Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XI.

Der Hund.

Es war schauderhaftes Wetter. Wasser und Wind fuhren an die Vorübergehenden, überschwemmten und zerwühlten die Wege und höhlten sie aus.

Ich war zum Fassen gewesen und kehrte ins Quartier zurück, das am Dorfende lag. Durch den dichten Regen hindurch schien an jenem Morgen die Landschaft schmutziggelb, und der Himmel war schwarz – wie von Schiefer bedeckt. An den Mauern entlang patschten gedrückte Gestalten vorbei, verschämt in sich verkrochen.

Trotz Regen, scharfem Wind und niedriger Temperatur hatten sich Leute an der Hoftüre des Gehöftes, in dem wir einquartiert waren, angesammelt. Männer standen dicht aneinander und sahen von weitem einem krabbelnden Schwamm ähnlich. Diejenigen, die über die Schultern und zwischen die Köpfe der andern hindurchguckten, rissen die Augen weit auf und sagten:

– Der Kerl ist nicht von Pappe!

– Wenn der heut die Gänsehaut nicht kriegt, dann kriegt er sie überhaupt nie!

Dann gingen die Neugierigen wieder auseinander, schritten mit roten Nasen und triefendem Gesicht durch den peitschenden Regen und den kneifenden Wind und liessen die Hände, die sie staunend zum Himmel gehoben hatten, wieder sinken und bohrten sie in ihre Taschen.

Mitten auf dem Hof aber blieb, vom Regen begossen, der Urheber dieser Ansammlung zurück: es war Fouillade, der sich mit nacktem Oberkörper gründlich wusch.

Mager wie ein Insekt fuchtelte er mit seinen dünnen Armen in hitziger Wut herum, seifte sich den Kopf ein und begoss ihn, den Hals und die Brust bis zum hervorstehenden Gitter seiner Rippen. Die energische Operation hatte auf seine trichterförmig eingefallenen Backen einen weissen Flockenbart ausgebreitet und auf dem Gipfel seines Schädels schäumte ein schlüpfriger Haarbüschel, in welchen der Regen kleine Löcher stach.

Als Waschbecken benützte der Patient drei Gamellen, die er mit Wasser gefüllt hatte; wo er aber das Wasser aufgetrieben hatte, konnte man nicht wissen; denn es gab kein Wasser in diesem Dorfe; und da er im allgemeinen himmlischen und irdischen Geriesel nirgends etwas hätte hinlegen können, stopfte Fouillade sein Handtuch jedesmal nach Gebrauch in seinen Hosengurt und die Seife nach dem Einseifen in die Tasche.

Die letzten, die noch zurückgeblieben waren und diese epischen Gebärden mitten im Unwetter bestaunten, wiederholten mit Kopf schütteln:

– Der hat die Waschkrankheit, der.

– Weisst du, dass er eine Ehrenauszeichnung kriegen soll wegen der Geschichte im Granatenloch mit Volpatte?

– Na, die hat er sich nicht ungerechterweise gestohlen, die Ehrenauszeichnung, gottnocheinmal!

Und unbewusst brachte man die beiden Heldentaten durcheinander, die Schützengrabengeschichte mit der Geschichte im Granatenloch; und Fouillade wurde als der Held des Tages angestaunt; währenddessen pustete, schnaubte, keuchte, ächzte, spuckte und versuchte er, sich unter der Himmelsdusche mit hastigen und plötzlichen Bewegungen abzutrocknen; dann kleidete er sich schliesslich wieder an.

*

Nachdem er sich aber gewaschen hatte, fror er. Er trippelt auf der gleichen Stelle umher und stellt sich aufrecht an den Eingang der Scheune, in der wir hausen. Der eisige Wind pustet flache Flecken auf die Haut seines hohlen und gebräunten Gesichtes, zieht ihm Tränen aus den Augen und fegt sie auf seine Backen, die einst unterm Mistral erglühten; auch seine Nase weint regnerisch.

Schliesslich unterliegt er dem bissigen Wind, der ihm die Ohren zupft, obwohl er sein Halstuch um den Kopf gewickelt hat, und trotz der gelben Binden, die seine Hahnenbeine beschützen; dann tritt er in die Scheune, aber geht sofort wieder hinaus, wirft wütende Blicke um sich und schimpft: »Pute de moine!« und »Voleur!« knurrt er mit dem Akzent, der tausend Kilometer von hier, in jenem Landstrich, aus dem ihn der Krieg verbannte, aus der Kehle klingt.

Dann bleibt er draussen stehn, und fühlt sich fremder als je in dieser nördlichen Gegend. Der Wind schleicht heran, schlüpft in ihn hinein, und faucht ihn an mit barschem Ruck, schüttelt und quält die fleischlosen, leichten Formen seiner Vogelscheuchengestalt.

Sie ist auch kaum bewohnbar – coquine de Dious! – die Scheune, die man uns für diese Ruhezeit angewiesen hat. Ein Loch ist dieses Obdach, ein düstres Loch, das wie ein Brunnen rieselt. Die eine Hälfte liegt vollständig unter Wasser, und Ratten schwimmen obenauf, auf der andern Hälfte hockt die Mannschaft. Die Mauern bestehen aus Brettern, die mit getrocknetem Kot aneinanderkleben; sie haben Risse, Brüche und Schlitze ringsherum und oben klaffen weite Löcher. Nachdem wir nachts angekommen waren, hatten wir zwar bis zum Morgen die Ritzen, die man erreichen konnte, mit Zweigen, Blättern und Flechtwerk, so gut es ging, verstopft. Aber die oberen Löcher und das Dach klafften immer noch. Während das Licht nur spärlich hineinreicht, fährt im Gegenteil der Wind mit Wut hinein, saugt sich von allen Seiten mit Gewalt durch, und die Korporalschaft ist dem Ansturm eines ewigen Durchzuges ausgesetzt.

Wenn man drin ist, bleibt man aufrecht in diesem zerwühlten Halbschatten stehn, tastet umher, schlottert und seufzt.

Fouillade, den der stechende Wind noch einmal. hineingejagt hat, bereut es, sich gewaschen zu haben. Das Kreuz und die Seite schmerzen ihn. Er möchte irgend etwas tun, aber was?

Sich setzen? Unmöglich. Es ist zu dreckig in der Scheune; die Erde und das Pflaster bedeckt eine Kotschicht, und das Stroh, auf dem wir schlafen, ist ganz feucht vom durchsickernden Wasser und von den Füssen, die ihren Kot dran abstreifen. Ausserdem friert man, sobald man sitzt; legt man sich aber auf's Stroh, so stört der Mistgeruch und die Ammoniakdünste, die einem die Kehle zuschnüren ... Fouillade begnügt sich damit, die Stelle, auf der er steht, anzuschauen; dann gähnt er sich seinen langen Kiefer aus, den ein Ziegenbart noch verlängert und an welchem man weisse Haare unterscheiden könnte, wenn das Tageslicht wirklich Licht wäre.

– Die andern Kameraden und Hockpflöcke, sagt Marthereau, müsst euch nicht einbilden, dass die es besser oder schlechter haben, als wir. Nach dem Essen war ich bei einem Hasen von der elften, in der Scheune neben der Karbolkaserne. Ueber eine Mauer muss man klettern, dann kommst du auf eine Leiter, die zu kurz ist – stell dir die Scherenspreize vor, sagt Marthereau, der auf zwei kurzen Beinen steht –, und bist du endlich in dem Hühnerstall drin, und in dem Kaninchenstall, da rennst du überall alles an und stehst jedem und allen im Weg. Weisst nicht wohin mit deinen Hammelskeulen, gedrückt hab ich mich, gekrochen bin ich.

– Ich hab mir zum Futtern, sagt Cocon, bei einem Hufschmied gegen Geld was Warmes pumpen wollen. Gestern hat er noch Saft verkauft, aber heut morgen hat er die Polizei zu Besuch bekommen und jetzt hat der Kerl 's Gänsefieber und verriegelt die Tür.

Fouillade hat sie gesehn, wie sie gesenkten Hauptes heimkamen und auf ihre Streu niedergesunken sind,

Lamuse versuchte sein Gewehr zu putzen. Aber hier kann man unmöglich sein Gewehr putzen, auch wenn man sich bei der Tür auf den Boden setzt, oder das nasse, harte und eiskalte Zelttuch zurückschlägt, das wie Eiszapfen davor hängt; denn es ist zu dunkel.

– Und überhaupt, wenn du hier eine Schraube fallen lässt, alte Tante, du kannst dich hängen und findst sie doch nicht, namentlich wenn man noch obendrein friert und dann sowieso keine gescheiten Beine hat.

– Ich hätte schon was zu flicken, aber fällt mir nicht ein. Bleibt also nur noch eines: sich nämlich auf's Stroh hinzulegen; zuvor aber muss man den Kopf in ein Taschentuch oder ein Handtuch wickeln zum Schutz gegen den agressiven Gestank, den das gährende Stroh verbreitet; und dann kann man schlafen. Fouillade, der heute weder zum Fassen noch zum Wachdienst befohlen ist, verfügt über seine ganze Zeit und entschliesst sich dazu. Er steckt eine Kerze an und kramt in seinen Siebensachen, rollt den Schlauch seines Halstuches auf, und dabei sieht man das Schattenbild seiner schwindsüchtigen Gestalt sich krümmen und wieder aufrichten.

– An die Kartoffeln! He dadrinn, ihr kleinen Lämmer! brüllt auf der Türschwelle eine tönende Stimme aus einer Kapuzengestalt.

Es ist Sergeant Henriot. Er ist gutmütig und schlau, er reisst mit einer sympathischen Grobheit Witze und überwacht dabei die Leute im Quartier, dass keiner sich drücke. Draussen, im endlosen Regen, trippelt auf der triefenden Strasse der zweite Zug; auch er ist von seinem Adjutanten geholt worden und wird zur Arbeit geschoben. Beide Züge nehmen Fühlung. Man marschiert die Strasse hinauf und steigt auf den glitschigen Erdhügel, auf dem die Gulaschkanone steht.

– Vorwärts, Kinder, rührt ein bisschen die Ellenbogen, wenn jeder mitmacht, dann dauert's nicht lange ... Was? Hast du wieder was zu knurren, du? Hilft ja doch nichts?

Zwanzig Minuten drauf kehren wir im Laufschritt wieder heim. In der Scheune berührt und betastet man nur noch triefende Gegenstände und feuchte und frostige Gestalten; der beissende Geruch nasser Tiere gesellt sich zum Jauchedunst, der über unsere Betten weht.

Dann stehn wir beieinander um die Stützpfosten der Scheune und um die Regenfäden, die durch die Dachspalten senkrecht in die Scheune rieseln, wie dünne Säulchen mit Kotspritzern als Säulenfuss.

– Da kommen sie! schreit man plötzlich.

Zwei triefende und tropfnasse Gestalten versperren hintereinander die Türe; es sind Lamuse und Barque, die nach einem Ofen ausgegangen waren und nun von dieser Expedition zurückkehren; sie sind enttäuscht, verstimmt und wütend: »Nicht die Spur von einem Ofen aufzutreiben. Uebrigens weder Kohle noch Holz, und wenn du dein Letztes dafür hergibst.«

Es ist also unmöglich, ein Feuer anzuzünden.

– Nichts zu machen, und wo ich nichts finde, findet keiner was, sagt Barque mit einem Stolz, den hundert Ruhmestaten rechtfertigen.

So bleibt man denn stehn und rührt sich nicht; dann drückt man sich langsam auf einen andern Platz des engen Raumes, der zur Verfügung steht, und das grosse Elend ruft düstere Gedanken wach.

– Wem gehört die Zeitung?

– Mir, sagte Becuve.

– Was sagt er? Ja Scheisse, man kann ja doch nicht lesen in der Dunkelheit!

– Da behaupten sie, sie hätten jetzt das nötige eingerichtet, damit der Soldat den Schützengraben heizen könne. Alles haben sie, die Soldaten, was sie brauchen, Wollsachen, Hemden, Oefen und Kohle haufenweise, bis in die vordersten Schützengräben.

– Jawohl, Gottverdammich! murrten einige jener armen Gefangenen in der Scheune und halten der Leere draussen und der Zeitung die geballte Faust entgegen.

Aber Fouillade hört nicht zu. Er hat sein langes, bläuliches Don Quichottegestell in den Schatten gelegt und streckt die Violinseiten seines dürren Halses; denn auf dem Boden liegt ein Etwas, das ihn anzieht.

Es ist Labri, der Hund der andern Korporalschaft.

Labri, ein Bastard von einem Schäferhund mit gestutztem Schwanz, liegt als rundes Knäuel auf einer sehr dünnen Strohschicht.

Er betrachtet Labri, und Labri schaut ihn an.

Bécuve nähert sich ihm und sagt mit seinem singenden Akzent von Lille:

– Er will nichts fressen. Es ist ihm nicht wohl, dem Hund. Sag, Labri, was fehlt dir! Komm, da hast du dein Brot und dein Fleisch. Komm, 's ist gut, komm, schluck's runter ... Er hat lange Weile, er leidet. An einem schönen Morgen wird er verreckt auf dem Boden liegen.

Labri ist nicht glücklich. Der Soldat, dem er anvertraut ist, behandelt ihn ohne Liebe und quält ihn gern und sonst kümmert er sich nicht sehr um ihn. Das Tier ist den ganzen Tag angebunden. Er friert, fühlt sich nicht wohl und ist sich selbst überlassen. Er lebt nicht sein eigentliches Leben. Dann und wann steigen ihm Hoffnungen auf, ob er wohl jetzt ausgehn könne, wenn sich alles um ihn in Bewegung setzt; dann steht er auf, streckt sich und schwänzelt ein wenig. Aber es war eine Täuschung; dann legt er sich wieder hin und schaut mit Absicht nach einem noch fast vollen Napf.

Er langweilt sich, das Dasein ekelt ihn an. Und wenn er auch den Kugeln und Granatsplittern, denen er ebenso ausgesetzt ist wie wir, entwischt, so stirbt er schliesslich doch hier.

Fouillade legt seine magere Hand auf den Schädel des Hundes, der ihn wiederum ansieht. Beider Blicke sind gleich, mit dem einzigen Unterschied, dass der eine von oben kommt und der andere von unten.

Fouillade hat sich schliesslich doch in eine Ecke gesetzt und birgt die Hände unter die Falten seines Mantels; seine langen Beine aber sind zusammengelegt wie ein Klappstuhl.

Er träumt und versteckt die Augen unter seine bläulichen Lider. Er sieht ferne Bilder. Es ist gerade die Zeit, da das ferne Land, von dem er sich trennen musste, in lieblicher Stimmung erblüht, das südliche Frankreich, das duftende und bunte Land, und die Strassen von Cette. Das alles sieht er so deutlich, so nahe, dass er das Geräusch der Kanalschiffe hört und das Abladen auf den Docks, und ihm ist, als rufe ihn dieser heimatliche Lärm deutlich zurück.

Oben auf dem Weg, der so stark nach Thymian und Immortellen riecht, dass der Duft einem im Munde liegt und fast zum Geschmack wird, mitten im Sonnenlicht, im warmen, duftenden Wind, der wie ein Flügelschlag jener Sonnenstrahlen ist, auf dem Mont Saint-Clair, dort oben blüht und grünt das Häuschen der Seinen. Von dort aus sieht man zugleich, grün wie eine Flasche, den Teich von Thau und das Mittelländische Meer himmelblau ineinanderfliessen; und manchmal auch erblickt man am indigoblauen Himmel das gezackte Phantom der Pyrenäen.

Dort ist er geboren, dort ist er aufgewachsen, glücklich und frei. Dort spielte er auf der goldroten Erde, und sogar das Soldatenspiel hat er gemacht. Wenn er seinen Holzsäbel schwang, röteten sich begeistert seine runden Backen, die jetzt eingefallen sind, als seien sie vernarbt ... Er öffnet die Augen, schaut um sich, nickt mit dem Kopf und sehnt sich nach der Zeit zurück, als er über den Krieg und den Ruhm noch eine edle, begeisterte und sonnige Vorstellung hatte.

Dann hält er die Hand vor die Augen, das Bild in seinem Herzen festzuhalten.

Jetzt sieht es freilich anders aus.

Dort oben, am gleichen Ort, hat er Clémence gekannt. Das erstemal war sie vorbeigegangen, sonnenreich. Sie trug in ihren Armen ein Bündel Stroh und war ihm so blond vorgekommen, dass ihn das Stroh daneben kastanienbraun dünkte. Das zweitemal war sie in Begleitung einer Freundin. Beide waren sie stehn geblieben, und hatten ihn angeschaut. Er hörte sie tuscheln und wandte sich ihnen zu. Als sie aber merkten, dass sie entdeckt waren, hatten sich die jungen Mädchen im Rauschen ihrer Kleider davongemacht und lachten dabei wie Feldhühnchen.

Dort hatten sie dann beide ihr Häuschen hingebaut. Davor stehn Rebstöcke, die er das ganze Jahr hindurch im Strohhut pflegte. An der Gartentür steht der Rosenstock, den er genau kennt und der sich seiner Dornen bedient, nur um ihn ein wenig zurückzuhalten, wenn er vorbeigeht.

Wird er jemals wieder dahin zurückkehren? Ach! er blickte zu tief in die Vergangenheit zurück, um jetzt die Zukunft nicht in ihrer schrecklichen Deutlichkeit zu erkennen. Er muss an das Regiment denken, das nach jeder Ablösung so schrecklich mitgenommen worden ist, und an all die vergangenen und kommenden Leiden und auch an die Krankheit; dann denkt er auch daran, wie der Mensch sich dabei abnützt ...

Dann steht er auf, schüttelt den Traum der Vergangenheit und die Gedanken an die Zukunft ab. Dann fällt er zurück in die vom Winde gepeitschten eisigen Schatten, mitten unter jene umherliegenden und entwurzelten Männer, die in der Dunkelheit auf den Abend warten; er fällt zurück in die Gegenwart und schlottert weiter.

Dann macht er zwei Schritte mit seinen langen Beinen und stolpert über ein paar Kameraden, die zum Zeitvertreib mit gedämpfter Stimme vom Essen sprechen und sich damit trösten.

– Bei uns, sagt einer, macht man mächtige, runde Brote, gross wie ein Wagenrad, stell dir vor!

Und der betreffende reisst vor Freude die Augen weit auf, die heimatlichen Brote zu schauen.

– Bei uns, unterbricht ihn der arme Südländer, dauert ein Festessen so lang, dass das Brot am Anfang ganz frisch ist, und wenn's fertig ist, ist es altbacken!

– Ein Tröpfchen gibt's bei uns ... der sieht so nach nichts aus, der Tropfen, und doch, wenn er nicht fünfzehngradig ist, dann will ich's Maul halten!

Dann erzählt Fouillade von einem fast violetten Rotwein, der's Mischen gut erträgt, als sei er dazu geboren.

– Bei uns, sagt einer aus dem Bearn, bei uns hat man den »Jurancon«; aber den richtigen, nicht was man sonst unter dem Namen verkauft und von Paris kommt. Ich kenne gerade einen Rebenbesitzer davon.

– Wenn du mal hinkommst, sagt Fouillade, ich hab zu Hause alle möglichen Muskatweine, die ganze Tonleiter in allen Farben; wie Seidenmuster sieht das aus. Wenn du mal zu mir kommst für einen Monat, geb ich dir alle Tage einen andern zu kosten, jawohl Kleiner.

– Das gäb 'ne Schlemmerei, antwortet der Soldat dankbaren Herzens.

Nun begeistert sich Fouillade an diesen Weinerinnerungen, in die er sich vertieft und erinnert sich dabei auch an den sonnigen Knoblauchduft seines heimatlichen Mittagtisches.

Der Duft des blauen Landweines und der fein abgetönten Liqueurweine steigt ihm zu Kopfe im trägen und traurigen Windsturm, der durch die Scheune faucht.

Plötzlich denkt er wieder dran, dass im Dorf, in dem wir einquartiert sind, ein Wirt aus Beziers wohnt. Magnac hat ihm gesagt: »Komm doch mal zu mir, wir trinken dann Wein aus der Heimat, du Luder! Ich hab zu Haus ein paar Flaschen, über die du mir ein bisschen was erzählen kannst, wenn du gesoffen hast.«

Und Fouillade fühlt sich plötzlich von dieser Aussieht wie geblendet. Freudig bebt er am ganzen Leib von oben bis unten, wie einer, der sich seiner Bestimmung bewusst wird ... Südwein trinken und dazu noch aus seiner engern südlichen Heimat, und viel davon trinken ... wie schön wäre es, das Leben einmal wieder in rosigen Farben zu sehn, und wenn's nur einen Tag dauerte! Ja gewiss, er muss jetzt Wein haben und sehnt sich danach, sich zu betrinken. Auf der Stelle verlässt er die Kameraden, stracks zu Magnac, sich an seinen Tisch zu setzen.

Aber beim Ausgang – beim Eingang stösst er mit dem Korporal Broyer zusammen, der die Strassen wie ein Zeitungsjunge durchläuft und in jede Tür hineinschreit:

– Zum Rapport!

Die Kompagnie tritt im Viereck auf dem glitschigen Hügel an, auf dem die Feldküche Russ in den Regen spuckt.

– Nach dem Rapport geh ich saufen, denkt Fouillade.

Und er horcht, geistesabwesend, und ganz in seinen Gedanken vertieft. Aber so ungenügend er auch hinhorcht, so hört er doch die Worte des Vorgesetzten: »Striktes Verbot, das Quartier zu verlassen vor fünf Uhr und nach acht Uhr.« Und ohne das Murmeln der Soldaten ringsum weiter zu beachten, fügt er diesem höheren Befehl noch folgende Erklärung hinzu:

– Hier befindet sich der Divisionsstab. Solang ihr hier seid, soll sich keiner sehn lassen. Versteckt euch. Wenn euch der Divisionsgeneral auf der Strasse sieht, kriegt ihr sofort inneren Dienst. Er will keinen Soldaten sehn. Bleibt den ganzen Tag in euern Quartieren. Macht was ihr wollt, aber lasst euch nicht blicken, keiner.

Daraufhin kehrte man wieder in die Scheune zurück.

*

Es ist zwei Uhr. Also erst in drei Stunden wird man sich, bei vollständiger Dunkelheit, hinauswagen können, ohne bestraft zu werden.

Solange schlafen? Fouillade ist nicht mehr schläfrig; die Hoffnung auf Wein hat ihn aufgerüttelt. Und wenn er am Tag schläft, wird er nachts nicht schlafen können. Und das auf keinen Fall! Mit offenen Augen die Nacht durchwachen ist schlimmer, als ein schlechter Traum.

Das Wetter wird noch schlechter; Regen und Wind setzen doppelt ein, draussen und drinnen ...

Was dann? Wenn man weder stille stehn, noch sitzen, noch liegen, noch bummeln, noch arbeiten kann, was dann?

Eine wachsende Not überfällt dieses Häuflein müder und frierender Soldaten, die in ihrem Fleische leiden und nicht wissen, was sie mit ihrem Körper anfangen sollen.

– Gottverdammich! Hat man's hier schlecht!

Und sie schreien es gottverlassen aus, wie eine Leidklage und einen Hilferuf.

Dann geben sie sich instinktiv der einzig möglichen Beschäftigung hin: auf der gleichen Stelle auf- und abgehn, um dem Einrosten der Gelenke und der Kälte zu entwischen.

Nun gehn sie eifrig auf und ab, der Länge nach, der Breite nach in diesem engen Lokal, das nur drei gute Schritte lang ist; und sie gehn im Kreis herum, kreuzen sich, streifen aneinander, nach vorne gebeugt, die Hände in den Taschen und klopfen den Boden mit den Sohlen ab. Diese Wesen, die der Wind dann noch peitscht, wenn sie auf ihrem Stroh liegen, gleichen einer Herde elender Grosstadtopfer, die unterm herunterhängenden Winterhimmel darauf warten, dass sich die Türe eines barmherzigen Asyls öffne. Aber die Türe wird sich für sie nicht öffnen, höchstens in vier Tagen, nach der Ruhepause, wenn's eines Abends wieder in den Schützengraben geht.

Cocon hockt alleine in einer Ecke. Die Läuse quälen ihn, aber er ist matt von Kälte und Feuchtigkeit und findet den Mut nicht, die Wäsche zu wechseln; so bleibt er sitzen, finster, unbeweglich und angefressen ...

Als es aber allmählich gegen fünf Uhr zugeht, berauscht sich Fouillade wieder an dem Gedanken, Wein zu trinken, und er wartet, einen Lichtstreif in der Seele.

– Wie spät ist es? ... dreiviertel fünf ... fünf Minuten bis fünf ... Jetzt aber!

Er ist draussen; es ist stockfinstre Nacht. Mit grossen, klatschenden Sätzen hüpft er nach der Wirtschaft seines freigebigen und redeseligen Landsmanns Magnac. Nur mit grosser Mühe findet er in der Dunkelheit und dem Tintenregen die Türe! Was heisst das, kein Licht? Heiliges Donnerwetter, alles zu! Er zündet ein Streichholz an, schützt die Flamme mit seiner lampenschirmdünnen Hand und liest auf einem schicksalschweren Zettel die Worte: »Es ist den Soldaten verboten, in dieser Wirtschaft einzukehren.« Magnac, der sich irgend etwas hat zu schulden kommen lassen, ist in der Dunkelheit zum Nichtstun verdammt.

Fouillade kehrt der Wirtschaft den Rücken, die nunmehr dem einsamen Gastwirt zum Gefängnis geworden ist. Aber er gibt seinen Traum nicht auf. Er will anderswo hin, sich mit gewöhnlichem Wein begnügen und wird ihn zahlen, sehr einfach.

Er steckt die Hand in die Tasche und betastet seinen Geldbeutel. Da ist er.

Es müssen siebenunddreissig Sous drin sein, 's ist zwar kein Vermögen, aber ...

Plötzlich aber fährt er zurück, bleibt stehn und haut sich einen Klapps auf die Stirne. Sein endloses Gesicht schneidet eine schreckliche Fratze, die die Nacht verschleiert.

Nein, er hat ja keine siebenunddreissig Sous mehr! Dummes Arschloch! Er vergass die Sardinenbüchse, die er tags vorher gekauft hatte, so verflucht hatten die grauen Rationsmakkaroni geschmeckt, und dann die Gläschen, die er dem Schuster zahlte, als er ihm seine Kähne wieder frisch benagelt hatte.

O Elend! Er hat nur noch ungefähr dreizehn Sous! Und er müsste zu einem anständigen Schwips mindestens anderthalb Liter Wein haben, wenn er sich an der Gegenwart rächen wollte. Zum Verrecken! Hier kostet der Liter Rotwein einundzwanzig Sous. Zu dem langt es lange nicht.

Er schaut sich um in der Nacht und sucht nach jemandem. Vielleicht findet er einen Kameraden, der ihm was pumpen oder ihm einen Liter zahlen würde.

Aber wer, wer? Bécuve kaum, er hat nur eine Marraine, die ihm alle vierzehn Tage Tabak und Briefpapier schickt. An Barque ist auch nicht zu denken. Blaire ist geizig und hätte keinen Sinn dafür. Auch Biquet nicht, der ihn schief ansieht, Pépin schon gar nicht; der bettelt selber und zahlt nie, auch wenn er einen einladet. Ja, wenn Volpatte hier wäre! ... Mesnil André würde schon, aber er schuldet ihm schon mehrere Runden. Korporal Bertrand? Der hat ihn auf eine Bemerkung hin barsch ins Bett geschickt und seither sehn sie einander schief an. Farfadet? Mit dem spricht er nur selten ... Nein, er sieht entschieden ein, dass er Farfadet gar nicht drum bitten kann. Und übrigens, was nützt das Nachgrübeln überhaupt? Weiss der Teufel, wo die Kerle jetzt alle stecken?

Langsamen Schrittes kehrt er wieder nach unserer Behausung zurück. Dann macht er automatisch kehrt und schreitet wieder nachdenklichen Schrittes vorwärts. Er will's doch mal versuchen. Vielleicht dass gerade Kameraden beim Weine ... Er erreicht das Zentrum des Dorfes gerade um die Stunde, da die Nacht die Erde verhüllt.

Die hellen Türen und Fenster der Weinpinten lassen ihr Licht in den Kot der Hauptstrasse tropfen. Alle zwanzig Schritte steht eine. Man erkennt die klobigen Schatten der Soldaten, die meist gruppenweise die Strasse herunterkommen. Fährt ein Auto vorbei, so drückt man sich auf die Seite und lässt es vorüberfahren; dabei steht man geblendet von den Laternen und bespritzt vom flüssigen Schmutz, den die Räder auf die ganze Strassenbreite schleudern.

Die Pinten sind dicht besetzt. Durch die dunstigen Scheiben sieht man eine dichte Wolke behelmter Männer, die die Stuben füllt.

Fouillade tritt in die erste beste ein. Gleich auf der Schwelle beglückt ihn die laue Wärme der Pinte, das Licht, der Geruch und der Lärm der Gespräche. Dies Beieinanderhocken ist doch wie ein Stück Vergangenheit in der Gegenwart.

Er schaut sich um, geht von Tisch zu Tisch, drückt sich durch und stört die Hockenden, dass ihm keiner entgehe. Verflucht! Kein einziger Bekannter.

Anderenorts ist es die gleiche Geschichte. Sosehr er den Hals streckt und so verzweifelt er sich auch nach einem Bekannten umschaut, unter diesen Uniformen, die in dichten Haufen oder Paarweise trinken und sich unterhalten oder einsam beim Schreiben sitzen, er hat eben kein Glück. Wie ein Bettler sieht er aus und niemand beachtet ihn.

Nachdem ihm aber keine gute Seele zu Hilfe kommt, entschliesst er sich wenigstens das auszugeben, was er in der Tasche hat und schleicht bis zum Schenktisch.

– Ein Schöppchen Wein, aber guten ...

– Weissen?

– Ja, ja!

– Ihr seid wohl vom Süden, sagt die Wirtin, reicht ihm ein volles Fläschchen und ein Glas und kassiert die zwölf Sous ein.

Dann setzt er sich an eine Tischecke, an der schon vier Trinker in eine Manille vertieft sind; er füllt das Glas bis oben ah und leert es und füllt es wieder.

– He! zum Wohl, hau 's Glas nicht kaput! bellt ihm ein neuer Gast ins Gesicht. Er trägt ein blaues und verkohltes Arbeitskleid und hat mitten in seinem bleichen Gesicht einen Streifen dichter Augenbrauen, einen komisch zugespitzten Schädel und ein halb Pfund Ohren dran. Es ist Harlingue, der Waffenschmied.

Fouillade kommt sich alleine bei seinem Schoppen in Gegenwart eines Kameraden, der die Anzeichen des Durstes offensichtlich an sich trägt, nicht sehr glorreich vor. Aber Fouillade stellt sich dumm, als verstehe er das Begehren des Herrn nicht, der vor ihm mit einem einladenden Lächeln auf dem Gesicht hin- und hertänzelt, und leert das volle Glas. Dann macht der andere rechtsumkehrt und murmelt vor sich hin, »nicht sehr mitteilsam und eher süffig, die Südländer«.

Fouillade hat sein Kinn auf die Faust gestützt und starrt, ohne ihn zu sehn, nach einer Stubenecke, in der die Soldaten aufeinanderhocken, Ellenbogen an Ellenbogen, und sich drücken und drängen, wenn einer durch will.

Er war nicht schlecht, dieser Weisse, schon wahr, aber was konnten diese paar Tropfen in Fouillades Wüste ausrichten? Die Sehnsucht war kaum verschwunden und stellte sich bereits wieder ein.

Dann stand der Südländer auf und ging hinaus, seine zwei Glas Wein im Magen und einen Sou im Geldbeutel. Noch einmal findet er den Mut einzukehren, die Pinte mit den Blicken auszuforschen, um dann den Ort wieder zu verlassen, indem er folgende Entschuldigungsworte vor sich hinbrummt: »Hildepute! Nie ist er da, das Rindvieh!«

Dann kehrt er ins Quartier zurück. Dort hat der Wind sein Fauchen nicht eingestellt und immer noch tropft der Regen hinein. Fouillade zündet seine Kerze an und bei ihrem Schein, der verzweifelt hin- und herflackert, als wolle er davonfliegen, sucht er Labri auf.

Er kniet, die Kerze in der Hand, vor das arme Tier, das vielleicht noch vor ihm sterben wird. Labri schläft, aber nur schwach, denn er öffnet sogleich ein Auge und rührt seinen Schwanz.

Fouillade aber streichelt ihn und sagt 'ganz leise:

– Nichts zu machen. Nichts ...

Er will vor Labri nicht mehr davon reden, um ihn nicht zu betrüben; aber der Hund wackelt zustimmend mit dem Kopf, bevor er die Augen wieder schliesst.

Dann steht Fouillade wieder auf, nicht ohne Mühe, denn seine Gelenke sind eingerostet; und schliesslich legt er sich schlafen.

Jetzt hat er nur noch die eine Hoffnung: schlafen zu können, damit dieser schaurige Tag ein Ende nehme, dieser Tag der Leere, dieser Tag, der noch öfters seinesgleichen haben wird und heldenmütig überwunden werden muss; bis endlich der letzte Tag erscheinen wird, der letzte Tag des Krieges oder der letzte seines Lebens.

*


 << zurück weiter >>