Honoré de Balzac
Die falsche Geliebte
Honoré de Balzac

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Im Februar verlor Adam eine ziemlich beträchtliche Summe im Jockei-Klub, und da er vor seiner Frau Angst hatte, bat er Thaddäus, die Summe auf seine Vergeudungen für Malaga zu buchen.

»Was ist denn so Ungewöhnliches daran, daß diese Kunstreiterin dich 20 000 Franken gekostet hat? Das geht mich allein an. Wenn aber meine Frau wüßte, daß ich sie im Spiel verloren habe, sänke ich in ihrer Achtung; sie machte sich Sorge um die Zukunft.«

»Auch das noch!« rief Thaddäus aus und seufzte tief.

»Ach, Thaddäus, dieser Dienst machte uns quitt, stände ich nicht schon in deiner Schuld.«

»Adam, du wirst Kinder haben, spiele nicht mehr,« mahnte der Graf.

»Malaga kostet uns wieder 20 000 Franken!« rief die Gräfin aus, als sie ein paar Tage danach Adams Großmut gegen Paz erfuhr. »Vorher schon 10 000, alles in allem 30 000! Fünfzehnhundert Franken Zinsen, soviel wie meine Loge im Théâtre des Italiens, das Vermögen vieler Bürgersleute . . . Oh! Ihr Polen,« sagte sie, während sie in ihrem schönen Treibhaus Blumen pflückte, »ihr seid unglaublich. Du bist nicht wütend darüber?«

»Der arme Paz . . .«

»Der arme Paz, arme Paz,« unterbrach sie ihn, »wozu nützt er uns? Ich werde den Haushalt selbst führen. Du wirst ihm die 100 Louisdor Rente geben, die er ausschlug, und mit dem Olympia-Zirkus mag er sich auseinandersetzen, wie er will.«

»Er ist uns sehr nützlich, er hat uns seit Jahresfrist sicher mehr als 40 000 Franken erspart. Zudem, mein Engel, hat er uns 100 000 Franken bei Rothschild angelegt, und ein Verwalter hätte sie uns gestohlen . . .«

Clémentine besänftigte sich, aber gegen Thaddäus blieb sie gleich hart. Ein paar Tage danach bat sie Paz in das Boudoir, wo sie vor einem Jahre einen so überraschenden Vergleich zwischen ihm und dem Grafen gezogen hatte. Diesmal empfing sie ihn unter vier Augen, ohne die mindeste Gefahr darin zu sehen.

»Mein lieber Paz,« sagte sie zu ihm mit der rein äußerlichen Vertraulichkeit vornehmer Leute gegen ihre Untergebenen, »wenn Sie Adam so lieben, wie Sie sagen, werden Sie etwas tun, um das er Sie nie bitten wird, das aber ich, seine Frau, ohne Zaudern von Ihnen fordere . . .«

»Es handelt sich um Malaga,« sagte Thaddäus mit tiefer Ironie.

»Sehr wohl, ja. Wollen Sie Ihre Tage mit uns beschließen, wollen Sie, daß wir gute Freunde bleiben, so verlassen Sie sie. Wie, ein alter Soldat . . .«

»Ich bin erst fünfunddreißig Jahre und habe kein weißes Haar.«

»Es sieht aber so aus,« sagte sie, »das ist das gleiche. Wie kann ein Mann, der so gut rechnet, so vornehm ist . . .«

Es war schrecklich für ihn, daß sie dies Wort mit der offenbaren Absicht sagte, den Seelenadel, den sie bei ihm erloschen wähnte, zu erwecken.

»Ein Mann, der so vornehm ist,« fuhr sie nach einer unmerklichen Pause fort, die sie auf eine Gebärde von Paz machte, »sich wie ein Kind herein legen lassen! Ihr Abenteuer hat Malaga berühmt gemacht . . . Nun also, mein Onkel wollte sie sehen und er hat sie gesehen. Mein Onkel ist nicht der einzige, Malaga empfängt munter alle Herren . . . Ich glaubte, Sie hätten eine edle Seele . . . Pfui! Sehen Sie mal, ist der Verlust für Sie denn so groß, daß er sich nicht gut machen läßt?«

»Gnädigste, wenn ich ein Opfer wüßte, um Ihre Achtung wieder zu erlangen, so wäre es bald gebracht. Aber Malaga zu verlassen, ist kein Opfer . . .«

»In Ihrer Lage wüßte ich, was ich sagte, wenn ich ein Mann wäre,« entgegnete Clémentine. »Nun also, wenn ich das als großes Opfer betrachte, so ist es kein Grund, sich zu verfeinden.«

Paz verließ sie voller Furcht, eine Torheit zu begehen. Er fühlte sich von tollen Gedanken gepackt. Er ging spazieren, trotz der Kälte leicht angezogen, ohne daß es ihm gelang, die Glut auf seinem Gesicht und auf seiner Stirn zu löschen.

»Ich glaubte, Sie hätten eine edle Seele!« Diese Worte tönten ihm immerfort im Ohre.

»Und vor einem Jahre,« sagte er sich, »habe ich nach Clémentines Ansicht fast allein die Russen geschlagen!«

Er nahm sich vor, das Haus Laginski zu verlassen, bei den Spahis Dienst zu tun und sich in Afrika totschießen zu lassen. Aber eine schreckliche Furcht hielt ihn davon ab.

»Was wird ohne mich aus ihnen? Sie wären bald zugrunde gerichtet. Arme Gräfin! Welch schreckliches Dasein für sie, wenn sie auf 30 000 Franken Einkommen angewiesen wäre! Vorwärts,« sagte er sich. »Da sie für mich verloren ist, Mut gefaßt und weiter ans Werk!«

Wie bekannt, hat der Karneval in Paris seit 1830 einen wunderbaren Aufschwung genommen. Er ist zu einer europäischen Berühmtheit und ganz anders burlesk, ganz anders lebendig geworden, als ehemals der Karneval von Venedig. Vielleicht haben die Pariser bei der ungemeinen Abnahme der Vermögen eine Kollektivvergnügung erfunden, wie sie sich in ihren Klubs Salons ohne Hausherrin, ohne Höflichkeit und mit geringen Kosten geschaffen haben. Wie dem aber auch sei, im März drängte sich Ball an Ball, und Tanz, Posse, grobe Freude, Taumel, groteske Bilder und die vom Pariser Witz geschätzten Spöttereien wirkten sich ins Riesenhafte aus. Diese Tollheit hatte damals in der Rue Saint-Honoré ihr Pandämonium und in Musard ihren Napoleon. Das war ein kleiner Kerl, der eigens geschaffen schien, um eine so brausende Musik wie die der zügellosen Menge zu dirigieren und den Galopp anzuführen, diesen Hexensabbat, der zu den Ruhmestaten Aubers gehört, denn der Galopp hat seine Form und Poesie erst seit dem großen Galopp im »Gustav« erhalten. Ist dies gewaltige Finale doch gleichsam das Symbol eines Zeitalters, in dem sich seit fünfzig Jahren alles mit der Geschwindigkeit eines Traumes abspielt! Nun lud der ernste Thaddäus, der ein keusches Bild im Herzen trug, Malaga als Königin der Karnevalsbälle ein, eine Nacht im Ballhaus Musard zu verbringen. Er hatte nämlich erfahren, daß die Gräfin, bis an die Zähne verkleidet, mit zwei anderen jungen Frauen und deren Männern dem merkwürdigen Schauspiel eines dieser Riesenbälle beiwohnen wollte. Am Fastnachtstag des Jahres 1838, um vier Uhr morgens, saß die Gräfin in einem rosa Domino auf den Stufen eines Amphitheaters dieses babylonischen Saales, in dem seither Valentino seine Konzerte gibt, und sah Thaddäus, als Robert Macaire verkleidet, mit der Kunstreiterin Galopp tanzen. Sie war als Wilde ausstaffiert, den Kopf mit einem Federschmuck wie ein Pferd beim Krönungszuge, und hüpfte durch die Gruppen wie ein wahrer Irrwisch.

»Ach!« sagte Clémentine zu ihrem Gatten, »ihr Polen seid charakterlose Leute. Wer hätte Thaddäus nicht vertraut? Er hat mir sein Wort gegeben und wußte nicht, daß ich hier sein würde, um alles zu sehen, ohne selbst gesehen zu werden.«

Einige Tage danach kam Paz zum Mittagessen zu ihr. Nach der Mahlzeit ließ Adam sie allein und Clémentine fuhr Thaddäus heftig an, um ihm fühlbar zu machen, daß sie ihn nicht mehr im Hause wünschte.

»Ja, Gnädigste,« sagte Thaddäus demütig, »Sie haben recht. Ich bin ein Elender, ich hatte mein Wort gegeben. Aber was wollen Sie! Ich habe den Bruch mit Malaga bis nach dem Karneval verschoben . . . Ich werde übrigens offen sein: dies Weib übt solche Macht auf mich aus, daß . . .«

»Eine Frau, die sich bei Musard von der Polizei an die Luft setzen läßt, und wegen welcher Tänze!«

»Zugegeben, Gnädigste, ich nehme mein Urteil an. Ich verlasse Ihr Haus, aber Sie kennen Adam. Überlasse ich Ihnen die Zügel Ihres Vermögens, so müssen Sie sie kräftig führen. Wenn ich diese Schwäche für Malaga habe, so verstehe ich doch auch, auf Ihre Geschäfte aufzupassen, Ihre Leute im Zaume zu halten und auf die geringsten Kleinigkeiten zu achten. Lassen Sie mich also erst fortgehen, wenn ich sehe, daß Sie meine Verwaltung fortzusetzen vermögen. Sie sind jetzt drei Jahre verheiratet, und die ersten Torheiten des Honigmonds liegen hinter Ihnen. Die Pariserinnen, auch die vornehmsten, verstehen es heute sehr gut, ein Vermögen und ein Haus zu verwalten . . . Also, wenn ich sicher bin, weniger in betreff Ihrer Fähigkeit als Ihrer Ausdauer, verlasse ich Paris.«

»So spricht der Thaddäus von Warschau und nicht der Thaddäus vom Olympia-Zirkus,« entgegnete sie. »Kehren Sie geheilt zurück.«

»Geheilt? . . . Nie!« erwiderte Paz mit gesenktem Blick und schaute auf Clémentines hübsche Füße. »Sie wissen nicht, Gräfin, wieviel Prickelndes und Unverhofftes diese Frau in ihrem Geiste hat.«

Und da er seinen Mut wanken fühlte, setzte er hinzu:

»Keine vornehme Dame mit ihren gezierten Manieren wiegt das freie Wesen dieses jungen Tieres auf . . .«

»Ich möchte allerdings nichts Tierisches haben,« sagte die Gräfin und warf ihm den Blick einer wütenden Viper zu.

Seit diesem Morgen weihte Graf Paz Clémentine in die Geschäfte ein, ward ihr Lehrer, zeigte ihr die Schwierigkeiten in der Verwaltung ihres Vermögens, lehrte sie den wahren Wert der Dinge erkennen und wie man es anfängt, von den Leuten nicht zu sehr bestohlen zu werden. Sie konnte auf Konstantin zählen und ihn zum Majordomus machen. Thaddäus hatte Konstantin ausgebildet. Im Mai schien ihm die Gräfin vollkommen imstande, ihr Vermögen zu verwalten, denn Clémentine gehörte zu jenen Frauen mit richtigem Blick, sicherem Instinkt und angeborenen Hausfrauentugenden.

Diese Situation, die Thaddäus so ungezwungen herbeigeführt hatte, sollte doch einen furchtbaren Konflikt für ihn zur Folge haben, denn seine Leiden sollten nicht so sanft sein, wie er sie sich machte. Der arme Liebhaber hatte den Zufall nicht in Rechnung gestellt. Nun aber wurde Adam ernstlich krank. Anstatt fortzugehen, blieb Thaddäus als Krankenwärter seines Freundes. Die Hingebung des Kapitäns war unermüdlich. Eine Frau, der daran gelegen hätte, ihrem Scharfsinn Weitblick zu geben, hätte in dem Heroismus des Kapitäns eine Art Kasteiung erblickt, die edle Seelen sich auferlegen, um ungewollte, schlechte Gedanken zu unterdrücken. Aber die Frauen sehen entweder alles oder nichts, je nach ihrem Seelenzustand; die Liebe ist ihr einziger Leitstern.

Fünfundvierzig Tage lang wachte Paz und pflegte Mizislas, ohne anscheinend an Malaga zu denken, aus dem sehr einfachen Grunde, weil er nie an sie dachte. Als Clémentine Adam dem Tode nahe sah, ohne daß er starb, zog sie die berühmtesten Ärzte zu Rate.

»Übersteht er das,« sagte der gelehrteste Arzt, »so geschieht es nur durch die Kraft der Natur. Seine Pfleger müssen diesen Augenblick abpassen und die Natur unterstützen. Das Leben des Grafen liegt in den Händen seiner Krankenwärter.«

Thaddäus teilte diesen Spruch Clémentine mit, die gerade in dem chinesischen Pavillon saß, sowohl, um sich von ihren Anstrengungen zu erholen, wie um den Ärzten das Feld zu räumen und ihnen nicht hinderlich zu sein. Als Clémentines Anbeter den Windungen des Sandweges folgte, der aus dem Boudoir zu dem Felsen führte, auf dem der chinesische Pavillon stand, fühlte er sich gleichsam in der Tiefe eines jener Abgründe, die Dante beschrieben hat. Der Unglückliche hatte die Möglichkeit nicht bedacht, Clémentines Gatte zu werden, und hatte sich selbst in ein schmutziges Loch eingeschlossen. Er erschien mit verstörtem Gesicht voll erhabenen Schmerzes. Sein Haupt verbreitete Verzweiflung, wie das der Medusa.

»Ist er tot? . . .« fragte Clémentine.

»Sie haben ihn aufgegeben; wenigstens überlassen sie alles der Natur. Gehen Sie nicht hin, sie sind noch da. Bianchon wird den Verband selbst abnehmen.«

»Der Arme! Ich frage mich, ob ich ihn nicht bisweilen gequält habe,« sagte sie.

»Sie haben ihn sehr glücklich gemacht, seien Sie darüber beruhigt,« sagte Thaddäus. »Und Sie waren voller Nachsicht gegen ihn . . .«

»Sein Verlust wäre für mich unersetzlich.«

»Aber, Verehrte, gesetzt, daß der Graf stirbt, hatten Sie sich kein Urteil über ihn gebildet?«

»Ich liebte ihn nicht blind,« sagte sie, »aber ich liebte ihn, wie eine Frau ihren Mann lieben muß.«

»Sie müssen also,« fuhr Thaddäus mit einer Stimme fort, die Clémentine bei ihm nicht kannte, »weniger Schmerz empfinden als beim Hinscheiden eines der Männer, die für die Frauen ihr Stolz, ihre Liebe und ihr ganzes Leben sind! Sie können gegen einen Freund wie ich aufrichtig sein . . . Ich werde ihn betrauern! . . . Lange vor Ihrer Heirat war er mir zum Sohne geworden, und ich habe ihm mein Leben geopfert. Ich werde also nichts mehr haben, was mich an die Welt bindet. Aber für eine vierundzwanzigjährige Witwe ist das Leben noch schön.«

»Ha, Sie wissen wohl, daß ich niemand liebe!« sagte sie mit der Schroffheit des Schmerzes.

»Sie wissen noch gar nicht, was Liebe ist,« versetzte Thaddäus.

»Ach, Gatte hin, Gatte her! Ich bin vernünftig genug, um ein Kind wie meinen guten Adam einem höheren Menschen vorzuziehen. Nun ist es bald ein Monat, daß wir uns fragen: ›Wird er am Leben bleiben?‹ Diese ewige Ungewißheit hat mich auf den Verlust vorbereitet, so gut wie Sie darauf vorbereitet sind. Ich kann gegen Sie offen sein. Nun also: ich gäbe mein Leben hin, um Adam zu retten. Erlaubt die Selbständigkeit einer Pariserin nicht, sich von der Scheinliebe verkrachter Existenzen oder Vergeuder umgarnen zu lassen? Ich möchte Gott bitten, daß er mir diesen Gatten läßt, der so gefällig, so gutmütig, so wenig kleinlich ist, und der mich schon zu fürchten begann.«

»Sie sind ehrlich, und ich mag Sie darum um so lieber,« sagte Thaddäus und küßte ihr die Hand. Clémentine ließ es geschehen. »In solchen feierlichen Augenblicken liegt etwas Befriedigendes darin, eine Frau unverstellt zu sehen. Mit Ihnen läßt sich reden. Denken wir an die Zukunft; nehmen wir an, Gott erhörte Sie nicht, und ich bin doch einer von denen, die am meisten geneigt sind, ihn anzuflehen: ›Laß mir meinen Freund!‹ Ja, diese fünfzig Nächte haben meine Augen nicht geschwächt, und müßten wir ihn noch dreißig Tage und dreißig Nächte pflegen, so werden Sie schlafen, Gnädigste, wenn ich wache. Ich werde ihn schon dem Tode entreißen, wenn man ihn, wie die Ärzte sagen, durch Pflege retten kann. Kurz, trotz meiner und Ihrer Bemühungen stirbt der Graf. Nun also, wenn ein Mann von Herz Sie liebte, ja anbetete, ein Mann, dessen Charakter Ihrer würdig wäre . . .«

»Ich habe vielleicht wild gewünscht, geliebt zu werden, aber ich bin ihm nicht begegnet . . .«

»Wenn Sie getäuscht worden wären . . .«

Clémentine blickte Thaddäus fest an. Sie vermutete bei ihm weniger Liebe als Begierde, überschüttete ihn mit Verachtung, indem sie ihn von Kopf bis zu Füßen maß, und vernichtete ihn mit den zwei Worten: »Arme Malaga!« Sie sagte das in drei Tonlagen, die allein die vornehmen Damen auf dem Register ihrer Verachtung haben. Sie stand auf und ließ Thaddäus gebrochen zurück. Sie drehte sich nicht um, ging in edler Wallung in ihr Boudoir und wieder in Adams Schlafzimmer hinauf.

Nach einer Stunde erschien Paz wieder im Krankenzimmer. Da der Schlag nicht tödlich war, bemühte er sich um den Grafen. Seit jenem schicksalsvollen Augenblick wurde er schweigsam. Zudem kämpfte er mit der Krankheit, bekämpfte sie in einer Weise, die den Ärzten Bewunderung abnötigte. Zu jeder Stunde sah man seine Augen wie zwei Lampen glühen. Ohne Clémentine im geringsten zu grollen, hörte er ihre Dankesworte, ohne sie zu erwidern. Er schien stumm. Er hatte sich gelobt:

»Sie soll mir Adams Leben verdanken.«

Dies Wort schrieb er sozusagen mit feurigen Buchstaben in das Krankenzimmer. Am fünfzehnten Tage mußte Clémentine ihre Pflege einschränken, wollte sie nicht zusammenbrechen. Paz war unermüdlich. Kurz, Ende August stand Bianchon, der Hausarzt, für das Leben des Kranken ein.

»Ach, Frau Gräfin, danken Sie mir gar nicht dafür,« sagte er. »Ohne seinen Freund hätten wir ihn nicht gerettet.«

Am Tage nach der schrecklichen Szene im chinesischen Pavillon besuchte der Marquis von Ronquerolles seinen Neffen, denn er reiste in geheimem Auftrag nach Rußland, und Paz, den das Gespräch am Tage vorher niedergeschmettert hatte, sagte dem Diplomaten ein paar Worte. An dem Tage nun, wo Graf Adam mit seiner Gattin zum erstenmal ausfuhr, in dem Augenblick, wo der Wagen von der Freitreppe abfuhr, erschien ein Gendarm im Hofe und fragte nach Graf Paz. Thaddäus, der vorn auf der Kalesche saß, drehte sich um, nahm einen Brief mit dem Siegel des Ministeriums des Äußeren in Empfang und steckte ihn in die Rocktasche. Die Art, wie dies geschah, hinderte Clémentine und Adam, mit ihm davon zu sprechen. Man kann den Leuten der guten Gesellschaft nicht abstreiten, daß sie die stumme Sprache verstehen. Trotzdem machte Adam, als sie an der Porte Maillot ankamen, sich die Vorrechte eines Genesenden zunutze, dessen Launen befriedigt werden wollen, und sagte zu Thaddäus:

»Unter zwei Brüdern, die sich so lieben wie wir, gibt es keine Heimlichkeiten. Du weißt, was in der Nachricht steht. Sag' es mir, ich brenne vor Neugier.«

Clémentine blickte Thaddäus schmollend an und sagte zu ihrem Gatten:

»Er schmollt seit zwei Monaten derart mit mir, daß ich mich hüten würde, in ihn zu dringen.«

»Oh, mein Gott,« antwortete Thaddäus, »da ich nicht hindern kann, daß es in die Zeitungen kommt, will ich Ihnen das Geheimnis verraten. Kaiser Nikolaus erweist mir die Gnade, mich zum Kapitän in einem Regiment zu ernennen, das zum Feldzug nach Chiva ausrücken soll.«

»Und du gehst hin?«

»Ich gehe, mein Lieber. Als Kapitän bin ich gekommen, als Kapitän gehe ich. . . . Malaga könnte mich auf Torheiten bringen. Morgen speisen wir zum letzten Male zusammen. Reise ich nicht im September nach Petersburg, so müßte ich den Landweg nehmen, und ich bin nicht reich. Ich muß Malaga ihr bescheidenes Auskommen lassen. Wie sollte ich auch nicht für die Zukunft der einzigen Frau sorgen, die mich verstanden hat? Malaga findet mich groß! Malaga findet mich schön! Malaga ist mir vielleicht untreu, aber sie spränge . . .«

»Für Sie durch den Reifen und fiele richtig auf ihr Pferd zurück,« ergänzte Clémentine spitz.

»Oh! Sie kennen Malaga nicht,« sagte der Kapitän mit tiefer Bitterkeit und einem ironischen Blick, der Clémentine träumerisch und unruhig machte. »Lebt wohl, junge Bäume des schönen Bois de Boulogne, in dem die Pariserinnen lustwandeln und die Verbannten, die hier ein neues Vaterland finden. Ich bin sicher, meine Augen werden die grünen Bäume der Allée de Mademoiselle und der Route des Dames nicht wiedersehen, noch die Akazien und Zedern der Rondelle. – Am Saum Asiens werde ich den Plänen des großen Zaren gehorchen, den ich mir zum Herrn wünschte. Und wenn ich es durch Tapferkeit vielleicht zum Heerführer gebracht, wenn ich mein Leben solange aufs Spiel gesetzt habe, werde ich mich vielleicht nach den Champs Elysées zurücksehnen, wo ich einmal an Ihrer Seite ritt. Kurz, stets werde ich die Härte Malagas beklagen, Malagas, von der ich in diesem Augenblick rede.«

Er sagte es in einer Weise, die Clémentine erschaudern ließ.

»Sie lieben also Malaga sehr?« fragte sie.

»Ich habe ihr die Ehre geopfert, die wir nie opfern . . .«

»Welche denn?«

»Die Ehre, die wir um jeden Preis in den Augen unsres Idols behalten wollen.«

Nach dieser Antwort hüllte Thaddäus sich in undurchdringliches Schweigen. Er brach es nur, als sie durch die Champs Elyseés fuhren. Da wies er auf ein weißes Gebäude und sagte:

»Da, der Zirkus!«

Kurz vor dem Mittagessen ging er zur russischen Botschaft, dann zum Ministerium des Äußeren, und am Morgen reiste er nach Le Havre ab, bevor Adam und die Gräfin aufgestanden waren.

»Ich verliere einen Freund,« sagte Adam mit Tränen im Blick, als er die Abreise des Grafen Paz erfuhr, »einen Freund im wahrsten Sinne des Wortes, und ich weiß nicht, was ihn bewegen kann, mein Haus wie die Pest zu fliehen. Wir sind doch keine Freunde, die sich wegen einer Frau entzweien,« sagte er, Clémentine fest anblickend. »Und doch! alles, was er gestern von Malaga sagte . . . Aber er hat das Mädchen ja nie angerührt . . .«

»Woher weißt du das?« fragte Clémentine.

»Ich habe natürlich die Neugier gehabt, Fräulein Turquet zu sehen, und dem armen Mädchen ist die völlige Zurückhaltung von Thaddäus noch immer unerklärlich . . .«

»Genug,« sagte die Gräfin und zog sich zurück. Dann sagte sie sich: »Sollte ich das Opfer eines erhabenen Betruges sein?«

Kaum hatte sie diesen Gedanken vollendet, als Konstantin ihr den folgenden Brief brachte, den Thaddäus in der Nacht hingekritzelt hatte.

»Gräfin, sich im Kaukasus totschießen zu lassen und Ihre Verachtung mitzunehmen, ist zuviel. Man muß ganz sterben. Ich habe Sie verehrt, als ich Sie das erstemal sah, wie man eine Frau verehrt, die man ewig liebt, selbst nach ihrer Untreue, ich, Schuldner Adams, der Sie erwählt hatte und den Sie heirateten, ich, der Arme, ich, der freiwillige, ergebene Verwalter Ihres Hauses. In diesem furchtbaren Unglück fand ich das köstlichste Leben. Bei Ihnen ein unentbehrliches Werkzeug zu sein, zu Ihrem Luxus, Ihrem Wohlstand beitragen zu können, das war eine Quelle des Genusses. Wenn dieser Genuß in meiner Seele schon lebhaft war, soweit er Adam betraf, so ermessen Sie, wie hoch er wurde, als eine angebetete Frau seine Ursache und Wirkung war! Ich habe die Wonnen der Mutterschaft in der Liebe erfahren: ich nahm das Leben so hin. Wie die Bettler auf den Landstraßen hatte ich mir eine Steinhütte am Rand Ihres schönen Gutes gebaut, ohne Ihnen die Hand zu reichen. Arm und unglücklich, durch Adams Glück geblendet, war ich doch der Gebende. Ach, Sie waren von einer Liebe umgeben, die rein wie die eines Engels war. Sie wachte, wenn Sie schliefen, liebkoste Sie mit den Blicken, wenn Sie vorübergingen, war glücklich zu leben. Kurz, Sie waren die heimatliche Sonne des armen Verbannten, der Ihnen im Gedenken an dies Glück der ersten Zeiten mit tränenden Augen schreibt.

»Als Achtzehnjähriger, ungeliebt, machte ich eine schöne Frau in Warschau zu meiner idealen Geliebten. Ihr galt mein Denken und Sehnen; sie war die Königin meiner Tage und Nächte! Diese Frau wußte nichts, aber warum es ihr sagen? . . . Ich liebte meine Liebe. Ermessen Sie aus diesem Jugendabenteuer, wie glücklich ich war, in Ihrer Atmosphäre zu leben, Ihr Pferd zu pflegen, ganz neue Goldstücke für Ihre Börse auszusuchen, für den Glanz Ihrer Tafel und Ihrer Gesellschaften zu sorgen und größere Vermögen als das Ihre durch meine Geschicklichkeit zu überstrahlen. Mit welchem Eifer stürzte ich in die Stadt, wenn Adam sagte: ›Thaddäus, sie will das und das.‹ Das war ein unsägliches Glück. Sie wollten in einer bestimmten Frist Kleinigkeiten haben, die mich zu Gewaltanstrengungen nötigten. Ich fuhr sieben Stunden im Wagen umher. Und welche Wonne, für Sie zu gehen! Sah ich Sie lächelnd inmitten Ihrer Blumen, ohne von Ihnen gesehen zu werden, so vergaß ich, daß niemand mich liebte . . . Kurz, ich war damals wieder achtzehn Jahre alt. An manchen Tagen, wo mein Glück mich berauschte, ging ich des Nachts an die Stelle, wo Ihre Füße für mich leuchtende Spuren hinterlassen hatten, und küßte sie, wie ich einst Diebskünste gebraucht hatte, um den Schlüssel zu küssen, den die Gräfin Ladislas berührt hatte, als sie eine Tür öffnete. Die Luft, die Sie atmeten, war balsamisch; sie einzuatmen, verlieh mir stärkeres Leben; ich war, wie man es in den Tropen sein soll, von einer Wolke schöpferischer Kräfte umgeben.

»Ich muß Ihnen das alles gestehen, um Ihnen den seltsamen Dünkel meiner ungewollten Gedanken zu erklären. Ich wäre lieber gestorben, als Ihnen mein Geheimnis zu verraten! Sie müssen sich der wenigen Tage der Neugier entsinnen, als Sie den Urheber der Wunder sehen wollten, die Ihnen schließlich auffallen mußten. Ich glaubte, verzeihen Sie mir, ich glaubte, daß Sie mich lieben könnten. Ihr Wohlwollen, Ihre von einem Verliebten gedeuteten Blicke schienen mir so gefährlich für mich, daß ich mir Malaga zulegte, denn ich wußte, daß es Beziehungen gibt, die die Frauen nie verzeihen. Ich legte sie mir in dem Augenblick zu, wo ich sah, daß meine Liebe notgedrungen Gegenliebe erzeugte. Überschütten Sie mich nun mit der Verachtung, die Sie mit vollen Händen über mich ausgeschüttet haben, ohne daß ich sie verdiente.

»Aber das glaube ich gewiß: hätte ich Ihnen an dem Abend, da Ihre Tante den Grafen mit sich nahm, das gesagt, was ich Ihnen hier schreibe, wäre es einmal ausgesprochen worden, so wäre ich wie der gezähmte Tiger gewesen, der seine Zähne wieder in frisches Fleisch schlägt, der die Wärme des Blutes fühlt und . . .

Mitternacht.

»Ich konnte nicht weiterschreiben. Die Erinnerung an jenen Abend ist noch zu lebendig! Ja, damals hatte ich das Delirium. In Ihren Augen leuchtete Hoffnung. Die rote Flagge des Sieges hätte in den meinen geglänzt und die Ihren entzündet. Mein Verbrechen war, das alles zu denken, vielleicht zu Unrecht. Sie allein sind Richterin jener furchtbaren Szene, in der ich Liebe, Verlangen, die unbezwinglichsten Menschenkräfte, mit der eisigen Hand ewiger Dankbarkeit ersticken mußte. Ihre furchtbare Verachtung war meine Strafe. Sie haben mir bewiesen, daß man Ekel und Verachtung nicht überwindet. Ich liebe Sie wie ein Wahnsinniger. Nach Adams Tod hätte ich fortgemußt: nach Adams Wiederherstellung muß ich es erst recht. Man entreißt seinen Freund nicht den Armen des Todes, um ihn zu betrügen. Zudem ist meine Abreise die Strafe für meinen Gedanken, ihn sterben zu lassen, als die Ärzte mir sagten, daß sein Leben in der Hand seiner Pfleger läge. Leben Sie wohl, Gräfin. Indem ich Paris verlasse, verliere ich alles. Sie verlieren nichts, wenn Sie nicht mehr in Ihrer Nähe haben

Ihren ergebenen

Thaddäus Paz.«

»Wenn mein armer Adam sagt, er hätte einen Freund verloren, was habe ich dann verloren?« fragte sich Clémentine niedergeschmettert und die Augen auf eine Blume in ihrem Teppich geheftet. Folgenden Brief übergab Konstantin heimlich dem Grafen:

»Lieber Mizislas, Malaga hat mir alles gesagt. Im Namen Deines Glückes möge Dir Clémentine gegenüber nie ein Wort über Deine Besuche bei der Kunstreiterin entschlüpfen! Laß sie stets in dem Glauben, daß Malaga mich 100 000 Franken gekostet hat. Die Gräfin würde Dir bei ihrem Charakter nie Deine Verluste im Spiel und Deine Besuche bei Malaga verzeihen. Ich gehe nicht nach Chiva, sondern in den Kaukasus. Ich habe den Spleen, und so, wie ich es treiben werde, bin ich in drei Jahren Fürst Paz oder tot. Leb wohl. Obgleich ich 60 000 Franken bei Rothschild abgehoben habe, sind wir quitt.

Thaddäus.«

»Tor, der ich bin! Fast hätte ich mich eben verraten!« sagte sich Adam.

Nun ist Thaddäus schon drei Jahre fort und die Zeitungen melden noch nichts vom Fürsten Paz. Gräfin Laginska nimmt den lebhaftesten Anteil an den Unternehmungen des Zaren Nikolaus. Sie ist im Herzen Russin und verschlingt alle Nachrichten aus jenem Lande. Ein- bis zweimal im Winter fragt sie den Botschafter scheinbar gleichgültig:

»Wissen Sie, was aus unserem armen Grafen Paz geworden ist?«

Ach, die Mehrzahl der Pariserinnen, diese angeblich so scharfsichtigen und geistreichen Geschöpfe, werden stets an einem Paz vorübergehen, ohne ihn zu bemerken. Ja, mehr als ein Paz wird verkannt. Aber das Schrecklichste ist: manche werden verkannt, auch wenn sie geliebt werden! Auch die schlichteste Frau verlangt von dem größten Manne noch etwas Schauspielerei, und die schönste Liebe gilt nichts, wenn sie natürlich ist. Sie bedarf der Inszenierung und Einfassung.

Im Januar 1842 flößte die Gräfin Laginska im Schmuck ihrer sanften Schwermut dem Grafen de la Palférine, einem der abenteuerlustigsten Löwen der jetzigen Pariser Gesellschaft, eine wütende Leidenschaft ein. La Palférine begriff, wie schwer die Eroberung einer Frau ist, deren Hüter ein Traum ist. Um diese reizende Frau zu gewinnen, rechnete er auf eine Überraschung und auf die Ergebenheit einer Frau, die auf Clémentine etwas eifersüchtig war und sich dazu hergeben sollte, den Zufall bei dieser Überraschung zu spielen.

Bei all ihrem Geist war Gräfin Laginska unfähig, einen derartigen Verrat zu ahnen. Sie beging also die Unklugheit, mit dieser sogenannten Freundin auf den Maskenball in der Oper zu gehen. Als La Palférine alle seine Verführungskünste bei ihr aufgeboten hatte, ließ sich Clémentine um drei Uhr morgens in dem Rauschzustande des Balles zu einem Souper einladen und wollte eben den Wagen der falschen Freundin besteigen. In diesem kritischen Augenblick wurde sie von kräftigen Armen gepackt und trotz ihres Schreiens in ihren eignen Wagen getragen, dessen Tür offen stand und den sie nicht bestellt hatte.

»Er hat Paris nicht verlassen!« rief sie aus, indem sie Thaddäus erkannte, der das Weite suchte, als er die Gräfin in ihrem Wagen davonfahren sah.

Hat je eine Frau in ihrem Leben einen solchen Roman erlebt?

Stündlich hofft Clémentine, Paz wiederzusehen.

 


 


 << zurück