Arkadij Awertschenko
Kurzgeschichten
Arkadij Awertschenko

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Zwei Frauen und ein Mann

Als ich am Morgen die hübsche, blonde Natascha traf, sagte sie zu mir:

»Sie haben mich ganz vergessen! Das ist nicht nett von Ihnen. Sicher haben Sie eine neue Liebe!«

»Ich Sie vergessen? Dich – Natascha!«

»Tss – lassen Sie diesen Ton! Also, was machen wir heute abend?«

»Was Sie wollen! Gehen wir ins Theater!«

»Was spielt man?«

»Ein neues Stück: ›Zwei Frauen und ein Mann‹. Ein packendes Sujet, direkt aus dem Leben gegriffen. Der junge Graf lebt glücklich mit seiner bildhübschen Frau. Aber auf seiner Seele lastet eine alte Sünde. Er hat einmal eine andere Frau geliebt und sie im Stich gelassen. Diese Frau kommt durch Zufall als Gesellschafterin in sein Haus. Der Graf erkennt sie, und der jungen Gräfin kommt die Sache nicht richtig vor. Seelenkonflikte, dramatische Momente. Viel Psychologie, packende Stellen!«

»Also, schön, dann gehen wir ins Theater!«

Ich versprach Natascha, sie um acht Uhr abzuholen, dann gingen wir auseinander.

Am selben Tag war ich zum Tee bei der schlanken Marusja geladen.

Wir saßen einander gegenüber, schlürften den Tee und rauchten Zigaretten.

»Was glauben Sie«, sagte Marusja und lehnte sich in den Sessel zurück, »ist das Drama ›Zwei Frauen und ein Mann‹ gut?«

»Weshalb fragen Sie?«

»Ich wollte es mir heute anschauen.«

»Gehen wir lieber morgen!«

»Warum morgen? Ich will heute ins Theater gehen! Ich weiß nur nicht, ob das Stück interessant ist.«

»Ein fades, langweiliges Stück! Irgendein Idiot, ein Graf, hat geheiratet und bildet sich ein, sein Glück im Winkel gefunden zu haben. Da taucht plötzlich eine Freundin von einst auf, die in seinem Hause die Rolle einer Gesellschafterin spielt. Interessant, was? Na, und so weiter. Mit einem Wort: ein verlorener Abend!«

»Ich will aber heute ins Theater gehen!«

»Man erzählt, daß der Autor ein Quartalssäufer sei, der dieses Stück in einem Anfall von Delirium geschrieben habe. Sehen wir uns lieber die neue Operette an!«

»Nein, ich will ›Zwei Frauen und ein Mann‹ sehen!«

»Hm, was ich sagen wollte – fürchten Sie sich nicht vor Erkältungen? In diesem Theater – es ist ein Sommertheater – gibt es viele Ritzen. Es zieht von überall. Man kommt in einen Zug, und schon ist man erkältet.«

»Wollen Sie mit mir hingehen oder nicht?«

»Leider habe ich schon jemandem zugesagt. Aber ich werde gern eine Weile an Ihrer Seite verplaudern.«

»Wer ist dieser Jemand?«

»Mein Gott – eine flüchtige Bekannte! Sie bat mich, sie ins Theater zu begleiten, und da man nicht unhöflich sein kann, sagte ich zu.«

»Hm, ich begreife, eine neue Liebe!«

Ich lachte hellauf:

»Sie machen sich über mich lustig! Halten Sie mich für einen Don Juan? Für mich gibt es nur eine Frau.«

»Schweigen Sie! Also, Sie kommen ins Theater. Ich hoffe, daß Sie mich nicht allein sitzen lassen werden?«

Ich ging auf ein anderes Thema über und verließ um sieben Uhr die schlanke, schwarze Marusja.

*

Der erste Akt hatte bereits begonnen, als wir ins Theater kamen. Wir traten in die Loge. Dem Stück folgte ich kaum, sondern warf ab und zu einen Blick in den Zuschauerraum und suchte Marusja. Da bemerkte ich sie in der dritten Reihe in einem Silberbrokatkleid. Sie sah entzückend aus. Ich nickte ihr zu.

»Wen grüßen Sie da?« fragte Natascha.

»Eine Bekannte.«

»Was ist das für eine Bekannte?«

»Hm, nur geschäftlich. Es ist gut, daß sie da ist. Ich muß ihr ein paar Worte sagen.«

»Was für ein Geschäft ist das?«

»Es handelt sich um den Verkauf einer Mühle. Ein Freund von mir will eine Mühle verkaufen, und sie weiß einen Käufer.«

»Seit wann befassen Sie sich mit dem Verkauf von Mühlen?«

»Natascha, Sie sind wohl eifersüchtig?«

Sie zuckte verächtlich mit den Achseln und schwieg.

Als der erste Akt zu Ende war, stand ich auf und sagte:

»Sie gestatten, daß ich auf eine Minute verschwinde. Ich sage der Dame ein paar Worte und bin gleich wieder da.«

»Sie brauchen überhaupt nicht zurückzukommen!«

»Natascha!«

»Also, wenn Sie wirklich eine geschäftliche Besprechung haben, dann gehen Sie, aber kommen Sie sofort zurück. Es ist für eine Dame peinlich, allein zu sitzen. Die Männer gaffen einen so an!«

»Mein Gott, Sie sind doch in der Loge!«

»Gehen Sie. Es ist mir wirklich peinlich, daß ich Sie gebeten habe, mich zu begleiten.«

Mit schwerem Herzen ging ich in den Zuschauerraum. Marusja war sehr erfreut.

»Guten Abend! Das ist nett, daß Sie mich nicht ganz vergessen. Zufällig ist neben mir ein Platz frei. Wollen Sie mit mir diesen Akt durchplauschen?«

»Ich wäre glücklich, aber ich bin in Gesellschaft.«

»Ja, ich habe es bemerkt. Sie ist nicht übel, aber zu stark geschminkt. Hm, wenn ich gewußt hätte, daß Sie Ihre Dame nicht auf eine Sekunde verlassen dürfen, wäre ich nicht ins Theater gegangen. Ich habe Durst. Wollen Sie mich ins Foyer begleiten?«

»Gehen wir!« sagte ich energisch.

»Nein, ich habe es mir überlegt. Ich werde bis zur nächsten Pause warten.«

Ich nahm sie unter den Arm, führte sie ins Foyer und fühlte die Blicke, die uns Natascha nachsandte.

»Nun, wie steht die Sache mit der Mühle?« fragte sie mich ironisch, als ich wie ein geschlagener Hund in die Loge kroch.

»Wenn Sie wüßten, wie man über Sie gesprochen hat, würden Sie anders reden.«

»Was hat man gesagt?«

»Man fand Sie entzückend. Wenn man ein Mann wäre, würde man sich auf der Stelle in Sie verlieben. Man ist überzeugt, daß ich in Sie über den Kopf verschossen bin und gratulierte mir zu meinem guten Geschmack.«

»Ich, eine Schönheit? Lächerlich. Sicherlich ist alles Ihre Erfindung!«

»Wirklich nicht!«

Natascha lächelte glücklich vor sich hin. Ich saß da und dachte: Wie wäre es, wenn man sie heute bekannt machte? Die Idee ist nicht übel. Ich könnte Marusja in die Loge bringen und brauchte nicht in den Pausen hin und her zu pendeln. Die Damen würden mich in Ruhe lassen, miteinander über die neuesten Moden sprechen und alles würde glatt ablaufen. Nach dem Theater könnte ich Natascha nach Hause bringen und mit Marusja in ein Restaurant gehen. Oder ich könnte mit beiden Damen ein Restaurant aufsuchen! Warum sollen sie nicht Freundinnen werden? Beide sind jung, hübsch, elegant, und wenn sie zusammen sind, werden sie auch ihre spitzen Bemerkungen vergessen.

»Sie gefallen ihr so«, sagte ich nach einer Pause, »ernsthaft, sie würde glücklich sein, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

»Wirklich?« bemerkte Natascha. »Nun, wenn Sie eine Dame der Gesellschaft ist, so laden Sie sie in unsere Loge ein.«

Ich stand auf und eilte zu Marusja.

»Liebste Marusja«, sagte ich, »Sie haben auf meine Begleiterin einen so starken Eindruck gemacht, daß sie Sie gern kennenlernen würde. Sie ist ein wenig in Sie verliebt.«

»Ich werde mit Vergnügen die Bekanntschaft der Dame machen!«

»Ausgezeichnet. Gehen wir in unsere Loge!«

»Unsere Loge: Was bedeutet das? Ich dachte, daß sie zu mir kommen wird.«

»Wozu? Wir sitzen zu dritt in der Loge.«

»Später recht gern. Wenn sie mich kennenlernen will, muß sie zu mir kommen. Ich kann doch nicht als Dame zu einer Unbekannten in die Loge gehen!«

Ich dachte einen Moment nach, dann sagte ich frisch:

»Ich werde mit ihr zu Ihnen kommen.«

*

Ich hatte nicht vorausgesehen, daß der Fall so kompliziert sein würde. Natascha weigerte sich entschieden, in den Zuschauerraum zu gehen.

»Wenn die Dame mich kennenlernen will, muß sie zu mir kommen.«

»Sie sagt, daß Sie eine Dame von Welt sind und daß sie es nicht wagt.«

»Ich gehe nicht zu ihr!«

»Einen Moment. Ich ordne es gleich.«

Ich lief wieder in den Zuschauerraum.

»Sie traut sich nicht, herunterzukommen. Sie ist so schüchtern. Gehen wir in die Loge!«

»Warum? Lassen Sie das. Bleiben Sie lieber bei mir sitzen, wenn Ihnen meine Gesellschaft nicht gleichgültig ist!«

Ich schaute auf unsere Loge: eine Frauenhand machte mir ein Zeichen.

»Wissen Sie was? Ich habe eine Idee. Kommen Sie ins Foyer. Ich werde Sie auf neutralem Boden bekannt machen.«

»Das ist was anderes. Begleiten Sie mich ins Foyer.«

Ich setzte sie auf einen Diwan und wollte in die Loge eilen. Sie hielt mich zurück.

»Sie werden mich doch nicht allein im Foyer lassen?«

»Ich muß doch die Dame hierher bringen!«

»Schicken Sie einen Diener in die Loge!«

»Das geht nicht, sie ist eine Dame der Gesellschaft!«

»Ich bin auch eine Dame der Gesellschaft. Machen Sie, was Sie wollen, der Abend ist sowieso verdorben.«

Eine Minute später war ich wieder in der Loge.

»Wollen wir nicht im Foyer promenieren?«

»Das hätten Sie mir längst vorschlagen sollen. Gehen wir!«

Ich brachte Natascha ins Foyer, und als wir beim Diwan vorbeischritten, wo Marusja saß, rief ich:

»Das ist entzückend. Darf ich die Damen bekannt machen: Natascha Pawlowa, Marusja Iwanow.«

Sie drückten einander die Hände, ich lehnte mich müde und abgespannt an eine Säule.

»Gefällt Ihnen das Stück?« fragte Marusja.

»Nicht besonders, und Ihnen?«

»Ich habe schon was Besseres gesehen!«

Gott sei Dank, dachte ich, die Mühle beginnt sich zu drehen!

Dann sagte ich laut:

»Die Damen gestatten, daß ich ins Restaurant gehe und eine Zigarette rauche?«

»Bitte!«

Ich lief rasch davon.

*

Man spielte den letzten Akt.

»Wo wollen wir zu Abend essen?« fragte ich unschlüssig.

»Wenn die Dame nichts dagegen hat, so schlage ich ›Contant‹ vor. Dort ißt man gut«, sagte Marusja.

»Aber bei ›Donon‹ ist ein ausgezeichnetes Orchester, gehen wir lieber dorthin«, bemerkte Natascha.

»Zu ›Donon‹? Aber ich bin so gewöhnt ans ›Contant‹.«

»Schön, fahren wir dahin. Bei ›Donon‹ fühlt man sich wohler . . .«

Inzwischen war die Vorstellung zu Ende.

»Ich habe unten meine Garderobe abgelegt«, bemerkte Marusja, »begleiten Sie mich zur Garderobe.«

»Und ich«, sagte schnippisch Natascha, »kann doch nicht allein in der Loge bleiben. Bringen Sie die Garderobe der Dame in die Loge. Und dann ist es zu spät. Es lohnt sich nicht, ins Restaurant zu fahren. Ich hoffe, lieber Freund, daß Sie mich nach Hause begleiten. Sie haben mich heute zur Genüge verlassen.«

Ich sprach kein Wort und lief aus der Loge in die Garderobe. Dort ging ich zum ersten besten Diener und drückte ihm eine Banknote in die Hand.

»Geh sofort in die Loge Nummer drei. Dort sitzen zwei Damen. Bringe der einen die Garderobe und sage ihnen, daß, als ich durch den Korridor ging, sich zwei Geheimagenten auf mich stürzten. Sie schleppten mich trotz meines Widerstandes fort. Sage, daß es anscheinend ein Mißverständnis ist, daß der Fall sich morgen aufklären wird und eine Verwechslung vorliegt. Vergiß nicht, daß ich Widerstand geleistet habe!«

Dann zog ich meinen Mantel an und verließ das Theater . . .

Ein paar Minuten später saß ich in einem kleinen Restaurant, trank Wein und fühlte mich so wohl wie seit langem nicht.

Seit jener Zeit liebe ich die Einsamkeit.


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