Honoré de Balzac
Eine Evatochter
Honoré de Balzac

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Felix hatte ihr die Entschuldigung leicht gemacht. Er wurde für seine Geschicklichkeit prompt belohnt, denn seine Frau kam mit allen Briefen Nathans zurück und händigte sie ihm aus.

»Richte mich,« sagte sie und warf sich ihm zu Füßen.

»Kann man richten, wenn man liebt?« antwortete er.

Er nahm die Briefe und warf sie ins Feuer. Denn später hätte seine Frau es ihm vielleicht nicht verziehen, sie gelesen zu haben. Maries Kopf lag auf den Knien des Grafen; sie zerfloß in Tränen.

»Mein Kind, wo sind deine Briefe?« fragte er, ihren Kopf aufrichtend.

Bei dieser Frage fühlte die Gräfin nicht mehr die unerträgliche Glut auf den Wangen. Sie fröstelte.

»Damit du deinen Mann nicht im Verdacht hast, den Mann zu verleumden, den du deiner für würdig hieltest, soll dir Florine deine Briefe selbst zurückgeben.«

»Oh, warum soll er sie nicht auf meine Bitte zurückgeben?«

»Und wenn er sich weigerte?«

Die Gräfin senkte das Haupt.

»Die Welt ist mir zuwider,« sagte sie. »Ich gehe nicht mehr aus. Ich will allein mit dir leben, wenn du mir verzeihst.«

»Da könntest du dich vielleicht langweilen. Zudem, was würde die Welt sagen, wenn du sie plötzlich verließest? Im Frühjahr werden wir reisen, nach Italien gehen, Europa durchstreifen, bis du mehr als ein Kind zu erziehen hast. Wir können nicht umhin, morgen auf den Opernball zu gehen, denn auf andre Weise kommen wir nicht zu deinen Briefen, ohne uns bloßzustellen. Und wenn Florine sie dir bringt, gesteht sie damit nicht ihre Macht ein?«

»Und ich soll das mit ansehen?« fragte die Gräfin entsetzt.

»Übermorgen früh.«

Am nächsten Tage um Mitternacht auf dem Opernball ging Nathan im Foyer spazieren und führte eine sehr ehelich aussehende Maske am Arm. Als er zwei- bis dreimal die Runde gemacht hatte, wurde er von zwei maskierten Damen angeredet.

»Armer Narr, du richtest dich zugrunde. Marie ist hier und sieht dich,« sagte Vandenesse, als Frau verkleidet, zu ihm.

»Wenn du mich anhören willst, so verrate ich dir Geheimnisse, die Nathan dir verborgen hat, und du wirst erkennen, welche Gefahren deiner Liebe zu ihm drohen,« sagte die Gräfin zitternd zu Florine.

Nathan hatte Florines Arm jählings losgelassen und folgte dem Grafen, der in der Menge vor seinen Blicken verschwand. Florine setzte sich neben die Gräfin, die sie auf eine Bank neben Vandenesse zog. Dieser war zu ihr zurückgekehrt, um sie zu beschützen.

»Nun heraus mit der Sprache, meine Liebe,« sagte Florine, »und glaube nicht, daß du mich lange zum besten hältst. Niemand auf der Welt kann mir Raoul entreißen. Er ist mein aus Gewohnheit, das ist soviel wert wie die Liebe.«

»Zunächst – bist du Florine?« fragte Felix mit unverstellter Stimme.

»Schöne Frage! Wenn du's nicht weißt, wie soll ich dir da glauben, Hanswurst?«

»Geh und frage Nathan, der eben die Liebste sucht, von der ich rede, wo er vor drei Tagen genächtigt hat! Er hat sich mit Kohlengas erstickt, Kleine, ohne daß du es wußtest, weil er kein Geld hatte. So gut Bescheid weißt du über die Geschäfte eines Mannes, den du angeblich liebst. Du läßt ihn ohne einen Groschen und er bringt sich um. Oder vielmehr, er bringt sich nicht um, er verfehlt sich. Ein verfehlter Selbstmord ist ebenso lächerlich wie ein Zweikampf ohne Schramme.«

»Du lügst,« sagte Florine. »Er hat an dem Tage bei mir gegessen, und zwar nach Sonnenuntergang. Der arme Kerl wurde verfolgt. Er hat sich versteckt, das ist alles.«

»Geh doch nach der Rue du Mail, ins Hotel du Mail, und frage, ob er nicht sterbend von einer schönen Dame hingebracht wurde, mit der er seit Jahr und Tag verkehrt. Und die Briefe deiner Nebenbuhlerin sind vor deiner Nase in deinem Hause versteckt. Willst du Nathan einen Denkzettel geben, so wollen wir alle drei zu dir gehen. Da werde ich dir den Beweis erbringen, daß du ihn daran hindern kannst, binnen kurzem nach der Rue de Clichy zu wandern, wenn du ein braves Mädchen sein willst.«

»Suche andern das weiszumachen, mein Kleiner,« sagte Florine. »Ich bin sicher, Nathan kann in niemand verliebt sein.«

»Du möchtest mir vorreden, er hätte seine Aufmerksamkeit für dich seit einiger Zeit verdoppelt, aber das beweist doch gerade, daß er sterblich verliebt ist . . .«

»Er, in eine vornehme Dame? . . .« sagte Florine. »Wegen so was rege ich mich nicht auf.«

»Nun schön. Willst du von ihm selbst hören, daß er dich heute nacht nicht nach Hause begleitet?«

»Wenn er mir das sagt,« antwortete Florine, »so will ich mit dir nach meiner Wohnung gehen, und wir werden die Briefe suchen, an die ich erst glaube, wenn ich sie sehe.«

»Bleib da,« sagte Felix, »und paß auf!«

Er nahm seine Frau beim Arme und stellte sich zwei Schritte von Florine auf. Nathan, der im Foyer hin und her lief und seine Maske überall suchte, wie ein Hund seinen Herrn, kehrte bald an die Stelle zurück, wo er die Anvertrauung erhalten hatte. Als sie auf seiner Stirn eine leicht erkennbare Besorgnis las, stellte sie sich wie ein Prellstein vor den Schriftsteller und sagte gebieterisch:

»Ich will nicht, daß du mich verläßt. Ich habe meine Gründe dafür.«

»Marie!« . . . flüsterte die Gräfin ihm auf den Rat ihres Gatten ins Ohr. »Wer ist diese Frau? Verlaß sie auf der Stelle, geh hinaus und erwarte mich am Fuß der Treppe.«

In dieser furchtbaren Verlegenheit stieß Raoul Florines Arm heftig zurück. Sie war auf dies Manöver nicht gefaßt und hielt ihn umsonst mit Gewalt fest. Sie mußte ihn loslassen. Nathan war sofort in der Menge verschwunden.

»Was hab' ich dir gesagt?« rief Felix der verblüfften Florine ins Ohr und gab ihr den Arm.

»Komm,« sagte sie, »wer du auch seist, komm. Hast du einen Wagen?«

Statt jeder Antwort riß Vandenesse Florine mit sich fort und holte seine Frau an einer verabredeten Stelle in der Vorhalle ein. Der Wagen fuhr im Galopp davon, und nach wenigen Minuten langten die drei Masken bei der Schauspielerin an. Sie legte ihre Maske ab. Frau von Vandenesse konnte ein Zittern der Überraschung nicht unterdrücken, als sie Florine so sah, vor Wut erstickend, prachtvoll in ihrem Zorn und in ihrer Eifersucht.

»Hier ist«, sagte Vandenesse, »eine gewisse Mappe, deren Schlüssel dir nie anvertraut wurde. Darin müssen die Briefe sein.«

»Donnerwetter, das intrigiert mich! Du weißt etwas, was mich seit mehreren Tagen beunruhigt,« sagte Florine und stürzte in das Arbeitszimmer, um die Mappe zu holen.

Vandenesse sah seine Frau unter ihrer Maske erbleichen. Florines Schlafzimmer sagte das Weitere über die Beziehungen der Schauspielerin zu Nathan. Es war mehr, als eine ideale Geliebte hätte wissen mögen. Ein Frauenauge erfaßt die Wahrheit solcher Dinge im Fluge, und die Gräfin erkannte in dem gemeinsamen Haushalte einen Beweis mehr für das, was Vandenesse ihr gesagt hatte.

Florine kam mit der Mappe zurück.

»Wie soll man sie öffnen?« fragte sie.

Die Schauspielerin ließ sich das große Küchenmesser bringen, und als die Kammerzofe es brachte, schwenkte Florine es mit spöttischer Miene.

»Damit schlachtet man die Hühner,« sagte sie.

Dies Wort ließ die Gräfin erbeben. Es erklärte ihr noch besser als alles, was ihr Gatte ihr gestern gesagt hatte, in welchen Abgrund sie fast gestürzt wäre.

»Bin ich dumm,« rief Florine. »Mit seinem Rasiermesser geht's besser.«

Sie holte Nathans Rasiermesser und schlitzte die Falten des Maroquinleders auf. Aus der offenen Mappe quollen Maries Briefe hervor. Florine griff einen heraus.

»Ja, das ist wirklich von einer feinen Dame. Nicht ein Schreibfehler scheint drin zu sein.«

Vandenesse nahm die Briefe und gab sie seiner Frau, die auf einem Tisch feststellte, ob keiner fehlte.

»Willst du sie hierfür hergeben?« fragte Vandenesse und reichte Florine den Wechsel auf 40 000 Franken.

»Wie dumm, solche Scheine auszustellen! . . . Gut für Liebesbriefe,« sagte Florine, den Wechselbrief lesend. »Ha, das werd' ich dir anstreichen! Gräfinnen! Und ich machte mich derweil in der Provinz geistig und körperlich kaputt, um Geld für ihn aufzutreiben. Ich hätte mich wie ein Wechselagent abgequält, um ihn zu retten! So sind die Männer. Wenn man sich für sie kaputt macht, trampeln sie auf einem herum! Er soll es mir büßen.«

Frau von Vandenesse hatte sich mit den Briefen entfernt.

»He! Sag mal, schöne Maske! Laß mir einen, um ihn zu überführen.«

»Das ist nicht mehr möglich,« sagte Vandenesse.

»Warum nicht?«

»Die Maske ist deine frühere Nebenbuhlerin.«

»So. Dann konnte sie mir wenigstens Danke sagen!« schrie Florine.

»Wofür nimmst du denn die 40 000 Franken?« fragte Vandenesse und empfahl sich.

Es kommt äußerst selten vor, daß junge Leute, die einen Selbstmord versucht haben, ihn nochmals wiederholen, wenn sie die Schmerzen kennengelernt haben. Heilt der Selbstmord nicht vom Leben, so heilt er vom freiwilligen Tode. Auch Raoul hatte keine Lust mehr, sich umzubringen, als er sich in einer noch furchtbareren Lage sah, als die, aus der er sich hatte befreien wollen. Fand er doch seinen Wechselbrief an Schmuke in Florines Händen, die ihn offenbar vom Grafen Vandenesse hatte. Er versuchte die Gräfin noch einmal zu sehen, um ihr die Art seiner Liebe zu erklären, die in seinem Herzen stärker denn je lohte. Aber das erstemal, als die Gräfin ihn in Gesellschaft sah, warf sie ihm jenen starren, verächtlichen Blick zu, der zwischen Mann und Frau Abgründe aufreißt. Trotz seiner Selbstgewißheit wagte Nathan während der letzten Winterzeit nie mehr, mit der Gräfin zu sprechen noch an sie heranzutreten.

Nur Blondet schüttete er sein Herz aus. Er sprach von Frau von Vandenesse wie von Laura und Beatrix und erging sich über jene schöne Stelle aus der Feder eines der hervorragendsten zeitgenössischen Dichter: »Ideal, blaue Blume mit dem goldnen Herzen, deren Wurzelfasern, tausendfach feiner als das Seidengespinst der Feen, tief in unsre Seele tauchen und ihren reinsten Stoff trinken. Bittersüße Blume! Du läßt dich nicht ausreißen, ohne daß das Herz blutet, ohne daß rote Tropfen von deinem geknickten Stengel tropfen! Ach, verfluchte Blume, wie tief wurzelst du in meiner Seele!«

»Du faselst, mein Lieber,« sagte Blondet zu ihm. »Ich gebe dir zu, daß die Blume hübsch war, aber nicht ideal. Und statt wie ein Blinder vor einer leeren Nische zu singen, solltest du daran denken, dir die Hände zu waschen, um deinen Frieden mit der Regierung zu schließen und in geordnete Verhältnisse zu kommen. Du bist zu sehr Künstler, um Politiker zu sein. Mit dir haben Leute gespielt, die nicht an dich heranreichten. Denke daran, daß du weiter gespielt wirst, aber anderswo.«

»Marie kann mich nicht hindern, sie zu lieben,« sagte Nathan. »Ich will sie zu meiner Beatrix machen.«

»Mein Lieber, Beatrix war ein kleines Mädchen von zwölf Jahren, das Dante später nicht mehr gesehen hat. Wäre sie sonst Beatrix geworden? Um eine Frau zur Göttin zu erheben, dürfen wir sie nicht heute in einer Mantille, morgen im ausgeschnittenen Kleid und übermorgen auf dem Boulevard sehen, wo sie Spielsachen für ihren Jüngsten kauft. Wenn man Florine hat, die abwechselnd Komödienherzogin, Bürgerfrau im Drama, Negerweib, Marquise, Oberst, Schweizer Bäuerin und Sonnenjungfrau in Peru ist – ihre einzige Art, Jungfrau zu sein – so verstehe ich nicht, wie man sich mit vornehmen Damen einlassen kann.«

Du Tillet ließ, um den Börsenausdruck zu gebrauchen, Nathan ausschließen, und da dieser kein Geld hatte, trat er seinen Anteil an der Zeitung ab. Der berühmte Mann erhielt in dem Wahlkreis nicht mehr als fünf Stimmen, und der Bankier wurde gewählt.

Als die Gräfin von Vandenesse im folgenden Winter von einer langen schönen Reise nach Italien heimkehrte, hatte Nathan alles wahrgemacht, was Felix vorausgesehen hatte. Auf Blondets Rat hin verhandelte er mit der Regierung. Die persönlichen Angelegenheiten des Schriftstellers waren in derartiger Unordnung, daß Gräfin Marie ihren alten Anbeter eines Tages in den Champs Elysées zu Fuß im traurigsten Aufzuge sah; Florine hing an seinem Arm. Ist schon ein gleichgültiger Mann in den Augen einer Dame ziemlich häßlich, so erscheint ein nicht mehr geliebter vollends abstoßend, zumal wenn er Nathan ähnelt. Frau von Vandenesse schämte sich bei dem Gedanken, daß sie sich für Raoul interessiert hatte. Wäre sie nicht ohnedies von jeder außerehelichen Neigung geheilt gewesen, so hätte der Kontrast zwischen dem Grafen und jenem Manne, der schon in der öffentlichen Gunst gesunken war, hingereicht, um ihrem Gatten den Vorzug vor einem Engel zu geben.

Heute hat dieser Streber, der so reich an Tinte und so arm an Willen ist, kapituliert und sich wie ein Durchschnittsmensch ein bequemes Pöstchen verschafft. Nachdem er alle zerstörenden Tendenzen unterstützt hat, lebt er friedlich im Schatten eines ministeriellen Blättchens. Das Kreuz der Ehrenlegion, über das er so oft hergezogen ist, ziert sein Knopfloch. Der Friede um jeden Preis, den er in der Redaktion seines revolutionären, Blattes aufs Korn genommen halte, ist jetzt der Gegenstand seiner Lobeshymnen. Das Erbrecht, das er in seinen Saint-Simonistischen Phrasen so angegriffen hatte, verteidigt er jetzt mit der Autorität der Vernunft. Dies unlogische Benehmen hat seinen Grund und Ursprung in dem Frontwechsel einiger Leute, die während der letzten politischen Entwicklung so gehandelt haben wie Raoul.

 


 


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