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Die Rebellion im Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein.

Schweitzers und Mendes Staatsstreich machte in weiten Kreisen des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins böses Blut. Ein Teil der intelligenteren Mitglieder sah ein, daß es kein Auskommen mehr mit Schweitzer gebe und er das Hindernis einer Einigung sei. Bracke ließ durch Vermittlung von Bremer-Magdeburg Liebknecht und mich wissen: sie wünschten eine Zusammenkunft mit uns. Auf diesen Wunsch gingen wir bereitwillig ein. Am 22. Juni abends trafen wir uns – Bracke, Bremer, Spier-Wolfenbüttel, York-Harburg, Liebknecht und ich – in einem Gasthaus dritter Güte in Magdeburg. Die Verhandlungen zogen sich in die Länge. Bracke und Bremer waren für sofortiges Losschlagen gegen Schweitzer und Austritt aus dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein. Spier und York hatten große Bedenken. Man müsse versuchen, den Verein von »innen heraus« zu reformieren, meinten sie; worauf wir antworteten, daß gerade die Vorgänge von Barmen-Elberfeld zeigten, wie es mit einer Reformierung von innen heraus aussehe. Solange Schweitzer Präsident sei und den »Sozialdemokrat« in der Hand habe, sei es unmöglich. Schließlich wurden wir einig. Es war Mitternacht, als der prächtige Bracke sich über das in der Wirtsstube stehende Billard streckte, um auf demselben den Aufruf niederzuschreiben, für den alsdann Unterschriften für die Einberufung eines Kongresses gesammelt werden sollten. Nachdem wir den Aufruf nochmals gründlich durchberaten, gingen wir gegen 3 Uhr zu Bette. Aber, o weh! Wir waren in ein Wanzennest geraten. Keiner von uns konnte schlafen. Bereits um 4 Uhr erhoben wir uns und fuhren mit den ersten Frühzügen nach unseren Heimatorten zurück. Beschlossen war worden, einen Kongreß nach einer mitteldeutschen Stadt – Gotha oder Eisenach – zu berufen und zur Beschickung desselben auch die deutsch-österreichischen und die deutschen Arbeitervereine der Schweiz einzuladen, ebenso die deutsche Abteilung der Internationale um eine Vertretung zu ersuchen.

Wegen seiner historischen Bedeutung bringe ich den Aufruf von Bracke und Genossen wörtlich zum Abdruck:

An die Mitglieder des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins.

Parteigenossen! Unter einer Menge von heuchlerischen Redensarten hat der Präsident unseres Vereins eine Maßregel getroffen, welche jedes denkende Mitglied mit Entrüstung erfüllen muß. In derjenigen Eile, welche diese Vorgänge geboten – weshalb denn auch niemand sich über Zurücksetzung beklagen wolle – , sind die Unterzeichneten zusammengetreten und haben sich über einen Schritt geeinigt, der von den weittragendsten Folgen für die Partei sein wird. Wir bitten Euch, Parteigenossen, aufmerksam und vorurteilsfrei unsere Meinung zu prüfen.

Während noch vor kurzem die Herren Schweitzer und Mende, die sich in der heftigsten Weise gegenseitig beschuldigten, Söldlinge der Reaktion zu sein, von einer Verschmelzung der verschiedenen Fraktionen der Arbeiterpartei nichts wissen wollten, treten sie plötzlich heute (im Einverständnis mit der Gräfin Hatzfeldt) mit rührenden Worten vor die Mitglieder ihrer Vereine, um dieselben aufzufordern, eine Einheit lediglich dieser beiden Fraktionen der Partei herbeizuführen – wobei denn von der Einigung der gesamten sozialdemokratischen Partei keine Rede ist – , und dies alles unter Bedingungen, welche ein Hohn sind auf die Rechte des sogenannten »souveränen Volkes«. Nicht allein ist die Frist der Abstimmung so kurz, daß es unmöglich erscheinen muß, daß die Mitglieder sich über die Frage wirklich ein Urteil bilden können, so daß alles wie die reinste Ueberrumpelung erscheint; nicht allein ist die Form der Abstimmung, bei der man den Mitgliedern einfach die Pistole auf die Brust setzt mit der Aufforderung, ja oder nein zu sagen, also entweder sich in die schmachvollsten Bedingungen zu fügen oder auf die sehnlichst gewünschte, wenn auch nur stückweise Einigung zu verzichten; nicht allein ist diese Form der Abstimmung eine demokratisch gesinnter Männer unwürdige, sondern es ist auch der Präsident so eigenmächtig bei dem allen vorgegangen, wie es fast ohne Beispiel ist. Nie ist über amerikanische Sklaven in willkürlicherer Weise verfügt worden, als hier über die Mitglieder des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins. Wozu auch vorher, ehe man solche im höchsten Grade wichtige Schritte tut, die Mitglieder oder den Vorstand um ihre Meinung fragen?! Wenn die Tatsachen fertig sind, wird die »freie« Zustimmung der Mitglieder durch einige Redensarten erpreßt. Wenn Herr v. Schweitzer diktiert, haben die Mitglieder einfach zu gehorchen, und dann nennt man dieselben noch das »souveräne Volk«. Ein größerer Hohn war nie einem Menschen geboten. Wenn Herr v. Schweitzer es für gut hält, wird den Mitgliedern zugemutet, mit eigener Hand und mit einem Schlage das mühsam in einer Reihe von Jahren aufgebaute Reformwerk zu vernichten und ohne weiteres ein Statut anzunehmen, das früher zu dem erbittertsten Zwiespalt Veranlassung gegeben hat; ein Statut, nach welchem der Präsident die unumschränkteste Gewalt in seinen Händen und der Vorstand nicht den allergeringsten Einfluß hat, und das zu alledem dahin ausgelegt werden kann, daß auf volle drei Jahre hinaus jede Aenderung an demselben unmöglich ist! Das Vorgehen des Präsidenten in diesem Falle – ein Staatsstreich im kleinen – erhebt den schon seit langer Zeit von vielen Mitgliedern des Vereins gehegten Argwohn zur Gewißheit, daß Herr v. Schweitzer den Verein lediglich zur Befriedigung seines Ehrgeizes benutzt und ihn zum Werkzeug einer arbeiterfeindlichen reaktionären Politik herabwürdigen will; sonst würde derselbe jetzt die Einigung der gesamten sozialdemokratischen Arbeiter Deutschlands suchen. Wer die Einigung eines Teils der sozialdemokratischen Arbeiter empfiehlt, ohne dabei mit aller Energie auf die Einigung der gesamten Partei zu wirken, welche ihr allein Macht und Einfluß verschaffen kann, wer durch Einigung eines Teiles in diesen Formen die Einigung aller Teile unmöglich macht, und wer dies tut mit rührenden, von Bruderliebe überfließenden Worten, der ist ein elender Heuchler; und wer dann diejenigen, welche sich den gestellten schmachvollen Bedingungen nicht fügen, sondern etwas Größeres, etwas Erhabeneres erstreben, als Gegner der Einigung überhaupt brandmarken will, ist ein Jesuit ohnegleichen.

Die Einigung der gesamten sozialdemokratischen Arbeiter Deutschlands herbeizuführen, muß das Streben jedes ehrlichen Sozialdemokraten sein. Angesichts der immer mächtiger sich ausbreitenden Wogen der Bewegung, angesichts der Vorzeichen, welche in allen Kulturstaaten der Welt auf eine baldige mächtige Umgestaltung der politischen und sozialen Verhältnisse hindeuten, ist ein Verschleppen dieser Einigung Verrat.

Diese Einigung kann aber nur das Werk sein des wirklich souveränen Volkes selbst, und Ihr, Mitglieder des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, werdet Euch nicht verschachern lassen nach der Laune einiger Führer wie eine Herde Schafe, sondern Ihr werdet wie Männer Eures eigenen Geschickes Schmiede sein!

Wir haben eingesehen, daß eine Organisation, in welcher der Wille eines Einzelnen sich hinwegsetzen kann über alle Errungenschaften des Vereins, ja den Verein selber in jedem Augenblicke in Frage stellen, denselben jeden Augenblick auflösen und in anderer ihm passenderer Form wieder ins Leben rufen kann, in welcher dieser Einzelne die Pfennige der Arbeiter gebraucht, um elende Lumpen zu bestechen, daß eine solche Organisation keine Faser von demokratischem Geiste in sich hat. In einer solchen Organisation ferner zu wirken, wäre schmähliche Verschwendung unserer besten Kräfte; wir verzichten darauf!

Geleitet von dem Gedanken, daß nur von der Partei selbst über ihre Organisation beschlossen werden kann, und ferner geleitet von dem Gedanken, die Einigung der sozialdemokratischen Arbeiter Deutschlands, auch was die Gewerkschaften betrifft, herbeizuführen, haben wir den Entschluß gefaßt, in kürzester Zeit einen allgemeinen Kongreß der gesamten sozialdemokratischen Arbeiter Deutschlands zu berufen, auf welchem der Grund einer wirklich demokratischen Organisation der Partei, im Anschluß an die internationale Bewegung, gelegt werden kann. Parteigenossen, wir rechnen auf Eure Unterstützung! Die sozialdemokratischen Arbeiter, welche nie anders als von einem künstlich erregten Haß gegeneinander erfüllt gewesen sind, werden sich zu einigen und sich eine Organisation zu geben wissen, welche den Geist ihrer Prinzipien mit der Zusammenfassung aller ihrer Kräfte vereint.

Parteigenossen, Ihr werdet Euch nicht verblenden lassen von den heuchlerischen Redensarten von Leuten, denen die Einigung der Partei nie am Herzen gelegen hat; Ihr werdet Euch eine Behandlung nicht gefallen lassen, welche man nur ehrlosen oder gedankenlosen Menschen zu bieten wagen kann; Ihr werdet Euch als das zeigen, was Ihr seid – nicht als die willenlosen Sklaven eines launischen Herrschers – , sondern als das wirklich und wahrhaft souveräne Volk, das allein über die Gestaltung seiner Geschicke zu entscheiden hat. Wagt einmal im Interesse unserer Prinzipien, im Interesse der Demokratie und des Sozialismus eine kühne Tat! Laßt uns die Fahne, auf welcher die Einigung der gesamten Partei geschrieben steht, nicht vergebens erhoben haben! Einig nur sind die Arbeiter eine Macht! Zersplittert sind wir ewig das Gespött unserer Gegner, aber einheitlich und wahrhaft demokratisch organisiert sind wir unüberwindlich.

Wenn Ihr uns zustimmt – und wir hoffen sehr, daß Ihr dies tun werdet – , so sendet Eure Zustimmung an einen der Unterzeichneten ein, damit wir gemeinsam die Einberufung des Kongreß betreiben können.

Aus dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein werden wir – es ist uns schwer geworden, den Entschluß zu fassen – austreten. Der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein war uns ans Herz gewachsen, aber im Interesse der Sache muß man das schwerste Opfer zu bringen verstehen; und anders ist keine Rettung!

Vorwärts denn, Parteigenossen, auf der neuen Bahn in heiligem Kampfe für unsere große und erhabene Sache! Begeisterung und Ausdauer verbürgen den Sieg.

Den 22. Juni 1869.

I. Bremer in Magdeburg. Hoffmann in Neustadt-Magdeburg. W. Klees in Buckau bei Magdeburg. Th. Borck in Harburg. C. Müller, S. Spier und A. Viewieg in Wolfenbüttel. W. Bracke junior, H. Ehlers, E. Lüdecke und A. Schrader in Braunschweig. Friedrich Ellner in Frankfurt a.M.

In derselben Nummer des »Demokratischen Wochenblatts« vom 26. Juni, in der wir den vorstehenden Ausruf veröffentlichten, erschien auch eine Erklärung von uns an die Parteigenossen, in der die Beschuldigung Schweitzers, wir hätten die mit ihm getroffenen Abmachungen gebrochen, zurückgewiesen wurde. Alsdann unterzogen wir die Einigungskomödie der Mende-Hatzfeldt-Schweitzer einer scharfen Kritik. Wir erklärten: »Wir werden den Kampf aufnehmen und mit aller Kraft und Zuversicht ihn führen, Hand in Hand mit den klarblickenden Mitgliedern des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins.« Wir schlossen:

»Es wird sich zeigen, ob die Korruption, die Gemeinheit, die Bestechlichkeit auf jener Seite, oder die Ehrlichkeit und die Reinheit der Absichten auf unserer den Sieg davonträgt.

Unsere Losung sei: Nieder mit der Sektiererei! Nieder mit dem Personenkultus! Nieder mit den Jesuiten, die unser Prinzip in Worten anerkennen, in Handlungen es verraten! Hoch lebe die Sozialdemokratie, hoch die Internationale Arbeiterassoziation!«

Daß wir in dieser Erklärung und später wiederholt die Ehrlichkeit unserer Absichten gegen die unehrlichen Schweitzers ins Feld führten, brachte nachher der neu gegründeten Partei von der Gegenseite den Spitznamen »Die Ehrlichen« ein.

Auf meinen Antrag beschloß der Vorortsvorstand einstimmig, sich dem Aufruf von Bracke und Genossen zur Einberufung eines allgemeinen deutschen sozialdemokratischen Arbeiterkongresses anzuschließen und die Vorstände der Arbeitervereine aufzufordern, ein gleiches zu tun. Ein am 28. Juni von mir hinausgesandtes Zirkular verlangte Antwort bis spätestens den 1. Juli mittags, eventuell telegraphisch. Auch schrieb ich an Joh. Phil. Becker in Genf, der Zentralrat der deutschen Sektion der Internationale möge ebenfalls eine zustimmende Erklärung zu dem Einigungswerk einsenden. Ich hoffte, diesesmal gelinge uns ein Hauptschlag. Am 26. Juni hatten auch Geib, Praast und Ockelmann-Hamburg ihren Austritt aus dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein erklärt und sich Bracke und Genossen angeschlossen.

Der »Sozialdemokrat« beobachtete jetzt die Taktik, ständig zu verkünden, unser Anhang bestehe nicht aus Arbeitern, sondern aus Literaten, Schulmeistern und sonstigen Bourgeois.

Schweitzer suchte weiter mit dem Geschick, das er besaß, die Mitglieder des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins an der von ihm systematisch gepflegten schwachen Seite zu fassen. In einem Artikel schrieb er mit Bezug auf die Opposition:

»Ein einziger Punkt entscheidet alles. Seid ihr Demokraten oder nicht? Ihr behauptet: Ja? Wißt ihr oder wißt ihr nicht, daß der Demokrat sich der Mehrheit zu fügen hat – doppelt zu fügen hat, wenn diese Mehrheit an Einstimmigkeit grenzt? Nun denn! Der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein-beide bisherigen Vereine – habe nahezu einstimmig mit Ja gestimmt. Unterwerft ihr euch jetzt dem Volkswillen? O nein! In eurer Eitelkeit, ihr 'Demokraten', erklärt ihr das Volk für eine Herde Schafe und eure Meinung für unfehlbar. Geht doch, ihr aufgeblasenen Heuchler, die ihr euch weiser dünkt als das ganze Volk und als Ferdinand Lassalle!

Weiser als Ferdinand Lassalle, euer riesenhafter Lehrer und Meister – ja ja. Denn der Stein des Anstoßes liegt euch darin, daß die Lassallesche Organisation in ihrem ganzen Umfang wieder hergestellt wurde ...«

Das Spiel mit der Lassalleschen Organisation ging spaltenlang und fast Nummer um Nummer weiter.

Auf der anderen Seite brachte das »Demokratische Wochenblatt« Nummer für Nummer Erklärungen gegen Schweitzer aus der Mitte des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins. So aus Gotha, Hamburg, Hildesheim, Erfurt, Hannover, Solingen, Wiesbaden, Elberfeld, Chemnitz (letztere gegen Mende). Auch H. Roller, der bisherige Sekretär des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, erklärte sich ebenfalls gegen Schweitzer.

Von den Gewerkschaftsführern sagten sich Fritzsche, Präsident des Zigarren- und Tabakarbeitervereins, L. Schumann, Präsident des Allgemeinen Deutschen Schuhmachervereins, Th. Bork, Präsident des Gewerkvereins deutscher Holzarbeiter, und Schob, Präsident des Allgemeinen Deutschen Schneidervereins, von Schweitzer los.

Unter dem 5. Juli teilte Mende im »Sozialdemokrat« mit, daß Schweitzer mit absoluter Mehrheit zum Präsidenten gewählt sei. Eine starke Minorität sei auf ihn (Mende) gefallen, trotzdem er wiederholt erklärt habe, er nehme eine Wahl nicht an. Zahlen wurden nicht mitgeteilt. Die Beteiligung an der Wahl war weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. In der schwülstigen Ansprache, mit der Mende die Wahl Schweitzers zum Präsidenten verkündete, hieß es:

»Wie Marat, der größte Revolutionär seiner Zeit, es so treffend bezeichnet: Als Diktator mit der Kugel am Bein soll der Präsident den Verein leiten, und diese Kugel soll sein: Prinzip und Organisation

Bekanntlich erwies sich diese Kugel als Attrappe. Und wiederum zitierte Mende:

»Haltet treu und fest an der Organisation, sie muß uns zum Siege führen«, und schloß: »Es lebe Ferdinand Lassalle! Es lebe der von ihm gestiftete Allgemeine Deutsche Arbeiterverein! Es lebe die Organisation!«

Schweitzer dankte für seine Wahl in einer Ansprache, die ebenso schwülstig und emphatisch war wie jene Mendes. Der Schluß lautet:

»Wohlan denn! Namens des hingegangenen Meisters, der euch alle, ihr Arbeiter, aus dem Schlummer geweckt – namens des souveränen Volkes unserer Partei, das mich zum Führer erkoren – namens eurer leidenden Brüder auf der ganzen Erde, entfalte ich die Fahne und trage sie voran. Festgeschlossen in Reih' und Glied, ihr Arbeiterbataillone, folget dem erwählten Führer.

Hoch die Manen Lassalles! Hoch die sozialdemokratische Agitation!«

So die beiden Auguren, beide, wie sich nachher sehr bald herausstellte, betrogene Betrüger. Darauf ordnete unter dem 10. Juli Schweitzer die Wahl der vierundzwanzig Vorstandsmitglieder an, für die er die Kandidatenliste vorschlug. Der Vorstand wurde wieder in früherer Weise, über Deutschland verteilt wohnend, gewählt.

Im »Sozialdemokrat« vom 14. Juli machte Schweitzer bekannt, der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein werde sich auf dem von uns berufenen sozialdemokratischen Kongreß vertreten lassen und veröffentlichte eine Reihe von Resolutionen, die seine Anhänger auf dem Kongreß zur Annahme vorschlagen sollten. Hinter unserem Kongreß, hieß es in der betreffenden Nummer, stehe die ganze liberale Bourgeoisie in allen ihren Schattierungen. Von straffer, einheitlicher Organisation könne natürlich bei uns unter einem Regiment von Literaten, Schulmeistern, Kaufleuten usw. keine Rede sein. Jeder dieser Leute müsse Gelegenheit haben, sich recht wichtig zu machen. Die gesamte Bourgeoispresse stehe uns zu Gebot, log er weiter. Er werde dafür sorgen, daß eine entsprechende Anzahl Delegierter auf den Eisenacher Kongreß komme, aber keine Literaten und Bourgeois, sondern wirkliche Arbeiter.

Von den Literaten, Schulmeistern, Kaufleuten usw., aus denen allein unsere Partei bestehen sollte, sprach er von jetzt ab nicht anders als von Achtels- und Viertelsintelligenzen.

Unter dem 17. Juli forderte das »Demokratische Wochenblatt« Schweitzer auf, nicht nur seine Werkzeuge nach Eisenach zu schicken, sondern selbst zu kommen. Ein Wort bei der Berliner Polizei, und der Urlaub werde ihm bewilligt, falls Herr v. Schweitzer sich überhaupt noch anstandshalber sollte einsperren lassen.

Das letztere zog Schweitzer vor. Er veröffentlichte, datiert vom 17. Juli, einen langen Aufruf »An die Mitglieder des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins«, worin er noch einmal einen Ueberblick über die vorhandenen Wirren gab und eine Anzahl Versprechungen machte, die er nach seiner Freilassung aus der Haft erfüllen wolle. Er schloß den Aufruf mit den Worten:

»Behaltet mich in gutem Andenken, wie auch ich inmitten meiner Kerkermauern eurer gern gedenken werde. Ich scheide von euch mit dem Rufe: Auf frohes Wiedersehen bei der alten Fahne! Es lebe der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein!«

Der Rest der Haft, den er jetzt »hinter Kerkermauern« verbüßen sollte, betrug noch acht Wochen, die er in Rummelsburg mit Kahnfahrten auf dem See und anderen Annehmlichkeiten verbrachte.

Man vergegenwärtige sich jetzt folgendes. Ende November ging Schweitzer zur Verbüßung einer dreimonatigen Haft ins Gefängnis. Gegen Ende Dezember wird er wegen Ordnung von Familienverhältnissen infolge seines Vaters Tod auf acht Tage beurlaubt; er bleibt aber sieben Wochen frei, betreibt in dieser Zeit unter den Augen der Polizei und der Behörden eine intensive politische Agitation und tritt erst am 18. Februar wieder die Haft an. Am 4. März erweist ihm die Regierung abermals den Dienst, ihn wegen Eröffnung der Reichstagssession aus der Haft zu beurlauben. Die Session wird am 22. Juni geschlossen, aber Schweitzer bleibt wieder frei und betreibt abermals bis zum 19. Juli unter den Augen von Polizei und Behörden eine intensive politische Agitation. Alsdann beliebt es ihm, die Haft wieder anzutreten.

Dergleichen war weder vor noch nach Schweitzer in Preußen je möglich. Als zum Beispiel 1868 Dr. Guido Weiß wegen Preßvergehen zu 14 Tagen Gefängnis verurteilt wurde, überfielen ihn einige Polizisten morgens 6 Uhr im Bett und transportierten ihn ins Gefängnis. Diese brutale Methode, politisch Verurteilte in frühester Stunde aus dem Bette zu holen und ins Gefängnis zu schleppen, war jahrzehntelang Sitte bei der Berliner Polizei. Es sind noch nicht viele Jahre her, daß diese Sitte verlassen wurde. Schweitzer hatte sich nie über solche oder ähnliche Mißhandlungen zu beklagen. Er ging ins Gefängnis und verließ dasselbe, als wenn er ins Hotel ging und dasselbe verließ. Und jeden gewünschten Besuch konnte er empfangen. Das Mißtrauen gegen ihn war also zehnfach gerechtfertigt.


Kurz vor dem Eisenacher Kongreß glaubte Tölcke mir eine Stinkbombe an den Kopf werfen zu müssen, in der Hoffnung, mir politisch zu schaden. Er erklärte in Nummer 87 des »Sozialdemokrat« vom 28. Juli, ich beziehe vom Exkönig von Hannover eine jährliche Besoldung von 600 Talern. Die Beschuldigung war blöde, aber es gab Leute im Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein, die daran glaubten. So beschloß ich, Tölcke wegen verleumderischer Beleidigung zu verklagen. Ich bat den Parteigenossen Wilhelm Eichhoff in Berlin, mit Rechtsanwalt Hirsemenzel, damals der erste Rechtsanwalt Berlins, zu reden und ihn zu fragen, ob er den Prozeß annehmen werde. Hirsemenzel lehnte ab, und zwar weil bei dem Prozeß nichts herauskomme. Der Richter werde in der Behauptung, daß ich im Solde eines Fürsten stehen solle, nichts Ehrenkränkendes finden und eine Beweiserhebung darüber ablehnen. Tölcke würde also höchstens wegen Beleidigung verurteilt, womit mir nicht gedient sein könne. Weiter machte Hirsemenzel geltend, ließe ich den Grafen Platen, den Hausminister des Exkönigs von Hannover, als Zeugen darüber vernehmen, ob die Behauptung Tölckes wahr sei, so werde dieser schon der Konsequenzen halber das Zeugnis verweigern und dadurch erhalte die Behauptung Tölckes einen Schein von Berechtigung. Eichhoff richtete darauf zweimal ein Schreiben an Tölcke mit der Aufforderung, im »Sozialdemokrat« die Beweise zu veröffentlichen, da er behauptete, ich stünde »erwiesenermaßen« im Dienste des Exkönigs. Tölcke schwieg; ich richtete darauf ebenfalls eine Aufforderung an ihn, die Beweise zu veröffentlichen. Statt dessen wiederholte er seine Beschuldigung und forderte mich auf, ihn zu verklagen. Ich nannte ihn darauf einen gemeinen Verleumder und ersuchte ihn, mich vor dem Leipziger Gericht zu belangen, da der Ausgang des Prozesses in Berlin kein Resultat verspreche. Die Sache ging aus wie das Hornberger Schießen. Bracke gegenüber erklärte Tölcke, er selbst habe keine Beweise für seine Behauptung, aber ein Regierungsrat(!) habe die Behauptung aufgestellt und den könne er nur bei einer gerichtlichen Klage meinerseits als Zeugen zum Beweis seiner Angaben zwingen. –


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