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Allegorie und Trauerspiel. (Erster Teil)

Wer diese gebrechliche Hüten/ wo das Elend alle Ecken
zieret/ mit einem vernünftigen Wortschlusse wolte begläntzen/
der würde keinen unförmlichen Ausspruch
machen/ noch das Zielmaß der gegründeten Wahrheit
überschreiten/ wann er die Welt nennte einen allgemeinen
Kauffladen/ eine Zollbude des Todes/ wo der
Mensch die gangbahre Wahre/ der Tod der wunderbahre
Handels-Mann/ Gott der gewisseste Buchhalter/ das
Grab aber das versiegelte Gewand und Kauff-Hauß
ist.

Christoph Männling: Schaubühne des Todes/ oder Leich-Reden Motto – Männling l.c. S.86/87.

Seit mehr als hundert Jahren lastet auf der Philosophie der Kunst die Herrschaft eines Usurpators, der in den Wirren der Romantik zur Macht gelangt ist. Das Buhlen der romantischen Ästhetiker um glänzende und letztlich unverbindliche Erkenntnis eines Absoluten hat in den simpelsten kunsttheoretischen Debatten einen Symbolbegriff heimisch gemacht, der mit dem echten außer der Bezeichnung nichts gemein hat. Der nämlich, zuständig in dem theologischen Bereiche, vermöchte nie und nimmer in der Philosophie des Schönen jene gemütvolle Dämmerung zu verbreiten, die seit dem Ende der Frühromantik immer dichter geworden ist. Doch gerade der erschlichene Gebrauch von dieser Rede vom Symbolischen ermöglicht die Ergründung jeder Kunstgestalt ›in ihrer Tiefe‹ und trägt ungemessen zum Komfort kunstwissenschaftlicher Untersuchungen bei. Bei diesem, dem vulgären Sprachgebrauch, ist das Auffallendste, daß der Begriff, der in gleichsam imperativischer Haltung auf eine unzertrennliche Verbundenheit von Form und Inhalt sich bezieht, in den Dienst einer philosophischen Beschönigung der Unkraft tritt, der da mangels dialektischer Stählung in der Formanalyse der Inhalt, in der Inhaltsästhetik die Form entgeht. Denn dieser Mißbrauch findet, und zwar überall da, statt, wo im Kunstwerk die ›Erscheinung‹ einer ›Idee‹ als ›Symbol‹ angesprochen wird. Die Einheit von sinnlichem und übersinnlichem Gegenstand, die Paradoxie des theologischen Symbols, wird zu einer Beziehung von Erscheinung und Wesen verzerrt. Die Einführung des derart entstellten Symbolbegriffs in die Ästhetik ging als romantische und lebenswidrige Verschwendung der Öde in der neueren Kunstkritik voran. Als symbolisches Gebilde soll das Schöne bruchlos ins Göttliche übergehen. Die schrankenlose Immanenz der sittlichen Welt in der des Schönen ist von der theosophischen Ästhetik der Romantiker entwickelt worden. Aber ihr Grund war längst gelegt. Deutlich genug geht die Tendenz der Klassik auf die Apotheose des Daseins im nicht nur sittlich vollendeten Individuum. Typisch romantisch ist erst die Einstellung dieses vollendeten Individuums in einen zwar unendlichen doch heilsgeschichtlichen, ja heiligen Verlauf. cf. Walter Benjamin: Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik. Bern 1920. (Neue Berner Abhandlungen zur Philosophie und ihrer Geschichte, 5.) S.6/7 (Anm. 3) u. S.80/81. Ist aber erst einmal das ethische Subjekt ins Individuum gesunken, so kann kein Rigorismus – sei es auch der kantische – es retten und seinen männlichen Kontur bewahren. Sein Herz verliert sich in der schönen Seele. Und der Aktions-, nein, nur der Bildungsradius des dergestalt vollendeten, des schönen Individuums beschreibt den Kreis des ›Symbolischen‹. Demgegenüber ist die barocke Apotheose dialektisch. Sie vollzieht sich im Umschlagen von Extremen. In dieser exzentrischen und dialektischen Bewegung spielt die gegensatzlose Innerlichkeit des Klassizismus schon darum keine Rolle, weil die aktualen Probleme des Barock als religionspolitische gar nicht so sehr das Individuum und seine Ethik als seine kirchliche Gemeinschaft betrafen. – Gleichzeitig mit dem profanen Symbolbegriff des Klassizismus bildet sein spekulatives Gegenstück, der des Allegorischen, sich heraus. Eine eigentliche Lehre von der Allegorie ist zwar damals nicht entstanden noch hatte es sie vordem gegeben. Den neuen Begriff des Allegorischen als spekulativ zu bezeichnen ist aber dadurch gerechtfertigt, daß er in der Tat als der finstere Fond abgestimmt war, gegen den die Welt des Symbols hell sich abheben sollte. Die Allegorie, sowenig wie viele andere Ausdrucksformen, ist durch ›Veralten‹ nicht schlechtweg um ihre Bedeutung gekommen. Vielmehr spielt hier wie oft ein Widerstreit zwischen der früheren und späteren mit, der um so eher im stillen sich auszutragen geneigt war, als er begrifflos, tief und erbittert war. So fremd stand um achtzehnhundert die symbolisierende Denkweise der originären allegorischen Ausdrucksform gegenüber, daß die sehr vereinzelten Versuche theoretischer Auseinandersetzung für die Ergründung der Allegorie wertlos – desto kennzeichnender für die Tiefe des Antagonismus – sind. Als eine negative Nachkonstruktion der Allegorie darf man die folgende versprengte Äußerung Goethes bezeichnen: »Es ist ein großer Unterschied, ob der Dichter zum Allgemeinen das Besondere sucht oder im Besondern das Allgemeine schaut. Aus jener Art entsteht Allegorie, wo das Besondere nur als Beispiel, als Exempel des Allgemeinen gilt; die letztere aber ist eigentlich die Natur der Poesie: sie spricht ein Besonderes aus, ohne ans Allgemeine zu denken oder darauf hinzuweisen. Wer nun dieses Besondere lebendig faßt, erhält zugleich das Allgemeine mit, ohne es gewahr zu werden, oder erst spät.« Goethe: Sämtliche Werke. Jubiläums-Ausgabe l.c. Bd. 38: Schriften zur Literatur. 3. S.261 (Maximen und Reflexionen). So hat, veranlaßt durch ein Schreiben Schillers, sich Goethe zur Allegorie gestellt. Er kann keinen bedenkenswerten Gegenstand in ihr gefunden haben. Ausführlicher eine etwas spätere gleichgesinnte Bemerkung von Schopenhauer. »Wenn nun der Zweck aller Kunst Mittheilung der aufgefaßten Idee ist ...; wenn ferner das Ausgehen vom Begriff in der Kunst verwerflich ist, so werden wir es nicht billigen können, wenn man ein Kunstwerk absichtlich und eingeständlich zum Ausdruck eines Begriffes bestimmt: dieses ist der Fall in der Allegorie ... Wenn also ein allegorisches Bild auch Kunstwerth hat, so ist dieser von dem, was es als Allegorie leistet, ganz gesondert und unabhängig: ein solches Kunstwerk dient zweien Zwecken zugleich, nämlich dem Ausdruck eines Begriffes und dem Ausdruck einer Idee: nur letzterer kann Kunstzweck seyn; der andere ist ein fremder Zweck, die spielende Ergötzlichkeit, ein Bild zugleich den Dienst einer Inschrift, als Hieroglyphe, leisten zu lassen ... Zwar kann ein allegorisches Bild auch gerade in dieser Eigenschaft lebhaften Eindruck auf das Gemüth hervorbringen: dasselbe würde dann aber, unter gleichen Umständen, auch eine Inschrift wirken. Z.B. wenn in dem Gemüth eines Menschen der Wunsch nach Ruhm dauernd und fest gewurzelt ist... und dieser tritt nun vor den Genius des Ruhmes mit seinen Lorbeerkronen; so wird sein ganzes Gemüth dadurch angeregt und seine Kraft zur Thätigkeit aufgerufen: aber dasselbe würde auch geschehen, wenn er plötzlich das Wort ›Ruhm‹ groß und deutlich an der Wand erblickte.« Schopenhauer: Sämmtliche Werke l.c. Bd. 1: Die Welt als Wille und Vorstellung. 1. 2. Abdr., Leipzig o.J. S.314 ff. Wie nahe mit der letzten Bemerkung das Wesen der Allegorie gestreift ist – der logizistische Grundzug der Darstellung, die in dem Unterschiede von ›dem Ausdruck eines Begriffes und dem Ausdruck einer Idee‹ genau die moderne und unhaltbare Rede von Allegorie und Symbol aufnimmt unbeschadet, daß Schopenhauer selbst den Symbolbegriff anders einstellt –, hindert diese Ausführungen, aus der Reihe der kurzen und bündigen Abfertigungen der allegorischen Ausdrucksform irgendwie herauszutreten. Solche Ausführungen sind bis in die jüngste Zeit maßgebend geblieben. Selbst große Künstler, ungemeine Theoretiker, wie Yeats, cf. William Butler Yeats: Erzählungen und Essays. Übertr. und eingel. von Friedrich Eckstein. Leipzig 1916. S.114. bleiben in der Annehme, Allegorie sei ein konventionelles Verhältnis zwischen einem bezeichnenden Bilde und seiner Bedeutung. Von den authentischen Dokumenten der neueren allegorischen Anschauungsweise, den literarischen und graphischen Emblemenwerken des Barock, pflegen die Autoren nur vage Kenntnis zu besitzen. Aus den späten und verbreiteteren Nachzüglern des XVIII. Jahrhunderts spricht deren Geist so schwächlich, daß nur der Leser der ursprünglicheren Werke auf die ungebrochene Kraft der allegorischen Intention stößt. Vor jene aber stellte sich mit dem Verdikt das klassizistische Vorurteil. Es ist, mit einem Wort, die Denunzierung einer Ausdrucksform, wie die Allegorie sie darstellt, als einer bloßen Weise der Bezeichnung. Allegorie das zu erweisen dienen die folgenden Blätter – ist nicht spielerische Bildertechnik, sondern Ausdruck, so wie Sprache Ausdruck ist, ja so wie Schrift. Hier eben lag das experimentum crucis. Gerade die Schrift erschien als konventionelles Zeichensystem vor allen andern. Schopenhauer ist der einzige nicht, der die Allegorie mit dem Hinweis, sie unterscheide sich nicht wesentlich von der Schrift, für abgetan hält. An diesem Einwurf hängt zuletzt das Verhältnis zu jedem großen Gegenstande der Barockphilologie. Deren philosophische Fundierung – sie mag mühevoll, sie mag weitläufig scheinen – ist unumgänglich. Und in ihr Zentrum drängt die Diskussion des Allegorischen; ihr Vorstoß ist in der »Deutschen Barockdichtung« von Herbert Cysarz unverkennbar. Doch sei es, der behauptete Primat der Klassik als der Entelechie barocker Dichtung vereitele, wie deren Wesenseinsicht überhaupt, so insbesondere die Ergründung der Allegorie, sei es, das beharrliche Vorurteil gegen sie rücke den Klassizismus als den eigenen Ahnherrn folgerecht in den Vordergrund – die neue Erkenntnis, daß Allegorik »das beherrschende Stilgesetz in Sonderheit des Hochbarock« Cysarz 1.c. S.40. sei, kommt durch den Versuch, ganz nebenher als Schlagwort ihre Formulierung einzubringen, um ihren Wert. »Nicht so sehr die Kunst des Symbols als die Technik der Allegorie« Cysarz 1.c. S.296. sei dem Barock im Gegensatz zur Klassik eigen. Der Zeichencharakter soll auch mit dieser neuen Wendung ihr zuerkannt werden. Es bleibt bei dem alten Vorurteil, dem Creuzer mit dem Terminus der »Zeichenallegorie« Friedrich Creuzer: Symbolik und Mythologie der alten Völker, besonders der Griechen. 1. Theil. 2., völlig umgearb. Ausg., Leipzig, Darmstadt 1819. S.118.] zu eigener sprachlicher Prägung verholfen hat.

Im übrigen sind doch gerade die großen theoretischen Ausführungen über Symbolik im ersten Bande der Creuzerschen »Mythologie« mittelbar für die Erkenntnis von dem Allegorischen sehr wertvoll. Neben der älteren banalen Lehre, die in ihnen überdauert, enthalten sie Beobachtungen, deren erkenntnistheoretischer Ausbau Creuzer viel weiter hätte führen können, als er gelangt ist. So setzt er das Wesen der Symbole, denen er den Rang, den Abstand von dem Allegorischen will gewahrt wissen, in die folgenden vier Momente: »Das Momentane, das Totale, das Unergründliche ihres Ursprungs, das Nothwendige« Creuzer 1.c. S.64. und vorzüglich bemerkt er an anderer Stelle zu dem ersten: »Jenes Erweckliche und zuweilen Erschütternde hängt mit einer andern Eigenschaft zusammen, mit der Kürze. Es ist wie ein plötzlich erscheinender Geist, oder wie ein Blitzstrahl, der auf einmal die dunkele Nacht erleuchtet. Es ist ein Moment, der unser ganzes Wesen in Anspruch nimmt ... Wegen jener fruchtbaren Kürze vergleichen sie« – die Alten – »es namentlich mit dem Lakonismus ... In wichtigen Lagen des Lebens, wo jeder Moment eine folgenreiche Zukunft verbirgt, die Seele in Spannung erhält, in verhängnißvollen Augenblicken, waren daher auch die Alten der göttlichen Anzeigen gewärtig, die sie ... Symbola nannten.« Creuzer 1.c. S.59 ff. Dagegen lauten denn die »Forderungen an das Symbol ... Klarheit ... Kürze ... das Liebliche und das Schöne« Creuzer 1.c. S.66/67. und vernehmlich spricht in der ersten und den beiden letzten eine Anschauungsweise, die Creuzer mit den klassizistischen Symboltheorien teilt. Das ist die Lehre von dem Kunstsymbol, das als ein höchstes vom befangenen religiösen oder auch mystischen zu unterscheiden sei. Daß Winckelmanns Verehrung der griechischen Skulptur, auf deren Götterbilder in diesem Zusammenhang exemplifiziert wird, für Creuzer hier maßgebend war, steht außer Zweifel. Das Kunstsymbol ist plastisch. Aus Creuzers Antithese des plastischen und mystischen Symbols spricht Winckelmannscher Geist. »Hier waltet das Unaussprechliche vor, das, indem es Ausdruck suchet, zuletzt die irdische Form, als ein zu schwaches Gefäß, durch die unendliche Gewalt seines Wesens zersprengen wird. Hiermit ist aber sofort die Klarheit des Schauens selbst vernichtet, und es bleibet nur ein sprachloses Erstaunen übrig.« Im plastischen Symbol »strebet das Wesen nicht zum Überschwenglichen hin, sondern, der Natur gehorchend, füget es sich in deren Form, durchdringet und belebet sie. Jener Widerstreit zwischen dem Unendlichen und dem Endlichen ist also auf gelöset, dadurch daß jenes, sich selbst begränzend, ein Menschliches ward. Aus dieser Läuterung des Bildlichen einerseits, und aus der freiwilligen Verzichtleistung auf das Unermeßliche andrerseits, erblühet die schönste Frucht alles Symbolischen. Es ist das Göttersymbol, das die Schönheit der Form mit der höchsten Fülle des Wesens wunderbar vereinigt, und, weil es in der Griechischen Sculptur am vollendetsten ausgeführt ist, das plastische Symbol heißen kann.« Creuzer 1.c. S.63/64. ›Menschliches‹ als die höchste ›Fülle des Wesens‹ suchte der Klassizismus und griff in diesem Verlangen, wie es die Allegorie verschmähen mußte, auch nur ein Trugbild des Symbolischen. Demgemäß begegnet denn auch bei Creuzer ein den kurrenten Theorien nicht fernstehender Vergleich des Symbols »mit der Allegorie, die der gewöhnliche Sprachgebrauch so oft mit dem Symbole verwechselt«. Creuzer 1.c. S.68. Der »Unterschied zwischen symbolischer und allegorischer Darstellung«: »Diese bedeutet blos einen allgemeinen Begriff, oder eine Idee, die von ihr selbst verschieden ist; jene ist die versinnlichte, verkörperte Idee selbst. Dort findet eine Stellvertretung statt ... Hier ist dieser Begriff selbst in diese Körperwelt herabgestiegen, und im Bilde sehen wir ihn selbst und unmittelbar.« Damit aber kehrt Creuzer zu seiner originalen Konzeption zurück. »Es ist daher auch der Unterschied beider Arten in das Momentane zu setzen, dessen die Allegorie ermangelt ... Dort« – im Symbol – »ist momentane Totalität; hier ist Fortschritt in einer Reihe von Momenten. Daher auch die Allegorie, nicht aber das Symbol, den Mythus unter sich begreift ..., dessen Wesen das fortschreitende Epos am vollkommensten ausspricht.« Creuzer 1.c. S.70/71. Doch weit entfernt, daß diese Einsicht zu einer neuen Wertung der allegorischen Ausdrucksweise geführt hätte, heißt es vielmehr, auf diesen Sätzen gründend, an andrer Stelle von den ionischen Naturphilosophen: »Sie setzen das von der geschwätzigen Sage verdrängte Symbol in seine alten Rechte ein: das Symbol, das, ursprünglich ein Kind der Bildnerei, selbst noch der Rede einverleibt, durch seine bedeutsame Kürze, durch die Totalität und gedrungene Exuberanz seines Wesens, weit mehr als die Sage geeignet ist, das Eine und Unaussprechliche der Religion anzudeuten.« Creuzer 1.c. S.199. Zu diesen und dergleichen Ausführungen macht Görres brieflich die vorzügliche Anmerkung: Auf die »Annahme des Symbols als Seyn, der Allegorie als Bedeuten, gebe ich nichts ... Wir können uns vollkommen begnügen mit der Erklärung, die das Eine als in sich beschlossenes, gedrungenes, stetig in sich beharrendes Zeichen der Ideen nimmt, diese aber als ein successiv fortschreitendes, mit der Zeit selbst in Fluß gekommenes, dramatisch bewegliches, strömendes Abbild derselben anerkennt. Beide sind zu einander wie stumme, große, gewaltige Berg- und Pflanzennatur, und lebendig fortschreitende Menschengeschichte.« Creuzer 1.c. S.147/148. Manches ist damit ins Rechte gestellt. Denn der Widerstreit einer Symboltheorie, die den Akzent auf das naturhaft Berg- und Pflanzenartige im Wuchse des Symbols legt und Creuzers Betonung des Momentanen darinnen, weist auf den wahren Sachverhalt sehr deutlich hin. Das Zeitmaß der Symbolerfahrung ist das mystische Nu, in welchem das Symbol den Sinn in sein verborgenes und, wenn man so sagen darf, waldiges Innere aufnimmt. Andererseits ist die Allegorie von einer entsprechenden Dialektik nicht frei und die kontemplative Ruhe, mit welcher sie in den Abgrund zwischen bildlichem Sein und Bedeuten sich versenkt, hat nichts von der unbeteiligten Süffisanz, die in der scheinbar verwandten Intention des Zeichens sich findet. Wie gewaltig in diesem Abgrund der Allegorie die dialektische Bewegung braust, das muß unterm Studium der Trauerspielform deutlicher als bei jedem andern an Tag treten. Jene weltliche, die geschichtliche Breite, die Görres und Creuzer der allegorischen Intention zuschreiben, ist als Naturgeschichte, als Urgeschichte des Bedeutens oder der Intention dialektischer Art. Unter der entscheidenden Kategorie der Zeit, welche in dieses Gebiet der Semiotik getragen zu haben die große romantische Einsicht dieser Denker war, läßt das Verhältnis von Symbol und Allegorie eindringlich und formelhaft sich festlegen. Während im Symbol mit der Verklärung des Unterganges das transfigurierte Antlitz der Natur im Lichte der Erlösung flüchtig sich offenbart, liegt in der Allegorie die facies hippocratica der Geschichte als erstarrte Urlandschaft dem Betrachter vor Augen. Die Geschichte in allem was sie Unzeitiges, Leidvolles, Verfehltes von Beginn an hat, prägt sich in einem Antlitz – nein in einem Totenkopfe aus. Und so wahr alle ›symbolische‹ Freiheit des Ausdrucks, alle klassische Harmonie der Gestalt, alles Menschliche einem solchen fehlt – es spricht nicht nur die Natur des Menschendaseins schlechthin, sondern die biographische Geschichtlichkeit eines einzelnen in dieser seiner naturverfallensten Figur bedeutungsvoll als Rätselfrage sich aus. Das ist der Kern der allegorischen Betrachtung, der barocken, weltlichen Exposition der Geschichte als Leidensgeschichte der Welt; bedeutend ist sie nur in den Stationen ihres Verfalls. Soviel Bedeutung, soviel Todverfallenheit, weil am tiefsten der Tod die zackige Demarkationslinie zwischen Physis und Bedeutung eingräbt. Ist aber die Natur von jeher todverfallen, so ist sie auch allegorisch von jeher. Bedeutung und Tod sind so gezeitigt in historischer Entfaltung wie sie im gnadenlosen Sündenstand der Kreatur als Keime enge ineinandergreifen. Die Perspektive des entsponnenen Mythos als Allegorie, wie sie bei Creuzer ihre Rolle spielt, erschließt sich als gemäßigte modernere letzten Endes aus dem gleichen barocken Gesichtspunkt. Gegen sie richtet bezeichnend sich Voß: »Homers Sagen von Welt und Gottheit nahm Aristarch mit allen Besonnenen für einfältigen Glauben der nestorischen Heldenzeit. Krates aber, dem der Geograf Strabo und die späteren Grammatiker sich anschlössen, betrachtete sie als urweltliche Sinnbilder von orfischen Geheimlehren, vorzüglich aus Ägypten. Solche Sinnbildnerei, welche die Erfahrungen und Religionssätze nachhomerischer Zeiten willkührlich in die Urzeit rückte, blieb herrschend, die Mönchsjahrhunderte hindurch, und ward meistens Allegorie genannt.« Johann Heinrich Voss: Antisymbolik. Bd. 2. Stuttgart 1826. S.223. Diese Beziehung von Mythos auf Allegorie mißbilligt der Verfasser; ihre Denkbarkeit aber gesteht er zu, und sie beruht auf einer Theorie der Sage wie sie Creuzer entwickelt. Das Epos ist in der Tat die klassische Form einer Geschichte der bedeutenden Natur wie die Allegorie ihre barocke. Verwandt, wie sie beiden Geistesrichtungen war, mußte die Romantik Epos und Allegorie einander annähern. Und so hat Schelling das Programm der allegorischen Epenauslegung in dem berühmten Diktum formuliert: die Odyssee sei die Geschichte des menschlichen Geistes, die Ilias die Geschichte der Natur.

Mit einer sonderbaren Verschränkung von Natur und Geschichte tritt der allegorische Ausdruck selbst in die Welt. Es ist das Lebenswerk Karl Giehlows gewesen, über dessen Ursprung Licht zu verbreiten. Erst seit seiner monumentalen Untersuchung über »Die Hieroglyphenkunde des Humanismus in der Allegorie der Renaissance, besonders der Ehrenpforte Kaisers Maximilian I.« ist es möglich geworden, auch historisch zu beglaubigen, daß und wie die neuere, im xvi. Jahrhundert entspringende Allegorie von der mittelalterlichen sich abhebt. Gewiß – und das wird im Verlaufe dieser Studie als höchst bedeutungsvoll erscheinen – hängen beide genau und wesentlich zusammen. Doch nur wo der Zusammenhang sich als Konstante von der historischen Variablen abhebt, gibt er sich dem Gehalt nach zu erkennen, und solche Scheidung ist erst nach Giehlows Entdeckung möglich geworden. Unter den ältern Forschern scheinen nur Creuzer, Görres, insbesondere aber Herder einen Blick für die Rätsel dieser Ausdrucksform besessen zu haben. Gerade von den fraglichen Epochen bekennt der letzte: »Die Geschichte dieser Zeit und dieses Geschmacks liegt noch sehr im Dunkeln.« J. G. Herder: Vermischte Schriften. Bd. 5: Zerstreute Blätter. Zweyte, neu durchgesehene Ausgabe, Wien 1801. S.58. Seine eigene Vermutung: »Man ahmte den alten Mönchsgemählden nach; aber mit viel Verstände und großer Anschauung der Dinge, daher ich dies Zeitalter beinahe das emblematische nennen möchte«, Herder 1.c. S.194., geht im Geschichtlichen fehl, spricht aber aus einer Ahnung vom Gehalt dieser Literatur mit der er den romantischen Mythologen überlegen ist. Creuzer bezieht sich auf ihn in Ausführungen über das neuere Emblem. »Auch späterhin blieb man noch dieser Liebe zum Allegorischen zugethan, ja mit dem sechszehnten Jahrhundert schien sie wieder neu aufzuleben ... In derselben Periode nahm die Allegorie unter den Deutschen, nach dem Ernste ihres Nationalcharakters, eine mehr ethische Richtung. Mit den Fortschritten der Reformation mußte das Symbolische als Ausdruck der Religionsgeheimnisse mehr und mehr verschwinden ... Die alte Liebe zum Anschaulichen äußerte sich ... in sinnbildlichen Darstellungen moralischer und politischer Art. Mußte die Allegorie doch oft jetzt selbst die neuerkannte Wahrheit versinnlichen. Ein großer Schriftsteller unserer Nation, der, nach seinem umfassenden Geiste, auch diese Äußerung deutscher Kraft nicht kindisch und unmündig findet, sondern würdig und betrachtungswerth, nimmt von der damaligen Allgemeinheit jener Darstellungsweise Veranlassung, jenes Zeitalter der Reformation das emblematische zu nennen, und giebt darüber beherzigenswerthe Winke.« 19 Creuzer 1.c. S.227/228. Dem damaligen schwankenden Stande der Kenntnis gemäß, vermochte auch Creuzer nur die Wertung, nicht die Erkenntnis der Allegorie zu korrigieren. Erst Giehlows Werk, als solches historischer Art, eröffnet die Möglichkeit geschichtlich-philosophischer Durchdringung dieser Form. Den Anstoß ihres Werdens entdeckte er in den Bemühungen der humanistischen Gelehrten um die Entzifferung der Hieroglyphen. Sie entnahmen die Methode ihrer Versuche einem pseudepigraphischen Corpus, den zu Ende des II., möglicherweise auch des IV. Jahrhunderts nach Christus verfaßten »Hieroglyphica« des Horapollon. Diese beschäftigen sich – das charakterisiert sie und bestimmte von Grund auf ihren Einfluß auf die Humanisten – nur mit den sogenannten symbolischen oder änigmatischen Hieroglyphen, bloßen Bildzeichen, wie sie außerhalb der kurrenten phonetischen im Rahmen der sakralen Unterweisung als letzte Stufe einer mystischen Naturphilosophie dem Hierogrammaten vorgeführt wurden. Mit den Reminiszenzen dieser Lektüre ging man an die Obelisken und ein Mißverständnis wurde Grundlage der reichen, unabsehbar verbreiteten Ausdrucksform. Denn von der allegorischen Auslegung ägyptischer Hieroglyphen, bei der an Stelle von historischen und kultischen Daten naturphilosophische, moralische und mystische Gemeinplätze sich einstellten, schritten die Literaten zum Ausbau dieser neuen Schriftart fort. Es entstanden die Ikonologien, welche nicht nur deren Phrasen ausbildeten, ganze Sätze »Wort für Wort durch besondere Bildzeichen« Karl Giehlow: Die Hieroglyphenkunde des Humanismus in der Allegorie der Renaissance, besonders der Ehrenpforte Kaisers Maximilian I. Ein Versuch. Mit einem Nachwort von Arpad Weixlgärtner. Wien, Leipzig 1915. (Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des allerhöchsten Kaiserhauses. Bd. 32, Heft 1.) S.36. übersetzten, sondern nicht selten als Lexika auftraten. cf. Cesare Ripa: Iconologia. Roma 1609.. »Unter der Führung des Künstler-Gelehrten Alberti begannen so die Humanisten, statt mit Buchstaben mit Dingbildern (rebus) zu schreiben, entstand so auf Grund der änigmatischen Hieroglyphen das Wort ›Rebus‹ und füllten sich mit solchen Räthselschriften die Medaillen, Säulen, Ehrenpforten und alle möglichen Kunstgegenstände der Renaissance.« Giehlow: Die Hieroglyphenkunde des Humanismus in der Allegorie der Renaissance 1.c. S.34. »Mit der griechischen Lehre von der Freiheit künstlerischer Anschauung entnahm die Renaissance dem Alterthum gleichzeitig das ägyptische Dogma des künstlerischen Zwanges. Beide Anschauungen mußten in einem durch geniale Künstler zunächst zurückgedrängten Kampfe liegen und die letztere siegen, sobald ein hieratischer Geist die Welt beherrschte.« Giehlow 1.c. S.12.] Immer erkennbarer wird in den Hervorbringungen des reifen Barock der Abstand von den hundert Jahre früheren Anfängen der Emblematik und immer flüchtiger die Ähnlichkeit mit dem Symbol und dringlicher die hieratische Ostentation. So etwas wie natürliche Theologie der Schrift spielt denn schon in den »Libri de re aedificatoria decem« des Leon Battista Alberti seine Rolle. »Bei Gelegenheit einer Untersuchung über die an Grabmälern anzubringenden Titel, Zeichen und Sculpturen nimmt er Veranlassung, eine Parallele zwischen der Buchstabenschrift und den ägyptischen Zeichen zu ziehen. Er betont als Mangel der ersteren, daß sie, nur ihrer Zeit bekannt, später der Vergessenheit anheimfallen müsse ... Im Gegensatz dazu hebt er das System der Ägypter hervor, wie sie z.B. durch ein Auge Gott, den Geier die Natur, einen Kreis die Zeit, das Rind den Frieden kennzeichnen.« Giehlow 1.c. S.31. Gleichzeitig aber wandte die Spekulation sich einer weniger rationalistischen Apologie der Emblematik zu, die viel entschiedener das Hieratische der Form bekennt. In seinem Kommentar zu den Plotinschen »Enneaden« bemerkt Marsilius Ficinus über die Hieroglyphik, durch sie »hätten« die ägyptischen Priester »etwas dem göttlichen Denken Entsprechendes schaffen wollen, da ja die Gottheit das Wissen aller Dinge nicht als eine wechselnde Vorstellung sondern gleichsam als die einfache und feste Form der Sache selbst besitze. Die Hieroglyphen also ein Abbild der göttlichen Ideen! Als Beispiel dient ihm die für den Zeitbegriff gebrauchte Hieroglyphe der geflügelten, sich in das Schwanzende beißenden Schlange. Denn die Vielfältigkeit und Beweglichkeit der menschlichen Vorstellung von der Zeit, wie sie im schnellen Kreislauf den Anfang mit dem Ende verbinde, wie sie Klugheit lehre, Sachen bringe und nehme, diese ganze Gedankenreihe enthalte das bestimmte und feste Bild des Schlangenkreises.« Giehlow 1.c. S.23. Was anders als die theologische Überzeugung, daß die Hieroglyphen der Ägypter eine, jede Dunkelheit der Natur aufhellende, Erbweisheit enthalten, spricht aus Pierio Valerianos Satz: »Quippe cum hieroglyphice loqui nihil aliud sit, quam diuinarum humanarumque rerum naturam aperire.« Hieroglyphica sive de sacris aegyptiorum literis commentarii, Ioannis Pierii Valeriani Bolzanii Belluensis. Basileae 1556. Titelbl. Ebendiese »Hieroglyphica« bemerken in ihrer »Epistola nuncupatoria«: »Nee deerit occasio recte sentientibus, qui aecommodate ad religionem nostram haec retulerint et exposuerint. Nee etiam arborum et herbarum consideratio nobis ociosa est, cum B. Paulus et ante eum Dauid ex rerum creatarum cognitione, Dei magnitudinem et dignitatem intellegi tradant. Quae cum ita sint, quis nostrum tarn torpescenti, ac terrenis faeeibusque immerso erit animo, qui se non innumeris obstrictum a Deo benefieiis fateatur, cum se hominem creatum uideat, et omnia quae coelo, aëre, aqua, terraque continent, hominis causa generata esse.« Pierio Valeriano 1.c. Bl. 4 Nicht so der Teleologie der Aufklärung, der Menschenglück der oberste Naturzweck war, als einer gänzlich andern des Barock ist im ›hominis causa‹ zu gedenken. Gewidmet weder irdischer noch sittlicher Glückseligkeit der Kreaturen, ist sie angelegt einzig auf ihre geheimnisvolle Unterweisung. Denn dem Barock gilt die Natur als zweckmäßig für den Ausdruck ihrer Bedeutung, für die emblematische Darstellung ihres Sinnes, die als allegorische unheilbar verschieden von seiner geschichtlichen Verwirklichung bleibt. Geschichte galt in den moralischen Exempeln und den Katastrophen nur als ein stoffliches Moment der Emblematik. Es siegt das starre Antlitz der bedeutenden Natur und ein für allemal soll die Geschichte verschlossen bleiben in dem Requisit. Christlich-didaktisch ist die mittelalterliche Allegorie – in mystisch-naturhistorischem Sinne geht das Barock auf die Antike zurück. Es ist die ägyptische, doch bald auch die griechische. Als Entdecker ihrer geheimen Erfindungsschätze galt Ludovico da Feltre, »von seiner unterirdisch-›grotesken‹ Entdeckertätigkeit ›il Morto‹ genannt. Auch an den antiken Maler, den man sich als Klassiker der Groteske aus der vielerörterten Stelle des Plinius über die Dekorationsmalerei heraushob, den ›Balkonmaler‹ Serapion, hat sich durch Vermittlung eines gleichnamigen Anachoreten schließlich in der Literatur die Personifikation des Unterirdisch-Phantastischen, Geheim-Gespenstischen geknüpft (in E.T.A. Hoffmanns ›Serapionsbrüdern‹). Denn schon damals scheint sich das Rätselhaft-Geheime der Wirkung beizugesellen dem Unterirdisch-Geheimen in der Herkunft der Groteske aus verschütteten Ruinen und Katakomben. Nicht von ›grotta‹ im buchstäblichen Sinne sei es herzuleiten, sondern von dem ›Versteckten‹ – Verhohlenen –, was die Höhle und Grotte ausdrückt ... Noch im 18. Jahrhundert gab es dafür ... den Ausdruck des ›Verkrochenen‹. Also das ›Änigmatische‹ daran wirkte von Anfang.« Borinski: Die Antike in Poetik und Kunsttheorie. Bd. 1, 1.c. S.189. Nicht durchaus fern hiervon steht Winckelmann. «Wie scharf er auch gegen die Stilprinzipien der barocken Allegorie sich wendet, seine Theorie bleibt früheren Autoren vielfach eng verwandt. Sehr klar sieht das Borinski am »Versuch einer Allegorie«. »Gerade hier steht Winckelmann noch ganz im allgemeinen Verbande des Renaissanceglaubens an die ›sapientia veterum‹, an das geistige Band zwischen Urwahrheit und Kunst, zwischen Intellektualwissenschaft und Archäologie ... Er sucht in der echten, aus der Fülle der Homerischen Inspiration, ›eingeblasenen‹ ›Allegorie der Alten‹ das ›seelische‹ Allheilmittel für die ›Sterilität‹ der ewigen Wiederholung von Marter- und mythologischen Szenen in der Kunst der Neueren ... Nur diese Allegorie lehrt den Künstler ›erfinden‹: das, was ihn auf eine Höhe mit dem Dichter stellt.« Borinski: Die Antike in Poetik und Kunsttheorie. Bd. 2, 1.c. S.208/209. So fällt das schlicht Erbauliche vielleicht noch radikaler als in dem Barock vom Allegorischen ab.

Je weiter die Entwickelung der Emblematik sich verzweigte, desto undurchdringlicher wurde dieser Ausdruck. Ägyptische, griechische, christliche Bildersprache durchdrangen sich. Für die Bereitwilligkeit, mit der die Theologie dem entgegenkam, ist ein Werk wie der »Polyhistor symbolicus« cf. Nicolaus Caussinus: Polyhistor symbolicus, electorum symbolorum, et parabolarum historicarum stromata, XII. libris complectens. Coloniae Agrippinae 1623. bezeichnend, verfaßt durch ebenden Jesuiten Caussinus, dessen lateinische »Felicitas« Gryphius übertragen hat. Auch konnte keine geeigneter erscheinen als solche nur den Gebildeten faßliche Rätselschrift, die hochpolitischen Maximen echter Lebensweisheit zu verschließen. Herder hat in seinem Aufsatz über Johann Valentin Andreä sogar gemutmaßt, daß sie für manchen Gedanken, den man vor Fürsten klar nicht habe nennen wollen, ein Asyl gewesen sei. Paradoxer hört Opitz sich an. Denn einerseits faßt er zwar die theologische Esoterik dieser Ausdrucksform als die Erhärtung einer vornehmen Abstammung der Poesie, andererseits aber meint er, um der Allgemeinverständlichkeit willen sei sie eingeführt worden. Dem Satze der »Art poétique« des Delbene: »La poésie n'était au premier âge qu'une théologie allégorique« hat er eine bekannte Formulierung des zweiten Kapitels der »Deutschen Poeterey« nachgebildet. »Die Poeterey ist anfangs nichts anderes gewesen als eine verborgene Theologie.« Aber andererseits: »Weil die erste und rawe weit gröber und ungeschlachter war/ als das sie hetten die lehren von weißheit und himmlischen dingen recht fassen und verstehen können/ so haben weise Männer/ was sie zu erbawung der gottesfurcht/ guter sitten und wandels erfunden/ in Reime und Fabeln/ welche sonderlich der gemeine Pöfel zu hören geneiget ist/ verstecken und verbergen müssen.« Opitz: Prosodia Germanica, Oder Buch von der Deudschen Poeterey 1. c. S.2 Diese Auffassung blieb maßgebend und begründet auch bei Harsdörffer, vielleicht dem konsequentesten Allegoriker, die Theorie dieser Ausdrucksform. Wie sie in alle weitesten und beschränktesten Geistesbezirke sich eingenistet hatte, von der Theologie, Naturbetrachtung und Moral bis hinab zu Heraldik, Festpoem und Liebessprache, so unbeschränkt ist der Fundus ihrer anschaulichen Requisiten. Für jeden Einfall trifft der Augenblick des Ausdrucks zusammen mit einer wahren Bilderuption, als deren Niederschlag die Menge der Metaphern chaotisch ausgestreut liegt. So stellt in diesem Stile das Erhabne sich dar. »Universa rerum natura materiam praebet huic philosophiae (sc. imaginum) nee qvicqvam ista protulit, qvod non in emblema abire possit, ex cujus contemplatione utilem virtutum doctrinam in vita civili capere liceat: adeo ut qvemadmodum Historiae ex Numismatibus, ita Morali philosophiae ex Emblematis lux inferatur.« Anonymes Referat über Menestrier: La philosophie des images. In:] Acta eruditorum. Anno MDCLXXXIII publicata. Lipsiae 1683. S.17. Dieser Vergleich ist besonders glücklich. Haftet doch der Natur, die da geschichtlich geprägt, nämlich Schauplatz ist, durchaus etwas Numismatisches an. Derselbe Autor – ein Referent der »Acta eruditorum« – sagt an anderer Stelle: »Quamvis rem symbolis et emblematibus praebere materiam, nee quic quam in hoc universo existere, quod non idoneum iis argumentum suppeditet, supra in Actis ... fuit monitum; cum primum philosophiae imaginum tomum superiori anno editum enarraremus. Cujus assertionis alter hie tomus, cf. C(laude) F(rancois) Menestrier: La philosophie des images. Paris 1682, sowie Menestrier: Devises des princes, cavaliers, dames, scavans, et autres personnages illustres de l'Europe. Paris 1683. qui hoc anno prodiit, egregia praebet documenta; a naturalibus et artificialibus rebus, elementis, igne, montibus ignivomis, tormentis pulverariis et aliis machinis bellicis, chymicis item instrumentis, subterraneis cuniculis, fumo luminaribus, igne sacro, aere et variis avium generibus depromta symbola et apposita lemmata exhibens.« Acta eruditorum 1683 1.c. S.344. Ein einziger Beleg mag zur Genüge erweisen, wie weit man in dieser Richtung ging. In Böcklers »Ars heraldica« steht zu lesen: »Von Blättern. Man findet selten Blätter in den Wappen/ wo sie aber gefunden werden/ so führen sie die Deutung der Warheit/ weilen sie etlicher Massen der Zungen und dem Hertzen gleichen.« Georg Andreas Böckler: Ars heraldica, Das ist: Die Hoch-Edle Teutsche Adels-Kunst. Nürnberg 1688. S.131. »Von Wolcken. Gleichwie die Wolcken sich übersich (!) in die Höhe schwingen/ hernach fruchtbaren Regen herab giessen/ davon das Feld/ Frucht und Menschen erfrischet und erquicket werden/ also soll auch ein Adeliches Gemüth/ in Tugend-Sachen gleichsam in die Höhe aufsteigen/ alsdenn mit seinen Gaben/ dem Vatterland zu dienen/ beflissen seyn.« Böckler 1.c. S.140. »Die weise (!) Pferde bedeuten den obsiegenden Frieden/ nach geendigtem Krieg/ und zugleich auch die Geschwindigkeit.« Böckler 1.c. S.109. Das Erstaunlichste ist eine komplette Farbenhieroglyphik, zu der, als Kombinatorik von je zwei Farben, dieses Buch anweist. »Roth zu Silber/ Verlangen sich zu rächen«, Böckler l.c. S.81. »Blau ... zu Roth/ Unhöflichkeit«, Böckler 1.c. S.82. »Schwartz ... zu Purpur/ beständige Andacht«, Böckler 1.c. S.83. um nur so viel zu nennen. »Die vielfachen Dunkelheiten des Zusammenhanges zwischen Bedeutung und Zeichen ... schreckten nicht ab sondern reizten vielmehr dazu, immer entfernter liegende Eigenschaften des darstellenden Gegenstandes zu Sinnbildern zu verwerthen, um durch neue Klügeleien sogar die Ägypter zu übertreffen. Dazu kam die dogmatische Kraft der von den Alten überlieferten Bedeutungen, sodaß ein und dieselbe Sache ebenso gut eine Tugend wie ein Laster, also schließlich Alles versinnbildlichen kann.« Giehlow: Die Hieroglyphenkunde des Humanismus in der Allegorie der Renaissance l.c. S.127.

Dieser Umstand führt auf die Antinomien des Allegorischen, deren dialektische Abhandlung sich nicht umgehen läßt, wenn anders das Bild der Trauerspiele beschworen sein will. Jede Person, jedwedes Ding, jedes Verhältnis kann ein beliebiges anderes bedeuten. Diese Möglichkeit spricht der profanen Welt ein vernichtendes doch gerechtes Urteil: sie wird gekennzeichnet als eine Welt, in der es aufs Detail so streng nicht ankommt. Doch wird, und dem zumal, dem allegorische Schriftexegese gegenwärtig ist, ganz unverkennbar, daß jene Requisiten des Bedeutens alle mit eben ihrem Weisen auf ein anderes eine Mächtigkeit gewinnen, die den profanen Dingen inkommensurabel sie erscheinen läßt und sie in eine höhere Ebene hebt, ja heiligen kann. Demnach wird die profane Welt in allegorischer Betrachtung sowohl im Rang erhoben wie entwertet. Von dieser religiösen Dialektik des Gehalts ist die von Konvention und Ausdruck das formale Korrelat. Denn die Allegorie ist beides, Konvention und Ausdruck; und beide sind von Haus aus widerstreitend. Doch so wie die barocke Lehre überhaupt Geschichte als erschaffenes Geschehn begriff, gilt insbesondere die Allegorie, wennschon als Konvention wie jede Schrift, so doch als geschaffene wie die heilige. Die Allegorie des XVII. Jahrhunderts ist nicht Konvention des Ausdrucks sondern Ausdruck der Konvention. Ausdruck der Autorität mithin, geheim der Würde ihres Ursprungs nach und öffentlich nach dem Bereiche ihrer Geltung. Und wiederum die gleiche Antinomik ist's, die bildnerisch begegnet im Konflikt der kalten schnellfertigen Technik mit dem eruptiven Ausdruck der Allegorese. Auch hier eine dialektische Lösung. Sie liegt im Wesen der Schrift selber. Von der offenbarten Sprache nämlich läßt ohne Widerspruch ein lebendiger, freier Gebrauch, in welchem sie nichts von ihrer Würde verlöre, sich denken. Nicht so von deren Schrift, als welche die Allegorie sich zu geben suchte. Die Heiligkeit der Schrift ist vom Gedanken ihrer strengen Kodifikation untrennbar. Denn alle sakrale Schrift fixiert sich in Komplexen, die zuletzt einen einzigen und unveränderlichen ausmachen oder doch zu bilden trachten. Daher entfernt sich die Buchstabenschrift als eine Kombination von Schriftatomen am weitesten von der Schrift sakraler Komplexe. Diese prägen in der Hieroglyphik sich aus. Will die Schrift sich ihres sakralen Charakters versichern – immer wieder wird der Konflikt von sakraler Geltung und profaner Verständlichkeit sie betreffen – so drängt sie zu Komplexen, zur Hieroglyphik. Das geschieht im Barock. Äußerlich und stilistisch – in der Drastik des Schriftsatzes wie in der überladenen Metapher – drängt das Geschriebene zum Bilde. Kein härterer Gegensatz zum Kunstsymbol, dein plastischen Symbol, dem Bilde der organischen Totalität ist denkbar als dies amorphe Bruchstück, als welches das allegorische Schriftbild sich zeigt. In ihm erweist sich das Barock als souveränes Gegenspiel der Klassik, wie man bisher in der Romantik nur es anerkennen wollte. Und es ist die Versuchung nicht abzuweisen, in beiden die Konstante zu ergründen. In beiden: in Romantik wie Barock handelt es sich nicht sowohl um ein Korrektiv der Klassik als um eines der Kunst selbst. Und jenem kontrastierenden Präludium der Klassik, dem Barock, ist eine höhere Konkretion, ja bessere Autorität und dauerndere Geltung dieser Korrektur kaum abzusprechen. Wo die Romantik in dem Namen der Unendlichkeit, der Form und der Idee das vollendete Gebilde kritisch potenziert, cf. Benjamin: Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik l.c. S.105. da verwandelt mit einem Schlage der allegorische Tiefblick Dinge und Werke in erregende Schrift. Eindringlich ist ein solcher Blick noch in Winckelmanns »Beschreibung des Torso des Hercules im Belvedere zu Rom«: Johann Winckelmann: Versuch einer Allegorie besonders für die Kunst. Säcularausgabe. Aus des Verfassers Handexemplar mit vielen Zusätzen von seiner Hand, sowie mit inedirten Briefen Winckelmann's und gleichzeitigen Aufzeichnungen über seine letzten Stunden hrsg. von Albert Dressel. Mit einer Vorbemerkung von Constantin Tischendorf. Leipzig 1866. S.143 ff.: wie er Stück für Stück, Glied für Glied in unklassischem Sinne ihn durchgeht. Nicht umsonst vollzieht sich das am Torso. Das Bild im Feld der allegorischen Intuition ist Bruchstück, Rune. Seine symbolische Schönheit verflüchtigt sich, da das Licht der Gottesgelahrtheit drauf trifft. Der falsche Schein der Totalität geht aus. Denn das Eidos verlischt, das Gleichnis geht ein, der Kosmos darinnen vertrocknet. In den dürren rebus, die bleiben, liegt Einsicht, die noch dem verworrenen Grübler greifbar ist. Unfreiheit, Unvollendung und Gebrochenheit der sinnlichen, der schönen Physis zu gewahren, war wesensmäßig dem Klassizismus versagt. Gerade diese aber trägt die Allegorie des Barock, verborgen unter ihrem tollen Prunk, mit vordem ungeahnter Betonung vor. Eine gründliche Ahnung von der Problematik der Kunst – es war durchaus nicht nur ständische Ziererei, sondern religiöser Skrupel, der die Beschäftigung mit ihr den ›Nebenstunden‹ zuweist – tritt als Rückschlag ihrer renaissancistischen Selbstherrlichkeit auf. Wenn die Künstler und Denker des Klassizismus sich nicht mit dem, was ihnen Fratze war, beschäftigt haben, so geben Sätze der neukantischen Ästhetik einen Begriff von der Schärfe der Kontroverse. Die Dialektik dieses Ausdrucks wird verkannt und als Zweideutigkeit verdächtigt. »Zweideutigkeit aber, Mehrdeutigkeit ist der Grundzug der Allegorie; auf den Reichtum von Bedeutungen ist die Allegorie, ist der Barock stolz. Diese Zweideutigkeit aber ist der Reichtum der Verschwendung; die Natur hingegen ist nach den alten Regeln der Metaphysik, wie nicht minder auch nach denen der Mechanik, nicht zuletzt an das Gesetz der Sparsamkeit gebunden. Zweideutigkeit ist daher überall der Widerspruch zur Reinheit und Einheit der Bedeutung.« Hermann Cohen: Ästhetik des reinen Gefühls. Bd. 2. (System der Philosophie. 3.) Berlin 1912. S.305. Nicht weniger doktrinär Erörterungen von einem Schüler Hermann Cohens, Carl Horst, der durch das Thema der »Barockprobleme« zu einer konkreteren Betrachtung gehalten war. Dem ungeachtet heißt's von der Allegorie, daß sie »immer ein ›Überschreiten der Grenzen der anderen Art‹, ein Übertreten der bildenden Künste ins Darstellungsgebiet der ›redenden‹ zu erkennen gibt. Und solche Grenzverletzung«, fährt der Autor fort, »rächt sich nirgends unnachsichtiger als in der reinen Gefühlskultur, die den rein gehaltenen bildenden Künsten‹ mehr obliegt als den ›redenden‹, und jene so der Musik näher stellt ... In dem kaltsinnigen Durchdringen der verschiedenartigsten menschlichen Äußerungsweisen mit herrschsüchtigen Gedanken ... wird ... Kunstgefühl und -Verständnis abgelenkt und vergewaltigt werden. Das verrichtet die Allegorie im Felde der ›bildenden‹ Künste. Man könnte ihr Eindringen deshalb als groben Unfug gegen Ruhe und Ordnung künstlerischer Gesetzmäßigkeit bezeichnen. Und doch hat sie niemals in ihrem Reiche gefehlt, und größte Bildner haben ihr große Werke gewidmet.« Carl Horst: Barockprobleme. München 1912. S.39/40; cf. auch S.41/42. Dieses Faktum allein hätte selbstverständlich eine andere Betrachtungsweise der Allegorie veranlassen müssen. Die undialektische Denkweise der neukantischen Schule ist nicht befähigt, die Synthese zu fassen, die in der allegorischen Schrift aus dem Kampf von theologischer und künstlerischer Intention im Sinne nicht sowohl eines Friedens als einer treuga dei zwischen den widerstreitenden Meinungen sich ergibt.

Wenn mit dem Trauerspiel die Geschichte in den Schauplatz hineinwandert, so tut sie es als Schrift. Auf dem Antlitz der Natur steht ›Geschichte‹ in der Zeichenschrift der Vergängnis. Die allegorische Physiognomie der Natur-Geschichte, die auf der Bühne durch das Trauerspiel gestellt wird, ist wirklich gegenwärtig als Ruine. Mit ihr hat sinnlich die Geschichte in den Schauplatz sich verzogen. Und zwar prägt, so gestaltet, die Geschichte nicht als Prozeß eines ewigen Lebens, vielmehr als Vorgang unaufhaltsamen Verfalls sich aus. Damit bekennt die Allegorie sich jenseits von Schönheit. Allegorien sind im Reiche der Gedanken was Ruinen im Reiche der Dinge. Daher denn der barocke Kultus der Ruine. Von ihm weiß, weniger erschöpfend im Begründen als treffend im Bericht von dem Tatsächlichen, Borinski. »Der gebrochene Giebel, die zertrümmerten Säulen sollen das Wunder bezeugen, daß das heilige Bauwerk selbst den elementarsten Kräften der Zerstörung, Blitz, Erdbeben, standgehalten. Das künstlich Ruinöse dabei erscheint als das letzte Erbe des nur noch tatsächlich, als malerisches Trümmerfeld, auf modernem Boden angesehenen Altertums.« Borinski: Die Antike in Poetik und Kunsttheorie. Bd. I, l.c. S.193/194. Eine Anmerkung sagt: »Man verfolge das Ansteigen dieser Tendenz an dem sinnreichen Brauche der Renaissancekünstler, die Geburt und Anbetung Christi statt in den mittelalterlichen Stall, in die Ruinen eines antiken Tempels zu verlegen. Diese bei einem D. Ghirlandaio (Florenz, Accademia) noch aus lauter tadellos erhaltenen Musterprunkstücken bestehend, erreichen jetzt ihren Selbstzweck, als malerische Kulisse vergänglicher Pracht zu dienen, in den plastisch farbigen Krippendarstellungen.« Borinski l.c. S.305/306 (Anm.). Weit über die antikischen Reminiszenzen setzt aktualstes Stilgefühl sich darin durch. Was da in Trümmern abgeschlagen liegt, das hochbedeutende Fragment, das Bruchstück: es ist die edelste Materie der barocken Schöpfung. Denn jenen Dichtungen ist es gemein, ohne strenge Vorstellung eines Ziels Bruchstücke ganz unausgesetzt zu häufen und in der unablässigen Erwartung eines Wunders Stereotypien für Steigerung zu nehmen. Als ein Wunder in diesem Sinne müssen die barocken Literaten das Kunstwerk betrachtet haben. Und wenn es andererseits als das errechenbare Resultat der Häufung ihnen winkte, ist beides um nichts weniger vereinbar, als das ersehnte wunderbare ›Werk‹ mit den subtilen theoretischen Rezepten in dem Bewußtsein eines Alchimisten. Der Praktik der Adepten ähnelt das Experimentieren der barocken Dichter. Was die Antike hinterlassen hat, sind ihnen Stück für Stück die Elemente, aus welchen sich das neue Ganze mischt. Nein: baut. Denn die vollendete Vision von diesem Neuen war: Ruine. Der überschwänglichen Bewältigung antiker Elemente in einem Bau, der, ohne sie zum Ganzen zu vereinen, in der Zerstörung noch antiken Harmonien überlegen wäre, gilt jene Technik, die im einzelnen ostentativ auf die Realien, Redeblumen, Regeln sich bezieht. ›Ars inveniendi‹ muß die Dichtung heißen. Die Vorstellung von dem genialen Menschen, dem Meister artis inveniendi, ist die eines Mannes gewesen, der souverän mit Mustern schalten konnte. Die ›Phantasie‹, das schöpferische Vermögen im Sinne der Neueren, war unbekannt als Maßstab einer Hierarchie der Geister. »Daß bishero unsern Opitius niemand in der teutschen Poeterey nur gleichkommen, viel weniger überlegen sein können (welches auch ins künftige nicht geschehen wird), ist die vornehmste Ursache, daß neben der sonderbaren Geschicklichkeit der trefflichen Natur, so in ihm ist, er in der Latiner und Griechen Schriften sowohl (!) belesen und selbe so artig auszudrücken und inventieren weiß.« A. Buchner: Wegweiser zur deutschen Tichtkunst. Jehna o.J.. S.80 ff.; zitiert nach Borcherdt: Augustus Buchner l.c. S.81. Die deutsche Sprache aber, wie die Grammatiker der Zeit sie sahen, ist in diesem Sinne nur eine andere ›Natur‹ neben der der antiken Muster. »Die Sprachnatur«, so erläutert Hankamer deren Auffassung, »enthält schon alle Geheimnisse wie die materielle Natur.« Der Dichter »führt ihr keine Kräfte zu, schafft keine neue Wahrheit aus der eigenschöpferischen Seele, die sich ausspricht«. Paul Hankamer: Die Sprache. Ihr Begriff und ihre Deutung im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert. Ein Beitrag zur Frage der literarhistorischen Gliederung des Zeitraums. Bonn 1927. S.135. Sein Kombinieren darf der Dichter nicht vertuschen, wenn anders nicht sowohl das bloße Ganze, denn dessen offenbare Konstruktion das Zentrum aller intentionierten Wirkungen war. Daher die Ostentation der Faktur, die, bei Calderon zumal, hervorbricht wie die aufgemauerte Wand am Gebäude, dessen Verputz sich gelöst hat. So ist, wenn man will, die Natur auch den Dichtern dieser Periode die große Lehrmeisterin geblieben. Aber ihnen erscheint sie nicht in der Knospe und Blüte sondern in Überreife und Verfall ihrer Geschöpfe. Natur schwebt ihnen vor als ewige Vergängnis, in der allein der saturnische Blick jener Generationen die Geschichte erkannte. In ihren Denkmälern, den Ruinen, hausen, nach Agrippa von Nettesheim, die Saturntiere. Mit dem Verfall, und einzig und allein mit ihm, schrumpft das historische Geschehen und geht ein in den Schauplatz. Der Inbegriff jener verfallenden Dinge ist der extreme Gegensatz zum Begriff der verklärten Natur, den die Frührenaissance faßte. Von diesem hat Burdach gezeigt, daß er »keineswegs der unsrige« war. »Er bleibt noch lange abhängig vom Sprachgebrauch und Denken des Mittelalters, mag auch die Wertung des Worts und der Vorstellung ›Natur‹ sichtlich steigen. Unter Naturnachahmung jedesfalls versteht die Kunsttheorie des 14. bis 16. Jahrhunderts die Nachahmung der von Gott gestalteten Natur.« Burdach l.c. S.178. Diejenige Natur aber, in welche das Bild des Geschichtsverlaufes sich eindrückt, ist die gefallene. Die Neigung des Barock zur Apotheose ist Widerspiel von der ihm eigenen Betrachtungsart der Dinge. Sie tragen auf der Vollmacht ihres allegorischen Bedeutens das Siegelbild des Allzu-Irdischen. Niemals verklären sie sich von innen. Daher ihre Bestrahlung im Rampenlicht der Apotheose. Kaum je war eine Dichtung, deren virtuoser Illusionismus gründlicher ihren Werken jenen Schein ausgetrieben hätte, der da verklärt und durch den mit Recht man einst das Wesen künstlerischer Bildung zu bestimmen strebte. Von der Scheinlosigkeit aller barocken Lyrik läßt sich als einem ihrer strengsten Charakteristika sprechen. Im Drama ist es nicht anders. »So muß man durch den Tod in jenes Leben dringen/| Das uns Aegyptens Nacht in Gosems Tag verkehrt/| Und den beperlten Rock der Ewigkeit gewehrt!« Hallmann: Trauer-, Freuden- und Schäferspiele l.c. »Mariamne« S.90 (V, 472 ff.). – so malt, vom Standpunkt des Theaterfundus, Hallmann das ewige Leben. Das verstockte Haften am Requisit vereitelte die Darstellung der Liebe. Weltfremde, in die Vorstellung verlorene Geilheit hat das Wort. »Ein schönes Weib ist ja, die tausend Zierden mahlen,| Ein unverzehrlich Tisch, der ihrer viel macht satt.| Ein unverseigend Quell, das allzeit Wasser hat,| Ja süsse Libes-Milch; Wenn gleich in hundert Röhre| Der linde Zukker rinnt. Es ist der Unhold Lehre,| Des schelen Neides Art, wenn andern man verwehrt| Die Speise, die sie labt, sich aber nicht verzehrt.« Lohenstein: Agrippina l.c. S.33/34 (II, 380 ff.). Jede zulängliche Verhüllung im Gehalt fehlt den typischen Barockwerken. Ihr Anspruch, selbst in den geringen Dichtungsformen, ist beklemmend. Und vollends fehlt der Zug zum Kleinen, zum Geheimnis. So üppig wie vergeblich trachtet man durch Rätselhaftes und Verstecktes es abzulösen. Lust weiß im wahren Kunstwerk sich flüchtig zu machen, im Augenblick zu leben, hinzuschwinden, neuzuwerden. Das barocke Kunstwerk will nichts als dauern und klammert sich mit allen Organen ans Ewige. Mit welcher befreiender Süße den Leser die ersten ›Tändeleyen‹ des neuen Jahrhunderts verführten und wie die Chinoiserie dem Rokoko zum Gegenbilde des hieratischen Byzanz ward, begreift sich nur so. Spricht der barocke Kritiker vom Gesamtkunstwerk als dem Gipfel in der ästhetischen Hierarchie des Zeitalters und als dem Ideal der Trauerspiele selbst, cf. Kolitz l.c. S.166/167. so bekräftigt er auf neue Art diesen Geist der Schwere. Harsdörffer als gewiegter Allegoriker ist, unter vielen Theoretikern, am gründlichsten für die Verflechtung aller Künste eingetreten. Denn eben dies diktiert die Herrschaft allegorischer Betrachtung. Winckelmann macht den Zusammenhang, polemisch übertreibend, doch nur deutlich, denn er bemerkt: »Vergebens ist ... die Hoffnung derjenigen, welche glauben, es sey die Allegorie so weit zu treiben, daß man so gar eine Ode würde mahlen können.« Winckelmann l.c. S.19. Ein anderes tritt, befremdender, hinzu. Wie führen die Dichtungen des Jahrhunderts sich ein: Widmungen, Vor- und Nachreden, eigene sowohl als fremde, Gutachten, Referenzen vor den Meistern sind die Regel. Als überladenes Rahmenwerk umgeben sie die größeren und die Gesamtausgaben ausnahmslos. Denn der Blick, der an der Sache selbst sich zu genügen gewußt hätte, war selten. Mitten in ihren weltläufigen Beziehungen gedachte man Kunstwerke sich anzueignen und weit weniger als später war die Beschäftigung mit ihnen rechenschaftfreie Privatsache. Die Lektüre war obligat und war bildend. Als Korrelat solcher Verfassung unterm Publikum begreift sich die gedachte Massigkeit, Geheimnislosigkeit und Breite der Produkte. Sie fühlen minder in der Zeit mit Wachstum auszubreiten sich bestimmt als irdisch, gegenwärtig ihren Platz zu füllen. Sie haben in so manchem Sinne ihren Lohn dahin. Doch eben darum liegt mit seltener Deutlichkeit in ihrer ferneren Dauer die Kritik entfaltet. Sie sind von Anbeginn auf jene kritische Zersetzung angelegt, die der Verlauf der Zeit an ihnen übte. Die Schönheit hat nichts Eigenstes für den Unwissenden. Dem ist das deutsche Trauerspiel spröde wie weniges. Sein Schein ist abgestorben, weil es der roheste war. Was dauert, ist das seltsame Detail der allegorischen Verweisungen: ein Gegenstand des Wissens, der in den durchdachten Trümmerbauten nistet. Kritik ist Mortifikation der Werke. Dem kommt das Wesen dieser mehr als jeder andern Produktion entgegen. Mortifikation der Werke: nicht also – romantisch – Erweckung des Bewußtseins in den lebendigen, cf. Benjamin: Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik l.c. S.53 ff. sondern Ansiedlung des Wissens, in ihnen, den abgestorbenen. Schönheit, die dauert, ist ein Gegenstand des Wissens. Und ist es fraglich, ob die Schönheit, welche dauert, so noch heißen dürfe, – fest steht, daß ohne Wissenswürdiges im Innern es kein Schönes gibt. Die Philosophie darf nicht versuchen, es abzustreiten, daß sie das Schöne der Werke wieder erweckt. »Die Wissenschaft kann zum naiven Kunstgenuß nicht anleiten, so wenig die Geologen und Botaniker den Sinn für eine schöne Landschaft erwecken können«; Petersen l.c. S.12.; diese Behauptung ist so schief, wie das Gleichnis, das sie decken soll, irrig. Sehr wohl vermögen dies der Geologe, der Botaniker. Ja, ohne ein zumindest ahnendes Erfassen vom Leben des Details durch die Struktur bleibt alle Neigung zu dem Schönen Träumerei. Struktur und Detail sind letzten Endes stets historisch geladen. Es ist der Gegenstand der philosophischen Kritik zu erweisen, daß die Funktion der Kunstform eben dies ist: historische Sachgehalte, wie sie jedem bedeutenden Werk zugrunde liegen, zu philosophischen Wahrheitsgehalten zu machen. Diese Umbildung der Sachgehalte zum Wahrheitsgehalt macht den Verfall der Wirkung in dem von Jahrzehnt zu Jahrzehnt das Ansprechende der früheren Reize sich mindert, zum Grund einer Neugeburt, in welcher alle ephemere Schönheit vollends dahinfällt und das Werk als Ruine sich behauptet. Im allegorischen Aufbau des barocken Trauerspiels zeichnen solch trümmerhafte Formen des geretteten Kunstwerks von jeher deutlich sich ab.

 

Der Wendung von Geschichte in Natur, die Allegorischem zugrunde liegt, kam selbst die Heilsgeschichte weit entgegen. Wie sehr sie immer weltlich, retardierend ausgelegt ward – nur selten hat sich das so weit verstiegen wie bei Sigmund von Birken. Seine Poetik gibt »als Beispiele für Geburts-, Hochzeits- und Begräbnisgedichte, für Lobgedichte und Siegglückwünschungen Lieder auf die Geburt und den Tod Christi, auf seine geistliche Hochzeit mit der Seele, auf seine Herrlichkeit und seinen Sieg an«. Strich l.c. S.26. Aus dem mystischen ›Nu‹ wird das aktuelle ›Jetzt‹; das Symbolische wird ins Allegorische verzerrt. Aus dem heilsgeschichtlichen Geschehen sondert man das Ewige ab und was bleibt, ist ein allen Korrekturen der Regie erreichbares lebendes Bild. Es entspricht das im Innersten der endlos vorbereitenden, umschweifigen, wollüstig zögernden Art der barocken Formgebung. Zutreffend ist ja, von Hausenstein, bemerkt worden, daß in den malerischen Apotheosen der Vordergrund mit outrierter Realistik pflege behandelt zu werden, um desto verläßlicher die entferntern Visionsgegenstände erscheinen zu lassen. Der drastische Vordergrund sucht in sich alles Weltgeschehen zu sammeln, nicht nur um die Spannweite von Immanenz und Transzendenz zu steigern sondern auch um die denkbar größte Strenge, Ausschließlichkeit und Unerbittlichkeit für diese zu erwirken. Es ist eine Geste von nicht zu überbietender Sinnfälligkeit, wenn dergestalt auch Christus ins Vorläufige, Alltägliche, Unzuverlässige geschoben wird. Schlagkräftig fällt der Sturm und Drang da ein und schreibt mit Merck, daß es »dem großen Manne nichts benehmen kann, wenn man weiß, daß er in einem Stall geboren ist, und zwischen Ochs und Esel in Windeln lag«. Johann Heinrich Merck: Ausgewählte Schriften zur schönen Literatur und Kunst. Ein Denkmal. Hrsg. von Adolf Stahr. Oldenburg 1840. S.308. Und nicht zuletzt ist das Verletzende, das Ausfallende dieser Geberde barock. Wo das Symbol den Menschen in sich zieht, schießt aus dem Seinsgrund Allegorisches der Intention auf ihrem Weg hinab entgegen und schlägt sie dergestalt vors Haupt. Der barocken Lyrik ist die gleiche Bewegung eigentümlich. In ihren Gedichten ist »keine fortschreitende Bewegung, sondern eine Anschwellung von innen her«. Strich l.c. S.39. Um der Versenkung Widerpart zu halten, hat ständig neu und ständig überraschend das Allegorische sich zu entfalten. Das Symbol dagegen bleibt, gemäß der Einsicht der romantischen Mythologen, beharrlich dasselbe. Welch auffallender Kontrast zwischen den einförmigen Verszeilen der Emblemenbücher, dem ›vanitas vanitatum vanitas‹ und dem modischen Betrieb, in welchem von der Jahrhundertmitte an eines das andere jagte! Allegorien veralten, weil das Bestürzende zu ihrem Wesen gehört. Wird der Gegenstand unterm Blick der Melancholie allegorisch, läßt sie das Leben von ihm abfließen, bleibt er als toter, doch in Ewigkeit gesicherter zurück, so liegt er vor dem Allegoriker, auf Gnade und Ungnade ihm überliefert. Das heißt: eine Bedeutung, einen Sinn auszustrahlen, ist er von nun an ganz unfähig; an Bedeutung kommt ihm das zu, was der Allegoriker ihm verleiht. Er legt's in ihn hinein und langt hinunter: das ist nicht psychologisch sondern ontologisch hier der Sachverhalt. In seiner Hand wird das Ding zu etwas anderem, er redet dadurch von etwas anderem und es wird ihm ein Schlüssel zum Bereiche verborgenen Wissens, als dessen Emblem er es verehrt. Das macht den Schriftcharakter der Allegorie. Ein Schema ist sie, als dieses Schema Gegenstand des Wissens, ihm unverlierbar erst als ein fixiertes: fixiertes Bild und fixierendes Zeichen in einem. Das Wissensideal des Barock, die Magazinierung, deren Denkmal die riesigen Büchersäle waren, wird im Schriftbild erfüllt. Fast gleich sehr wie in China ist es als ein solches Bild nicht Zeichen des zu Wissenden allein sondern wissenswürdiger Gegenstand selbst. Auch über diesen Zug kam die Allegorie mit den Romantikern zum Anfang einer Selbstbesinnung. Zumal mit Baader. In seiner Schrift »Über den Einfluß der Zeichen der Gedanken auf deren Erzeugung und Gestaltung« heißt es: »Bekanntlich hängt es nur von uns ab, irgend einen Naturgegenstand als ein conventionelles Gedankenzeichen zu brauchen, wie wir dieses in der symbolischen und Hieroglyphen-Schrift sehen, und dieser Gegenstand nimmt dann nur einen neuen Charakter an, indem wir nicht seine natürlichen Merkmale, sondern die ihm von uns gleichsam geliehenen, durch ihn kund geben wollen.« Franz von Baader: Sämmtliche Werke. Hrsg. durch einen Verein von Freunden des Verewigten: Franz Hoffmann. 1. Hauptabt., 2. Bd. Leipzig 1851. S.129. Den Kommentar gibt eine Anmerkung zu dieser Stelle: »Es hat seinen guten Grund, daß Alles, was wir an der äußern Natur sehen, schon Schrift an uns, sohin eine Art Zeichensprache ist, welcher indeß das Wesentlichste: die Pronunciation, fehlt, die dem Menschen schlechterdings anderswoher gekommen und gegeben sein müßte.« Baader l.c. S. 129. ›Anderswoher‹ greift denn der Allegoriker sie auf und meidet darin keinesfalls die Willkür als drastische Bekundung von der Macht des Wissens. Die Chiffernfülle, die derselbe in der historisch tief geprägten Kreaturwelt liegen fand, rechtfertigt Cohens Klagen über ›Verschwendung‹. Sie mag dem Walten der Natur wohl ungemäß sein; die Wollust, mit welcher die Bedeutung als finsterer Sultan im Harem der Dinge herrscht, bringt sie unvergleichlich zum Ausdruck. Es ist ja dem Sadisten eigentümlich, seinen Gegenstand zu entwürdigen und darauf – oder dadurch – zu befriedigen. So tut denn auch der Allegoriker in dieser von erdichteten wie von erfahrenen Grausamkeiten trunkenen Zeit. Bis in die religiöse Malerei spielt das hinein. Der »Augenaufschlag«, den barocke Malerei »zu einem Schema« ausbildet, »das ganz unabhängig ist von der im augenblicklichen Vorwurf bedingten Situation«, Hübscher l.c. S. 560. verrät und entwertet die Dinge auf unaussprechliche Weise. Nicht sowohl Enthüllung als geradezu Entblößung der sinnlichen Dinge ist die Funktion der barocken Bilderschrift. Der Emblematiker gibt nicht das Wesen »hinter dem Bilde«. Hübscher 1.c. S. 555.. Als Schrift, als Unterschrift, wie diese in Emblemenbüchern innig mit dem Dargestellten zusammenhängt, zerrt er dessen Wesen vors Bild. Im Grunde ist denn auch das Trauerspiel, erwachsen im Bereich des Allegorischen, seiner Form nach Lesedrama. Über den Wert und die Möglichkeit seiner Aufführungen sagt diese Erkenntnis nichts aus. Wohl aber stellt sie klar, daß der erwählte Zuschauer solcher Trauerspiele grüblerisch, und mindestens dem Leser gleichend, sich in sie versenkte; daß die Situationen nicht allzu oft, dann aber blitzartig wechselten wie der Aspekt des Satzspiegels, wenn man umblättert; und wie in einer wenn auch befremdeten und widerwilligen Ahnung vom Gesetz dieser Dramen die ältere Forschung darauf beharrte, daß sie niemals seien aufgeführt worden.

 

Gewiß war diese Anschauung im Unrecht. Ist doch Allegorie das einzige und das gewaltige Divertissement, das da dem Melancholiker sich bietet. Wohl räumt die hochfahrende Ostentation, mit welcher der banale Gegenstand aus der Tiefe der Allegorie hervorzustoßen scheint, bald seinem trostlosen Alltagsantlitz den Platz, wohl folgt der versunkenen Anteilnahme des Kranken am Vereinzelten und Geringen jenes enttäuschte Fallenlassen des entleerten Emblems, dessen Rhythmik ein spekulativ veranlagter Beobachter im Gehaben der Affen vielsagend wiederholt finden könnte. Aber immer von neuem drängen die amorphen Einzelheiten, welche allein allegorisch sich geben, herzu. Denn wenn die Vorschrift lautet, »jedes Ding« sei »für sich zu betrachten, so« werde »die Intelligenz wachsen, die Feinheit des Geschmacks sich entfalten«, Cohn l.c. S. 23., so ist der adäquate Gegenstand solcher Intention jederzeit gegenwärtig. Harsdörffer begründet in den »Gesprächspielen« eine besondere Gattung damit, »daß, nach Iudic. IX 8, statt der Thierwelt der Äsopischen Fabel leblose Gegenstände, Wald, Baum, Stein, handelnd und redend sich einführen, während sogar noch eine andere Art dadurch entsteht, daß Worte, Silben, Buchstaben als Personen auftreten«. Tittmann l.c. S. 94. In dieser letzten Richtung hat sich Christian Gryphius, der Sohn des Andreas, in seinem didaktischen Schauspiel »Der deutschen Sprache unterschiedene Alter« hoch hervorgetan. Vollends ist diese Stückelung in der Graphik als ein Prinzip der allegorischen Betrachtung deutlich. Zumal in dem Barock sieht man die allegorische Person gegen die Embleme zurücktreten, die meist in wüster, trauriger Zerstreuung sich den Blicken darbieten. Als Revolte gegen diesen Stil ist ein gut Teil von Winckelmanns »Versuch einer Allegorie« zu verstehen. »Die Einfalt bestehet in Entwerfung eines Bildes, welches mit so wenig Zeichen als möglich ist, die zu bedeutende Sache ausdrücke, und dieses ist die Eigenschaft der Allegorien in den besten Zeiten der Alten. In spätem Zeiten fieng man an viele Begriffe durch eben so viel Zeichen in einer einzigen Figur zu vereinigen, wie die Gottheiten sind, die man Panthei nennet, welche die Attributa aller Götter beygeleget haben ... Die beste und vollkommenste Allegorie eines Begriffes oder mehrerer, ist in einer einzigen Figur begriffen oder vorzustellen.« Winckelmann l.c. S. 27. – cf. auch Creuzer l.c. S.67 u. S. 109/110. So spricht der Wille zur symbolischen Totalität wie der Humanismus im Menschenbild sie verehrte. Als Stückwerk aber starren aus dem allegorischen Gebild die Dinge. Für sie hatten die eigentlichen Theoretiker dieses Gebietes auch unter den Romantikern nichts übrig. Sie wurden abgewogen gegen das Symbol und wurden zu leicht befunden. »Das deutsche Sinnbild ... ermangelt jener bedeutungsvollen Würde gänzlich. Es sollte daher auf die niedere Sphäre ... eingeschränkt bleiben, und gänzlich ausgeschlossen werden von symbolischen Sprüchen.« Creuzer l.c. S.64. Zu diesem Satz von Creuzer äußert Görres: »Da Sie das mystische Symbol als das formale erklären, worin der Geist die Form aufzuheben und den Leib zu zerstören strebt, das plastische aber als die reine Mittellinie zwischen Geist und Natur, so fehlt noch der Gegensatz von jenem, das reale, wo die leibliche Form die Beseelung verschlingt, und an diese Stelle paßt dann recht gut das Emblem und das teutsche Sinnbild in seinem bornirtern Sinne.« Creuzer l.c. S.147. Der romantische Standort beider Autoren war zu wenig gefestigt, als daß die rationale Didaktik, deren diese Form verdächtig schien, sie nicht animos gestimmt hätte; andererseits freilich mußte das Biedere, Schrullige, Volkstümliche, das vielen ihrer Erzeugnisse eignet, Görres zumindest doch wohl anmuten. Zur Klarheit ist er nicht gekommen. Und auch heute ist es nichts weniger als selbstverständlich, daß im Primat des Dinghaften vor dem Personalen, des Bruchstücks vor Totalen die Allegorie dem Symbol polar aber ebendarum gleich machtvoll gegenübertritt. Immer hat die allegorische Personifikation darüber getäuscht, daß nicht Dinghaftes zu personifizieren, vielmehr durch Ausstaffierung als Person das Dingliche nur imposanter zu gestalten ihr oblag. Sehr scharf hat gerade hier Cysarz gesehen. »Das Barock vulgarisiert die alte Mythologie, um in alles Figuren (nicht Seelen) hineinzulegen: die letzte Stufe der Veräußerlichung nach der Ovidischen Ästhetisierung und der neulateinischen Profanation der hieratischen Glaubensinhalte. Von einer Vergeistigung des Körperlichen kein leisester Schimmer. Die ganze Natur wird verpersönlicht, aber nicht um verinnerlicht, sondern im Gegenteil – entseelt zu werden.« Cysarz l.c. S.31. Die verlegene Schwerfälligkeit, die man auf Rechnung, sei's der unbegabten Künstler, sei's uneinsichtiger Besteller, setzte, ist der Allegorie notwendig. Desto bemerkenswerter, daß Novalis, der unvergleichlich genauer als die späteren Romantiker von klassischen Idealen sich geschieden wußte, an den wenigen Stellen, welche diesen Gegenstand streifen, vom Wesen der Allegorie eine tiefe Kunde erweist. Mit einem Schlag ersteht das Interieur des hochbeamteten, in den geheimen Staatsgeschäften wohl erfahrenen und mit Obliegenheiten überhäuften Dichters des XVI. Jahrhunderts dem aufmerksamen Leser folgender Notiz: »Auch Geschäftsarbeiten kann man poetisch behandeln... Eine gewisse Altertümlichkeit des Stils, eine richtige Stellung und Ordnung der Massen, eine leise Hindeutung auf Allegorie, eine gewisse Seltsamkeit, Andacht und Verwunderung, die durch die Schreibart durchschimmert, – dies sind einige wesentliche Züge dieser Kunst.« Novalis: Schriften. Bd. 3, l.c. S.5. In diesem Geiste wendet in der Tat barocke Praxis sich zu den Realien. Daß das romantische Genie gerade im Raum des Allegorischen mit der barocken Geistesart kommuniziert, belegt gleich deutlich dieses weitere Fragment: »Gedichte, bloß wohlklingend und voll schöner Worte, aber auch ohne allen Sinn und Zusammenhang – höchstens einzelne Strophen verständlich – wie Bruchstücke aus den verschiedenartigsten Dingen. Höchstens kann wahre Poesie einen allegorischen Sinn im großen haben und eine indirekte Wirkung, wie Musik usw., tun. Die Natur ist daher rein poetisch, und so die Stube eines Zauberers, eines Physikers, eine Kinderstube, eine Polter- und Vorratskammer.« Novalis: Schriften. Bd. 2, l.c. S.308. Keineswegs wird diese Beziehung des Allegorischen aufs Bruchstückhafte, Ungeordnete und Überhäufte von Zauberstuben oder alchimistischen Laboratorien, wie gerade das Barock sie kannte, als zufällig gelten dürfen. Sind nicht die Werke von Jean Paul, des größten Allegorikers unter den deutschen Poeten, dergleichen Kinder- und Geisterkammern? Ja eine wahre Geschichte der romantischen Ausdrucksmittel vermöchte nirgends besser als bei ihm selbst das Fragment und selbst die Ironie als Umbildung des Allegorischen zu erweisen. Genug: die Technik der Romantik führt von mancher Seite in den Bereich der Emblematik und Allegorie. Allegorie – so darf man das Verhältnis dieser beiden formulieren – führt in ihrer ausgebildeten Form, der barocken, einen Hof mit sich; ums figurale Zentrum, das den eigentlichen Allegorien im Gegensatze zu Begriffsumschreibungen nicht fehlt, gruppiert die Fülle der Embleme sich. Sie scheinen willkürlich angeordnet: »Der verwirrte ›Hof‹« – der spanische Trauerspieltitel – ließe als Schema der Allegorie sich ansprechen. ›Zerstreuung‹ und ›Sammlung‹ heißt das Gesetz dieses Hofes. Die Dinge sind zusammengetragen nach ihrer Bedeutung; die Anteillosigkeit an ihrem Dasein zerstreute sie wieder. Die Unordnung der allegorischen Szenerie stellt da ein Gegenstück zu dem galanten Boudoir. Der Dialektik dieser Ausdrucksform gemäß hält einem Fanatismus der Versammlung die Schlaffheit in der Anordnung die Waage: besonders paradox die üppige Verteilung von Werkzeugen der Buße oder der Gewalt. Daß, wie Borinski ausgezeichnet von der barocken Bauform sagt, »dieser Stil für seine konstruktiven Überforderungen dekorativ, in seiner Sprache ›galant‹ entschädigt«, Borinski: Die Antike in Poetik und Kunsttheorie. Bd. 1, l.c. S.192., beglaubigt ihn als Zeitgenossen der Allegorie. Stilkritisch, im Sinne dieser Bemerkung, will auch die barocke Poetik gelesen sein. Ihre Theorie der ›Tragödie‹ nimmt die Gesetze der antiken als leblose Bestandteile einzeln auf und häuft sie um eine allegorische Figur der tragischen Muse. Nur dank der klassizistischen Mißdeutung des Trauerspiels, wie das Barock als Selbstverkennung sie geübt hat, konnten die ›Regeln‹ der antiken Tragödie zu den amorphen, obligaten und emblematischen werden, mit denen die neue Form sich heranbildete. In solcher allegorischen Zerbröckelung und Zertrümmerung erschien das Bild der griechischen Tragödie als einzig mögliches, als natürliches Wahrzeichen ›tragischer‹ Dichtung überhaupt. Ihre Regeln werden bedeutungsschwere Hinweise aufs Trauerspiel, ihre Texte gelesen wie als Trauerspieltexte. Wieweit das möglich war und möglich blieb, davon geben die Hölderlinschen Sophoklesübersetzungen aus der von Hellingrath nicht umsonst ›barock‹ genannten Spätzeit des Dichters den rechten Begriff.


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