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Grips II

Ich gehe zum Gerichtstermin.

Ich – das ist ein unbescholtener Bureauangestellter, 25 Jahre alt, gutgekleidet, ohne jede auffällige geistige, körperliche oder perverse Veranlagung. Mit einem Interessenkreis von der nächst höheren Gehaltsstufe über meine bevorstehende Verheiratung bis zur kritiklosen Bewunderung des Taylorsystems.

Das Musterbeispiel des modernen Serienmenschen.

(– Entdecken Sie in dieser nüchternen Selbsterkenntnis Übernormales –? Sie ist nur die Kahlheit einer Dutzendfantasie, die nicht einmal zum Saxophonschwung reicht.)

*

Der massive Gerichtsbau birgt für mich – wie alle öffentlichen Gebäude – etwas Absolutes, Unantastbares: das Recht.

(– Ich verachte billigen Stammtischspott über öffentliche Einrichtungen. Nicht aus Geistigkeit. Auch nicht aus Naivität. Aus Feigheit. Ihre Unfehlbarkeit enthebt mich der Mühe persönlichen Nachdenkens. –)

Ausschaltung aller persönlichen Meinung ist auch für meine bevorstehende Zeugenaussage einzige Pflicht. Das Übrige – Sache des Richters.

Pedantisch prüfe ich mich auf völlige Unbefangenheit:

(– vielleicht entscheidet meine Aussage über das Leben meines Freundes Alex –)

Die Gerechtigkeit findet in mir ein williges Werkzeug.

*

Die breite Freitreppe – die langen Korridore mit kahlen Wänden und schweigsamen Flügeltüren – lautlos vorüberhuschende Aktendiener mit Paragraphenrunen versteifen meine Sachlichkeit. Letzter Hauch Eigengedanke erfriert beim Eintritt in den düsteren Gerichtssaal; vor dem Proszenium schwarzumrahmter Richter, zwischen feierlich stummen Zeugen, vor dem blassen Gesicht des Angeklagten und seinen Handschellen, im Anblick der nach Gerechtigkeit fiebernden Zuschauergalerie.

Fast beängstigend mahnen all diese Symbole, daß ich hier meiner schwersten Menschenpflicht genügen muß:

Recht zu sprechen.

Unwillkürlich glätte ich eine Falte meines dunklen Anzuges.

Da wird mein Name aufgerufen.

*

Der Angeklagte ist Revolutionär.

Teilen Sie seine Überzeugung –?

 

Nein.

Ich enthalte mich jeder politischen Meinung. Das ist Sache der verantwortlichen Fachleute.

 

Danke. –

Was können Sie uns über die Vorgeschichte des Mordes berichten?

 

Mein Freund ist seit achtundvierzig Wochen arbeitslos.

Da er durch Denunziation – ohne Zeugnis entlassen, bestand für ihn keine Hoffnung, jemals ins bürgerliche Leben zurückzukehren.

 

Er besitzt Angehörige.

 

Die wandten sich aus politischem Abscheu von ihm.

 

Sie selbst als Freund –?

 

Ich stehe vor der Heirat – mit hundertfünfzig Mark Monatsgehalt.

 

Berichten Sie uns den Hergang des Verbrechens.

 

Ich habe mir jede Einzelheit verschiedene Male auf das Genaueste vergegenwärtigt und niedergeschrieben.

Gestatten Sie, daß ich Ihnen das Protokoll vorlese?

 

Bitte.

 

Am 3. Oktober holt mich Alex ½5 Uhr vom Bureau ab. Bemerke starke Erregung an ihm. Es ist Freitag, – und da er die Arbeitslosenunterstützung am Montag erhalten, führe ich die Erregung auf längere Nahrungsenthaltung zurück.

Unter dem Vorwand persönlichen Bedürfnisses bitte ich ihn in eine nahe Speiseanstalt und bestelle Essen, ohne im weiteren nach dem Grund seiner Verstimmung zu fragen. Er pflegt nach gestilltem Hunger selbst sich auszusprechen. –

Merkwürdigerweise rührt er das Essen nicht an. Ich folgerte also falsch.

Es bleibt noch eine zweite Möglichkeit:

Mein Freund ist eine hervorragende Intelligenz. In seiner langen Freizeit studiert er die gesamte sozialistische Literatur, – und oft erschüttert ihn eine These darin so stark, daß er Tage lang in einen hysterischen Haß gegen die bestehenden Gesellschaftsverhältnisse verfällt, unfähig zur Nahrungsaufnahme, voll fantastischer Pläne und Attentate, bis ihre Unmöglichkeit die krankhafte Spannung in einer wilden Revolutionsrede vor mir erlöst. Ich höre dann schweigend zu – ohne Zustimmung oder Gegenmeinung. Als bürgerlicher Mensch überlasse ich politische Konflikte, denen sie im Blute wurzeln.

Auch jetzt bleibe ich schweigsam – erwarte den Ausbruch des Redegewitters. –

Stumm gehen wir die Hauptstraße hinunter.

Der Menschenstrom treibt uns oft auseinander, – und wie ich mich mit Mühe wieder zu ihm durchdränge, sehe ich, daß er mein Verschwinden garnicht bemerkt. Ohne aufzuschauen trottet er vor sich hin.

Im ärgerlichen Nebenherlaufen lenken auch meine Gedanken ab. Wir haben uns beide vergessen. –

Plötzlich stoße ich hart an ihn.

Er ist jäh stehengeblieben – stiert mit blutunterlaufenen Augen seitwärts.

(– Das Nächste spielt sich in Sekundenbruchteilen ab. –)

An ihm vorbei streift der Sohn seines früheren Chefs (– der auch der meine ist –), muß ihn durch eine Berührung seines Spazierstockes, durch den Geruch seines widerlich süßen Parfüms aufgeschreckt haben. Ich höre noch in dessen blasiertem Näseltone: »– abend zum Lunch« –, da hat ihm Alex schon den Stock entrissen, striemt dem Überraschten seinen Horngriff mehreremals rasend über den Kopf, daß die braune Glocke zerbeult zu Boden kollert, in der Schädeldecke blutige Risse klaffen, ein Blutstrom aus Mund und Nase schießt, der schon Leblose niederstürzt.

– – – –

An Alex bemerke ich keine starke Veränderung.

Nur ist er wachsblaß – starrt reglos auf die Leiche; hält noch immer den Stock in der Hand, die von der körperlichen Anstrengung zittert. –

Die inzwischen angesammelte Menschenmenge und ihre Empörung scheint er nicht zu bemerken. Es ist sogar möglich, daß sich auf seinem maskestarren Gesicht ein leises Lächeln zeigte.

– – – –

Seiner Verhaftung setzte er nicht den geringsten Widerstand entgegen.

 

Es handelt sich Ihrer Meinung nach also um ein Verbrechen im Zustande schärfster Nervenüberreizung, die an geistige Umnachtung grenzt –.

 

Nein, Herr Richter.

Der Angeklagte machte den Eindruck eines in großer innerer Erregung, aber mit voller Überlegung Handelnden.

 

Also persönlicher Haß gegen den Toten.

Dazu ist er zu edel!

Der Mord war ein revolutionäres Attentat.

 

Und traf einen politisch völlig indifferenten jungen Menschen, der – zufällig – als Juniorchef Ihren Freund wegen einer unerhörten Flegelei entlassen hatte.

 

Sie sind falsch unterrichtet.

Die Flegelei war eine verdiente Züchtigung vor versammeltem Personal – für eine Gemeinheit, die der Juniorchef an einem anderen Angestellten beging.

Alex wurde daraufhin denunziert, trotz unseres Protestes fristlos und ohne Zeugnis entlassen; seine Lebenskraft in den folgenden Elendmonaten bis zur Wurzel zermürbt.

 

Aus Rache dafür war er so »edel«, seinen Gegner auf bestialische Weise hinzumorden.

 

Sie folgern falsch!

Niemand, der Alex reinen Charakter kennt, hält ihn einer solchen Freveltat für fähig.

 

Wollen Sie den Tatbestand verleugnen –?

 

Nein.

Aber seit meiner Zeugenvorladung bemühe ich mich, die Gründe aufzuspüren, die den Angeklagten zur Tat treiben mußten.

Als intimer Freund und einziger Tatzeuge ist es meine Pflicht, dem Gericht möglichst klare Anhaltspunkte zu geben.

 

Und was entdeckten Sie –?

 

Alex ist das Opfer seines sozialen Gewissens geworden.

 

Ein mystisches Paradoxon!

 

Durchaus nicht.

Da ihm all unsere Schutzorganisationen unter merkwürdigen Ausflüchten Gerechtigkeit versagten, fraß sich das begangene Unrecht ins Blut.

Das Studium des Sozialismus mit seiner scharfen Kritik heutiger Klassenherrschaft, in sich selbst die – vollkommen überpersönliche Bestätigung ihrer Thesen –: ein hochintelligenter Mensch wird durch die Schikanen eines unreifen Bengels der besitzenden Klassen zugrunde gerichtet –, peitschte sein Gewissen zur Fieberhitze sozialen Hasses!

Hinzu kommt Hunger! Hunger! ohne Hoffnung auf jemals Brot –, eine gräßliche Verlassenheit von allen Menschen, die den zerlumpten Hysteriker mehr und mehr mieden. Ausgespieen von schmutzigen Zimmervermieterinnen und stinkenden Leihjuden –; mußte dieses Rutenbündel Elend ihn nicht zur Raserei hetzen, die wild ausbrach, als in einem Augenblick kochender Verbitterung das parfümierte Bürschchen Schuld an ihm wie an einem Haufen Kot ekelnd vorbeistreifte –?!

 

Ich danke für Ihre Aussagen, Zeuge.

Als mildernde Umstände können sie eventuell in Erwägung gezogen werden.

 

Ich sage Ihnen: es sind die Gründe, die einzigen Gründe zur Tat! Aus ihnen heraus mußte der Mord geschehen!

 

Über das »muß« erlauben Sie dem Gericht anderer Meinung zu sein.

 

Es gibt hier keine Meinungen so oder so!

Schuld trägt einzig und allein die Ungerechtigkeit der sozialen Verhältnisse, die den Angeklagten rasend gemacht hat!

 

Sachlichkeit, Zeuge!

 

Ich bitte, mir in meinen Aussagen den geringsten sachlichen Mangel nachzuweisen.

 

Sie bemühen sich mit jedem Wort, ein Verbrechen, das roher, scheußlicher nicht gedacht werden kann, quasi als Naturnotwendigkeit hinzustellen.

 

Ist es nicht tausendmal roher, scheußlicher, einen Menschen für verdiente Züchtigung systematisch in den Hungertod zu treiben, als ihm in einer Sekunde kaumbewußten Schmerzes den Schädel einzuschlagen?!

 

Zeuge!!

 

Es besteht kein Grund, entsetzt zu sein! Herr Richter.

Ihnen müßte die Logik der Motive restlos einleuchten, die meinem Dutzendverstande offenbar.

 

Denken wir Ihre Logik einmal zu Ende.

Ihrer Meinung nach sollte demnach nicht nur der Mörder von seinem Verbrechen freigesprochen –

 

Muß! – darin liegt die volle Gerechtigkeit!

 

– es »muß« sogar der Ermordete statt des Mörders schuldig erkannt werden.

 

Die Gerechtigkeit verlangt es!

 

Ihr Urteilsantrag, Herr Zeuge –?

 

Öffentliche Bekanntmachung der Unschuld des Angeklagten. Wiedereinsetzung in seine bürgerliche Stellung und volle Genugtuung für die körperliche und seelische Schädigung.

Das Beispiel des Toten als Warnung für jeden Versuch ähnlicher Frevel!

 

Danke –.

Das Gericht zieht es nach dem Gehörten vor, Ihre Zeugenaussagen als persönlich befangen abzulehnen.

Hier wird Recht gesprochen – und keine sozialistische Parteijustiz. Beide Verdächtigungen weise ich zurück!

 

Ich bin mir dieses Gerichtes und meiner Pflicht zu unbestechlicher Sachlichkeit bewußt. Nur unter ihrem Druck zeuge ich gegen auch meine tiefe Abscheu vor Mord und Rache.

Hier waren sie notwendig!

 

Als Freund des Ermordeten hätten Sie wahrscheinlich die Notwendigkeit auch seiner Gründe zur Denunziation entdeckt und bis zur Schuldlosigkeit verteidigt.

 

Niemals!

Wie könnte ich persönliche Willkür mit sittlicher Pflicht verwechseln!

 

Sie verwechseln sie fortgesetzt! –

Jedes Gericht stand Ihrem beleidigten Freunde zur Genugtuung.

 

Kein Paragraph schützt die freie sittliche Handlung! Er kennt nur die Tatsachen Verbrechen und Notwehr!

 

Dann halten Sie sich an diese Tatsachen – statt an mystische Zusammenhänge!

 

Tatsachen sind lächerliche Äußerlichkeiten, an deren Logik kein denkender Mensch mehr glaubt!

Vom Gericht verlange ich einen tieferen Blick!

 

Was Sie verlangen, ist uns gleichgültig! –

Der nächste Zeuge.

 

Meine Aussagen dürfen Ihnen nicht gleichgültig sein! Sie sind der Schlüssel zum Mord!

 

Schweigen Sie!

 

Ich darf nicht schweigen!

Ich bin der einzige, dem die Gründe zur Tat bekannt, die der Angeklagte hartnäckig verschweigt.

Ich muß zu Ende gehört werden!

 

Gerichtsdiener. Der Zeuge ist abzuführen.

 

Ich fordere die Herren Geschworenen auf, diese Vergewaltigung nicht zu dulden!

Der Richter steht unter meinem Verdacht, die Gerechtigkeit mundtot zu machen!

 

Zeuge. Wir schließen uns ihrer Ablehnung an und fordern Sie auf, den Saal zu verlassen.

 

Dann rufe ich die Gerechtigkeit in diesem Raume zum Gehör!

Eine Tyrannei der Tatsachen knechtet aus Eurer Hand das Recht, daß sich tiefste Wurzel jeder Tat kaum als mildernder Umstand in eine brutale Kette flacher Zusammenhänge und leerer Zufälle einzuschleichen wagt!

 

Abführen!

 

Auf den Tribünen suche ich das Recht!

Vor Euren Augen soll ein Justizmord geschehen!

Ein Mensch begeht eine sittliche Tat. Klassentyrannei hetzt ihn dafür in Not, Verzweiflung, rasenden Haß – bis zum Mord!

Das Gesetz sollte ausgleichen – wiedergutmachen!

Es verurteilt ihn zum Tode!

Und Ihr schweigt! Gafft mich an! Laßt es geschehen?!

– Hände weg von mir! –

Merkt Ihr noch nicht, daß das Recht ein gekaufter Popanz ist für die heilige Willkür der herrschenden Klassen?! –

Reißt das Geländer nieder! Peitscht die Richter aus ihren Talaren! Zerfetzt den Kodex in hunderttausend Stücke!!

– Rührt mich nicht an! –

Über die Barriere springe ich – packe jeden Einzelnen, schreie ihm mit meiner schrillen Stimme in die Ohren: Unrecht! Unrecht! verbrecherisches Unrecht wird hier an der Menschheit verübt!!

*

Taumle die breite Freitreppe hinunter.

Hinter mir klatschen Polizeiflüche aufs Pflaster. –

Der scharfe Märzwind sticht einen Augenblick Bewußtsein der bürgerlichen Ungeheuerlichkeit, die ich begangen, ins Gehirn; – schon betäubt es Schmerz in den Handgelenken vom Kampf mit den Gerichtsdienern.

Diese Hunde! Wie sie mich zugerichtet haben! –

Die schmerzschlaffe Hand streicht am zerknitterten Oberhemd hoch, beginnt aus gewohntem Anstand zu ordnen.

Zum Teufel! Der Schlips mag sitzen, wie es ihm paßt! Ich pfeife auf Anstand!

(– haha! diese Schlipsrevolution eines Spießbürgergemütes! –)

Haarsträhne flattert ins Gesicht.

Hut? Stock? Mappe –?

Neben mir im Dreck. –

Die Hand zuckt danach. Das dressierte Hirn kommandiert: abstäuben! –

Verflucht!

Eben dem Gesetz ins Gesicht gefäustet! – jetzt kleb ich am Kleiderbürsten!

Einen Fußtritt dafür!

(– dieser Heroismus, meine Herrschaften! –)

*

Dort liegt der Gerichtskasten.

Vor einer Stunde noch Tempel der Gerechtigkeit – jetzt Brutstätte frecher Richterwillkür!

Höhnisch glotzen seine blinden Fensterreihen mich an:

Was brauchen wir zu sehen? Wir haben Paragraphen! Dahinein wird alles gepreßt, was das gierige Tormaul unten schluckt! –

Wie ich mir Haß aus ihren breiten Grinsen sauge!

Tagelang möchte ich dich anstarren – und dann mit einer wohlgezielten Bombe in die Luft sprengen! –

Das ist der richtige Blick!

Mit ihm das Gesicht der Gegenwart durchfurchen, – und aus dem Schlipsrevolutionär wird der glühende Rächer des Unrechts, das dort drinnen morsche Paragraphen aushecken!

*

Und nun sehe ich – sehe drei Tage lang das Gesicht dieser Zeit! –: An Gartengitter gepreßt messe ich den Raum jeder Villa, ihren Schmuck, ihr Grün, ihre Kubikmeter Luft, die Lebenssphäre ihrer Menschen – und vergleiche damit Stück um Stück das Gequetsch, Dreck, Gestank der Vorstadtkasernen, wie sie aus jedem Loch faulige Kreaturen speien!

Ich durchwandere die Krankenhäuser, fresse mich durch jedes Schicksal; überall gierig Klassenfron als tiefsten Kern jeder Sieche aufspürend! –

Stammgast bin ich in den Arbeitslosensälen, verfolge von Tag zu Tag mit grimmiger Genugtuung die wachsende Verelendung! –

Drei Schritte weiter Stammgast in der Börse, wo die noch Arbeitenden und ihre Energie, Fortschritt und Erfindergeist in Aktienbündeln von Hand zu Hand geschachert werden!

Stammgast in den Bordells dieser Hände, die am Tage Menschenschicksale verspekulieren, nachts deren Verzweiflung im Kreislauf der Not als Dirnenbrüste geil befingern! –

Einmal hock ich zerlumpt im feinsten Restaurant der Stadt – zwischen fortgerückten dicken Fracks, pikierten Dekolettes und verzweifelten Kellnern. Ziehe den Aufgebügelten Matrosenjacken an. Freue mich satanisch, wie sie hineinpassen. Verwandle die Szene in eine Kaschemmenorgie. Betrinke mich feixend mit meiner tollen Fantasie; zerschlage das Glas an der Kante – aufheulend:

Es lebe die Revolution! –

Und lasse mich mit wahrem Bocksgelächter die Stufen hinunterkollern. –

Andermal im Theater – mitten in einem Schillerjambus über den Segen der Kultur – steige ich auf meinen Stuhl, schreie mit meiner beleidigend häßlichen Stimme:

Meine Herrschaften! Die Kultur ist eine abgetakelte Hure des Kapitals! –

In solchen Taumel von Entdeckungen und Erleuchtungen bin ich geschleudert, daß mich ihre Fülle plötzlich auf offener Straße überwältigt; ich anfange, sie zu predigen!

*

Muß ich erwähnen, daß nach der Veränderung meine Braut mir in äußerst korrekter Weise die Auflösung des Verlöbnisses mitteilte –?

»– Sie haben die in Sie gesetzten menschlichen und sittlichen Erwartungen nicht erfüllt. –«

Glaubhaft!

Gestand sie mir doch einmal, daß meine Ähnlichkeit in Haltung und Habitus mit irgendeinem Magazinschwarm sie für mich entflammte.

(– haha! dieses Brautpaar! Wie aus dem Ausstattungsfenster eines Warenhauses geschnitten! –)

Und nun –: öffentlicher Skandaleur! Zerlumpter Herumtreiber! Verkommener Kommunist!

(– Welch Unterschied vom Geist jener harmonischen Sonntagabende im Cafe, wo man gemeinsam gaffte und begafft wurde, klatschte und beklatscht wurde! –)

Das erübrigte jede weitere Erklärung ihrerseits.

*

Selbstverständlich lag schon am zweiten Tage das Kündigungsschreiben meines Chefs auf dem Tisch.

Auch hier »erübrigten sich die Gründe.«

Die Betriebsräte hatten unterschrieben.

Daneben eine Gerichtsvorladung wegen Beleidigung des Gesetzes, Beamtenbeleidigung, Widerstandes gegen die Staatsgewalt, mehrfacher Erregung öffentlichen Ärgernisses. –

Ich gehe den gleichen Weg wie Alex. Und bin bereit dazu.

*

Bisher war mein seelischer Zustand grenzenloses Weh und grenzenloser Haß. Das Ich völlig davon aufgezehrt.

Wurzeltief erlitt ich jeden Elendblick vor protzigen Auslagen, platzdrängenden Luxusautos, überfütterten Bürgerweibern. Haß zuckte in die geballte Faust vor der Gleichgültigkeit der Zeit an diesen schrillen, beleidigend offenen Dissonanzen.

Das Weh überwog.

Darin zeigte sich meine Serienseele, daß sie es nur bis zu einem Dutzendgefühl knirschender Ohnmacht brachte.

Zum Selbstmord resignierte. –

 

Da lese ich am dritten Tage vor einem Zeitungsaushang:

Alex ist zum Tode verurteilt worden.

Sehe in der Zeitungsglosse – auf den Gesichtern der Umstehenden – in ihren befriedigten Bemerkungen stechend deutlich die Fäulnis der Gegenwart.

Jäh betäubt meine durch Hunger und Übermaß seelischer Erschütterungen zerfieberten Sinne widerlich süßer Geruch:

Das Parfüm des Ermordeten. –

Alex ruft!

Resignation zerascht in wildloderndem Entschluß:

Revolutionsamok!

*

Dem Kündigungsbrief liegt ein Rest Gehalt bei.

Ich kaufe dafür drei Revolver, lasse sie scharf laden. Stecke sie zu mir.

(– seit dem Entschluß ist mein Gehirn abgekapselt nach außen. Denke nichts vorher – nachher –)

nur die Staffelung der achtzehn Schüsse interessiert mich.

Aus Zeitungsnotizen kenne ich die Prominenz der Stadt. Schlage die Adressen nach. Fertige eine genaue Liste meiner Opfer an, begonnen mit Chef und Richter, steigend bis zum Großindustriellen und Regierungspräsidenten.

(– Unbegreiflich, wie ich die Ausführung des Programms für möglich hielt! War das schon Wahnsinn? Abgestorbene kritische Hemmungen –?)

Miete ein Auto. Zum Bureau. Beordere beim Aussteigen den Chauffeur, bis zu meinem Wiederkommen zu warten.

(– In diesem Auto wollte ich von Opfer zu Opfer fahren. Wieder diese unbegreifliche Naivität! –)

Auf der Treppe begegne ich Kollegen.

Man will mich bedauernd begrüßen; aber irgendein übermitleidiger Ton in ihren Stimmen, Furcht vor jeder vielleicht alles zerstörenden Ablenkung, das jetzt rasend pochende Herz – treiben mich stumm an ihnen vorbei.

(– Ich fühle sie hinter mir kopfschütteln. Das Wort »Wahnsinn« hab ich in diesen Tagen öfter gehört und erinnere mich, daß es mich stets verwirrte. –)

Auch jetzt – in der Jahre geatmeten Atmosphäre, unter dem Druck bürgerlicher Gewohnheit – mullt hysterische Schärfe des Gehirns ein. Verlangsame Schritte – stehe einen Augenblick zwischen schauderndem Staunen und dem Hämmern des eingebrannten Hasses, – da muß ich dem stumm musternden Portier Anmeldung zuhasten.

Selbstverständlich bringt er nach Sekunden (– längst Anweisung! –) Absage des Chefs, mich zu empfangen.

»Bettler« steht auf seinem Lakaiengesicht. –

Ich habe ihn schon beiseite geschoben – jage plötzlich durch vorüberfliegende Gasse Pulte, gaffender Kontorfratzen zur großen Mitteltür, öffne sie kurz. Im Hauptkontor. Klinke die Tür hinter mir zu. Stehe mit rasenden Pulsen – Faust in der Tasche um den Revolver gespannt – dem erstaunt aufschauenden Chef und seinem Echo-Prokuristen gegenüber.

Ihre Umrisse verschwimmen mit der dunklen Tapete – den hohen Regalen. Das Ganze erscheint mir wie ein Traumbild, das ich zerschneide.

Ehe ein Wort Wirklichkeit weckt – kracht der Schuß!

Mitten in die Stirn getroffen fällt der schwere Körper über den Schreibtisch. – Der Prokurist hat gerade Zeit, aus jäher Lähmung die Arme zu heben, den Mund zum Schrei zu öffnen –

(– wie mit der Zeitlupe! denke ich –)

da hab ich ihm in instinktiver Abwehr mitten hineingeschossen. –

Jetzt arbeitet das Gehirn haarscharf:

Umwenden! Jeden Angriff niederknallen!

– schon reißen Dutzend Fäuste die Tür auf, zucken vor der erhobenen Waffe zurück.

»Tür frei! Ich schieße!«

und gehe langsam auf die entsetzt Zurückweichenden zu.

Aus dem geduckten Knäul taucht das Lakaiengesicht des Portiers auf (– ein herrliches Ziel, diese glatte Larve! mein einziger, fast wollüstiger Gedanke. –)

– Er wirft sich mir entgegen.

Der Schuß sitzt genau in der Nasenwurzel.

Aufbrüllend bricht er zusammen. –

In dem Geheul und Rauch wird die Tür zugeschlagen. Der Schlüssel kreischt kurz –: eingeschlossen.

*

Ich stehe noch immer mit erhobenem Revolver – leis schwankend vor Schwäche.

Die bebende Hand wird schwerer und schwerer. Ich muß sie senken. –

Stille.

Ganz langsam löst sich der Krampf meiner zersprungenen Sinne. Ich empfinde wilde Herzschläge – schmerzzuckes Hämmern gegen die Hirnschale. Der dumbe Pulvergeruch quält mir verklebtes Hüsteln ab. Schließe die rauchüberreizten Augen.

Mattigkeit kriecht durch alle Glieder. –

 

Schrecke jäh auf.

In den inneren Bluttakt von Herz und Hirn klackt fremder Rhythmus.

In mir –?

Im Zimmer –?

Im Zimmer – wo ich allein bin mit drei Toten –?!

Frage fröstelt auf: Woher –?

– Uhrtakt? – der klackt nicht so!

Die eine Hand tastet rückwärts – krampft sich bebend um die Kante, daß der ganze Schreibtisch erzittert.

Das Klacken wird unruhiger.

Da lebt noch etwas!! –

Schleudre mich herum – liege quer über dem Tisch, den Revolver in der vorgestreckten Hand.

Seine Mündung streift etwas Weiches, Nachgebendes, das ich durch das Eisen bis in jeden Nerv spüre.

Starre mit aufgerissenen Augen in zusammenhanglose Linien, Farben, Formen – die sich allmählich klären –: Haare – menschlicher Kopf, das Gesicht auf der Tischplatte. Kleine Blutlache um die halb sichtbare Stirn: – tot. –

Hastig wandert der Blick über den im Todessturz seltsam verkrümmten Körper –: reglos, tot. –

Und da entdecke ich die Ursache des Klackens.

Im Fall ist die Uhr aus der Tasche geschleudert worden, hängt schwer an der Kette, pendelt zwischen der Spanne Körper und Schreibtisch hin und her, am Holz hart anschlagend. –

Mein Gesicht verzerrt sich zur gequälten Grimasse: Kinderschreck! –

Wut schießt heiß hoch in mir!

Verfluchter Feigling! Einen Revolutionsamok willst Du laufen – und klappst vor jedem Uhrklacken zusammen! –

Gewaltsam zwinge ich das schmerzende Hirn zur Konzentration –: Die Tür ist verschlossen. Andere Türen gibt es nicht. In wenigen Minuten ist die Polizei hier. Du bist entschlossen, dich nicht freiwillig auszuliefern bis – –

– Geräusch an der Tür –

Mit einem Satz hock ich zusammengekrümmt auf dem Tisch, den schußbereiten Revolver in der Faust. –

Stille. Unheimliche Stille.

Blick flackert von der Tür zurück – über die beiden Leichen: der Prokurist, der Portier.

Abgelenkt vermag das überreizte Gehirn keinen Gedanken zu halten, wirbelt sie herum:

Tote um mich her – von mir getötet – Blut – noch warm – kosten –

Grausend spreizen sich die Finger vor der rasenden Stirn, pressen die Mörderwollust zurück.

Wieder kreist wüste Kette:

Liste der achtzehn Opfer – der zum Tode verurteilte Freund – hier drei belanglose Mitläufer – keine Rache! keine Tat! lächerliche Pfuscherei!

Serienmensch! Serienmensch! – trommelts im Schädel.

Mitten hinein zuckt erbärmliche Furcht:

Polizei – Massenmörder – Lynchjustiz –; zerwirbelt von entsetzlicher Ahnung: vielleicht bist Du schon wahnsinnig! hast die Tat im Wahnsinn begangen! warst einer Wahnidee verfallen!

Die Welt ist nicht verseucht! Es gibt Gerechtigkeit! Menschlichkeit! Ausgleich! die Dein Irrblick nicht mehr sieht!

Unausrottbar ist Unrecht!

Ist die Natur nicht auch grausam –?!

Aber Du darfst nicht töten! Der Mensch darf nicht töten! Das ist wider Dein innerstes Menschentum! Ekel zerfrißt Dir ja selbst die Seele vor Deiner Tat!

– – – –

Deine Hände! deine Hände! ekelgespreizt – voll Blut – weg damit!!

– – – –

Dem Gericht stellen! Gestehen! Um Mitleid bitten!

– – – –

Nein! nein! nein! –

Und wieder preß ich dem Hirn aufpeitschende Bilder heraus –:

Eine Reihe Krankenbetten mit abgezehrten Proletarierleibern – stinkende Vorstadthöfe – Erzählung von der Nacht eines zum Tode Verurteilten mit einem Haufen Revolutionsleichen – Alex' Kopf im Schafott – die in Stücke gerissene Rosa Luxemburg – Zeitungsnachricht von verfaultem Spekulationsgetreide – das Epileptikerband bei Henry Ford – eine Witzblattkarrikatur auf die mißlungene Novemberrevolution –

Hunde! Ihr sollt den Hohn verlernen!

Mit einem Sprung am Fenster – reiße den Flügel auf –: unten brandet die Hauptstraße.

Wie sich der Pelzmantel protzig in seinem Auto räkelt, das eine rücksichtslose Gasse durch erschrockene Menschen fährt.

Krach! Das traf gut! –

Jäh stiebt der Heuschreckenschwarm auseinander!

Der Knäul dort im Hausflur – stoßend, schiebend.

(– haha! wo bleibt der Anstand, Herrschaften! –)

Mustere ihn scharf: Bäuche – Lackschuhe – Seidenstrümpfe: Bürgertum. – Hinein! Eins! zwei! drei! vier!

Das heult auf!

So hat das Proletariat aufgeheult unter Euren Maschinengewehren! –

Polizei. Schüsse. –

Nur Glasscheiben. Besser zielen! –

Geräusch an der Tür.

Werf mich herum.

Eine Faust greift herein. Zerschmettert schlappt sie herunter. Die Tür kracht zu.

Wieder zum Fenster.

Unten sprüht eine Feuerkette nach mir.

Kaltblütig nehme ich hinter dem Wandschutz einen baumlangen Sipo aufs Korn. Er bäumt sich getroffen auf – stürzt vorn über. –

 

Ich bin ganz ruhig.

Blut scheint erfroren. Eisige Hände. Kalter Schweiß auf der Stirn. Mein Leben ist mir bis zur Tollkühnheit gleichgültig geworden vor der Gier nach Opfern!

Unbekümmert stehe ich im Klirren, Splittern, Pfeifen, Kalkspritzen. Weiß, daß keine Kugel mich trifft. Denke: sorgfältig wählen, die letzten Patronen. –

Gegenüber Juweliergeschäft. Hinter der Gardine dicker Kopf –: Du bist mir willkommen!

Hinter meiner Wand ziele ich lange – ruhig –

Da sprüht gerade gegenüber Feuergarbe aus einem Fenster.

Rasender Stich in der Brust.

Um mich kreist Rot – Rot –, eine wunderbare Fata morgana der in Blut getauchten Revolutionsarmee, die über die zertrümmerte Zeit hinstampft – – –

Harter Aufschlag des Hinterschädels.

*

Wochenlang Fieberrasereien – durch drei Irrenhäuser geschleift – vor tausend sensationslüsternen Augen wegen sechsfachen Mordes und mehrfacher schwerer Körperverletzung zu acht Monaten Zuchthaus – sechsmal zum Tode verurteilt, an der Kette für den Strang gefüttert; – ich kenne die Kannibalenjustiz dieser Zeit.

In diesen Stunden wilden Irrsinns – tobender Verzweiflung – brüllender Bitte um den Tod, habe ich die Furcht vor jeder Gewalt auf dieser Welt verlernt.

Jetzt – seit Wochen still – über Leben und Tod hinausgereift – mit einer nur dem hoffnungslos Sterbenden möglichen Objektivität – drei Stunden vor Sonnenaufgang, der meine Enthauptung sieht, schreibe ich mein letztes Wort – klar – fest – kalt – ohne den Fieberwahn der Mordstunde –:

Es lebe die Weltrevolution! –

Ich bedaure nichts, was ich vom bürgerlichen Leben verloren.

Ich bereue keinen Schritt seit jenem Gerichtstag.

Könnte ich noch einmal zu leben beginnen – ich weihte jeden Atemzug der Revolution. Nicht als blinder Amokläufer, sondern als unermüdliche Energie, die Zeit aus den Fugen zu sprengen! –

Mein letzter Atemzug wird nicht Winseln nach Leben sein. Nicht Furcht vor dem Tode.

Ich sterbe nicht.

Ein starkes, drohendes Wissen glüht durch meine Todesstunde, daß ich in hundert Herzen flammend auferstehe!

*

Lieber Freund.

Ich weiß nicht, ob dieser Brief in Ihre Hände gelangt.

Ich werde ihn dem Pfarrer anvertrauen.

Veröffentlichen Sie ihn als Bekenntnis eines Serienmenschen. Jawohl! Denn mehr war ich nie.

Aber den Serienmenschen soll er eine aufrüttelnde Rute aus träger Lauheit sein.

Es bedarf keiner Hochintelligenz, nur eines alltäglichen Menschenverstandes, um an der ungeheuerlichen Frone dieser Zeit in Scham, Ekel und Haß zugrunde zu gehen.

*


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