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7.
Harzreise.

Es sank ein herrlicher Herbstabend auf die Gefilde des Harzlandes nieder, als Christian mit leichtem Studentenränzel sich von Halberstadt her seinem Stammorte Wernigerode näherte, voll froher Gefühle und voll vom Zauber der Romantik, wie sie in jugendlichen Seelen blüht. Eine Welt voll Hoffnungen, wie voll Reiz und Schönheit liegt vor ihnen, malerisch entrollt ist das Land ihrer Zukunft ihren sehnsüchtigen Blicken, wie ein Hochgebirge, das sich prachtvoll aufgipfelt, Höhe über Höhe, eine schöner und grüner wie die andere, und darüber im blauen Aether Wolken über Wolken, alle brennend im Rosenschimmer theils, theils wie Gold und Silber glühend.

Aus der lachenden Ebene voll Wiesen und umbuschter Ortschaften und Einzelwohnungen hob sich vor dem frischen rüstigen Wanderer die Stadt freundlich und friedlich, und über ihr hochthronend das alte stolze Grafenschloß der Stolberge, überragt von anderen noch höheren Bergen des Harzes. Es ist ein Anblick voll überwältigenden Eindruckes, den namentlich auf den Bewohner ziemlich flacher Gegenden ein malerisches Gebirgsland macht, dessen Fuße er naht, dessen Berggiganten er vor sich aufragen sieht in ihrer großartigen Majestät.

Der Jüngling schwärmte in Gefühlen und pries in einem unausgesprochenen Liede die Anmuth seiner Aelternheimath, bis ein Mann in Begleitung eines Hundes des Weges daher, ihm entgegenkam; ein Spaziergänger schien es, dem Christian aber bald mit einem Freudenrufe entgegenflog. Leonhard und Christian lagen einander in den Armen, und freudig bellend und schweifwedelnd sprang der Hund an beiden auf, als wolle er Theilnahme am beiderseitigen Freundschaftsglücke bekunden. Dieser vierfüßige Begleiter wurde sogleich von seinem Herrn dem jungen Freunde unter dem beziehungsreichen Namen Tiro vorgestellt. Leonhard war eine Stunde früher schon eingetroffen und dem Freunde nun entgegengewandelt. Der junge Gast sah sich von den noch lebenden Großältern, wie vom Vaters-Bruder und dessen Familie herzlich begrüßt, Leonhard hatte bereits für sich und sein Pferd die freundlichste Aufnahme gefunden; nur damit war niemand einverstanden, daß die vereinten Reisenden schon anderen Tages weiter wollten – denn es sollte erst alle Herrlichkeit des Schlosses, jede Sehenswürdigkeit, hauptsächlich das schöne Naturalienkabinet, jede reizvolle Aussicht in Augenschein genommen werden. Thiergarten und Blockshornberg, Haarburg und Weinkellerloch, und andere von Sagen umblühte Punkte. Die Reisenden aber schützten vor, daß ihr Ziel weit, und ihre Zeit kurz sei, und so fand sie schon der andere Morgen auf dem Wege, den der ortskundige Vater Christians und auch Leonhard selbst als den kürzesten vorgeschlagen hatte, wobei dennoch der Gewinn berücksichtigt worden war, den das Berühren geschichtlich wichtiger oder romantisch schöner Punkte für Christians Erinnerungen bringen sollte. Und für solche Sammlung bieten ja Harzwald und Thüringerwald die herrlichsten Funde, die reichsten Schätze.

Einsame geschlängelte Waldwege führten hoch hinauf ins Gebirge, und über den Hartenberg nach Elbingerode nieder, in den Thalflecken am Brockenfuße, dessen Gegend sich ziemlich öde und reizlos zeigt; aber in der Nähe durchrollt die Bode ein grünes Thal und bieten Baumanns- und Bielshöhle sich der Betrachtung dar. Dieses Thal mußte bald verlassen, und manch beschwerlicher Pfad überritten und überschritten werden, um endlich das tief im Kessel rings ansteigender Höhen eingesenkte Städtchen Hasselfelde zu erreichen, von wo aus das Brockengebirge sich malerisch prachtvoll dem Auge darstellt.

Gern vergönnte an steileren Stellen Leonhard seinem schwächeren Begleiter den Gebrauch des Pferdes, und ging zu Fuße, wodurch er dem Thiere selbst eine Erleichterung verschaffte. War er doch unverwöhnt genug und hatte auf übelsten Märschen und auf schlechtesten Wegen das Gewehr und den schweren Tornister getragen. So setzte sich unter allerlei Wechselgesprächen die Reise der beiden rasch südwärts fort, Leonhard wußte viel und gut zu erzählen, erzählte gern und da er in der Malerkunst nicht unerfahren, so trug er zumeist recht helle Farben auf, und zwar um so stärkere, je gläubigere Bewunderer seine Schildereien fanden.

Von Hasselfeld ging es wieder aufwärts am Königsberge hin, der einem Besuche des deutschen Königs Heinrichs III. seinen Namen danken soll, dann höher hinan zu den Pfauenköpfen, auf denen wol niemals Pfauen hausten; über die Harzhöhe dann nach der neuangelegten Anhalt-Bernburgischen Colonie Friedrichshöhe hinunter, wo eine Dreiherrenbuche das Zusammenstoßen verschiedener Grenzzipfel kleiner Harzländchen bezeichnete. Von da lenkt sich der Weg am Brockenstein vorüber, zum heutigen Tannengarten empor und senkt sich dann nach Stolberg, dem Residenzsitz des älteren Zweiges der berühmten Harzgrafenfamilie nieder. Hier wurde Nachtrast gehalten und am nächsten Morgen die Reise zeitig fortgesetzt, und zwar zunächst durch ein reizendes Waldthal bis zum Ausgange des Gebirges, nach dem bedeutenden Dorfe Rottleberode und von da immer dem Laufe der munteren Tyra nach, in welche ihr Namensverwandter Tiro oft badend hineinsprang, und nicht müde wurde, von Christian in die klare Fluth geworfene Steine herauszuholen. Dieser vierfüßige Reisegefährte war ein schöner kräftiger, bereits von Leonhard gut dressirter Hühnerhund, mit klugen Augen und treuherzigem Blick, stets nasser Schnauze und sehr kalter Nase. Sein Fell war braun, doch verlief sich an den Beinen und Pfoten dieses braun in das goldgelbe, was als eine Schönheit gelten konnte, übrigens war Tiro ganz und gar fleckenlos; seine Behänge waren groß und kostbar, noch etwas dunkler schattirt wie das Fell, und der Schwanz von normaler Größe.

Als Leonhard seinen Freund den Namen des Thalbaches genannt hatte, und diesem die Aehnlichkeit mit dem Hundenamen auffiel, ermangelte der erstere nicht, seinen Begleiter jene Scene zu schildern, die er vor seinem Weggange zum Militair mit seinem Herrn Pathen gehabt, wie dieser ihm beim malen seines Bildes, das Jungfrau Sophie als Andenken erhalten sollte, überrascht, das Bild äußerst spöttisch belobt, und nach seiner Gewohnheit alsbald ein lateinisches Distichon darauf gefertigt, welches gelautet habe:

                   

Peniculo tenero pictor Helmstadius ipsam
Expressit effigiem juvenis, tiro, gratus.

»Nun denke Dir, lieber Christian,« fuhr Leonhard in seiner Mittheilung erregt fort: »wie mir zu Muthe war, als mir der Herr Pathe das Bild geradezu wegnahm, indem er vorgab, er wisse, daß ich es für ihn, aus Dankbarkeit, zum Andenken, gemalt habe – aus Dankbarkeit in dem Augenblicke, in welchem ich ihm mit nicht schonenden Worten alles sagte, was ich ihm danke, geschwächte Sehkraft für die Nähe, erfrorene Finger und Hände, ein halbes Wissen und einen Namen, über den jedermann lacht!«

»Nie und nimmermehr werde ich meinem Pathen die mir damals zugefügte Kränkung vergessen, das Bild mir zu nehmen, und Spott und Hohn über mich auszugießen! Du weißt jetzt gewiß mehr Latein, Christian, als ich, und denke Dir, daß er mich Tiro nannte. Erst war ich dumm genug, eine nur in leichte satyrische Form gekleidete Schmeichelei oder doch Anerkennung meines Gemäldes in jenem verruchten Distichon zu finden, ich übersetzte das Wort tiro in Anfänger, der war ich ja, dann in: ein Freigelassener, zu diesem stand ich im Begriffe mich selbst zu machen, dann aber fuhr mir's durch den Sinn und fiel mir wie Schuppen von den Augen, mit dem tiro – war ein Rekrut gemeint, denn der Commentar dazu aus des Herrn Pathen Munde blieb nicht aus – er zitirte mir den alten Gemeinplatz von »dem Kalbfelle folgen müssen.« Gut, ich bin dem Kalbfelle gefolgt – aber ich schwur auch mir selbst, dem Herrn Pathen dieß Wort nie zu vergessen, und damit ich's recht hübsch merke, habe ich den Hund Tiro genannt – ist's nicht ein recht hübscher Hundename?« –

Der angenehme Weg, der sich von Stolberg herab erst durch eine waldige Thalrinne, dann durch einen offeneren Grund zog, der bei Tyrungen in das reizende von der Helme durchflossene Fruchtgefilde der güldenen Aue ausmündete, war ganz geeignet zu mittheilsamen Gesprächen und Christian nahm von Gottfried's Erzählung willkommenen Anlaß, in verständiger Weise dem immer noch Aufgeregten Andeutungen zu geben, welche jenen beruhigen, und seine Gereiztheit gegen seinen im Grunde doch so sehr menschenfreundlichen und ihm herzlich wohlwollenden Pathen beseitigen sollten.

»Du bist viel älter als ich, lieber Gottfried,« sprach der junge Student: »und ferne sei es von mir, Dir Lehren geben zu wollen, so viel aber kann und darf ich Dir doch sagen: Du beurtheilst Deinen Herrn Pathen falsch. Hat er früher allerdings nicht ganz nach Deinen Wünschen an Dir gehandelt, wer sagt Dir, ob er das nicht längst bereut hat? Gewiß hat Dein rascher Weggang sein Herz tief verwundet, es hat ihn geschmerzt, daß Du so stürmisch Dich ihm und aller Dir vielleicht noch zugedachten Liebe entzogen hast. Bedenke welch ein kenntnißreicher, berühmter Mann er ist, bedenke, daß er allein steht, daß er bejahrt ist. Jugend hat nicht Tugend, sagt das Sprichwort, und das Alter hat seine Schwächen; es schützt nicht vor so mancher Thorheit. Bejahrte Leute wollen gern dauernd herrschen und gebieten, nach ihrem Willen soll alles gehen, sie wollen den jüngeren, zumal wenn es nahe Verwandte sind, die Lebenswege vorzeichnen, und sie haben meist ein Recht dazu. Für langjährige Opfer, den Kindern durch Pflege, durch Erziehung, durch Liebe gebracht, sind sie berechtigt, Dank, Gegenliebe, selbst Gegenopfer durch Gehorsam zu fordern.« –

»Dein Herr Pathe ist reich, sehr reich, ja er gilt für unermeßlich reich und hat keine nächsten Erben. Stirbt er, so fällt sein ganzes Vermögen an die Kinder seiner Schwester, eine vermählte Werneburg, oder an deren Nacherben. Sicher hat er Dir etwas davon zugedacht, wodurch er jenen Erben nichts wesentliches entzieht, das Dir aber doch wesentlich nützen kann, demnach füge Dich seinem Willen, zeige Dich ihm gut und kindlich gesinnt, zu Deinem eigenen Besten, und vergiß jenen unzarten, vielleicht doch nicht so, wie Du denkst, gemeinten Scherz.«

Leonhard zog während dieser Rede ein spöttisches Gesicht, und antwortete so: »Christian, daß Du nicht etwa in Jena ein Collegium über Moralphilosophie belegst! Es wäre Schade um das schöne Geld – denn Du kannst dergleichen schon selbst lesen, trotz dem besten Professor. – Siehst Du den hübschen Ort da vor uns? Das ist Kelbra! Wie lebhaft mich dessen Name an den verlorenen Sohn erinnert, dessen Rolle zu spielen, Du mir anräthst! Wird mein Herr Pathe, gleich dem Herrn Papa jenes Sohnes, auch ein Kalb schlachten, wenn ich reuig wiederkehre? Ganz gewiß nicht. Er wird das alte Lied mir singen: Duck' unter! Siehst Du, guter Christian, und das will ich nicht! Ich will nichts haben von ihm; mögen andere auf seinen Nachlaß bauen. Ich bin zu gut und zu stolz zum – Erbschleicher!«

»»Du mußt mich nicht absichtlich falsch verstehen, Gottfried!«« nahm Christian seine Rede wieder auf. »Ich muthe Dir keine Gemeinheit zu. Man ist noch kein Erbschleicher, wenn man alte Leute liebevoll behandelt, ihren billigen Wünschen entgegenkommt; ein einziges Farbenrecept von seiner Erfindung könnte vielleicht dich reich machen; dem Bergrath von Crell hat der Professor, wie ersterer mir selbst vertraut hat, als ich ihm meinen schuldigen Abschiedsbesuch machte, ein Fläschchen mit rothem Pulver, dazu ein goldenes Löffelchen gehören soll, zu hinterlassen versprochen, und dieser so sehr erfahrene Mann scheint große Hoffnungen darauf zu bauen. Ganz sicherlich ist's der Goldpurpur, von dem ein Gran ein Pfund Blei oder Zinn in Silber, und ein zweiter Gran dieses Silber in lauteres Gold verwandelt.«

»»So? – meinst Du wirklich? Sagte das der Bergrath?«« fragte Leonhard gespannt.

»Er sagte das nicht so geradezu,« erwiederte Christian: »ich spreche nur meine Vermuthung aus, die aber der seinen sehr nahe kommen. wird.«

»»Das wäre etwas; dergleichen ließe sich hören!«« versetzte Leonhard: »»aber ein gewöhnlicher Farbenkoch möchte ich nicht werden. Der Waid ist allerdings eine edle Farbepflanze, aber das edle Weidwerk ist mir lieber. Jener liefert rothe Farbe, die soll mir nicht heilsam sein, ich bin sogar vor ihr gewarnt worden, grün aber ist eine zuträgliche Farbe, ihr will ich treu bleiben, ein wackerer Weidmann. Ich bin nun einmal im Zeichen des Schützen geboren und nicht in dem des rothen Krebses, oder des rothen Löwen der Goldmacher.««

Unter solchen Gesprächen erreichten die Wanderer Kelbra, nahmen dort ein Frühstück, und beschritten dann die Thalschlucht, durch die der Weg zur Trümmer der Rothenburg emporführt. Es wurde dieser Ruine, in der damals noch kein gastlicher Einsiedler den Wanderern irdisches Labsal und nebenbei ein Bändchen gedruckter Gedichte als geistige Atzung bot, nur flüchtige Beschauung gewidmet, und der Pfad zum Kiffhäuserthurme, dem alten Friedrich, eingeschlagen. Dieser Weg zog sich sanft empor. So hoch auch immer die Rothenburg von Kelbra aus erstiegen, liegt, so tief liegt sie, wenn der Wanderer nach ihr am Fuße jener berühmten alten Warte zurückschaut, um die ja bekanntlich die Raben noch immer fliegen, wie sehr auch phrasenhafte Rederei sie zu bannen, und den alten verzauberten Kaiser aus seinem Bergesschoose hervortreten zu lassen vermeinte. Danach sind die guten Deutschen von heute nicht angethan, ein einiges deutsches Kaiserreich zu begründen. Sie werden das nie, so lange noch ein Auge mit Rußland liebäugelt, ein deutsches Herz für Polen Sympathie fühlt, oder für Dänemark, sich eine Hoffnung nur nach England oder Frankreich kehrt, denn aller dieser Länder Herrscher und Völker sind Deutschlands geborene und geschworene Feinde, und ist von ihrer einem nun und nimmermehr auch nur das mindeste Heil für Deutschland zu hoffen.

Zur Zeit, als jene beiden Wanderer die Kiffhäuserruinen anstaunten, und sich der schönen Aussicht erfreuten, sah es bunt und schlimm genug aus in der politischen Welt. Viele Hunderttausende würgte der Todesengel, die theils einer wahnsinnigen Revolution, theils deren Bekämpfung zum Opfer fielen. Aber über dem alten Kaiserthurme blaute klar der deutsche Himmel, um ihn grünten die sonnebeglänzten Matten frühlingsfrisch, obschon der Herbst begann; die Schäfer weideten ihre Heerden, die Heerdenglocken klangen, hochgestengelte blaue Gentianen und heidnisches Wundkraut mit goldfarbigen Blumenbüscheln umblühten die graue Warte, und im Gottesfrieden breitete an des kleinen Gebirges Fuße die güldene Aue sich reizvoll aus, immer noch so schön, wie vor sechshundert Jahren, als die Kaiserburg noch stattlich auf diesen Höhen stand, und alles Land ringsum beherrschte, und wie noch heute, wo nur öde Trümmer des Berges Scheitel krönen, die Kaiserkrone aber tief verzaubert im Grunde ruht.

Ein stiller Waldpfad führte die Reisenden weiter, mählich abwärts, in der Richtung nach Frankenhausen zu. Nach einer ziemlichen Strecke lichtete sich der Wald und es wurde eine Blöße frei, die zum Theil bebaut war, auf dieser stand ganz einsam ein großes geräumiges Haus, First und Thürgesimse mit stattlichen Hirschköpfen verziert, man erblickte vor demselben Lauben und Bänke, auch eine Kegelbahn, und das Ganze war belebt von Jägern und Jagdgenossen, Jagd- und Haushunden, welche alsbald lautbellend auf die neuen Ankömmlinge losstürmten, zu deren Beschützer jedoch sich Tiro berufen fühlte, und es mußte allseits von den Besitzern laut gepfiffen und gerufen werden, um eine Beisserei zu vermeiden, die für einige dieser Köder sehr gefährlich hätte ausfallen können. Seitwärts stand ein angespannter Rüstwagen, mit erlegtem Wild; Kreiser und Forstläufer waren um denselben beschäftigt; ein Theil dieser Leute saß beim Bierkrug abseits der größeren Laube, in welcher sich ein Kreis, der zu einer gemeinsamen Jagd, die am Morgen auf dem Kiffhäuser gehalten worden war, versammelten Forstmänner dieser Gegend traulich gesellt hatten. Einige derselben kannte Leonhard, dessen Pferd ein Hausbursche in Empfang nahm und versorgte, von seinen früheren Harzreisen her, und bald waren beide Reisende im Kreise der Grünröcke heimisch und stärkten sich mit gutem Trunk und frugaler Frühstückskost, wie die heute sehr in Anspruch genommene Wirthschaftführung des Jagdschlosses Rathsfeld es eben zu bieten vermochte. Christian erfreute sich, so unverhofft an einem Orte zu sein, den die Sage weihte und wichtig machte, indem sie ihn als den bezeichnet, wo der dürre wilde Birnbaum steht, an welchen dereinst der Cäsar redivivus seinen Schild hängen wird, gleich wie vom Walserfelde geweissagt ist. Leonhard fand lebhafte Ansprache und volle Gelegenheit, den lange nicht gesehenen Bekannten von seinen Feldzügen zu erzählen, und es wurden auch aus anderen Zuhörern, die sich um ihn versammelten, bald gute Bekannte; der Kreis wurde dichter, und auch außerhalb der Laube stellten sich einige der Forstbedienten auf, um zuzuhören, ja einer derselben drängte sich so nahe vor, daß er sogar den Kopf durch die Latten schob, Leonhard in das Gesicht sah, und gespannt ihn sprechen hörte.

Christian, der des Freundes Lebensereignisse und Kriegerfahrten in Frankreich schon genugsam kannte, verließ den Jägerkreis und umwandelte das Jagdschloß, that auch Blicke in die mit schönen Geweihen auf hölzernen Köpfen geschmückte Flurhalle, und sah sich weiter um. Der wilde dürre Birnbaum kam ihm in den Sinn, und es war ihm gelegen, daß sich ihm ein Mann von untersetztem Wuchs, der die Abzeichen eines niedern Forstbedienten am Gewande trug, zufällig näherte, und den er fragend anredete: »Hör' Er, lieber Mann, weiß Er mir nicht zu sagen, ob hier auf dem Rathsfeld wirklich ein verdorrter Birnbaum steht, wie man sich erzählt?«

»»Ei ja, mein junges Herrchen!«« erwiederte der Angeredete, und verzog sein confiszirtes Gesicht zu freundlichem Grinsen. »Den Baum weiß ich, und will ihn Ihnen gleich zeigen; Sie brauchen nur ein Paar Schrittchen mit mir zu gehen. Sie waren gewiß drüben auf dem Kip-hüser beim alten Friedrichen? Dazu ist heute ein schöner Tag, ja.« – Dabei wandte der Mann seine Schritte abwärts vom Hause, gegen die offene Pläne hin, und Christian folgte ihm unbefangen, jener aber fuhr geschwätzig fort: »Wo kommen Sie denn her, junges Herrchen, mit Verlaub, zu fragen? Wer ist denn der große stattliche Jägersmann, mit dem Sie gekommen sind? Der ist doch nicht hier herum zu Hause, sonst müßt' ich ihn kennen, denn die hiesigen Jäger kenne ich alle, ganz gut, ja, ganz gut.«

Christian verletzte im Stillen dieses etwas aufdringlichen Begleiters Redseligkeit und Neugier, doch wollte er nicht unfreundlich gegen den Menschen sein, der sich ihm freundlich zu einer Dienstleistung so eben erboten hatte, und erwiederte: »Wir kommen über den Harz herüber, aus dem Halberstädtischen und wollen jetzt nach Frankenhausen. Jener Herr, mein Begleiter, ist ein herzoglich braunschweigischer Forstmann.«

»»Ei du meine Güte, junges Herrchen!«« versetzte jener: »das sehe ich ja wol, ich habe ja Augen im Kopfe, aber wo er wohnt, möcht' ich wissen, wohinzu? Es ist mir als hätte ich den Herrn schon einmal gesehen, ja, ja, ganz sicher. Wie thut er denn heißen?«

Wie drängend auch und mit ungeduldig lauerndem Blicke diese Frage gethan wurde, Christian überhörte dieselbe absichtlich, dagegen fragte er selbst: »Steht der Birnbaum noch weit von hier?« denn er hatte nicht Lust, lange mit dem Menschen zu gehen, der ihm unheimlich zu werden begann.

»Gleich sind wir bei dem Baume!« erwiederte der Forstläufer, und fuhr fort: »Wenn mir recht ist, bin ich einmal dem Herrn, den ich meine, begegnet. Und wo hinaus zu gedenken denn die Herren zu reisen.«

»»Der Herr hat sehr viele Reisen auf den Harz und auch hier herum gemacht,«« antwortete Christian: »es ist sehr wol möglich, daß Er ihm begegnet ist. Wir wollen von Frankenhausen aus über Weissensee nach Erfurt, und auf den Thüringerwald. Hat Er ein Anliegen an meinen Begleiter, so will ich's ihm hernach sagen.«

»»Ein anlegen hätt' ich gern auf ihn«« – murmelte jener Mensch ingrimmig durch die Zähne, und sann darauf, wie es anzufangen sei, aus dem verschlossenen jungen Manne weiteres herauszulocken, der aber hatte nicht Lust, sich weit von seinem Gefährten zu entfernen, der Gang dauerte ihm schon zu lange, und er sagte, stillestehend: »Es wird mir nach dem Baume zu weit, ich will lieber umkehren.«

»»I du mein Gott, junges Herrchen! Da steht ja der Baum vor uns!«« rief der Forstläufer aus, und wieß auf einen stattlichen Birnbaum, der voller Laub und Früchte mitten in der Pläne sich ausbreitete.

Unwillig und enttäuscht rief Christian: »Ein Holzbirnbaum, der grünt und trägt! Das ist ja dumm!«

»»Mit Verlaub, mein junges Herrchen!«« rief strafend der Forstläufer und richtete sich stramm vor Christian auf. »Wenn ein Baum grünt und Früchte trägt, das ist nicht dumm, und dumm ist Tusch! Wissen Sie das?«

»»Ein dürrer Birnbaum soll es sein, hab' ich gesagt!«« entgegnete Christian. »Ich sehe nicht ein, wozu Er mich zu einem grünenden schleppt!«

»Ein dürrer Birnbaum, Herrchen, das sind Narrenspossen!« höhnte der Begleiter: »Ich weiß nicht, wie es drüben überm Walde, wo der Musje herkommt, die Schöppenstädter halten, aber hier zu Lande hauen wir die dürren Birnbäume um, und heizen mit dem Holze ein. Mit dürren Birnbäumen kann ich nicht dienen, thut mir leid!«

In Christian wallte Zorn auf, der Studio war beleidigt; er fühlte große Neigung, dem naseweisen alten Burschen eins über den Kopf zu hauen – jener mochte sich auch des verdienten bereits versehen, und reckte sich zum Ringkampf, es zuckte ihn in beiden Fäusten, offenbar hatte er auch bereits zu tief in's Glas gesehen – sehr unangenehmes stand in nächster Aussicht, da schlug ein Hund an, und mit Freudelauten nahte Tiro und sprang vergnügt am jungen Freunde seines Herrn empor, den er vermißt und dessen Spur er verfolgt hatte.

Jetzt wäre der Kampf, wenn er begonnen hätte, ein zu ungleicher gewesen, Christian schlug mit dem Hunde den kurzen Rückweg zum Rathsfeldschlosse ein, und würdigte seinen widerwärtigen Begleiter weiter keines Wortes – dieser blieb zurück, Groll im Blicke, kochende Wuth in allen Adern, und knirschte: »Er ist's, er ist's, da bleibt kein Zweifel. Den Fluch der Hölle über ihn! Warte, ich treffe Dich! Du sollst noch an mich und an den großen Bruch denken, wenn dir die Augen brechen.«

Christian traf Leonhard noch im Kreise seiner Fachgenossen sitzend an, frisch trinkend und forterzählend; er sah sich nach seinem aufdringlichen Begleiter um, dieser aber war nicht zu sehen, er war in ein Nebengebäude geschlüpft, in das er seinen Büchsenranzen gelegt und sein Gewehr gestellt hatte. Dort zog er aus dem Ranzen eine Schnapsflasche, trank tüchtig daraus, und schauderte: »Brr! – Hab' ich mich doch geärgert, daß mich's überläuft – warte du langbeinige Ralle! Unterm Eulengeschrei, am Schlachtberg seh ich dich wieder – da treff' ich dich, will es der Teufel!« –

Rasch hing der Mensch den Büchsenranzen über und hing seine Büchse über die Schulter – so traf ihn ein Kamerad.

»Na Stoffel Wurzer – schon heim? Bist Du schon fertig? Willst nicht mit den andern? Was hast Du denn? Sieh'st ja ganz verstört aus?«

»»So? Seh ich schlecht aus? Bin's auch! Weiß's Gott! Muß heim – 's ist mir hundeschlecht! Sag's dem Herrn Förster, er solle mich entschuldigen – ich glaub', ich falle unterwegs um, wenn mir nicht bald besser wird. Ich hab' mich überhitzt beim Treiben, und in die Hitze einen kalten Trunk gethan! Sieh nur, wie ich zittere, alles schlägt und klappert an mir. Macht es gut – ich will mich seitwärts abdrücken – entschuldige mich – Valet!«« –

Kaum war der Mensch dem Kameraden aus dem Gesicht, so schlug er eine helle Lache auf, riß die Büchse am Riemen von der Schulter, und lud sie, dann trieb er eine Kugel in den gezogenen Lauf, und murmelte Verwünschungen zu jedem Stoße des Ladestocks, bis dieser von der festaufsitzenden Kugel mit elastischem Stoß ganz aus dem Rohre herausgetrieben, von Wurzer mit der Hand gefangen wurde, worauf er den Ladestock an seinen Ort brachte, die Büchse wieder überhing und auf einem Nebenwege hinter dem Gebäude weg in die nahe Waldung verschwand.

Leonhard brach endlich auf, und schlug mit Christian einen Weg nach Frankenhausen ein, der bald vom Rathsfeld wieder in den Wald führte. Dieser Weg zog sich eine ziemliche Strecke lang über den Rücken der Pfingstberge. An diesem Wege, über ihm, hinter einem Felsstücke, lag der Tod, und lauerte auf Leonhard. Dieser ritt, Christian ging. Der Weg war anfangs bequem und zog sich immer abwärts, an den Pfingstbergen nieder, bis die Wand über dem Schlachtberg zum steilen Gehänge wurde, und dem Reiter gebot, ebenfalls abzusteigen, und das Pferd zu führen. Christian führte Tiro an der Leine, da es nicht gerathen war, hier auf fremdem Jagdgebiete und an einem solchen Tage den Hund frei laufen zu lassen, aber in einem Augenblicke, wo das Pferd über einen Stein stolperte, und Christian nach diesem sah, riß sich der Hund plötzlich los, stürzte in's Gebüsch, und gleich darauf wurde ein starker Laut des Hundes gehört, fiel ein Schuß, riß eine Kugel Leonhard's Kopfbedeckung weg, scholl droben ein starker Schrei von einer Menschenstimme, gleich darauf lautes Schmerzgeheul des Hundes – alles schneller auf einander, als es mitzutheilen ist.

Leonhard ward bleich – »Das galt wohl mir!« sprach er. »Halte das Pferd, Christian! – Tiro! Tiro!«

Mit diesem Rufe sprang er beherzt in das Gebüsch, droben rauschte es – des Hundes Gewinsel antwortete seinem Rufe, nach wenigen Schritten stand er am Fels, da kroch der Hund ihm winselnd und wimmernd entgegen, die Spur von Fußtritten war am Boden sichtbar im zertretenen Grase, die Luft roch stark nach Pulver.

»Mein Hund! mein herrlicher Hund!« rief Leonhard schmerzlich aus, und dachte nicht mehr an sich. Er bückte sich zu dem Hunde nieder, er befühlte ihn, und suchte ihm fortzuhelfen.

Jener Mensch hatte Leonhard's kommen erlauert, im Anschlage lag er, das Auge auf Leonhard gerichtet und wartend, bis dessen Kopf, da er neben dem Pferde ging, ihm schußgerecht kam, der Hahn war gespannt, am feinen Stech-Drücker lage der Finger – da bellte dicht neben ihm ein Hund, da erschrak er im Abdrücken, und schoß etwas zu hoch, die Kugel traf nur Leonhard's Hut – der Hund fuhr dem Schützen wüthend beißend nach der Hand – Wurzer schrie auf, sprang zurück, drehte die Büchse und schlug mit der vollen Wucht des Kolbens auf das Thier, daß es zusammenbrach, dann entsprang er, indem er einen gräulichen Fluch ausstieß.

 


 


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