S.76 (V, 83) u. S.91 (V, 516); »Sophia« S.9 (I, 260); Hallmann: Leichreden l.c. S.497. Stellenweise scheint dies Bilderwesen kaum mehr regiert und das Dichten in Gedankenflucht auszuarten. Ein Musterstück dieser Art stellt Hallmann: »Die Frauen-List: Wenn meine Schlang' in edlen Rosen lieget/ | Und Züngelnd saugt den Weißheits-vollen Safft/ | Wird Simson auch von Delilen besieget/ | Und schnell beraubt der überird'schen Krafft: | Hat Joseph gleich der Juno Fahn getragen/ | Herodes ihn geküßt auff seinem Wagen/ | So schaut doch/ wie ein Molch (möglicherweise für: Dolch) diß Karten-Blat zerritzt/ | Weil ihm sein Eh-Schatz selbst durch List die Bahre schnitzt.« Hallmann: Trauer-, Freuden- und Schäferspiele l.c. »Mariamne« S.16 (I, 449 ff.). In der »Maria Stuarda« des Haugwitz bemerkt – sie spricht von Gott – eine Kammerfrau zur Königin: »Er treibt die See von unsern Hertzen/ | Daß derer Wellen stoltzer Guß | Uns offt erziehlet heisse Schmertzen/ | Doch ist es nur der Wunder-Fluß/ | Durch dessen unbegreifflichs regen/ | Sich unsers Unglücks Kranckheit legen.« Haugwitz l.c. »Maria Stuarda« S.35 (II, 125 ff.). Das ist ebenso dunkel und ebenso reich an Anspielungen wie die Psalmdichtung von Quirinus Kuhlmann. Die rationalistische Kritik, die diese Dichtungen in Acht und Bann tut, setzt mit Polemik gegen ihre sprachliche Allegorese ein. »Welche hieroglyphische und Rätzelmässige Dunckelheit schwebet über dem gantzen Ausdruck«, Breitinger l.c. S.224; cf. S.462 sowie Johann Jacob Bodmer Critische Betrachtungen über die Poetischen Gemählde Der Dichter. Zürich, Leipzig 1741. S.107 u. S.425 ff. heißt es von einer Stelle der Lohensteinschen »Cleopatra« in Breitingers »Critischer Abhandlung von der Natur, den Absichten und dem Gebrauche der Gleichnisse«. »Er hüllet die Begriff' in Gleichniß und Figur | als einen Kerker ein«. J.J. Bodmer Gedichte in gereimten Versen. Zweyte Auflage. Zürich 1754. S.32. bemerkt im gleichen Sinne Bodmer gegen Hofmannswaldau.

 

Diese Dichtung war in der Tat unfähig, den derart ins bedeutende Schriftbild gebannten Tiefsinn im beseelten Laut zu entbinden. Ihre Sprache ist voll von materialischem Aufwand. Niemals ist unbeschwingter gedichtet worden. Die Umdeutung der antiken Tragödie ist um nichts befremdender als die neue Hymnenform, die dem – wie immer dunklen und barocken – Schwung des Pindar gleichen wollte. Dem deutschen Trauerspiele des Jahrhunderts ist – mit Baader zu reden – nicht gegeben, sein Hieroglyphisches lautbar zu machen. Denn seine Schrift verklärt sich im Laute nicht; vielmehr bleibt dessen Welt ganz selbstgenugsam auf die Entfaltung ihrer eigenen Wucht bedacht. Schrift und Laut stehen in hochgespannter Polarität einander gegenüber. Ihr Verhältnis begründet eine Dialektik, in deren Licht der ›Schwulst‹ als durch und durch planvolle, konstruktive Sprachgeberde sich rechtfertigt. Die Wahrheit zu sagen, fällt diese Ansicht der Sache, als der reichsten und glücklichsten eine, dem, der die Quellenschriften aufgeschlossen vornimmt, in den Schoß. Nur wo ein Schwindel vor der Tiefe ihres Abgrunds die Kraft des forschenden Durchdenkens überwog, konnte der Schwulst zum Popanz der epigonalen Stilistik werden. Die Kluft zwischen bedeutendem Schriftbild und berauschendem Sprachlaut nötigt, wie das gefestete Massiv der Wortbedeutung in ihr aufgerissen wird, den Blick in die Sprachtiefe. Und wiewohl das Barock die philosophische Reflexion über dieses Verhältnis nicht kannte, geben Böhmes Schriften nicht zu mißdeutende Winke. Jakob Böhme, der größten Allegoriker einer, hat, wo er auf Sprache zu reden kommt, den Wert des Lautes dem stummen Tiefsinn gegenüber hochgehalten. Er hat die Lehre von der ›sensualischen‹ oder Natur-Sprache entwickelt. Und zwar ist diese nicht – das ist entscheidend – das Lautwerden der allegorischen Welt, als welche vielmehr ins Schweigen gebannt bleibt. ›Wortbarock‹ und ›Bildbarock‹ – wie Cysarz diese Ausdrucksformen nur eben benannt hat – sind polar ineinander fundiert. Unermeßlich ist im Barock die Spannung zwischen Wort und Schrift. Das Wort, so darf man sagen, ist die Ekstase der Kreatur, ist Bloßstellung, Vermessenheit, Ohnmacht vor Gott; die Schrift ist ihre Sammlung, ist Würde, Überlegenheit, Allmacht über die Dinge der Welt. So wenigstens gilt es im Trauerspiel, während in Böhmes freundlicherer Anschauung ein positiveres Bild der Lautsprache steht. »Das ewige Wort oder Göttliche Hall oder Stimme/ welche ein Geist ist/ das hat sich in Formungen als in ein außgesprochen Wort oder Hall mit der Gebährung des grossen Mysterii eingeführet/ und wie das Freuden-spiel im Geiste der ewigen Gebährung in sich selber ist/ also ist auch der Werckzeug/ als die außgesprochene Form in sich selber/ welches der lebendige Hall führet/ und mit seinem eigenen ewigen Willen-geist schläget/ daß es lautet und hallet/ gleich wie eine Orgel von vielen Stimmen mit einer einigen Lufft getrieben wird/ daß eine jede Stimme/ ja eine jede Pfeiffe ihren Thon gibt.« Jacob Böhme: De signatura rerum. Amsterdam 1682. S. 208. »Alles was von GOtt geredet/ geschrieben oder gelehret wird/ ohne die Erkäntnüß der Signatur, das ist stumm und ohne Verstand/ dann es kommt nur aus einem historischen Wahn/ von einem andern Mund/ daran der Geist ohne Erkäntnüß stumm ist: So ihm aber der Geist die Signatur eröffnet/ so verstehet er des andern Mund/ und versteht ferner/ wie sich der Geist ... im Hall mit der Stimme hat offenbahret ... Dann an der äusserlichen Gestaltnüß aller Creaturen/ an ihrem Trieb und Begierde/ item, an ihrem außgehenden Hall/ Stimm oder Sprache/ kennet man den verborgenen Geist ... Ein jedes Ding hat seinen Mund zur Offenbahrung. Und das ist die Natur-sprache/ daraus jedes Ding aus seiner Eigenschafft redet/ und sich immer selber offenbahret.« Böhme l.c. S.5 u. S.8/9. Die Lautsprache ist demnach der Bereich der freien, ursprünglichen Äußerung der Kreatur, wogegen das allegorische Schriftbild die Dinge in den exzentrischen Verschränkungen der Bedeutung versklavt. Diese Sprache, wie sie bei Böhme die der seligen, im Vers der Trauerspiele der gefallenen Kreaturen ist, wird als natürlich nicht nur ihrem Ausdruck, vielmehr selbst ihrer Genesis nach angesetzt. »Von den Wörtern ist diese alte Streitfrage/ ob dieselbige(!)/ als äusserliche Anzeigungen unsers inwendigen Sinnbegriffs/ weren von Natur oder Chur/ natürlich oder willkührlich/ φύσει oder δέσει: Und wird von den Gelahrten/ was die Wörter in den Hauptsprachen betrifft/ dieses einer sonderbaren natürlichen Wirckung zugeschrieben.« Knesebeck l.c. »Kurtzer Vorbericht An den Teutschliebenden und geneigten Leser« Bl. aa/bb. Selbstverständlich ging unter den »Hauptsprachen« die »deutsche Haupt- und Heldensprache« – so zum ersten Male in Fischarts »Geschichtklitterung« 1575 – voran. Ihre unmittelbare Abstammung vom Hebräischen war weitverbreitete Theorie und nicht die radikalste. Andere führten das Hebräische, Griechische, Lateinische sogar aufs Deutsche zurück. Man »bewies«, sagt Borinski, »in Deutschland historisch aus der Bibel, daß ursprünglich die ganze Welt, also auch die des klassischen Altertums, deutsch sei«. Borinski: Die Antike in Poetik und Kunsttheorie. Bd. 2, l.c. S.18. So suchte man einerseits die entlegensten Bildungsgehalte sich anzueignen, andererseits war man darauf bedacht, das Erkünstelte dieser Haltung zu vertuschen und bemühte sich um eine heftige Verkürzung der historischen Perspektive. Im gleichen atmosphärenlosen Raum ist alles aufgestellt. Was aber die gänzliche Angleichung aller Lautphänomene an einen Urständ der Sprache betrifft, so wurde die bald spiritualistisch, bald ins Naturalistische gewendet. Die Theorie von Böhme und die Praxis der Nürnberger bezeichnen die Extreme. Für beides lag bei Scaliger ein, gewiß nur sachlicher, Ausgangspunkt. Die fragliche Stelle der »Poetik« lautet merkwürdig genug. »In A, latitudo. In I, longitudo. In E, profunditas. In O, coarctatio ... Multum potest ad animi suspensionem, quae in Voto, in Religione: praesertim cum producitur, vt dij. etiam cum corripitur: Pij. Et ad tractum omnen denique designandum, Littora, Lites, Lituus, It, Ira, Mitis, Diues, Ciere, Dicere, Diripiunt ... Dij, Pij, Iit: non sine manifestissima Spiritus profectione. Lituus non sine soni, quem significat, similitudine ... P, tarnen quandam quaerit firmitatem. Agnosco enim in Piget, pudet, poenitet, pax, pugna, pes, paruus, pono, pauor, piger, aliquam fictionem. Parce metu, constantiam quandam insinuat. Et Pastor plenius, quam Castor. sie Plenum ipsum, et Purum, Posco, et alia eiusmodi. T, vero plurimum sese ostentat: Est enim litera sonitus explicatrix, fit namque sonus aut per S, aut per R, aut per T. Tuba, tonitru, tundo. Sed in fine tametsi maximam verborum claudit apud Latinos partem, tarnen in iis, quae sonum afferunt, affert ipsum quoque soni non minus. Rupit enim plus rumpit, quam Rumpo.« Scaliger l.c. S.478 u. S.481 (IV, 47). Analog, unabhängig von Scaliger selbstverständlich, hat Böhme seine Lautspekulationen verfolgt. »Nicht als ein Reich der Wörter, sondern ... in ihre Laute und Klänge aufgelöst«, Hankamer l.c. S.159. steht die Sprache der Kreaturen ihm im Gemüt. »A war ihm der erste Buchstabe, der aus dem Herzen dringt, i das Zentrum der höchsten Liebe, das r weil es ›schnarrt, prasselt und rasselt‹, hat den Charakter des Feuerquelles, s war ihm heiliges Feuer.« Josef Nadler: Literaturgeschichte der Deutschen Stämme und Landschaften. Bd. 2: Die Neustämme von 1300, die Altstämme von 1600 – 1780. Regensburg 1913. S.78. Man darf annehmen: die Evidenz, welche solche Beschreibungen damals gehabt haben, verdanken sie zum Teil der Lebenskraft der Dialekte, die noch überall in Blüte standen. Denn die Normierungsversuche der Sprachgesellschaften beschränkten sich auf das Schriftdeutsch. – Andrerseits wurde die kreatürliche Sprache naturalistisch als onomatopoetisches Gebilde beschrieben. Buchners Poetik ist dafür bezeichnend und führt darin nur seines Lehrers Opitz Meinung durch. cf. auch Schutzschrift/ für Die Teutsche Spracharbeit/ und Derselben Beflissene, durch den Spielenden. In: Frauenzimmer Gesprechspiele. Erster Theil. Nürnberg 1644. S.12. Eigentliche Onomatopoetik ist zwar gerade nach Buchner in den Trauerspielen nicht statthaft. cf. Borcherdt: Augustus Buchner l.c. S.84/85 u. S.77 (Anm. 2). Aber eben das Pathos ist gewissermaßen der königliche Naturlaut des Trauerspiels. Am weitesten gehen die Nürnberger. Klajus behauptet, »es sei kein Wort im Deutschen, welches nicht Dasjenige, was es bedeute, durch ein ›sonderliches Gleichniß‹ ausdrücke«. Tittmann l.c. S.228. Umgekehrt wendet Harsdörffer den Satz. »Die Natur redet in allen Dingen/ welche ein Getön von sich geben/ unsere Teutsche Sprache/ und daher haben etliche wähnen wollen/ der erste Mensch Adam habe das Geflügel und alle Thier auf Erden nicht anderst als mit unseren Worten nennen können/ weil er jedes eingeborne selbstlautende Eigenschafft Naturmäßig ausgedruket; und ist sich deswegen nicht zu verwundern/ daß unsere Stammwörter meinsten Theils mit der heiligen Sprache gleichstimmig sind.« Harsdörffer: Schutzschrift für die deutsche Spracharbeit 1. c. S. 14. Daraus leitete er die Aufgabe der deutschen Lyrik ab, »diese Sprache der Natur gleichsam in Worten und Rhythmen aufzufangen. Für ihn wie auch für Birken war eine solche Lyrik sogar eine religiöse Forderung, weil Gott es ist, der sich im Rauschen der Wälder ... und im Brausen des Sturmes offenbart.« Strich l.c. S.45/46.] Ähnliches kommt im Sturm und Drang wieder zum Vorschein. »Die allgemeine Sprache der Völker ist Thränen und Seufzer; – ich verstehe auch den hülflosen Hottentotten und werde mit Gott, wenn ich aus Tarent bin, nicht taub sein!... Der Staub hat Willen, das ist mein erhabenster Gedanke an den Schöpfer, und den allmächtigen Trieb zur Freiheit schätz' ich auch in der sich sträubenden Fliege.« Leisewitz l.c. S.45/46 (Julius von Tarent II, 5). Das ist die Philosophie der Kreatur und ihrer Sprache, gelöst aus dem Zusammenhang des Allegorischen.

 

Die Ableitung des Alexandriners als Versform des barocken Trauerspiels aus jener strengen Unterschiedenheit der beiden Hälften, die oft zur Antithetik führt, reicht nicht ganz hin. Nicht weniger charakteristisch ist, wie mit der logischen – und wenn man will: der klassizistischen – Gestaltung der Fassade die phonetische Wildheit im Innern kontrastiert. Ist doch, mit Omeis zu reden, der »tragische Stilus ... mit prächtigen, langtönenden Wörtern angefüllet«. Magnus Daniel Omeis: Gründliche Anleitung zur Teutschen aecuraten Reim- und Dichtkunst. Nürnberg 1704; zitiert nach Popp l.c. S. 45. Wenn man im Angesicht der kolossalen Proportion barocker Baukunst und barocker Malerei die »Raumerfüllung vortäuschende Eigenschaft« Borinski: Die Antike in Poetik und Kunsttheorie. Bd. 1, l.c. S. 190. von beiden hervorheben konnte, so hat die im Alexandriner malerisch ausladende Sprache des Trauerspiels die gleiche Aufgabe. Die Sentenz muß – so stationär auch die von ihr getroffene Handlung im Moment verharrt – Bewegung wenigstens vortäuschen; darin lag eine technische Notwendigkeit des Pathos. Deutlich wird die Gewalt, die noch Sentenzen, weil überhaupt dem Verse, eignet, von Harsdörffer anschaulich gemacht. »Warum solche Spiele meistentheils in gebundner Rede geschrieben werden? Antwort: weil die Gemüter eifferigst sollen bewegt werden/ ist zu den Trauer- und Hirtenspielen das Reimgebäud bräuchlich/ welches gleich einer Trompeten die Wort/ und Stimme einzwenget/ daß sie so viel grössern Nachdruk haben.« Harsdörffer: Poetischer Trichter. 2. Teil, l.c. S.78/79. Und da die an dem Bilderfundus oftmals unfrei haftende Sentenz das Denken gern in ausgefahrne Gleise schiebt, wird Lautliches um so beachtenswerter. Unvermeidlich war, daß die stilkritische Behandlung auch des Alexandriners dem allgemeinen Irrtum der älteren Philologie verfiel, die antiken Anregungen oder auch Vorwände der Formgebung als die Indizien ihres Wesens hinzunehmen. Typisch ist folgende in ihrem ersten Teile sehr zutreffende Anmerkung aus Richters Untersuchung »Liebeskampf 1630 und Schaubühne 1670«: »Der besondere Kunstwert der großen Dramatiker des 17. Jahrhunderts hängt mit der schöpferischen Ausprägung ihres Wortstiles aufs engste zusammen. Viel mehr als die Charakteristik oder gar die Komposition ... behauptet die hohe Tragödie des 17. Jahrhunderts ihre einzige Stellung durch das, was sie mit den rhetorischen Kunstmitteln, die in letzter Linie immer auf die Antike zurückgehen, leistet. Aber die bilderschwere Gedrungenheit und der festgefügte Bau der Perioden und Stilfiguren widerstrebten nicht nur dem Gedächtnis der Schauspieler, sondern sie wurzelten doch in dieser völlig heterogenen Formwelt der Antike so sehr, daß der Abstand von der Volkssprache ein unendlich großer war ... Es ist bedauerlich, daß man ... keinerlei Dokumente darüber besitzt, wie sich der Durchschnittsmensch mit ihr abfand.« Werner Richter: Liebeskampf 1630 und Schaubühne 1670. Ein Beitrag zur deutschen Theatergeschichte des siebzehnten Jahrhunderts. Berlin 1910. (Palaestra. 78.) S.170/171. Wäre selbst die Sprache dieser Dramen ausschließlich Gelehrtenangelegenheit gewesen, so hätten Ungeschulte immer an den Schaustücken ihre Freude gehabt. Aber der Schwulst entsprach den Ausdrucksimpulsen der Zeit, und diese Impulse pflegen ungleich stärker zu sein, als der verstandesmäßige Anteil an einer bis in die Einzelheiten transparenten Fabel. Die Jesuiten, die sich meisterhaft auf das Publikum verstanden, haben bei ihren Aufführungen kaum ein ausschließlich lateinkundiges Auditorium gehabt. cf. Flemming: Geschichte des Jesuitentheaters in den Landen deutscher Zunge l.c. S.270 ff. Sie durften der alten Wahrheit sich überzeugt halten, daß die Autorität einer Äußerung so wenig von ihrer Faßlichkeit abhängt, daß sie durch Dunkelheit vielmehr gesteigert werden kann.

Die sprachtheoretischen Grundsätze und die Gepflogenheiten dieser Dichter treiben ein Grundmotiv allegorischer Anschauung an einer durchaus überraschenden Stelle hervor. In den Anagrammen, den onomatopoetischen Wendungen und vielen Sprachkunststücken anderer Art stolziert das Wort, die Silbe und der Laut, emanzipiert von jeder hergebrachten Sinnverbindung, als Ding, das allegorisch ausgebeutet werden darf. Die Sprache des Barock ist allezeit erschüttert von Rebellionen ihrer Elemente. Und die folgende Stelle aus Calderons Herodesdrama ist nur der Anschaulichkeit nach, dank ihrer Kunst, verwandten, insbesondere des Gryphius, überlegen. Durch einen Zufall wird Mariamne, des Herodes Gattin, der Fetzen eines Briefes ansichtig, in welchem ihr Gemahl, für den Fall seines eigenen Todes, sie, seine vermeintlich gefährdete Ehre zu wahren, zu töten befiehlt. Diese Fetzen nimmt sie vom Boden auf und von ihrem Inhalt gibt sie in höchst prägnanten Versen sich Rechenschaft. »Was enthalten denn die Blätter? | Tod ist gleich das erste Wort, | Das ich finde; hier steht: Ehre, | Und dort les' ich: Mariamne. | Was ist dieses? Himmel, rette! | Denn sehr viel sagt in drei Worten | Mariamne, Tod und Ehre, | Hier steht: in der Stille; hier: | Würde; hier: heischt; und hier: Streben; | Und hier: sterb' ich, fährt es fort, | Doch was zweifl' ich? Schon belehren | Mich die Falten des Papiers, | Die, entfaltend solchen Frevel, | Auf einander sich beziehen, | Flur, auf deinem grünem Teppich, | Laß mich sie zusammen fügen!« Calderon: Schauspiele. Übers. von Gries. Bd. 3, l.c. S. 316 (Eifersucht das größte Scheusal II). Die Worte erweisen sich noch in ihrer Vereinzelung verhängnisvoll. Ja man ist versucht zu sagen, schon die Tatsache, daß sie, so vereinzelt, noch etwas bedeuten, gibt dem Bedeutungsrest, der ihnen verblieb, etwas Drohendes. Dergestalt wird die Sprache zerbrochen, um in ihren Bruchstücken sich einem veränderten und gesteigerten Ausdruck zu leihen. Das Barock hat in die deutsche Rechtschreibung die Majuskel eingebürgert. Nicht nur der Anspruch auf Pomp sondern zugleich das zerstückelnde, dissoziierende Prinzip der allegorischen Anschauung kommt darin zur Geltung. Zweifellos haben zunächst von den großgeschriebenen Worten viele für den Leser einen Einschlag ins Allegorische gewonnen. Die zertrümmerte Sprache hat in ihren Stücken aufgehört, bloßer Mitteilung zu dienen und stellt als neugeborner Gegenstand seine Würde neben die der Götter, Flüsse, Tugenden und ähnlicher, ins Allegorische hinüberschillernder Naturgestalten. So ganz besonders drastisch, wie gesagt, beim Jüngern Gryphius. Läßt ein Gegenstück zu der unvergleichlichen Calderonstelle dem Deutschen sich auch weder hier noch sonst entnehmen, so tritt denn doch neben die Feinheit des Spaniers die Wucht des Andreas Gryphius nicht unrühmlich. Denn ganz erstaunlich meistert er die Kunst, Personen wie mit ausgebrochenen Redestücken einander im Disput entgegnen zu lassen. So in der »zweiten Abhandlung« des »Leo Armenius«. »Leo: Diß hauß wird stehn, dafern des hauses feinde fallen, | Theodosia: Wo nicht ihr fall verletzt, die dieses hauß umwallen. | Leo: Umwallen mit dem schwerdt. Theodosia: Mit dem sie uns beschützt. | Leo: Das sie auf uns gezuckt. Theodosia: Die unsern stuhl gestützt.« Gryphius l.c. S.62 (Leo Armenius II, 455 ff.). Wo die Entgegnungen böse und heftig werden, finden sich Häufungen zerstückter Redeteile mit Vorliebe. Sie sind bei Gryphius zahlreicher als bei den Spätern cf. Stachel l.c. S.261. und fügen nebst den schroffen Lakonismen sich gut in das stilistische Gesamtbild seiner Dramen: denn beide rufen sie den Eindruck des Zerbrochenen und Chaotischen hervor. So glücklich diese Technik der Darstellung theatralischer Erregungen sich bietet, so wenig ist sie auf das Drama angewiesen. Als pastoralen Kunstgriff weiß sie sich in der folgenden Äußerung bei Schiebel: »Noch heutiges Tages bekömmt manchmal ein andächtiger Christ ein Tröpfflein Trostes/ (auch wohl ein Wörtgen nur / aus einem geistreichen Liede oder erbaulichen Predigt/) das schlingt er (gleichsam) so appetitlich hinunter/ daß es ihm wohl gedeyet/ inniglich afficiret/ und dermassen erquicket/ daß er bekennen muß/ es stecke was Göttliches darunter.« Schiebel l.c. S.358. Nicht umsonst stellt solch eine Redewendung die Aufnahme der Worte gleichsam dem Geschmackssinn anheim. Lautliches ist und bleibt dem Barock ein rein Sinnliches; die Bedeutung ist in der Schrift zu Hause. Und das verlautbarte Wort wird nur gleichwie von einer unentrinnbaren Krankheit von ihr heimgesucht; im Austönen bricht es ab und eine Stauung des Gefühls, das sich zu ergießen bereit war, weckt die Trauer. Bedeutung begegnet hier und wird noch weiterhin begegnen als der Grund der Traurigkeit. Ihre äußerste Schärfe müßte die Antithetik von Laut und Bedeutung erhalten, wo es gelänge, beide in einem zu geben, ohne daß im Sinne des organischen Sprachbaus sie sich zusammenfänden. Diese deduzierbare Aufgabe ist mit einer Szene gelöst, die als Meisterstück in einer übrigens uninteressanten wiener Haupt- und Staatsaktion prangt. In der »Glorreichen Marter Joannes von Nepomuck« zeigt im ersten Akt die vierzehnte Szene einen der Intriganten (Zytho) als Echo bei den mythologischen Reden seines Opfers (Quido) fungieren, wie er mit todverheißenden Bedeutungen ihnen Antwort gibt. cf. Die Glorreiche Marter Joannes von Nepomuck; zitiert nach Weiß l.c. S.148 ff. Das Umschlagen des rein Lautlichen der kreatürlichen Sprache in die bedeutungsschwangere Ironie, die aus dem Munde des Intriganten zurücktönt, ist für das Verhältnis dieser Charge zur Sprache höchst kennzeichnend. Der Intrigant ist der Herr der Bedeutungen. Im harmlosen Erguß einer onomatopoetischen Natursprache sind sie die Hemmung und Ursprung einer Trauer, an welcher mit ihnen der Intrigant schuld ist. Wenn nun gerade das Echo, die eigentliche Domäne eines freien Lautspiels, von Bedeutung sozusagen befallen wird, so mußte vollends dies als eine Offenbarung des Sprachlichen, wie jene Zeit es fühlte, sich erweisen. Dafür war denn auch eine Form vorgesehn. »Etwas sehr ›artiges‹ und Beliebtes ist das Echo, das die letzten zwei oder drei Silben einer Strophe wiederholt, und zwar oft durch Weglassung eines Buchstabens so, daß es wie Antwort, Warnung oder Prophezeihung klingt.« Dies Spiel wie andre seinesgleichen, die man so leicht für Allotria nahm, redet also zur Sache selber. In ihnen verleugnet sich die Sprachgeberde des Schwulstes so wenig, daß sie sehr wohl seine Formel illustrieren könnten. Die Sprache, die einerseits in der Klangfülle kreatürlich ihr Recht sich zu nehmen sucht, ist andererseits im Verlauf der Alexandriner unausgesetzt an eine forcierte Logizität gebunden. Dies das stilistische Gesetz des Schwulstes, die Formel von »Asiatischen Worten« Hallmann: Trauer-, Freuden- und Schäferspiele l.c. S.1 der Trauerspiele. Die Geste, welche dergestalt sich die Bedeutung einzukörpern sucht, ist eins mit der gewaltsamen Verformung der Geschichte. In der Sprache wie im Leben allein die Typik kreatürlicher Bewegung anzunehmen und doch das Ganze der Kulturwelt von der Antike bis zum christlichen Europa auszusprechen – das ist die außerordentliche Gesinnung, die auch im Trauerspiel sich nie verleugnet. Seiner ungeheuer gekünstelten Ausdrucksweise liegt also dieselbe extreme Natursehnsucht zum Grunde wie den Schäferspielen. Andererseits ist gerade diese Ausdrucksweise, welche nur repräsentiert – nämlich die Natur der Sprache repräsentiert – und die profane Mitteilung tunlichst umgeht, höfisch, vornehm. Von einer wahren Überwindung des Barock, einer Versöhnung von Laut und Bedeutung, kann man vielleicht nicht früher als bei Klopstock dank der, von A. W. Schlegel so genannten, gleichsam ›grammatischen‹ Tendenz seiner Oden reden. Sein Schwulst beruht viel weniger auf Klang und Bild als auf der Wortzusammensetzung, der Wortstellung.

 

Die phonetische Spannung in der Sprache des XVII. Jahrhunderts führt geradezu auf die Musik als Widerpart der sinnbeschwerten Rede. Wie alle Wurzeln des Trauerspiels sich mit denen des Pastorale versdfilingen, so auch diese. Was als tänzerischer ›Reyen‹ von Beginn an, als oratorischer Sprechchor je länger je mehr im Trauerspiel sich ansiedelt, bekennt sich im Schäferspiel ohne weiteres als opernhaft. Die »Leidenschaft für das Organische«, Hausenstein l.c. S.14. von der man längst beim bildlichen Barock gesprochen hat, ist nicht so leicht im dichterischen zu umreißen. Und immer wird dabei zu merken sein, daß nicht so sehr der äußeren Gestalt als der geheimnisvollen Innenräume des Organischen in solchen Worten zu gedenken ist. Aus diesen Innenräumen dringt die Stimme und recht betrachtet liegt in ihrer Herrschaft in der Tat ein, wenn man will, organisches Moment der Dichtung, wie es zumal bei Hallmann in oratorienhaften Einlagen zu studieren ist. Er schreibt: »Palladius: Der zuckersüsse Tantz ist Göttern selbst geweiht! | Antonius: Der zuckersüsse Tantz verzuckert alles Leid! | Svetonius: Der zuckersüsse Tantz beweget Stein' und Eisen! | Julianius: Den zuckersüssen Tantz muß Plato selber preisen! | Septitius: Der zuckersüsse Tantz besieget alle Lust! | Honorius: Der zuckersüsse Tantz erquicket Seel' und Brust!« Hallmann: Trauer-, Freuden- und Schäferspiele l.c. »Sophia« S. 70 (V, 185 ff.); cf.S.4 (I, 108 ff.). Aus stilistischen Gründen wird man annehmen können, daß solche Stellen im Chore gesprochen wurden. cf. Richard Maria Werner: Johann Christian Hallmann als Dramatiker. In: Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien 50 (1899), S.691. – Dagegen Horst Steger: Johann Christian Hallmann. Sein Leben und seine Werke. Diss., Leipzig (Druck: Weida i. Th.) 1909. S.89. So auch Flemming bei Gelegenheit des Gryphius: »Den Nebenrollen allzuviel zuzumuten ging nicht an. Drum läßt er sie wenig sprechen, faßt sie viel lieber zum Chor zusammen, und erreicht auf diese Weise wichtige künstlerische Wirkungen, die durch ein naturalistisches Sprechen der einzelnen nie sich hätten erreichen lassen. So wendet der Künstler den Zwang des Materiales zum Nutzen der künstlerischen Wirkung.« Flemming: Andreas Gryphius und die Bühne l.c. S.401. Man hat an die Richter, Verschworenen und Trabanten im »Leo Armenius«, an den Hofstaat der Catharina, die Jungfrauen der Julia zu denken. Zur Oper drängte ferner die musikalische Ouvertüre, die dem Schauspiel bei Jesuiten und Protestanten voranging. Auch die choreographischen Einlagen wie der im tieferen Sinn choreographische Stil der Intrige sind dieser Entwicklung, welche zu Ende des Jahrhunderts die Auflösung des Trauerspiels in die Oper brachte, nicht fremd. – Die Zusammenhänge, auf welche diese Erinnerungen es abstellen, sind von Nietzsche in der »Geburt der Tragödie« entwickelt worden. Ihm war daran gelegen, Wagners ›tragisches‹ Gesamtkunstwerk gegen die spielerische Oper, welche im Barock sich vorbereitete, gebührend abzuheben. Er sagt ihr Fehde an in der Verwerfung des Rezitativs. Und damit stand er denn bei jener Form, die einer modischen Tendenz, den Urlaut aller Kreatur neu zu beleben, so ganz entsprach. »Man durfte sich ... dem Traume überlassen, jetzt wieder in die paradiesischen Anfänge der Menschheit hinabgestiegen zu sein, in der nothwendig auch die Musik jene unübertroffne Reinheit, Macht und Unschuld gehabt haben müßte, von der die Dichter in ihren Schäferspielen so rührend zu erzählen wußten ... Das Recitativ galt als die wiederentdeckte Sprache jenes Urmenschen; die Oper als das wiederaufgefundene Land jenes idyllisch oder heroisch guten Wesens, das zugleich in allen seinen Handlungen einem natürlichen Kunsttriebe folgt, das bei allem, was es zu sagen hat, wenigstens etwas singt, um, bei der leisesten Gefühlserregung, sofort mit voller Stimme zu singen ... Der kunstohnmächtige Mensch erzeugt sich eine Art von Kunst, gerade dadurch, daß er der unkünstlerische Mensch an sich ist. Weil er die dionysische Tiefe der Musik nicht ahnt, verwandelt er sich den Musikgenuß zur verstandesmäßigen Wort- und Tonrhetorik der Leidenschaft im stilo rappresentativo und zur Wohllust der Gesangeskünste; weil er keine Vision zu schauen vermag, zwingt er den Maschinisten und Decorationskünstler in seinen Dienst; weil er das wahre Wesen des Künstlers nicht zu erfassen weiß, zaubert er vor sich den ›künstlerischen Urmenschen‹ nach seinem Geschmack hin, d. h. den Menschen, der in der Leidenschaft singt und Verse spricht.« Nietzsche l.c. S. 132 ff. So unzulänglich jeglicher Vergleich mit der Tragödie – von dem mit musikalischen zu schweigen – für die Erkenntnis von der Oper bleibt, so unverkennbar ist, daß von der Dichtung und zumal vom Trauerspiele aus die Oper als Verfallsprodukt erscheinen muß. Die Hemmung der Bedeutung wie der Intrige verliert ihr Gewicht und widerstandslos rollt der Verlauf der Opernfabel wie der Opernsprache ab, um im Banalen zu münden. Mit der Hemmung verschwindet Trauer, die Seele des Werks, und wie das dramatische Gefüge entleert wird, so auch das szenische, das nun, da die Allegorie, wo sie nicht fortfällt, taubes Schaustück wird, eine andre Rechtfertigung sich sucht.

Die schwelgerische Lust am bloßen Klang hat ihren Anteil am Verfall des Trauerspiels. Demungeachtet aber ist Musik – nicht dem Gefallen der Autoren, sondern ihrem eigenen Wesen nach – dem allegorischen Drama innig vertraut. Zumindest würde die Musikphilosophie der wahlverwandten Romantiker, die hier vernommen werden dürfen, dies lehren. Zumindest würde in ihr, und nur in ihr, die Synthesis der vom Barock bedachtsam; aufgerissenen Antithetik und erst mit ihr das volle Recht der Antithetik sich ergeben. Zumindest ist mit einer dergestalt romantischen Betrachtungsart der Trauerspiele doch gefragt, wie die Musik bei Shakespeare und bei Calderon zu ihnen anders als rein theatralisch sich geselle. Denn das tut sie. Und so darf der folgenden Darlegung des genialen Johann Wilhelm Ritter zugemutet werden, eine Perspektive zu eröffnen, in welche das Eindringen als eine unverantwortliche Improvisation diese Darstellung sich versagen muß. Einer fundamentalen geschichtsphilosophischen Auseinandersetzung über Sprache, Musik und Schrift allein wäre es unternehmbar. Es folgen Stellen einer langen, wenn man so sagen darf monologisierenden, Abhandlung, in welcher dem Forscher aus einem Briefe über die Chladnischen Klangfiguren unterm Schreiben vielleicht fast absichtslos die vieles kräftig oder tastender umgreifenden Gedanken sich entspinnen: »Schön wäre es«, bemerkt er von jenen Linien, die auf einer mit Sand bedeckten Glasplatte beim Anschlagen verschiedener Töne verschieden sich abzeichnen, »wie, was hier äußerlich klar würde, genau auch wäre, was uns die Klangfigur innerlich ist: – Lichtfigur, Feuerschrift ... Jeder Ton hat somit seinen Buchstaben immediate bey sich ... Die so innige Verbindung von Wort und Schrift, – daß wir schreiben, wenn wir sprechen ... hat mich längst beschäftigt. Sage selbst: wie verwandelt sich uns wohl der Gedanke, die Idee ins Wort; und haben wir je einen Gedanken, oder eine Idee, ohne ihre Hieroglyphe, ihren Buchstaben, ihre Schrift? – Fürwahr, so ist es; aber wir denken gewöhnlich nicht daran. Daß einst aber, bey kräftigerer Menschennatur, wirklich mehr daran gedacht wurde, beweißt das Daseyn von Wort und Schrift. Ihre erste, und zwar absolute, Gleichzeitigkeit lag darin, daß das Sprachorgan selbst schreibt, um zu sprechen. Nur der Buchstabe spricht, oder besser: Wort und Schrift sind gleich an ihrem Ursprunge eins, und keines ohne das andere möglich ... Jede Klangfigur eine electrische, und jede electrische eine Klangfigur.« (J. W. Ritter:) Fragmente aus dem Nachlasse eines jungen Physikers. Ein Taschenbuch für Freunde der Natur. Hrsg. von J. W. Ritter. Zweytes Bändchen. Heidelberg 1810. S.227 ff. »Ich wollte ... also die Ur- oder Naturschrift auf electrischem Wege wiederfinden oder doch suchen.« Ritter l.c. S.230. »Wirklich ist die ganze Schöpfung Sprache, und so buchstäblich durch das Wort geschaffen, und das geschaffene und schaffende Wort selbst ... Diesem Wort ist aber auch im Großen der Buchstabe so unzertrennlich verbunden, als im Kleinen.« Ritter l.c. S.242. »In solche Schrift und Nachschrift, Abschrift, gehört vornemlich alle bildende Kunst: Architectur, Plastik, Malerey, u.s.w.« Ritter l.c. S.246. Mit dieser Ausführung schließt die virtuelle romantische Theorie der Allegorie gleichsam fragend ab. Und jede Antwort hätte diese Rittersche Divination unter die ihr gemäßen Begriffe zu bringen; Laut- und Schriftsprache, wie auch immer einander zu nähern, so doch nicht anders als dialektisch, als Thesis und Synthesis, zu identifizieren, jenem antithetischen Mittelgliede der Musik, der letzten Sprache aller Menschen nach dem Turmbau, die ihr gebührende zentrale Stelle der Antithesis zu sichern und wie aus ihr, nicht aber aus dem Sprachlaut unmittelbar, die Schrift erwächst, zu erforschen. Aufgaben, die weit über das Bereich romantischer Intuitionen wie auch untheologischen Philosophierens hinausliegen. Virtuell bleibt diese romantische Theorie des Allegorischen, dennoch ein unverkennbares Denkmal der Verwandtschaft von Barock und Romantik. Unnötig hinzuzufügen, daß eigentliche Erörterungen der Allegorie, wie Friedrich Schlegels im »Gespräch über die Poesie« cf. Friedrich Schlegel: Seine prosaischen Jugendschriften. Hrsg. von J. Minor. 2. Bd.: Zur deutschen Literatur und Philosophie. 2. Aufl., Wien 1906. S.364. die Tiefe der Ritterschen Ausführung nicht erreichen, ja, Friedrich Schlegels laxem Sprachgebrauch gemäß, mit dem Satze, alle Schönheit sei Allegorie, doch wohl nichts weiter vorbringen wollen als den klassizistischen Gemeinplatz, sie sei Symbol. Anders Ritter. Mitten ins Zentrum allegorischer Anschauung trifft er mit seiner Lehre, alles Bild sei nur Schriftbild. Das Bild ist im Zusammenhange der Allegorie nur Signatur, nur Monogramm des Wesens, nicht das Wesen in seiner Hülle. Dennoch hat Schrift nichts Dienendes an sich, fällt beim Lesen nicht ab wie Schlacke. Ins Gelesene geht sie ein als dessen ›Figur‹. Die Drucker, ja die Dichter des Barock haben die Schriftfigur der intensivsten Aufmerksamkeit gewürdigt. Von Lohenstein weiß man, daß er »die Umschrift des Kupfers: ›Castus amor Cygnis vehitur, Venus improba corvis‹ eigenhändig in ihrer besten Druckgestalt auf dem Papiere« Müller l.c. S.71 (Anm.). geübt hat. Herder findet – und das gilt heute noch – die Barockliteratur »im Druck und in Verzierungen ... fast unübertroffen«. Herder: Vermischte Schriften l.c. S.193/194.. Und so ganz fehlte die Ahnung der umfassenden Zusammenhänge von Sprache und Schrift, die das Allegorische philosophisch begründen und die Lösung ihrer wahren Spannung in sich schließen, dem Zeitalter nicht. Wenn anders nämlich Strichs ebenso geistvolle wie einleuchtende Vermutung über die Bildergeschichte das Rechte trifft, bei denen »der Gedanke zugrunde gelegen haben mag, daß die wechselnde Länge der Verse, wenn sie eine organische Form nachbildet, auch einen organisch an- und abschwellenden Rhythmus ergeben muß«. Strich l.c. S.42. Durchaus in diese Richtung weist Birkens Meinung – dem Floridan der »Dannebergischen Helden-Beut« in den Mund gelegt – »jedes Naturgeschehen in dieser Welt könnte die Auswirkung oder Stoffwerdung eines kosmischen Schalls oder Klangs sein, selbst die Bewegung der Gestirne«. Cysarz l.c. S.114. Das erst macht die sprachtheoretische Einheit von Wort- und Bildbarock.


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