Jules Amédée Barbey d'Aurevilly
Teufelskinder
Jules Amédée Barbey d'Aurevilly

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Die Rache eines Weibes

Fortiter!

Eines Abends gegen das Ende der Zeit Ludwig Philipps durchschritt ein junger Mann die Rue Basse-du-Rempart in Paris, die damals ihren Namen mit Recht führte, denn sie lag tiefer als der Boulevard und bildete einen stets schlecht beleuchteten finsteren Hohlweg, in den man vom Boulevard aus auf zwei Treppen hinabstieg, die einander sozusagen den Rücken zuwandten. Heutzutage besteht der Hohlweg nicht mehr, der sich ehedem von der Chaussee d'Antin bis zur Rue Cau- martin erstreckte, wo er die Höhe der Hauptstraße wieder gewann. Dieser Stadtgraben, wie man ihn hätte nennen können, in den man sich kaum bei Tage wagte, war nachts eine ganz üble Gegend. Im Dunkeln herrscht der Teufel. Er hatte dort eine seiner Standesherrschaften.

Ungefähr in der Mitte des Hohlweges, der auf der einen Seite von dem hoch sich hinziehenden Boulevard und auf der anderen von großen stummen Häusern mit verschlossenen Einfahrtstoren und etlichen Trödelläden umsäumt wurde, mündete ein enger ungedeckter Durchgang, wo der Wind, wenn er nur ein bißchen wehte, wie auf einer Flöte pfiff. Dieses Quergäßchen führte an einer Mauer und einigen Neubauten entlang zur Rue Neuve-des-Mathurins.

Der besagte, übrigens gewählt angezogene junge Mann, der den Hohlweg betrat, wandelte in diesem Augenblick selbstverständlich nicht auf dem Weg der Tugend. Er betrat ihn, weil er einem weiblichen Wesen nachging, das ohne Zaudern und ohne Verlegenheit vor ihm im verdächtigen Dunkel der Gasse verschwunden war.

Er war ein vornehmer junger Lebemann, ein gant jaune, wie man damals solche Leute nannte. Er hatte im Café de Paris umständlich zu Abend gegessen, sich sodann bei Tortoni (jetzt nicht mehr vorhanden) an das Geländer gesetzt und dort lässig die Weiber betrachtet, die den Boulevard hingingen. Eine nun war mehrere Male vorübergekommen, und ungeachtet dieses Umstandes und trotz der auffälligen Kleidung dieser Frau und ihrem gespreizten Gang, der sie hinlänglich kennzeichnete, und obgleich der junge Mann, der sich Robert von Tressignies nannte, schrecklich verlebt war und überdies gerade von einer Reise im Osten heimgekehrt war, wo er das Tierchen Weib in allen Rassen und Abarten reichlich kennengelernt hatte, war er der abendlichen Spaziergängerin doch beim fünften Vorbeigange gefolgt, wie ein Hund einer läufigen Hündin. Er verspottete sich selber mit diesem Vergleich, denn er besaß die Fähigkeit, sich zu beobachten und sein eigenes Tun und Lassen zu beurteilen, ohne daß seine Gedanken, so häufig sie mit seinen Taten nicht übereinstimmten, diese gehemmt hätten. Andererseits trübten seine Handlungen durchaus nicht seine Urteilskraft. Ein gräßlicher Doppelzustand!

Tressignies war über die Dreißig. Seine erste Jugend war in jener Oberflächlichkeit dahingegangen, die den Mann zum verliebten Affen, den Weibern gegenüber wenig wählerisch, machen. Darüber war er hinaus. Allmählich war er ein kühler und vielerfahrener Wüstling geworden, ein stark vergeistigter Genußmensch, der genug Betrachtungen über seine sinnlichen Schwächen angestellt hatte, um nicht mehr der Narr seiner Gelüste zu sein, aber auch weder Angst noch Abscheu vor irgendwelcher Empfindung verspürte. Eben hatte er den leisen Eindruck gehabt, etwas noch nicht Erlebtem nahe zu sein. Neugierig hatte er seinen Platz verlassen, gewillt, schließlich auch nur einem sehr alltäglichen Abenteuer nachzulaufen. In der Tat war das Frauenzimmer, das vor ihm herstolzierte, nichts weiter als eine Dirne der niedrigsten Klasse, aber sie war von so sichtlicher Schönheit, daß man sich wundern mußte, daß sie ihr nicht geholfen hatte, ein paar Sprossen höher zu klettern, daß sie keinen Verehrer gefunden, der sie dem Pfuhl der Straße enthoben hatte. Denn wo der liebe Gott in Paris ein hübsches Weib hinstellt, da setzt der Teufel rasch einen Narren dicht daneben, der es aushält.

Tressignies hatte aber noch einen besonderen Grund, daß er dem Frauenzimmer folgte. Es war nicht bloß die gebieterische Schönheit, die anderen Parisern vielleicht entging, weil sie nichts von wahrhaftiger Schönheit verstehen und ihr demokratisch gewordener Schönheitssinn jedweder Vornehmheit entbehrt. Diese weibliche Gestalt hatte eine Erinnerung in ihm erweckt. Sie war ihm wie jener Spottvogel über den Weg gehüpft, der so tut, als sei er eine Nachtigall, wie Byron wehmütig einmal in seinem Tagebuch sagt. Sie erinnerte ihn an eine andere Frau, die ihm anderswo einmal begegnet war. Es war sicher, ganz sicher, daß nur eine Ähnlichkeit vorlag, aber die eine glich der anderen zum Verwechseln, wenn sie auch nie in die Lage kommen konnten, miteinander verwechselt zu werden. Übrigens reizte ihn diese Ähnlichkeit mehr, als daß sie ihn verwunderte, denn er war ein viel zu erfahrener Beobachter, um nicht zu wissen, daß sich das menschliche Antlitz, dessen Formen sich in den Grenzen fester unbeugsamer mathematischer Gesetze bewegen, in einigen wenigen Grundarten immer wiederholt. Die Schönheit ist einheitlich; die Häßlichkeit vielgestaltig.

Aber selbst deren Mannigfachheit ist beschränkt. Unendlich ist nur der Ausdruck; denn dieser ist eine Offenbarung der Seele, die sich in den regelmäßigen wie unregelmäßigen, in den klaren wie in den wirren Zügen der Menschengesichter spiegelt. An derlei dachte Tressignies flüchtig, als er dieser Frau nachging, die den Schwall des Boulevard durchschnitt wie eine Sense, stolzer noch als die Königin von Saba des Tintoretto, in ihrem goldgelben Atlaskleid, dessen Falten beim Gehen raschelten und herausfordernd aufleuchteten. Umgetan hatte sie einen prächtigen türkischen Schal mit breiten weißen, scharlachroten und goldgelben Streifen; und von ihrem weißen protzigen Hut wehte bis auf die Schulter herab eine große rote Feder, eine »Trauerweide«, wie die damalige Mode sie nannte. An dieser Frau drückte diese Feder indessen alles andere denn Trübsal aus. Tressignies hatte erwartet, daß sie mit all ihrem Kokottenprunk in die hellerleuchtete Chaussee d'Antin einschwenken werde. Zu seinem Erstaunen betrat sie aber die Rue Basse-du-Rempart, den damaligen Schandfleck des Boulevards. Nicht so unerschrocken wie die Voranschreitende, zögerte der elegante junge Mann, aber nur kurz, ihr in seinen Lackstiefeln »dahinein« zu folgen.

Ein paar Augenblicke blieb das grelle Goldkleid im Dunkel des finsteren Loches verschwunden, aber alsbald, an der einzigen Straßenlaterne, der ersten lichten Stelle der Gasse, flackerte es wieder auf. Tressignies beeilte sich, die vor ihm Schreitende einzuholen. Das kostete wenig Mühe, denn sie ging langsamer, in Gewißheit, daß er ihr nachkäme. Als er nun ihr zur Seite war, wandte sie ihm ihr Antlitz zu und sah ihn an, scharf und dreist, wie Frauenzimmer ihrer Art dies zu tun pflegen. Er war tatsächlich wie geblendet von der Formenschönheit dieses Gesichts, das trotz der stark aufgetragenen roten Schminke im kärglichen fahlen Laternenlicht den warmen goldbraunen Ton der Haut darunter recht gut wahrnehmen ließ.

»Sie sind Spanierin?« fragte Tressignies, der in ihr eine hervorragende Vertreterin ihrer Rasse erkannte.

»Si!« gab sie zur Antwort. Spanierin sein, war zu jenen Zeiten (um 1825) etwas Besonderes. Das war gangbare Münze. Die Romane von damals, das Theater der Clara Gazul (von Prosper Mérimée), die Dichtungen Alfreds von Musset, der Tanz von Mariano Camprubi und Dolores Serral hatten die pfirsichfarbenen Frauen mit den Granatwangen in Mode gebracht. Nicht alle, die Spanierin zu sein vorgaben, waren welche. Diese hielt offenbar auf ihr Spaniertum nicht mehr als auf ihren sonstigen Staat. Ohne Übergang fügte sie dem einen spanischen Wort auf französisch hinzu: »Kommst du mit?« Sie duzte also jedermann wie die gemeinste Dirne aus der Rue de Poulies. Der Ton, die bereits heisere Stimme, die verfrühte Vertraulichkeit, dies göttliche Du – der Himmel im Munde einer geliebten Frau, aber üble Unverschämtheit in der Rede eines Weibes, der man nur der Erstbeste ist – hätte genügt, um Tressignies mit Ekel zu erfüllen und von dannen zu treiben, aber der Satan hielt ihn gefangen. Seine Abenteuerlust, im Verein mit grober Sinnlichkeit, beide geweckt beim ersten Anblick dieser Dirne, die ihn mehr reizte als bloß ein prächtiger, in Atlas schillernder Leib, hätten ihn in diesem Augenblick zu wer weiß was Tollem verleitet.

»Beim Teufel, ja!« sagte er. »Natürlich komme ich mit!« Und in Gedanken setzte er hinzu: Wie kann sie noch fragen? Ich werde mich morgen tüchtig abduschen.

Sie kamen an das Ende des Durchganges, wo man zur Rue-des-Mathurins gelangte. In diese gingen sie. Zwischen hohen Haufen von Ziegelsteinen und im Entstehen begriffenen Gebäuden türmte sich ein freistehender einzelner Bau. Offenbar hatte dieses schmale häßliche verfallene und trübselige Haus schon manche Sünde und manches Verbrechen in seinen grauen mürrischen Mauern beherbergt; und wohl war es nur erhalten geblieben, um ihrer noch mehr in sich zu bergen. Kaum hob es sich vom schwarzen Himmel ab. Es war ein blindes Haus, wenn man erleuchtete Fenster als die Augen eines Gebäudes ansieht. Nur eine kleine Laterne an einer langen Stange lauerte weit vorgereckt aus der Finsternis hervor, wie um die Vorübergehenden anzukrallen.

Dieses gräßliche Haus hatte die klassische halboffene Tür der üblen Orte. Drin führte ein kümmerlicher Gang zu einer Treppe, die ganz hinten begann. Man erkannte von weitem die ersten Stufen im kärglichen trüben Licht.

Das Frauenzimmer betrat den engen Gang, den es mit den üppigen Schultern und den bauschigen Falten des Rockes beinahe ausfüllte, und mit leichten, diesen Aufstieg gewöhnten Füßen erklomm es rasch die Schneckentreppe. Der Vergleich in diesem Worte paßte hier um so besser, weil die Stufen klebrig waren wie eine Schnecke. Auffällig war es, daß der abscheuliche Treppengang heller ward, je höher man kam. Das war nicht mehr der matte Schein der stinkenden Ölfunzel im Gang des ersten Geschosses, sondern ein Licht, das immer voller wurde und im zweiten Stock geradezu eine Lichtflut spendete. Zwei kerzentragende Wandleuchter aus Erz waren der prunkende Quell der verschwenderischen Strahlen vor einer Tür von gewöhnlichem Aussehen, an der eine jener Karten befestigt war, wie sie die Dirnen bei sich führen.

Überrascht von dieser Herrlichkeit, die im Widerspruch mit dem ganzen Hause stand, denn die Laternenträger verrieten eine gute Künstlerhand, achtete Tresignies mehr darauf als auf die Karte mit dem Namen der Frau, den er zu wissen nicht nötig hatte, denn er begleitete sie ja. Während er die Dinge betrachtete und das Frauenzimmer die so sonderbar geschmückte und so reichlich beleuchtete Tür aufschloß, fielen ihm die »Überraschungen« der Kleinen Häuser in den Zeiten Ludwigs des Fünfzehnten ein. Diese Person, dachte er bei sich, hat vermutlich etwelche Romane oder Denkwürdigkeiten aus jener Zeit gelesen und darnach den Einfall bekommen, eine hübsche Wohnung voll wollüstiger Romantik an einem Orte einzurichten, wo man dergleichen niemals vermutet. Aber als sich die Tür öffnete, sah er sich zu seiner erneuten Überraschung getäuscht.

Es war tatsächlich nur die gewöhnliche unordentliche Behausung einer Kokotte. Auf allen Möbeln lagen Kleidungsstücke herum, und aus dem Alkoven leuchtete ein Riesenbett, das Manövergelände, mit schamlosen Spiegeln im Hintergrund und oben an der Decke. Man sah, wo man sich befand. Auf dem Kaminsims standen kleine Flaschen, in der Eile des Weggangs zum abendlichen Raubzug unverstöpselt gelassen, und durchdufteten die schwüle Luft des Raumes, in dem der Rest männlicher Standhaftigkeit nach drei Atemzügen verfliegen mußte. Zu beiden Seiten des Kamins brannten Kerzen in Armleuchtern nämlichen Stils wie die draußen vor der Tür. Überall lagen Tierfelle als Teppiche über dem Teppich. Es war für alles gesorgt. Endlich konnte man durch eine offene Tür, durch Vorhänge hindurch, in ein geheimnisvolles Ankleidezimmer blicken, in das Allerheiligste dieser Venuspriesterin.

Alle diese Einzelheiten nahm Tressignies erst später wahr. Zunächst sah er nur die Dirne, zu der er mitgekommen war. Da er wußte, bei wem er sich befand, machte er keine Umstände. Er zog sie ohne weiteres zu sich auf das Sofa und nahm sie zwischen die Knie. Sie hatte Hut und Schal abgelegt und auf einen Sessel geworfen. Beide Hände um ihre Taille gekrallt, betrachtete er sie von oben bis unten, wie ein Trinker, der das Glas gegen das Licht, hält, ehe er es an seine Lippen setzt.

Der Eindruck, den sie ihm auf dem Boulevard gemacht hatte, war keine Täuschung gewesen. Sie war so recht ein Leckerbissen für einen verlebten Lüstling und groben Weiberhengst. Auch die Ähnlichkeit, die ihm sofort im flimmernden Helldunkel des Boulevards aufgefallen war, verflüchtete sich nicht im vollen ruhigen Lampenlicht. Nur besaß »Die andere«, an die sie ihn so stark gemahnte, nicht den Ausdruck des zielbewußten, fast schrecklichen Hochmuts, den der Teufel, der große Spaßmacher und Sozialist, einer Herzogin verweigert und zur Abwechselung einmal einem Weibe der Gasse verliehen hatte. Ohne Hut, mit ihrem schwarzen Haar, dem gelben Kleid, den üppigen Schultern und den noch üppigeren Hüften erinnerte sie an die Judith des Horaz Vernet, nur war ihr Wuchs venusinischer und ihre Gesichtszüge düsterer. Ein schreiender Widerspruch: Sie besaß den Körper, aber nicht den Kopf einer Dirne! Dieser Kurtisanenleib, dessen Rundungen Hände und Mund herausforderten, war mit einem Gesicht verbunden, dessen Hoffart die entflammten Sinne in Eis getaucht und Geilheit zu Respekt gewandelt hätte, wenn den hehren Linienschwung nicht schlüpfriges Kokottenlächeln entheiligte. Auf der Straße war solch schamloser Sirenengruß von ihrem roten Mund genug geflossen, aber jetzt, auf den Knien des Besuchers, war ihr Gesicht ernst und von so seltsamer Feindseligkeit, daß sie nur einen Krummsäbel in die Hand hätte zu nehmen brauchen, um Tressignies in die Rolle des Holophernes zu versetzen.

Er erkannte ihre fürstliche Schönheit. Sie ließ die Prüfung ihrer Reize stumm über sich ergehen, aber auch sie musterte ihn ihrerseits, und zwar betrachtete sie ihn nicht mit der habgierigen einseitigen Neugier ihresgleichen, das den Mann wie ein verdächtiges Geldstück abwägt; sondern offenbar dachte sie an ganz andere Dinge als an Gewinn und Genuß. Sie sah aus, als sei sie im Begriff, ein Verbrechen zu begehen. Ein glückliches Abenteuer, dachte Tressignies bei sich, der sie prüfte wie einen Gaul, ehe man ihn in Besitz nimmt. Wenn ihre Wollust nur so wild wäre wie ihr Gesicht! Er, der vielerfahrene Weiberkenner, der auf dem Marktplatz von Arianopel die schönsten Jungfrauen erhandelt hatte und sich auf den Preis eines Frauenleibes von solcher Form und Farbe verstand, warf für diesen auf zwei Stunden ein halbes Dutzend Goldstücke in eine blaue Kristallschale, die er mit der Hand gerade erreichen konnte und die vermutlich noch nie soviel Gold aufgenommen hatte. »Ich gefalle dir also!« rief sie angesichts des Geldes frech und zu allem bereit, vielleicht auch ungeduldig über die Musterung, die ihr mehr Neugierde als Begehrlichkeit zu verraten schien. Zeitvergeudung gilt Dirnen als Verlust oder Beleidigung. »Laß mich das ablegen!« fügte sie hinzu, als sei ihr das Kleid lästig, und begann die Knöpfe daran aufzuknöpfen. Dabei entwandte sie sich seinen Knien und ging in das Ankleidezimmer nebenan.

»Will sie ihr Kleid schonen?« fragte sich Tressignies. »Verfluchte Alltäglichkeit!« Eben hatte er eine unersättliche Messalina vor sich zu haben geträumt; jetzt sank er in die gemeine Wirklichkeit zurück. Er fühlte sich wieder bei der Dirne, der Pariser Dirne, die sie trotz der Göttlichkeit ihres Körpers war. Hol mich der Teufel! dachte er weiter. Romantik steckt in diesen Menschen nicht. Man muß sich bei ihnen an die Haut halten! Und er nahm sich vor, sich damit zu begnügen. Da kam sie zurück aus dem Nebengemach, gerüstet zum Tournier, in einem Anzug, der keiner ist, eine Gladiatorin der Lust. Tressignies war wie geblendet von einer Pracht, die selbst sein kennerisches Auge, der Bildhauerblick des homme à femmes, auf dem Boulevard unter den verheißungsvollen Umrissen ihrer Kleider und dem Schwung ihrer Glieder beim Gang im voraus nicht erschaut hatte. Sie war nicht ganz nackt, aber ärger denn dies, schamloser, als sei sie einfach nackt gekommen. Empörend schamlos. Bloße Nacktheit ist keusch. Es ist die tapfere Nacktheit. Diese über alle Grenzen schamlose tiefverdorbene Dirne hingegen, die, um die Sinne der Männer heißer zu entflammen, sich am liebsten selber in Brand gesetzt hätte, wäre sie auch dabei wie eine der lebenden Fackeln Neros zugrunde gegangen, verhüllte die kühne Fleischesblöße in die vergängliche Halbnacktheit durchsichtiger dünner Schleier, Diese Mischung von Berechnung und schlechtem Geschmack in ihrer frech herausfordernden Pracht erinnerte Tressignies an eine damals bei allen Kunsthändlern im Schaufenster stehende unbeschreibliche Statuette, die auf dem Sockel den geheimnisvollen Namen »Madame Husson« trug. Hier war jene Gestalt geiler Träume zur Wirklichkeit geworden.

Völlig sicher der Erregung, die sie in diesem Aufzug zu verursachen gewohnt war, stürzte sie unbändig auf ihn los und bot seinem Mund ihren prangenden Busen dar, mit der Gebärde der Phryne, die den Heiligen in Versuchung bringt, auf dem Gemälde des Paolo Veronese. Tressignies war kein Heiliger. Heißhungrig nahm er, was sich ihm bot. Er riß die tierische Verführerin in seine Arme mit einem Feuer, dem ihrem gleich.

Wirft sie sich so in alle Arme, die sie umschließen? fragte sich Tressignies. Mochte sie noch so erfahren in ihrem Dirnenhandwerk oder in ihrer Kurtisanenkunst sein: ihre rasende tobende Glut spottete der Erklärung durch unnatürliche oder krankhafte Sinnlichkeit. Es war mehr als das. Befand sie sich noch im Anfang ihrer Hetärenlaufbahn, daß sie sich mit so viel Wollust hingab?

Es war etwas wirklich Wildes und Gieriges in ihrer Art, als ob sie bei jedweder Zärtlichkeit ihr Leben lassen oder das des Partners in sich saugen wollte. Zu jener Zeit liebten es die Pariser Dirnen, denen der nette Name »Loretten« nicht mehr genügte, den ihnen die Literatur beigelegt und den Gavarni verewigt hat, nach morgenländischer Art »Panther« genannt zu werden. Auf keine ihrer Genossinnen paßte diese Bezeichnung trefflicher als auf diese Spanierin. Sie hatte die Biegsamkeit, die Sprunghaftigkeit einer Pantherkatze; sie wand sich, kratzte und biß wie sie. Tressignies konnte nicht umhin, sich zu gestehen, daß ihm noch nie ein Weib zu eigen gewesen war, das ihm einen so ungeheuerlichen Sinnesgenuß bereitet hatte wie diese Frau, deren Wollustrausch sich ihm in der Berührung mitteilte. Und doch hatte Tressignies wahrhaft geliebt.

Es gibt – ungewiß, ob zum Ruhm oder zur Schande der menschlichen Natur – in dem, was man wohl allzu verächtlich »Liebesfreuden« nennt, ebenso tiefe Abgründe wie in der Leidenschaft. In einen solchen Abgrund fühlte sich Tressignies versinken wie in den Strudel eines wilden Stromes, in dem kein Schwimmen hilft. Er sah sich weit über den Grenzen seiner sündhaften Erinnerungen, ja über den Träumen seiner starken und verdorbenen Phantasie. Er vergaß, wer sie war und warum er hergekommen war, das Haus und die Umgebung, bei deren ersten Anblick ihm übel geworden war. Er hatte seine Seele verloren an ihren Leib. Seine sonst schwer besiegbaren Sinne waren völlig berauscht, betört.

Sie war so verschwenderisch in ihren Zärtlichkeiten, daß er in einen Zustand geriet, wo er, der Liebesleugner, der große Zweifler, dem tollen Gedanken verfiel, in dieser erkauften Frau, die doch unmöglich zu jedem so sein könne, zum mindesten eine verliebte Anwandlung erweckt zu haben, denn sonst mußte sie sich doch binnen kurzem körperlich zugrunde richten. Diesen Wahn hegte Robert von Tressignies, dem wie seinem berühmten Namensvetter Robert Lovelace (dem Helden in der »Klarissa«, dem heute vergessenen Roman von Samuel Richardson) eiskaltes Blut in den Adern rann. Ein paar Minuten lang war dieser Herrenmensch Narr genug, daran zu glauben. Aber dieser eitle Wahn, entzündet an den Flammen der Wollust, die hier so glutvoll waren wie die der wahren Leidenschaft, hatte es sehr bald mit dem Zweifel zu tun, der ihn in der Zwischenzeit von einer Liebesraserei zur anderen überfiel. Aus der Tiefe seines Ichs rief ihm eine Stimme zu: »Du bist es nicht, dem sie sich mit dir hingibt!«

Er hatte sie nämlich beobachtet, in einem Augenblick, wo diese Pantherkatze ihn am glühendsten umwand und am zärtlichsten umkoste, wie sie, in ferne Erinnerung verloren, ein Armband betrachtete, auf dem er das Bildnis eines Mannes erkannte. Ein paar spanische Worte, die Tressignies in seiner Sprachunkenntnis nicht verstand, im Gemisch mit bacchantischen Schreien, galten wohl ebenso einem Abwesenden. Daß er der Stellvertreter eines anderen war, daß er einen anderen vorstellte, daß er das bloße Werkzeug eines Truggenusses war, des Ersatzes von etwas Unerreichbarem, zu dem verzweifelte Seelen ihre Zuflucht nehmen – dieser Gedanke übermannte seinen Geist auf das heftigste und ertötete mit einem Schlage alle seine Verrücktheit.

In einem Anfall von sinnloser Eifersucht und wilder Eitelkeit, in dem der Mann nicht mehr Herr seiner selbst ist, packte er die Daliegende rasch am Arm, um das Armband genauer zu sehen, das sie so innig angeschaut hatte, in einem Augenblick, da er geglaubt, sie müsse ihm ganz und gar angehören.

»Zeig mir das Bild!« sagte er mit einer Stimme, die noch roher war als seine Hand.

Sie wußte, was das besagte, aber ohne Stolz wies sie ihn zurecht.

»Wie kann man auf eine ... eifersüchtig sein wie ich eine bin?« Sie gebrauchte nicht das Wort »Dirne«, sondern ein gröberes. Tressignies war starr. »Du willst es sehen?« fuhr sie fort. »Hier!« Ihr voller, noch vom Schweiß der rasenden Wollust nasser Arm kam ihm nahe.

Es war das Bild eines häßlichen schmächtigen Mannes mit olivenfarbener Hautfarbe und gelblich-schwarzen Augen, einer finsteren, aber nicht unvornehmen Erscheinung, offenbar ein Straßenräuber oder ein Grande Spaniens. Nein, zweifellos ein Grande, denn er trug die Ordenskette des Goldnen Vlieses um den Hals.

»Wo hast du dir das angeeignet?« fragte Tressignies, in sicherer Erwartung, daß sie ihm jetzt einen Roman auftischen werde, die übliche Verführungsgeschichte, die bekannte Historie vom ersten, die sie alle erzählen.

»Angeeignet?« wiederholte sie empört. »Por Dios! Von ihm selbst geschenkt bekommen.«

»Von ihm? Wohl deinem Geliebten?« meinte Tressignies. »Dann hast du ihn betrogen. Er hat dich zum Teufel gejagt, und so bist du abgerutscht bis hierher?«

»Es ist nicht mein Geliebter«, sagte sie kühl, gegen Kränkung und Verdacht unempfindlich wie Stahl.

»Dann war er es!« sagte Tressignies. »Aber du liebst ihn noch immer. Vorhin an deinen Augen habe ich es gesehen...«

Sie lachte höhnisch auf.

»Dann verstehst du also nichts weder von Liebe noch von Haß!« rief sie. »Diesen Mann lieben? Ich verabscheue ihn. Es ist mein Gatte!«

»Dein Gatte?«

»Ja, mein Gatte!« wiederholte sie. »Einer der größten Herren Spaniens. Dreifacher Herzog, vierfacher Marquis, fünffacher Graf, Grande verschiedener Grade, Ritter vom Goldnen Vlies! Und ich bin die Herzogin Arcos von Sierra-Leone.«

Tressignies wußte nicht, was er sagen sollte, aber er war voll überzeugt, daß diese Eröffnung wahr war. Dieses Weib war keine Lügnerin. Er erkannte sie jetzt. Die Ähnlichkeit, die ihm auf dem Boulevard aufgefallen war, hatte ihn also nicht genarrt. Er war der Herzogin einmal in seinem Leben begegnet und vor gar nicht langer Zeit in Saint-Jean- de-Luz (bei Biarritz), wo er einen Hochsommer verbracht hatte. Gerade damals waren sehr viele vornehme Spanier dort. Die Herzogin hatte gleich ihm den ganzen Sommer in dem kleinen Ort verweilt, der in allem einen so spanischen Eindruck macht, daß man vermeint, in Spanien zu sein. Er ist auch reich an geschichtlichen Erinnerungen. Unter anderem hat hier die Hochzeitsfeier Ludwigs XIV. stattgefunden.

Die Herzogin von Sierra-Leone befand sich, wie man sagte, in den Flitterwochen mit dem vornehmsten und reichsten Edelmann Spaniens. Als Tressignies in dem Fischernest ankam, das der Welt die gefährlichsten Seeräuber geschenkt hat, sah er sie umgeben von Prunk, wie das Dorf ihn seit den Tagen des Sonnenkönigs nicht erblickt hatte, inmitten der Baskinnen, deren herrliche klassische Gestalten und blaugrün schillernde Augen keinen Vergleich scheuen. Sie überstrahlte sie. Angezogen von dieser schönen Frau, gab sich Tressignies alle Mühe, in ihren Lebenskreis zu kommen, aber die spanische Gesellschaft, deren Mittelpunkt die Herzogin war, schloß sich streng ab, auch vor dem reichen und vornehmen Franzosen. So kam es, daß er die Herzogin nur fern am Strand oder in der Kirche beobachten konnte, sie damals aber nicht persönlich kennenzulernen vermochte. Aber sie hatte sich gerade ob ihrer Unnahbarkeit seinem Gedächtnis stark eingeprägt, wie ein Komet, an dessen Erscheinung wir uns lebenslang erinnern, weil er uns nur eine Zeitlang geleuchtet hat und wir den entschwundenen Stern niemals wieder sehen. Selbst auf seiner großen Reise durch Griechenland und einen Teil Asiens, in Ländern, die so reich an reizvollen Frauen sind, daß man im Paradies zu verweilen meint, selbst dort erstarb das strahlende Bild der fürstlichen Spanierin nicht in seinem Gedächtnis. So fest hatte es sich darin eingegraben. Und diese Frau, die er damals aus der Ferne bewundert hatte, kreuzte jetzt durch den merkwürdigsten und unbegreiflichsten Zufall an so unglaublicher Stelle seinen Lebensweg! Sie war eine öffentliche Dirne, die er sich auf ein paar Stunden gekauft und die sich ihm eben hingegeben hatte, eines der gewöhnlichsten Frauenzimmer, denn auch in der Welt des Lasters gibt es eine Rangordnung. Die herrliche Herzogin von Sierra- Leone, die unerreichbare Frauengestalt, die er geradezu geliebt hatte, denn Traum und Liebe sind Geschwister, sie war eine Kokotte des Pariser Pflasters! Wie war das möglich?

Eben hatte sie sich in seinen Armen gewunden und gestern und vorgestern und vielleicht schon wieder in der nächsten Stunde in denen eines ersten besten anderen. Diese entsetzliche Entdeckung traf ihn auf Hirn und Herz wie ein Keulenschlag. Eben noch in heißer Sinneserregung, in feurigem Fieber, war er jetzt kalt, starr, nüchtern. Der Gedanke, die Gewißheit, daß dies wirklich die Herzogin war, fachte seine Begier nicht von neuem an. Sie war erlöschen wie die Flamme einer Kerze im Wind. Er war nicht imstande, seine Lippen noch einmal an den Kelch zu drücken, aus dem er eben in vollen Zügen getrunken. Seit sie sich ihm entdeckt hatte, war sie ihm keine Dirne mehr, sondern nur noch die Herzogin, aber in welchem Zustand! Besudelt, verdorben, verloren, vom leukadischen Felsen herabgestürzt in ein Meer von Schlamm und Schmutz, zu eklig und widerwärtig, um sie herauszuziehen.

Tressignies schaute sie mit blöden Augen an. Sie saß steif und düster da, aus einer Messalina mit einem Male zu einer geheimnisvollen Agrippina gewandelt. Sie war von ihm ab in die Ecke des Sofas gerückt, auf dem sie sich beide gesielt hatten. Auch nicht mit der Fingerspitze hätte er dieses Geschöpf wieder berühren mögen, dessen prächtigen Leib er eben noch mit inbrünstigen Händen umklammert hatte. War er im Fieber, im Traum, im Wahnsinn?

»Ja«, sagte er zu ihr mit einer Stimme aus halbzugewürgter Kehle – so stark hatte ihn die Entdeckung ergriffen! – »ich glaube Ihnen« (er duzte sie nicht mehr), »denn ich erkenne Sie wieder. Ich habe Sie in Saint-Jean-de-Luz gesehen, vor drei Jahren.«

Bei diesem Namen zog ein Leuchten der Erinnerung über ihre Stirn.

»Ach damals«, sagte sie, »da lebte ich im vollen Rausch des Lebens – und jetzt...« Ihr Gesicht war wieder düster, nur ihr Kopf blieb eigensinnig erhoben.

»Und jetzt?« fragte Tressignies.

»Und jetzt!« wiederholte sie. »Jetzt lebe ich nur noch im Rausch der Rache!« Und mit wilder Heftigkeit fügte sie hinzu: »Im Rausch einer Rache, die so gründlich ist, daß ich selber daran zugrunde gehe, wie es den Moskitos meiner Heimat ergeht, die, vollgesaugt vom Blut ihres Opfers, daran sterben!« Sie sah ihrem Besucher scharf in die Augen. »Sie verstehen mich nicht, aber Sie sollen mich verstehen. Sie wissen, wer ich bin, aber Sie wissen nicht ganz, was ich bin. Wollen Sie meine Geschichte hören? Wollen Sie das?« Sie wiederholte die Frage in eindringlicher Erregtheit. »Ich möchte sie jedem erzählen, der hierher kommt. Der ganzen Welt möchte ich sie erzählen. Dies wäre eine große Schmach für mich, aber eine gründliche Rache.«

»Erzählen Sie!« sagte Tressignies in einer Spannung, die er noch nie verspürt hatte. Er ahnte, daß dieses Weib ihm Dinge erzählen könne, wie er noch keine zu hören bekommen hatte. Ihren schönen Körper hatte er vergessen.

Sie begann:

»Schon oft habe ich den Männern, die hierherkommen, meine Geschichte erzählen wollen, aber alle sagten, sie wären nicht da, um Geschichten anzuhören. Wenn ich anfing, haben sie mich unterbrochen oder sind weggegangen wie die wilden Tiere nach dem Fraß. Was sie hier gesucht, hatten sie ja, die gemeine Befriedigung. Gleichgültig, spöttisch, verächtlich nannten sie mich eine Lügnerin oder eine Verrückte. Keiner glaubt mir, nur Sie! Sie haben mich ja auch in Saint- Jean-de-Luz gesehen, auf der höchsten Höhe gesellschaftlichen Glückes und weiblicher Triumphe. Wie ein Diamant strahlte ich den Namen Sierra-Leone hinaus in die Welt, den Namen, den ich jetzt am Saum meines Kleides durch alle Pfützen der Straße schleppe. So machte man es in alten Zeiten mit dem Schild eines entehrten Ritters, den man an den Schweif eines Pferdes band und durch den Kot schleifen ließ. Ich hasse diesen Namen und schmücke mich nur noch mit ihm, um ihn zu schänden, diesen Namen, den der erste Grandseigneur Spaniens trägt, der stolzeste aller der Granden, die das Vorrecht genießen, bedeckten Hauptes vor ihrem König zu erscheinen, und sich für zehnmal vornehmer halten als die Majestät. Sein Haus ist, wie er vermeint, älter als die der Kastilier und Aragonier, der Habsburger und Bourbonen, kurzum als alle, die je über Spanien geherrscht. Er ist ein Nachkomme der alten Gotenkönige, stolz darauf, in seinen Adern unverfälschtes Blut zu haben. Und ich, die Gattin des Don Christoval von Arcos, Herzogs von Sierra-Leone, ich bin eine Torre-Cremata, die letzte aus dem italienischen Zweig des alten Geschlechts, würdig, nebenbei bemerkt, des Namens: vom verbrannten Turm; denn mich verbrennen alle Flammen der Hölle. Der Großinquisitor Torquemada, ein Torre-Cremata, hat in seinem ganzen Leben nicht so viele Qualen verhängt, als in meinem verruchten Busen lodern. Die Torre-Crematas sind übrigens den Sierra- Leones ebenbürtig. In zwei mächtige Linien geteilt, waren sie Jahrhunderte hindurch in Spanien wie Italien allmächtig. Im Quattrocento, unter dem Papst Alexander dem Sechsten, gaben sich die Borgias, die sich in ihrem Größenwahn am liebsten mit allen Fürstenhäusern von Europa verschwägert hätten, für Verwandte von uns aus, aber die Torre-Crematas wiesen diese Anmaßung höhnisch zurück, und zwei von ihnen büßten diesen Hochmut mit ihrem Leben. Cäsar Borgia soll sie haben vergiften lassen.

Meine Vermählung mit dem Herzog von Sierra-Leone war die Folge einer Familienabmachung. Weder auf meiner noch auf seiner Seite kam Neigung in Frage. Es erschien ganz natürlich, daß eine Torre-Cremata einen Sierra-Leone heiratete, war ich doch im strengsten altspanischen Standesbewußtsein erzogen. Dies ist so unerbittlich, daß es die Herzen am liebsten nicht schlagen ließe. Und doch ist das Herz stärker als dieser Panzer aus Erz. Ich verliebte mich. In Don Esteban. Ehe ich ihm begegnete, wußte ich nicht, daß ich ein Herz hatte. Nach altspanischem Begriff ist die Ehe eine ernste Angelegenheit. Und eben das war sie mir bis dahin.

Der Herzog von Sierra-Leone ist ein echter Altspanier, ein eifriger Wahrer alter Sitten. Was Sie in Frankreich alles gehört haben mögen von Spanien als einem Land des Hochmuts, der Finsternis und Schweigsamkeit, alles das finden Sie im höchsten Maße vereint in diesem Mann.

Zu stolz, um irgendwo anders zu leben, denn auf seinen Gütern, wohnte er in einem alten Ritterschloß an der portugiesischen Grenze, in seinen Lebensgewohnheiten noch feudaler als seine Burg. Dort lebte auch ich, neben ihm, zwischen meinem Beichtvater und meinen Kammerzofen, und führte ein prunkvolles eintöniges trübseliges Dasein, dessen Langeweile jede andere Frauenseele vernichtet hätte. Aber ich war ja dazu erzogen worden, zu sein, was ich war, die Gemahlin eines spanischen Granden.

Ich war fromm, wie dies in Spanien die Pflicht einer Dame meines hohen Ranges ist, und ich besaß die unerschütterliche Gelassenheit meiner Vorfahren, deren Bildnisse die Säle und die Hallen des Schlosses von Sierra-Leone schmückten. In ihren ehernen Harnischen und steifen Staatsröcken starren sie stolz und streng herab. Ich hatte diese lange Reihe großer hoheitsvoller Herren und untadeliger Damen, deren Tugend von ihrem Hochmut bewacht war wie ein Brunnen von einem Löwen, fortzusetzen. Die Einsamkeit, in der ich dahinlebte, bedrückte meine Seele, nicht, die still war wie der rote Marmorfelsen, auf dem das Schloß von Sierra-Leone thront. Ich ahnte nicht, daß unter ihm ein Vulkan schlummerte.

Don Esteban, Marquis von Vasconcellos, ein Vetter des Herzogs, Portugiese, kam nach Sierra-Leone, und die Liebe, von der ich bis dahin nur durch ein paar geheimnisvolle Bücher gehört hatte, überfiel mein Herz wie ein Adler, der aus den Lüften auf ein Kind herabstößt, das er davonträgt und das laut schreit. Auch ich schrie. Ich war nicht umsonst eine Spanierin von uraltem Blut.

Mein Stolz bäumte sich auf gegen das, was ich in der Gegenwart dieses gefährlichen Esteban empfand, der sich meiner mit mich empörender Gewalt bemächtigte. Ich warnte den Herzog. Ich erfand allerlei Vorwände, um ihn zu veranlassen, den Marquis so rasch wie möglich aus dem Schloß zu entfernen. Ich hätte bemerkt, sagte ich, daß er Gefühle für mich hege, die mich wie eine Beleidigung berührten. Aber Don Christoval antwortete mir wie der Herzog von Guise, als man ihn vor Heinrich dem Dritten warnte: ›Er wird es nicht wagen!‹

Das war eine Herausforderung des Schicksals, das sich rächte, indem es sich vollzog. Dieses Wort warf mich in Estebans Arme ...«

Sie hielt einen Augenblick inne. Tressignies bewunderte die erlesene Ausdrucksweise, in der sie ihm dies vorgetragen hatte. Es bewies allein schon, daß sie das war, was zu sein sie vorgab, die Herzogin von Sierra-Leone. Wie fern dünkte ihm jetzt die Dirne vom Boulevard zu sein. Es war ihm, als habe diese Frau eine Maske abgestreift und zeige ihm nun ihr wahres Gesicht, als sei sie jetzt, was sie in Wirklichkeit war. Auch die Haltung ihres schamlosen Körpers hatte etwas Reines angenommen. Während sie redete, hatte sie einen Schal, der zufällig auf dem Sofa lag, umgetan. Sie hatte ihren »verdammten Busen« – wie sie gesagt – verhüllt, dem ihr Schandgewerbe noch nicht die schöne Rundung und die jungfernhafte Strammheit genommen hatte. Sogar ihre Stimme hatte den rohen Klang der Straße verloren. Täuschte sich Tressignies im Banne der Erzählung? Es schien ihm, als hätte ihre Rede den Ton der Vornehmheit wiedergewonnen.

»Ich weiß nicht«, fuhr sie fort, »ob andere Frauen so sind wie ich, aber der ungläubige Hochmut des Don Christoval, sein gemächliches unbeunruhigtes: ›Er wird es nicht wagen !‹, gemünzt auf den Mann, den ich liebte, empfand ich als eine Beleidigung dessen, der mich bereits bis in die Tiefe meines Wesens wie ein Gott durchdrungen hatte. ›Beweise ihm, daß du es wagst !‹ sagte ich am nämlichen Abend zu Don Esteban und erklärte ihm damit meine Liebe. Es war gar nicht nötig, es ihm zu sagen. Er vergötterte mich seit dem ersten Tag, da er mich gesehen. Unsere gegenseitige Leidenschaft war eine Liebe auf den ersten Blick. Zwei Pistolenschüsse, zugleich abgefeuert, trafen beide tödlich!

Ich hatte meine Pflicht als spanische Ehefrau getan, indem ich Don Christoval aufmerksam machte. Er konnte mich meines Lebens berauben, denn ich war seine Frau, und ich hatte nicht mehr über mein Herz zu verfügen. Und gewiß wäre dies geschehen, wenn er, wie ich ihm vorgeschlagen, den Marquis aus dem Schloß entfernt hätte. In der Raserei meines entfesselten Herzens wäre ich aus Sehnsucht nach ihm gestorben. Dieser schrecklichen Gefahr hatte ich mich ausgesetzt. Aber der Herzog hatte mich nicht verstanden; er dünkte sich so erhaben über den Marquis, daß er es einfach für unmöglich hielt, daß dieser seine Blicke zu mir erheben und mir zu huldigen wagen könne. Soweit aber ging der Heldenmut meiner ehelichen Pflicht nicht angesichts der Leidenschaft, die mich beherrschte!

Ich mache keinen Versuch, Ihnen ein getreues Bild meiner Liebe zu geben. Vielleicht erschiene sie Ihnen unglaubhaft. Aber schließlich ist es gleichgültig, was Sie darüber denken. Sie mögen mir glauben oder nicht glauben: es war eine ebenso heiße wie reine, eine ritterliche, romantische, beinahe himmlische, fast überirdische Liebe. Waren wir beide doch kaum zwanzig Jahre alt und aus dem Land des Cid, des Loyola und der heiligen Therese. Ignaz hat die Himmelskönigin nicht reiner lieben können, als Don Esteban mich liebte; und Therese ihren himmlischen Bräutigam um nichts inbrünstiger als ich den Marquis.

Ehebruch! Pfui! Dachten wir daran, daß wir Ehebrecher waren? Unsere Herzen schlugen höher. Wir lebten in einer Welt so hehrer hoher erdenferner Gefühle, daß wir nichts verspürten von den Gelüsten und Sünden einer gewöhnlichen Liebschaft. Wir atmeten in reiner Himmelsluft. Aber es war die glühende Luft eines Flammenhimmels. Konnte dieser Zustand lange währen? War das menschenmöglich? Spielten wir nicht ein allzu gefährliches Spiel? Mußten wir nicht, schwach wie wir alle sind, nach einer gewissen Zeit von der Höhe unserer reinen Traumwelt in die Tiefe stürzen? Esteban war fromm wie ein portugiesischer Ritter aus der Zeit der Albuquerque. ich war sicherlich nicht so stark wie er; aber ich setzte in ihn und in die Lauterkeit seiner Liebe das Vertrauen meiner reinen Hinneigung. Ich thronte in seinem Herzen wie eine Madonna in einer goldenen Nische, eine ewige Lampe zu ihren Füßen. Er liebte mich um meiner Seele willen. Er war einer jener seltenen Liebenden, die die angebetete Frau erhaben sehen wollen. Voll Edelmut, voll Hingabe, voll Heldentum sollte ich sein, eine große Dame wie aus Spaniens größter Zeit. Mich eine schöne Tat vollbringen sehen, war ihm mehr wert als Brust an Brust mit ihm einen Walzer zu tanzen. Wenn sich die Engel vor Gottes Thron lieben, so lieben sie sich, wie wir beide uns geliebt haben. Wir gingen so völlig in uns auf, daß wir stundenlang zusammen verbrachten, Hand in Hand, Aug in Aug, imstande, alles zu tun, denn wir waren allein, aber so glückselig, daß wir darüber hinaus nichts begehrten. Manchmal tat uns dieses ungeheuere Glück weh, das uns umflutete, so stark war es, und wir sehnten uns danach, zu sterben, eins mit dem ändern, eins für den andern, und wir verstanden beide das Wort der heiligen Therese: Ich sterbe vor Todessehnsucht. Es ist die Sehnsucht eines Erdengeschöpfes, das eine seine Seele zersprengende überirdische Liebe nicht mehr erträgt und ihrem wilden Strom Raum zu schaffen wähnt, indem es das Gefäß zertrümmert und sich dem Tod weiht. Ich bin jetzt die armseligste aller Sünderinnen, aber glauben Sie mir, zu jener Zeit haben mich Estebans Lippen niemals berührt, und ein Kuß, den er einer Rose aufdrückte und den ich durch diese empfing, beraubte mich fast meiner Sinne. In der Tiefe des entsetzlichen Abgrundes, in den ich mich freiwillig gestürzt, erinnere ich mich in jedem Augenblick zu meiner Qual der himmlischen Wonnen jener reinen Liebe, in der wir beide lebten, versunken, verloren, ohne Verstellung, weil unsere Leidenschaft hoch über allem stand, jedem sichtbar, so daß auch Don Christoval ohne viel Mühe erkennen mußte, daß wir einander vergötterten. Wir lebten mit den Augen in den Sternen. Wie sollten wir da merken, daß er voller Eifersucht war und voll welch starker Eifersucht? Der einzigen, der er fähig war: der Eifersucht aus Stolz. Er überraschte uns nicht. Man überrascht ja nur die, die sich verstecken. Wir verbargen uns nicht. Wir waren so rein wie die Flamme am hellichten Tag und ebenso durchsichtig. Und obendrein quoll das Glück in uns über. Der Herzog sah es also. Esteban hatte es gewagt! Und ich auch.

Eines Abends waren wir zusammen wie zumeist, seit wir uns liebten. Er saß mir zu Füßen, wie vor der Madonna, in so inniger Versunkenheit, daß wir besonderer Zärtlichkeiten nicht bedurften. Plötzlich trat der Herzog ein, mit ihm zwei Mohren, die er aus den Kolonien heimgebracht, wo er lange Zeit Statthalter war. In unserer Weltverlorenheit bemerkten wir nichts, als mir mit einem Male Estebans Kopf schwer in den Schoß fiel. Er war erdrosselt. Die Mohren hatten ihm eine jener Schlingen um den Hals geworfen, mit denen man drüben in Neu-Spanien die Büffel tötet.

Rasch wie ein Blitz war es geschehen. Mich hatte der Blitz nicht getroffen. Ich fiel nicht in Ohnmacht. Ich schrie nicht auf. Keine Träne floß aus meinen Augen. Ich war starr und stumm, voll namenlosem Entsetzen, aus dem mich nur ein Riß durch mein ganzes Wesen wieder zum vollen Bewußtsein brachte.

Ich hatte die Empfindung, daß man mir das Herz aus dem Leib schnitt. Ach, ich war es nicht, dem man dies antat. Es war Esteban, dem es entrissen worden. Der Erdrosselte lag zu meinen Füßen mit aufgeschlitzter Brust, in der die Ungeheuer gewühlt hatten wie in einem Sack. Das hatte ich empfunden. So sehr war ich eins mit ihm, daß ich gespürt hatte, was er empfunden hätte, wenn er noch am Leben gewesen wäre. Ich hatte den Schmerz erlitten, den sein Leichnam nicht mehr empfand. Das hatte mich aus der Erstarrung gerissen, der ich vor Schaudern verfallen war, als sie ihn mir erwürgten.

Ich warf mich den Mördern entgegen. ›Nun komme ich daran !‹ rief ich ihnen zu. Willens, desselben Todes zu sterben wie er, bot ich meinen Kopf der scheußlichen Schlinge dar. Schon schickten sie sich an, ihr Werk zu vollenden, da rief der Herzog, der stolze Grande, der sich mehr dünkte als der König: ›Die Königin ist unantastbar!‹ Und er jagte die Mohren mit der Hetzpeitsche zurück.

›Nein, meine Gnädige, Sie bleiben leben!‹ rief er mir zu. ›Um bis in alle Ewigkeit an das zu denken, was Sie jetzt sehen sollen!‹ Er pfiff. Zwei mächtige Hunde stürzten herein.

›Man werfe das Herz des Verräters den Hunden zum Fraß vor!‹ befahl er.

Bei diesen Worten richtete sich, ich weiß nicht was, in mir wieder auf. ›Das ist nichts!‹ rief ich ihm zu. ›Räche dich gründlicher! Mir mußt du es zu essen geben !‹

Er erstarrte.

›So wahnsinnig liebst du ihn?‹

Der Unmensch hatte meine Liebe zum äußersten gesteigert. Jetzt liebte ich den Toten so sehr, daß ich weder Furcht noch Grauen vor dem blutigen Herzen empfand, das noch von mir erfüllt, noch heiß von mir war. Ich wollte es in mir aufnehmen, dies Herz ...

Auf den Knien flehte ich darum, die Hände gefaltet. Ich wollte dem edlen angebeteten Herzen den ruchlosen gottlästerlichen Schimpf ersparen. Ich hätte mit diesem Herzen das heilige Abendmahl genommen wie mit einer Hostie. War Esteban nicht mein Gott?

Die Erinnerung an Gabriele von Vergy, deren Geschichte wir, Esteban und ich, so oft zusammen gelesen hatten, war in mir aufgetaucht. Ich beneidete diese Frau. Ich fand sie glücklich, denn ihr Leib war zum lebendigen Grab des Herzens geworden, das sie geliebt hatte. Aber der Anblick einer solchen Liebe machte den Herzog unerbittlich. Seine Hunde zerrissen Estebans Herz vor meinen Augen. Ich machte es den Bestien streitig. Ich rang mit ihnen darum, konnte es ihnen aber nicht entreißen. Sie bissen mich und rieben ihre blutigen Schnauzen an meinen Kleidern ab.«

Die Erzählerin hielt inne. Die Erinnerung hatte sie totenblaß gemacht. Nach Atem ringend und mit einer heftigen Gebärde stand sie auf, riß eine Lade am kupfernen Handgriff auf und zeigte Tressignies ein zerfetztes Kleid, das mehrfach Blutspuren trug.

»Sehen Sie!« rief sie. »Das ist das Herzblut des Mannes, der mich geliebt hat! Wenn ich einsam bin in dem abscheulichen Dasein, das ich führe, wenn mich der Ekel befällt, wenn der Schmutz mir bis in den Mund kommt und mich beinahe erstickt, wenn der Geist der Rache in mir erlahmt, wenn die Herzogin in mir erwacht und sich vor der Dirne entsetzt, dann hülle ich mich in dieses Kleid, dann berühre ich meinen besudelten Leib mit diesen Blutflecken, die für mich noch immer flammen, und fache meine Rache von neuem an. Diese blutigen Lumpen sind mein Heiligtum. Habe ich sie an meinem Körper, dann rast mir die Wut der Rache durch die Eingeweide, und es ist mir, als fände ich neue Kraft zu ihr bis in alle Ewigkeit.«

Tressigniers erschauerte, während er der unheimlichen Frau zuhörte. Es graute ihm vor ihren Gesten, ihren Worten, ihrem Antlitz. Es war zu einem Gorgonenhaupt geworden. Es kam ihm vor, als schaue er um ihrem Kopf die Schlangen, die diese Medusa in ihrem Herzen trug. Jetzt begann er das Wort Rache zu verstehen, das sie so oft wiederholte, das ihr gleichsam immer auf den Lippen flammte.

Sie begann von neuem:

»Das ist meine Rache! Verstehen Sie das? Unter allen Arten habe ich sie gewählt, wie man unter einer Reihe von Dolchen den wählt, der die grausamste Wunde hervorbringt, der die schartigste Klinge hat, um das verhaßte Wesen, das man umbringen will, gründlich zu zerfleischen. Diesen Mann einfach zu töten, mit einem einzigen Schlag, das wollte ich nicht. Hat er Don Esteban mit seinem Degen ritterlich getötet? Nein! Er hat ihn durch seine Knechte ermordet. Er hat sein Herz vor die Hunde geworfen und seinen Körper vielleicht ins Beinhaus. Ich weiß es nicht. Ich habe nie etwas darüber erfahren. Und ich sollte ihn für alles das bloß töten! Das wäre viel zu mild und viel zu rasch! Langsamer, grausamer muß es sein! Überdies ist der Herzog ein tapferer Mann. Er hat keine Furcht vor dem Tod. Die Sierra-Leones haben ihm zu allen Zeiten getrotzt. Aber sein Stolz, sein maßloser Hochmut ist feig, wenn ihm Schande droht. Man muß ihn also in seinem Stolz treffen und an seinem Hochmut kreuzigen! Darum habe ich mir damals geschworen, seinen stolzen Namen in den widerlichsten Schmutz zu tauchen, diesen Namen selber zu Schimpf und Schande, zu Dreck und Kot zu wandeln. Und deshalb bin ich geworden, was ich bin: eine öffentliche Dirne, die Hure von Sierra-Leone, die heute abend just Sie aufgegabelt hat!«

Bei den letzten Worten funkelten ihre Augen vor Freude über einen wohlgezielten Schlag.

Tressignies fragte: »Weiß er, der Herzog, was Sie geworden sind?«

»Wenn er es nicht weiß, so wird er es eines Tages wissen«, antwortete sie mit der sicheren Zuversicht eines, der für alle Fälle seine Anordnungen getroffen hat und der kommenden Dinge gewiß ist. »Die Kunde von dem, was ich treibe, kann ihn jeden Tag erreichen. Dann trifft ihn der Kot meiner Schmach. Einer von den Männern, die hier bei mir gewesen sind, wird ihm die Schande seiner Gattin ins Gesicht speien. Und niemals läßt sich dieser Dreck wieder abwaschen. Aber das wäre nur Zufall, und dem Zufall vertraue ich meine Rache nicht an. Ich bin willens daran zu sterben. Mein Tod wird meine Rache besiegeln und vollenden!«

Tressignies verstand die letzten, ihm dunklen Worte zunächst nicht, aber alsbald sollten sie ihm gräßlich deutlich werden.

Sie begann von neuem:

»Ich will dort sterben, wo Dirnen wie ich zu sterben pflegen. Unter Franz dem Ersten gab es einen Mann, der sich bei einer meinesgleichen absichtlich eine schreckliche und scheußliche Krankheit holte und seine Frau ansteckte, damit sie wiederum den König vergiften sollte, dessen Geliebte sie war, um sich so an allen beiden zu rächen. Kennen Sie diese Geschichte? Ich tue nicht weniger als dieser Mann. Bei dem schandbaren Leben, das ich alle Abende führe, muß es wohl eines Tages geschehen, daß die Lustseuche die Dirne ergreift und an ihr nagt, bis sie in Stücke zerfällt und in irgendeinem elenden Spittel zugrunde geht. Oh, dann ist mein Leben bezahlt!« Sie frohlockte in dieser entsetzlichsten aller Erwartungen. »Dann wird es Zeit sein, daß der Herzog von Sierra-Leone erfährt, wie seine Gemahlin, die Herzogin von Sierra-Leone, gelebt hat und wie sie gestorben ist!«

Tressignies hätte eine so tiefe Rachsucht für unmöglich gehalten, die alles übertraf, was er aus der Geschichte kannte. Weder das Italien des Secento noch Korsika, jene Länder, die wegen der Unversöhnlichkeit ihrer Leidenschaft berühmt sind, boten ihm ein Beispiel einer mehr überlegten und entsetzlicheren Vergeltung als diese Frau, die sich an sich selbst, an ihrem eigenen Leib und ihrer eigenen Seele rächte. Er war erschüttert vor der Großartigkeit dieser gräßlichen Vergeltung. Allerdings, es war die Großartigkeit der Hölle.

»Und selbst wenn er es nicht erführe«, fuhr sie fort, ihre Seele ihm immer mehr enthüllend, »so weiß ich es doch. Ich weiß, was ich jeden Abend tue, daß ich diesen Schlamm trinke, der mir Nektar ist, denn er enthält meine Rache. Ich schwelge in jedem Augenblick in dem Bewußtsein dessen, was ich bin. Indem ich ihn beschimpfe, den stolzen Herzog, sehe ich ihn deutlich vor mir, wie er leiden würde, wenn er es wüßte. Gewiß sind Gedanken und Gefühle wie die meinen Wahnsinn, aber gerade in diesem Wahnsinn liegt mein Glück. Als ich von Sierra-Leone floh, habe ich dieses kleine Bild des Herzogs mitgenommen, um es, als wäre er es selbst, zum Zeugen meiner Schande zu machen. Wie oft habe ich zu ihm gesagt: ›Gib acht! Gib acht!‹ Und wenn der Ekel mich in euren Armen ergreift – und er ergreift mich stets –, dann ist dieses Armband meine Zuflucht.« Sie hob ihren Arm mit der Gebärde einer Tragödin. »Dieser Reif brennt auf mir wie Feuer, aber trotz aller Qual und Pein trage ich ihn, um Estebans Henker nie zu vergessen. Sein Bild entfacht in mir immer wieder von neuem die Begeisterung, die Verzückung des Hasses und der Rache, die von den Männern in ihrer Dummheit und Eitelkeit für das Echo ihrer Lüste gehalten wird. Ich weiß nicht, wer Sie sind; aber sicherlich sind Sie ein höherer Mensch als alle die Männer, die schon hier waren. Und doch haben auch Sie noch vor ein paar Augenblicken gewähnt, ich sei ein menschliches Wesen, vom Fleisch und Blut der anderen während nichts in mir mehr lebt als der Gedanke, Don Esteban an jenem Unmenschen zu rächen, den Sie hier im Bild sehen! Ja, sein Bild treibt mich weiter wie der säbelbreite Sporn, den der Araber seinem Roß in die Weichen stößt, um es durch die Wüste zu jagen. Das Geld, durch das ich rasen muß, ist weiter als die Wüste, und ich stoße mir dies Bild in die Augen und tief ins Herz, um den Galopp zu verstärken, wenn ihr mich in euren Armen haltet. Das Bild ist er selber, und diese gemalten Augen schauen starr auf mich und euch! Wie gut verstehe ich den Glauben alter Zeiten, daß man jemandem in seinem Bild Böses antun könne. Ich begreife die unsinnige Wonne, die man empfing, wenn man dem Bild dessen, den man umgebracht sehen wollte, den Dolch in das Herz stieß. Leider ...«

In verändertem Ton, aus grausamer Bitterkeit plötzlich in unsagbare Wehmut verfallend, fügte sie hinzu:

»Leider besitze ich kein Bild Estebans. Ich sehe ihn nur in meiner Seele. Und vielleicht ist das recht gut. Denn hätte ich ihn vor Augen, dann zöge er mein armes Herz empor, und ich müßte erröten ob der unwürdigen Erniedrigung meines Lebens. Vor lauter Reue wäre ich nicht mehr imstande, Rache zu üben.«

Die Meduse war weich geworden, wenn auch ihre Augen trocken blieben. Tressignies, tief ergriffen, erfaßte die Hand der Frau, die jetzt ganz andere Gefühle denn zuvor in ihm erweckt hatte, und küßte sie voll Achtung und Mitleid. Hatte er ein Recht, sie zu verachten? Ihre Willenskraft und ihr Unglück dünkten ihm erhaben. Welch eine Frau! sagte er bei sich. Hätte sie nicht den Herzog von Sierra-Leone, sondern den Marquis von Vasconcellos geheiratet, so wäre sie in ihrer edlen Liebe eine zweite Markgräfin von Pescara geworden. Aber vielleicht hätte sie es der Welt nie zeigen können, und niemand wüßte, wie ungeheuerlich ihre Leidenschaft und ihre Willenskraft ist. So sehr er, als Kind seiner Zeit, Zweifler war und längst gewohnt, sich selbst zu beobachten und zu bespötteln, fand sich Tressignies doch nicht lächerlich, als er der Verlorenen die Hand küßte. Aber zu sagen wußte er ihr nichts mehr. Er fühlte sich ihr gegenüber in einer peinlichen Lage. Ihre Geschichte hatte das angesponnene Band zwischen ihr und ihm wie mit einem scharfen Messer zerschnitten. In ihm wogte ein Wirrwarr von Bewunderung, Grauen und Verachtung. Es wäre ihm sehr geschmacklos erschienen, sich ihr gefühlvoll zu zeigen oder sie gar begehren zu wollen. Er hatte sich oft genug über die Tugendbolde lustig gemacht, von denen es damals in Paris unter dem Einfluß gewisser rührseliger Romane und Schauspiele wimmelte, und über ihre scheinheiligen Versuche, gefallene Frauen wie umgestürzte Blumentöpfe wieder aufzurichten. Das konnte man den Priestern überlassen. Überdies schien es ihm, daß selbst deren Macht an der Seele dieser Frau scheitern würde. Schmerzlich bewegt, verharrte er in einem Schweigen, das ihm wohl mißlicher war als ihr. Immer noch völlig im Banne ihrer Gedanken und Erinnerungen, fuhr sie fort:

»Der Gedanke, den Herzog zu schänden statt ihn zu töten, diesen Mann, dem die Ehre im Sinne der Welt mehr bedeutet als das Leben, ist mir nicht sofort gekommen. Es währte lange, ehe ich darauf verfiel. Nach der Ermordung des Don Esteban, von der vermutlich selbst im Schloß niemand etwas erfuhr – denn sein Leichnam ist wohl samt den beiden Negern in einer Versenkung verschwunden –, sprach der Herzog nicht mehr mit mir, nur kurz und förmlich vor der Dienerschaft. Die Frau eines Cäsaren darf nicht in Verdacht kommen; und ich sollte vor aller Welt die makellose Herzogin von Sierra-Leone sein und bleiben. Wenn wir aber unter vier Augen waren, fiel niemals ein Wort, niemals eine Anspielung.

Es herrschte das unerschöpfliche Schweigen des ewigen Hasses. Habe ich doch die Verstellungskunst meiner italienischen Ahnen nicht umsonst geerbt. Ich war wie aus Erz, bis in meine Augen. Don Christoval konnte nicht ahnen, was hinter meiner ehernen Stirn vorging, wo tausend Rachepläne wild durcheinanderwogten. Ich war undurchdringlich. In einer Nacht floh ich aus dem Schloß, dessen Mauern mich erdrückten. Niemandem vertraute ich mich dabei an. Zuerst hegte ich die Absicht, nach Madrid zu gehen. Aber dort war der Herzog allmächtig, und alle Netze der Polizei hätten sich auf den ersten Wink von ihm um mich zusammengezogen. Dort konnte er mich ohne Mühe wieder einfangen und in das In Pace irgendeines Klosters stecken. Dann aber war ich für die Welt begraben; und gerade die Welt brauchte ich bei meinem Vorhaben.

Paris war sicherer. Ich wandte mich also nach Paris. Es gibt keinen besseren Ort für meine Rache als diese Stadt, die der Mittelpunkt der Welt und ihres Klatsches ist. Hier begann ich das Dasein einer Dirne der niedrigsten Stufe, die sich für ein paar Franken dem ersten besten verkauft, auch dem Lumpen. Geld und Geschmeide hatte ich mir reichlich mitgenommen.

Unerschrocken habe ich meine Rache begonnen. Sie währt nun schon drei Monate lang...«

Ihre Stimme war heiser geworden.

»Schon drei Monate...«, unterbrach sie Tressignies, »... dauert dies...?« Er wagte nicht zu sagen, was.

»Ja, drei Monate!« wiederholte sie. »Man braucht Zeit, um solch Gift zu kochen und wieder zu kochen!«

Trotzige Leidenschaft und bitterer Schmerz mischten sich in ihrer Antwort.

Tressignies schaute verwundert auf diese vollendete Künstlerin der Rache. Ihm, der sich eingebildet hatte, über jedwede unmittelbare Empfindung weit hinaus zu sein, diesem Meister der kühlen Betrachtung, ihm ging der Dunstkreis dieses Weibes auf die Nerven. Er mußte wieder frische Luft atmen und hinweg aus diesem Raum dunkler Barbarei, in dem der Kulturmensch erstickte.

Sie sah, daß er sich entfernen wollte.

»Nehmen Sie Ihr Geld mit!« sagte sie mit einer Gebärde der wiedererwachten Herzogin, indem sie verächtlich auf die blaue Glasschale wies, die er mit Goldstücken angefüllt hatte. »Ich nehme von niemandem Gold.« Und mit dem Stolz der Demut, die ihre Rache war, fügte sie hinzu: »Ich bin nur eine Dirne zu fünf Franken.«

Dies Wort ward ausgesprochen, wie es gemeint war. Es war der Ausklang der verrückten Erhabenheit, der Höllengröße, die sie in sich trug und ihm geoffenbart hatte.

Der Abscheu vor der Form dieses letzten Wortes gab Tressignies die Kraft zu gehen. Er nahm das Gold aus der Schale und ließ nur darin, was sie verlangt hatte.

Da sie es will, sagte er sich, so drücke auch ich auf den Dolch, den sie sich ins Herz gestoßen hat!

Und er verließ das Zimmer in heftiger Erregung.

Die Armleuchter überfluteten noch immer mit ihrem Licht den Gang und das Treppenhaus. Jetzt begriff er, warum diese Kerzenträger vor der gemeinen Tür angebracht waren. Auf der Karte, die wie ein Aushängeschild vor einer Fleischerbude angeklebt war, stand in großen Lettern:

Herzogin Arcos von Sierra-Leone

Unter dem Namen stand ein gemeines Wort, das Gewerbe bezeichnend, das sie betrieb.

Nach diesem unglaublichen Erlebnis kam Tressignies in so verstörtem Zustand nach seiner Wohnung, daß er sich beinahe darüber schämte. Nur Toren wollen wieder jung sein. Wer das Leben kennt, weiß, daß es nicht von Nutzen wäre. Mit Schrecken sah Tressignies, daß er sich vielleicht zu jung benähme, und so schwor er sich, das Heim der Herzogin nie wieder zu betreten, trotz der Anteilnahme, die diese unerhörte Frau in ihm erweckt hatte. Er sagte sich: Wozu soll ich mich nochmals nach diesem verseuchten Ort begeben, wohin sich ein Geschöpf von edler Abkunft freiwillig verbannt? Sie hat mir ihr ganzes Leben enthüllt, und ohne viel Mühe kann ich mir bis ins einzelne vorstellen, wie entsetzlich dieses Dasein Tag um Tag oft sein muß.

Zu diesem Entschluß gelangte Tressignies am Kamin in der Einsamkeit seiner Wohnung mit vieler Mühe. Er verschanzte sich einige Zeit darin vor allen Geschehnissen und Zerstreuungen der Außenwelt, um unter dem Eindruck und der Erinnerung jenes Abends zu verbleiben, an denen sich sein Geist unwiderstehlich weidete wie an einer seltsamen und gewaltigen Dichtung, die ihm ihresgleichen nicht zu haben schien, weder bei Byron noch Shakespeare, seinen beiden Lieblingsdichtern. Und so verbrachte er viele Stunden in seinem Lehnstuhl, träumerisch blätternd in dem immer offenen Buch dieses Werkes eines so grausig starken Willens. Es hatte auf ihn die Wirkung einer Wunderblume, die ihn die Pariser Gesellschaft vergessen ließ, seine Heimat. Dahin zurückzukehren vermochte er nur unter dem Aufgebot aller seiner Kraft. Die tadellosen großen Damen, die er dort fand, dünkten ihm wie Schatten. Obwohl er nicht im geringsten prüde war und seine Freunde nicht minder, erzählte er ihnen doch kein Wort von seinem Erlebnis, aus zarter Rücksicht, die ihm selber lächerlich vorkam, zumal ihn die Herzogin förmlich aufgefordert hatte, ihre Geschichte jedermann preiszugeben und sie nach Möglichkeit allerorts zu verbreiten. Er tat das Gegenteil und verheimlichte sie. Er verkorkte und versiegelte sie im geheimsten Schrein seines Wesens wie eine Flasche ganz seltenen Parfüms, das seinen Duft verlieren könnte, wenn man daran riechen läßt. Und noch etwas war ganz sonderbar an einem Mann seiner Art. Im Café de Paris, im Klub, im Theater oder an sonst welchem Ort, wo sich Herren treffen und einander alles erzählen, vermochte er mit keinem seiner guten Freunde zu reden, ohne daß es ihm davor bangte, das nämliche Abenteuer zu vernehmen, das ihm widerfahren war. Die Möglichkeit erregte ihn in den ersten zehn Minuten des Gespräches mit jedwedem dermaßen, daß er zitterte.

Dessenungeachtet hielt Tressignies sein Wort und mied nicht nur die Rue Basse-du-Rempart, sondern auch den Boulevard. Er lehnte nicht mehr wie die anderen gants jaunes, die Helden jener Zeit, am Geländer bei Tortoni. Wenn ich ihr verteufeltes gelbes Kleid flattern sehe, dachte er bei sich, bin ich vielleicht doch wieder so töricht und laufe ihr nach. Vor jedem gelben Kleid, das ihm begegnete, verlor er sich in Träumerei. Jetzt liebte er die gelben Kleider, die er ehedem immer abscheulich gefunden hatte. Sie hat mir den Geschmack verdorben, gestand er sich. So verspottete der Weltmann den Menschen. Aber das, was die kluge Frau von Stael die Stimme des Dämons nennt, das war stärker als der Weltmann und der Mensch zusammen. Tressignies verfiel der Schwermut. Er war ehedem in Gesellschaft von großer Lebhaftigkeit, seinen Witz hatte man ebenso geliebt wie gefürchtet. letzt plauderte er nicht mehr so bezaubernd wie früher. »Ist er verliebt?« fragten sich die Klatschbasen. Und die alte Marquise von Clérembault warf ihm vor, er trüge eine Hamlet-Maske zur Schau.

Seine Schwermut steigerte sich ins Krankhafte. Sein Gesicht sah wie bleiern aus. »Was mag Herrn von Tressignies nur fehlen?« fragte man sich, und schon war man geneigt, ihm die Krankheit Bonapartes anzudichten, da entzog er sich eines schönen Tages allen Fragen und Forschungen, indem er wie urplötzlich seinen Koffer packte und wie in einer Versenkung verschwand.

Wo war er hin? Kein Mensch kümmerte sich darum. Länger als ein Jahr blieb er aus. Dann kam er zurück nach Paris und war wieder der Gesellschaftsmensch von ehedem.

Eines Abends war er beim spanischen Gesandten, wo, nebenbei bemerkt, alles durcheinanderwogte, was von Bedeutung war. Es war spät. Man ging zum Mahl. Der Schwarm strömte zu den Darbiettischen. Die Salons wurden leer.

Im Spielzimmer verblieben nur etliche hartnäckige Whistspieler, darunter Tressignies. Einer der Herren, der die bei jedem Robber gemachten Einsätze in ein elfenbeinernes Merkbüchlein eintrug, stieß beim Blättern darin plötzlich auf etwas, was ihm ein »Ach ja!« entlockte, wie es einem entfährt, wenn man auf etwas Vergessenes stößt.

»Exzellenz!« wandte er sich an den Herrn des Hauses, der, die Hände auf dem Rücken, dem Spiel zusah. »Gibt es in Madrid noch Sierra- Leones?«

»Gewiß gibt es dort welche«, erwiderte der Gesandte. »Vor allem den Herzog d'Arcos von Sierra-Leone, einen der ersten vom Hochadel.«

»Was ist denn das für eine Herzogin von Sierra-Leone, die eben hier in Paris gestorben ist? In welchem Verhältnis steht sie zum Herzog?« fragte der Wißbegierige weiter.

»Das könnte nur seine Frau sein«, meinte der Gesandte. »Indessen die ist seit zwei Jahren so gut wie tot. Sie ist verschwunden, ohne daß man weiß, warum und wie. Die Wahrheit ist tiefes Geheimnis. Wohlgemerkt, diese Herzogin war eine großartige Dame, keine von heutzutage, keine von den tollen Weibern, die mit ihren Liebhabern durchgehen. Sie stand in ihrem Stolz ihrem Gatten nicht nach, dem hochmütigsten der Ricos hombres von ganz Spanien. Dazu war sie sehr fromm, geradezu überfromm. Sie hat dauernd in Sierra-Leone gewohnt, einem einsamen Schloß aus rotem Marmor, wo die Adler vor Langeweile tot aus ihren Felsennestern fallen. Eines Tages war die Herzogin von dort verschwunden, und seitdem lebt der Herzog, ein Mann wie aus der Zeit Karls des Fünften, den keiner zu fragen wagt, in Madrid, wo man von seiner Frau und ihrem spurlosen Verschwinden so wenig spricht, als habe sie nie gelebt. Sie stammt aus dem Hause Torre- Cremata. Mit ihr stirbt der italienische Zweig dieses Geschlechts aus...«

»Das ist sie!« unterbrach ihn der Spieler, indem er in seinem Merkbuch nachlas. »Also vermelde ich Eurer Exzellenz gehorsamst«, fügte er feierlich hinzu, »daß die Herzogin d'Arcos von Sierra-Leone heute vormittag begraben worden ist, und zwar, wie Sie kaum vermuten dürften, im Friedhof der Salpêtrière.«

Bei dieser Mitteilung legten die Spieler ihre Karten nieder und schauten den Sprecher verwundert an.

»Ja, ja«, sagte dieser, als echter Franzose stolz auf den Eindruck, den er eben gemacht hatte. »Zufällig komme ich heute vormittag an der Spittelskirche vorüber und höre da drinnen feierliche Musik, etwas Ungewöhnliches an diesem Ort. Ich gehe hinein und sehe zu meinem Erstaunen vor dem Hochaltar einen prachtvollen Sarg aufgebahrt mit einem stattlichen Doppelwappen. Die Kirche war beinahe leer. Ein paar alte Frauen saßen in den Bänken. Ich gehe an der so armseligen Trauergesellschaft vorbei, trete an den Sarg und lese in großen silbernen Lettern auf schwarzem Grund folgende Inschrift, die ich mir ihrer Sonderbarkeit wegen abgeschrieben habe, um sie nicht zu vergessen. Lesen Sie:«

Hier ruht
Sanzia Florinda
geborene von Torre-Cremata
Herzogin d'Arcos von Sierra-Leone
eine reumütige Gefallene
gestorben in der Salpêtrière
am 27. Januar 18**
Requiescat in Pace

Die Spieler dachten nicht mehr an ihre Karten. Was den Gesandten anbelangt, so ließ er sich seine Betroffenheit nicht anmerken, nach dem Grundsatz: ein Diplomat darf ebensowenig Erstaunen wie ein Offizier Furcht zeigen. Im Ton, als habe er einen Untergebenen vor sich, fragte er:

»Und Sie haben keine Erkundigungen eingezogen?«

»Nein, Exzellenz!« entgegnete der Spieler. »Es saßen nur ein paar arme Leute da, und die Priester, die mir vielleicht etwas hätten berichten können, waren beschäftigt. Und dann dachte ich daran, daß ich heute abend die Ehre habe, Sie zu treffen.«

»Ich werde morgen sofort Nachforschungen anstellen«, erklärte der Gesandte.

Das Spiel begann von neuem, aber keiner der Herren war mehr so recht bei der Sache. Diese Meister des Whist machten Fehler über Fehler. Sehr bald erhob sich Tressignies, der ganz blaß geworden war, ohne daß es jemandem aufgefallen war, nahm seinen Hut und ging, ohne sich zu verabschieden.

Am nächsten Tag war er in aller Frühe in der Salpêtrière. Er erkundigte sich bei dem Kaplan, einem biederen alten Mann, der ihm allerlei Angaben über 119 machte, unter welcher Nummer die Herzogin Arcos von Sierra-Leone im Spittel aufgenommen worden war. Die Unglückliche hatte also dort geendet, wo sie vorausgesagt hatte, daß sie enden werde. Bei dem fürchterlichen Spiel, das sie gespielt, hatte sie sich die gräßlichste aller Krankheiten zugezogen. »In wenigen Monaten«, so erzählte der alte Priester, »war sie bis auf die Knochen zerfressen. Eines Tages war ihr ein Auge aus der Höhle gefallen und vor die Füße gerollt wie ein Geldstück. Das andere war vereitert und ausgeflossen. Schließlich war sie gestorben, unter entsetzlichen Qualen, aber ruhig und gefaßt. Noch reich an Geld und Geschmeide, hatte sie ein standesgemäßes Begräbnis angeordnet, alles übrige aber den anderen Kranken in der Anstalt vermacht. Zur Sühne ihres lasterhaften Lebens«, berichtete der Geistliche, der keine Ahnung von dem Vorleben der Verstorbenen hatte, »in Reue und Zerknirschung, war es ihr letzter Wille, daß die Inschrift auf ihrem Sarg wie auf ihrem Grabstein die Worte enthalte:

Eine reumütige Gefallene

Das Wort reumütig übrigens wollte sie erst durchaus nicht hinzugesetzt haben. So weit ging ihre Demut!«

Tressignies lächelte wehmütig über die Worte des Biedermannes, aber er ließ ihn bei seiner Einfalt. Er aber, er wußte, daß die Herzogin von Sierra-Leone keine Reumütige gewesen war und alle ihre Selbsterniedrigung bis über ihren Tod hinaus nichts war denn Rache.


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