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Anhang.
Italienische Stellungnahmen zum Antisemitismus

*

39.
Cesare Lombroso

Es ist in jüngster Zeit von vielen bedeutenden Männern über den Antisemitismus geschrieben worden, und ich dachte, es müßte doch von hohem Interesse sein, diese Frage einmal vom rein wissenschaftlichen Standpunkte aus beleuchtet zu sehen. Ich wendete mich zu diesem Zwecke an mehrere hervorragende Gelehrte, welche in Italien, also in einem Lande leben, in dem es keinen Antisemitismus gibt, und welche daher, auf neutralem Boden und dieser bedauerlichen Erscheinung unseres Jahrhunderts völlig fern stehend, als unbefangene Beobachter ein unparteiisches Urtheil zu fällen vermögen. Ich wendete mich zuerst an den berühmten Anthropologen in Turin, um dessen Ansicht über den Antisemitismus, vom psychologischen und ethischen Standpunkte betrachtet zu erbitten. Ich wendete mich mit Vorliebe vorerst an Lombroso, weil mir dessen große Gerechtigkeitsliebe ebenso bekannt ist als dessen unbedingte Objectivität und ehrliche Offenheit in der Lösung wissenschaftlicher und socialer Probleme. Meine ihm vorgelegten Fragen bezogen sich auf die Ursachen der Entstehung, auf die Bedeutung und die Folgen des Antisemitismus, sowie auf eventuelle Mittel zur Bekämpfung desselben.

 

Der erste Eindruck, den jeder Denker empfängt, der sich mit der Frage des Antisemitismus befassen soll, ist ein Gefühl tiefen Abscheues, ähnlich demjenigen des Physiologen und des Pathologen, der gezwungen ist, die ekelerregendsten menschlichen Secretionen zu untersuchen. Aber so wie diese von der Wissenschaft nicht übergangen werden können, so kann und darf der Sociologe jene Frage nicht vernachlässigen, ja er muß sie im Gegentheile eingehend studiren, vorerst, weil derartige außergewöhnliche Erscheinungen, wenn sie einen so großen Umfang annehmen, stets der Beachtung werth sind, und weil zweitens solche Anomalien, mögen sie uns auch noch so widerwärtig und verabscheuungswerth erscheinen, ihr Entstehen und die Möglichkeit ihres Bestehens stets irgend einem Gesetze verdanken. Und so muß denn der Mann der Wissenschaft seinen Abscheu unterdrücken und an die Lösung der Probleme gehen.

Welches sind die Ursachen des Phänomens, das wir Antisemitismus nennen?

Ich will versuchen, diese Frage eingehend zu beantworten. Diejenige Ursache, welche man bisher allgemein als die einzige oder doch als die Vorherrschende betrachtete, ist die ethische: die Verschiedenheit, die Disaffinität der Racen, besonders da, wo die Annäherung der beiden Geschlechter nicht durch Misch-Ehen, durch gemeinsame Interessen oder durch fortgesetzte gegenseitige Berührung begünstigt worden ist.

Diese Ursache ist jedoch nicht maßgebend, denn man findet derartige Ungleichheiten der Racen in noch weit höherem Maße bei Völkern, welche mit einander politisch verschmolzen sind, ja man kann sogar sagen, daß es in Europa kein Land gibt, das nicht solche Verschmelzungen von unter einander vollkommen verschiedenen Völkerstämmen aufzuweisen hätte. Dies zeigt sich schon in der allgemein vollzogenen Kreuzung der Brachykephalen mit den Dolichokephalen. Und in Frankreich finden wir die keltische mit der baskischen, der lateinischen und der germanischen Race vermischt, in England die keltische mit der anglo-sächsischen und mit der lateinischen u. s. f.

Es müssen ganz andere Ursachen geltend gemacht oder doch wenigstens der genannten hinzugefügt werden. Vor Allem sind es zwei Ursachen atavistischer Natur, die in Betracht gezogen werden müssen und die sehr schwer ins Gewicht fallen. Die erste findet ihren Grund in dem Wohlgefallen, welches das Gefühl der Ueberlegenheit über Andere in uns erzeugt und das man in unserem Falle einen Ueberrest aus der einstigen Herrschaft des freien Ariers über die sklavischen Völker nennen kann, ein Gefühl, das sich verdoppelt, wenn es zum Nationalgefühl wird, weil es das natürliche Widerstreben des Einzelnen, sich über Seinesgleichen erhaben zu zeigen, zunichte macht und im Zusammenwirken der Menge in verstärktem Maße und uneingeschränkt zur Wirkung kommt.

Auf diese Weise läßt sich auch der gegenseitige Haß der Polen und der Russen erklären. Diese gefallen sich in der Oberherrschaft über Jene, sie glauben an eine thatsächliche, an eine angeborene Ueberlegenheit ihrer Race über die andere. Um diese ganz begreifen zu können, braucht man sich nur des Brahminen zu erinnern, in dessen Augen der Sudra zum Verbrecher wird, sofern dieser ihn nur zu berühren wagt, oder man braucht nur zu lesen, was die Gelehrten Englands schon vor Gladstone über die Irländer geschrieben haben, die sie für absolut uncivilisirbar erklärten. Und auf der andern Seite haben wir wieder die Verachteten, Unterdrückten, die sich natürlicherweise gegen derartige Ungerechtigkeit empört auflehnen, bis der Haß gegenseitig zum tödtlichen Gifte wird.

Eine weitere Ursache hängt mit der Aufhäufung von Erinnerungen zusammen und besteht, in dem Hasse der alten Römer gegen das hebräische Volk, welches vor allen anderen ihnen Widerstand zu leisten wagte, ein Haß, der noch wuchs, als die Römer mit dem Entstehen des Christenthums auf religiösem Gebiete die Oberhand gewannen. Und dieses Gefühl des Hasses verhundertfachte sich im Mittelalter, als die clericale Kaste, welche die Herrschaft über den europäischen Geist an sich gebracht hatte, dasselbe zur Pflicht und zum Ritus machte.

So ist es denn nicht zu verwundern, daß ganz Europa uneingeschränkt und rücksichtslos an einer Verfolgung theilnahm, die nicht nur die Freude am Bösen gewährte und das begreifliche Vergnügen leicht zu erringender Bereicherungen, sondern außerdem noch als verdienstvolles Werk gepriesen ward, und daß sich die Spuren eines so heftigen Hasses bis auf den heutigen Tag in Folge der hereditären Fortpflanzung erhalten haben. Und je unbewußter jenes Gefühl in den Nachkommen der Verfolger zum Ausbruche kam, um so intensiver wurde es. Zu alledem füge man noch die abgesonderten Quartiere hinzu, die Verschiedenheit der Gebräuche, der Speisen, der Dialekte, die Concurrenz im Handel, die häufig zu Eifersucht und Neid Anlaß gab, Umstände, die dazu beitrugen, die wirkliche und die scheinbare Ungleichheit zwischen Juden und Andersgläubigen zu erhöhen und bei einzelnen Personen die Herabwürdigung und Unterdrückung der Juden wünschenswerth und nützlich erscheinen zu lassen. Und schließlich darf auch die psychische Epidemie nicht unberücksichtigt bleiben, welche zur Aneiferung und Erhöhung des Hasses und zur Verbreitung und Uebertreibung aller märchenhaften Ueberlieferungen im Volke jederzeit in so hohem Maße beigetragen hat.

Doch auch die Juden selbst vermag ich nicht völlig freizusprechen von der Schuld am Antisemitismus, und das Verhalten eines Theiles von ihnen hat demselben zweifelsohne Nahrung gegeben. Ich möchte hierbei nicht mißverstanden werden. Den Juden ist weder Talent noch Feingefühl abzusprechen, im Gegentheil; aber die durch Jahrhunderte fortdauernde und immer allgemeiner gewordene Gewohnheit der Juden, sich nahezu ausschließlich dem Handel zu widmen, hat in ihnen jenen gewissen Grad von Schlauheit und Ueberlegenheit, sowie jene geringe körperliche Energie hervorgerufen, die, mehr oder weniger, allen Handelsleuten gemein ist. Und da das ungebildete Volk diese Eigenschaften bei den Juden in hervorragender Weise ausgebildet sieht, bemerkt es nicht, daß dieselben allen Kaufleuten eigen sind, und hält sie für besondere Merkmale der Juden. Dazu kommt noch die Häufigkeit der durch die bei den Israeliten üblichen Heiraten zwischen Blutsverwandten verursachte Degeneration, die wohl oftmals Genies hervorbringt, aber andererseits auch häufig nervöse, skrophulöse oder schwächliche Menschen. Man darf ferner des Umstandes nicht vergessen, in welch einem bedauerlichen, aber auch ekelerregenden Zustande gänzlicher körperlicher Verwahrlosung die armen Juden, besonders im Orient und in Rußland, leben und ihre sonderbare Vorliebe für alles Alte, sowie ihr in gewisser Hinsicht übertriebener Conservativismus (man denke hierbei nur der mittelalterlichen Gebräuche und Kleidungen der Juden in Spanien und im Orient und der religiösen Bedeutung, die sie jenem starrköpfigen Festhalten an den alten Gewohnheiten beilegen), welcher mit der bei ihnen fast ebenso häufigen großen Vorliebe für Neuerungen und für fortschrittliche Bestrebungen überaus seltsam contrastirt.

Zu diesem äußerlichen kommt noch der religiöse Conservativismus, der sich nicht auf die Hauptzüge der jüdischen Religion beschränkt, sondern über alle Riten ausdehnt, die sich längst überlebt haben. So wie alle Religionen mit der Zeit entstellt werden, so hat auch diese uralte Religion auf ihren schönen monotheistischen Grundlinien eine Unmenge von rituellen Gebräuchen aufgehäuft, welchen die Bigotterie viel mehr Bedeutung beilegt, als ihren eigentlichen ethischen Grundzügen. Und dadurch, daß diese Gebräuche von denjenigen der Völker, in deren Mitte die Juden leben, so sehr abweichen, geben sie selbstverständlich der großen Menge zur Anfeindung Anlaß, insbesondere in Folge der übertriebenen Bedeutung, welche die Juden jenen veralteten Riten beilegen.

Schließlich sei noch das anmaßende Auftreten eines Theiles der Juden erwähnt, eine leicht erklärliche Eigenschaft, die allen jenen Erdensöhnen eigen ist, die lange Zeit hindurch geknechtet waren, und die von dem Augenblicke an, da sie freie Menschen geworden sind, das natürliche Bedürfniß fühlen, sich über die Anderen zu erheben, ihre Vorzüge bemerkbar und ihre Ueberlegenheit geltend zu machen, sei es durch hervorragende Geistesfähigkeiten, sei es durch Aeußerlichkeiten aller Art. Diese lassen sie in den Augen ihrer Mitmenschen widerwärtig erscheinen, weil eben stets Jene, die über die Anderen emporzuragen gewohnt sind, es nicht sehen wollen, daß Andere es ebenso machen wie sie.

Man darf aber nach all dem Gesagten durchaus nicht vergessen, daß diese unsere Brüder, mögen sie uns auch noch so antipathisch erscheinen, Menschen sind, die durchaus nicht zurückgesetzt, noch ungerechterweise verkannt werden dürfen, denn sie besitzen auch seltene Eigenschaften, die ihren Mitmenschen schon so manchen Vortheil brachten, und ihr Charakter ist in Folge der steten Verfolgung geläutert und gestählt worden. Sie brachten uns trotz ihres lächerlich übertriebenen prähistorischen Conservativismus, Dank der durch die Verfolgungen erlangten und durch die Ehen zwischen Blutsverwandten übertragenen Neurosen, als Früchte ihrer sehr eifrigen intellectuellen Beschäftigungen wahrhaft geniale Schöpfungen und Neuerungen. Sie haben uns den Mosaismus gegeben, der zu jenen Zeiten vollkommen genannt werden konnte, das Christenthum, das, wie man nicht übersehen darf, die Theorien unserer Socialisten bedeutend beschleunigt, ja sogar übertroffen hätte, wenn dessen Lehren im strengen Sinne befolgt und angewendet worden wären, und endlich den Socialismus. Wir finden unter den Israeliten berühmte Politiker und Sociologen, wie Marx, Lassalle, Disraeli. In der Philosophie haben wir ferner Spinoza, in der Dichtkunst Heine, in der Musik Halévy, Meyerbeer, Mendelssohn, Bizet, in der Medicin Casper, Schiff, Valentin, Traube, Fränkel, Cohnheim u. s. w. Wir finden, kurz gesagt, unter den Juden eine verhältnismäßig höhere Anzahl von intellectuellen Schöpfern, als unter den Völkern, in deren Mitte sie leben.

Wie diese Ueberlegenheit entstanden ist, habe ich in meinem Werke »Pensiero e meteore« dargethan. Einige der Ursachen seien hier genannt: die klimatischen Einflüsse, hervorgerufen durch die Uebersiedlung von einem Lande in das andere; die Verfolgungen und Unterdrückungen, welchen gar bald alle Jene zum Opfer fielen, die nicht kräftig und klug genug waren; die durch geistige Ueberarbeitung hervorgebrachte Neurose, welche zur Folge hatte, daß so überaus zahlreiche Juden dem Irrsinn verfielen. Hierüber möchte ich einige Worte sagen.

Die Zahl der irrsinnigen Israeliten übersteigt diejenige ihrer katholischen Mitbürger im Durchschnitte um das Dreifache, in vielen Gegenden sogar um das Sechsfache. In den Irrenhäusern Bayerns beispielsweise kommen 10 Wahnsinnige auf 10 000 Christen, während sich das Verhältniß bei den Juden wie 25 zu 10 000 stellt. Dieses Mißverhältniß wird um so sonderbarer erscheinen, wenn man bedenkt, daß, wenn auch die Semiten zumeist ein hohes Alter erreichen, in welchem der so häufig zum Wahnsinn führende geistige Verfall vorherrscht, andererseits bei ihnen die Alkoholisten äußerst selten sind.

Aller dieser traurigen, fatalen Umstände haben die Koriphäen des Antisemitismus – eine Schmach für das gegenwärtige deutsche Reich – sicherlich nicht gedacht, als sie die Verfolgung der Semiten mit Feuereifer predigten. Sie hätten doch sonst kaum diesem armen Volke seine Erfolge mißgönnt und über dieselben gezetert, wenn sie bedacht hätten, mit wie viel Elend und Unbill es seine Errungenschaften noch heutigen Tages bezahlen muß, der tragischen Begebenheiten vergangener Zeiten gar nicht zu gedenken, während welcher es ohne Blutvergießen niemals abging. Trotzdem aber waren die alten Juden nicht unglücklicher und beklagenswerther als ihre Nachkommen von heute, die ihre ruhmhaften geistigen Errungenschaften, um dieser selbst willen, auf so schwere und furchtbare Weise büßen müssen, ohne die schöne Genugthuung, wie zu jenen Zeiten, durch ihre Opfer zu den edelsten aller Selectionen unter den Racen beigetragen zu haben.

Wenn ich mir vergegenwärtige, welch sonderbare Früchte der Antisemitismus in civilisirten Ländern zeitigt – ich erwähne nur das Vorurtheil, welches den hervorragenden jüdischen Medicinern in Deutschland verbietet, Ordinarien zu werden, blos weil sie semitischer Abstammung sind, gleichsam als gäbe es eine hebräische und eine protestantische Cellular-Theorie, oder als ergäbe das Secirmesser eines Juden ein anderes anatomisches Resultat als dasjenige eines Christen – so frage ich mich unwillkürlich, ob wir denn auch wirklich schon über das Mittelalter hinaus sind, oder ob viele unserer Gebräuche nicht barbarischer sind als die Gebräuche der damaligen Zeit.

Die politischen Pseudo-Anthropologen, die sich Antisemiten nennen, sagen, sie schlügen blos deßhalb so viel Lärm, weil sie verhindern wollen, daß man die germanische Race verunziere und schände. Das sind, sehr gelinde gesagt, Chauvinismen, die weit schlimmer sind als diejenigen der Franzosen, jedweder historischen und experimentalen Basis entbehren und viel Aehnlichkeit haben mit jenem Wahn der »Adeligen«, die ihr Geschlecht zu verderben glauben, wenn sie sich mit »Bürgerlichen« verehelichen, während gerade umgekehrt die Ehen zwischen Adeligen den Heiraten zwischen Blutsverwandten nahezu gleichkommen und Entartungen nach allen Richtungen zur Folge haben.

Wie ich schon öfters nachgewiesen, gibt es in Europa keinen auf einer höheren Stufe der Cultur stehenden Völkerstamm, der nicht gemischt wäre, und ich darf wol mit voller Sicherheit behaupten, daß in den wenigen Fällen, in welchen ich aus dem Studium der Hirnschädel die vollständige Einförmigkeit der Race constatirt habe, der Grad der Intelligenz ein bedeutend geringerer ist, als bei den gemischten und gekreuzten Stämmen. Ich erwähne nur die Abyssinier und die Sarden, deren Schädel einander gleichen, wie ein Ei dem andern, sicherlich, weil es in diesen Ländern keine ethnischen Verschiedenheiten gibt oder weil dieselben durch den ethnischen Grundtypus absorbirt worden sind. Die Sarden beispielsweise stehen auf einer weit tieferen Stufe der Intelligenz und Civilisation als die Sicilianer. Selbst die Bevölkerung Wiens, einer Stadt, in der ich viele Jahre gelebt, hat durch den Einfluß der slavischen Racen nur Vortheile gewonnen.

Nicht verhindern soll man also die Misch-Ehen, sondern unterstützen und begünstigen in jeder Weise. Der Kreuzung der Racen haben wir jederzeit große Männer zu verdanken gehabt. Es genügt hiebei, daß die Kreuzung eine klimatische sei, d. h. verursacht durch die unter dem Einflusse eines anderen Klimas erfolgte Veränderung einer Race. Derartige Fälle konnte man in der Schweiz gelegentlich der zahlreichen Einwanderungen aus Italien und Frankreich wahrnehmen, und man kann sagen, daß diese Emigranten – Opfer der confessionellen Reformen – es waren, welche der Schweiz deren wirklich bedeutende Männer gegeben haben.

Man vergesse nicht, eine weitere bekannte Thatsache in Betracht zu ziehen. Dort, wo es keine Judenverfolgungen gibt, der Jude also vollkommen gleichberechtigt ist mit seinen Mitbürgern, wie in England und Holland beispielsweise, dort, wo er alle seine Fähigkeiten in jeder Weise voll zur Geltung bringen kann, da wirft er sich mit dem Eifer, welchen der Mensch den ehedem verbotenen Dingen entgegenbringt, in die Arme der Politik, der Erziehung, des Heerwesens u. s. w., und verläßt zum großen Theile das Gebiet des Handels und besonders dasjenige der Finanz-Speculationen, ein Gebiet, das ihm den Haß, den Neid und die Mißgunst seiner Mitmenschen zugezogen, und er verdient – was ganz besonders in Betracht zu ziehen ist – viel weniger Geld als in den anderen Ländern. Dadurch gibt er seinen Mitmenschen keinen Grund zum Neid und zur Mißgunst und befreit sie vor der Furcht, daß das semitische Volk mit Hilfe seines Reichthums die anderen Racen überflügeln könnte.

Der wirkliche Shylock, der echte alte Hebräer sehnt sich wol zurück nach seinen alten Ghettos, in welchen er seine Gelder zusammenscharrte und aufhäufte, er beklagt es, daß heute die Söhne seines Stammes weniger dem Golde als dem Ruhme nachgehen. Deßhalb würde auch der Antisemitismus, wenn er von Erfolg gekrönt wäre, ein vollkommen entgegengesetztes Ziel erreichen als dasjenige, auf welches er lossteuert, nämlich auf die Machteinschränkung der Juden in finanzieller Hinsicht. Es sei denn, man vernichte die ganze Race durch Feuer und Schwert! Aber die Juden verfolgen, ihnen die Wege der Politik, der Wissenschaft, der Kunst versperren, das ist zumindest thöricht, weil man ja dadurch nur dazu beiträgt, ihre commerziellen Fähigkeiten immer mehr auszubilden und zu verschärfen und ihren Starrsinn und ihre Beharrlichkeit in Bezug auf rituelle und historische Gebräuche und Gewohnheiten zu bekräftigen, denn diese Gebräuche und Eigenthümlichkeiten würden mit der Zeit vollständig verschwinden, wenn man die Kreuzung und die Gleichberechtigung der Semiten mit den anderen Völkerstämmen begünstigen würde.

Ich glaube, daß mit dem Aufhören des Antisemitismus auch der Typus des wahren Hebräers nach einigen Jahrhunderten gänzlich verschwinden oder sich doch nur auf vereinzelte uncivilisirte Länderstriche beschränken würde. Aber, wird man fragen, wird der Antisemitismus je zu bestehen aufhören? Es ist traurig, es sagen zu müssen: aller Wahrscheinlichkeit nach nein! Denn der Antisemitismus ist, wie bereits erwähnt, eine atavistische Erscheinung, die den grausamsten und erbärmlichsten Leidenschaften, deren der Mensch fähig ist, ihr Entstehen verdankt. Und die Fortschritte der Cultur werden leider keinen großen Einfluß zu Ungunsten dieser traurigen Bewegung auszuüben vermögen, weil eben nicht das Erkenntnißvermögen, sondern ausschließlich die blinde Leidenschaft die Triebfeder des Antisemitismus ist.

Auch die neuen, auf der Grundlage des allgemeinen Wahlrechtes errichteten Staatsformen, welche die Uebermacht der unteren Schichten über die intellectuell höher stehenden Classen zur Folge haben, begünstigen den Antisemitismus, und wie man in Folge althergebrachter Vorurtheile dem Geburtsadel ungerechterweise den Vorzug gegenüber den Bürgerlichen gibt, so wird man bei politischen Wahlen aus doppelten Gründen stets alle anderen Candidaten den Juden vorziehen, selbst wenn diese höher anzurechnende Eigenschaften und Befähigungen aufzuweisen haben. Und so wird es kommen, daß alle Jene, welche sich der Waffe des Antisemitismus zu bedienen verstehen, mögen es auch geistig beschränkte, unzurechnungsfähige und verkommene, charakterlose Menschen vom Schlage eines Ahlwardt sein, ja selbst noch brutalere als dieser, von der Menge stets mit offenen Armen freudig aufgenommen werden.

Nach dem Gesagten wären wir demnach zu dem Schlusse gekommen, daß es eigentlich keine Möglichkeit gäbe, den Antisemitismus auf rationelle Weise aus der Welt zu schaffen.

Der einzige noch denkbare Ausweg bestünde meiner Ansicht nach darin, daß sich die gebildeten, geistig bevorzugten Israeliten und Christen zur Verschmelzung ihrer Religionen zu einer neuen Religion vereinigten, welche weder die vaticanische noch die ursprüngliche mosaische wäre, sondern eine Religion, welche die neuen naturwissenschaftlichen Errungenschaften respectirte und auf ihre Flagge die neuen socialistischen Ideen und Grundsätze schriebe, die schon durch Jesus Christus angedeutet und angestrebt worden waren. Mit wenigen Worten: Man begründe ein socialistisches Neo-Christenthum, zu welchem sowol die Juden, die heute noch zum Theile an die alten Religionsgebräuche gebunden sind, als auch die Christen, befreit von ihrem Hasse gegen die Ersteren und von Vorurtheilen und Aberglauben, zwanglos und ohne Scheu übertreten könnten.

Aber das ist wol eine Utopie, zu deren Verwirklichung noch nicht einmal die allerersten Anzeichen sichtbar sind.

*

40.
Enrico Ferri

Der Antisemitismus ist eine Form der socialen Psychopathologie, die in wenigen Jahren eine ganz außerordentliche Ausbreitungsfähigkeit gezeigt hat und die, von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, mit keiner andern Bewegung der gegenwärtigen Zeit verglichen werden kann, als mit dem stürmisch fortschreitenden Socialismus, mit welchem sie enger verknüpft ist, als man allgemein annehmen mag.

Wenn man jedoch von »Antisemitismus« spricht, sei es, um die Ursachen desselben zu erforschen oder um auf die Bekämpfungsmittel hinzuweisen, so ist es, meiner Ansicht nach, von größter Wichtigkeit, in erster Linie eine Unterscheidung zu machen in Bezug auf den Antisemitismus, eine Unterscheidung, die ich selbst bei den neueren Beobachtern dieser außergewöhnlichen Form epidemischer Psychose vermißt habe, welche in vieler Hinsicht an die mittelalterlichen Formen religiösen Wahnsinns gemahnt, den die Massen gegenüber den Hexen und den vom Teufel Besessenen bekundeten.

So hat beispielsweise weder Cesare Lombroso in seinem im Juni dieses Jahres in diesem Blatte veröffentlichten höchst genialen Artikel noch Sidney Whitman in einem im diesjährigen Mai-Hefte der Contemporary Review enthaltenen Aufsatze, indem sie nach den Ursachen des Antisemitismus forschen, eine Unterscheidung der beiden Formen wahrgenommen, die, wie ich glaube, stets beim Studium der Kundgebungen der socialen Psychose gemacht werden muß.

Jede große Collectiv-Bewegung in der menschlichen Gesellschaft, welcher Ideen oder Gefühle zu Grunde liegen, nimmt immer zwei bestimmte Formen an, welche nicht selten blos zwei verschiedene Stärkegrade einer und derselben Erscheinung sind, oftmals aber auch auf verschiedene Ursachen zurückgeführt werden müssen und eine von einander verschiedene Entwicklung zeigen.

Spricht man beispielsweise von der französischen Revolution zu Ende des vorigen Jahrhunderts oder von der italienischen revolutionären Bewegung in der Mitte unseres Jahrhunderts, vom Socialismus und vom Antisemitismus am Ende dieses Jahrhunderts, so muß man jedesmal eine spontane und eine reflexive Form dieser großen Social-Psychosen unterscheiden.

Nehmen wir die beiden gegenwärtigen in vieler Beziehung parallel laufenden Phänomene des Socialismus und des Antisemitismus, so sehen wir thatsächlich, daß man sowol von der einen als von der anderen Bewegung behauptet, sie wären erst vor wenigen Jahren entstanden. Das ist wol richtig bezüglich ihrer reflexiven Form, aber ganz unzutreffend in Bezug auf ihre spontane Form.

Dies läßt sich übrigens auf ein allgemeineres sociologisches Gesetz zurückführen, welchem zufolge die verschiedenen Formen des socialen Organismus, sowol auf materiellem als auf geistigem Gebiete, nicht, wie man allgemein glaubt, durch vollständige oder durch monolithische Substitution auf einander folgen, sondern stets gleichzeitig bestehen und nur, eine nach der anderen, stufenweise einen bestimmten Grad von Ueberlegenheit erlangen.

Jedermann weiß, um ein Beispiel zu nennen, daß die menschliche Familie verschiedene Evolutionsformen durchschritten hat. Vom primitiven und prähistorischen sexuellen Communismus, in welchem es eine Familie im Sinne eines fortdauernden Zusammenlebens nicht gab, ging man zur Polyandrie über, das heißt zu der Familie, bestehend aus mehreren Männern und einer gemeinschaftlichen Gattin, die das Familienhaupt war und den von ihr abhängigen Männern ihren Namen und ihr Patrimonium gab. Dieser Form folgte die Polygamie, die aus mehreren Weibern und einem Manne bestehende Familie, in welcher dieser zum Oberhaupte der socialen Zelle wurde; dem Matriarchate folgte also das Patriarchat, das heute noch bei mehreren orientalischen Völkern fortbesteht. Endlich haben wir die Monogamie, die eheliche Vereinigung eines Mannes mit einem Weibe, die in socialer und in physio-psychologischer Hinsicht vollkommenste Form der menschlichen Familie mit mehr oder minder großer Freiheit des ehelichen Bandes.

Diese Aufeinanderfolge der familiären Formen ist jedoch eine einigermaßen künstliche und scholastische und darf nicht buchstäblich genommen werden in dem Sinne, daß die eine Form durch die andere vollständig ersetzt worden sei, etwa wie bei der Aufeinanderfolge der Acte eines Dramas nach jedem Aufziehen des Vorhanges.

In Wirklichkeit haben alle Formen der familiären Constitution immer neben einander bestanden, und das ist auch heute noch so, gemäß den Gesetzen oder gegen dieselben, es ist ein unleugbares sociales Factum. Wie in längstvergangenen Zeiten, leben auch heute noch Männer und Weiber mit einander in sexueller Gemeinschaft und dies in mehr oder weniger heimlicher Weise. So gibt es Frauenspersonen, die mehrere mehr oder weniger permanente Liebhaber haben (Polyandrie) und umgekehrt, sei es auch gegen das Gesetz (Polygamie), was nicht ausschließt, daß heute die Monogamie die vorherrschende Form der Familie ist, wenigstens gemäß dem Bürgerlichen Gesetzbuche. Andererseits wieder ist es eine Thatsache, daß in den Ländern und in den Zeiten, in welchen beispielsweise die Polygamie die gebräuchlichste Form war, auch nebenbei die Monogamie bestanden hat, ungeachtet ihrer geringen socialen und legalen Wichtigkeit.

Dieses sociologische Gesetz gilt für jedwede Manifestation der großen socialen Vereinigungen, zu welchen eben der Antisemitismus gehört.

Man darf also nicht glauben, daß der Antisemitismus vor fünfzehn Jahren etwa plötzlich entstanden sei wie ein Schwamm, der nach ausgiebigem Sommerregen plötzlich aus der Erde emporschießt. Richtig ist vielmehr, daß erst seit einigen Jahren, kurz nachdem der preußische Geschichtsschreiber Treitschke im Jahre 1879 die Bewegung prophezeit hatte, die reflexive Form des Antisemitismus entstanden ist und sich rasch entwickelt hat, daß aber der Kern, das Substrat des Antisemitismus, bereits seit Jahrhunderten bestanden hat, wenn auch blos in einer rudimentären, instinctiven, in socialer Hinsicht unbewußten Form.

Das Gleiche gilt für den Socialismus.

Beide, der Antisemitismus wie der Socialismus, als psychische Collectiv-Bewegungen betrachtet, die es sogar bis zur Organisation einer politischen Partei gebracht haben, bestehen wol erst seit wenigen Jahren; aber der Antisemitismus in seiner Form als Haß gegen die Juden und der Socialismus als Protestation gegen den übertriebenen Reichthum auf der einen und das übermäßige Elend auf der andern Seite, bestehen schon seit sehr langer Zeit als vereinzelte und als verbreitete Empfindungen, die bislang sporadisch aufgetreten sind und sich erst in den letzten Jahren in dem Collectiv-Bewußtsein geltend machen und befestigen konnten; ebenso wie im individuellen Organismus gewisse nervöse Phänomene in unbewußter oder in einer dem Bewußtsein der zerstreuten Centren oder dem Rückenmarke unterworfenen Reihenfolge sich festsetzen und nicht bis zum Bewußtsein der cerebralen Functionen gelangen.

*

Diese Unterscheidung zwischen der spontanen, instinctiven, unbewußten und sozusagen sporadischen Form des Antisemitismus, die seit Jahrhunderten besteht, aber im Stadium eines unbestimmten und weniger intensiven Gefühles stehen geblieben ist, und der reflexiven, bewußten, epidemischen Form des Antisemitismus, die erst seit wenigen Jahren das Stadium einer bestimmten Idee und sogar eines politischen Programms erreicht hat, dient nicht nur dazu, die Diagnose über die Ursachen des Antisemitismus zu vervollständigen, sondern auch, um der Prognose über dessen muthmaßliche Evolution in der nächsten Zeit den Weg zu bahnen.

Die vorwiegendsten Ursachen, die von den Beobachtern des Antisemitismus angeführt wurden, sind folgende:

Die Racenverschiedenheit zwischen den Juden und den Europäern des indogermanischen Stammes, die auch in dem verschiedenen physiognomischen Typus einen leicht begreiflichen Stützpunkt und Ausgangspunkt für die Empfindung der Abneigung bietet;

die Religions-Verschiedenheit oder besser die religiöse Verwandtschaft, denn man weiß, daß der Haß zwischen Verwandten immer furchtbarer ist als zwischen Nichtverwandten;

der Neid wegen der aufgehäuften Reichthümer der Juden, die in Folge ihrer höheren Intelligenz, Schlauheit und physio-psychologischen Widerstandsfähigkeit die mittelalterlichen Verfolgungen zu überleben vermochten;

die Eifersucht wegen der höheren intellectuellen Stärke und der beharrlichen Willenskraft, welche die Juden als eine durch die künstlichen Selectionen der Verfolgungen epurirte Race in fast allen Zweigen des menschlichen Wissens und Wirkens, vor Allem aber in den finanziellen Unternehmungen, bekunden;

die Antipathie gegen so manche Gewohnheiten und Eigenheiten der Juden, welche eben deren Fehler in ihren natürlichen Fähigkeiten und das historische Ergebniß des Lebens darstellen, zu dem sie durch Jahrhunderte verdammt waren. Zu diesen besonderen Eigenheiten gehören: das nicht seltene Fehlen an persönlichem Muthe, der Geiz, die Erfahrung im Wucher, die Solidarität unter einander gegenüber den Andersgläubigen, gewisse familiäre und persönliche Gebräuche u. A. m.

Diese Ursachen erklären allerdings zur Genüge das Bestehen des Antisemitismus in seiner spontanen und vereinzelten Form, aber sie geben keine genügende Erklärung für dessen reflexive, collective und politische Form. Sie geben uns höchstens einen Beweis für dessen ungeheuer rapide und stürmische Entwicklung; denn ein weiteres sociologisches Gesetz lautet dahin, daß keine psychische Collectiv-Bewegung eine umwälzende Kraft erlangen kann, wenn sie nicht durch Gefühle und Empfindungen genährt wird, die vielleicht unbemerkt und nur schwach wirken, aber sehr verbreitet sind und seit langer Zeit in der Seele der einzelnen Individuen Wurzel gefaßt haben.

Trotzdem braucht es, damit diese Empfindungen das sporadische, individuelle Stadium überschreiten und eine collective, kräftige, epidemische Form annehmen, irgend einer andern Ursache als der genannten, einer Ursache, welche die vorhin erwähnte Diagnosis noch nicht genügend zu erklären vermocht hat.

Diese specifische Ursache jenes Antisemitismus, den wir den politischen Antisemitismus nennen wollen, muß man, meiner Meinung nach, jener Art geistiger Strategie zuschreiben, ohne welche sich oftmals die rasche Verbreitung so mancher socialen Bewegung nicht erklären ließe.

Ich möchte zum besseren Verständniß dieser Behauptung ein Beispiel aus meinen besonderen Studien über Criminal-Sociologie nehmen.

Ein wirklich seltsames historisches Phänomen unserer Zeit ist der enorme Erfolg, den die Systeme der Zellengefängnisse seit ungefähr fünfzig Jahren aufzuweisen haben. Denkt man nur ein wenig darüber nach, so wird man sicherlich sofort die ganze Absurdität eines solchen socialen Vertheidigungsmittels gegen die Delinquenten begreifen, und daß sich kein größerer Widerspruch denken ließe, als eben dieses System gegenüber den Zwecken, die ihm zugeschrieben werden. Man sagt, man wolle die moralische Besserung des Schuldigen vollziehen und kerkert einen Menschen in einer Zelle ein und verdammt ihn so für Monate und Jahre zu einer vollständigen Isolirung. Da aber der sociale Instinct eine der fundamentalsten Empfindungen des menschlichen Gemüthes und der Urquell jedes sittlichen Gefühles im Menschen ist, wie kann es also möglich sein, einen Menschen dadurch zu bessern, daß man ihn der menschlichen Gesellschaft entzieht?! Die einzige sichere Wirkung der Zellen-Absonderung besteht – möge dies auch noch so oft officiellerseits geleugnet werden – im Stumpfsinne und im Siechthum.

Und wie kann man wol hoffen, daß ein Mensch, nachdem er in einem derartigen Zustande Jahre hindurch lebendig begraben gewesen und sich physisch und geistig aufgelöst hat, sich dann, nach Ablauf der ihm zugeschriebenen Strafe, wenn er den Kerker verläßt, inmitten von Versuchungen aller Art, jedweden Anhaltes bar und seiner Energie beraubt, zur socialen Atmosphäre zurückkehren könne, ohne von neuem dem Verbrechen in die Hände zu fallen? Nicht zu sprechen von den enormen Kosten, welche die Zellengefängnisse dem Staate verursachen, ohne daß man hiebei den Verkehr der Gefangenen untereinander und mit der Außenwelt zu verhindern vermöchte, und die eine fortwährende Insulte gegen die vielen armen ehrlichen Leute sind, für die der Staat nicht einen rothen Heller verausgabt, um ihnen bewohnbare Räume zu sichern.

Und während sich die Gesellschaft nicht bemüssigt sieht, ehrlichen Arbeitern eine tägliche Beschäftigung zu sichern und sie in Folge unfreiwilliger Arbeitslosigkeit dem Hungertode preisgibt, sieht sich der Staat veranlaßt, jeden Menschen, der ein Verbrechen begangen hat, sofort kostenlos unter Dach zu bringen, zu bekleiden und zu ernähren!

Und welch einen Riesenerfolg haben die Systeme der Einzelhaft trotz dieser und vieler anderer in die Augen springender Absurditäten aufzuweisen!

In ihrer instinctiven und sporadischen Form sind sie eigentlich schon sehr alt: das San Michele-Gefängniß in Rom und jenes von Gent sind Beweise hiefür. Aber in ihrer reflexiven und epidemischen Form sind diese Strafsysteme vor ungefähr fünfzig Jahren aus Nordamerika zu uns gekommen und haben sich sehr rasch über ganz Europa verbreitet, ungeachtet der großen Geldopfer, die den ehrlichen Bürgern auferlegt wurden, um die Verbrecher glänzend zu versorgen, nachdem sie den Schaden von deren Missethaten ertragen mußten.

Woher kommt das? Meiner Ansicht nach in Folge jener geistigen Strategie, auf die ich kurz vorhin hingewiesen, kraft welcher durch die dominirenden Classen jene Ideen und Institutionen begünstigt werden, welche trotz ihrer scheinbaren Neuheit in Wirklichkeit in den Stamm irgend einer älteren Idee oder Institution eingepfropft sind und denselben verjüngen, allerdings zumeist, ohne daß sich die Menge dieser Thatsache bewußt wird; oder sie sind im unbemerkten Widerspruch mit irgend einer neuen Idee, die man dadurch unwirksam zu machen trachtet, daß man von ihr die öffentliche Aufmerksamkeit und die Macht der gemeinsamen Bestrebungen ablenkt.

Das System der Zellengefängnisse fand so großen Beifall bei den herrschenden Classen, eben weil es ein Pfropfreis im alten Stamme des religiösen Cultes ist, welchen heute noch sehr viele Leute irrthümlicherweise für ein wirksames Mittel zur Vermeidung der Verbrechen halten, trotzdem man täglich beobachten kann, daß die schlimmsten Verbrecher mit aufrichtigem Eifer die Ausübung der religiösen Gebräuche vollziehen.

Einen evidenten Beweis für die Richtigkeit dieser Behauptung gibt der Umstand, daß die Monumental-Bauten der Zellengefängnisse deßhalb so großen Erfolg hatten, weil man sie für Besserungshäuser auf religiöser Grundlage betrachtet, mit den Gebräuchen, dem Cultus, der Disciplin und sogar der Architektur der mittelalterlichen Convente.

Genau so verhält es sich auch mit dem politischen Antisemitismus, der einerseits nichts Anderes ist, als eine Art »Lebenselixir« oder »Brown-Sequard-Injection«, durch welche man das religiöse Gefühl – ebenfalls ein Regierungs-Instrument – bei den christlichen Völkern kräftigen und verjüngen will, andererseits aber eine Art »Ausführungsgefäß« für den Socialismus, durch welches man die Aufmerksamkeit der Massen von diesem höchsten der Ideale abzulenken oder doch wenigstens als gegen die Juden allein gerichtet zu beschränken trachtet.

Eine Thatsache von größter Wichtigkeit bestätigt diese Behauptung, nämlich die, daß der latente und sporadische Antisemitismus mehr oder weniger in jedem europäischen Staate zu finden ist, während der epidemische und politische Antisemitismus sich blos in jenen Ländern entwickelt hat, in welchen die social-politischen Reformbewegungen (Social-Demokratie in Deutschland, Nihilismus in Rußland) wirksam bestehen, und die antisemitische Propaganda dort keinen fruchtbaren Boden findet, wo der Socialismus auf einer niedrigeren Stufe der Entwicklung steht wie in Italien, Spanien und auch in England.

Noch mehr. Die Länder, in welchen der politische Antisemitismus eine große Verbreitung erlangt hat, sind auch jene, in welchen das christliche Religionsgefühl genügende Lebensfähigkeit besitzt, um eine Kräftigung des ersteren zu ermöglichen. In den katholischen und lateinischen Ländern aber, in welchen das religiöse Gefühl sich auf eine starre und senile Form von geistigen und socialen Gewohnheiten reducirt, findet auch der Same des Antisemitismus nicht den günstigen Boden, um tief und erfolgreich Wurzel fassen zu können.

Ich leugne nicht, daß es in Deutschland, Rußland und Oesterreich auch sociale Bedingungen sind, welche gemeinsam mit den angeführten Umständen dazu beitragen, die ungeheure und beklagenswerthe Ausdehnung des politischen Antisemitismus zu begünstigen; aber abgesehen von diesen Ursachen scheinen mir die erstgenannten Umstände die Grundbedingungen dieses psychopathologischen socialen Phänomens zu sein; ist es doch eine unleugbare Thatsache, daß man, trotz dieses unvermutheten Aufflammens des politischen Antisemitismus, in den Ländern, in welchen jene Grundbedingnisse für dessen Ausbreitung fehlen, eine langsame, aber sicher fortschreitende Abnahme jener andern Form des Antisemitismus wahrnehmen kann, während man doch denken sollte, daß sie eher zunehmen müßte, sei es auch nur in Folge von Rückwirkung und Affinität.

In Italien beispielsweise kann man auf Grund des eben Gesagten eine Abnahme des sporadischen Antisemitismus in Folge von Atrophie constatiren, und dieser Umstand ist ein Beweis für die Wirksamkeit eines von Lombroso in Vorschlag gebrachten Bekämpfungsmittels, das ist die Erleichterung der Ehebündnisse zwischen Juden und Nichtjuden, die in vielen Provinzen Italiens häufig geworden sind. Und auch von Seiten der Juden selbst werden so manche familiäre und persönliche Gewohnheiten eliminirt, die dazu beigetragen hatten, sie von den Andersgläubigen zu entfremden. Sie widmen sich ferner einer größeren Anzahl von Professionen, und sie haben vor Allem an den Unabhängigkeitskämpfen theilgenommen und auf diese Weise die Bande der Solidarität zwischen ihnen und ihren Mitbürgern fester geknüpft. Und auch auf politischem Gebiete wirken heute die Juden, die in der Vergangenheit fast ausschließlich dem Conservatismus angehörten, für die fortschrittlichen und radicalen Ideen, wenn sie es auch nicht gerade bis zu den Theorien der Israeliten Marx und Lassalle bringen.

Endlich wird man auch nicht außer Acht lassen dürfen, daß die Juden, seit sie mit den bürgerlichen Freiheiten die Möglichkeit erlangt haben, sich allen Fächern der menschlichen Thätigkeit widmen zu können, eine im Vergleiche zu ihrer geringen Anzahl sehr bedeutende intellectuelle Kraft auf wissenschaftlichem und künstlerischem Gebiete bekundet haben. Und wenn – um eine Neronische Hypothese aufzustellen – die Vernichtung aller Juden in Europa angeordnet würde, so würde dies unzweifelhaft eine beträchtliche Herabminderung des intellectuellen Niveaus Europas zur Folge haben.

So wurde auch die wissenschaftliche und industrielle Lebensfähigkeit Spaniens nach der Vertreibung und Vernichtung der Mauren empfindlich geschwächt.

Es ist unnöthig, daß ich die Namen jener Juden nenne, die in den Reihen der berühmtesten und genialsten Forscher und Neuerer der Wissenschaften, der Künste und der Politik als Sterne glänzen, ohne welche das menschliche Können und Wissen um viele ruhmreiche Errungenschaften des Geistes ärmer geblieben wäre.

Diese intellectuelle Ueberlegenheit der Juden ist eine offenbare Wirkung der Darwinschen Selection, welche die barbarischen Gesetze des Mittelalters ihren Stämmen auferlegte, aber sie bedeutet auch gleichzeitig eine Art historische Gerechtigkeit, der ein gewisser Einfluß auf das im Volksbewußtsein wurzelnde Gerechtigkeitsgefühl nicht abzusprechen ist.

Um die Diagnose zu vervollständigen, möchte ich noch eine letzte Bemerkung über die Ausbreitung des politischen Antisemitismus hinzufügen. Sie bezieht sich auf die Anziehungskraft, die derselbe, ebenso wie jede epidemische Psychose, auf das verschrobene und exaltirte Gehirn einzelner Individuen ausübt.

Man weiß heute allenthalben, daß die Individuen, die zum Irrsinn und zum Verbrechen neigen, jene Form von wahnsinnigen oder verbrecherischen Ideen in sich aufnehmen, welche mit den in ihrer Umgebung vorherrschenden Ideen und Gefühlen übereinstimmen oder ihnen ähneln.

Im mystischen und vorurtheilsvollen Mittelalter waren deßhalb die Fälle von religiösem Wahnsinn sehr häufig und sie waren sogar zu wiederholtenmalen die Veranlassung zu großartigen historischen Begebenheiten, wie beispielsweise zu den Kreuzzügen, und das Verbrechen richtete sich namentlich gegen das Leben der Personen zu einer Zeit, da Alles, selbst die Rechtsurtheile, durch Duelle und durch Blutvergießen entschieden wurde.

Ebenso nimmt der Wahnsinn vieler Individuen zu Zeiten politischer Aufregungen eine politische Form an, und wenn diese Individuen nicht wirklich gänzlich geistesgestört sind, so können sie auch Volkstribunen und Agitatoren von großer Bedeutung werden; und in Zeiten, in welchen die beweglichen Güter vorherrschen, wird das Blutverbrechen seltener, während die mannigfaltigen Formen der Verbrechen gegen das Eigenthum in ungleich höherem Maße zunehmen.

Die gleiche Wahrnehmung kann man in Bezug auf den Antisemitismus in jenen Ländern machen, in welchen er die Form einer ausgesprochenen politischen Partei angenommen hat. Abgesehen von den Verbrechen der Verleumdung, der Erpressung u. s. w., die sich unter dem Deckmantel des politischen Antisemitismus verbergen können, findet man nicht selten, daß irgend ein fanatischer und rabiater Antisemit eigentlich nichts Anderes als ein Irrsinniger ist, wie beispielsweise der Verleumder Ingenieur Paasch, der im Juni dieses Jahres in Berlin für verrückt erklärt worden ist. Und die Wahnsinnigen oder Halbverrückten sind die wirksamsten Propagandisten, denn mit der eigenthümlich feurigen und ursprünglichen Eloquenz, die stets Eindruck auf das Volk macht, vereinigen sie den Mangel an Respect vor den allgemeinen Regeln der Wohlanständigkeit und vor den mehr oder weniger conventionellen Gebräuchen, die den vernünftigen Durchschnittsmenschen eigen sind; in Folge dessen wissen sie sich auch durch ihre anormale Handlungsweise Gehör und Ansehen zu verschaffen.

Es war also nöthig, auch auf diese specifische Ursache des politischen Antisemitismus hinzudeuten, welche immer mehr die Richtigkeit und Nothwendigkeit einer Unterscheidung zwischen den beiden Formen des Antisemitismus, der sporadischen und der epidemischen, bestätigt.

Nach allem dem Gesagten ist es wol überflüssig, daß ich als Nichtjude ausdrücklich erkläre, daß der Antisemitismus als individuelles Gefühl eine atavistische Ueberlieferung aus dem barbarischen und unwissenden Mittelalter ist und als collective und politische Bewegung ein zumindest unbesonnener Mißbrauch dieses unbewußten Gefühles zu dem Zwecke der Ablenkung der öffentlichen Aufmerksamkeit von den weit humaneren und ethisch berechtigteren Idealen des Socialismus.

Mit Hilfe der abergläubischen Vorurtheile und des religiösen Hasses, die zufolge hereditärer Fortpflanzung in den Volksmassen, insbesondere auf dem Lande, tief festgewurzelt sind, glaubte man die Protestbewegung gegen den übertriebenen Reichthum der Minderheit und das furchtbar große Elend der Mehrheit auf eine falsche Fährte lenken zu können, indem man die Volksmassen gegen die »Mörder Christi« und gegen die »Monopolisten des öffentlichen Besitzes« aufreizte. Aber dieses Manöver, welches einem meuchlerischen Ueberfalle, und dem hinterlistigen Legen eines Fallstrickes gleicht, droht diejenigen in den Abgrund zu ziehen, die es ersonnen haben. Denn im Volksbewußtsein vollzieht sich der Uebergang von der Protestation gegen das aufgehäufte Besitzthum weniger Juden zu der Protest-Kundgebung gegen die Reichthümer aller Kapitalisten, mögen sie was immer für einer Confession oder Nationalität angehören, auf sehr leichte Weise. Aus den gemachten Betrachtungen scheint mir vor Allem eine klare und bestimmte Schlußfolgerung über die Zukunft dieser Krankheit des zeitgenössischen socialen Geistes, die man Antisemitismus nennt, lebendig und greifbar hervorzuquellen.

Die Thatsache, daß der politische Antisemitismus nichts Anderes ist als eine überlieferte Form eines seculären Antisemitismus – eine Art eingetrockneten und unschädlichen Geschwüres des socialen Organismus, das plötzlich in eine ansteckende und krebsartige eiterige Form ausartet – könnte glauben machen, daß sich derselbe in der Folge immer mehr entwickeln würde. Meiner Ansicht nach beweist diese Thatsache jedoch blos, wie oberflächlich das Urtheil Jener ist, die der Ansicht sind, der Antisemitismus sei nur eine künstliche und transitorische Bewegung, ein Strohfeuer, das leicht durch gouvernative Vorkehrungen gelöscht werden könne, wie das, mehr oder minder rasch, mit dem Mormonismus in Amerika, dem Boulangismus in Frankreich u. s. w. geschehen ist.

Ich glaube aber, daß der politische Antisemitismus, wie jede große sociale Bewegung, ein natürliches und wenig transitorisches Phänomen ist, eben weil er in den Wurzeln des latenten, wol gutartigeren, aber seculären Antisemitismus fußt. Und ich glaube ferner, daß die bisher vorgeschlagenen Bekämpfungsmittel, wie die Eheschließung zwischen Juden und Nichtjuden, wol dazu beitragen können, die unbewußte Form des Antisemitismus immer mehr zu schwächen, aber ich glaube nicht, daß sie ausreichend sind gegen den politischen Antisemitismus, welcher ganz verschiedene specifische Ursachen hat. Dieser letztere gleicht einem ungeheuren Brande, den die leitenden Classen unvorsichtigerweise entfacht haben. Durch denselben hofft man jene andere große sociale Bewegung, die, abgesehen von jeder besonderen mehr oder weniger disputirbaren Parteirichtung, Socialismus heißt, unwirksam zu machen. Der Brand hat mit einer ungeheuren Geschwindigkeit um sich gegriffen, und heute vermag man seiner mit Hilfe der gangbaren artificiösen Repressiv-Maßregeln nicht mehr Herr zu werden.

Einen einzigen Ausgang halte ich für möglich: das Verschwinden der miasmatischen Strömung des politischen Antisemitismus aus dem majestätischen und unaufhaltsam fortschreitenden Strome der socialen Neuerungen, der, wenn er auch nicht das Wunderzeichen am Abendhimmel unseres Jahrhunderts bedeuten, doch sicherlich von der Morgenröthe des zwanzigsten Jahrhunderts begrüßt werden wird.

*

41.
Paolo Mantegazza

La race israélite a rendu au monde les plus grands Services. Assimilée aux différentes nations, en harmonie avec les diverses unités nationales, eile continuera à faire dans l'avenir ce qu'elle a fait dans le passé. Par sa collaboration avec toutes les forces libérales de l'Europe, elle contribuera éminemment au progrès social de l'humanité.

E. Renan, Conferenz, gehalten im Cercle Saint-Simon am 27. Januar 1883: »Le Judaïsme comme race et comme religion.«
Serenella,
im September.

Vor längerer Zeit schon haben Sie mich aufgefordert, Ihnen meine Meinung über den Antisemitismus mitzutheilen, und ich habe den bitteren Kelch, den Sie mir in so liebenswürdiger Weise dargeboten haben, stets unter irgend einem Vorwande von meinen Lippen ferngehalten.

Heute jedoch schreibe ich Ihnen meine offene Ansicht, denn mein Stillschweigen könnte als Angst ausgelegt werden, und ich verachte tief jedwede Form von Feigheit.

Sie werden mir aber meine Unschlüssigkeit leicht verzeihen, wenn ich Ihnen sage, daß ich schon vor mehreren Jahren eine Reihe von Aufsätzen über den Antisemitismus in einer unserer besten Zeitschriften veröffentlicht habe, und wie sehr ich auch unparteiisch zu bleiben versucht hatte, wurde ich dennoch von anonymen Briefschreibern heftig angegriffen, ebenso durch einen Brief des berühmtesten Philologen Italiens, durch gedruckte Broschüren und durch Insolenzen, die mir unerwarteterweise von lieben Freunden ins Gesicht geschleudert wurden.

Ich hatte es Keinem recht gemacht, was immer so geschieht, wenn man gerecht ist und das Unrecht zwischen den beiden feindlichen Parteien gleichmäßig vertheilt. Die Antisemiten sagten, ich hätte die Juden zu sehr gelobt, während diese selbst in helle Wuth geriethen, weil ich die Freimüthigkeit gehabt hatte, ihnen einige ihrer Fehler vorzuhalten.

Nur die Frauen hatten die Gefühle verstanden, welche meine Aufsätze inspirirt hatten. Eine liebenswürdige und hochgebildete Dame aus Triest dankte mir für die warme und hochherzige Vertheidigung der Israeliten, und eine andere sehr würdige Dame aus Florenz bezeigte mir ihre lebhafteste Begeisterung, indem sie mich um mein Manuscript bat, um es als theure Erinnerung aufzubewahren.

Die Frauen also – und besonders die jüdischen Frauen – hatten mich verstanden, vielleicht weil sie allein es sind, die Verständniß für Liebe haben. Die Männer dagegen (wenige ausgenommen) hatten mich mißverstanden und sogar verleumdet.

Warum? Ich hatte geglaubt, man könnte in Italien, wo die Israeliten keinen Verfolgungen ausgesetzt sind, wo es thatsächlich keine antisemitische Frage gibt, in aller Ruhe, vollkommen freimüthig und unabhängig, das Problem besprechen, welches Deutschland, Oesterreich, Rußland und zum Theile auch Frankreich in Aufruhr bringt. Aber ich hatte mich geirrt. Auch hier, auch da, wo man theure und angesehene Freunde hat, die dem Stamme Israel angehören, auch dann, wenn man als Präsident der Anthropologischen Gesellschaft Italiens eine Tagesordnung zum Votum gebracht hat, durch welche entrüstet Protest erhoben wurde gegen die antisemitische Bewegung, der größten Schmach unserer Zeit, auch dann mußte man sich von denjenigen angeklagt und verleumdet sehen, die man vertheidigen wollte!

Seit jenem von mir unternommenen Kampfe sind mehrere Jahre verstrichen, aber ich muß gestehen, daß ich meine Meinung ganz und gar nicht geändert habe, und ich will sie Ihnen ganz unverhohlen, ohne Furcht und Rückhalt aussprechen, und die Frage, vom ethnologischen und psychologischen Gesichtspunkte betrachtet, untersuchen, von der politischen Seite derselben jedoch ganz absehen. In einigen Ländern ist ja der Antisemitismus nur ein Vorwand, um Opposition zu machen, und es ist ein altbekannter politischer Kniff, viele Worte zu machen, um verbotene Waaren zu schmuggeln. Ich hingegen suche bei Prüfung der socialen Fragen einzig und allein nach der Wahrheit, weil ich seit Langem die Ueberzeugung habe, daß in ihr auch das Gute seinen Sitz hat. Für die Wahrheit, für die Gerechtigkeit, die nichts weiter ist, als eine Form derselben auf moralischem Gebiete, hege ich eine glühende Leidenschaft, die gleichzeitig eine Schwäche ist, voll von Schamhaftigkeit und Verworrenheit, wie alle wahrhaft großen Leidenschaften; die wahren und tiefen Passionen sind überdies in einem Tabernakel mit sieben Siegeln eingeschlossen. Und dies ist ganz natürlich, denn jederzeit und allerorten sind die Gehege dort dichter, höher und dorniger, wo eine werthvolle Frucht zu behüten ist.

Ich habe lange und betrübten Sinnes über diesen blutigen Schandfleck unserer Zeit nachgedacht, der sich Antisemitismus nennt; ich habe dieses pathologische Phänomen in jeder Hinsicht genau untersucht, ich habe es betrachtet und wieder betrachtet »sous plusieurs lisais etplusieurs lustres«, und es wollte mir scheinen, als genügte das Gehirn eines einzelnen Mannes nicht, um die zahllosen Seitenflächen des gigantischen Polyeders zu sehen; ja, es will mir sogar scheinen, als wäre der Geist aller gelehrten Männer der Gegenwart unzulänglich für dieses mächtige Unternehmen. Es ist eine Frage, die uns zu nahe steht: wir sehen sie, wir fühlen sie, sie bedrückt uns und quält uns, und erst unsere Nachkommen werden im Stande sein, ihr Urtheil in der reinen und ruhigen Anschauung einer klaren Perspective geben zu können. Angesichts der großen socialen Phänomene, der Probleme, welche die ganze menschliche Natur umfassen, angesichts der Sturmwetter, die den Schlamm des tiefen Meeres bis zu der blauen Oberfläche der Wellen emportreiben, ist es gut, weitsichtig zu sein. Unsere Zeitgenossen sind aber insgesammt kurzsichtig für das, was ihre Nase berührt. Sie sehen sehr wohl das Haar, das Fleckchen, das Komma, aber sie umfassen nicht das stereoskopische Bild des Ganzen.

In der Erwartung, daß die Weitsichtigkeit unseren Nachkommen gestatte, mit ruhigem Blute und mit Gerechtigkeit das antisemitische Problem zu studiren, das unseren Erdtheil so arg bedrängt, trachten wir doch wenigstens die Glieder der Gleichung festzustellen, damit das unbekannte x leichter und rascher eine bekannte Größe werde.

Der Antisemitismus ist eine Bewegung, die durch Furcht und Neid hervorgerufen wird: Furcht vor Allem, was stärker ist als wir, Neid gegenüber Allem, was reicher und mächtiger ist. Eine seit Jahrhunderten unterdrückte, verachtete und geschmähte Race, eine Race, die selbst von den Nachsichtigsten blos geduldet wurde, hat die Beleidigungen und Schmähungen gelassen ertragen, hat die Wunden geheilt und sich nicht vernichten lassen. Vertrieben und verfolgt gleich einem Rudel Wölfe, hat sie auf ihrem Wege Verwundete und Todte zurückgelassen, aber sie hat jede Art von Krieg überlebt und jede Form von Tortur überstanden. Stets die christliche Barmherzigkeit fliehend, in hundert und tausend Gruppen zertheilt, hat sie mit bewunderungswürdiger Widerstandsfähigkeit die eigene Solidarität aufrechterhalten, ihre Glieder, eine spartanische Selection durchschreitend, gekräftigt und denselben eine staunenswerthe Geschmeidigkeit gegeben, sich auf fast unerklärliche Weise überall acclimatisirend.

Unsere Verfolgungen, die gottloserweise angeblich im Namen des Evangeliums, des humansten Buches, welches je geschrieben worden ist, unternommen wurden, haben die Juden reich gemacht; denn indem wir ihnen alle Thore der freien Künste versperrten, haben wir ihnen blos die Zugänge zur Industrie und zum Handel offen gelassen. Und so hat uns die Ruthe selbst ins Gesicht geschlagen. Denn der Handel wurde zur Nationalkunst der Israeliten, und als die Ersten in der Kunst, Geld zu finden und zu bewahren, haben sie in ihrer Mitte die größte aller Mächte der civilisirten Völker aufgehäuft: das Gold. Auf gut gedüngtem Boden gedeiht gut jedwede Gabe Gottes und auf dem israelitischen Felde, das durch Gold, Silber und Banknoten befruchtet wurde, wächst und gedeiht die köstlichste Pflanze unseres Planeten: die Wissenschaft.

Die Zahl der großen jüdischen Gelehrten ist heute eine sehr bedeutende. In Deutschland haben wir unter ihnen die hervorragendsten Physiologen, Aerzte, Mathematiker u. s. w. In Italien nenne ich Ascoli, vielleicht der erste der jetzt lebenden Philologen; Massarani, einen ausgezeichneten Schriftsteller, Dichter, Maler und Philanthropen; den ehemaligen Finanzminister Luzzatti, einen vorzüglichen Oekonomen, und viele, viele Andere sind noch da, die ich der Kürze halber nicht nenne. Noch ein beredtes Beispiel: In der mathematischen Facultät der Universität Berlin sind von zehn berühmten ordentlichen Professoren sieben jüdischer Confession.

Doch was vermöchte nicht Alles eine Race, welche diese beiden Reichthümer ihr Eigen nennt: Geld und Wissenschaft?! Welcher Ruhm möchte ihr wol versagt bleiben, ihr, die, obwol über die ganze Erde verbreitet, doch eine einzige Familie bildet, die durch das Gelöbniß einer seit Jahrhunderten zu vollziehenden Rache und einer heißersehnten Wiedervergeltung zusammengehalten wird?! Was könnte man nicht Alles wünschen, wagen und erlangen mit Hilfe von Millionen und durch die Wissenschaft? Daher also die große Furcht, daher der große Neid, die ersten und hauptsächlichsten Beweggründe des Antisemitismus!

Fügen wir noch hinzu die natürliche Abneigung zwischen Race und Race, ferner einige Fehler der Israeliten – zum großen Theil Früchte unserer Verfolgungen – und wir haben vor unseren Augen das Skelet, wenn auch noch nicht die ganze Anatomie des großen antisemitischen Problems.

Die Juden sind häufig Wucherer, häufig Tyrannen im Reiche des Goldes, oft unrein, fast immer nervös und zur Hypochondrie neigend, sehr für ihre Gesundheit besorgt und ängstlich. Das sind die großen Fehler, die man den Juden vorwirft. Die größte Beschuldigung aber, die man den Söhnen Mosis ins Gesicht schleudert, ist, daß sie, mit einander durch eine feste, unzerbrechliche Kette religiöser, moralischer und socialer Freimaurerei verbunden, keine Nationalität hätten. Sie seien weder Deutsche in Deutschland, noch Italiener in Italien, noch Russen in Rußland, sondern Juden, ausschließlich Juden in Deutschland, Italien und Rußland. Sie seien keine Glieder unseres europäischen Körpers, keine Sehnen unseres Fleisches, keine Venen unseres Blutes, sondern Knoten, Auswüchse, Geschwülste, die da und dort zerstreut sind und die freie Circulation unserer Säfte und Kräfte behindern. Sie seien mit Einem Worte die feisten und dreisten Parasiten des europäischen Lebens. Und wenn wir unserem Hasse freien Lauf lassen könnten, so würden wir ihnen, stünde dies in unserer Gewalt, mit Freuden Jerusalem wieder geben und ein Reich Israel wieder herstellen.

Der Vorwurf der mangelnden Nationalität ist nur zum geringsten Theile berechtigt und enthält nicht die ganze Wahrheit, denn wir finden in Italien sowol als auch in anderen Ländern sehr viele Juden, die einen großen Patriotismus bewiesen und ihr Blut auf dem Felde der Unabhängigkeits- und Freiheitskämpfe vergossen haben. So befinden sich, um nur ein mir naheliegendes Beispiel zu nennen, unter den »Tausend von Marsala« acht Juden, eine sehr respectable Ziffer, wenn man die geringe Zahl der in Italien lebenden Juden in Betracht zieht.

Wenn ein menschliches Problem uns umgeben von Zwist und Deuteleien entgegentritt, wenn zu dessen Verwicklung und Verdunklung Interessen, Leidenschaften, Vorurtheile beitragen, dann wenden wir uns an die Wissenschaft als an einen höchsten Gerichtshof, und von ihm verlangen wir die Leuchte, die uns den Weg durch die Dunkelheit ermöglichen soll, und den ruhigen Ernst der Thatsachen, damit wir den gordischen Knoten lösen können. Diese Berufung ist eine natürliche, und sie sollte auch als entscheidend gelten; doch ach! die ethnologische Wissenschaft steht noch in den Kinderjahren oder höchstens im Jünglingsalter, und wenn sie selbst reifer und weniger eingehemmt wäre durch Fragezeichen aller Art, so müßte sie unvermeidlich stets durch jene selben Köpfe gehandhabt werden, die von Leidenschaften, Vorurtheilen und Wünschen geleitet werden. Das hat zur Folge, daß eine und dieselbe Thatsache entgegengesetzten Interessen dient, wodurch die Auslegungen und Erklärungen die Wahrheit bis zur Unkenntlichkeit entstellen.

Die antisemitische Frage ist eben gerade ein solches menschliches Problem, bei welchem die Wissenschaft das Vertheidigungs-Material der Unterdrückten und das Anklage-Material der Unterdrücker in der Weise liefern sollte, daß man nach dem Urtheilsspruche den ganzen und vollen Triumph der Gerechtigkeit mit dem Beifalle des Publicums zur Genugthuung Aller haben sollte. Während wir von den übereinstimmenden Studien vieler Forscher die Materialien für eine vollständige anthropologische und ethnologische Monographie der hebräischen Race erwarten, sehen wir seit einiger Zeit mit viel Freude, wie sich die ernsten Studien auf diesem Gebiete neu beleben. Wir wollen alle jene Schriftsteller beiseite lassen, welche bisher zum Zwecke politischer Polemiken geschrieben haben, einige und nur wenige citiren, welche es verstanden haben, auf dem Gebiete der reinen Wissenschaft zu bleiben, wie Neubauer, Jacobs, Blechmann und Renan.

In der Wissenschaft gibt es stets gleichzeitig Behauptung und Widerspruch, und an die Stelle alter und unbestrittener Dogmen treten neue Zweifel. So ist es auch bei der Frage, mit der wir uns eben beschäftigen. Die Menge glaubt, die jüdische Race bestehe sozusagen aus einem Stücke und weise so bestimmte und besondere Charakterzüge auf, daß sie von allen anderen lebenden Racen sofort unterschieden werden könne. Heute jedoch bestreitet die Wissenschaft diese Reinheit und Einheit der Race und weist auf viele Facten hin, die jene Annahme widerlegen.

Ich selbst habe seit vielen Jahren stets geglaubt, daß die rothhaarigen und blauäugigen Juden, die man in Rußland und in Polen so häufig antrifft, nicht das gleiche Blut haben können wie die kraushaarigen, krummnasigen, bleichwangigen Israeliten, welche über Italien, Frankreich und Deutschland verbreitet sind. Heute bin ich überdies von einer anderen Thatsache überzeugt, nämlich, daß, wenn es auch unstreitig semitische Sprachen gibt, es jedoch keine semitische Race gibt, und daß die Wissenschaft der Zukunft diesen fundamentalen Irrthum der modernen Ethnologie widerlegen wird.

Jedenfalls ist die hebräische Race keine reine. Schon aus der Bibel ersehen wir, daß in die Venen der Juden fremdes Blut eingeführt wird. Ismael, Sohn des Abraham, hat Agar zur Mutter, eine Araberin, und er selbst wird der Vater der arabischen Race. Isaak und Jacob nehmen Aramäerinnen zu Frauen, Joseph ehelicht eine Egypterin, und Moses wird getadelt, weil er sich mit einer Madianiterin vereinigt. David stammt von Ruth ab, einer Moabiterin, Salomon ist Sohn eines trittischen Weibes, und er selbst nimmt viele fremde Weiber zu Gefährtinnen. Auch die Söhne Ismael's in Egypten heiraten egyptische Mädchen, so daß, vielleicht mit Ausnahme der priesterlichen Kaste, die alten Juden schon ein gemischtes Volk waren.

Auch in der Folge hörten die Israeliten nicht auf, ihr Blut mit demjenigen anderer Völker zu vermischen, wenn sie aus der Verbannung heimkehrten, und die heilige Schrift berichtet von vielen Vereinigungen jüdischer Männer mit Weibern von Asthdod, von Ammon und von Moab. Später liest man von syrischen, griechischen und palmyrischen Männern, die zum Judenthum übertreten, um schöne Töchter Israels zu ehelichen. Es ist ganz richtig, daß in vielen Fällen die Elemente, mit welchen die Hebräer sich kreuzten, wenig verschieden waren von ihrem Typus, aber sicherlich glichen ihnen weder die Egypter noch die Griechen. Auch in Rom blieb das jüdische Blut nicht rein. Die pure Römerin Fulvia bekehrt sich zum Judenthum gleichzeitig mit einer großen Zahl von Freunden und Sklaven, und alle zur neuen Religion bekehrten Römer mußten sich natürlicherweise mit Hebräerinnen vereinigen. Es ist wol wahr, daß Tacitus von den Juden sagt, sie hätten sich mit keinem fremden Blute vermischt (alienarum concubitio abstinent), aber die Bekehrten waren ja keine Heiden mehr, sondern Glaubensgenossen, und deßhalb war es die Religion und nicht die Race, welche die Menschen durch die Liebe verbrüderte.

Auch Renan und Isidor Löb, dieser Letztere in seiner ausgezeichneten Abhandlung »Juifs« im Dictionnaire de Géographie von Saint-Martin, bekämpfen das bislang unbestrittene Dogma von der absoluten Reinheit der jüdischen Race.

Nur Jacobs allein ist es, der, allerdings ehe er eingehendere Studien macht, an dem alten Dogma festhält, daß die Juden eine der unverfälschtesten Racen der Welt seien und sich von allen anderen mit ihnen lebenden Völkern unterscheiden.

Neubauer deutet eine Unterscheidung der Juden in zwei Haupttypen an, zwischen welchen sich noch ein dritter Typus secundärer Ordnung einfügen läßt, der sozusagen als Bindeglied zwischen den beiden Haupttypen gelten kann. Wir haben eine Race, welche sich durch eine sehr entwickelte Nase, große und schöne Augen und schlanke Gliedmaßen auszeichnet; das sind die Abkömmlinge des edlen Geschlechtes der Sephardim oder der spanisch-portugiesischen Juden. Dann haben wir noch andere Juden mit massiver Nase, großem Munde und krausem Haar, von dem Geschlechte der Ashkenazim abstammend: die germanisch-polnischen Juden. Nach Neubauer bilden die Juden mit rothem oder blondem Haar keinen besonderen Typus, sondern sie finden sich da und dort unter den anderen zerstreut.

Diese Classification, meiner Ansicht nach eine wenig wissenschaftliche und sehr willkürliche, ist in directer Linie auf eine Tradition zurückzuführen, die noch unter den alten Juden des Mittelalters herrschte und zufolge welcher die edle spanische Race von dem Stamme Juda und die mehr plumpen Israeliten Deutschlands vom Stamme Benjamin abstammen. Diese Ueberlieferung, obwol völlig unbegründet, genügte für lange Zeit, um die Ehen zwischen den Israeliten Spaniens und jenen Deutschlands zu verbieten.

Die Juden Italiens wären nach Neubauer ein Bindeglied zwischen den Abkömmlingen der Sephardim und den Söhnen der Ashkenazim.

Jacobs begnügt sich in seinen jüngsten Studien über den ethischen Charakter der Juden damit, daß er sie in Israeliten von Geburt und Religion und solche, die es nur der Religion nach sind, unterscheidet, und endlich in sehr wenige Juden von Geburt, die aber nicht der jüdischen Religion angehören. Die Ersteren wären nach ihm 6 925 000, die Zweiten 75 000 und die Letzten 12 000. Demnach wären nach Jacobs 98,9 Percent aller Juden solche, die es ihrem Blut und Glauben nach sind.

Alle diese Unterscheidungen und noch viele andere, die sich machen ließen, sind für mich völlig belanglos. Wenn sich eine kleine Gruppe von Menschen von allen anderen absondert und sich nur im eigenen Blute wiedererzeugt und fortpflanzt, so muß sie selbstverständlich ihren Charakter prägnanter ausbilden und sich von anderen Gruppen gewöhnlicher Herkunft, die in einer anderen Umgebung leben, immer mehr unterscheiden. Das ist eines der Grundgesetze, ja sogar ein Dogma der hereditären Biologie und Jacobs sagt sehr richtig und sehr geistreich, daß, wenn man ein paar Jahrhunderte lang alle Johannes und alle Marias Europas in ein Ghetto einschließen würde, man von einer »johannäischen« Race und Psychologie sprechen könnte.

Aber ganz abgesehen von der ethnischen Herkunft der Juden, abgesehen von der Reinheit des Blutes, die heute so sehr bestritten wird, sind denn die Juden heute wirklich so verschieden von allen anderen Europäern, daß man sie stets von diesen unterscheiden und absondern kann? Nein, gewiß nicht. Und ich möchte es wol unternehmen, dem schärfsten Beobachter der Menschen und der Dinge eine Reihe von Toscanern vorzuführen, die zweifellos für echte und rechte Juden gehalten werden würden, und ebenso könnte ich wieder, ohne Italien zu verlassen, auf brachykephalische und dolichokephalische Juden hinweisen, die einen ausgesprochen keltischen, romanischen, ja selbst finnischen Typus haben.

Wenn ich so verwickelte Probleme wie die der Racen mit großer Leichtfertigkeit und Uebereilung behandelt sehe, wenn ich sehe, wie ein ganzes Volk mit einem einzigen Satze definirt wird, da erfaßt mich eine heilige Wuth, und ich bekomme Lust, Feder und Kraniometer zum Fenster hinauszuwerfen. Warum prägt die Natur nicht den für die Wissenschaft bestimmten Männern ein großes Fragezeichen auf die Stirn?

Die Anthropologie aller auf der Erdoberfläche zerstreut lebenden Juden ist noch ein Wunsch, und wir kennen viel besser ihre Psychologie, bei welcher es allerdings sehr schwer festzustellen ist, wie viel der Race selbst zuzuschreiben ist und wie viel der besonderen Umgebung, in der sie Jahrhunderte hindurch zu leben gezwungen waren. Bei Erklärung socialer Thatsachen kann man nie vorsichtig genug sein. Das sieht man bei einem Factum von leuchtender Klarheit. Setzen wir den Fall, man fände z. B., daß die Juden in Ungarn eine besondere Immunität gegenüber gewissen Krankheiten zeigen. Gewisse Gelehrte werden nun daraus sofort und ohne Furcht, zu irren, den Schluß ziehen, daß die Juden den anderen Racen überlegen sind, und darauf eine glänzende Theorie über die künstliche Selection u. s. w. errichten.

Nun wohl, Körösi studirte die Statistiken Schimmer's und fand, daß, während 37 Percent der Katholiken sich Professionen widmen, die gesundheitsschädlich sind und eine große Sterblichkeit zur Folge haben, bei den Protestanten diese Ziffer nur 33 Percent betrage, während sie bei den Juden auf 22 Percent herabsinke. Was beweist das also? Das beweist, daß das auf die Stirn der Gelehrten eingebrannte Fragezeichen eine noch zu studirende Reform ist!

Jacobs hat mit seinen Studien einige auf die Lebensdauer der Juden bezügliche und bis heute unbestrittene Meinungen in Zweifel gestellt und einige Sätze ihrer Biostatik besser präcisirt.

Ich citire mehrere derselben:

Die Juden geben geringere Ziffern als ihre Nachbarn in Bezug auf die Ehe, die Geburten und Todesfälle, aber betreffs der ersteren muß man die niederen Zahlen der geringeren Sterblichkeit der israelitischen Kinder zuschreiben. Die Juden heiraten sehr früh, und die Ehen zwischen Geschwisterkindern sind bei ihnen dreimal so häufig als bei den Christen. Sie haben im Allgemeinen zahlreichere Familie, und die Ehen zwischen ihnen und Personen anderer Racen sind verhältnismäßig unfruchtbar. Ihre Kinder unter fünf Jahren sterben weniger häufig als die unseren. Sie sind seltener Selbstmörder. Ihre größere Immunität gegenüber der Cholera und der Schwindsucht ist nicht nachgewiesen. Auch ihre Lebensdauer zeigt sich nicht um so viel größer, als allgemein angenommen wird. Ihre Ueberlegenheit, die sich in einigen Ländern und bei einigen Classen bewährt, verschwindet, wenn man beispielsweise die Bevölkerung Galiziens und Rußlands prüft, die zum großen Theile aus Arbeitern besteht.

Bei den Juden findet man häufiger Irrsinnige, Taubstumme und Blinde, was höchstwahrscheinlich den Ehen zwischen Blutsverwandten, der sitzenden Lebensart und der großen geistigen Regsamkeit zuzuschreiben ist.

Die Juden gehören zu den kleinsten und schwächlichsten Bewohnern Europas, in Betreff der Statur nur ausgenommen die Lappländer und die Magyaren.

Jacobs erklärt die Kleinheit der Juden durch ihren Aufenthalt in den Städten. Auch die Schneider gehören zu den kleinsten Menschen und die Zahl der jüdischen Schneider ist eine sehr große.

Wir besitzen nur wenige kraniometrische Maße der Juden, aber Jacobs, der vielleicht die größte Anzahl gesammelt hat, steht nicht an, zu erklären, daß die Juden in der Mehrzahl Brachykephalen sind, was in directestem Widerspruche steht zu der so sehr gerühmten semitischen Verwandtschaft.

Ueber die Farbe der Haare, der Augen und der Haut können wir etwas Bestimmteres sagen, denn wir besitzen einen Schatz von zumindest 120 000 Beobachtungen. Aus diesen resultirt, daß die Juden dunklere Haar-, Augen- und Hautfarbe haben als die anderen Menschen, mit welchen sie leben. Wir finden unter den Juden nur 21 Percent mit blauen Augen, 29 Percent mit blondem Haar, während die Zahl der rothhaarigen Juden dreimal größer ist als jene der Polen, Russen und Oesterreicher und doppelt so groß als jene der Deutschen.

Die Nasen der Juden gehören zu den längsten, die man kennt, und Jedermann weiß, daß die humoristischen Zeichner die beste Caricatur der jüdischen Physiognomie erzielen, wenn sie an Stelle der Nase die Ziffer 6 zeichnen.

Jacobs hat das System Galton's in Anwendung gebracht, indem er, um das Bild des jüdischen Typus zu erlangen, die Gesichter verschiedener Individuen mit Zuhilfenahme der Photographie übereinanderlegte. Ich muß aber gestehen, daß jene jüdischen Gesichter zusammengesetzter Ordnung sehr verworren und sehr geringwerthig waren.

Während nun die Ethnologen Studien über den verschiedenen Ursprung der jüdischen Race anstellen und die Anthropologen die Messungen von Hirnschädel, Nasen und Mund vornehmen, hoffen wir, daß die Vorurtheile und die Leidenschaften, welche sie bisher von der Gemeinschaft des civilisirten Europa getrennt gehalten hatten, nach und nach verschwinden und erkalten mögen, so daß es nach wenigen Generationen nicht mehr nöthig sein werde, sich einem besonderen Studium dieser menschlichen Familie widmen zu müssen, auf welche die Christen höchst ungerechterweise so viel Koth und Blut gespritzt haben.

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Nachwort aus Urheberrechtsgründen gelöscht. Re

 


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