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2.
Der Sohn.

Mit dem Professor erging sich an einem Herbsttage der Bergrath von Crell. Der erste hatte zu Emmerstädt, einem Helmstädt nahen Dorfe, einen Krankenbesuch machen müssen, und der Freund hatte ihn begleitet, um auf eine mineralogische Entdeckung auszugehen. Es hatte sich das abenteuerliche Gerücht verbreitet, man habe im Sande eines durch jene flachen Feldfluren rinnenden Bächleins, das seine Quelle bei dem lutherischen Frauenkloster Marienberg und ohnweit dem Stifte St. Lutgeri hat, bei Süplingen und Suplingenburg vorbeizieht, Campen berührt und endlich unter dem Fluß-Namen die Schunter eine Meile unter Braunschweig in die Ocker fällt – Diamanten gefunden. Ein Umstand, der einen Mineralogen allerdings zu näherer Nachforschung berechtigte, in dem Professor aber alle Spottlust erweckte, die er so gern gegen vertraute Freunde übte.

»Du hast nichts gefunden, armer Lorenz Florenz, als einige erbärmliche Kiesel, Kiesel von Emmerstädt – hebe sie ja gut auf in Deiner mineralogischen Sammlung.«

»»Ich will sie Dir in Dein Kabinet verehren, Verehrtester!«« spöttelte Crell dagegen.

»Solltest mir kommen! Ich wollte Dich jagen!« rief der Professor mit komischem Zorne. »Hättest bis nach Walen wallen und in Wenden umwenden sollen, da hättest Du vielleicht in der Schunter, wenn keinen Diamanten, doch einen Frosch fangen können, oder eine Kröte, die den Krötenstein im Kopfe trägt.«

»»Du hast gut lachen und spotten, alter Gottfried«« – entgegnete Crell.

»Wenn man von geschliffenen Diamanten ganze Schachteln voll, und ungeschliffene so groß wie die größten Hühnereier besitzt, braucht man freilich keine im Sandbette der Schunter bei Emmerstädt zu suchen. Aber ist Dir nicht auch schon aufgefallen, warum man zwei nahe beisammen liegenden Dörfern, wie Walen und Wenden, zwei Namen von Volksstämmen gegeben hat?« –

»»Von Wenden wissen wir ja, daß der Ort mitten im alten Sachsenlande seit frühen Zeiten wirklich Wenden-Wohnsitz ist. Ob aber das Dorf Walen von, Walen angebaut wurde, wissen wir nicht,«« erwiederte der Professor.

»Diese Walen spielten doch im Bergwesen der mittleren und späteren Zeiten merkwürdige und eigenthümliche Rollen!« nahm Crell aufs neue das Wort. »Wir sind noch gar nicht klar über sie, ob sie blos Wälsche, Wälische waren, ob sie aus dem Walliserlande und dem Valtelin stammten, oder ob sie aus dem Wallonenlande kamen?«

»»Ich glaube das erstere,«« entgegnete der Professor. »Das Volk nennt diese Leute Venetianer, das hat gewiß ganz guten Grund, der mit dem Vorwalten der Neigung zur Verfertigung schöner und kostbarer Schmucksachen der kunstreichen Bewohner Venedigs in enger Beziehung steht.« –

»Damit wollen wir es sein Bewenden haben lassen!« fügte der Sprechende noch hinzu, dem es innerlich nicht lieb war, selbst den Anlaß zu solcher Erörterung durch seinen Scherz hervorgerufen zu haben, und begann sogleich wieder auf das abgebrochene Thema überzugehen.

»Unsere Emmerstädter Diamanten sind ehrliche Bachkiesel und bleiben ehrliche Bachkiesel, wer aber Diamanten sucht, der denkt, sie müßten gleich blitzen und strahlen, wie Karfunkel. Rohe Diamanten glänzen sehr wenig, rohe Kiesel glänzen gar nicht. Lange bevor das Gerede von den Emmerstädter Diamanten aufkam, habe ich solche dort gefundene Kiesel bereits schleifen lassen, ich habe entdeckt, daß sie geschliffen hübsch durchsichtig werden, doch bei weitem nicht so wie reiner Bergkrystall. Sie verhalten sich zum Diamanten wie Schwefelkies zum Golde. Nun aber sage mir doch, mein lieber Lorenz Florenz, höchstberühmter Chemiker, Mineraloge, Metallurg und Herzoglich Braunschweig-Lüneburgischer Bergrath, wohin stellst denn Du in Deinem Systeme den Diamanten?«

»»Wo anders hin, als zufolge der neuesten Forschung an die Spitze des Kieselgeschlechts?«« gegenfragte Crell.

»Ah!« rief der Professor spöttisch: »wie den Menschen, hominem sapientem, an die Spitze der Thiere! Das ist ja auch gar geistreich und für uns sehr schmeichelhaft. So ist der Mensch also ein Thier, und der Diamant ein Kieselstein! So weit seid ihr nun, ihr göttlichen Naturforscher im Jahre des Heils siebenzehnhundert fünf- oder sechs und neunzig!«

»Nun, und was soll denn wieder diese neue Spötterei, mein hochgelahrter Freund und Gönner?« fragte Crell. »Lenz in Jena, dem wir das neueste System danken, stellt ihn jetzt, wie gesagt, an die Spitze des Kieselgeschlechtes, und Du wirst ihn doch nicht noch mit Werner in Freiberg zu den Thonarten rechnen wollen.«

»»Liebster Lorenz Florenz!«« rief der Professor lebhaft: »»Ich sage Dir, der Diamant ist gar kein Stein, und keine Erde, und die neuen Naturforscher mit ihren Systemen sind alle Hasenschwänze!««

»»Hoffentlich nimmt Deine Bescheidenheit einen Mann aus, dessen Namen Du nichtgern selbst nennst!«« stichelte Crell. »Und wohin ordnest Du denn den Diamanten?«

»»Zu den Inflammaabilien!«« rief triumphirend der Professor.

»Ei was ich höre! Also ein Schwefel!« rief Crell ganz verwundert und lachend aus.

»Fehl geschossen! Kein Schwefel! Der Diamant ist Kohle, reinste, härteste Kohle!« ward ihm entgegnet: »denn er verflüchtigt sich durch das Feuer. Wenn Du es nicht glaubst, Lorenz Florenz, komme zu mir, wir wollen dann Einen den Göttern opfern! Da sollst Du Wunder sehen! Das ist der Silberblick des schmelzenden Metalles im Reverberirofen eine Lichtschnuppe dagegen! Das ist ein wahres Brillantfeuer im doppelten Sinne! Denn mitten in der Gluth wird der Diamant, indem er ohne Flamme und ohne Rauch nur in herrlich leuchtender unaussprechlicher Glorie sich selbst verzehrt, und seinen Stoff den Elementen zurückgiebt, immer kleiner, und jede Facette bleibt, blitzt, bis alles zuletzt in ein gleichsam mikroscopisches Sternchen hin schwindet, und endlich auch dieses hinweg ist. Da bleibt kein Atom irdischen Stoffes, kein Aschenstäubchen, kein Kohlenrestchen, die Chemie hat kein schöneres Experiment aufzuzeigen, als dieses göttlich schöne verflüchtigen des Diamantes.«

»»Und auch dieses Experiment wird sie nur selten aufzeigen,«« beklagte Crell lächelnd: »denn die Chemiker sind nicht so reich, daß sie, wie Du, zum Spaße Diamanten unter der Muffel in Glanz und Gluth aufgehen lassen könnten. Du solltest doch Deinen großen Diamanten schleifen lassen, und Dir dann die Augenweide verschaffen, ihn auf diese Art sich verflüchtigen zu lassen.«

»»Meinen Diamanten, der viel größer ist, als ein Hühnerei, mein lieber Lorenz Florenz!«« gegenredete der Professor: »diesen zu schleifen, würde ein Herzogthum kosten. Doch« – setzte er plötzlich sehr ernst hinzu: »wer weiß, was geschieht? Dieser größte Diamant aller bekannten Diamanten in der Welt zeigt, obschon er nicht in Facetten geschliffen ist, eine so wunderbare Krystallisation, wie kein Diamant in der Welt sie hat, auch hat er mehr Härte, als alle übrigen. Nach der gewöhnlichen mathematischen Steigerung bei der Berechnung des Diamantenpreißes können alle Monarchen Europas zusammengenommen den meinen nicht bezahlen.«

»»So nützt er leider Dir nichts, doch Du brauchst es auch nicht,«« sprach Crell: »aber auch andern wird er dereinst nicht nützen. Ich würde ihn zertheilen, um ihn verkäuflich zu machen.«

»»Dann fiele ja alsbald der hohe Werth hinweg, und der Vorzug einzig in seiner Art zu sein«« – widersprach der Professor. »Hast Du in irgend einer Art von Sammlung ein Unicum, und kannst es vermehren, oder läßt das geschehen, so ist jenes kein Unicum mehr und verliert an seinem Werthe ganz außerordentlich. Schlägst Du etwa einen großen Rauchtopaskrystall auseinander, um mehrere Exemplare gewinnen? Das wäre fürwahr ein schlechter Gewinn. Und was ist so ein erbärmlicher Krystall, und wenn er noch so schön geschliffen würde, gegen meinen Diamanten?«

»»Nun so freue Dich nur noch recht lange des Besitzes dieses unschätzbaren Unicums, bis recht spät Deine Erben sich dessen wieder in anderer Weise erfreuen werden,«« wünschte Crell.

Der Professor sah den jüngeren Freund mit wehmüthigem Lächeln an. »Meine Erben?« fragte er betonend – und ohne weiter noch etwas hinzuzufügen, sang er mit feiner, leiser melodischer Stimme aus Goethe's König in Thule die Strophe:

                   

»Und als er kam zum sterben,
Theilt' er seine Städt' im Reich;
Gönnt' alles seinen Erben,
Den Becher nicht zugleich. –

 


 

»Das ist meine Geschichte, Gofredo, das ist Deine Geschichte, Gofredo!« hatte die alte Frau im tiefen Gewölbeschooße der Asseburg gesprochen, und Gottfried sprang erschreckt von seinem Sessel auf. Es ging ein eigenes, krampfhaft schmerzliches Gefühl durch sein Herz – kaum fand er Worte, kaum wußte er, ob er wagen dürfe, an das zu glauben, was die Alte ihm enthüllt – wenn auch alles erzählte wahr und klar war, noch so vieles blieb ihm dunkel.

»Das ist meine Geschichte, sagt Ihr?« rief er endlich aus. »So bin ich der Sohn Regina's? Und der Mann der geheimnißvollen Wunder, der tiefen Wissenschaft wäre mein Vater? – Fühlt Ihr auch, welche Last mir Eure Eröffnungen auf die Seele wälzen, alte Frau – Großmutter sollte ich wol sagen? Ich sein Sohn! Wie das mich stolz gemacht hätte! Und warum mußte ich als Sohn des Knechtes gelten, warum selbst ihm Knecht sein? Wozu war diese Larve? Wozu ward ich bestohlen um eine freudige Jugendzeit, gehemmt in meinen Neigungen, karg gehalten, während des Reichthums Fülle ihn umgab? Oh, das ist unnatürlich, ist grausam, ist entsetzlich!«

»»Das alles frage mich nicht, uns nicht – Gofredo!«« entgegnete die Greisin. »Es war das alles sein Wille, Du warst sein Sohn, sein Eigenthum. Er, der große Arzt, empfing Dich aus dem Schooße Deiner seligen Mutter, er küßte ihr weinend die schönen Augen zu, als diese gebrochen waren. Sie lag im Tode wie ein schönes schlummerndes Kind. Mit einer Thätigkeit und Sorgfalt verfuhr er um Dich, wie um die theure Tode. In Wolfenbüttel bestellte er den zinnernen Sarg, in Braunschweig kaufte er die kostbarsten Specereien, im Dunkel des Abends brachte er auf eigenem Wagen alles nöthige selbst; ein armes junges Ehepaar in Groß-Vahlberg nahm er in seinen Dienst, und bediente sich des Mannes, den er mit schweren Eiden fesselte und ihm eine lebenslängliche Versorgung verhieß, zur Hülfe. Einbalsamirt wurde unsere verklärte Regina, wie eine Königin, und mit der Kunst des geschicktesten Metallarbeiters verlöhtete Dein Vater eigenhändig den Sarg Deiner Mutter so, daß ein starkes Spiegelglas die schöne Hülle deckte, von dem der Deckel leicht sich abheben läßt. Wir setzten sie bei in ein kleines Gewölbe neben dieser Halle. Da ruht nun mein armes Kind im Frieden Gottes. Jener jungen Frau des neuangenommenen Dieners wurdest Du anvertraut, er nahm, nach Helmstädt zurückkehrend, Dich und jenes Paar gleich mit, räumte ihm bei sich Wohnung ein, ordnete alles, die Einbürgerung dieses Paares, Deine Taufe, wurde Dein Pathe, und überwachte mit Liebe die Pflege Deiner Kindheit.«

»»Schade, daß ich dieser Liebe mir nicht mehr bewußt bin, und mich nicht erinnern kann, jemals sonderlicher Liebe theilhaft worden zu sein«« – murrte Gottfried.

»Ach, wie selten erkennen Kinder der Aeltern Liebe!« erwiederte darauf die Matrone. »Du warst vielleicht als Knabe und als Jüngling nicht recht nach seinem Sinne – vielleicht auch ging ihm, trotz so vieler Begabung, die Gabe der Erziehung ab, oder vielleicht war er auch befangen, da er Dir wie allen anderen verhehlen mußte, daß er Dein Erzeuger sei. Vielleicht erkanntest und verstandest Du seine Dir offenbarte Liebe nicht, und wiesest sie von Dir!«

»»Ja ja! Ihr mögt vielleicht Recht haben!«« sprach Gottfried dumpf und schmerzerfüllt. »Ich war nicht recht nach seinem Sinne, ich verstand seine Liebe nicht – das ist nun das Unglück meines Lebens – was bin ich jetzt und was könnte ich sein, wenn ich anders geleitet worden wäre! Ach – hättet Ihr mir doch lieber das alles nicht enthüllt! Es ist ein Thor, wer an die Pforten der Geheimnisse klopft – was bleibt mir nun? Einen fremden, mir nicht gehörenden Namen muß ich mit mir herumschleppen bis an mein Ende! Wie soll ich mich nun gegen den Pathen verhalten und nehmen, der heimlich mein Vater ist?«

»»Du wirst, Gofredo«« – nahm darauf Bianca das Wort: »sein Geheimniß ehren und bewahren helfen, wie wir es ehrten und bewahrten bis zu dieser wichtigen Stunde, in der es Dir, und nur Dir enthüllt wurde.«

»»Ihr!«« rief Gottfried. »Gut, daß Du mich an euch erinnerst! Wo bliebt, was thatet ihr in dieser ganzen langen Zeit meines Lebens? Weshalb machtet ihr beide euch zu Troglodyten? Warum zoget ihr nicht in eine Stadt? Was habt ihr getrieben so lange und so licht- und menschenscheu? Ich bitte euch, das saget mir!«

»»Du hast eine Gabe, lieber Neffe, die Dir stets treu bleibt!«« antwortete Bianca. »Es ist die, in einem Athem recht viel zu fragen. Wenn Du nach wissenschaftlichen Dingen beständig so eifrig gefragt hättest, müßtest Du ein großer Gelehrter geworden sein.«

»»Keinen Spott in dieser ernsten Stunde, der wichtigsten meines Lebens!«« entgegnete mit männlicher Strenge im Tone der bewegte Frager. »Der Gedanke ist mir widerwärtig, ein naher Verwandter von Landfahrerinnen zu sein, als solche seid ihr mir, und als nichts anderes, zuerst erschienen. Selbst Dein erstes mir begegnen, Bianca, dort auf der Harzburg, hüllte sich in die Schleier des Abenteuers, war romanhaft und mißfiel mir, denn meine Natur ist prosaisch, ist praktisch; ich will klares Licht, keinen Nebel. Im Nebel kann ich keinen Auerhahn, keinen Hirsch schießen. Was wolltest Du dort? Woher wußtest Du, da Du doch meinetwegen dort warest, daß ich hinauf kommen würde? Und wenn ich nun nicht hinauf kam, hättest Du Deine seltsamen Reden und Prophezeihungen ja gar nicht an Mann bringen können. Nur das eine sage mir, was ihr treibt, warum ihr euch in diese Höhlen vergrabt, und wovon ihr euch den Unterhalt gewinnt?«

Bianca, welche sich längst erhoben hatte, machte eine heftige Bewegung, und wollte im Unwillen erwiedern – da sprach die Greisin: »Laß mich reden und ihm antworten, Bianca Dir, Gofredo, mangelt ein Gefühl, das Du nicht haben kannst, nicht kennst. Du fühlst nichts für den Staub Deiner seligen Mutter; Du weißt es nicht zu ehren, daß wir hier heilige Gräber hüthen, daß wir am Grabe Antonio's, am Sarge Regina's beten müssen. Du brauchst das nicht zu thun, aber uns mißgönne nicht den frommen Brauch, nicht die lange schmerzliche Gewohnheit. Wie bald wird mir die Grube gegraben werden neben Antonio, dann wird Bianca's bleiben hier nicht mehr sein. Daß wir Theil nahmen an Dir von Deiner zartesten Jugend an bis zum heutigen Tage, das kannst Du Dir doch wol denken! Wir waren gar oft Dir nahe, umschlichen, belauschten Dich, freuten uns über Dich, und beklagten Dich, wenn Du Kummer hattest. Du, nur Du warst es, der uns, ohne es zu ahnen, an dieses Land, diese Gegenden fesselte. Wir haben nie etwas Lichtscheues getrieben. Wir haben Schutzbriefe und gute Pässe, wir können wandern, wohin es uns be liebt; wir haben ein ehrliches Gewerbe uns erwählt, nicht des Bedarfes halber, sondern um thätig zu sein. Wir besuchen die Markte kleiner Städte der Umgegend, so wie die Edelsitze und die Klöster, und treiben ein Geschäft mit Bildchen, mit erlesenen Parfümerien, die uns Dein Vater bereitet, mit den feinsten Schminken, die er ebenfalls bereitet und die Du kennen wirst; mit Räucherspecereien, mit heilkräftigen Essenzen. Wir haben einen Diener, der uns die Pakete trägt, und sind aller Orten nicht ungern gesehen.«

»»Hm hm!«« – murrte Leonhard bei dieser Mittheilung, über die er eine sonderliche Freude nicht empfand, und fragte: »Nebenbei – ich sehe das klar aus allem – treibt ihr etwas Wahrsagerei, Kartenschlägerei? Hab' ich recht? – Bianca hat ja mir selbst in der Hand gelesen.«

»»In dem Sinne, wie Du es nimmst und meinst, haben wir solche Künste nicht geübt«« – entgegnete die Sprecherin. »Aber es giebt geheime Wissenschaften, die für den da sind, der sie glaubt. Wer an dieselben nicht glaubt, für den sind sie eben nicht vorhanden. Und willst Du sie nicht Wissenschaften nennen, so nenne sie Künste. Es giebt eine Gabe, das zukünftig kommende voraus zu sehen; sie ist aber nur wenigen verliehen, und auch diese sehen selten hell, die Bilder der Zukunft erscheinen wie Bilder der Träume, wandelbar, oft schnell verwischt. Es giebt einzelne Menschen, welche diese Gabe des Fernblickes in die kommende Zeit haben; diese Gabe macht nicht glücklich. Bianca besitzt sie – aber nie hat sie sich erniedrigt, sie um Lohn zu üben.«

»»Und niemals will ich sie wieder üben, da nur schlechter Dank damit eingeärntet wird!«« nahm Bianca das Wort. »Ich will niemand mehr Glück verkünden, und niemand mehr warnen, damit die eingetroffene Wahrsagung mir nicht auch noch zum Vorwurf gedeihe.«

Gottfried fühlte den Vorwurf, der ihn selbst in diesen Worten Bianca's traf. War nicht eingetroffen, was sie ihm prophezeiht? Und wie erfreulich für ihn! Hatte er nicht den Gipfel seiner, allerdings bescheidenen Wünsche erreicht? War er nicht Förster in Neustadt? Sollte dieser Ort ihm nicht zur Stätte neuen Lebensglückes werden? Durfte er dort mit seiner geliebten Sophie fortan nicht wohnen und walten im Genusse gesicherten Einkommens, bei der eigenen Neigung entsprechender Thätigkeit? – Hatte er ein Recht hart zu sein gegen Verwandte, die ihm von seiner Geburt an liebevolle Theilnahme gewidmet durch sein ganzes Leben? Er fühlte, daß er schuldig sei, milde, dankbare Gesinnung an Tag zu legen, denn was konnten zuletzt diese Frauen dafür, daß durch des Schicksals Lenkung die eine derselben seine Großmutter, und die jüngere seine Tante geworden? – Und dennoch ging ihm noch gar vieles durch die Gedanken, quälte und marterte ihn. Vor allem sein nun ganz eigenthümlich gewordenes Verhältniß zu der Familie Leonhard. Daß die Kinder jenes alternden Ehepaares nichts von der Abkunft ihres vermeintlichen älteren Bruders wußten, konnte er sich wol denken – aber daß die beiden Alten, Mann und Frau, so lange Jahre hindurch das Geheimniß still bewahrt, ihn wie einen Sohn gehalten – das machte wol den alten Leuten Ehre und nöthigte Dankgefühl und Achtung gegen sie ab, aber gegen den Vater wendete sich des Sohnes Herz voll immer neuen Grolles, daß er, der Sohn, so doppelt abhängig gehalten, in seiner Ausbildung zurückgehalten worden, daß ihm Genüsse entzogen worden seien, auf die er hätte Ansprüche machen können. Gedanken des Stolzes erfüllten ihn, es erwachte eine Eitelkeit, der sich für den Augenblick mindestens ein Gefühl der Unzufriedenheit mit seiner nun anzutretenden Stellung und dem ganzen Lebensgange beimischte, den er eingeschlagen hatte.

Aufs neue öffnete Gottfried den Mund zu fragen: »Und wie lange dürft ihr denn hier hausen? Wird der Verwalter jenes Vorwerks euch immer dulden? Kann er nicht sterben, kann nicht ein Nachfolger, dem ihr vielleicht lästig seid, aus diesem Asyle, um das ich euch wahrlich nicht beneide, euch vertreiben? Wem gehört das Vorwerk unterhalb der Ruine?«

»»Wenn ich Dir die letzte Deiner Fragen beantworte, so sind die übrigen überflüssig!«« versetzte die Großmutter Gottfrieds. »Das Vorwerk ist unser Eigenthum, wir schalten und walten als Herrinnen hier. Dein Vater hat es für uns gekauft. Wir sind völlig unbedroht. Doch nicht als ein Geschenk haben wir es von ihm, wir könnten, wenn wir wollten, ebenso gut ein Rittergut besitzen und in einem Schlosse wohnen. Aber wir hangen an der alten liebgewordenen Gewohnheit rastlosen umherwanderns. Unsere Weise wird nun niemand ändern. Antonio, mein seliger Mann, besaß in Schriften die Geheimnisse der Bereitung kostbarer Farben, welche mit Gold aufgewogen werden – Carmine, Ultramarine, er besaß bedeutende Vorräthe von Lasursteinen, die er in nur ihm bekannten Gebirgsschluchten ferner Lande gesammelt hatte, dieß alles haben wir Deinem Vater gegeben, damit er Nutzen daraus gewinne für sich und für Dich.«

»Meinem Vater! Meinem Vater!« rief Gottfried. »Ich kann noch gar nicht den Gedanken fassen, daß dieser Mann mein Vater sein soll! Und wird er mich anerkennen? Darf ich vor ihn hintreten und Vater zu ihm sagen? Darf ich ein Erbrecht ansprechen, oder werde ich, der Sohn eines ungeheuer reichen Mannes, in untergeordneter Stellung lebenslänglich mir es sauer werden lassen müssen? Wahrlich – ich traue ihm zu, daß er letzteres ruhig wird geschehen lassen, sonst hätte ich ihm wol schon von früher mehr zu danken!«

»Und könnte er nicht heute die Augen zuthun? Wer bezeugt mir, daß ich der Sohn meines Pathen bin? Fernher werden die lachenden Erben herbeiströmen, und wenn ich mich meldete, würden sie mich wie einen Hund aus dem Hause peitschen! Darin rathet mir, was ich hierin thun, wie ich mich verhalten, benehmen und stellen soll gegen ihn, auf daß auch meine Zukunft eine gesicherte, will sagen eine gegen Mangel gesicherte werde!« –

»»Guter Rath kommt über Nacht, Gofredo!«« erwiederte die Großmutter. »Es ist schon spät, wir wollen uns zur Ruhe begeben, Morgen sollst Du alles erfahren.«

»»Morgen?«« fragte mit starkem Zweifel im Tone, Gottfried, indem er flüchtig nach seiner Uhr sah. »Wißt ihr mir etwas zu sagen, so sagt es mir in dieser Stunde – es ist nicht weit mehr zur Mitternacht, und das morgen wird in wenigen Viertelstunden ein heute sein; Sagt es mit kurzen Worten, offen und ehrlich, was ihr für mich für das beste haltet. Wer weiß, ob wir uns morgen wieder fänden – jetzt bin ich da, ich kann mit Pferd und Hund morgen nicht in diesen Katakomben bei euch Einkehr suchen und vorsprechen, auch habe ich Eile, an den Ort meiner Bestimmung zu gelangen, wo meine Ankunft nöthig ist.«

»Nun denn, da Du so drängst, Gofredo« – sprach die Alte weiter: »so sage ich Dir und rathe ich Dir: Hebe den Schleier seines Geheimnisses nicht höher, als ich ihn Dir gelüftet. Schone ihn! Es würde ihn beschämen und bestürzt machen, wolltest Du plötzlich als Sohn vor ihn hintreten – es würde auch Deine Pflegeältern Dir gegenüber verwirren. Sein Erbe kannst Du ja doch nicht werden, Du bist nicht, was man einen legitimen Sprößling nennt; er wird aber ganz sicher Deiner nicht vergessen. Daß er so wenig bisher für Dich gethan, das hast Du einzig und allein nur Dir selbst und Deinem eigenen Verhalten gegen ihn zuzuschreiben; Du gingst die Wege nicht, auf welchen er Dich führen und Dich wandeln sehen wollte, Du gingst Deine eigenen Wege, und wir meinen, es mache Dir mehr Ehre, Dir aus eigener Kraft eine Stellung errungen zu haben, als wenn Du ohne alles Verdienst durch fremdes Geld in den Schoos des Glückes gehoben worden wärest – und es ist noch die Frage, ob Du so glücklich wärest als reicher Müßigganger, wie jetzt, wo Du Dir in freier Thätigkeit Dein eigenes Brod selbst verdienen gelernt hast.« – Gottfried erwiederte nichts auf diese Rede, die ihm nichts weniger als erfreulich lautete, doch konnte deren Wahrheit nicht von ihm bestritten werden. Er beruhigte sich, und faßte den Entschluß, der Zeit und der göttlichen Fügung anheimzugeben, was die Zukunft für ihn bringen solle.

Bianca entfernte sich aus dem Gewölbe, und die Großmutter trat zu dem Enkel, und faßte seine Hand. Ihre Hand war hart und kalt. »Gofredo,« fragte sie flüsternd, »willst Du Deine Mutter nicht sehen?« – »»Meine Mutter – sie sehen?«« rief er halblaut, durchschauert. »Eine Tode, eine Mumie! – O hätte ich sie im Leben gesehen, so würde ihr schönes Bild mich überall hin begleitet haben, es würde stets in meiner Erinnerung geblieben sein – ich hätte vielleicht selbst die theuern Züge auf der Leinwand festgehalten – aber so – nein – Großmutter – erlaßt es mir – ich möchte nicht mich entsetzen vor dem Anblick meiner vor so vielen Jahren verblichenen Mutter!«

»»Wie Du willst Gofredo – wie Du willst – Du kanntest sie nicht, so kann Dein Herz nicht um sie trauern. Wir aber sehen sie fast täglich, wir reden mit ihr, wir werden ihr sagen, daß ihr Sohn bei uns war, sie aber – nicht sehen wollte. Was redest Du von einer Mumie? Du denkst wohl an die Gruft zu Quedlinburg? An die Leiche der schönen Aurora? O meine Regina war schöner, viel schöner als jene Aurora, und sie ist noch immer so schön – ja noch immer. Die geheimnißvolle Kunst Deines Vaters wußte sie wunderbar zu erhalten. Durch den hermetischen Verschluß des Sarges mittelst der inneren Glasdecke konnte kein Atom von Luft weder aus- noch eindringen – balsamische Essenzen hemmten die Verwesung – und so ruht sie noch, ein Bild des Friedens, ein Bild der Unschuld – ja so ruht sie bei uns, und ihre Seele in Gott.«« –

»Wol denn, ich will die Mutter sehen!« sprach Gottfried.

Die Greisin führte ihn aus der runden Gewölbhalle in einen Gang, und klopfte an eine zur Seite befindliche eiserne Thüre. Diese wurde geöffnet, Bianca war es, die sie öffnete, und an der Hand der Großmutter trat Gottfried in eine kleine Gruftkapelle, in deren Mitte der Sarg stand. Der abgehobene obere Deckel lag daneben. Ein frischer Kranz lag auf der Glasfläche. Zu Häupten des Sarges befand sich ein schmuckloser Altar, auf welchem Kerzen brannten, zwischen denen ein elfenbeinernes Crucifix stand. Bianca sank, an einem Rosenkranze betend, am Sarge nieder, und hob den Kranz ab.

»Siehe Regina, das ist Dein Sohn!« hauchte mit Schmerz die greise Matrone. Gottfried blickte bebend nach der Leiche. Unentstellt, unversehrt, weiß wie cararischer Marmor, schön wie eine Madonna, engelreine, jungfräuliche Züge – so lag Regina im Sarge. Ihre betend zusammengelegten Hände waren von einem Rosenkranze aus großen ächten orientalischen Perlen gebildet; das kleine Crucifix an demselben war aus Krystall geschnitten.

Voll unaussprechlicher Gefühle kniete auch Gottfried an dem Sarge nieder; der tief erschütterte Mann küßte das Glas da, wo es die Augen und den Mund seiner Mutter deckte, und auf dessen Spiegelfläche träufelten Gottfrieds heiße Thränen. –

 


 


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