Matteo Bandello
Novellen
Matteo Bandello

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Thomas Cromwell

(Pseudo-Shakespeare, Thomas Lord Cromwell)

In der edeln und alten Familie der Frescobaldi zu Florenz war vor nicht vielen Jahren ein sehr rechtlicher und achtbarer Kaufmann namens Francesco, der, nach der Sitte seiner Vaterstadt, nach verschiedenen Gegenden hin handelte und, da er sehr reich war, bedeutende Geschäfte machte. Gewöhnlich hatte er seine Niederlage im Westen, in England, und hielt sich in London auf, wo er ein sehr glänzendes Leben führte und viel Edelmut blicken ließ; denn er war nicht so genau, wie viele Kaufleute sind, die alles bei Heller und Pfennig berechnen, wie ich von dem Genueser Ansaldo Grimaldo sagen höre, daß er auf den kleinsten Papierschnitzel und jede Spanne Bindfaden zum Schnüren der Briefbündel acht hat.

Eines Tages, als Francesco Frescobaldo in Florenz war, erschien ein armer Jüngling vor ihm und bat in Gottes Namen ihn um ein Almosen. Als Frescobaldo ihn so übel gekleidet sah, da doch sein Gesicht viel Adel verriet, empfand er um so mehr Mitleid mit ihm, als er sah, daß er ein Engländer sei. Er fragte ihn, aus welchem Lande in der Fremde er denn komme; worauf jener zur Antwort gab, er sei ein Engländer; und als ihn Frescobaldo, dem England sehr genau bekannt war, nach einigen Eigentümlichkeiten des Landes fragte, gab der Jüngling sehr befriedigende Antworten.

»Ich heiße Thomas Cromwell«, fuhr er fort, »und bin der Sohn eines armen Tuchscherers. Ich entfloh meinem Vater und kam mit dem Lager der Franzosen, das am Garigliano aufgehoben ward, nach Italien. Ich diente mit noch einem Fußgänger als Lanzenträger.«

Frescobaldo führte ihn sehr freundschaftlich in sein Haus und hielt ihn hier aus Liebe zu der englischen Nation, bei der er viel Gutes genossen hatte, einige Tage bei sich, behandelte ihn sehr gütig, kleidete ihn neu, und als er nach seinem Vaterlande abreisen wollte, gab er ihm noch sechzehn florentinische Golddukaten in Gold und ein gutes Pferd. Da der Jüngling sich so anständig ausgestattet sah, sagte er dem Frescobaldo allen möglichen Dank und kehrte nach dem Insellande zurück.

Er hatte, wie es bei fast allen Überbergischen die löbliche Sitte ist, lesen und schreiben gelernt und schrieb Englisch sehr schön und richtig. Überdies war er ein Jüngling von vielem Geiste, großer Klugheit und Entschlossenheit und wußte sich vortrefflich in den Willen anderer zu finden und, wenn es seinem Zwecke diente, seine Leidenschaften besser zu verhehlen als irgendein Mensch auf Erden. Dazu ertrug er alle leiblichen Beschwerden mit großer Geduld, so daß er sich zum Rate des Kardinals von York, eines Prälaten vom größten Einflüsse, emporschwang und in dessen Dienste nach und nach in großen Ruf kam, daher er von ihm fast bei allen Unterhandlungen gebraucht wurde. Der Kardinal, der damals bei dem König von England im besten Ansehen stand, regierte beinahe die ganze Insel und hielt einen so großen und glänzenden Hof, daß er dem mächtigsten Fürsten genügt hätte. Daher geschah es, daß der Kardinal Cromwell oft in Angelegenheiten von der höchsten Wichtigkeit zu dem König schickte, wobei Cromwell sich stets seiner Aufträge so geschickt entledigte und sich das Vertrauen des Königs in so hohem Grade zu erwerben wußte, daß er ihm bald sehr freundlich begegnete und ihn für geschickt hielt, die wichtigsten Geschäfte zu leiten.

Der König hatte dazumal mit Zustimmung des Kardinals seine Gemahlin Katharina, Tochter König Ferdinands des Katholischen von Spanien, Mutterschwester Karls von Österreich, zeitigen römischen Kaisers, verstoßen, in der Hoffnung, daß der Papst den Scheidebrief bestätigen und auf die Gründe hin, wodurch der König ihre Verstoßung zu rechtfertigen meinte, die Ehe auflösen werde. Aber der Papst fand die Verstoßung nicht gerechtfertigt und verweigerte die Bestätigung; weshalb der Kardinal von York bei dem König in Ungnade fiel und den Hof meiden mußte. Als er vom Hof weg war, verminderte der Kardinal seine Dienerschaft, behielt nur noch eine kleine Anzahl Leute bei sich und entließ ihrer täglich mehr aus seinen Diensten. Der König erinnerte sich Cromwells, der ihn so sehr befriedigt hatte, ließ ihn zu sich bescheiden und sprach zu ihm: »Cromwell, du siehst, der Kardinal hat sich zurückgezogen und bedarf so vieler Leute nicht mehr, als er halten mußte, da er noch am Ruder meines Staates saß. Du bist also jetzt müßig, da du nicht mehr für ihn zu unterhandeln hast. Willst du aber mir dienen?«

»Mein Gebieter«, antwortete er, »ich habe dem Kardinal immer treulich gedient, und das gleiche würde ich Euch tun, wenn Ihr Euch meiner zu bedienen geruhtet.« »Wohlan denn«, sprach der König, »so tritt in meinen Dienst: denn ich habe stets viel Gutes von dir erwartet.« Hierauf ernannte ihn der König zu seinem ersten Sekretär und bediente sich seiner bei den wichtigsten vorkommenden Geschäften, die er so gut ausführte, daß der König ihn zum Großsiegelbewahrer erhob und wenige in dem Königreiche waren, die mehr bei dem König vermocht hätten als Cromwell; denn nach der Meinung des Königs war er mehr als alle wert, die an dem Hofe waren. Aber dem blinden Glücke genügte es nicht, den Cromwell aus dem niedrigsten Stande zu solcher Größe erhoben zu haben, sondern es wollte ihn noch mehr erhöhen, und der König ernannte ihn zum Oberkämmerer des Reichs, was die höchste Würde in England ist, der keine andere nach der königlichen sich vergleichen darf. Von nun an übergab ihm der König die Regierung des Landes, so daß Cromwell eine wirklich unglaubliche Macht erreichte.

Als er diese Höhe erstiegen hatte, zeigte sich Cromwell als Todfeind des ganzen Adels der Insel, und wo er nur einem Edelmanne schaden konnte, versäumte er es nicht, und wenn dem Könige einer verhaßt war, so schürte er nur die Flamme. Zu jener Zeit entschloß sich der König, während seine Frau Katharina von Spanien noch lebte, um jeden Preis eine andere zu nehmen, und da er den päpstlichen Dispens durchaus nicht erhalten konnte, dispensierte er sich selber. Daraus entstanden unendliche Unordnungen in jenem Königreich, das sich völlig von der heiligen katholischen Mutterkirche in Rom losriß. Unzählige Brüder und Mönche, die sein Verlangen nicht bewilligen wollten, wurden enthauptet und viele Edelleute und Barone ums Leben gebracht. Auch viele große Prälaten von dem heiligsten Wandel wurden hingerichtet, und es verging nur selten ein Tag, daß nicht dieser oder jener um einen Kopf gekürzt ward. Bald war fast der ganze Adel Englands erloschen; denn die Vornehmen traf die Verfolgung viel grausamer als die niedern Stände. Die allgemeine Meinung bezeichnete den Cromwell als den Urheber aller dieser Greuel, weil er den Adel tödlich haßte und ihn zu vernichten strebte, da er sich selbst eines niedern Ursprungs bewußt war.

Es war aber meine Absicht nicht, euch die Grausamkeiten und das Blutbad zu schildern, die sich ohne gerechte Veranlassung in England begaben, sondern ich begann diese Novelle, um die Folgen zu berichten, die die edle Handlung des Frescobaldo gegen Cromwell für jenen haben sollte. In jener Zeit also, da Cromwell als Herr und Meister über die Insel schaltete, geschah es, daß Francesco Frescobaldo durch große Unglücksfälle und Verluste an seinen Waren, wie solchen Kaufleute stets ausgesetzt sind, eine völlige Zerrüttung seines Vermögens erfuhr; denn als ein rechtlicher und edeldenkender Mann befriedigte er alle seine Gläubiger, konnte aber, was ihm andere schuldeten, nicht beitreiben. So herabgekommen und verarmt, ging er nun seine Bücher durch und fand nach genauer Berechnung, daß er in England mehr als fünfzehntausend Dukaten zu fordern habe, weshalb er beschloß, dahin zu reisen, soviel als möglich davon einzuziehen und den Rest seines Lebens in Ruhe zu verbringen. Mit diesem Gedanken reiste er von Italien nach Frankreich und von Frankreich nach England und verweilte in London, ohne sich indes nur mit einem Gedanken der edeln Handlung zu erinnern, die er an Cromwell zu Florenz übte; wie es eines wahrhaft milden Herzens würdig ist, die andern erwiesenen Wohltaten zu vergessen und die empfangenen in Marmor zu hauen, um sie zu vergelten, sooft sich Gelegenheit dazu darbietet. Als er nun in London seine Geschäfte betrieb, ging er eines Tages durch eine Straße, und der Zufall fügte es, daß der Oberkämmerer ebenfalls diese Straße und zwar dem Frescobaldo entgegen kam. Sobald ihn der Oberkämmerer erblickt und die Augen fest auf ihn geheftet hatte, erkannte er ihn für jenen, der in Florenz so edelmütig an ihm gehandelt hatte. Er stieg vom Pferde (denn er kam geritten), ging zur größten Verwunderung aller seiner Begleiter (über hundert der vornehmsten Großen des Königreichs waren zu Pferde in seinem Gefolge) auf ihn zu, umarmte ihn auf das liebevollste und sprach unter Tränen: »Seid Ihr nicht Francesco Frescobaldo aus Florenz?«

»Der bin ich, gnädiger Herr«, antwortete jener, »und Euer unterwürfigster Diener.«

»Mein Diener«, sagte der Oberkämmerer, »seid Ihr weder, noch begehre ich Euch dazu, sondern zu meinem wertesten Freunde. Auch sollt Ihr wissen, daß ich gerechte Ursache habe, mich sehr über Euch zu beklagen; denn da Ihr wußtet, wer und wo ich sei, hättet Ihr mich von Eurer Ankunft in London benachrichtigen sollen; dann würde ich gewiß einen Teil der Schuld abgetragen haben, wegen welcher Euch verbunden zu sein ich gerne gestehen will. Doch Gott sei gelobt, daß es noch Zeit ist! Ihr sollt tausendmal willkommen sein. Ich bin jetzt in Geschäften meines Königs und kann nicht länger bei Euch verweilen; darum haltet mich für entschuldigt! Sucht es aber um jeden Preis möglich zu machen, heute mittag bei mir zu speisen, und bleibt nicht aus!«

Hiermit stieg der Oberkämmerer wieder zu Pferde und ritt an den königlichen Hof. Frescobaldo erinnerte sich, da der Oberkämmerer fort war, daß dies der junge Engländer gewesen sei, den er in Florenz in sein Haus aufgenommen hatte, und begann Hoffnung zu schöpfen; denn er dachte, die Vermittelung eines so mächtigen Freundes werde es ihm erleichtern, sein Geld beizutreiben. Als nun die Mittagsstunde herankam, begab er sich in den Palast des Oberkämmerers und hatte nicht lange im Hofraume gewartet, so kam dieser zurück, stieg vom Pferde, umarmte Frescobaldo von neuem sehr freundschaftlich, wandte sich dann zu dem Admiral und den übrigen Fürsten und Herren, die mit ihm zur Tafel gekommen waren, und sprach: »Meine Herren, wundert euch nicht über die Freundschaftsbezeugungen, die ich diesem florentinischen Edelmann erweise: denn es sind nur Abschlagszahlungen für die unendlichen Verpflichtungen, die ich gegen ihn zu haben mir bewußt bin und gerne gestehe; denn meinen gegenwärtigen Rang bekleide ich nur durch ihn. Vernehmt, wie sich das verhält!«

Hierauf erzählte er vor allen Anwesenden, indem er die Hand des florentinischen Edelmanns in der seinen hielt, wie er nach Florenz gekommen sei und welche Liebesdienste er dort von ihm empfangen habe. Hierauf führte er ihn an seiner Hand in den Saal, und als sie dort angekommen waren, setzten sie sich zu Tische. Der Oberkämmerer bestimmte, daß Frescobaldo den Platz an seiner Seite einnehmen solle, wo er ihn dann mit den zärtlichsten Liebkosungen überhäufte.

Als die Tafel aufgehoben wurde und die Gäste sich beurlaubt hatten, wünschte der Oberkämmerer zu wissen, warum Frescobaldo wieder nach London gekommen sei. Frescobaldo erzählte ihm sofort sein ganzes Unglück und wie ihm außer dem Hause in Florenz und einem Landgut in der Nähe fast nichts geblieben sei als die fünfzehntausend Dukaten, die er in England zu fordern habe, und etwa zweitausend in Spanien, und um diese Summe beizutreiben, habe er sich nach der Insel begeben.

»Wohlan denn,« sagte der Oberkämmerer, »für die geschehenen Dinge gibt es kein Mittel, und ich kann nur Euer Unglück beklagen, wie ich von ganzem Herzen tue. Für das übrige soll Befehl ergehen, daß Euch alles erstattet wird, was Ihr zu fordern habt, und ich werde kein Mittel schonen, das in meiner Gewalt steht: denn ich versichere Euch, die Wohltaten, die Ihr mir erwiesen habt, ohne mich weiter zu kennen, haben mich Euch so verpflichtet, daß ich ewig der Eurige sein werde und Ihr über mich und mein Vermögen, wie ich selbst, zu verfügen habt; und wenn Ihr das nicht tut, so ist es Euer Schade, denn ich werde Euch keine weiteren Anerbietungen machen, da ich es für überflüssig halte. Es ist genug, daß ich es Euch jetzt ein für allemal sage. Doch stehen wir auf und gehen wir in mein Gemach!«

Hier verschloß der Oberkämmerer die Tür, öffnete einen großen, mit Dukaten gefüllten Schrein, nahm sechzehn Stück heraus und gab sie dem Frescobaldo. »Hier, mein Freund«, fuhr er fort, »sind die sechzehn Dukaten, die Ihr mir gabt, als ich Florenz verließ; hier die andern zehn, die Euch das Pferd kostete, das Ihr mir kauftet, und hier noch zehn, die Ihr auf meine Kleidung verwandtet. Da Ihr aber ein Kaufmann seid, so scheint es mir unbillig, wenn Euer Geld in so langer Zeit totgelegen haben sollte, ohne Gewinn zu bringen, wie Ihr es gewohnt seid. Nehmt also diese vier Beutel mit Dukaten, wovon jeder viertausend Dukaten enthält! Betrachtet sie als Ersatz der Eurigen und genießt sie mir zuliebe!«

Frescobaldo, der zwar von unermeßlichen Reichtümern in große Armut herabgesunken war, aber doch seine edle Denkungsart nicht verleugnen konnte, wollte das Geschenk nicht annehmen, äußerte jedoch den lebhaftesten Dank für ein so großmütiges Anerbieten. Indes nötigten ihn die dringenden Zureden des Oberkämmerers dazu, und er mußte ihm auch eine Liste aller seiner Schuldforderungen geben, was Frescobaldo herzlich gerne tat. Er schrieb ihm die Namen der Schuldner und die Summen seines Guthabens auf. Als er diesen Zettel hatte, rief Cromwell einen seiner Hausbeamten und sprach zu ihm: »Suche die Leute auf, deren Namen auf dieser Liste stehen, wo sie sich auch auf dieser Insel befinden mögen, und gib ihnen zu erkennen: wenn sie binnen vierzehn Tagen ihre Schuld nicht abgetragen haben, so werde ich selbst zu ihrem Schaden und Leide meine Hand ins Spiel mischen. Sie sollen sich also vorstellen, ich selbst sei der Gläubiger!«

Der Diener richtete den Befehl seines Herrn mit vieler Sorgfalt aus, so daß in der anberaumten Frist an fünfzehntausend Dukaten eingingen. Und wenn Frescobaldo die in einer so langen Zeit aufgelaufenen Zinsen begehrt hätte, so würde er sie alle bis auf den letzten Heller erhalten haben; aber er begnügte sich mit dem Kapital und verlangte keinerlei Zinsen, was ihm bei aller Welt Ehre erwarb, sonderlich da schon jedermann auf der ganzen Insel wußte, welche Gunst er bei dem Oberkämmerer genoß. Unterdessen war Frescobaldo der beständige Tischgenosse Cromwells, der sich von Tag zu Tag bestrebte, ihm alle mögliche Ehre zu erweisen. Und weil er großes Behagen an seinem Umgange fand und deshalb wünschte, daß er immer in London bleiben möge, erbot er sich, ihm sechzigtausend Dukaten auf vier Jahre zu leihen, ohne einen Heller Nutzen zu verlangen, damit er in London ein Haus und Geschäft anlegen und Handel treiben könne, wozu er noch das Versprechen fügte, seine Unternehmungen in jeder Weise zu begünstigen. Frescobaldo, der sich in seine Heimat zurückzuziehen und den Rest seiner Tage in Ruhe zu verbringen und sich zu pflegen wünschte, dankte ihm mit gerührtem Herzen für so außerordentliche Großmut und kehrte mit Erlaubnis des Oberkämmerers, nachdem er sein Geld in Wechsel auf Florenz umgesetzt hatte, in sein ersehntes Vaterland zurück, wo er reich genug anlangte und sich einem höchst sorgenlosen Leben ergab. Jedoch genoß er nicht lange diese Ruhe, indem er noch im nämlichen Jahre, in dem er London verlassen hatte, in Florenz starb.

Was sagen wir von der Dankbarkeit und Freigebigkeit Cromwells? Gewiß verdient sein Betragen gegen Frescobaldo das höchste Lob, und wenn er den Adel seines Landes so sehr geliebt hätte, als er sich gegen die Ausländer mild erwies, so würde er vielleicht noch leben; aber er haßte den englischen Adel so sehr, daß er sich zuletzt selber den Tod bereitete. Weil mir nun nichts anderes zu berichten bleibt, so berichte ich von seinem Tode. Als er einige Jahre die Gnade des Königs besessen und dessen Gunst ihn verblendet hatte, zeigte er sich bereitwillig, bald diesen, bald jenen enthaupten zu lassen; und je vornehmer und mächtiger einer war, desto lieber übte er seine Gewalt über ihn aus, ohne Unterschied zwischen Weltlichen und Geistlichen. Eines Tages, als er den Bischof von Winchester, ich weiß nicht weshalb, hinrichten lassen wollte, sagte er diesem in dem geheimen Rate des Königs, dieser lasse ihm befehlen, sich als Gefangener in den Turm zu verfügen, einen Ort, den nach der gemeinen Ansicht der Engländer nie einer betrat, ohne den Kopf zu verlieren. Über diesen Befehl bestürzt, antwortete ihm der Bischof, er wisse nicht, aus welchem Grund ihm dies befohlen werde; er wolle zuvor mit dem König sprechen.

»Ihr könnt ihn nicht sprechen«, antwortete der Oberkämmerer. »Begebt Euch nur dorthin, wohin ich sage!«

Zugleich befahl er vieren seiner Leute, ihn gefangenzunehmen.

Hierüber waren sie im Streit begriffen, als der Herzog von Suffolk, Cromwells Feind, zu dem Könige ging, der sich in einem benachbarten Gemache befand, und ihm von dem Streit zwischen dem Oberkämmerer und dem Bischof erzählte. Der König, der nichts davon wußte, schickte einen seiner Höflinge heraus, um den Bischof zu sich zu bescheiden. Als der Oberkämmerer dies hörte, ärgerte er sich sehr und begab sich nach Hause, wo er vier Tage blieb, ohne sich weder bei Hofe noch im Rate blicken zu lassen. Der Bischof begab sich vor den König und beteuerte, sich nicht schuldig zu wissen; indes stehe er in seinen Händen und unterwerfe sich seinem Richterspruche, wenn er gefehlt haben sollte. Als der König sah, daß Cromwell nicht am Hofe erschien, und daß nichts wider den Bischof vorliege, setzte er ihn in Freiheit und sprach laut, daß der ganze Hof es vernahm: »Ich will doch sehen, wer seinen Zorn am besten zu handhaben versteht, ich der König oder Thomas Cromwell.«

Da es inzwischen bekanntgemacht worden war, daß der König aufgebracht sei, liefen viele Klagen gegen den Oberkämmerer ein, und es fand sich, daß er an vielen Untaten schuldig sei, vor allem hinsichtlich der Rechtspflege. Nach Verlauf von vier Tagen begab sich der Oberkämmerer wieder in den geheimen Rat. Hierauf wurde der Ort, wo der Rat versammelt war, verschlossen, und der König ließ durch einen Kämmerling der Dienerschaft Cromwells anzeigen, dieser werde heute bei dem König speisen; sie sollten daher ebenfalls zu Tische gehen und dann zurückkehren. Alle zerstreuten sich sofort, und der König ließ nun seine Leibwache kommen und sich vor der Tür des Rats aufstellen. Als die Sitzung zu Ende war, trat der Oberkämmerer heraus; sogleich ergriff ihn die Leibwache und erklärte ihn für des Königs Gefangenen. Hierauf wurde er nach dem Turm geführt und wohlbewacht. Man machte ihm den Prozeß, und schon wenige Tage darauf wurde er eines Morgens nach dem Befehle des Königs auf dem Platz des Kastells enthauptet. Hätte er das Rad des Glücks zu hemmen verstanden, das heißt, hätte er mehr Edelsinn und weniger Blutdurst bewiesen, so würde er vielleicht ein besseres und ehrenvolleres Ende genommen haben.

Die Zwillingsgeschwister

In dieser angenehmen und geehrten Gesellschaft ist niemand, der sich nicht vollständig erinnern wird, daß die Deutschen und die Spanier im Jahre des Heils eintausendfünfhundertundsiebenundzwanzig die Stadt Rom so schnöde geplündert haben. Wiewohl die Sünden dieser Stadt gezüchtigt zu werden verdienten, so taten dennoch die, welche sie belagerten, da es Christen waren, nicht wohl; freilich bemerke ich, daß es großenteils Lutheraner, Heiden und Juden waren. Sei dem aber, wie ihm wolle, sie betrugen sich viel schlimmer als Türken und erlaubten sich so greuliche, schändliche Dinge wider Gott und die Heiligen, daß man es nicht ohne den heftigsten Unwillen erwähnen kann. Dennoch aber ließ die Rache von oben nicht lange auf sich warten; denn von fünfundzwanzig- bis sechsundzwanzigtausend Landsknechten, die solche Verruchtheiten in dieser Stadt verübten, hätte man, ich glaube, es gingen nicht vier Jahre vorüber, höchstens noch zwei- bis dreitausend Mann gefunden. Und der Herzog von Bourbon, ein Prinz des französischen Königshauses, der, nachdem König Franz I. von Frankreich ihn zum ersten Mann erhoben, sich gegen seinen König empört und beim Kaiser Karl von Österreich Dienste genommen hatte, war der erste, der die Strafe der Sünde erduldete, die er begehen ließ: er war Generalkapitän des kaiserlichen Heeres; aber ehe er noch die Freude hatte, Rom eingenommen zu sehen, wurde er durch einen Büchsenschuß elendiglich getötet. Und wiewohl der größte Teil der Belagerer und Plünderer geweihter wie ungeweihter Dinge, der Notzüchtiger der heiligen, der Maria gewidmeten Jungfrauen wie gesagt Feinde des christlichen Glaubens waren, so waren doch die Behörden nicht imstande, so viel Tempelraub, Blutschande, Hurerei, Mord und anderer Verruchtheit Einhalt zu tun, und konnten nur mit dem Gedanken sich trösten, wie viele durch die Schändung des Heiligen einem bösen Ende entgegengegangen sind. Ist nicht bekannt, wie der große Pompejus, dieser ausgezeichnete Mann, nachdem er in Jerusalem den heiligen Tempel Gottes geschändet hatte, immer weiter von seiner gewohnten Größe herabsank und kein Unternehmen mehr ausführen konnte, das den früheren verglichen werden könnte, um derenwillen er so viele Triumphe verdient hatte?

Doch wohin lasse ich mich verleiten? Ihr seid noch nicht dort gewesen, und ich bin nicht hierhergekommen, um den Fall Roms zu beweinen; sondern da ich euch versprochen habe, eine Novelle zu erzählen, sage ich denn, als Rom von den Kaiserlichen erobert und geplündert wurde, geriet unter andern auch ein Mann aus Esi in der Mark, ein Landsmann von mir, namens Ambrogio Nanni, ein ebenso begüterter wie rechtlicher Kaufherr, in die Gewalt der Feinde. Dieser besaß von seiner verstorbenen Gattin zwei Zwillingskinder, einen Knaben und ein Mädchen, welche in Rom geboren waren. Beide waren von unglaublicher Schönheit und sahen sich so ähnlich, daß es schwer hielt, sie zu unterscheiden, wenn sie beide in männliche und weibliche Tracht gekleidet wurden; ja, der Vater selbst, der sich zuweilen das Vergnügen machte, sie bald so, bald anders kleiden zu lassen, verwechselte sie alsdann miteinander; als Zwillinge waren sie auch von gleicher Größe. Ambrogio hatte sie in Lesen und Schreiben, Musik und Gesang unterweisen und überhaupt ihnen eine ihrem Alter angemessene Erziehung geben lassen. Zur Zeit der Plünderung Roms waren sie fünfzehn Jahre alt oder wenig darüber. Der Knabe, der Paolo hieß, war von einem Deutschen gefangen worden, der seiner Tapferkeit wegen bei seiner Nation in großem Ansehen stand. Er besaß noch andere Gefangene von bedeutendem Range, die ihm ein beträchtliches Lösegeld eintrugen. Überdies hatte er Gold, Silber und manchen köstlichen Edelstein von hohem Wert und viele reiche Kleider erbeutet, womit er Rom verließ und sich nach Neapel begab, wohin er Paolo mit sich führte, den er wie seinen leiblichen Sohn behandelte. Zu Neapel war der Deutsche darauf bedacht, die Kleider und den größten Teil des erbeuteten Silberzeuges zu verkaufen und in Geld umzusetzen, und vertraute die Schlüssel zu allem seinem jungen Gefangenen.

Die Tochter, namens Nicuola, geriet in die Hände zweier spanischer Soldaten und hatte das Glück, eine schonende Behandlung zu finden, da sie sich als die Tochter eines reichen Mannes hinstellte, von dem die beiden Gefährten ein reiches Lösegeld erwarteten. Durch die Gunst einiger neapolitanischer Freunde, die in dem spanischen Heere dienten, gelang es dem Ambrogio, der Gefangenschaft zu entgehen, und er fand die Mittel, sein Geld und Silberzeug zu retten, das er in einem Stalle vergraben hatte; alles übrige aber, was in seinem Hause gewesen, war geraubt. Als er sich darauf nach seinen Kindern umsah, fand er Nicuola und kaufte sie für fünfhundert Golddukaten frei; vom Paolo jedoch konnte er, aller Mühe, die er sich gab, ungeachtet, keine Spur auftreiben, worüber er sich unendlich betrübte; denn der Verlust dieses Paolo verursachte ihm ungleich größern Kummer als alles, was er sonst eingebüßt hatte, so groß der Schaden auch sein mochte. Als er alles, was in seinen Kräften stand, aufgeboten hatte, um den Sohn wiederzufinden, und er von keiner Seite eine Nachricht oder Botschaft von ihm einlaufen sah, fürchtete er sehr, der Jüngling könnte ermordet sein, und mochte nicht länger in Rom bleiben. Er kehrte also sehr traurig und verstimmt nach Esi zurück, wo er sein Haus in Ordnung brachte und sich der Kaufmannschaft völlig begab, da er mit seinem Besitz und seinem Gelde bequem lebte; darum bemühte er sich, seine Rechnungen mit allen abzuschließen, so gut er konnte.

In unserer Stadt lebte damals ein reicher Bürger, namens Gherardo Lanzetti, ein vertrauter Freund Ambrogios. Seine Frau war ihm gestorben, und da er Nicuolas Reize sah, ward er so heftig für sie entflammt, daß er in kurzem ohne Rücksicht darauf, daß sie sehr jung war, er aber sechzig näher stand als fünfzig, bei ihrem Vater um sie anhielt, indem er sich bereit erklärte, sie ohne Heiratsgut heimzuführen. Seht, ihr Herren, was diese verwünschte Liebe anstellt, wenn sie in der Brust solcher törichten Alten einkehrt: Sie blendet und verklebt ihre Augen dermaßen, daß sie die unsäglichsten Verirrungen von der Welt begehen, wie man das täglich sehen kann. Und in der Tat, fast alle Alten, welche junge Mädchen zu Frauen nehmen, ergreifen nur Besitz von der Burg Hornberg. Ambrogio hielt es nicht für ratsam, Nicuola einem alten Manne zu vermählen; indessen sagte er weder Ja noch Nein dazu, weil er immer hoffte, Paolo wiederzufinden, und nicht gesonnen war, Nicuola zu vermählen, ehe er von jenem Nachricht erhalten.

Der Ruf von Nicuolas Schönheit hatte sich durch ganz Esi verbreitet, und ihre Reize waren daselbst der einzige Gegenstand der Unterhaltung. Wenn sie sich außer dem Hause zeigte, deutete alles mit den Fingern nach ihr, und viele gingen an ihren Fenstern vorüber, um sie zu sehen. So geschah es um diese Zeit, daß Lattanzio Puccini, ein Jüngling von kaum einundzwanzig Jahren, der durch den Tod seiner Eltern Herr eines großen Vermögens geworden war, Nicuola erblickte und sie ihn, so daß beide in gleichen Flammen für einander erglühten. Lattanzio hatte keinen andern Gedanken mehr, als sie täglich zu sehen und ihr durch die Sprache der Augen zu zeigen, in welcher Leidenschaft er sich um ihretwillen verzehre. Nicuola zeigte ihm, sooft sie ihn erblickte, ein freundliches Antlitz, was der Jüngling bald inneward, so daß er sich, vollkommen überzeugt, von ihr geliebt zu werden, für den glücklichsten Liebhaber hielt, den es je gegeben. Auf der andern Seite gefiel der Nicuola Lattanzio durch Gestalt und Betragen vor allen, die sie je gesehen hatte, und bald gerieten die Gluten der Liebe in ihrem jungen, zarten Herzen zu solcher Gewalt, daß sie ohne seinen Anblick nicht mehr leben zu können glaubte. Und wie zwei liebende Herzen sich selten begegnen, ohne ihre Wünsche befriedigen zu können, so fand auch Lattanzio Mittel, ihr zu schreiben und Antwort von ihr zu erhalten.

Schon hatten sie eine Zusammenkunft verabredet, als Ambrogio gewisser Handelsabrechnungen wegen genötigt war, nach Rom zurückzukehren und eine geraume Zeit fern zu bleiben. Um aber Nicuola nicht ohne anständige Gesellschaft allein lassen zu müssen, schickte er sie nach Fabriano in das Haus eines Schwagers, welcher Frau und Töchter hatte. Nicuolas Abreise geschah so plötzlich, daß sie ihren Geliebten nicht davon benachrichtigen konnte. Ambrogio reiste ab, nach Rom zu. Als Lattanzio die Abreise des Ambrogio erfuhr, zweifelte er nicht, daß er seine Tochter mitgenommen habe; er gab sich viele Mühe, um sich von der Sache zu überzeugen; da er aber nicht auf den Grund kommen konnte, verzweifelte er und verharrte lange Zeit in großer Betrübnis. Doch als ein vornehmer und vergnügungssüchtiger Jüngling tröstete er sich zuletzt, und als er eines Tages die Tochter des Gherardo Lanzetti, ein gar schönes und anmutiges Mädchen, erblickte, löschte ihr Anblick das Bild der ersten Geliebten so ganz aus seiner Seele, daß er sie völlig vergaß.

Nicuola dagegen brachte ihre Tage im größten Unmut über ihre schleunige Abreise aus Esi hin, durch die sie verhindert worden war, dem Geliebten in Briefen oder Botschaften Lebewohl zu sagen. Sie tat nichts als seufzen und weinen und hatte keinen andern Gedanken als ihren Lattanzio, der ihr immer im Herzen lag. An ihn dachte sie Tag und Nacht, und es schien ihr tausend Jahre zu währen, bis ihr Vater zurückkäme, damit sie nach Esi zurückkehren und den wiedersehen könne, der ihr lieber war als das Licht ihrer Augen. Überdies war ihr Oheim, in dessen Hause sie zu Fabriano lebte, ein strenger, rauher Mann, der es nicht für schicklich hielt, wenn heiratsfähige Mädchen die Freiheit haben, mit andern als bekannten Personen zu sprechen, ihnen auch nicht gestattete, sich bald hier, bald dort zu schaffen zu machen, sondern sie bei ihren weiblichen Arbeiten hielt, so daß Nicuola keine Gelegenheit fand, ihrem Lattanzio zu schreiben. Ihre Muhmen leisteten ihr beständig Gesellschaft und trösteten sie, so gut sie konnten, in der Meinung, ihre Betrübnis gelte der Abwesenheit ihres Vaters.

In dieser traurigen Lage brachte die trostlose Nicuola etwa sieben Monate zu, bis der Vater, der so lange in Rom hatte verweilen müssen, über Fabriano kam, um die Tochter abzuholen und nach Esi zurückzubringen. Nicuola war es zumute, als sollte sie aus der Hölle in den Himmel übergehen, und sie begleitete den Vater in so fröhlicher Stimmung, wie ihr euch wohl vorstellen könnt. Aber alle ihre Freude verwandelte sich bei ihrer Ankunft in Esi in den bittersten Schmerz und so heftige Eifersucht, daß sie vor Herzeleid fast zu vergehen meinte: denn sie fand ihren Geliebten in schlimmerer Verpfändung als bei den Juden, und, was das Schlimmste war, er schien sich ihrer so wenig zu erinnern, als ob er sie niemals gesehen hätte.

Ich möchte jetzt die schönen Kinderchen hier haben, die so leicht den Botschaften solcher jungen Männer Glauben schenken, die dem Esel des Töpfers gleichen, der an jede Tür mit seinem Kopfe stößt. Ich würde ihnen zeigen (verzeiht mir, ihr Jünglinge unter uns!), daß von hundert neunundneunzig betrogen werden. Mit der leidenschaftlichen Nicuola war es so weit, daß sie Lattanzio Briefe und Botschaften senden konnte, so viel sie wollte, um die alte Liebe wieder anzufrischen und ihn daran zu erinnern, was zwischen ihnen vorgefallen war, – es war doch alles vergebens, und der äußerste Kummer bemeisterte sich der Armen. Weil aber der Wurm der Liebe unablässig an ihrem Herzen nagte, so beschloß sie, nicht eher zu ruhen, bis sie die Gunst ihres Geliebten wiedererlangt habe, oder zu sterben; denn es schien ihr unerträglich, daß er eine andere als sie lieben sollte.

Während dieser innern Leiden der Tochter mußte der Vater abermals nach Rom zurückkehren. Da aber Nicuola nicht zu bewegen war, wieder in das Haus ihres Oheims nach Fabriano zu gehen, brachte sie der Vater mit einer ihrer Muhmen, Schwester Camilla Bizza, in ein Kloster. Dieses Kloster hatte sonst in dem Rufe großer Heiligkeit gestanden; Nicuola aber bemerkte bald, daß die Nonnen – statt von dem Leben der heiligen Väter, ihrer Enthaltsamkeit und andern gottgefälligen Werken – den ganzen Tag voll Lüsternheit von Liebesgeschichten sprachen und sich nicht entblödeten, einander zu sagen: »Auf den und den habe ich mein Auge!« – »Der und der ist heute nacht bei der und der gelegen.«

Das nahm sie sehr wunder und erbaute sie schlecht. Auch trugen sie, wie sie bemerkte, statt der härenen Kutte Hemden von der allerfeinsten nordländischen Leinwand auf den üppigen Gliedern und Kleider von den kostbarsten Zeugen; und nicht zufrieden mit ihrer natürlichen Schönheit, wußten sie mit Schminken und Gebräu aus tausend gebrannten Wassern, mit Bisam und mancherlei Pulvern ihr Angesicht zu verschönern und aufzuputzen. Ferner verging keine Stunde des Tages, die sie nicht in vertrauten Unterredungen mit verschiedenen Jünglingen der Stadt zubrachten. Über diese Dinge verwunderte sich Nicuola nicht wenig; denn bisher hatte sie alle Nonnen für Heilige gehalten. Jetzt aber, wo sie bald mit der, bald mit jener und zuletzt mit allen näher bekannt wurde, fand sie alle verliebt und höchst wollüstig. Es scheint mir eine große Torheit von einem Vater, eine Tochter in solche Klöster zu tun, die eher öffentliche Unzuchtshäuser heißen sollten. Aber unsere Stadt hat infolge eines öffentlichen Ärgernisses, das bald darauf sich ereignete, mit Erlaubnis des Papstes alle Nonnen aus dem Kloster vertrieben und dasselbe reformiert, so daß sie jetzt ein frommes Leben daselbst führen. Auch Lattanzio war bekannt in diesem Kloster, wo er oft seine Hemden und sonstige Leinwand nähen ließ; so wurde denn eines Tages Schwester Camilla zu Lattanzio berufen. Als Nicuola dies hörte, rann ihr ein heißes Feuer durch alle Glieder, das sich augenblicklich wieder in den allereisigsten Frost verwandelte. Wer jetzt auf sie achtgegeben hätte, mußte bemerken, wie tausend Farben auf ihrem Gesichte wechselten, so betroffen ward sie bei dem Namen Lattanzios. Darauf versteckte sie sich an einem Orte, wo sie, ohne von Lattanzio bemerkt zu werden, den Geliebten sehen und hören konnte. Bald darauf, da Lattanzio wiederkam und sie an der gewohnten Stelle ihre Augen an seinem Anblick und die Ohren an seinen Reden weidete, beklagte er sich bitterlich über den Tod eines Edelknaben aus Perugia, der ihm dieser Tage an einem langwierigen Fieber in seinem Hause gestorben sei, nachdem er ihm drei Jahre lang die treuesten und sorgfältigsten Dienste geleistet habe. Er zeigte sich sehr betrübt über diesen Verlust und äußerte, er würde sich glücklich schätzen, wenn er je wieder einen so treuen Diener fände.

Als er fort war, fiel es Nicuola ein (seht, wie die Liebe mit ihr umgegangen war!), sich als Knabe zu kleiden und bei ihrem Geliebten Dienste zu nehmen. Da sie aber kein Mittel wußte, sich männliche Kleider zu verschaffen, fiel sie von neuem in Unmut. Sie hatte eine Amme, deren Milch sie einst getrunken hatte, und der ihre Leidenschaft bekannt war. Auch kam sie täglich in das Kloster, um Nicuola zu sehen; denn Ambrogio hatte sie vor seiner Abreise gebeten, die Tochter recht oft zu besuchen und sie mit nach Hause zu nehmen, wenn es Nicuola zuzeiten wünsche. Sie schickte also sofort zu ihr und entdeckte ihr in einer vertrauten Unterredung ihr Vorhaben. Obgleich aber Pippa (so hieß die Amme) ihr dringend zuredete, einen so wahnwitzigen Vorsatz aufzugeben, und ihr die Gefahr und das Ärgernis ausmalte, was wohl daraus entstehen könne, so gelang es ihr doch nicht, sie zu überzeugen. Die gute Amme führte sie also in ihr Haus, wo sie Mittel fand, sich als armen Knaben zu kleiden, nämlich in die Gewänder eines Sohnes der Pippa, der kurz zuvor gestorben war. Und um die Sache nicht zu verzögern, begab sich am folgenden Tage Nicuola, nicht mehr als Mädchen, sondern als Knabe, in die Straße, wo ihr Gebieter wohnte.

Das Glück begünstigte sie; denn zufällig stand Lattanzio ganz allein vor der Schwelle seines Hauses. Romulo – denn diesen Namen hatte Nicuola angenommen – faßte, als sie ihn sah, guten Mut und ging in der Straße auf und nieder, indem sie sich fleißig umschaute, wie wandernde Burschen zu tun pflegen, wenn sie an einen Ort kommen, den sie nie gesehen haben. Als ihn Lattanzio so hin und her schweifen sah, hielt er ihn gleich für einen fremden Knaben, der zum erstenmal nach Esi komme und Dienste suche; und da er wieder vor seiner Tür vorüberkam, sagte er zu ihm: »Bist du von hier, Bursche?« Romulo antwortete: »Herr, ich bin ein armer Knabe aus Rom.« (Darin sprach er die Wahrheit, denn er war in Rom geboren und erzogen.) »Schon seit der Plünderung der Stadt«, fuhr er fort, »bei der ich meinen Vater verlor – meine Mutter war lange vorher verstorben –, schweife ich unstet umher in der Welt. Ich habe wohl bei einigen in der Welt Dienste gesucht; aber sie verlangten, ich solle Pferde und Maulesel striegeln, und das kann ich nicht, weil ich es nicht gelernt habe. In Rom diente ich einem Herrn als Edelknabe und hatte nur ihn und sein Zimmer zu bedienen; aber der arme Herr ward bei der Plünderung verwundet und in den Tiber geworfen, worin er ertrank, und weil ich seinen Tod beweinte, bleute mich ein gottloser Spanier ganz unbarmherzig, so daß es mir herzlich schlecht ergangen ist, lieber Herr!« Da sprach Lattanzio: »Wenn du bei mir bleiben und mir so dienen willst, wie du sagst, so will ich dich gern annehmen, und wenn du dich gut beträgst, so sollst du so gehalten werden, daß du dich glücklich preisen wirst, mich gefunden zu haben.«

»Von Herzen gern«, antwortete Romulo, »will ich bleiben, und ich verlange keinen andern Sold, als den Ihr mir selbst nach meinen Diensten zuerkennt.«

Er betrat also mit seinem Herrn das Haus und begann ihn mit so viel Fleiß, Gewandtheit und Zierlichkeit zu bedienen, daß er in wenig Tagen die Sehnsucht nach dem Peruginer völlig aus der Seele des Herrn verbannte. Lattanzio war entzückt über seinen Diener und wünschte sich Glück dazu, den artigsten, geschicktesten und trautesten Edelknaben von der Welt gefunden zu haben. Er ließ ihn mit schmucken Gewändern versehen und kleidete ihn unter anderem von Kopf bis zu Füßen ganz in Weiß. Romulo schätzte sich so glücklich, daß er im Paradies zu sein glaubte.

Wie ihr schon gehört habt, war Lattanzio sterblich verliebt in Catella, die Tochter des Gherardo Lanzetti, und ging täglich an ihrem Hause vorüber, um ihr durch Zeichen und Gebärden die Schmerzen zu verraten, die er um ihretwillen erdulde. Catella bezeigte sich ihm zwar nicht abgeneigt, schien sich aber doch nicht viel aus ihm zu machen: denn noch hatte sie den Flammen der Liebe ihr Herz nicht erschlossen. Er hatte ihr oft Briefe und Botschaften gesandt, aber nie eine entscheidende Antwort erhalten können; denn niemals wollte sich das Fräulein näher auf seine Anfragen einlassen. Ihr Vater war ein sehr reicher Mann, aber über alle Begriffe geizig. Er hatte niemand im Hause, als eine abgelebte Alte, die vor ihm im Hause geboren war, eine junge Magd und einen jungen Diener, den Sohn eines seiner Pächter, der ihn meist immer mit sich führte, so daß Catella fast unbeschränkte Freiheit hatte, sich am Fenster zu zeigen und zu sprechen, mit wem es ihr beliebte; denn die gute Alte verließ fast nie ihren Herd. Das Hausmädchen räumte Lattanzio das Feld und begünstigte ihn, der sie durch Geschenke zu bestechen gewußt hatte. Lattanzio konnte also, sooft es ihm beliebte, durch Boten und Geschenke um Catella werben, die er in der Tat übermäßig liebte. An Romula glaubte er einen sehr artigen Liebesboten gefunden zu haben und schickte ihn daher, nachdem er ihn von allem unterrichtet hatte, mit seinen Aufträgen zu Catella.

Romulo kannte das Haus Catellas, an dem er oft vorbeigekommen war, und auch ihr Dienstmädchen, mit dem er seinen Herrn einige Male hatte sprechen sehen. Als er daher jenen Auftrag erhielt, machte er sich sehr mißvergnügt auf den Weg. Ehe er aber zu Catella ging, begab er sich in das Haus der Pippa. Nach einigen gleichgültigen Reden sprach er zu dieser: »Liebe Amme, ich befinde mich in der größten Verzweiflung von der Welt: ich habe nie den Mut gewonnen, mich meinem Geliebten zu entdecken, und sehe ihn so heftig verliebt in Catella Lanzetti, daß ich unendlich verdrießlich über meinen Liebeshandel bin und nicht weiß, welches Ende er noch nehmen wird. Und was das Schlimmste ist und mich am meisten quält, – ich soll jetzt im Namen Lattanzios mit Catella sprechen und für ihn werben, damit er bei dem Vater um sie anhalten kann. Nun sieh, liebe Amme, wohin es mit mir gekommen ist, und ob man unglücklicher sein kann, als ich es bin! Wenn sich Catella bestimmen läßt, ihn zu lieben und seine Gattin zu werden, so lebe ich keine Stunde mehr; denn ich weiß kein Mittel, mein unglückliches Leben zu retten, da ich es unmöglich mit ansehen kann, daß er einer andern angehöre als mir, solange ich lebe. Darum rate mir, meine liebe Amme, und steh mir bei in dieser dringenden Verlegenheit! Ich hoffte immer, da meine Dienste Lattanzio so angenehm schienen, ich werde mich ihm eines Tages entdecken und sein Mitleid gewinnen können; aber jetzt ist alle meine Hoffnung zu Wasser geworden, da ich ihn in jene so heftig verliebt finde, daß er Tag und Nacht an nichts anderes denkt und von nichts anderem spricht. Ich Unglückliche, wenn nun mein Vater zurückkäme und erführe, was ich gemacht habe, was würde aus meinem Leben? Sicher brächte er mich um; da würde keine Entschuldigung gelten. Ach, liebste Amme, hilf mir, hilf mir um Gottes willen, liebste Amme!«

Diese Worte sprach sie unter häufigen Tränen. Frau Pippa, welche sie zärtlicher liebte, als wenn sie ihre eigene Tochter gewesen wäre, ward von ihren Klagen gerührt und brach ebenfalls in Tränen aus. Doch trocknete sie gleich ihre Augen und sprach: »Siehst du, mein Töchterchen, du weißt, wie oft ich dir gegen diese Liebschaft gepredigt habe, – aber du wolltest mir nicht glauben. Mich dünkt, und es ist auch gewiß das beste, du bliebest bei mir, und ich führte dich ins Kloster zurück, bis dein Vater käme. Ich will dann schon alles wieder ins gleiche bringen, daß du nichts zu befürchten hast. Denn wenn es herauskäme, daß du in Mannskleidern dem Lattanzio gedient und so manche Nacht in seiner Kammer geschlafen hast, – was denkst du wohl, daß man von dir sagen und urteilen würde? Ich stehe dir dafür, daß du nie einen Mann bekämest. Und wenn du mir einen Eid ablegtest, daß dich niemand für ein Frauenzimmer erkannt habe, – ich würde dir nicht glauben. Du magst sagen, was du willst, – ich glaube doch, was ich aus guten Gründen glauben zu müssen meine. Ich weiß wohl, wie es solche jungen Herren mit ihren Edelknaben zu machen pflegen, und darum denke ich, es wäre am besten, du schlügest dir diese Grillen aus dem Kopfe und sännest auf andere Dinge. Es kann jetzt nicht mehr lange währen, bis dein Vater zurückkommt, und ich wollte es um alle Schätze der Welt nicht wünschen, komme er auch, wenn er wolle, daß er je von diesen Geschichten erführe: es würde dir und mir übel ergehen. Du siehst ja, daß Lattanzio sich für Catella entschieden hat; du greifst alle Tage mit den Händen, wie sehr er in sie verliebt ist: was willst du dich denn vergebens abquälen? Warum willst du Leben und Ehre so freventlich aufs Spiel setzen, da es dir doch zu nichts frommen kann? Alle Bemühungen verlangen ihren Lohn; es ist Torheit, sich vergebens abzumühen, zumal wenn so großer Schaden daraus erfolgen kann. Und welchen Lohn erwartest du von so tiefer Erniedrigung? Ewige Schande hast du zu erwarten, nicht allein für dich selbst, sondern für dein ganzes Haus: du hast den Verlust des Lebens zu erwarten, und das sollte doch keiner gering schätzen. Wozu den lieben, der dich nicht liebt? Wozu dem folgen, der vor dir flieht? Ich meinesteils war nie so töricht, jemandem nachlaufen zu wollen. Laß ab von diesem, mein Töchterchen, und wende dein Herz einem andern zu! In dieser unserer Stadt fehlt es nicht an Jünglingen deines Standes, die dich lieben und sich glücklich schätzen werden, dich zur Gattin zu gewinnen. Und was weißt du, ob dieser Lattanzio, gesetzt auch, er habe dich bis jetzt noch nicht erkannt, dich nicht eines Tages wiedererkennt, seine Begierden an dir befriedigt und dich dann laufen läßt und zur gemeinen Dirne herabwürdigt, so daß alle Welt wie auf eine schamlose Hure mit Fingern auf dich deutet? Darum laß dir raten, mein Kind, und bleibe fein bei mir!«

Nicuola stand eine Weile in Nachdenken versunken; dann sprach sie nach einem tiefen Seufzer: »Bestes Mütterchen, ich weiß wohl, daß du mir liebevoll rätst; aber ich bin einmal so weit gegangen, daß ich es auch zu Ende führen will, der Erfolg sei, welcher er wolle. Ich gehe jetzt und rede mit Catella, um su sehen, wozu sie sich entschließt; denn bis jetzt hat Lattanzio nur allgemeine Antworten erhalten. Der Himmel wird mir beistehen: denn er kennt mein Herz und weiß, daß meine Aufopferungen kein anderes Ziel haben, als Lattanzios Hand zu erwerben. Indes werde ich täglich herkommen, dir von allem Nachricht zu geben, und wenn mein Vater kommt, so wollen wir sehen, wie wir uns am besten aus der Sache ziehen; denn mich dünkt, man muß nicht eher an ein Unglück denken, als bis es vorhanden ist.«

Hierauf verließ sie die Pippa und begab sich nach dem Hause Lanzettis, wo sie in dem Augenblick ankam, da Gherardo gewisser Geschäfte wegen auf den Markt gegangen war. Catellas Magd stand an der Tür, und auf ein gegebenes Zeichen, das Romulo von seinem Herrn gelernt hatte, ward er in das Haus gelassen und in eine Kammer zu ebener Erde geführt. Das Mädchen ging hinauf und sprach zu Catella: »Fräulein, kommt herab! Lattanzio hat seinen allerliebsten Edelknaben, der Euch so sehr gefallen hat, hergeschickt, um mit Euch zu sprechen.«

Sogleich kam Catella herab und trat in die Kammer, wo Romulo ihrer wartete. Als sie ihn erblickte, meinte sie, einen Engel zu sehen, so schön und liebreizend erschien er ihr. Nachdem er ihr eine Verbeugung gemacht, fing er an zu reden und richtete die Aufträge seines Herrn aus. Catella, die ein unsägliches Vergnügen empfand, als sie ihn sprechen hörte, schaute ihn mit schmachtenden Blicken an; es war ihr, als entströmte eine nicht gekannte Anmut seinen schönen Augen, und sie verging fast vor Verlangen, ihn zu küssen. Romulo fuhr fort, Lattanzios Wünsche vorzutragen; aber sie achtete nicht auf den Inhalt seiner Worte: ganz versunken in seinen Anblick, machte sie sich das Geständnis, nie einen reizenderen Jüngling gesehen zu haben. Kurz, so lange sah sie ihn mit verliebten Blicken an und erfüllte ihr Herz so völlig mit der Schönheit und dem anmutigen Wesen des Jünglings, daß sie zuletzt, unfähig, sich länger zu zügeln, ihre Arme um seinen Hals schlang, ihn fünfmal oder öfter zärtlich auf den Mund küßte und zu ihm sprach: »Du bist recht leichtsinnig, mir hier dergleichen Botschaften zu bringen und dich solcher Gefahr auszusetzen, wie du tust. Wenn mein Vater dich hier fände!«

Romulo, der an den tausend Farben, die auf ihrem Antlitz wechselten, wohl erkannte, daß Catella in ihn verliebt sei, antwortete ihr: »Mein Fräulein, wer einem andern dient, muß diese und noch gefährlichere Dinge wagen nach dem Willen und dem Befehl seines Herrn. Ich tue es ungern genug; aber da es der Wille dessen ist, der mir gebieten kann, so ist es auch der meinige. Ich bitte Euch also, mir eine günstige Antwort zu geben und Euch meines Herrn zu erbarmen, der Euch so zärtlich liebt und ergeben ist, damit ich ihn bei meiner Zurückkunft mit einer angenehmen Botschaft erfreuen könne.« Indem sie so noch eine Weile miteinander sprachen, war es Catella, als ob die Schönheit des Edelknaben jeden Augenblick größer und reizender werde, und bei dem Gedanken, daß er von ihr scheiden solle, fühlte sie ihr Herz ich weiß nicht von welchen Stichen durchbohrt, die ihr den Beschluß abdrangen, ihm ihre Liebe zu gestehen.

»Beim Himmel«, hub sie an, »ich weiß nicht, was du mir angetan hast. Ich muß glauben, du hast mich bezaubert.« »Herrin«, antwortete er, »Ihr habt mich zum besten! Ich habe Euch nichts angetan: ich bin weder ein Hexenmeister noch ein Zauberer, sondern Euer Diener und bitte Euch um eine gnädige Antwort, wodurch Ihr meines Herrn Leben erhalten und mich in seiner Gunst befestigen werdet.«

Catella, die sich nicht länger bezwingen konnte und sich in Küssen erschöpfte, die sie dem Edelknaben gab, erwiderte: »Nun sieh, mein süßes Leben, du Seele meiner Seele, ich weiß keinen Jüngling auf der Welt, der mich zu dem vermocht hätte, wozu du mich gegen dich vermocht hast. Aber deine Schönheit und die unendliche Liebe, die du mir eingeflößt, seit ich dich zum erstenmal im Gefolge deines Herrn erblickte, haben mich dazu gebracht. Ich will dich nicht zum Diener; wohl aber will ich, wenn du einwilligst, dich auf Lebenszeit zum Herrn und Gemahl und gebe dir Gewalt, ganz nach deinem Willen über mich zu verfügen. Ich frage nicht, wer du seiest, ob reich oder arm, noch aus welchem Geblüt du entsprossen. Mein Vater ist, Gott sei Dank, für dich und mich reich genug und schon so bejahrt, daß er nicht lange mehr leben kann. Denke also auf deinen eigenen Vorteil und laß Lattanzio fahren: denn ich bin entschlossen, ihn nie zu lieben, und will ihm auch von heute an kein gutes Gesicht mehr machen.«

Als Romulo sah, daß die Sache eine für ihn günstige Wendung nehme, versprach er nach einigem Hinundherreden Catella, in ihr Begehren zu willigen, und dankte ihr unendlich für ihr Anerbieten, für das er ihr ewig verpflichtet bleibe; doch müßten sie vorsichtig zu Werke gehen, damit Lattanzio nie von ihrem Einverständnis Kunde erhalte. Als sie die nötigen Verabredungen getroffen hatten, entfernte sich Romulo nach vielen zärtlichen Küssen, die er in der beständigen Furcht empfangen und gegeben hatte, Catella möchte ihre Hände irgendwohin bringen, wo er seine Unmännlichkeit verriete. Er entfernte sich also und machte sich auf den Weg nach Hause, wo sein Herr ihn mit Schmerzen erwartete. Hier entschuldigte er zuerst sein langes Ausbleiben damit, daß er sagte, er habe eine gute Weile warten müssen, bis ihn Catella vorgelassen, und als er dann mit ihr gesprochen, habe er sie sehr erzürnt angetroffen, teils, weil ihr Vater sie denselben Morgen heftig wegen dieser ihrer Liebschaft ausgezankt, teils, weil sie vernommen habe, daß er in ein anderes Fräulein verliebt sei.

»Ich gab mir viele Mühe«, sagte Romulo, »ihr diese Meinung auszureden, brachte tausend Gründe vor und kämpfte lange mit ihr, aber alles ist umsonst gewesen.«

Lattanzio war sehr bestürzt und mißvergnügt über diese Botschaft und ließ sich wohl zehnmal das ganze Gespräch von neuem wiederholen, das Romulo mit Catella geführt haben wollte. Darauf bat Lattanzio den Edelknaben, bei schicklicher Gelegenheit zu Catella zurückzukehren und ihr nochmals zu beteuern, er liebe keine andere Dame auf der Welt so sehr wie sie und sei bereit, ihr alle möglichen Beweise davon zu geben; und wie sie sich auch gegen ihn benehme, so werde er doch nie eine andere lieben, da er ewig ihr getreuer Diener zu bleiben entschlossen sei. Romulo versprach ihm, alles zu tun, was in seinen Kräften stehe, um sie noch einmal sprechen zu können.

Am folgenden Tage lag Catella an ihrem Fenster, als Lattanzio die Straße herabkam. Kaum war er aber in die Nähe des Hauses gelangt, so erhob sich das Fräulein mit einem Blicke voll Verachtung von dem Fenster und zog sich in das Zimmer zurück. Dieser Vorfall bestätigte den Bericht, den Romulo gestern seinem Herrn abgestattet. Voll Unmut begab sich dieser nach Hause und beklagte sich bei Romulo über sein Unglück. Der Zorn riß ihn zu der Äußerung hin, Catella sei doch noch lange nicht die Schönste und Edelste, daß sie Ursache habe, so hochmütig zu werden und ihn so schmählich zu behandeln, und in dieser Weise sagte er noch manches. Aber Romulo ersah seinen Vorteil und sagte seinem Herrn, es gehe in der Liebe meistens nicht anders; oft sei Überdruß, oft böse Zungen, oft Ungleichartigkeit der Gemüter daran schuld: »Dies wird deutlich durch die tägliche Erfahrung bewiesen, daß mancher eine Frau liebt, die sich nun und nimmer bestimmen läßt, ihm hold zu sein, während die andere nach ihm seufzt, die er zu lieben sich nicht entschließen kann.«

In Verfolg dieses Gesprächs sagte Lattanzio: »Wahrlich, Romulo, du hast recht, es ist wirklich so. Ich selbst bin noch vor wenigen Monaten von einem der schönsten Mädchen dieser Stadt geliebt worden, die erst kürzlich aus Rom gekommen war. Ich bin überzeugt, daß ich ihr ganzes Herz besaß, und auch ich liebte sie mit Leidenschaft; aber sie verreiste, ich weiß nicht wohin, und blieb lange abwesend; in der Zwischenzeit kam mir diese übermütige Catella zu Gesicht, um derenwillen ich die Liebe zu jener vergaß und sie gänzlich hintansetzte, um dieser Undankbaren zu dienen. Jene erste kehrte darauf zurück und schickte mir Briefe und Boten, aber ich kümmerte mich nicht darum.«

»Herr«, hub jetzt Romulo an, »so geschieht Euch recht: Ihr empfangt den wohlverdienten Lohn Eurer Untreue; denn wenn ein so schönes Mädchen, wie Ihr mir sagt, Euch so zärtlich liebte, so tatet Ihr das schreiendste Unrecht, sie dieser aufzuopfern, die, ohne es nur zu wissen, jene zu rächen begonnen hat. Wir müssen lieben, wer uns liebt, nicht dem folgen, der vor uns flieht. Wer weiß, ob jenes schöne Kind Euch nicht noch liebt und sich um Euretwillen abhärmt; denn ich habe oft gehört, daß die Mädchen in ihrer ersten Leidenschaft viel zärtlicher und glühender lieben als die Männer. Mein Herz sagt mir, daß jenes unglückliche Fräulein um Euch verschmachten und ein trauriges, qualvolles Leben führen muß.«

»Das weiß ich nicht«, entgegnete Lattanzio, »wohl aber, daß sie mich zärtlich liebte und daß sie sehr schön ist; Catella würde dir fast häßlich neben ihr vorkommen. Auch muß ich dir gestehen, was mir oft eingefallen ist: wenn du Frauenkleider anhättest, so würde ich schwören, du seist Nicuola, so sehr scheinst du ihr in allem zu gleichen. Auch Euer Alter kann nicht sehr verschieden sein. Nur kam sie mir ein wenig größer vor als du. Doch kommen wir auf diese Spitzbübin von Catella zurück, die ich mir nicht aus dem Kopf schlagen kann: denn Tag und Nacht muß ich immer an sie denken und kann meinen Sinn auf nichts anderes richten. Sprich, getraust du dich, noch einmal mit ihr zu sprechen und ihr meine ganze Liebe zu eröffnen?«

»Ich will alles tun«, versetzte Romulo, »was in meinen Kräften steht; und sollte es mein Leben kosten, so muß ich mit ihr sprechen.«

Jetzt aber wollen wir diese ein wenig ihrem Treiben überlassen und uns nach Ambrogios Sohne Paolo umsehen, ohne den diese Geschichte nicht zu Ende geführt werden kann. Es geschah um dieselbe Zeit, daß jener Deutsche, Paolos Herr, Neapel verließ und sich nach Acquapendente begab, um von dort nach der Lombardei und dann nach Deutschland zu reisen. Im Begriff, Acquapendente zu verlassen, ward er von heftigem Bauchgrimmen ergriffen, das ihn nach drei Tagen tötete. Doch vor seinem Tode erklärte er, da er sein Ende herannahen fühlte, seinen letzten Willen und ernannte Paolo zum Erben seines ganzen Vermögens. Paolo ließ ihn ehrenvoll zur Erde bestatten, befriedigte den Wirt und wandte sich rechts nach Esi, wo er kurz vor der Verheerung Roms etwa einen Monat lang in Aufträgen des Vaters zugebracht hatte. Hier angelangt, begab er sich, ich weiß nicht weshalb, nicht sogleich nach seinem elterlichen Hause, sondern kehrte mit seinem Gepäcke in einem Gasthause ein. Hier ließ er seine Sachen abladen, übergab sie der Obhut des Wirtes, nahm dann einige Erfrischungen zu sich und ließ seine Leute in der Herberge zurück, um ganz allein durch die Stadt zu gehen. Er war eines Gelübdes wegen ganz in Weiß gekleidet, so daß seine Tracht der des Romulo vollkommen glich. Paolo begab sich nach dem Hause seines Vaters, um zu sehen, ob es offen sei. Der Weg führte ihn an Catellas Hause vorüber, die eben im Fenster lag. Da er sie nicht kannte, grüßte er sie nicht, worüber das Fräulein sich sehr verwunderte. Sie wußte nämlich nicht anders, als daß es Romulo sei, und schickte ihm das Mädchen nach, um ihn zurückzurufen. Es war um die None, und nur wenig Leute zeigten sich auf der Straße. Das Mädchen rief ihn beim Namen Romulo und sprach: »Kommt doch gleich zurück! Mein Fräulein ruft Euch!«

Paolo merkte wohl, daß er für einen andern gehalten wurde, in welchem Glauben er sich noch bestärkte, als er das Mädchen so vertraulich mit ihm sprechen sah, als ob sie schon lange miteinander bekannt wären. Er beschloß also, sich doch das Fräulein anzusehen, das ihn rufen lasse. Indes argwöhnte er, die Dame sei vielleicht eine käufliche, und sprach bei sich selbst: »Ich will doch gehen und mein Glück versuchen. Aber die Dame irrt sich, wenn sie bei mir gute Geschäfte zu machen denkt. Höchstens schenke ich ihr einen Carlino oder meinetwegen einen Giulio.«

Während er sich aber gegen das Haus bewegte, erschien Gherardo am Ausgang der Straße, und als das Hausmädchen ihn erblickte, sprach sie zu Paolo: »Romulo, da kommt unser Herr; geh jetzt deines Weges und komm hernach zurück!«

Paolo entfernte sich, indem er sich die Tür merkte, in die das Mädchen sich zurückzog, und den Herrn des Hauses scharf ins Auge faßte. Das Mädchen verschloß die Haustür hinter sich und gab sich den Anschein, als habe sie den Herrn nicht gesehen, der sich nach Art der Greise Schritt für Schritt näherte, ohne das Mädchen bemerkt zu haben. Endlich kam Gherardo an sein Haus, klopfte an die Tür und trat, als diese geöffnet wurde, hinein. Paolo, der sich das Haus sehr wohl gemerkt und Catella, die er am Fenster erblickt, sehr schön und reizend gefunden hatte, begab sich unter mancherlei Gedanken nach dem Hause seines Vaters, an dem er Türen und Fenster verschlossen fand. Dies betrachtete er als ein Zeichen, daß sein Vater verreist sei. Um sich aber völlige Gewißheit zu verschaffen, fragte er einen Schneider, der seine Bude in der Nähe hatte, was Ambrogio Nanni mache. Dieser antwortete ihm, Ambrogio sei seit langer Zeit in Esi nicht gesehen worden. Paolo kehrte also nach seiner Herberge zurück, immer noch in Gedanken mit dem Mädchen beschäftigt, das er gesehen hatte. Zwar war er gesonnen, zu ihr zurückzukehren, aber noch unschlüssig, ob er allein gehen oder einige seiner Diener, die er von seinem seligen Herrn geerbt hatte, mit sich nehmen solle.

Bald darauf geschah es, daß Ambrogio, der in diesem Augenblicke von Rom zurückkehrte, auf dem Wege nach seinem Hause dem Gherardo begegnete, der ihn willkommen hieß und weiter zu ihm sprach: »Ambrogio, du kommst sehr gelegen; wärest du einige Tage früher gekommen, so hätten wir vielleicht die Heirat zwischen mir und deiner Tochter zustande gebracht, oder wenigstens würde ich mich darüber aufgeklärt haben, ob du sie mir geben willst oder nicht; denn ich bin nicht gesonnen, länger in dieser Ungewißheit zu leben.«

»Wie du siehst«, erwiderte Ambrogio, »komme ich in diesem Augenblicke an; auch gedenke ich nun fürs erste nicht wieder zu verreisen. Wir werden uns öfter sehen und Zeit haben, ausführlicher über diese Sache zu reden.«

Während Ambrogio zu Pferde und Gherardo zu Fuß so miteinander sprachen, kam Romulo daher, der dem Auftrage seines Herrn gemäß eine neue Unterredung mit Catella nachsuchen wollte. Als er aber den Vater erblickte, wandte er sich schnell um und begab sich zu der Pippa.

»O weh, liebste Amme«, rief er ihr zu, »ich bin des Todes vor Schrecken; mein Vater ist wiedergekommen, und ich weiß nicht, was ich anfangen soll.«

»Gemach«, entgegnete Pippa, »fasse Mut! Bleib hier im Hause und laß mich sorgen! Wirf diese Kleider ab und lege die deinigen an, die sich in dieser Kiste befinden!«

Sogleich machte sich Pippa schnurstracks auf den Weg nach Ambrogios Hause, der eben vom Pferde stieg, als sie dort ankam. Sie grüßte ihn heiteren Gesichtes und sprach: »Seid tausendmal willkommen, bester Herr! Wie geht es Euch?«

»O willkommen, gute Pippa«, antwortete Ambrogio. »Wo willst du so eilig hin?«

»Ich komme zu Euch«, versetzte sie, »geradeswegs. Der dicke Hans Bindi hat mir gesagt, daß Ihr gekommen seid; und da ich nicht weiß, wie Eure Leute das Kochen verstehen, so wollte ich Euch im Hause hilfreiche Hand leisten.«

»Ich danke dir«, versetzte Ambrogio; »aber es wird nicht nötig sein, daß du dich bemühst: denn ich habe schon nach Margarita geschickt, die ich sonst im Hause hatte, und die gleich hier sein wird. Aber sage mir, wann hast du unsere Nicuola zuletzt gesehen?«

»Ich sehe sie täglich, Herr«, antwortete Pippa; »erst heute morgen war ich eine gute Weile bei ihr. Sie stirbt vor Verlangen, Euch wiederzusehen. Ich habe sie oft in mein Haus gebracht und zwei bis drei Tage bei mir behalten. Sie ist wahrlich ein gutes, schönes Fräulein und wunderbar geschickt in allen Handarbeiten; das könnt Ihr mir bei Gott glauben.«

Über diesem Gespräche kam Margarita an, die sogleich anhub, ihre häuslichen Geschäfte zu besorgen. Eine gute Weile ging ihr Pippa an die Hand; da ihr aber in ihrer Ungeduld eine Stunde tausend Jahre zu währen schien, bis sie das Haus wieder verlassen konnte, sagte sie zu Ambrogio: »Herr, wenn Ihr es erlaubt, so gehe ich heute abend ins Kloster und hole Nicuola in mein Haus ab. Morgen früh bringe ich sie Euch dann her oder behalte sie auch noch ein paar Tage bei mir, bis Ihr das Haus in Ordnung gebracht habt.«

»Wie du willst«, antwortete Ambrogio; »empfiehl mich aber bestens Schwester Camilla, küsse meine Tochter in meinem Namen und geh mit Gott!«

Nun entfernte sich Pippa, ging aber, ehe sie sich nach Hause begab, in das Kloster, um mit Schwester Camilla zu sprechen. Mit dieser verabredete sie alles, was zu Nicuolas Wohlfahrt vonnöten war, wenn etwa Ambrogio auf den Einfall gekommen wäre, nach dem Kloster zu gehen. Schwester Camilla, die sich auf solche Händel nur allzu wohl verstand, hieß Frau Pippa gutes Mutes sein: es werde alles den besten Ausgang nehmen. Dann eilte Pippa nach Hause, wo Nicuola, die nicht länger Romulo war, sie mit größtem Verlangen erwartete, um zu hören, wie die Sachen stehen. Sie hatte ihre Kleider schon wieder angezogen und ihre Haare nach der Sitte unserer Jungfrauen geordnet. Als die Pippa heimkam, erzählte sie ihr alles, was geschehen sei, und fragte sie, ob sie morgen in das Haus ihres Vaters zurückkehren oder noch einen oder zwei Tage bei ihr bleiben wolle, was ihr freistehe. Nicuola beschloß, noch den folgenden Tag bei ihrer Amme zuzubringen, und verbrachte die Zeit mit Klagen über ihren Lattanzio, nach dessen Besitz sie eine Sehnsucht verriet, die nicht größer hätte sein können. Die Pippa predigte ihr von neuem, sie solle doch ihre Gedanken auf ein anderes Ziel richten; sie sehe ja deutlich, daß sie sich vergebens abquäle, und habe sich selbst überzeugt, daß Lattanzio so heftig in Catella verhebt sei, daß er an nichts anderes denke; zuletzt werde er auch wohl sein Ziel erreichen, wenn er bei Gherardo um sie anhalte.

»Das ist es eben«, versetzte Nicuola, »was mich foltert; ich kann es nicht denken, ohne zu verzweifeln. Aber wenn mein Vater nicht so schnell zurückgekommen wäre, so hätte ich der Catella den Lattanzio so verleiden wollen, daß sie lieber einen Bauern als ihn geheiratet hätte. Aber diese rasche unvermutete Ankunft meines Vaters hat alles verdorben.«

»Alles verdorben?« unterbrach sie Pippa; »nein, alles wiedergutgemacht; denn wenn es wahr ist, was du mir erzähltest, daß zwischen Catella und dir vorgefallen ist, so stehe ich dir dafür, daß deine Sachen sehr übel stünden; denn wärest du noch einmal hingegangen, um mit ihr zu sprechen, so würde sie ganz sicher von den Küssen zu Handgreiflichkeiten übergegangen sein, und wenn sie dich für ein Frauenzimmer erkannt hätte, was denkst du wohl, daß sie von dir geurteilt haben würde? Würdest du nicht auf ewig bei ihr beschämt worden sein? Glaubst du nicht, daß sie gleich auf den Gedanken gekommen wäre, du seiest Lattanzios Buhlerin?«

»Und das ist es eben«, versetzte Nicuola, »was ich gewünscht hätte. Denn obwohl sie mich, wie du sagst, für ein Frauenzimmer erkannt haben würde, so folgt daraus noch nicht, daß sie mich als Nicuola, die Tochter Ambrogios, erkannt hätte. Aber Lattanzio wäre ihr gewiß so verhaßt worden, daß sie ihn nie wieder hätte sehen noch nennen hören mögen; und dann durfte ich hoffen, Lattanzios Liebe wieder zu erwerben.«

Die Pippa konnte sich nicht enthalten, über diese Rede Nicuolas zu lächeln.

»Meine Tochter«, hub sie an, »suche dein Herz zu beruhigen! Wenn es Gott gefällt, daß Catella Lattanzios Gattin werden soll, so hilft dir weder List noch Klugheit noch alle Kunstgriffe, deren du dich bedienen möchtest, diese Ehe zu hintertreiben. Du bist noch gar jung, du bist schön, du bist reich; denn wenn dein Bruder Paolo noch lebte, so würde man gewiß von ihm gehört haben; aber der arme Junge ist gewiß tot (Gott sei seiner Seele gnädig!), so daß du, wenn du dich klug aufführst, die einzige Erbin deines Vaters werden wirst, und als solche kann es dir nicht an den reichsten und edelsten Jünglingen der Mark zu Bewerbern fehlen. Darum schlage dir diese Grillen aus dem Kopfe, die dir mehr Kummer und Verdruß machen, als sie dir Nutzen bringen können!« Während diese Verhandlungen gepflogen wurden, hatte Paolo beschlossen, ganz allein Catella aufzusuchen. Er ging also gegen Abend an ihrem Hause vorüber; da er ihrer aber nicht ansichtig werden konnte, kehrte er zu seiner Herberge zurück und mochte an diesem Tage nicht wieder ausgehen.

Lattanzio, dem das Warten die Zeit sehr lang machte, verwunderte sich sehr, als die Nacht zu dunkeln begann, ohne daß Romulo nach Hause kam, ihm den Erfolg seiner Bewerbung bei Catella mitzuteilen. Als er aber einige Stunden der Nacht vergebens gewartet hatte, ward er sehr bestürzt über sein Ausbleiben; denn er fürchtete, irgendein Unfall möchte seinen Diener betroffen haben. Da er sich aber durchaus nicht vorstellen konnte, was das wohl sein möge, so brachte er die ganze Nacht fast schlaflos unter mancherlei Gedanken zu. Er liebte den Romulo sehr, weil er gut von ihm bedient wurde und ihn als einen verschwiegenen und wohlgesitteten Jüngling kennengelernt, der nie im Hause mit irgend jemand ein Wort gewechselt hatte, sondern nur auf Ausrichtung seiner Befehle bedacht gewesen war, daher sein Verlust ihn unmäßig betrübte. Auf der andern Seite wünschte Catella, die den Romulo leidenschaftlich liebte und schon seine süßen Küsse gekostet hatte, gar sehr eine engere Vereinigung mit ihm. Da sie ihn aber nach Gherardos Nachhausekunft heute nicht mehr gesehen hatte, denn sie hatte den Paolo für den Romulo gehalten, begab sie sich sehr mißvergnügt zu Bette.

Nicuola plauderte die ganze Nacht mit ihrer Amme von Lattanzio und konnte vor Seufzen und unruhigem Umherwälzen weder selbst schlafen noch ließ sie die Pippa zur Ruhe kommen.

Als der Morgen anbrach und Romulo nicht nach Hause kam, schickte Lattanzio nach allen Seiten aus, ihn aufzusuchen und überall hinzuhorchen, ob man nicht wisse, was aus ihm geworden sei. Bei diesen Nachforschungen fand sich einer, der auf die angegebenen Zeichen der Kleidung und des Alters hin versicherte, er habe gestern gesehen, daß er in das Haus der Pippa des Giacomaccio neben der Hauptkirche gegangen sei. Lattanzio, der sie kannte, machte sich auf diese Anzeige gegen Mittag auf den Weg und klopfte an ihre Haustür. Frau Pippa trat an ein Fenster, und als sie den Jüngling erkannte, verwunderte sie sich; denn sie vermutete, Lattanzio habe den Aufenthalt Nicuolas in ihrem Hause in Erfahrung gebracht. Sie fragte ihn also: »Was sucht Ihr hier, junger Herr ?«

»Frau Pippa«, antwortete er, »wenn es Euch nicht ungelegen wäre, so möchte ich gern zehn Worte mit Euch reden.«

»Fünfundzwanzig«, entgegnete Pippa, sagte Nicuola, Lattanzio sei unten, und stieg eilends hinab, die Haustür zu öffnen. Der Jüngling trat ein und nahm neben Pippa Platz, an einem Orte, wo Nicuola, ohne gesehen zu werden, ihn sehen und sprechen hören konnte.

»Frau Pippa«, begann nun Lattanzio, »obgleich ich nie Gelegenheit gehabt habe, Euch einen Dienst zu leisten, der mich berechtigte, von Euch einen Gegendienst zu heischen, so gibt mir doch meine Bereitwilligkeit, jedermann zu dienen, und Eure eigene Gefälligkeit, um derenwillen Ihr, wie ich weiß, von vielen angesehenen Leuten geschätzt werdet, den Mut, Euren Beistand in Anspruch zu nehmen, in der festen Hoffnung, daß Ihr meinen Wunsch vollständig erfüllen werdet; und um nicht länger bei schönen Worten stehenzubleiben, ersuche ich Euch inständig, mir zu sagen, was aus dem weißgekleideten Knaben geworden ist, der Euch gestern besucht hat. Er heißt Romulo, mag etwa siebzehn Jahre alt sein und hat ein hübsches, gefälliges Äußeres. Er hat mir als Edelknabe gedient und ist seit gestern nicht mehr zu mir zurückgekommen. Ich bitte Euch dringend, mir über ihn Nachricht zu geben; Ihr erzeigt mir dadurch einen außerordentlichen Gefallen, und ich werde Euch deswegen immerdar verpflichtet bleiben.«

»Mein lieber Sohn«, antwortete Pippa, »ich danke Euch für die gute und freundliche Meinung, die Ihr von mir hegt; gewiß, ich schätze es sehr und freue mich der Ehre, die Ihr mir durch den Besuch meines armen Häuschens antut, um so mehr, als ich schon seit langer Zeit nach der Gelegenheit getrachtet habe, mit Euch zu sprechen; und da diese mir nun durch Eure Güte heute von selber kommt, will ich sie nicht verlieren. Um zuvor auf das zu antworten, was Ihr von mir verlangt, so sage ich Euch, daß ich Euch über Euren Burschen gar keine Auskunft geben kann; denn weder gestern noch überhaupt seit langer Zeit ist meines Wissens ein Knabe oder ein junger Mann hiergewesen, und ich müßte es wohl wissen, wenn dem also wäre.«

»Ihr denkt vielleicht«, fiel Lattanzio ein, »ich möchte dem Knaben Strafe auflegen, weil er nicht zurückgekommen ist; aber ich verpfände Euch mein Wort, daß ihm nichts geschehen soll, wenn er mir nur die Wahrheit eingesteht, warum er gestern nicht zu mir zurückgekommen ist.«

»Ihr gebt Euch vergebens Mühe«, antwortete die Pippa, »denn es ist kein Mann im Hause hier und hat es gestern keiner betreten. Es tut mir unendlich leid, daß ich Euch in diesem Falle nicht dienen kann, wie ich gerne wollte.« Während Pippa mit ihm sprach, stieß Lattanzio schwere Seufzer aus, und sie sagte daher zu ihm: »Junger Mann, Ihr seid so leidenschaftlich aufgeregt, daß jedermann, der Euch so stöhnen hört, Euch in diesen Euren Edelknaben mehr als billig verliebt glauben möchte. Aber da ich neulich gehört habe, daß Ihr ein schönes Fräulein liebt, so kann ich Euch nicht für einen so argen Feind der Frauen halten.«

»Ach«, sage Lattanzio, »wollte Gott, daß ich nicht liebte! Ich würde wahrhaftig heiterer und vergnügter sein, als ich es jetzt sein kann. Glaubt aber nicht, daß ich von meinem Edelknaben rede! Daran denke ich nicht. Ich spreche vielmehr von einem Mädchen, das ich mehr liebe als das Licht meiner Augen, ja mehr als meine Seele.«

Und bei diesen Worten füllten ihm die heißen Tränen wider seinen Willen die Augen, und einige netzten ihm die Wangen, während er selbst sich in Seufzern erschöpfte. Frau Pippa hielt dies für eine willkommene Gelegenheit, die Ausführung eines schon längst gefaßten Vorhabens zu versuchen, und sagte: »Ich weiß sehr wohl, mein Sohn, daß es wahr ist, was Ihr sagt. Euer Benehmen zeigt deutlich genug, wie verliebt Ihr seid, und ich glaube wohl, daß Eure Qualen um so heftiger sein müssen, da es keine so bittere, herbe Qual auf Erden mehr gibt, als lieben und nicht geliebt werden. Denn ich weiß wohl, daß das Mädchen, das Ihr liebt, Euch nicht wiederliebt; vielmehr haßt sie Euch um der Liebe willen, die sie zu einem andern trägt.«

»Und woher wißt Ihr das, Frau Pippa?« fragte hier Lattanzio voll Verwunderung.

»Bestrebt Euch nicht, das zu erfahren«, antwortete sie. »Genug, daß ich weiß, daß Ihr gegenwärtig unerwidert liebt, und daß Ihr vor nicht gar vielen Monaten eine Jungfrau geliebt habt, die weit schöner als Eure jetzige Geliebte ist. Ich weiß, daß sie Euch auf das inbrünstigste wiederliebte, und kann Euch überdies sagen, daß sie Euch auch jetzt noch mehr liebt als je, obwohl Ihr Euch ihrer so wenig mehr erinnert, als ob Ihr sie niemals gesehen hättet.«

»Meiner Treu, ich weiß nicht, was ich sagen soll«, sprach Lattanzio, »da ich Euch so vertraut mit der Sache und so gut von meinen Angelegenheiten unterrichtet sehe. Aber das sagt mir doch gefälligst, bitte ich, wie Ihr wißt, daß diejenige, die ich jetzt liebe, nicht mich, sondern einen andern liebt.«

»Das werde ich Euch nicht sagen«, antwortete Pippa, »weil es mir nicht schicklich scheint; aber wohl mag ich Euch zu Gemüte führen, daß Euch ganz recht geschieht, wenn Ihr, diejenige, die Euch liebt, verschmähend, auch keine Gegenliebe einerntet, wo Ihr liebt; denn dies läßt eben Gott zur Strafe Eurer Sünde und Eurer großen Undankbarkeit geschehen. Ach unglückselige Nicuola, wen liebst du und hast du geliebt! Du hast das Äußerste getan, um seine Gunst zu erwerben, und alles war vergebens. Und Ihr, Lattanzio, liebt Catella mehr als Euch, und sie kümmert sich gar nicht um Euch. Wohlan denn, verfolgt Euren Plan! Ihr werdet schon zuletzt Euren Irrtum gewahr werden, um vielleicht, wenn es zu spät ist, ihn wiedergutzumachen.« Bei diesen Worten geriet der Jüngling fast außer sich und wußte nicht, was zu antworten sei. Nicuola andererseits, die ihn sah und hörte, wäre gerne hervorgetreten, um auch einige Worte über diesen Gegenstand hinzuzufügen; allein sie beschloß, den Ausgang dieses Gesprächs abzuwarten, und verhielt sich ruhig. Frau Pippa wartete eine Weile auf die Antwort des Jünglings, der sich jetzt wie aus einem schweren Traum erhob und sprach: »Frau Pippa, ich will ausführlicher mit Euch reden, da ich sehe, daß Ihr meine Umstände besser kennt als ich selbst. Es ist wahr, daß ich in Nicuola Nanni verliebt war, von der ich überzeugt war, geliebt zu werden. Sie ward nachher von ihrem Vater aus der Stadt geschickt, ich erinnere mich nicht wohin. In der Zwischenzeit begann ich mich in Catella, Gherardo Lanzettis Tochter, zu verlieben, die mir in den ersten Tagen geneigt zu sein schien, sich aber hernach, ich weiß nicht weshalb, spröde und meinen Wünschen völlig zuwider erwies; denn sooft sie an der Tür oder ihren Fenstern steht, wenn ich durch die Straße komme, zieht sie sich, sobald sie mich sieht, plötzlich zurück und will weder Briefe noch Boten mehr von mir annehmen. Erst gestern schickte ich meinen Edelknaben hin, um eine Unterredung mit ihr nachzusuchen; aber er ist nicht nach Hause gekommen, mir Antwort zu sagen, so daß ich zugleich eine Geliebte und einen guten und angenehmen Diener verloren habe. Wäre er zurückgekommen und hätte mir Nachricht gebracht, daß sie noch in ihrer gewohnten Unerbittlichkeit verharrt, so hätte ich mich entschlossen, sie gar nicht länger mehr zu belästigen und mich nach einer andern umzusehen, der meine Dienste angenehmer wären; denn um die Wahrheit zu sagen, halte ich es für die größte Torheit, die zu verfolgen, die mich flieht, die zu lieben, die mich haßt, und nach der zu verlangen, die von mir nichts wissen will.«

»Nun, das läßt sich hören«, rief Pippa aus, »und ich nehme Euch beim Wort, junger Herr! Wahrhaftig, ich wäre auch nicht so närrisch, den zu lieben, der nicht in mich verliebt wäre. Aber seid einmal so gefällig, mir zu sagen: wenn nun die Nicuola Euch noch zugetan wäre, ja Euch mehr als jemals liebte, – was meintet Ihr dazu? Würde es Euch bedünken, daß sie Eurer Gegenliebe wert wäre?«

»In Wahrheit«, antwortete der Jüngling, »sie würde verdienen, daß ich sie mehr als mich selbst liebte. Aber was Ihr da sagt, kann gar nicht sein; denn sie muß mir notwendigerweise höchlich zürnen, da ich mich gar nicht um sie bekümmert habe, nachdem sie mir doch seit ihrer Rückkehr nach Esi zu wiederholten Malen geschrieben hat. Ich weiß gar nicht einmal, wo sie gegenwärtig sein mag, so lange ist es her, daß ich sie nicht gesehen habe.«

»Oh«, fiel Frau Pippa ein, »ich weiß, daß Ihr sie noch in den letzten Tagen unendlich oft gesehen und sehr vertraulich mit ihr gesprochen habt.«

»Darin irrt Ihr Euch wirklich, Frau Pippa«, antwortete Lattanzio.

»Ich irre mich nicht«, versetzte sie. »Ich muß wissen, was ich sage, und spreche nicht aufs Geratewohl in den Wind. Aber sagt mir doch, wenn es wahr wäre, was ich behaupte, und ich es Euch mit Händen greifen ließe, daß Euch Nicuola mehr als jemals liebt, – was würdet Ihr tun? Und wenn sie in Eurem Hause gewesen wäre, Euch gedient und alles getan hätte, was der geringste Knecht tun muß, ohne je von Euch erkannt zu werden, – was würdet Ihr davon denken? Laßt es Euch nicht befremden, was ich sage, und zeigt Euch nicht so verwundert und erstaunt: denn die Sache verhält sich wirklich so und kann sich nicht anders verhalten, als wie ich Euch sage. Und damit Ihr seht, daß ich die Wahrheit sage, erbiete ich mich, Euch einen so unwidersprechlichen Beweis davon zu geben, daß Ihr selbst meiner Meinung sein werdet. Doch zuerst antwortet mir: wenn Nicuola alles das getan hätte, was ich Euch sage, – was meint Ihr, daß sie verdient habe?«

»Ihr erzählt mir Märchen und Träume«, antwortete Lattanzio. »Wenn es aber wahr wäre, so wüßte ich nichts zu sagen, als daß ich verbunden bin, sie ewig zu lieben und sie zur Gebieterin meiner selbst zu erheben.«

»Wohlan denn«, sprach Pippa und rief Nicuola, die sie anwies, ihre Edelknabenkleider mitzubringen. Der Nicuola war kein Wort von dem ganzen Gespräche entgangen, und sie trat denn auf diesen Ruf, ihre männliche Kleidung in der Hand haltend, im ganzen Gesichte vor Scham erglühend, in das Gemach und näherte sich ihrer Amme und ihrem Geliebten.

»Da ist Eure Nicuola, Lattanzio!« sagte die Pippa, »Euer Romulo, Euer schmerzlich vermißter Edelknabe, der Tag und Nacht bei Euch war und Ehre und Leben aus Liebe zu Euch aufs Spiel gesetzt hat. Ja, sie hat die ganze Welt außer acht gelassen und nur für Euch gesorgt, und Ihr habt sie in so langer Zeit niemals erkannt.«

Sie erzählte hierauf mit allen kleinen Umständen, wie die Jungfrau dazu gekommen, ihm als Edelknabe zu dienen, und schloß endlich mit der Frage: »Nun, was sagt Ihr denn dazu?«

Lattanzio stand halb bewußtlos da, sah Nicuola an, glaubte zu träumen und wußte recht eigentlich nicht, was er dazu sagen sollte, daß sie als Knabe gekleidet bei ihm gewesen sei. Als er aber wieder ein wenig zu sich selbst gekommen war und der Grausamkeit Catellas gedachte, die an Schönheit sich mit Nicuola bei weitem nicht messen konnte, sowie der großen Liebe Nicuolas zu ihm und welcher Gefahr sie in der Heftigkeit ihrer Liebe sich ausgesetzt hatte, so sagte er fast weinend zu ihr: »Nicuola, ich will mich jetzt nicht in halbwahre Ausreden und Entschuldigungen verwickeln; aber wofern Ihr wirklich so gesinnt seid, wie Frau Pippa mir versichert, will ich, wenn Ihr mich haben wollt, Euch zur Frau nehmen.«

Nicuola, die auf der Welt nichts weiter als dies wünschte, und die eine solche Herzensfreudigkeit überkam, daß sie sich gar nicht halten konnte, warf sich ihm zu Füßen und antwortete ihm: »Mein Gebieter, da Ihr mich der Gnade würdigt, mich zu der Eurigen zu machen, seht mich hier bereit, Euch immerdar zu dienen; denn in allen Stücken soll ich und mein Wille beständig Euch angehören.«

Lattanzio zog hierauf einen Ring vom Finger, erklärte sie in Gegenwart Pippas für seine rechtmäßige Verlobte und sprach sodann: »Damit unsere Angelegenheiten in allen Ehren und nach dem Herkommen ausgehen, werde ich gleich nach dem Essen mich bei Eurem Vater einfinden und um Eure Hand bei ihm anhalten, und ich bin überzeugt, daß er sie mir ohne Widerrede zugestehen wird. Dann wollen wir Hochzeit halten, wie sich's gebührt.«

Um die soeben mit Worten eingegangene Ehe noch mehr zu befestigen, veranstaltete Pippa, ehe Lattanzio wegging, daß er in einer Kammer sich mit Nicuola niederlegte und die heilige Ehe vollzog, was denn beiden Teilen zur wunderbaren Genugtuung gereichte. Als sodann Lattanzio seine fernern Absichten verabredet hatte, ging er hinweg und begab sich zu Tische. Nach dem Essen aber besuchte er den Vater Nicuolas, und Nicuola ging mit Pippa nach Hause, um ebenfalls ihren Vater aufzusuchen, von dem sie freudig empfangen wurde.

Sobald Paolo sein Mittagsmahl zu sich genommen hatte, verließ er seine Herberge und machte sich nach Catellas Wohnung ganz allein auf den Weg; und als er an die Straßenecke gekommen war, sah er Gherardo eben aus dem Haus gehen, ich weiß nicht wohin. Kaum war Gherardo hinaus, als Catella sich am Fenster zeigte und den Paolo erblickte. Sie hielt ihn für ihren Romulo und winkte ihm, da er näher gekommen war, einzutreten. Um sich über diese seltsamen Dinge Aufklärung zu verschaffen, trat er in das Haus, und sogleich stieg Catella die Treppe herab, umarmte und küßte ihren vermeintlichen Romulo auf das zärtlichste und sprach: »Mein süßes Leben, letztes Ziel aller meiner Gedanken, du machst dich auch gar zu selten. Du bist mir so gut nicht, wie ich dir bin; ich habe dir schon vor zwei Tagen mein Herz erschlossen und daß ich keinen andern Gemahl als dich begehre. Laß uns hier unten in diese Kammer treten!«

Hierauf befahl sie dem Mädchen, auf die Rückkunft des Herrn acht zu haben und ihr Nachricht davon zu geben, Dann überhäufte sie den Paolo mit heißen Küssen, flüsterte ihm die süßesten Worte zu und schien, indem sie ihn neckend und scherzend auf die Lippen biß, in seinen Armen vergehen zu wollen. Er, der nichts weniger als blöde war und wohl sah, daß er mit einem andern verwechselt wurde, zeigte sich ganz entbrannt von Begierde, verstummte im Übermaß der Liebesglut und küßte sie vielmals unter tiefen Seufzern.

»Liebes Herz«, sagte sie, »ich wollte, du befreitest dich von deinem Herrn da, damit wir zu jeder Zeit ungehindert beieinander sein könnten.«

»Seid darum unbekümmert«, antwortete Paolo; »ich will es schon einrichten, daß ich ihn loswerde.«

»Tue das, mein Leben«, sagte Catella und ließ nicht ab, ihn an die Brust zu drücken und zu küssen. Paolo war ein Jüngling, ganz geschaffen, sie zu befriedigen; als er das Gras auf der Wiese emporschießen fühlte, legte er die Hände auf ihren Busen und drückte ihr zärtlich die Brüste, die noch ganz jungfräulich und fest, aber rund und voll waren wie zwei Äpfel. Und als er sah, daß sie sich nicht spröde zeigte, wurde er etwas kecker und begann mit der Hand in den Regionen zu spielen, wo alle verliebten Wünsche ihr letztes Ziel finden. Catella andererseits glühte ganz von Liebe und war so heftig entbrannt, daß sie, als sie in den Armen eines so schönen Jünglings, von dem sie sich umschlungen sah, eine nie gefühlte Lust empfand, ihn ganz machen ließ, wie er wollte. Paolo nahm daher diese Gelegenheit wahr, warf sie scherzend und schäkernd auf ein Ruhebett und ließ sie bei der ersten Lanze, die er brach, eine herbe Süßigkeit empfinden. Aber in den folgenden Gängen hielt er sich so tapfer, daß er noch vier andere Schäfte in Stücke brach zu solchem Entzücken des Mädchens, daß sie wohl gerne nochmals vier Gänge gemacht hätte. Dabei merkten sie nicht, wie die Stunden flohen.

Die Magd war indessen im Hause an die Arbeit gegangen und hatte die Tür offen gelassen. Darüber kam Gherardo zurück und trat ins Haus. Als er an der Kammer vorbeikam, wo die vom Turnier ermüdeten Liebenden sich auf eine Bank niedergelassen hatten und sich in Gesprächen ergingen, hörte er drinnen reden und rief: »Wer ist da?«

Dies rufen und mit dem Fuß wider die Türe stoßen, daß sie aufflog, war eins. Als er Paolo bei seiner Tochter erblickte, hielt er es gleich für entschieden, daß es nicht Paolo, sondern Nicuola sei, in die er, wie bereits erwähnt, heftig verliebt war. Daher verließ ihn alsbald der Zorn, in den er geraten war, da er einen Mann bei Catella zu finden glaubte; er faßte Paolo ins Auge, und je mehr er ihn betrachtete, desto mehr überzeugte er sich, daß er Nicuola vor sich habe. Catella, die beim Erscheinen ihres Vaters fast vor Schrecken gestorben war, und Paolo, der an allen Gliedern zitterte, warteten, als sie sahen, daß der Alte sich beruhige und ohne ein Wort zu sprechen dastehe, mit gefaßterem Mute den Ausgang der Sache ab. Es ist schon bemerkt worden, daß Paolo und Nicuola, seine Schwester, sich so ähnlich sahen, daß es selbst den, der sie näher kannte, die größte Mühe kostete, das Mädchen von dem Jüngling zu unterscheiden. Nachdem also Gherardo Paolo eine Weile mit Verwunderung betrachtet und sich bedacht hatte, daß Ambrogios Sohn nicht mehr vorhanden sei, so gewann er die Überzeugung, Nicuola müsse sich als Mann verkleidet haben, und sagte zu Paolo: »Nicuola, Nicuola, wenn du nicht die wärest, die du bist, so glaube mir, sollte der Spaß dir und Catella übel bekommen.«

Darauf wandte er sich zu der Tochter und gebot ihr, hinaufzugehen und Nicuola unten zu lassen, der er bessere Gesellschaft leisten werde als sie. Catella ging, indem sie sich Glück wünschte, bis hierher so wohlfeilen Kaufes davongekommen zu sein, da sie der Vater weder geschlagen noch gescholten habe. Aber sie konnte sich nicht zusammenreimen, aus welchem Grunde ihr Vater ihren Geliebten Nicuola nenne. Paolo andererseits fürchtete, der Alte möchte im Sinne haben, mit ihm so zu verfahren, wie er mit seiner Tochter verfahren war, und sprach bei sich selbst: »Der alte Narr da möchte wohl gern auf Holzwegen wandeln; allein es soll ihm nicht gelingen, wie er meint.«

Als nun Catella fort war, sagte Gherardo: »Meine teure Nicuola, welche ein Kleid ist dies, das Ihr da anhabt? Wie kann dein Vater Ambrogio dir gestatten, so allein auszugehen? Gestehe mir die Wahrheit ein, was hast du hier vorgehabt? Bist du vielleicht gekommen, nachzusehen, wie ich mein Hauswesen in Ordnung halte und welche Lebensart ich führe? Erst vor ein paar Tagen sprach ich mit deinem Vater, da er eben nach Esi zurückkam, und als ich ihn bat, sich zu entscheiden, ob er mir dich zur Frau geben wolle oder nicht, sagte er, er werde darüber nächstens mit mir sprechen. Ich versichere dich, du sollst es gut bei mir haben; das ganze Haus soll unter deinen Befehlen stehen.«

Während er ihn noch versicherte, er werde von ihm nur eine gute Behandlung erfahren, dachte Paolo bei sich selbst: »Sonderbar, das ist nun heute schon das zweitemal, daß ich mit einem andern verwechselt werde. Die Tochter dieses Alten hält mich für ihren Geliebten namens Romulo, und er meint, ich sei meine Schwester. Aber die Tochter hat sich wenigstens nicht durchaus getäuscht.«

Gherardo wiederholte einmal über das andere: »Nicuola, du antwortest mir nichts? Sage mir, was du beschließest: so will ich für alles andere sorgen.«

Hiermit wollte er ihn küssen; aber Paolo stieß ihn zurück und sagte zu ihm: »Wenn Ihr etwas von mir wollt, so sprecht mit meinem Vater und laßt mich gehen; denn ich weiß selbst nicht, wie ich dahergekommen bin.«

Der Alte, der ihn noch immer für Nicuola hielt, entgegnete: »Wohlan denn, so geh! Ich werde mit deinem Vater sprechen und schon alles ins reine bringen.«

Paolo entfernte sich und begab sich sofort in das Haus seines Vaters, wo er den Lattanzio antraf, der bereits um Nicuola angehalten, die ihm Ambrogio, der ihn als einen reichen und edeln Jüngling kannte, auch sofort zugesagt hatte. Als Paolo in das Haus trat, meinte Lattanzio bei seinem Anblick zu erstarren, und hätte Ambrogio nicht in demselben Augenblicke seine Hand in die seiner Tochter gelegt, so würde er geschworen haben, es sei Nicuola. Die grenzenlose Freude, die Ambrogio über das Wiedersehen seines von ihm totgeglaubten Sohnes empfand, läßt sich nicht ausdrücken. Die Freude über die ehrenvolle Verheiratung seiner Tochter fügte sich zu der der Wiederauffindung des Sohnes; und so konnten alle vier nicht aufhören, einander zu liebkosen und Glück zu wünschen. Das Vesperbrot wurde hereingebracht, und indem sie darüber saßen, siehe, da kam Gherardo dazu, der, wie er Nicuola mit Lattanzio scherzen und Paolo, den er für Nicuola hielt, mit seinem Vater sprechen sah, fast außer sich in die Worte ausbrach: »Herr Gott, steh mir bei! Ich weiß nicht, ob ich träume, oder wie mir geschieht.«

Er faltete die Hände und blieb staunend stehen. Paolo, dem Catellas würzige Küsse höchlich wohlgefallen hatten, bat seinen Vater um die Gunst, ihn mit Gherardos Tochter zu vermählen. Ambrogio, mit der Verwandtschaft zufrieden, erzählte also dem Alten, wie er Nicuola mit Lattanzio vermählt habe, und bat ihn, Catella seinem Sohne Paolo zur Frau zu geben, worein Gherardo denn auch am Ende willigte. So hatte er wider alles Erwarten seinen Sohn wiedererhalten, reich und gut verheiratet, und ebenso die Tochter wohl versorgt. Paolo ließ seine Dienerschaft und sein Gepäck aus dem Gasthause abholen, behielt zwei Diener für sich und befriedigte die übrigen vollkommen. Alle waren voller Freuden außer Gherardo, der Nicuola zu besitzen gewünscht hatte. Doch beruhigte er sich zuletzt. Die beiden Liebenden aber machten sich mit ihren Frauen gute Stunden und tun es noch.


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