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Nebel, dichter, grauer Nebel
      
 Lagert über Meer und Insel
      
 Kalt und feucht. Als matter Lichtfleck,
      
 Röthlichtrüb erscheint die Sonne.
      
 Luft und Wasser sind verschwommen,
      
 Und am Strand die Drachenschiffe
      
 Schwanken hin und her wie Schatten
      
 Auf den grauen Nebeltüchern.
      
 Einem Schatten gleicht die Burg auch,
      
 Die gefügt aus ries'gen Blöcken
      
 Ueberragt das Felseneiland.
      
 Einst das Raubnest wilder Finnen
      
 War die Burg, gefüllt mit Schätzen,
      
 Bis der Hegelingen König
      
 Sie vertrieb aus ihrem Horste.
      
 Wie vom Frass gescheuchte Geier
      
 Wichen sie in ihre Wildniss.
Jetzt gebot der König Hettel
      
 Auf der Insel, seiner Marken
      
 Nördlichsten. Der Degen Morung
      
 Sass als Vogt mit wenig Leuten
      
 Auf der Burg. Den armen Fischern,
      
 Die am Strande friedlich wohnten,
      
 Sprach er Recht und war ihr Schirmherr.
      
 Doch noch besser als die Steinburg
      
 Und Herr Morung mit den Seinen
      
 Schützte das im Meer verlorne
      
 Eiland eine Zackenkrone
      
 Fluthzernagter Uferklippen.
Kam einmal ein Gast zur Insel,
      
 War es ein vom Sturm verschlagner
      
 Schiffer oder auch ein Krämer,
      
 Welcher seine Herrlichkeiten
      
 Gegen trockne Fische tauschte
      
 Und die Haut des plumpen Seehunds.
      
 Andre Fremde sah das Eiland
      
 Selten, aber jetzt seit Wochen
      
 War die Burg mit edlen Gästen
      
 Wohl besetzt, und vor der Lände
      
 Lagen schwarze Drachenschiffe.
Als der liebeskranke König
      
 Aus dem Hegelingenlande
      
 Aufbrach mit dem Heergefolge
      
 Um des wilden Hagens Tochter,
      
 Hilde, listig zu gewinnen,
      
 Liess er an dem Klippenstrande
      
 Anker werfen. Seine Recken
      
 Horand und den starken Wate,
      
 Die das Abenteuer kühnlich
      
 Zu bestehen sich unterwunden,
      
 Sandte mit erlernen Degen
      
 Hettel auf dem Wunderschifflein
      
 Nach dem Land des Königs Hagen.
      
 Doch er selber blieb dahinten
      
 Bei den Schiffen, hoffend, harrend
      
 Und bereit, wenn seine Boten
      
 Etwa Unheil treffen sollte,
      
 Rettung bringend beizuspringen
      
 Oder ihren Tod zu rächen.
      
 Glücklich war der Raub gelungen,
      
 Glücklich mit der weissen Taube
      
 War das Adlerpaar, von Sturmnoth
      
 Hart bedrängt, im Felsenhorste
      
 Angelangt. Nun hemmte Nebel
      
 Auf der See der Helden Heimfahrt.
Längs der Lände, wo die Schiffe
      
 Lagen an den Ankertauen,
      
 Standen stahlbewehrte Wachen
      
 Frierend bei den ausgebrannten
      
 Lagerfeuern, die zu löschen
      
 Wate weislich angeordnet,
      
 Dass nicht Rauch und rothes Glimmen
      
 Ihren Ankerplatz verrathe,
      
 Denn des Königs Hagen Schiffe,
      
 Mussten längst schon auf der Fahrt sein.
An dem Strand, der Wächter Vorsicht
      
 Prüfend, schritten drei Gestalten,
      
 Hoch von Wuchs. Der alte Wate
      
 War der eine, Degen Horand
      
 War der andre, und der dritte
      
 Trug den Schmuck des rothen Mantels
      
 Ueber seinem Streitgewande
      
 Und den Goldreif um den Stahlhelm.
      
 Hettel war's der hochgemuthe,
      
 Reiche Hegelingenkönig.
Wie der Nebel auf dem Meere
      
 Lag des Missmuths trübe Wolke
      
 Auf der Stirn der Hegelingen,
      
 Und zumal der König blickte
      
 Finster drein, und grollend sprach er.
      
 »Hätt' ich doch den Nordlandsänger,
      
 Der zuerst von Hagens Tochter,
      
 Von der liliengleichen Hilde
      
 Mir das Zauberlied gesungen,
      
 Das die Sinne mir bestrickt hat,
      
 Hätt' ich ihn doch nie vernommen,
      
 Meiner besten Helden Leben
      
 Wagt' ich; meines Goldhorts Hälfte
      
 Ist geopfert; wohlgelungen
      
 Ist die List, die klug erdachte.
      
 Und nun sitzt die junge Hilde
      
 Bleich und weinend, händeringend
      
 Bei den Mägden in der Kammer,
      
 Und des Hegelingenkönigs
      
 Werbung will sie nicht erhören,
      
 Seine Liebe nicht erwidern.
      
 Meiner Schätze andre Hälfte,
      
 Meine Länder, meine Burgen
      
 Und das Blut aus meinen Adern
      
 Möcht' ich um ein einzig Lächeln
      
 Ihres rothen Mündleins geben.
      
 Doch sie wendet ihre Blicke
      
 Von dem König, und den Harfner
      
 Sucht ihr rothgeweintes Auge.
      
 Blinder Thor, der ich den schönen
      
 Weiberliebling Horand sandte!«
Hettel sprach's, doch augenblicklich
      
 Reuten ihn die harten Worte,
      
 Als er sah, wie Horand traurig
      
 Seine Stirne senkte. Gütlich
      
 Sprach er zu dem Schwergekränkten:
      
 »Ach, vergieb dem Liebeswunden,
      
 Wenn er schmäht die treusten Freunde.
      
 Ungerecht und ungeduldig
      
 Ist der Kranke, und die Hände,
      
 Die ihn warten, stösst er von sich.«
      
 Sprach's und fasste Horands Rechte,
      
 Die der Sänger zögernd darbot.
Weiter am Gestade schritten
      
 Hettel und der greise Wate,
      
 Aber nach der Insel Südrand
      
 Ging der Sänger. Jäh und schüssig
      
 Fiel das Ufer dort in's Meer ab,
      
 Und gereihte Klippenzacken
      
 Starrten aus der wilden Salzfluth
      
 Wie die Zähne eines Drachen.
      
 Heute aber barg die Felsen
      
 Grauer Nebel, nur die Brandung,
      
 Die am Uferlande brausend
      
 Scholl, verrieth die Felsenriffe.
An dem Strand auf einem Felsblock
      
 Sass der Degen Horand nieder,
      
 Und sein blaues Auge starrte
      
 In des Nebels graue Wolken.
      
 Seinem Geist vorüber zogen
      
 Schöne Bilder. Wieder stand er,
      
 In den Händen seine Harfe,
      
 Vor des wilden Hagen Hochsitz,
      
 Und der Königstochter Auge
      
 Strahlte Seligkeit und Liebe.
      
 Dann im Gärtlein unter Rosen
      
 Stand er wiederum und hörte
      
 Hildens süsse Silberstimme,
      
 Wie sie neckisch nach dem König
      
 Hettel den Verkannten fragte.
      
 Und zuletzt des Sturms gedacht' er,
      
 Da sie ihre zarten Glieder
      
 Zitternd an die seinen schmiegte.
      
 Wieder fühlte von den weichen
      
 Armen er den Hals umschlungen
      
 Und vernahm das Liebesstammeln
      
 Und den jammervollen Aufschrei
      
 Des getäuschten Königskindes.
      
 Hörst du Horand, was die Wellen,
      
 Die zu deinen Füssen brausend
      
 Um die Felsen branden, singen?
      
 »Nimm in deinen Arm jung Hilde!
      
 Du gewannst sie, dir gehört sie.
      
 Flieht bei Nacht auf schnellem Fahrzeug.
      
 Sicher wollen wir euch tragen
      
 Fort gen Mittag, wo sich ewig
      
 Ueber schönen, reichen Ländern
      
 Spannt des Himmels blaues Zelttuch.
      
 Keines Rächers Arm erreicht dich;
      
 Vor des Lebens wilden Stürmen
      
 Ruhst du sicher und geborgen
      
 Und von deiner Trauten Lippen
      
 Trinkst du Seligkeit allstündlich.«
Also liess des Meeres Woge
      
 Ihr verlockend Lied ertönen.
      
 Aber Horand rasch erhob sich,
      
 Und die finstre Wolke strich er
      
 Von der Stirn. In seine Harfe
      
 Griff er, und den Sang der Woge
      
 Ueberscholl der Saiten Rauschen.
      
 Mählig zogen Ruh' und Frieden
      
 Wieder in die Brust des Sängers,
      
 Und die Wellen seines Blutes
      
 Wallten nicht mehr wild wie Sturmfluth.
      
 Da auf einmal durch den Nebel
      
 Brach es hell wie Sonnenleuchten,
      
 Aber nicht die Sonne war es. –
      
 Wie ein Vorhang weicht zur Seite,
      
 Thaten sich die Nebeltücher
      
 Auseinander, und am Himmel
      
 Sah des Helden staunend Auge
      
 Eine hohe Burg, von goldnen
      
 Schilden strahlend, und der Brücke
      
 Bifrost hochgewölbter Bogen
      
 Spannte sich zur Erde nieder.
      
 Sprachlos stand der Held. Da dröhnten
      
 Donnergleich der Schildburg Thore,
      
 Und auf silberweissen Rossen
      
 Ritten drei behelmte Jungfrau'n
      
 Niederwärts. Die goldnen Brünnen
      
 Glänzten hell wie Sonnenschimmer,
      
 Und die weissen Hände winkten.
      
 In Verzückung stand der Sänger,
      
 Und ein Schauer überkam ihn.
      
 Wer des Schlachtengottes Maide,
      
 Die Walküren schaut, muss sterben.
Als er seine Augen wieder
      
 Aufwärts lenkte, war verschwunden
      
 Burg und Brücke, grauer Nebel
      
 Hüllte Himmel, Land und Meerfluth.
      
 Kurse Zeit nur stand der Sänger
      
 Mit gesenktem Haupt, dann warf er
      
 In den Nacken seine Locken,
      
 Seine Augen blickten wieder
      
 Adlerhell, und lichte Röthe
      
 Färbte Wangen ihm und Stirne.
      
 In die Saiten griff er mächtig,
      
 Und sein Mund sang siegesfroh:
      Walküren sah ich reiten
      
       Und Asgard offen steh'n.
      
       Es geht an's letzte Streiten;
      
       Allvater soll ich seh'n.
      
       Die Götter meiner warten
      
       Und Wodens Heldenheer.
      
       Fahrwohl du Erdengarten
      
       Und du, mein blaues Meer!
      Ich schau' dich nimmer wieder,
      
       Mein Hof am stillen Sund,
      
       Wo mich die ersten Lieder
      
       Gelehrt der Mutter Mund;
      
       Wo mir, gehöhlt aus Rinde,
      
       Das erste Schifflein floss
      
       Und wo ich von der Linde
      
       Den ersten Vogel schoss.
       
       Fahrt wohl, ihr schnellen Degen
      
       In König Hettels Bann;
      
       Nehmt wohlgemuth entgegen,
      
       Was euch die Norne spann.
      
       Fahr' wohl, mein Heergeselle
      
       Und klage nicht zu sehr. –
      
       Der Mensch ist eine Welle,
      
       Und tausend zählt das Meer!
      Du süsse Augenweide,
      
       Du junge Rose roth!
      
       Ich that dir viel zu Leide,
      
       Nun geh' ich in den Tod.
      
       Mein Spiel ertönt nicht länger,
      
       Mein Lied verhallt im Wind. –
      
       Vergiss den armen Sänger,
      
       Du schönes Königskind!
Dahinten die Erde, Walhalla vorn,
      
 Die Götterbrücke inmitten –
      
 Lass schallen, Riger, dein goldnes Horn!
      
 Es kommt ein Held geritten.
 Es donnert die Brücke, es tönt das Thor,
      
 Es grüssen mich Asgards Söhne,
      
 Mit Bragi schreitet lächelnd hervor
      
 Idun, die ewigschöne.
Sie bieten mir Aepfel, sie bieten mir Meth,
      
 Sie leiten meine Schritte
      
 Dahin, wo Wodens Hochsitz steht
      
 In seiner Helden Mitte.
Es wird mir der Brünne schwere Last,
      
 Der Helm herunter genommen;
      
 Allvater winkt, den Erdengast
      
 Einherier heissen willkommen.
Schildmaide reichen mir Salz und Brot
      
 Und schenken mir Saft der Reben. –
      
 Willkommen herrlicher Schlachtentod!
      
 Fahrwohl du freudiges Leben!
Horand sang's, dann band er fester
      
 Seinen Helm und lenkte wieder
      
 Seine Schritte nach der Seebucht.
      
 Warnen wollt' er König Hettel
      
 Und das Heer der Hegelingen,
      
 Denn er glaubte nah den Kampf schon,
      
 Den das Wolkenbild gedeutet.
      
 Längs der Küste schritt er weiter
      
 Langsam nur, denn immer dichter
      
 Quoll vom Meer herauf der Nebel
      
 Und verhüllte die Umgebung
      
 Also, dass er nur mit Vorsicht
      
 Ueber das mit Felsenblöcken
      
 Und mit Büschen reich bedeckte
      
 Inselufer wandeln konnte.
Wie er so mit Hindernissen
      
 Kämpfend am Gestade hinschritt,
      
 Sah er durch den Nebel kommen
      
 Eine kleine Schaar von Männern,
      
 Unerkennbar, wenn auch nah schon,
      
 Wächter wohl, die um das Eiland,
      
 Wie es Wate anbefohlen,
      
 Spähend ihren Rundgang machten,
      
 Und es schritt der Degen näher.
Wie im grünen Wald ein Waidmann,
      
 Der des Rehbocks Fährte folgend
      
 Auseinander schlägt die Büsche
      
 Und statt des gehofften Wildes
      
 Einen grimmen Bären antrifft.
      
 Also fuhr zurück der Sänger,
      
 Denn auf eines Armes Länge
      
 Sah er vor sich König Hagen.
Einen Satz zurück that Horand.
      
 Nicht den Schwertgriff, nein das Schlachthorn,
      
 Das an einer reichen Borte
      
 Um den Hals ihm hing, ergriff er,
      
 Hob es an den Mund, und weithin
      
 Hallte durch die Luft der Nothruf.
      
 Dann erst fuhr des treuen Helden
      
 Rechte nach der guten Klinge,
      
 Doch zu spät. – Mit gellem Kampfschrei
      
 Sprang ihn an der wilde Hagen.
      
 Durch den Nebel fuhr ein Leuchten
      
 Wie ein Blitzstrahl. Schwirrend sauste
      
 Nieder das verhängnissvolle
      
 Gastgeschenk des alten Wate.
      
 Stumm zu Boden sank der Sänger
      
 Mit zerspälltem Helm und Haupte,
      
 Nacht umzog die Adleraugen,
      
 Und es trugen ihn Walküren
      
 Aufwärts zu Allvaters Lichtsaal.
»Blast das Heerhorn, lasst das Banner
      
 Fliegen!« rief der wilde Hagen
      
 Seinen Recken zu, die eilig
      
 An den Felsen aufwärts klommen,
      
 »Einer von den Räubern tränkt schon
      
 Grund und Gras mit seinem Herzblut,
      
 Auf die andern jetzt!« – Da wallte
      
 Blutigroth des Königs Banner,
      
 Das den goldnen Greifen zeigte.
      
 Laut zum Streite rief das Heerhorn,
      
 Und mit wildem Kampfruf stürmte
      
 Hagens Reckenschaar landeinwärts.