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3. Das Gelübde.

Romantischer Naturfriede und klösterliche Waldeinsamkeit umflossen und umschatteten das reizende Münsterthal zu Sanct Landelin, über das noch vor Kurzem der Krummstab des Hochstifts Straßburg geherrscht hatte. Zum zweiten Male hatte dieses reizende Thal jene beiden Liebenden aufgenommen, welche schon einmal dort weilten, und zwar zu der Zeit, wo gegen Leonardus Cornelius van der Valck die meuchlerische Gewaltthat verübt ward. Man war vorsichtiger geworden, obwohl man eine Wiederholung solchen Ueberfalles nicht befürchtete; denn man hielt sich sicher unter dem unmittelbaren Schutze eines nahe verwandten Kirchenfürsten, der im Schlosse des Städtchens als römischer Hauptpriester und letzter vormaliger Fürstbischof von Straßburg seine Residenz aufgeschlagen hatte, und mit jener Gastfreundschaft, welche vor alten Zeiten schon das Kloster und Münster in großartiger Ausdehnung geübt hatte, Manchem eine gesicherte Zufluchtsstätte bot, und häufig Verwandte und Freunde bei sich sah.

In diesen Gefilden, so nahe sie dem Rheinstrom lagen, herrschte der Friede, und keine Kriegerschaaren, nur Züge andachtsvoller Wallfahrer und Pilger strömten zu dem Gnadenort, an welchem einst der heilige Landelin, der Sage nach, seinen Martyrertod gefunden hatte, und nach dem Tode Wunder übte. Stattliche Gebäude erhoben sich rund umher und gaben dem Klosterhof ein bedeutendes Ansehen. Zahlreiche Dörfer und Höfe der Nachbarschaft waren früher dem Kloster zinsbar gewesen, und gegen das große Weinfaß, welches einst im Keller des Münsters aufbewahrt und von den alljährlich neu zuströmenden Spenden des Weinzinses vollgefüllt gehalten wurde, war das weltberühmte Heidelberger Faß nur ein Zwerg, denn dieses letztere faßt nur 283,000 Flaschen, jenes aber hielt 480,000 Flaschen oder 3000 Ohm edlen Rebensaftes.

Edlen Beschäftigungen und heiterem Naturgenuß hingegeben, verweilten hier die in Liebe und reinen Neigungen verbundenen Personen. Da am Orte ein kleines Bad sich befand, so lebte Graf Ludwig mit seinem Diener, der sich nie von ihm trennte, als Badegast daselbst und beschäftigte sich mit anziehenden Studien über die Geschichte dieser Landestheile; er nahte Angés nur, um sie in Gesellschaft von Jacques und ihrer kleinen holden Schutzbefohlenen auf Spaziergängen zu begleiten, die aber niemals wieder nach jenem Orte schaurigen Andenkens, sondern meist in der Richtung nach dem Städtchen und dessen Umgebungen unternommen wurden. Hier begegneten sie bisweilen einer schönen verschleierten Dame, die das fürstbischöfliche Schloß bewohnte und eine Nichte des Fürstbischofs war; dies fiel Niemand auf, und ebensowenig konnte Jemand ein Arges dabei denken, oder gar das wahre Verhältniß ahnen, das diese Personen in mannichfacher Weise miteinander verband. Außer Jacques folgte auch stets Philipp gut bewaffnet seinem Gebieter, und spähte sorglich nach irgend einer drohenden Gefahr umher.

Jener liebenswürdige junge Herzog hatte, während er von Allem was er liebte getrennt war, und nachdem er sein Heer wieder nach Deutschland zurückgeführt, mit wechselndem Kriegsglück gekämpft, bald sah er seine Brust von der Hand des Kaisers von Rußland mit dem Großkreuz des Maltheserordens geschmückt; endlich aber hemmte ihn mitten in ruhm- und ehrenvoller kriegerischer Laufbahn der lüneviller Friedensschluß. Dieser führte die völlige Auflösung des Condéischen Corps herbei. Einer der Prinzen dieses Hauses hatte sich bereits im Jahre 1795 nach England begeben, und es ward lebhaft gewünscht, daß ihm sein Vater und sein Sohn jetzt dorthin folgen sollten, denn England war es, das diese Prinzen schützte und unterstützte. Den Vater zog es dem Sohne nach, aber den Sohnessohn fesselte die Liebe, die mächtige, starke Liebe oder – sein Verhängniß, und er lebte nun in dem neu gewonnenen Asyle seines Lebens glücklichste Zeit, füllte die Stunden einer schönen Muße mit dem Vergnügen der Jagd aus, die er leidenschaftlich liebte, gab sich der Lust am Gartenbau hin, unternahm auch wohl kleine Reisen und Ausflüge, kehrte aber stets mit neuer Sehnsucht zu ihr zurück, der alle sein Denken und Empfinden geweiht war.

Das Landesgebiet, das diese reizenden Asyle bot, war an Baden gekommen, dessen Kurfürst nicht nur dauernden Schutz Allen vergönnte, die dessen unter der neuen Regierung bedurften, sondern der sich auch des Herzogs besondern Dank noch außerdem dadurch erwarb, daß er ihm ein noch größeres Jagdgebiet einräumte, als derselbe bisher schon inne gehabt hatte.

Mehr als einmal lud der Herzog den Grafen ein, ihn auf seinen Jagden zu begleiten; dieser leistete aber nur einmal Folge und dann nicht wieder. So sehr der Herzog ihm zusagte, und so sehr er diesen verehrte, um so weniger fand Ludwig sich von seiner männlichen Umgebung angezogen. Dafür diente er ihm in anderer Weise; er half ihm Werke der Wohlthätigkeit in verschwiegener Stille üben. Glückliche geben ja gerne, und der Herzog war so überaus glücklich, Ludwig nahm Philipp zu Hülfe, um verschämte Arme aufzufinden, und manche stillgeweinte Thräne des Schmerzes wurde durch vereintes Wohlthun in die Thräne der Freude und des Segens umgewandelt. Stilles Wohlthun war ein Grundzug im Wesen des Grafen, und wie gern verband er sich in diesem Sinne dem jungen mildthätigen Fürsten.

In der Stille dieses Thalfriedens, im Zauber dieser romantischen Natur ging Ludwig ein neuer Stern auf, ein neuer Lebensfrühling, schöner als er ihn je geahnet hatte. Mit wunderbarer Magie erklang in ihm der tönende Memnonruf, der ihn für eine neue, beseligende Liebe weckte. Die kleine Sophie entfaltete sich frühreifend zur holdesten Jungfräulichkeit und Niemand pries eifriger gegen Ludwig deren Seelengüte, deren ächtweibliches Gemüth, deren Schönheitszauber als Angés, der es Wonne schuf, den Mann, der die ganze Fülle ihrer reinsten Freundschaft besaß, einem beglückenden Loose zuzuführen. Angés war der reine Schwan, der wie in der lieblichen indischen Sage von Nal und Damajanti neigungweckende Worte von einem Ohre zum andern trug, von einem Herzen zum andern. Im Glücke ihrer beiden Lieblinge gedachte sie sich dereinst zu sonnen, ihnen Freundin zu bleiben und Genossin ihres Glücks, dieser Gedanke bildete ihren seligsten Zukunfttraum. Was sie von den äußeren Verhältnissen des Grafen kannte, erschien ihr vollkommen beruhigend, vielleicht hielt sie ihn für reicher als er war. Sophie konnte unter günstigen Verhältnissen dereinst noch eine der reichsten Erbinnen werden, denn das Vermögen der Familie Condé-Bourbon, das man diesem Hause geraubt und zum Staatseigenthum gemacht hatte, dieses Vermögen war unermeßlich.

Nach diesem Reichthum richtete sich indeß gar mancher Blick der Habgier und mancher andere Blick des Argwohns richtete sich nach dem edlen und unbefangenen Herzog; der Blick der Vatertreue aber flog über's Meer herüber voll banger Besorgniß. Die kurzen Abwesenheiten und Reisen des Herzogs, meist in aller Stille unternommen, fanden Mißdeutung; sie nährten auf der einen Seite den politischen Verdacht, auf der anderen vermehrten sie die wohlmeinende Warnung. Aber wann vernahm der Tannhäuser im Zauberberge der Liebe die Warnestimme des treuen Eckart? Eine graue Spinne wob größer und größer, weiter und weiter ein unsichtbares Netz – sie hieß Verrath.

Schon im Sommer des Jahres 1803 hatte des Herzogs Vater, der zu Wanstead in England weilte, warnend an den Sohn geschrieben.

Mein Vater, sprach damals mittheilend der Herzog zu seiner Angebeteten: hegt seltsamen Verdacht. Höre, was er schreibt, meine Charlotte: »Man behauptet hier in Wanstead, daß du eine Reise nach Paris gemacht habest, Andere sagen, du seist nicht in Straßburg gewesen. Es leuchtet wohl ein, daß es mehr als zwecklos wäre, deine Freiheit und dein Leben auf das Spiel zu setzen.«

Wer mag es gewesen sein, der deinem Vater diese Nachrichten hinterbracht hat? fragte die Prinzessin, welcher das Herz bange zu schlagen begann.

Das weiß nur Gott, nicht ich, meine Liebe, entgegnete der Herzog.

Und thatest du wirklich keinen so gefährlichen Schritt, mein Henri? Oder thatest du ihn? Vergaßest du mich und unser Kind? fragte mit liebevollster Besorgniß und voll Seelenangst Charlotte und schloß den Gemahl in ihre Arme, als fürchtete sie, ihn zu verlieren.

Der Herzog küßte sie und erwiederte halb zärtlich, halb schwermüthig: Nein, Charlotte, ich habe diesen Schritt nicht gethan, aber wenn ich ihn gethan hätte, wer wollte mir ihn, außer den Feinden unseres Hauses, verargen? Diese hier ausgesprochenen Befürchtungen liegen so nahe, und es wundert mich gar nicht, wenn Einige glauben, daß der Blick in eine Zukunft, die aller Hoffnung beraubt ist, mich verleiten könnte, mich mit den Feinden unseres Hauses in Verträge einzulassen; Andere hingegen, daß ich Tag und Nacht darauf sänne, eine Lage, die mich niederdrückt und völlig lähmt, zu verändern. Der Sold Englands brennt mir in der Hand! Wann war England Frankreichs wahrer Freund? Aus Haß gegen Frankreich unterstützt es jetzt uns, und stempelt uns zu Feinden Frankreichs, uns, die wir unser geliebtes Vaterland so heiß, so innig lieben! Ist das nicht fürchterlich? Mein Vater – fuhr der Herzog fort, kennt mich besser. Er schreibt über den ersterwähnten Verdacht, daß er ihn nicht theile, aber daß die Gefahr mir sehr nahe liege. »Hüte dich,« schreibt er, »und vernachlässige keine Vorsicht, um dich rechtzeitig zu sichern, im Fall der erste Consul beabsichtigten sollte, dich aufheben zu lassen.«

O, mein Henri! rief Charlotte: Verachte nicht die Warnung deines treuen Vaters! Mir zittert das Herz, laß uns fliehen, weit fort von der Ufernähe des Rheins, wir sind hier Frankreich allzunahe!

Und doch so schrecklich fern! seufzte der Herzog. Wollten wir uns noch weiter von dem theuern Lande entfernen? – Der Herzog blieb, aber die Prinzessin sann im Stillen darauf, einen andern Zufluchtsort zu nehmen. Eine Jugendfreundin, eine deutsche Fürstin, deren Residenzschloß in der romantischen Künzelsau im Jaxtkreis des Landes Würtemberg gelegen war, sollte ein neues Asyl gewähren; in jene anmuthigen und reizvollen Thäler des Kocher und der Jaxt wollte man sich zurückziehen, und dort unter den Schleiern des tiefsten Geheimnisses friedlich wohnen. Der Mensch baut Pläne, damit das Schicksal sie vereitle.

An einem überaus schönen Morgen ergingen sich Sophie, Angés und Ludwig unter der gewöhnlichen Begleitung ihrer männlichen Bedienung in der Nähe von dem Münster und Münchweiler, und ruhten dort aus an einer von uralten Bäumen umschatteten Stelle, auf einer Steinbank, über der ein Crucifix von dunkelem Marmor sich erhob, neben diesem standen Marie und der Jünger, den Jesus lieb hatte. Dicht daneben stand eine uralte Martyrsäule. Trunknes Entzücken sog Ludwig aus jedem Blick Sophiens, die in lieblicher Jugendschöne ihm gegenübersaß, in ihren Blicken jene Verklärung, welche das erste Erwachen jungfräulicher Empfindungen begleitet, jenes süße Bewußtwerden ahnungsreicher Gefühle, die das Herz unruhiger klopfen machen. Da naht ein leiser Anhauch von Schwermuth und Schwärmerei, da irren die Gedanken wie gaukelnde Schmetterlinge dahin und dorthin, da schlägt ein unbewußtes Sehnen die bisher vom tiefen Schlummer geschlossenen Augen auf, wie die Prinzessin Dornröschen im deutschen Märchen ihre Augen aufschlug, als der Königssohn sie küßte.

Ludwig durchströmte alle Süßigkeit, alles Ahnen einer keuschen Liebe, doch verschloß er tief in seiner Brust was er fühlte, denn noch dünkte ihm dieses holde Wesen ein unnahbares Heiligthum, wie deutlich auch schon ein hohes Vertrauen ihn hatte verstehen lassen, man werde in seinem Schutz dies Kleinod gern geborgen wissen.

Die Sommerluft hauchte erfrischende Kühle; aus der Vorhalle der nahen Kirche rieselte plätschernd Sanct Landelin's geheiligter Wunderquell, von dem die Lustwandelnden getrunken hatten; auf den Steinstufen lagen im stillen Gebete andächtige Waller und beteten leise und eifrig ihren Rosenkranz ab. Auf des Münsters und dieses Gnadenortes Ursprung lenkte sich die Unterhaltung und Ludwig erzählte: Ein edler Schotte, Namens Landelin, verließ gleich vielen andern Mönchen Schottlands, sein Vaterland, in welchem früh die Christuslehre Wurzel geschlagen hatte, um in den damals noch rauhen und wilden Gefilden Galliens und Deutschlands dessen heidnischen Bewohnern das Christenthum zu predigen. Er ward in Frankreich Begründer der nach ihm genannten Stadt Landelles, wo sein Gedächtniß im Namen Sauveur de Landelin noch heute fortlebt. Der fromme Mann kam auch in diesen Gau, den der Heidenfürst Gisock beherrschte. Landelin ließ sich an der Stelle, wo wir eben verweilen, als Einsiedler nieder und begann in der Stille sein Werk der Bekehrung. Davon kam zu Gisock die Kunde, dessen Zorn heftig gegen den Neuerer und die neue Lehre entbrannte, und der seinen Leuten befahl, den frommen Mann zu ermorden. Landelin sank von ihren Dolchstichen getroffen in sein Blut.

Ach! schrie Angés auf, und fuhr mit der Hand nach der Stelle ihres Herzens; war es ihr doch, als empfinde sie selbst einen Stich, so ergriff sie diese Sage, im Bunde mit der Erinnerung an die Gefahr, die ihr selbst weiter aufwärts im Thale einst gedroht hatte. Ihr Ausruf erschreckte die Gefährten, ja sie störte damit sogar die Andacht der Betenden, denn ein Paar Mönche in dunkeln Kutten kehrten sich nach ihr um; sie weckte auch Philipp's Aufmerksamkeit, der in der Nähe weilte, und mit raschen Schritten hinzu trat. Angés, seltsam bewegt, bat Ludwig, in seiner Erzählung fortzufahren. Philipp sah scharf nach den Mönchen, mit Blicken voll Mißtrauen, der Graf fuhr fort: An der Stelle, wo der fromme Landelin unter den Dolchen der Meuchelmörder sein Leben verblutet hatte, entsprang ein Heilquell, welcher Kranken zu wunderbarer Genesung verhalf. Die Gefährten des Märtyrers trugen den entseelten Leichnam thalaufwärts, wo sie ihn zur Erde bestatteten. Die Stelle, wo Landelin starb, und die, wo er seine irdische Ruhestätte gefunden hatte, wurden dem Volke bald heilig, des Blutzeugen Märtyrtod und sein Wunder gewann den ganzen Gau für die Christuslehre. Dieser Ort trägt von ihm den Namen Sanct Landelin, über dem Wunderquell erbaute Herzog Etticho eine Kirche, voll Gnadenbilder und begabt mit reichem Ablaß. Zahlreiche Mönche siedelten sich hier an und weilten in diesem Thale an den Ufern der Umlitz, wie der Thalbach in früheren Zeiten genannt wurde; sie erbauten Hütten in der Nähe jenes geweiheten Grabes. Von diesem Verweilen der Mönche erhielt der allmählich entstehende Ort den Namen Münchweiler, und außerdem entstand auch noch auf jener nahen Anhöhe über dem Wallfahrtsort das Kloster Mönchszelle. Dessen Bewohner versahen den Gottesdienst in der Kirche zu Sanct Landelin. Noch aber wogten gewaltige Völkerkämpfe; die Franken brachen heraus in dieses Alemanische Land und verheerten es, das Klösterlein versank bald in tiefste Armuth. Da geschah es, daß ein frommer Mönch desselben, Namens Widegera, aus dem Breisgau, im Jahr siebenhundertundzwanzig Bischof zu Straßburg wurde, und viel zur Erhaltung von Mönchszelle that. Nach ihm wurde, doch lag dazwischen wieder eine lange Zeit voll Noth, Gefahr und Kämpfe, Etto, der Sohn Herzog Etticho's, welcher letztere die nahe Stadt Ettenheim gründete, durch Kaiser Karl den Großen Bischof von Straßburg. Er war es, der Mönchszelle aufs Neue erhob, und nahe dem Wunderquell des heiligen Landelin das Münster neu erbaute, das wir als Ettenmünster nun vor uns in den stattlichen Bauten erblicken, das fortan ihm zur Ehre seinen Namen Etto als Ettenheimmünster fortführt. Zugleich wurde Etto des Münsters erster Abt, an der Spitze einer Reihe von zweiundfünfzig Aebten, die durch gute und böse Zeiten hindurch dieses Kloster regierten. Immer schlimmer wurden indeß die bösen Zeiten und die guten hörten endlich ganz auf; der goldenen und silbernen folgte die eiserne Zeit mit ihren Gewaltthaten, ihrem Waffenlärm und ihrer Hab- und Raubsucht, wobei von den natürlichen Schirm- und Schutzherrn, den Herren von Geroldseck einer nach dem andern sich als Feinde des Klosters erwiesen und es mehr und mehr verkürzten, bis mit dem Frieden von Lüneville dessen Aufhebung erfolgt ist.

Nach dieser Mittheilung erhoben sich die Spaziergänger zum Weggehen und wandelten wieder ihrer nahen ländlichen Wohnung zu. Langsam und keineswegs bemüht sie einzuholen, folgten ihnen in gemessener Entfernung die erwähnten Mönche auf demselben Wege, aber zwischen ihnen und der Herrschaft ging Philipp, nicht ohne sich oft nach Jenen mißtrauisch umzusehen.

Graf Ludwig hatte sich kaum von Angés und Sophie verabschiedet, als Philipp mit sorgenvoller Miene zu ihm trat. Der Ausdruck seiner Züge machte den Grafen betroffen.

Nun, Philipp, was hast du? fragte er ihn verwundert.

Gnädiger Herr! entgegnete der Diener mit verhaltenem Zorn: Er ist da! Ich hab' ihn gesehen!

Wer ist da und wen hast du gesehen? fragte Ludwig.

Der Citoyen, der Wasserspringer, gnädiger Herr! versetzte Philipp. Das Spitzbubengesicht vergess' ich all' mein Lebtag nicht, ich erkannt' es gleich wieder, obschon ich's nur einen Augenblick sah. Einer der beiden Mönche war's, die uns langsam nachfolgten, die vorher, wie Sie die Geschichte von dem alten Kloster erzählten, dort in der Vorhalle der Kirche knieten. Wie dieser Kerl den Kopf wandte, wie er herübersah nach Ihnen und den Damen, da hatte ich's los: Es war ein Blick, wie der einer Schlange. Geben Sie Acht, Herr Graf, das könnte nichts Gutes bedeuten!

Diese Nachricht überraschte und erschreckte Ludwig und er nahm sie keineswegs leicht auf.

Vielleicht irrtest du dich, vielleicht auch nicht, sprach der Graf; immer wird es wohlgethan sein, daß wir auf der Hut sind. Siehe zu, ob du die Mönche wiederfindest, spähe aus, wohin sie gehen, wo sie bleiben, ich werde das Meinige thun. Sobald du zurückkommst, sattle das Pferd, ich werde nach der Stadt reiten, du aber bleibst so lange in der Wohnung der Damen als Wächter und hütest sie sorgsam mit all der Treue, die ich an dir kenne.

Mir soll Keiner kommen, gnädiger Herr, darauf verlassen Sie sich. Wehe dem Kerl, der dazu geholfen hat, den guten seligen Herrn Leonardus van der Valck hinüber zu befördern, ich zermalme, ich zerquetsche ihn, und sollte es mich den Kopf kosten!

Ludwig blieb im tiefernsten Sinnen allein. Philipp's Meldung weckte allerhand sorgenvolle Gedanken in ihm auf; schon längst hatte er wahrgenommen, daß sich, begünstigt von der Freiheit des Gnadenortes, gar mancher verdächtige Geselle in dieses Thal gestohlen, daß Späheraugen umherschlichen, daß vom nahen Frankreich aus jene Netze herübergeworfen wurden nach dem Fürsten, der, so oft man ihn auch warnte, an eine Gefahr nicht glaubte und nicht glauben wollte.

Philipp erschien nach einiger Zeit wieder und meldete seinem Gebieter, daß es ihm nicht gelungen sei, von jenen beiden Mönchen auch nur die leiseste Spur zu entdecken, beharrte aber auf seiner Behauptung und betheuerte hoch und heilig, daß Jener kein anderer als Clement Aboncourt, der Spion, gewesen sei.

Ludwig befahl ihm wiederholt, in der Nähe der Wohnung der beiden Damen zu bleiben, auch Jacques zur Wachsamkeit aufzufordern; dann ritt er nach dem Städtchen, wo er ohne Aufenthalt Audienz bei der Prinzessin forderte. Gütig und mit dem freundlichsten Wohlwollen wie immer empfangen, theilte nun der Graf der edlen Frau ganz offen und unumwunden nicht nur die Wahrnehmung und Vermuthung seines Dieners mit, sondern brachte auch so manches Andere zur Sprache, was Ludwig von andern Fremden, von Einwohnern, von Leuten der Gasthäuser flüchtig und gesprächsweise vernommen hatte, und was Alles darauf hinauslief, daß französische Emissäre, Commissäre und Spione sich im Münsterthale verbreiteten, sogar in die Stadt sich wagten, und daß jedenfalls ein Schlag gegen die in derselben verweilenden Emigranten sich vorbereite. Man sprach laut davon, daß die stärksten Vermuthungen gehegt würden, die in diesem Lande verweilenden Angehörigen und Anhänger des vertriebenen Königshauses betheiligten sich an Anschlägen gegen das Leben des ersten Consuls den die Bourbons naturgemäß hassen mußten. Schon waren Thaten geschehen, die es offenkundig machten, daß es Menschen gab, welche nicht an die Göttlichkeit der Sendung des neuen Messias von Frankreich glaubten, obschon dieser, mit hohem Muthe gewappnet, seine Feinde vor sich niederwarf und die staatliche Ordnung wieder herstellte.

Graf Ludwig entdeckte der Prinzessin, daß man sich in die Ohren flüstere, der Herzog sei mit George Cadoudal im Einverständniß, habe für denselben das rothe Band und den Generallieutenantstitel vom Grafen von Artois ausgewirkt, stehe auch mit Pichegru im geheimen Bündniß und es sei ganz zweifellos, daß eine große weitverzweigte Verschwörung existire, die der Herrschaft und dem Leben des ersten Consuls ein Ende zu machen beabsichtige. Zu diesem Ende reise der Herzog von Zeit zu Zeit verkleidet zu George, wo demselben im Kreise der Verschwornen königliche Ehren erwiesen würden.

Die Prinzessin erschrak heftig über diese Nachrichten und traf auf der Stelle ihre Anstalten.

Ich sehe klar, sprach sie, daß hier ein ganz anderes Complott vorliegt, als blos das gegen Leben und Freiheit meines Gemahls! Man weiß, daß wir auf dem Punkte stehen, unsere bis jetzt heimlich gehaltene Verbindung vor aller Welt zu erklären, man sieht ein, daß durch diese Verbindung das Vermögen des Herzogs nicht an Die, welche darauf hoffen, sondern an dessen rechtmäßige Erben fallen wird, daher will man den letzten Zweig vom Hause Condé abhauen, auf daß der ganze Stamm verdorre, und will dies durch Verdächtigungen bewirken. Tausendfacher Dank sei Ihnen gesagt, mein bester Graf! Sie sind der Freund, auf dessen Hochherzigkeit ich in allen Fällen fest vertraue. Lassen Sie uns rasch und entschieden handeln, retten Sie mein Kind! In Ihre treue Hut übergebe ich, die Mutter, es für Leben und Sterben. Der Herzog hört auf keine Warnung, ist blind für die Gefahren, die ihn umdrohen; ich muß selbständig handeln, Mutterpflicht und Mutterliebe gebieten es mir. Sie, bester Graf, rüsten sofort Alles zur Abreise, Sie gehen noch heute, höchstens morgen mit Sophie, die ich nur noch einmal sehen und segnen will, in Begleitung von Angés, Jacques und Sophie Botta nach Ingelfingen, und verbergen dort durchaus Herkunft und Stand von Ihnen Allen. Mittlerweile werde ich den Herzog überzeugen und bewegen, daß er mit mir Ihnen folgt und sich dem gefährlichen Netz entzieht, das sich hier um ihn und uns Alle herumspinnt. Säumen Sie nicht, ich werde sogleich den Wagen senden und Sophie herüber holen lassen, für die ich zittre. Ach, bester Graf, welch' unschätzbares Gut vertraue ich Ihnen an! O, Himmel, und ich bin so ganz ohne Bürgschaft!

Gnädigste Frau Prinzessin! unterbrach lebhaft und ganz gegen die Form der Courtoisie der Graf die Sprechende: sagen Sie nicht ohne Bürgschaft! Ich stelle Ihnen diese Bürgschaft, bei Gott dem Allmächtigen, ich stelle sie! – Und indem der Graf in leidenschaftlicher Erregung auf seine Kniee sank, fuhr er fort: Bei dem ewigen Gott, den ich in dieser feierlichen Stunde zum Zeugen anrufe, bei dem Gott, vor dem, und nicht vor Ihrer Hoheit, ich jetzt kniee, stelle ich Ihnen meine Bürgschaft: das Herz eines deutschen Mannes, und weihe mich, mein Leben, mein Hab und Gut, meine Zukunft, mein ganzes Erdendasein dem himmlischen Geschöpf, welches Sie Ihre Tochter nennen! Ich will ihr Alles sein, wozu Sie mich ernennen, wozu sie selbst mich erwählt, Vater, Bruder, Freund, Beschützer, Wächter, Alles, Alles! Ich will um Sophien willen der Welt, ich will dem Leben entsagen, wenn dies gefordert wird! Unter hundert Schleiern will ich sie verbergen, ihr Geheimniß will ich bewahren, und wenn Sie, oder der erlauchte Vater es nicht lösen, so soll keine Macht oder Gewalt, selbst nicht die furchtbare Macht des Todes das dreimalheilige Siegel brechen, das meine Lippen schließt. Ich weiß, Hoheit, was ich Ihnen verspreche – ich bin frei, bin unabhängig, bin durch schmerzliche Erlebnisse abgelöst von der Welt – und – daß ich es sage, weil ich es sagen muß, o Prinzessin, zürnen Sie nicht, richten Sie nicht – ich liebe Sophie! Ich bete Sophie an!

Graf, sprach die Prinzessin, im Innersten erschüttert, während ihre Thränen unaufhaltsam strömten und sie dem Knieenden beide Hände bot, ihn emporzuheben: Sie sind ein edler Mensch! Sie sind würdig des höchsten Glückes, das die Erde bieten kann, o möcht' Ihnen für Ihren treuen und festen Wille ein Himmel auf Erden werden! Gehen Sie, und bringen Sie mir Sophie, daß ich Sie Beide segne. –

Graf Ludwig ging, den Himmel im Herzen und große Entschlüsse in seiner Seele. Noch an demselben Abend fuhr er mit Sophie und Angés nach der Stadt, – auf dem Kutschersitz saß wohlbewaffnet Jacques, hinten auf nicht minder gut bewehrt Philipp. Weder auf dem Hin- noch auf dem Rückwege zeigte sich Etwas, das Besorgniß hätte erregen können. Liebevoll vertraute die Mutter ihrem Kinde, daß die größte Gefahr ihnen Allen drohe, daß Graf Ludwig großmüthig entschlossen sei, ihr Retter, ihr Ritter, ihr Beschirmer zu werden, daß sie in eine kurze Trennung von dem liebenden Mutterherzen sich fügen müsse und daß, es komme wie es wolle, ihr Geschick sich an das des Grafen knüpfen werde.

Sophie weinte, wie es nicht anders sein konnte, aber sie sprach unter Thränen zur Mutter die verständigen Worte: Was Sie befehlen, meine gnädigste Mutter, ist meine Pflicht. Was der Herr Graf mir befehlen wird, werde ich befolgen, als seien es Gebote aus Ihrem Munde. Ich kenne und ehre den Herrn Grafen aus frühen Kindheittagen; er war schon, als ich noch ein Kind war, auf dem Schiffe in Amsterdam, auf der Reise und zu Schloß Doorwerth die Güte selbst gegen mich, er war auf der Reise nach Rußland mein Führer, mein Lehrer, ebenso in Hamburg, ich danke ihm so viel, daß ich nichts erdenken kann, was ich besäße, um ihm damit für alles Das zu lohnen, was er mir Gutes und Liebevolles erwiesen hat.

Den größten Dienst steht der Graf jetzt im Begriffe, uns und dir zu leisten, aus der größten, drohendsten Gefahr dich zu retten, sprach die Prinzessin. So gehe denn in des Grafen Schutz, in Gottes, in Mariens, in aller Heiligen Schutz, mein theures, ewig theures Kind! Wir sehen uns wieder! Gott gebe bald, recht bald!

Der Herzog war nicht bei dieser Abschiedscene zugegen, er war nicht im Orte, vielleicht verreist, vielleicht auf der Jagd.

Es war zu sehr früher Morgenstunde, der Tag graute kaum, – Alles war still und feierlich in den Nachbarorten Ettenmünster, Münchweiler und Sanct Landelin. Die mannichfaltigen großen Gebäude erschienen noch höher, gewaltiger, ausgedehnter als bei Tage, die Thalferne war nebelgrau umflort und düster. Der Ettenbach rollte stark hinab nach der Stadt, als eile er, recht wie ein fleißiger Arbeiter in der Frühstunde zu Felde zieht, seine Mühlen zu treiben, oder seine Thalwiesen wässernd zu befruchten. Alles war gepackt, geordnet und zur Reise bereit. Zwei Wagen sollten die Reisenden aufnehmen, im ersten sollten der Graf, Sophie und Angés, im zweiten die Dienerschaft fahren.

Als es nun zum Einsteigen kam, weigerte sich Angés entschieden, sich zu Ludwig und Sophie in den Wagen zu setzen, behauptete das Rückwärtsfahren nicht gut zu vertragen, und was sie sonst für Vorwände zur Hand nahm; der wahre Grund aber lag in Angés zartem Sinn, sie wollte Sophie jetzt einzig beim Schmerz über diese Trennung von den geliebten Eltern der Tröstung ihres Begleiters überlassen, denn es gibt Augenblicke im Leben, wo zwischen zwei Personen auch die allervertrauteste Dritte stört.

Der Postillon des ersten Wagens stieß in's Horn, stimmte die Melodie eines schwarzwälder Volksliedes an und dasselbe schien allen bewaldeten Bergwänden des Münsterthals so wohl zu gefallen, daß sie's im Echo nachtönten. – Diese Posthornklänge und des Wagens Rollen auf harter Straße, die frisch mit Bergkies bedeckt war, ließ einen gellenden Aufschrei überhören, der plötzlich hinter ihnen dicht am zweiten Wagen ausgestoßen wurde, einen Schrei, der herzzerschneidend alle Diejenigen durchdrang, welche ihn vernahmen.


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